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Folter in der BRD - Social History portal

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<strong>Folter</strong><strong>in</strong>struments bedient, ist <strong>der</strong> Hauptschuldige im neuzeitlichen <strong>Folter</strong>system,<br />

son<strong>der</strong>n diejenigen, die <strong>in</strong> Kenntnis <strong>der</strong> Zusammenhänge Grundlagenforschung<br />

betreiben, aus <strong>der</strong> die Methodik des Systems entwickelt wird<br />

und hervorgeht.<br />

Die re<strong>in</strong> wissenschaftliche Erforschung <strong>der</strong> Auswirkungen <strong>der</strong> sensorischen<br />

Deprivation wurde erst vor etwa 20 Jahren systematisch <strong>in</strong> Angriff<br />

genommen. Wie so häufig, wurden Forschungs- und Experimentiermethoden<br />

entwickelt aus <strong>in</strong>tuitiv gewonnenen Erkenntnissen, die bereits lange<br />

zuvor angewand t worden waren. Vorläufer <strong>der</strong> Isolierzellen, <strong>in</strong> denen<br />

sensorische Deprivation durchgeführt wird, s<strong>in</strong>d nicht nur die Tigerkäfige,<br />

die Isolierabteilungen psychiatrischer Krankenhäuser, Gefängnisse und<br />

Konzentrationslager, son<strong>der</strong>n schon viel früher die Felsenhöhlen und Kellerräume,<br />

<strong>in</strong> denen Menschen e<strong>in</strong>gemauert wurden, die sogenannten »oubliettes«.<br />

Aus dem vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t stammt e<strong>in</strong> reiches Arsenal von<br />

Zellen-E<strong>in</strong>richtungen, auf dem unser heutiges Gefängniswesen noch<br />

immer aufbaut. In diesen Zellen-Gefängnissen gibt es gewöhnlich e<strong>in</strong>ige<br />

Zellen, die vom übrigen Gebäude vollständig getrennt s<strong>in</strong>d und <strong>in</strong> denen<br />

beson<strong>der</strong>e Gefangene bewacht werden. Die Indikation für e<strong>in</strong>e solche<br />

Son<strong>der</strong>behandlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dieser Zellen, die <strong>in</strong> Holland »Dovencel« ­<br />

etwa: Dampfkessel- heißt, wird meist nicht durch Gerichtsbeschluß festgestellt,<br />

son<strong>der</strong>n dem Gefängnispersonal überlassen. So habe ich e<strong>in</strong>en<br />

sechzehnjährigen Jungen erlebt, <strong>der</strong>, weil e<strong>in</strong>es Verbrechens beschuldigt,<br />

seit se<strong>in</strong>em elften Lebensjahr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vollständig isolierten Zelle e<strong>in</strong>er<br />

staatlichen Erziehungsanstalt e<strong>in</strong>gesperrt war. Jahrelang waren we<strong>der</strong><br />

Sonnenlicht noch Außengeräusche zu ihm durchgedrungen. Kontakt hatte<br />

er nur mit se<strong>in</strong>en Bewachern. Kunstlicht erhielt er nur, wenn und solange<br />

es ihnen gefiel. Geräusche drangen selbst dann nicht zu ihm durch, wenn<br />

man se<strong>in</strong>e Zellen tür aufschloß, dafür lag die Zelle zu tief unter <strong>der</strong><br />

Erdoberfläche. Als ich ihn kennenlernte, war <strong>der</strong> Junge durch diese abnormale<br />

Umgebung schwer deformiert.<br />

In <strong>der</strong>artigen Zellen wurden zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> fünfziger Jahre mit Menschen<br />

<strong>in</strong> Abson<strong>der</strong>ungssituationen Beobachtungen angestellt und Versuche<br />

durchgeführt. Gegen Ende <strong>der</strong> fünfziger Jahre wurden für diese Zwecke<br />

beson<strong>der</strong>e Experimentierzellen gebaut, vor allem <strong>in</strong> den USA und <strong>in</strong><br />

Kanada, die sogenannten »silent rooms« (Heron, Bexton, Scott, Salomons<br />

und viele an<strong>der</strong>e).<br />

Viel später erst wurden <strong>der</strong>artige Forschungen <strong>in</strong> Deutschland aufgenommen,<br />

wo sich momentan die am meisten perfektionierte »stille Zelle«<br />

bef<strong>in</strong>det: im »Laboratorium für kl<strong>in</strong>ische Verhaltensforschung« an <strong>der</strong><br />

