Nervenzelle und Tiefenpsychologie
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Reaktion, zur Reaktion auf mein Abbild der Welt, statt auf die Welt, wie sie<br />
tatsächlich auf mich einwirkt. Damit ist die Konditionierungsfähigkeit eine Eigenschaft<br />
des Es, durch Konditionierung, durch Lernen entsteht aus dem es ein Abbild der<br />
Welt, dieses wird dann durch das „Ich“ repräsentiert. Die Konditionierung selbst ist<br />
also ein Prozess des Ich, in dem es seinen Erfahrungstreffenden Reize genau bis zu<br />
dem Punkt, da die erste Konditionierung einsetzt. Demnach können aber die<br />
„Antriebe“ des „Es“, im Gegensatz zu FREUDs Ansicht nach unserem Modell nicht<br />
nur schwer reduziert werden (hier stimmen wir mit FREUD noch überein), sondern<br />
können ganz massive Verstärkung erfahren – eben durch die Konditionierung einer<br />
ablenkenden Reaktion. So ist auch zu erklären, warum der „Sexualtrieb“ (für uns<br />
sollte es eher heißen: die Tendenz, Reaktionen im Bereich dessen zu zeigen, was<br />
wir sexuell nennen), der mit Sicherheit von der Seite des Körpers her nicht unter<br />
Nahrungs- oder anderen physischen Bedürfnissen hervorsticht, ja sogar zu den<br />
leichter reduzierbaren Reaktionstendenzen gehörten müsste, eine derart eminente<br />
Bedeutung gewann, wie sie FREUD zu seiner zeit zweifellos richtig erkannte, <strong>und</strong><br />
wie sie heute noch durchaus nicht abgebaut ist. FREUD brauchte aus seiner<br />
klinischen Erfahrung speziell die Hysterie in Zusammenhang mit allen Möglichkeiten,<br />
sexuelle Erregung zu steigern ohne nachfolgende Spannungslösung (coitus<br />
interruptus o.ä., cf. FREUD 1962 b, 1952, 1948). wollen wir unsere Hypothesen<br />
aufrechterhalten, so sollte es jetzt möglich sein, eine von so spezifischen Annahmen<br />
wie „Sexualerregung“ oder gar „Sexualstoffen“ freie Erklärung zu finden. Diese wird<br />
etwa wie folgt aussehen: Es ist von unserem System her klar, dass um mit REICH zu<br />
sprechen, „Angst ein Phänomen des gleichen Erregungsvorganges ist, der am<br />
sensiblen System als sexuelle Lust empf<strong>und</strong>en wird.“ (REICH 1973, p. 128). Wir<br />
unterscheiden ja gar nicht erst überhaupt zwischen verschiedenen „Arten“ von<br />
Erregung, sondern nur die darangeknüpfte Assoziationen. Gesteigerte Erregung nun<br />
führt zu starken Konditionierungen, wenn es Abfuhrmöglichkeiten gibt. Der Sexualakt<br />
ist – jedenfalls in unserem Kulturkreis – mit sehr ambivalenten Assoziationen<br />
verb<strong>und</strong>en. Es ist daher notwendig, dass er sehr klar an eine bestimmte Form der<br />
Entspannung geknüpft wird, damit eine positive Bewertung möglich wird. Diese klare<br />
Entspannung wäre der Orgasmus. Wird durch verschiedene Ursachen der Orgasmus<br />
<strong>und</strong> die Situation der Sexuellen Erregung noch zusätzlich mit Angst gekoppelt, tritt<br />
etwa dann auch der Orgasmus gar nicht ein, so dass die Orgasmuserwartung<br />
frustriert wird, so wirkt sich automatisch die nächststärkste Assoziation aus: dies wird<br />
häufig Angst sein. Angst aber bewirkt eine Ausweichreaktion, von der wir schon<br />
gehört haben, dass sie unabhängig von der Realität einen ungeheuer verstärkenden<br />
Charakter haben kann. Das kann dazu führen, dass jede Situation als sexuell<br />
phantasiert wird, insofern schon die geringsten Reize eine Angstreaktion, wie sie am<br />
ehesten noch der Situation der frustrierten Sexualaktivität entspräche, auslösen.<br />
Mehr als heute war zu FREUDs Zeiten alles sexuelle mit Tabus, mit Angst belegt,<br />
außerdem war damals überhaupt die ganze Erziehung sehr stark auf Angst<br />
aufgebaut, so dass sehr plausibel wird, dass sich bei Ausbleiben des Orgasmus an<br />
sexuellen Erregung absurde Angstreaktionen koppeln. Vielleicht wird sogar erklärbar,<br />
warum damals viel häufiger als heute Konversionsreaktionen auftraten: der<br />
Sexualbereich war durch Tabus sogar vom Sprechen ausgeschlossen, so dass die<br />
einzig möglichen Reaktionsformen im Bereich des Körperlichen lagen.<br />
5.3.2. Hospitalismus<br />
Ich möchte noch am Beispiel des Hospitalismus zeigen, wie jede Tendenz, auf Reize<br />
zu reagieren (<strong>und</strong> das erleben eines Bedürfnisses ist eine Reaktion auf Reize),<br />
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