Folter in der BRD - Social History portal
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IX. HAussTRAFEN<br />
»Hausstrafen« <strong>in</strong> Haftanstalten entbehren je<strong>der</strong> gesetzlichen und verfassungsrechtlichen<br />
Grundlage. Sie s<strong>in</strong>d jedoch <strong>in</strong> den Haftanstalten <strong>der</strong><br />
<strong>BRD</strong> allgeme<strong>in</strong> üblich und werden auch richterlich gedeckt, obwohl sie<br />
gegen Art. 2 II und Art. 1°4 I GG verstoßen.<br />
Bei <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong> »unpolitischen« Gefangenen, die oft ke<strong>in</strong>en Verteidiger<br />
haben, werden Hausstrafen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel praktisch exekutiert, bevor sie<br />
von e<strong>in</strong>em Richter bestätigt werden, <strong>in</strong>dem <strong>der</strong> aufsässige Gefangene<br />
sofort zur »Beruhigung« o<strong>der</strong> »Sicherstellung« <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e meist im Keller<br />
liegende Bunkerzelle gebracht wird (»Glocke«-Fälle).<br />
Die Politischen Gefangenen werden mit flexibleren Mitteln bestraft. Konsequent<br />
geahndet werden jedoch alle Versuche <strong>der</strong> Betroffenen, <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er<br />
Weise aus <strong>der</strong> Isolierungsfolter auszubrechen o<strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand zu<br />
leisten.<br />
Der Gefolterte soll stillhalten. Selbst <strong>der</strong> Gebrauch <strong>der</strong> Stimme gegenüber<br />
Mitgefangenen wird unterdrückt.<br />
Der folgende Beschluß des Landgerichts Berl<strong>in</strong> vom 27. Juli 1972 ist<br />
beson<strong>der</strong>s brutal: Schon die grüßende Reaktion e<strong>in</strong>es Politischen Gefangenen<br />
auf die Zurufe von Mitgefangenen wird als »<strong>der</strong>artige Diszipl<strong>in</strong>losigkeit«<br />
mit <strong>der</strong> »recht harten« Strafe von 5 Tagen verschärftem Arrest<br />
verfolgt. Das Gericht wertet es sogar noch straferschwerend, daß <strong>der</strong><br />
durch Isolation Gefolterte erklärt, er sei froh, mit e<strong>in</strong>em Menschen sprechen<br />
zu können, und das werde auch so bleiben, solange die E<strong>in</strong>zelhaft<br />
nicht aufgehoben werde.<br />
Beschluß<br />
In <strong>der</strong> Strafsache<br />
He<strong>in</strong>rich Jansen ,<br />
z. Zt. <strong>in</strong> Untersuchungshaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Untersuchungshaftanstalt Moabit [... ]<br />
wird die Beschwerde des Beschuldigten vom 11. Juli 1972 gegen den Hausstrafenbeschluß<br />
des Amtsgerichts Tiergarten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> vom 28. Juni 1972 auf Kosten des<br />
Beschuldigten verworfen.<br />
Gründe:<br />
Gegen den Beschuldigten ist durch den e<strong>in</strong>gangs erwähnten Beschluß des Amtsgerichts<br />
Tiergarten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Hausstrafe von 5 Tagen verschärften Arrestes<br />
verhängt worden, weil er trotz e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong> Belehrung und Ermahnung wenige Tage<br />
später dadurch schuldhaft gegen die Hausordnung verstieß, daß er während <strong>der</strong><br />
Freistunde versuchte, mit Gefangenen e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Station unerlaubt Kontakt<br />
aufzunehmen.<br />
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, die er nicht<br />
näher begründet hat. Aus se<strong>in</strong>er erst verspätet e<strong>in</strong>gegangenen Stellungnahme zu<br />
dem Hausstrafenantrag ergibt sich aber, daß er den Sachverhalt bestreiten will. Er<br />
trägt vor, er sei von den Gefangenen angesprochen worden und habe lediglich e<strong>in</strong>en<br />
e<strong>in</strong>zigen Satz geantwortet, um den Gruß zu erwi<strong>der</strong>n.<br />
