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Folter in der BRD - Social History portal

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Kommunarden 1871 und <strong>der</strong> Exponenten <strong>der</strong> bayrischen Räterepublik.<br />

Für die bürgerliche Republik stand <strong>in</strong> solchen Situationen <strong>der</strong> wirkliche<br />

Fe<strong>in</strong>d l<strong>in</strong>ks. Der wirkliche Fe<strong>in</strong>d war dann <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> die Herrschaft<br />

<strong>der</strong> Bourgeoisie bedrohte und die kapitalistische Produktionsweise <strong>in</strong><br />

Frage stellte. Der politische Gegner von rechts war demgegenüber e<strong>in</strong><br />

völlig an<strong>der</strong>er Gegner. Er bekämpfte zwar den politischen Herrschaftsanspruch<br />

des Bürgertums, gegenüber dem Gegner von l<strong>in</strong>ks stand er jedoch<br />

_ selbst für Brün<strong>in</strong>g - als Bündnispartner bereit. Der politische Gegner<br />

von rechts wurde letztlich nicht als wirkliche Bedrohung angesehen, weil<br />

er das Eigentum an Produktionsmitteln nicht <strong>in</strong> Frage stellte.<br />

In dem Maße, <strong>in</strong> dem sich das Bürgertum von l<strong>in</strong>ks her bedroht sah, als<br />

mit <strong>der</strong> russischen Revolution zum ersten Mal die Möglichkeit e<strong>in</strong>er überw<strong>in</strong>dung<br />

<strong>der</strong> kapitalistischen Produktionsweise konkrete Gestalt annahm,<br />

wurde die Abgrenzung gegenüber dem politischen Gegner von l<strong>in</strong>ks allgeme<strong>in</strong><br />

zu <strong>der</strong> Grenzl<strong>in</strong>ie, an <strong>der</strong> alles gemessen wurde. Der Gegner von<br />

l<strong>in</strong>ks war nun nicht mehr nur irgende<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>d schlechth<strong>in</strong>.<br />

Diese Fe<strong>in</strong>dschaft führte dazu, daß <strong>der</strong> politische Gegner zusehends<br />

weniger als Gegner betrachtet wurde, son<strong>der</strong>n mehr und mehr als <strong>der</strong> auch<br />

<strong>in</strong>dividuell zu vernichtende totale Fe<strong>in</strong>d. Nicht nur vom Nationalsozialismus,<br />

son<strong>der</strong>n schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weimarer Republik wurde <strong>der</strong> politische<br />

Gegner von l<strong>in</strong>ks moralisch <strong>in</strong> Frage gestellt, krim<strong>in</strong>alisiert und für<br />

unmenschlich erklärt. Der Faschismus hat diese absolute Fe<strong>in</strong>dschaft auf<br />

die Spitze getrieben: <strong>der</strong> politische Gegner wurde nicht mehr bestimmt als<br />

Gegenposition, son<strong>der</strong>n als <strong>der</strong> Unmensch, <strong>der</strong> ausgemerzt und vernichtet<br />

werden darf. 1<br />

Art. I des GG zeigt, daß man bei <strong>der</strong> Schaffung des GG me<strong>in</strong>te, e<strong>in</strong>em<br />

solchen politischen Denken und Verhalten entgegentreten zu müssen. Die<br />

Würde des Menschen sollte durch ke<strong>in</strong>e absolute Fe<strong>in</strong>dschaft angetastet<br />

werden können. Das heißt mit an<strong>der</strong>en Worten: das GG soll auch demjenigen<br />

Schutz bieten, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Regeln nicht anerkennt.<br />

II.<br />

Als im Herbst 1970 e<strong>in</strong>e politische Gruppe, die sich »Rote Armee Fraktion«<br />

nennt, daran g<strong>in</strong>g, »Illegalität als Offensiv-Position für revolutionäre<br />

Intervention« zu organisieren und e<strong>in</strong>e Stadt-Guerilla mit dem Ziel<br />

des bewaffneten Kampfes aufzubauen, wurde das im GG für unverän<strong>der</strong>bar<br />

erklärte Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Würde des Menschen, das den Rahmen setzen<br />

sollte für die Behandlung des politischen Gegners, von zwei Seiten <strong>in</strong><br />

Frage gestellt.<br />

130 Jürgen Seifert<br />

L<br />

Die »Rote Armee Fraktion« hat - offenbar bed<strong>in</strong>gt durch die schwache<br />

