Nervenzelle und Tiefenpsychologie
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dem Ausdruck der Angst reagierte, als oben auf der Bühne der<br />
Daumenlutscher dem Schneiderlein in die Hände fiel, der mit einer riesigen<br />
Schere bewaffnet war.“ (op.cit. p. 82)<br />
Wir haben dazu nichts Neues zu sagen. Aber es kommt noch besser.<br />
„Das Bübchen auf den Brettern schrie, das gehörte zu seiner Schauspieler-<br />
Rolle, <strong>und</strong> das andere Bübchen unten im Zuschauerraum schrie partizipierend<br />
mindestens ebenso laut . ... Das hatte nun endlich gesessen.“ (op. cit. p. 82) ...<br />
„Auf dem Nachhauseweg kam der Kleine allmählich zur Ruhe.<br />
Unglücklicherweise fiel der Tante jetzt ein, dass sie auf einen Sprung zu dem<br />
Dorfschneider hingehen könnte.“ (op. cit. p.82)<br />
Sie erzählte dort vom Vorgefallenen:<br />
„Dem Meister nun war es ein Vergnügen, das, was das<br />
Daumenlutscherbübchen oben auf der Bühne gesehen hatte, dem<br />
verängstigten Kinde jetzt unmittelbar vorzuspielen. Er stelle sich so, als hätte er<br />
die nämliche chirurgische Absicht. Das Bübchen schrie wie am Spieß, während<br />
die Tante immer noch laut lachte. Schließlich riss sich der Kleine los <strong>und</strong> lief<br />
laut weinen hinaus in die Nacht. ... Das reichte zu einigen schlaflosen Nächten:<br />
das Kind war von St<strong>und</strong> an nicht mehr zu beruhigen. Schlief es schon einen<br />
Augenblick ein, wobei ihm regelmäßig das Däumchen in den M<strong>und</strong> rutschte, so<br />
schrie das Büblein alsbald laut auf, weil dann in einer Pavorszene der<br />
Schneider erschien!“ (op. cit. p.83)<br />
Die Konditionierung der Angst ist perfekt. Der lang genug eingelernte Schlüsselreiz<br />
„Daumen in den M<strong>und</strong>“ reicht auch im Schlaf schon aus, um soviel angst zu<br />
erzeugen, dass die Bearbeitung im Traum unmöglich wird: der Knabe wacht auf. Das<br />
ist allerdings eine deutliche Situationsveränderung, die als Verstärker wirken muss.<br />
So ist auch der Traum hier nicht geeignet, die Angst zu reduzieren.<br />
„Das Wachwerden in dem Pavorerlebnis war Wirkung des „inneren Arztes“,<br />
denn wenn das Kind wach wurde, so stelle es fest, dass es nur eine Chimäre<br />
war, die es geängstigt hatte. Es war gar kein Schneiderlein da.“ (op. cit. p. 84)<br />
Wir sehen den Ablauf: Der Daumen rutscht in den M<strong>und</strong>, löst Angstphantasien aus.<br />
Diese verstärken das Daumenlutschen. Die Angstphantasien bewirken Schreien,<br />
dieses das Aufwachen. Das Aufwachen wirkt als Beruhigung, <strong>und</strong> die Angsttendenz<br />
wirkt verstärkt. Nun – das Kind kann nicht mehr schlafen. BILZ hält nicht viel von der<br />
Psychoanalyse:<br />
„Angenommen ... der Arzt hätte ... gemeint, dass mit dem Daumenlutschen der<br />
sogenannte Kastrationskomplex zu behandeln wäre, gesetzt den Fall, er hätte<br />
gemeint, dass man dem Kind diese Tatsache bewusst machen müsse, weil das<br />
allein heilsam sein könnte, welches Unglück hätte er damit erst noch herauf<br />
beschworen!“ (1.c. p. 84f)<br />
Tatsächlich sind wir mit dem vorgelegten Modell ebenfalls der Meinung, dass das<br />
Bewusst machen von Konflikten nicht das einzige <strong>und</strong> Allheilmittel ist, allein es ist<br />
zweifellos eine Möglichkeit. Wir kommen auf therapeutische Aspekte in dieser Arbeit<br />
nicht zu sprechen. Wie geht es aber in unserm Beispiel weiter? Der Traum ist also<br />
hier nicht in de Lage, den Affekt zu bewältigen. Die Schlaflosigkeit dauerte mehrere<br />
Tage.<br />
„Wilhelm, so hieß das Bübchen, wurde zwei oder drei Tage nach dem<br />
seelischen Trauma überaus albern. Wilhelm beschaffte sich eine Schere. ...<br />
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