Die Beschwerde ist zwar zulässig, konnte aber ke<strong>in</strong>en Erfolg haben. Denn die<br />
Verhängung <strong>der</strong> Hausstrafe ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.<br />
Der <strong>in</strong> dem Beschluß erwähnte Sachverhalt steht auf Grund <strong>der</strong> Aussage des<br />
Aufsicht führenden Beamten zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Beschuldigte<br />
hat ihn im Grunde zugegeben, weil er bei se<strong>in</strong>er Vernehmung erklärt hat, er habe auf<br />
Zurufe geantwortet. Für den Tatbestand <strong>der</strong> Kontaktaufnahme ist es unerheblich,<br />
von wem <strong>der</strong> erste Anstoß ausgeht, son<strong>der</strong>n es kommt entscheidend darauf an, daß<br />
<strong>der</strong> Beschuldigte auf Zurufe reagiert.<br />
Auf den ersten Blick ersche<strong>in</strong>t aber die verhängte Strafe von 5 Tagen verschärftem<br />
Arrest recht hart. Hier muß jedoch das gesamte Verhalten des Beschuldigten<br />
berücksichtigt werden. Er hat nämlich erklärt, daß er froh sei, mit e<strong>in</strong>em Menschen<br />
sprechen zu können, weil man ihn <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelhaft halte. Das werde auch so bleiben,<br />
solange die E<strong>in</strong>zelhaft nicht aufgehoben werde. Damit hat <strong>der</strong> Beschuldigte aber<br />
e<strong>in</strong>deutig zu erkennen gegeben, daß er sich auch <strong>in</strong> Zukunft nicht an die für alle<br />
verb<strong>in</strong>dliche Hausordnung halten will. Denn die Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaftszeIle<br />
ist wegen <strong>der</strong> schweren gegen ihn erhobenen Vorwürfe des versuchten<br />
Mordes <strong>in</strong> drei Fällen ausgeschlossen. Die Erklärungen des Beschuldigten können<br />
daher nur so verstanden werden, daß er auch <strong>in</strong> Zukunft gegen die Hausordnung<br />
verstoßen will. Unter diesen Umständen war es gerechtfertigt, auch e<strong>in</strong>e verhältnismäßig<br />
harte Hausstrafe festzusetzen, weil bei e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>artigen Diszipl<strong>in</strong>losigkeit die<br />
Ruhe und Ordnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anstalt an<strong>der</strong>s nicht aufrechterhalten werden kann.<br />
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. IStPO.<br />
Berl<strong>in</strong> 21, den 27. Juli 1972<br />
Landgericht, 5. Ferienstrafkammer<br />
(Dr. Endei) (Zimmermann) (Sommerfeldt)<br />
(In den folgenden Beschlüssen wird als Strafe zum Teil die »Entziehung<br />
<strong>der</strong> Erlaubnis zur Beschaffung von Zusatznahrung und Genußmitteln«<br />
e<strong>in</strong>gesetzt. Diese sogenannte »Erlaubnis« ist <strong>in</strong> Wahrheit das gesetzliche<br />
Recht des Untersuchungsgefangenen, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Haft auf se<strong>in</strong>e Kosten<br />
selbst zu versorgen. Die praktische Handhabe dieses Rechts besteht <strong>in</strong> den<br />
Haftanstalten <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel dar<strong>in</strong>, daß <strong>der</strong> Gefangene<br />
lediglich alle zwei Wochen für ca. DM 55,- <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em relativ teuren und<br />
schlecht sortierten Magaz<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anstalt e<strong>in</strong>kaufen kann, das von e<strong>in</strong>em<br />
von <strong>der</strong> Anstalt protegierten Privathändler betrieben wird.)<br />
Die Politischen Gefangenen dürfen sich nicht e<strong>in</strong>mal sehen. Die als Protest<br />
dagegen erhobene Weigerung, sich <strong>in</strong> den Hof führen zu lassen bzw. den<br />
Hof wie<strong>der</strong> zu verlassen, soll bestraft werden. In an<strong>der</strong>en Fällen dient<br />
umgekehrt <strong>der</strong> Entzug des Hofgangs als Strafmittel:<br />
106 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong><br />
107 Hausstrafen