Nervenzelle und Tiefenpsychologie
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der Prozess der Ablösung einer Ausweichreaktion durch die Nächste so gut<br />
eingeschliffen ist, <strong>und</strong> so schnell abläuft, dass kein Teil dieses Prozesses erreicht,<br />
um einen Denkakt auszulösen. Erst die Aktion selbst, die de facto gesetzt wird, ist<br />
bewusstseinsfähig, kann durch die Reaktion Denken beobachtet <strong>und</strong> begleitet<br />
werden. Dies wird etwa deutlich bei den Zwangshandlungen. Wir müssen noch<br />
beachten, dass eine Ausweichreaktion an ganz bestimmte Strukturkomplexe des<br />
Nervengeschehens gekoppelt ist, die sich durchaus nicht mit einer tatsächlich<br />
auftauchenden Reitzstruktur decken müssen. So wird ein Teil einer realen<br />
Reizstruktur die Ausweichreaktion auslösen, der übrige Teil aber, der sie nicht<br />
auslöst, wird für die Form der Ausweichreaktion mitbestimmend sein. So ist die<br />
Kompromissbildung zu erklären: die Zwangshandlung ist eine Reaktion auf Aspekte<br />
der auftretenden Bedürfnisstruktur <strong>und</strong> auf die „assoziierte“ Bestrafung.<br />
5.2. Lust - Unlust<br />
„Die Gesamtheit der psychischen Aktivität hat zum Ziel, die Unlust zu<br />
vermeiden <strong>und</strong> Lust zu verschaffen.“ (LAPLANCHE <strong>und</strong> PONTALIS 1972, p.<br />
297)<br />
Diese Definition – nach dem frühen FREUD, von ihm später selbst in Zweifel gestellt<br />
durch die Einführung des Todestriebs – werden wir zu widerlegen haben. Ebenso<br />
auch die weitere Ausführung:<br />
„So weit die Unlust an die Erhöhung der Erregungsquantitäten <strong>und</strong> die Unlust<br />
an ihre Verminderung geb<strong>und</strong>en ist, ist das Lustprinzip ein ökonomisches<br />
Prinzip.“ (op. cit. p. 297)<br />
Nach unserer Theorie müssen wir den Fall, dass das Lustprinzip in der Form, dass<br />
Spannungsverminderung Verstärkung bewirkt, zwar als richtig bezeichnen. Das ist<br />
aber ein kleiner Ausschnitt, sozusagen ein Grenzfall des Wiederholungsprinzips.<br />
Eher einverstanden erklären können wir uns mit der Aussage:<br />
„Die Motivation ist die aktuelle Unlust <strong>und</strong> nicht die Aussicht auf die zu<br />
erreichende Lust.“ (ebd.)<br />
Wir werden aber auch hier zunächst besser statt Unlust den Begriff der Erregung<br />
einsetzen, um dem Lustbegriff einen Platz einräumen zu können, der dem<br />
Sprachgebrauch etwas näher kommt. Wir werden hier wieder einmal mit der<br />
Schwierigkeit konfrontiert, die auftaucht, wenn ein Begriff der Umgangssprache<br />
keinen fassbaren Inhalt hat.<br />
Anfangs vermutete FREUD vorsichtig eine Äquivalenz zwischen Lust <strong>und</strong><br />
Spannungsminderung bzw. Unlust <strong>und</strong> Spannungserhöhung. Später gibt er auch<br />
diese Hypothese preis: „Die weitgehende Unbestimmtheit dieser Annahme wollen wir<br />
sorgfältig festhalten, bis es uns etwa gelingt, die Art der Beziehungen zwischen Lust<br />
– Unlust <strong>und</strong> den Schwankungen der auf das Seelenleben wirkenden Reizgrößen zu<br />
erraten. Es sind gewiss sehr mannigfache <strong>und</strong> nicht sehr einfache Beziehungen<br />
möglich. (FREUD 1946 a, p. 214) Nun, wir behaupten, das liege daran, dass Lust<br />
<strong>und</strong> Unlust gar nicht direkt etwas mit Spannung oder Erregung zu tun haben,<br />
sondern nur über Vermittlung der Lerngeschichte des Einzelnen. So weist auch<br />
FREUD in „Jenseits des Lustprinzips“ ausdrücklich darauf hin, dass Unlust <strong>und</strong><br />
Spannungsgefühl unterschieden werden sollen (wir alle kennen ja auch die lustvolle<br />
Spannung, etwa im Kino oder beim sexuellen Akt), er fragt hier:<br />
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