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Folter in der BRD - Social History portal

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Maßnahme, um ihn baldmöglichst wie<strong>der</strong> zur Nahrungsaufnahme zu veranlassen«<br />

- also als therapeutisches Mittel. Das unärztliche Verhalten <strong>der</strong><br />

Anstaltsmediz<strong>in</strong>er wurde damit als legal sanktioniert.<br />

Aktz: IV Os 37/73<br />

2 Js 237/71<br />

Betreff:<br />

Beschluß<br />

B rau n Bernhard<br />

wegen Verdachts des versuchten Mordes u. a.<br />

<strong>der</strong> 4. Strafkammer des Landgerichts München I.<br />

München, den 5. 6. 1973<br />

I. Auf die Beschwerde <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft wird <strong>der</strong> Beschluß des Amtsgerichts<br />

München vom 21. 5. 1973 <strong>in</strong> Ziffer 1 aufgehoben.<br />

11. Für die Dauer <strong>der</strong> Verweigerung <strong>der</strong> Nahrungsaufnahme durch den Beschuldigten<br />

Bernhard Braun wird dessen Verlegung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Trockenzelle (Entzug des<br />

Tr<strong>in</strong>kwassers) unter ständiger ärztlicher Überwachung angeordnet. Sobald sich<br />

durch diese Maßnahme gesundheitliche Schäden des Beschuldigten abzuzeichnen<br />

beg<strong>in</strong>nen, zu <strong>der</strong>en Verhütung e<strong>in</strong>e künstliche Ernährung erfor<strong>der</strong>lich ist, ist<br />

diese, notfalls unter Anwendung von Zwang, durch e<strong>in</strong>en Anstaltsarzt durchzuführen.<br />

Gründe:<br />

Der <strong>in</strong> Untersuchungshaft bef<strong>in</strong>dliche Beschuldigte verweigert seit e<strong>in</strong>er Reihe von<br />

Tagen die Nahrungsaufnahme. Um ihn baldmöglichst wie<strong>der</strong> zur Nahrungsaufnahme<br />

zu veranlassen, beantragten die Justizvollzugsanstalten München mit Schreiben<br />

vom 16.5.1973, se<strong>in</strong>e Verlegung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Trockenzelle (Entzug des Tr<strong>in</strong>kwassers)<br />

unter ständiger ärztlicher Überwachung anzuordnen. Diesen Antrag, dem die Staatsanwaltschaft<br />

beigetreten ist, wies das Amtsgericht München nach Erholung e<strong>in</strong>es<br />

Sachverständigengutachtens durch den Landgerichtsarzt beim Landgericht München<br />

I <strong>in</strong> Ziffer 1 se<strong>in</strong>es Beschlusses vom 21.5.1973 zurück, wobei auf dessen<br />

Begründung Bezug genommen wird.<br />

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft. Im<br />

übrigen ist <strong>der</strong> Beschluß vom 21. 5. 1973 nicht angefochten.<br />

Der Beschwerde wurde nicht abgeholfen.<br />

Das Rechtsmittel hat Erlolg.<br />

Der Hungerstreik des Beschuldigten, bei dem es sich um e<strong>in</strong>en re<strong>in</strong> demonstrativen<br />

Akt handelt, stellt wegen <strong>der</strong> notwendigen ständigen ärztlichen Überwachung e<strong>in</strong>e<br />

Störung <strong>der</strong> Ordnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vollzugsanstalt dar, weshalb die für se<strong>in</strong>e Haft zuständigen<br />

Instanzen mit allen ihnen zur Verlügung stehenden gesetZlichen Mitteln Sorge<br />

dafür zu tragen haben, daß <strong>der</strong> Beschuldigte baldmöglichst wie<strong>der</strong> Nahrung zu sich<br />

nimmt.<br />

Mit dem Amtsgericht ist die Kammer <strong>der</strong> Auffassung, daß es sich bei <strong>der</strong> beantragten<br />

Maßnahme des Tr<strong>in</strong>kwasserentzugs um e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> das Grundrecht auf körperliche<br />

Unversehrtheit handelt, weshalb es hierzu e<strong>in</strong>es Gesetzes bedarf (Art. 2 Abs. 2<br />

GG). Nicht gefolgt werden kann jedoch dem Amtsgericht, daß § 119 Abs. 3 StPO<br />

nicht als e<strong>in</strong>e solche gesetzliche Grundlage angesehen werden könne. Nachdem<br />

das Bundesverlassungsgericht bereits <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beschluß vom 19. 2. 1963 (NJW 63,<br />

755) klargestellt hat, daß diese Bestimmung als allgeme<strong>in</strong>es Gesetz e<strong>in</strong>e den verlassungsrechtlichen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen genügende Schranke für die Me<strong>in</strong>ungsfreiheit<br />

enthält, kann es nicht zweifelhaft se<strong>in</strong>, daß bei Vorliegen <strong>der</strong> Voraussetzungen des<br />

