01.11.2013 Aufrufe

Folter in der BRD - Social History portal

Folter in der BRD - Social History portal

Folter in der BRD - Social History portal

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

11<br />

I<br />

I,<br />

II<br />

!<br />

i<br />

11<br />

\<br />

~I I<br />

~I<br />

L<br />

r<br />

11<br />

I<br />

li<br />

Bereits am 19. I. 1973 drohte ihm <strong>der</strong> Anstaltsarzt Dr. Hodel, daß erfalls<br />

er den Hungerstreik nicht abbreche - zwangsernährt werde. Am<br />

20. I. 1973 wurden Siegfried Hausner fast alle se<strong>in</strong>e Habseligkeiten abgenommen<br />

und er wurde, ohne daß hierfür e<strong>in</strong>e ärztliche Indikation vorlag,<br />

auf den Hohenasperg <strong>in</strong> das Vollzugskrankenhaus verlegt. Dort kam er<br />

sofort <strong>in</strong> die Beobachtungszelle Nr.46 <strong>der</strong> psychiatrischen Abteilung. In<br />

dieser Zelle bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel etwa 7-8 Gefangene. Die Zelle hat<br />

we<strong>der</strong> Schränke noch Tische noch Stühle. Das e<strong>in</strong>zige Mobiliar s<strong>in</strong>d die<br />

Betten und e<strong>in</strong>ige Kartons an den Wänden. Brot liegt offen <strong>in</strong> Kartons auf<br />

dem Boden. Die sanitäre E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> Zelle besteht aus e<strong>in</strong>er Toilette<br />

und zwei offenen Wasserkübeln. E<strong>in</strong>zelne Gefangene stoßen laufend mit<br />

dem Kopf gegen die Wände, die verdreckt s<strong>in</strong>d. Sämtliche Häftl<strong>in</strong>ge, auch<br />

<strong>der</strong> Untersuchungsgefangene Siegfried Hausner, müssen die an KZ-Inhaftierte<br />

er<strong>in</strong>nernde gestreifte Anstaltskleidung tragen. Die Oberbekleidung<br />

wird täglich um 17.00 abgenommen, wobei Siegfried Hausner auch das<br />

Schreibzeug weggenommen wird. Rauchwaren s<strong>in</strong>d generell verboten.<br />

E<strong>in</strong>e ärztliche Visite f<strong>in</strong>det alle zwei bis drei Tage statt. Die Ärzt<strong>in</strong> Dr.<br />

Kulicke eröffnet Siegfried Hausner gleich zu Beg<strong>in</strong>n, daß er jetzt »unter~<br />

sucht« werde.<br />

Siegfried Hausner bleibt auf <strong>der</strong> psychiatrischen Abteilung und wird, da er<br />

se<strong>in</strong>en Hungerstreik fortsetzt, am 26. I. 1973 zum ersten Mal zwangsernährt,<br />

wozu ihm die Ärzt<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Gummischlauch durch e<strong>in</strong> Nasenloch<br />

schiebt. Am 27. I. 1973 bricht Siegfried Hausner se<strong>in</strong>en Hungerstreik vorläufig<br />

ab, was Frau Dr. Kulicke mit <strong>der</strong> Bemerkung quittiert: »Und wann<br />

brechen Sie Ihren Redestreik ab?«<br />

Auf den Protest <strong>der</strong> Verteidiger gegen diese Verschleppung auf d~n<br />

Hohenasperg hat <strong>der</strong> Vorsitzende Richter Dr. Gohl vom zuständigen<br />

Landgericht Karlsruhe mit e<strong>in</strong>em Schreiben vom 14. Februar 1973 geantwortet,<br />

<strong>in</strong> dem <strong>der</strong> Vorgang nicht bestritten wird und es u. a. heißt:<br />

»E<strong>in</strong>e psychiatrische Untersuchung ist vom Gericht we<strong>der</strong> angeordnet noch genehmigt<br />

worden. Sie hat auch nicht stattgefunden. Nach dem Bericht des Landeskrankenhauses<br />

haben die Ärzte sich wegen des Verdachts e<strong>in</strong>er seelischgeistigen<br />

Störung des Patienten von dessen psychischem Zustand e<strong>in</strong> Bild machen wollen.«<br />

Zwangspsychiatrisierun g<br />

Aus dem vorgenannten Fall wird schon deutlich, welche Rolle die mit <strong>der</strong><br />

Justiz liierte Psychiatrie <strong>in</strong> Verfahren gegen politische Gefangene spielt.<br />

Historisch erfolgte die E<strong>in</strong>beziehung von Psychiatern <strong>in</strong> Strafprozesse<br />

weitgehend gegen den Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Justiz. Sie hatte ursprünglich die<br />

progressive und humane Tendenz, die psychische und soziale Bed<strong>in</strong>gtheit<br />

von Verhalten, das sich gegen die bestehenden Gesetze richtet, zu<br />

erkennen und die Irrationalität von Krim<strong>in</strong>alstrafen bloßzulegen.<br />

