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Nervenzelle und Tiefenpsychologie

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Eigenschaften, aufgr<strong>und</strong> derer ein Objekt abgewehrt oder zerstört wird, brauchen<br />

nicht vorhanden zu sein, um Abwehr bzw. Zerstörung erfolgreich werden zu lassen.<br />

So hat die Flucht vor Menschen, die dasselbe Grinsen haben wie der Mann, der mich<br />

früher immer geschlagen hat, immer den Effekt, dass sie mir nichts mehr tun können.<br />

Das ist völlig unabhängig davon, ob diese Menschen mir wirklich wehtun wollen oder<br />

nicht. Und solange ich vor ihnen davon laufe, brauche ich meine Erwartungen an sie<br />

niemals korrigieren.<br />

Flucht-, Abwehr-, Zerstörungsreaktionen helfen, eine subjektive Realität zu erhalten,<br />

di sich an der „Welt“ niemals misst: sie geben die Möglichkeit der Welt beliebige<br />

Eigenschaften anzudichten, wenn diese nur subjektiv gefährlich sind in ihrer<br />

Gesamtheit. Dafür ein experimentelles Beispiel (BROWN, MARTIN & MORROW<br />

1964):<br />

Ein Käfig mit einer Ratte hängt über einen elektrisch geladenen Laufsteg. Mit einem<br />

Warnsignal wird eine Falltüre geöffnet, die Ratte fällt auf den Laufsteg. Sobald die<br />

Ratte gelernt hat, den Laufsteg so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, ist die<br />

Lernphase beendet. Jetzt wird der Teil des Laufsteges, auf den die Ratte fällt, vom<br />

Strom abgeschaltet: sie erhält beim Fallen keinen Schock, wenn sie aber läuft<br />

erreicht sie sofort den geladenen teil des Steges. Die Ratte wird nun tatsächlich in<br />

der Experimentalphase von dem nicht geladenen Teil des Laufstegs weg über den<br />

geladenen in „Sicherheit“ laufen. Nur in seltensten Ausnahmefällen lernt die Ratte,<br />

den geladenen Teil zu vermeiden.<br />

Die angebotenen Erklärungshypothesen für das paradoxe Verhalten: dass die Ratte<br />

nicht zu diskriminieren lernt; dass das Ganze ein Teufelskreis ist; dass die Ratte<br />

masochistisch veranlagt ist, widersprechen sich nicht (siehe DREYER & RENNER<br />

1971), erklären aber auch nicht, wie solches zustande kommen kann. DREYER &<br />

RENNER (1971) berichten von einem ähnlichen Experiment mit Menschen.<br />

„Diese bekamen nach Ankündigung durch ein Warnsignal einen elektrischen<br />

Schock in die linke Hand, der nur durch eine bestimmte Zahl von Knopfdrücken<br />

mit der rechten Hand abgeschaltet werden konnte. Nach der Lernphase wurde<br />

das Warnsignal gegeben, ohne dass der Schock folgte. Dieser wurde erst<br />

durch das erste Drücken des Knopfes eingeschaltet. Die Ergebnisse<br />

entsprechen genau denen des Rattenexperiments. Von 11 Personen drückten<br />

9 den ganzen Versuchsablauf lang den Knopf, schalteten sich den Schock<br />

selbst ein <strong>und</strong> wieder aus. Zwei der Versuchspersonen allerdings „warteten<br />

immer bis der Schock begann, auch während der Lernphase, <strong>und</strong> entdeckten<br />

sofort die Änderung bei Beginn der Experimentalphase ...“ (DREYER &<br />

RENNER 1971, p. 336).<br />

Die neun Versuchspersonen, die den Knopf weiterhin drückten, berichteten, sie<br />

hätten nicht bemerkt, dass sie den Schock selbst einschalteten.<br />

Der Unterschied ist eindeutig: die nach dem Warnsignal auftretende<br />

Ausweichreaktion hindert das Subjekt am Erkennen der Realität. Natürlich wird<br />

gleichzeitig die Tendenz, auf das Warnsignal zu reagieren, verstärkt.<br />

Der Ablauf ist zu vergleichen mit einer Hypothesenbildung aus der Erfahrung <strong>und</strong><br />

dem ständigen Bemühen, diese Hypothesen zu verifizieren. Das ist das Problem der<br />

Unkorrigierbarkeit neurotischer (Vermeidungs-)Strukturen: eine effektive Erfahrung<br />

der Welt ist nur möglich im Versuch, Hypothesen zu falsifizieren. Im Gegensatz dazu<br />

ist der Organismus bemüht, seine Hypothesen zu verifizieren, möglichst lange zu<br />

erhalten. Dies ist unproblematisch bei Verhaltensstrukturen, die das volle Feedback<br />

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