Nervenzelle und Tiefenpsychologie
Nervenzelle und Tiefenpsychologie
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5. Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse<br />
5.1. Freud<br />
Dem aufmerksamen, analytisch gebildeten Leser werden hier Erkenntnisse sich<br />
überstürzen. Es wird klar, was „Verdrängung“ bedeutet, was Bewusstes <strong>und</strong><br />
Unbewusstes ist, der Konflikt zwischen „Es“ <strong>und</strong> “Über-Ich“ ist schon beschrieben<br />
etc. Es scheint, dass wir den neurophysiologischen Schlüssel zur Psychoanalyse in<br />
der Hand haben.<br />
Wir wollen uns aber zunächst mit einer frühen Arbeit FREUD's auseinandersetzen,<br />
die dasselbe versucht hat, was wir hier versuchen: der „Entwurf einer Psychologie“<br />
(FREUD 1962 b) ist ein Versuch, der „Psyche“ über die Funktion des Nervensystems<br />
auf die Spur zu kommen. Natürlich stand FREUD nicht das Wissen der heutigen<br />
Neurophysiologie zur Verfügung, <strong>und</strong> es ist bemerkenswert, wie weit seine<br />
Vorstellungen doch noch heute Gültigkeit haben: „Hauptinhalt dieser neuen<br />
Erkenntnis ist, dass das Nervensystem aus distinkten, gleich gebauten Neuronen<br />
besteht , die sich durch Vermittlung fremder Masse berühren, die einander endigen<br />
wie an fremden Gewebsteilen ...“(l.c.p. 307). Das einzelne Neuron ist „Abbild des<br />
gesamten Neuronensystems“.<br />
Er nimmt Kontaktschranken an, die in etwa der von uns definierten „Durchlässigkeit“<br />
entsprechen. Auch die Lernfähigkeit nahm er ganz im heute geläufigen Sinn an:<br />
„durch den Leitungsvorgang selbst werde... ein besseres Leitungsvermögen für<br />
fernere Leitungen geschaffen“ (l.c.p. 308).<br />
Leider hat FREUD nicht versucht, diese Gedanken wirklich konsequent auszuführen,<br />
führt er doch auf der fünften Seite schon eine Unterscheidung von „<br />
Wahrnehmungszellen“ <strong>und</strong> „ Erinnerungszellen“ ein. Es scheint , dass er hier dem<br />
häufigen Fehler unterlegen ist, Prozesse, die durch unsere Sprache willkürlich in<br />
Kategorien gestuft werden, auch im Nervensystem als getrennt lokalisiert zu suchen,<br />
d.h. Funktionsbegriffe zu vergegenständlichen (siehe dazu WATZLAWICK, BEAVIN,<br />
JACKSON 1972, p. 26). Damit wird das Modell nun leider unbrauchbar, <strong>und</strong> FREUD<br />
hat auch nie später mehr darauf zurückgegriffen. Wir wollen, obwohl noch einige<br />
fruchtbringende Gedanken zu finden wären, darauf verzichten, das Werk genau<br />
durchzuarbeiten.<br />
Ich will versuchen, grob zusammenfassend den Aufbau der Psychoanalyse anhand<br />
der bisherigen Ausführungen durchzuarbeiten. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit<br />
wird es nur bruchstückhaft <strong>und</strong> unvollständig möglich sein, einige Begriffe <strong>und</strong><br />
Kategorien zu erklären. Das sollte aber nicht so missverstanden werden, dass nicht<br />
bei intensiverer Auseinandersetzung sich wesentlich mehr, ja vielleicht der ganze<br />
Apparat der Psychoanalyse erklären ließe.<br />
Wir haben die wesentlichen Kategorien „Bewusstes“ <strong>und</strong> „Unbewusstes“ kurz<br />
beschrieben: wenn Denken als rudimentäres Sprechen, jedenfalls als Reaktion auf<br />
im ZNS eintreffende Reize gesehen wird, so sind genau jene Prozesse „bewusst“,<br />
die eine Reaktion „denken“ zulassen, die also weder so gut eingeschliffen sind, dass<br />
keine Erregung für den Denkakt zur Verfügung gestellt wird, während sie ablaufen (<br />
etwa die „automatischen“ Handgriffe ) noch so stark an Ausweichreaktionen<br />
gekoppelt sind, dass schon der Ansatz, das Auftauchen einer Reaktion, die<br />
Ausweichreaktion auslöst. Viele Aktionen werden nur als Endprodukt bewusst erlebt<br />
<strong>und</strong> der Antrieb dazu bleibt unbewusst. Die wird ebenfalls dann der Fall sein, wenn<br />
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