Nervenzelle und Tiefenpsychologie
Nervenzelle und Tiefenpsychologie
Nervenzelle und Tiefenpsychologie
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die Ausgangsimpulse können direkt der Efferenz dienen, d.h., somatische oder<br />
motorische Reaktionen auslösen, oder sie können innerhalb des Nervensystems<br />
wieder andere Reaktionsbahnen anspreche.<br />
Es ist gr<strong>und</strong>sätzlich nicht notwendig, dass alle Eingänge, die eine Reaktionsbahn<br />
hat, beschickt werden, um die entsprechende Reaktion auszulösen; die jeweils<br />
nötige Erregungsstruktur wird bestimmt durch den zustand der Reaktionsbahn:<br />
Ist die Reaktion schon im Ablauf begriffen oder soeben beendet, so ist die<br />
Reaktionsbahn kurzfristig gebahnt <strong>und</strong> kann durch minimale Reize aktiv gehalten<br />
werden. Das heißt: wenn ich mich gerade geschreckt habe, <strong>und</strong> mich vom Schreck<br />
noch nicht erholt habe, so genügt ein kleines Händeklatschen in meiner Nähe, um<br />
mich wieder zu erschrecken.<br />
Ist eine Reaktionsbahn sehr gut eingeschliffen, so sind ebenfalls nur geringe Reize<br />
nötig, um sie zu aktivieren. Habe ich mich in meinem Leben schon oft geschreckt, so<br />
bin ich schreckhaft, d. h., leicht zu erschrecken.<br />
Erregungseingänge, die zentral sind in Bezug auf eine Reaktionsbahn, d. h., immer<br />
mitkonditioniert wurden, die sozusagen typisch für eine Situation sind, werden eine<br />
Reaktion leichter auslösen als solche, die nur manchmal beteiligt waren <strong>und</strong> daher<br />
weniger stark verb<strong>und</strong>en sind.<br />
Reaktionsbahnen sind keine von natur aus gegeneinander abgegrenzten Strukturen.<br />
Sie sind in einem hypothetischen Zustand ohne Lerngeschichte nicht existent, das<br />
Nervensystem ist dann eine große Struktur, in der mehr oder weniger alle<br />
Verbindungen gleichwahrscheinlich sind. Gemeinsame Erregung bestimmter<br />
Strukturen bedingt erst, dass in diesen Strukturen zugleich gebahnt wird, dass die<br />
Verbindungen der aktiven <strong>Nervenzelle</strong>n untereinander verstärkt werden, während zu<br />
anderen, nicht gleichzeitig aktiven Zellen Verbindungen nicht verstärkt werden, ja<br />
sogar die Abgrenzung gefördert wird (durch hemmende Synapsen).<br />
Verbindungen werden dann nicht nur in Richtung des Erregungsablaufes entwickelt,<br />
sondern es bilden sich auch Querverbindungen innerhalb des aktivierten Bereiches.<br />
Auf diese Weise wird sich das System, wenn es öfter in der gleichen<br />
Reizkonstellation angesprochen wird, als Reaktionsbahn etablieren.<br />
Solche Reaktionsbahnen können nun verschieden stark eingeschliffen <strong>und</strong><br />
abgegrenzt sein; das hängt im Prinzip nur von der Lerngeschichte des Individuums<br />
ab.<br />
Der Primärvorgang der Psychoanalyse ist nun ein Ablauf einer Reaktionsbahn, die so<br />
intensiv gebahnt ist <strong>und</strong> so wenig Verbindungen zu anderen hat, dass keine<br />
Verbindung mehr herstellbar ist zum übrigen Nervensystem: Wenn sie durch<br />
geeignete Reize angesprochen ist, läuft sie ab, ohne auch nur ein Quäntchen<br />
Erregung an andere Bahnen abzugeben. Damit ist der Ablauf auch nicht mehr<br />
bewußtseinsfähig: alle Erregung läuft den vorgebahnten Weg, <strong>und</strong> dem Bewusstsein<br />
bleibt das nachsehen – im wahrsten Sinne des Wortes: der äußere Ablauf, das<br />
motorische Produkt des Ablaufes, kann über Augen, Ohren etc. wieder bewusst<br />
werden, allein es bleibt unmöglich, die eigenen Reaktion zu verstehen.<br />
Das Phänomen eines ausgebauten Primärsystems schildert JANET bei der<br />
Beschreibung der Hysterie: Er schreibt von der<br />
„Bildung zweier Gruppen von Phänomenen im Geist; die eine, die eine<br />
gewöhnliche Persönlichkeit darstellt, die andere .... bildet eine anormale, von<br />
49