Universität Hamburg. Hier werden nicht nur die körperlichen Reaktionen<br />

von Versuchspersonen beobachtet und gemessen, son<strong>der</strong>n auch psycholo-<br />

124 SjefTeuns<br />

r,<br />

gische Testmaßstäbe erarbeitet an Versuchspersonen, die sich für e<strong>in</strong>ige<br />

Zeit <strong>in</strong> die »camera silenta« begeben.<br />

Aufgrund solcher Untersuchungen klassifiziert man die Reaktionen von<br />

Menschen <strong>in</strong> verschiedenen Kategorien. Immer wie<strong>der</strong> zeigt sich dann, daß<br />

unter dem <strong>in</strong>tensiven o<strong>der</strong> lang andauernden Druck <strong>der</strong> sensorischen<br />

Deprivation neben Angst und panischen Reaktionen meistens folgende<br />

konstante Begleitersche<strong>in</strong>ungen zum Vorsche<strong>in</strong> kommen: Störungen <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung und <strong>der</strong> Erkenntnis (Halluz<strong>in</strong>ationen, Autoskopie, illusionäre<br />

Verfälschungen) und vegetative körperliche Störungen wie etwa<br />

deformiertes (verstärktes) Hungergefühl, Schlaf- Rhythmus-Störungen,<br />

funktionelle Herzleiden, motorische Desequilibrierung (<strong>in</strong>tensives Zittern,<br />

Zuckungen wie beim Elektroschock usw.).<br />

In dem Hamburger Experiment a. Gross u. a.) hat man aufgrund dieser<br />

Beobachtungen und <strong>der</strong> Testprotokolle e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>fachte Form <strong>der</strong> Klassifizierung<br />

menschlicher Persönlichkeitstypen durchgeführt. Die Reaktionen<br />

auf die Experimente werden dort <strong>in</strong> drei Kategorien e<strong>in</strong>geteilt:<br />

A. die Kategorie <strong>der</strong> animalischen Reaktionen<br />

B. die Kategorie <strong>der</strong> basalen Persönlichkeitsstrukturen, wie sie durch<br />

Anlage und Frühentwicklung geformt und ziemlich stabilisiert s<strong>in</strong>d und<br />

die unter dem Druck <strong>der</strong> Streßsituationen länger überdauern als die<br />

Reaktionen <strong>der</strong> Kategorie e.<br />

e. die Kategorie <strong>der</strong> Reaktionen, die e<strong>in</strong>en response auf Stimulationen <strong>der</strong><br />

Umwelt, sowohl <strong>der</strong> sozialen und kulturellen als auch <strong>der</strong> physischen<br />

Umwelt, bedeuten.<br />

Die durch planmäßig angelegte Experimentalsituationen herbeigeführten<br />

Persönlichkeitsdeformationen werden als dem menschlichen Organismus<br />

<strong>in</strong>härente Persönlichkeitsmerkmale ausgegeben.<br />

Das Willkürliche an den Schlußfolgerungen aus diesen Experimenten ist<br />

also, daß das, was allenfalls als Arbeitshypothese für weitere Untersuchungen<br />

dienen könnte, umgeformt wird zu dogmatischen Aussagen über<br />

menschliche Persönlichkeitsstrukturen überhaupt. So wird behauptet, daß<br />

die Reaktionen von Menschen, die sich <strong>in</strong> Situation B bef<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong>e Indikation<br />

des »wesentlichen Kerns <strong>der</strong> Persönlichkeit« seien.<br />

Dem Richter wird so e<strong>in</strong> Freibrief ausgestellt, die verhafteten, »ihm anvertrauten«<br />

Personen unter den <strong>Folter</strong>druck <strong>der</strong> sensorischen Deprivation zu<br />

setzen, um mit <strong>der</strong> »eigentlichen« Person sprechen zu können, obwohl er<br />

<strong>in</strong> Wirklichkeit e<strong>in</strong>e durch die Haftbed<strong>in</strong>gungen schwer verkrüppelte Person<br />

vor sich hat.<br />

Bemerkenswert an diesen Hamburger Experimenten ist noch, daß nicht<br />

nur die Auswirkungen untersucht werden, die e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schließung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

solche Zelle und die Unterwerfung unter sensorische Deprivation auf die<br />

Versuchspersonen haben, son<strong>der</strong>n daß auch geprüft wird, wie man bei<br />

125 Isolation/Sensorische Deprivation: die programmierte <strong>Folter</strong>

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