100 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> ERD<br />

Inzwischen haben sich Justiz und herrschende Psychiatrie arrangiert.<br />

Gerichtspsychiater greifen die herrschenden Kategorien von Schuld und<br />

Strafe nicht mehr generell an, son<strong>der</strong>n beschränken sich darauf, im E<strong>in</strong>zelfall<br />

»beson<strong>der</strong>s Abnormen« die »Unzurechnungsfähigkeit« bzw. mangelnde<br />

»Steuerungsfähigkeit« im S<strong>in</strong>ne des § 5I des Strafgesetzbuches zu<br />

attestieren. Dadurch sanktionieren sie generell die Kompetenz <strong>der</strong> Strafjustiz.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus geht es bei <strong>der</strong> Psychiatrisierung von Angeschuldigten <strong>in</strong><br />

Strafprozessen auch gar nicht mehr um <strong>der</strong>en wirkliche Heilung. Psychiater<br />

wirken allenfalls dah<strong>in</strong>gehend, daß die Angeklagten als »Kranke«<br />

abgewertet, isoliert und entrechtet werden und <strong>in</strong> Psychiatrischen Landeskrankenhäusern<br />

und Unterbr<strong>in</strong>gungsanstalten lediglich an<strong>der</strong>en Formen<br />

<strong>der</strong> Unterdrückung, faktischer Bestrafung, Anpassung und Ausbeutung<br />

zugeführt werden.<br />

Die gefängnisartigen Zustände <strong>in</strong> den psychiatrischen Anstalten <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

s<strong>in</strong>d womöglich menschenunwürdiger als die <strong>in</strong> den offiziellen<br />

Haftanstalten. Justiz und Psychiatrie nehmen die gleiche Funktion <strong>der</strong><br />

Unterdrückung von Wi<strong>der</strong>stand gegen die herrschende Gesellschaftsordnung<br />

wahr.<br />

Bei <strong>der</strong> Verfolgung Politischer Gefangener kann die herrschende Psychiatrie<br />

darüber h<strong>in</strong>aus noch wie folgt e<strong>in</strong>gesetzt werden: Es gehört zu den<br />

Symptomen e<strong>in</strong>es totalitären Systems, daß es se<strong>in</strong>e Gegner als psychisch<br />

abnorm zu isolieren sucht und daß es radikale theoretische Kritik und<br />

Wi<strong>der</strong>stand als e<strong>in</strong>e Form des »Irrese<strong>in</strong>s« darstellen möchte.<br />

Am deutlichsten wurde e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

bisher im Verfahren gegen das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) als<br />

e<strong>in</strong>er angeblich krim<strong>in</strong>ellen Vere<strong>in</strong>igung im S<strong>in</strong>ne des § 129 StGB. Noch<br />

als Frage verhüllt, läßt sich die Tendenz aus e<strong>in</strong>em Schreiben ablesen, das<br />

<strong>der</strong> vorerwähnte Vorsitzende Richter am Landgericht Karlsruhe, Dr.<br />

Gohl, am 10.5.1972 im SPK-Verfahren an den ärztlichen Leiter <strong>der</strong><br />

psychiatrischen Abteilung des Vollzugskrankenhauses Hohenasperg richtete,<br />

um die Möglichkeit e<strong>in</strong>er zwangsweisen psychiatrischen Begutachtung<br />

<strong>der</strong> Beschuldigten prüfen zu lassen. Dar<strong>in</strong> heißt es unter Ziffer 2.5:<br />

••Unterstellt, jemand lehne die Rechts- und Wirtschaftsordnung <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

ab, stelle sich <strong>in</strong> bewußten Gegensatz zu ihren Wirtschaftsstrukturen und begehe<br />

Straftaten, um sie zu verän<strong>der</strong>n: Könnte nach den anerkannten Regeln <strong>der</strong> Psychiatrie<br />

dar<strong>in</strong> alle<strong>in</strong> schon e<strong>in</strong> ausreichen<strong>der</strong> H<strong>in</strong>weis darauf gefunden werden, daß e<strong>in</strong><br />

solcher Beschuldigter an e<strong>in</strong>er Bewußtse<strong>in</strong>sstörung, krankhafter Störung <strong>der</strong> Geistestätigkeit<br />

o<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>er Geistesschwäche leidet?«<br />

Was das Gericht hier noch als Frage formuliert, war für die zuständige<br />

Staatsanwaltschaft längst selbstverständliche Gewißheit: Im Januar und<br />

Februar 1972 ließ Staatsanwalt Frank von <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft Karls-<br />

101 Der E<strong>in</strong>satz von Arzten und Psychiatern

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!