§ 119 Abs.3 StPO e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> das Grundrecht e<strong>in</strong>es Untersuchungsgefangenen<br />

auf körperliche Unversehrtheit gerechtfertigt ist. Auf dieser gesetzlichen Grundlage<br />

sieht die Untersuchungshaftvollzugsordnung e<strong>in</strong>e Vielzahl von entsprechenden E<strong>in</strong>griffen<br />

vor, sogar die zwangsweise künstliche Ernährung.<br />

Die Verlegung des Beschuldigten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Trockenzelle und damit <strong>der</strong> Entzug des<br />

Tr<strong>in</strong>kwassers ist e<strong>in</strong>e geeignete Maßnahme, um ihn baldmöglichst wie<strong>der</strong> zur<br />

Nahrungsaufnahme zu veranlassen. Insoweit wird auf die bei den Akten bef<strong>in</strong>dliche<br />

Richtl<strong>in</strong>ie des Bundesm<strong>in</strong>isteriums für Gesundheitswesen vom 22.2.1967 und das<br />

Gutachten des Landgerichtsarztes beim Landgericht Nürnberg-Fürth aus dem Jahre<br />

1965 Bezug genommen, <strong>der</strong>en Ausführungen sich die Kammer anschließt.<br />

Der Grundsatz <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit ist ebenfalls gewahrt. Dem steht <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

nicht das Gutachten des Landgerichtsarztes beim Landgericht München I,<br />

ORMR Dr. Wunnicke, vom 21. 5. 1973 entgegen, das zu dem Ergebnis kommt, daß<br />

auch bei e<strong>in</strong>er ständigen ärztlichen Überwachung gesundheitliche Schäden dann zu<br />

erwarten seien, wenn von e<strong>in</strong>er zeitlichen Begrenzung des Flüssigkeitsentzuges<br />

nicht ausgegangen werden könne. Diese Maßnahme soll aber gerade nicht auf unbeschränkte<br />

Zeit ausgedehnt werden. Sie würde vielmehr ihre zeitliche Begrenzung<br />

entwe<strong>der</strong> dar<strong>in</strong> f<strong>in</strong>den, daß <strong>der</strong> Beschuldigte se<strong>in</strong>en Hungerstreik zu e<strong>in</strong>er Zeit<br />

aufgibt, wo gesundheitliche Schäden noch nicht zu besorgen s<strong>in</strong>d, o<strong>der</strong> aber spätestens<br />

zu dem Zeitpunkt, wo nach ärztlicher Ansicht im Falle <strong>der</strong> Fortführung des<br />

Hungerstreiks bei gleichzeitigem Tr<strong>in</strong>kwasserentzug solche Schäden sich abzuzeichnen<br />

beg<strong>in</strong>nen und deshalb die Durchführung <strong>der</strong> Zwangsernährung geboten<br />

wäre.<br />

Weniger e<strong>in</strong>schneidende Maßnahmen, um den Beschuldigten baldmöglichst wie<strong>der</strong><br />

zur Nahrungsaufnahme zu veranlassen und damit die Störung <strong>der</strong> Anstaltsordnung,<br />

die <strong>in</strong> <strong>der</strong> notwendigen ärztlichen Überwachung zu sehen ist, so schnell als möglich<br />

zu beseitigen, stehen nicht zur Verfügung.<br />

Unter Aufhebung <strong>der</strong> angefochtenen Entscheidung war daher die beantragte<br />

Maßnahme nach § 119 Abs. 3 StPO anzuordnen. Die angeordnete ständige ärztliche<br />

Überwachung ist so durchzuführen, daß gewährleistet ist, daß bei dem Beschuldigten<br />

ke<strong>in</strong>e gesundheitlichen Schäden e<strong>in</strong>treten.<br />

Die Anordnung e<strong>in</strong>er eventuell erfor<strong>der</strong>lichen zwangsweisen künstlichen Ernährung<br />

beruht auf § 119 Abs. 3 StPO <strong>in</strong> Verb. mit Nr. 58 Abs. 2 und 3 UVollzO.<br />

(Alert)<br />

Richter am LG<br />

(Dr. PlößI)<br />

Richter am LG<br />

(Breusch)<br />

Richter am LG<br />

Wohlgemerkt: die ärztliche überwachung beim Hungerstreik ist e<strong>in</strong>e Störung,<br />

die ärztliche überwachung bei Wasserentzug und Zwangsernährung<br />

dagegen nicht. Die Gesundheit des Gefangenen ist die Ordnung <strong>der</strong><br />

Anstalt.<br />

c) Der Fall Siegfried Hausner<br />

Am 17. I. 1973 trat <strong>der</strong> Untersuchungsgefangene Siegfried Hausner,<br />

damals untergebracht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vollzugsanstalt Karlsruhe, <strong>in</strong> den Hungerstreik,<br />

um gegen den Terror durch Haftbeschränkungen zu protestieren.<br />

98 <strong>Folter</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> 99 Der E<strong>in</strong>satz von Arzten und Psychiatern

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