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aktuell<br />
Der Salzburger Arzt März 2006<br />
BLICK ZUM NACHBARN<br />
Die deutsche Gesundheitspolitik<br />
gleicht einem<br />
Blümchenorakel<br />
Rosen gestreut hat Deutschland den<br />
niedergelassenen (und niederlassungswilligen)<br />
Ärzten lange Zeit wahrlich<br />
nicht. Schon eher waren es Prügel<br />
vor <strong>die</strong> Füße, und das nicht <strong>zu</strong> knapp.<br />
Wer etwa praktischer Arzt werden und<br />
seinen Turnus für Allgemeinmedizin ableisten<br />
wollte, musste <strong>die</strong>s vielfach gratis<br />
tun. Der Grund: Der Turnus gilt als<br />
„Weiterbildung“, der Hausarzt <strong>zu</strong>dem<br />
als Auslaufmodell. Sollte es der Jungmediziner<br />
doch <strong>zu</strong>r eigenen Ordination<br />
bringen, sieht er sich mit all jenen Nettigkeiten<br />
konfrontiert, <strong>die</strong> in Österreich<br />
auch gerade <strong>um</strong> sich greifen: gesetzliche<br />
und administrative Gängelbänder an allen<br />
Ecken und Enden, forensische Auflagen,<br />
hohe finanzielle Risiken bei sukzessivem<br />
Ent<strong>zu</strong>g einer ordentlichen finanziellen<br />
Basis, da<strong>zu</strong> noch so manche mediale<br />
Verungl<strong>im</strong>pfung … Wen wundert es,<br />
dass zahlreiche deutsche Kollegen ihre<br />
Arztkoffer <strong>zu</strong>geklappt haben und in vermeintliche<br />
Schlaraffenländer aus- oder<br />
in andere Jobs abgewandert sind?<br />
Ärztemangel in Deutschland<br />
Inzwischen macht sich eklatanter Ärztemangel<br />
bemerkbar, denn <strong>die</strong> Zahl praktizierender<br />
Mediziner in Deutschland<br />
sinkt und sinkt. Die neuen Bundesländer<br />
sind von <strong>die</strong>ser Entwicklung besonders<br />
hart betroffen: Allein <strong>im</strong> vergangenen<br />
Jahr nahm dort <strong>die</strong> Zahl der Allgemeinmediziner<br />
laut der deutschen Kassenärztlichen<br />
Bundesvereinigung (KBV)<br />
<strong>um</strong> 1,5 Prozent ab. Leidtragenden sind<br />
in erster Linie <strong>die</strong> Menschen am Land,<br />
<strong>die</strong> ihre Hausärzte verlieren. Der Trend<br />
setzt sich aber auch bei Fachärzten aller<br />
Richtungen fort und erfasst <strong>zu</strong>nehmend<br />
auch <strong>die</strong> alten Bundesländer.<br />
„Wir lieben <strong>die</strong> Ärzte,<br />
wir lieben sie nicht…“<br />
Wiederentdeckte Liebe<br />
<strong>zu</strong> Medizinern<br />
Und siehe da: Plötzlich hat <strong>die</strong> deutsche<br />
Politik ihre Liebe <strong>zu</strong> den Ärzten wiederentdeckt.<br />
Die medizinische Unterversorgung<br />
auf der einen, viele PDS-<br />
Protestst<strong>im</strong>men auf der anderen Seite,<br />
das hat gesessen. So manches deutsche<br />
Bundesland versucht sich wieder als<br />
Rosenstreuer: Sachsen greift tief in <strong>die</strong><br />
Tasche, <strong>um</strong> der Unterversorgung schnell<br />
bei<strong>zu</strong>kommen. Wer eine bestehende<br />
Praxis übern<strong>im</strong>mt, wird vom Sozialministeri<strong>um</strong><br />
mit 60.000 Euro gefördert.<br />
Für eine Neugründung gibt es <strong>im</strong>merhin<br />
30.000 Euro plus <strong>die</strong>selbe S<strong>um</strong>me als<br />
zinsenloses Darlehen. Und wer <strong>zu</strong> einer<br />
bestehenden Ordination noch eine<br />
Filiale <strong>im</strong> Nachbarort betreut, wird mit<br />
<strong>im</strong>merhin 7.000 Euro belohnt. Ferner<br />
versuchen Thüringer Kliniken, auf österreichischen<br />
Jobbörsen 400 (!) Ärzte <strong>zu</strong><br />