Position aller L<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> - die Inhaber <strong>der</strong> Verfügungsgewalt<br />

über die Produktionsmittel und die Inhaber <strong>der</strong> Staatsgewalt nicht mehr<br />

nur als »Charaktermasken« e<strong>in</strong>es Systems, son<strong>der</strong>n jeweils als den auch<br />

<strong>in</strong>dividuellen Gegner behandelt, dem gegenüber Gewalt angebracht ist<br />

und den es zu treffen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zuschüchtern gelte. Pr<strong>in</strong>zipiell g<strong>in</strong>g es dieser<br />

Gruppe zwar um die Än<strong>der</strong>ung politisch-gesellschaftlicher Verhältnisse.<br />

Im E<strong>in</strong>zelfall traten jedoch Individuen, und zwar zum speziellen Fe<strong>in</strong>d<br />

erklärte Individuen, <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund: die »Pigs«, e<strong>in</strong> Bundesrichter<br />

o<strong>der</strong> das Hochhaus e<strong>in</strong>es Axel Spr<strong>in</strong>ger.<br />

Den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> »Roten Armee Fraktion« wurde von den Organen<br />

<strong>der</strong> Strafverfolgung und von e<strong>in</strong>em großen Teil <strong>der</strong> Massenmedien die<br />

Qualität abgesprochen, politischer Gegner zu se<strong>in</strong>. Die Gruppe wurde<br />

krim<strong>in</strong>alisiert. Horst Mahler hielt es für richtig, diese Qualifizierung<br />

anzuerkennen, offenbar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hoffnung, den Vorwurf zu e<strong>in</strong>em Ehrentitel<br />

machen zu können. Er sagte: »Revolutionäre Politik ist notwendig<br />

krim<strong>in</strong>ell.« Und er fügte h<strong>in</strong>zu, <strong>in</strong> bezug auf die Methoden <strong>der</strong> Stadtguerilla:<br />

»Das ist krim<strong>in</strong>ell, weil es gegen die Gesetze <strong>der</strong> Herrschenden<br />

verstößt. Das ist revolutionär, weil diese Seite des Kampfes e<strong>in</strong>e notwendige<br />

Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Revolution ist. Während jedoch die übliche Krim<strong>in</strong>alität<br />

unmittelbar das Interesse privater Bereicherung bzw. Befriedigung<br />

verfolgt, hat die Krim<strong>in</strong>alität <strong>der</strong> Revolutionäre die Verwirklichung<br />

gesellschaftlicher Bedürfnisse zum Inhalt.«<br />

Nachdem die »Rote Armee Fraktion« die Konfrontation auf die <strong>in</strong>dividuelle<br />

Ebene getragen hatte und als krim<strong>in</strong>ell stigmatisiert worden war, war<br />

es nur noch e<strong>in</strong> Schritt, aus diesem politischen Gegner e<strong>in</strong>en »Staatsfe<strong>in</strong>d<br />

Nr. I« zu machen.<br />

Für die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> »Roten Armee Fraktion« bedeutete die Aberkennung<br />

<strong>der</strong> Eigenschaft, politische Gegner zu se<strong>in</strong>, daß sie moralisch <strong>in</strong><br />

Frage gestellt und für verbrecherisch und unmenschlich erklärt wurden.<br />

Das geschah zunächst deshalb, um jeden Dritten e<strong>in</strong>zuschüchtern, <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

die Lage kommen konnte, <strong>in</strong> dieser o<strong>der</strong> jener Weise die zum Fe<strong>in</strong>d<br />

schlechth<strong>in</strong> erklärte Gruppe zu unterstützen. Diese ursprüngliche Funktion<br />

war bald nicht mehr ausschlaggebend. Die Existenz <strong>der</strong> Gruppe selbst<br />

wurde zu e<strong>in</strong>em solchen Störfaktor, daß es den Verfolgungsorganen vor<br />

allem darauf ankam, den schon geächteten und verdammten Störer zu<br />

beseitigen.<br />

Die »Rote Armee Fraktion« ihrerseits hat durch ihre Aktionen wie<strong>der</strong>um<br />

alles getan, die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung zu verschärfen. Sie hat - solange das<br />

den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gruppe überhaupt nur möglich war - immer wie<strong>der</strong><br />

dazu aufgerufen, bewaffnet das »System« und se<strong>in</strong>e politischen Funktionsträger<br />

zu bekämpfen.<br />

131 Plädoyer gegen die Achtung des politischen Gegners

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