ködern, <strong>die</strong> für 320.000 Euro österreichisches<br />
Steuergeld pro Nase bestens<br />
ausgebildet wurden.<br />
Verzweifelte Reaktionen auf<br />
Fehlplanungen<br />
Das sind verzweifelte und mitunter auch<br />
kostspielige Reaktionen auf eine langjährige<br />
Fehlplanung <strong>im</strong> Gesundheitswesen.<br />
Dieselben Politiker, <strong>die</strong> sich von<br />
selbsternannten Experten schlecht beraten<br />
ließen und Warnungen der<br />
Kassenärztlichen Vereinigungen in den<br />
Wind geschlagen haben, versuchen fieberhaft,<br />
das Ruder her<strong>um</strong><strong>zu</strong>reißen: Auf<br />
einmal wird über Ausbildungsverbesserungen<br />
nachgedacht. Mit einem<br />
Schlag stehen Ideen wie hohe Niederlassungsprämien,<br />
Finanzierungserleichterungen,<br />
<strong>die</strong> kostenlose Einrichtung<br />
ganzer Ordinationen, ja sogar kostengünstige<br />
Wohnmöglichkeiten und Freizeitangebote<br />
[für Ärzte?] <strong>im</strong> Ra<strong>um</strong>. Und<br />
– man höre und staune – selbst gesetzliche<br />
Erleichterungen sind <strong>im</strong> Gespräch,<br />
<strong>um</strong> Ärzten in unterversorgten Gebieten<br />
das Dispensierrecht für Arzne<strong>im</strong>ittel ein<strong>zu</strong>rä<strong>um</strong>en,<br />
was man <strong>hier</strong><strong>zu</strong>lande am<br />
liebsten abschaffen würde, siehe Hausapotheken.<br />
Gegenentwicklung erhofft<br />
Die bisherigen Erfahrungen zeigten,<br />
dass Tendenzen in Deutschland in zwei,<br />
drei Jahren ihren Niederschlag bei uns<br />
finden. Nachdem sich in Österreich <strong>die</strong><br />
Lage für <strong>die</strong> niedergelassenen Ärzte in<br />
jüngster Zeit drastisch <strong>zu</strong>gespitzt hat,<br />
bleibt mit Blick auf das Nachbarland nur<br />
auf eine Gegenentwicklung <strong>zu</strong> hoffen.<br />
Und auf eine Politik, <strong>die</strong> mit den Ärzten<br />
und nicht gegen sie gemacht wird. Sonst<br />
folgen all<strong>zu</strong> viele Jungmediziner den attraktiven<br />
Angeboten aus dem Ausland.<br />
Sonst gibt es bei uns bald auch <strong>zu</strong> wenige,<br />
<strong>die</strong> noch genügend Motivation aufbringen,<br />
den zeitintensiven, wenig lukrativen<br />
Job eines Landarztes aus<strong>zu</strong>üben.<br />
Sonst muss das vermeintlich an<br />
den Ärzten Eingesparte wieder locker<br />
gemacht werden, <strong>um</strong> Medizinern aus<br />
dem Ausland mit ein paar „Blümchen“<br />
den Weg ins hiesige Gesundheitssystem<br />
<strong>zu</strong> weisen.<br />
Dr. Josef Lohninger<br />
u.a. Hausärzte-, pardon,<br />
Allgemeinmedizinerreferent<br />
PS: Eines ist an dem Ganzen schon besonders<br />
paradox: Bei uns hat man alle<br />
Schranken z<strong>um</strong> Eintritt ins Medizinstudi<strong>um</strong><br />
fallen gelassen, damit auch nicht<br />
privilegierte Schichten <strong>die</strong>sen Beruf<br />
ergreifen können. Gut so! Jetzt, wo so<br />
genannte Arbeiterkinder – wie auch ich<br />
eines bin – den Aufstieg in <strong>die</strong>sen<br />
angeblich privilegierten Beruf geschafft<br />
haben, legt man ihnen Prügel vor <strong>die</strong><br />
Füße, sodass es ihnen <strong>die</strong> Berufsausübung<br />
gründlich verleidet, ja man gewinnt<br />
sogar den Eindruck, dass man<br />
froh wäre, gäbe es uns nicht, obwohl<br />
Vater Staat € 320.000 pro Promovent<br />
dafür aufgewendet hat. Hoffentlich<br />
folgen viele KollegInnen den nunmehr<br />
attraktiven Angeboten unseres Nachbarn<br />
…<br />
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