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Nervenzelle und Tiefenpsychologie

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Das heißt: je später der zweite Reiz in PAWLOWs Versuch gesetzt wird, desto<br />

geringer ist die kurzfristige Erregung des efferenten Schenkels, <strong>und</strong> es werden mehr<br />

ungehemmte Leitungen nötig, um die Reaktion auszulösen: je weiter eine Hautstelle<br />

von der gehemmten entfernt ist, desto länger kann sie die Reaktion auslösen. Geht<br />

die kurzfristige Hemmung zurück, so sind wieder die entfernten Leitungen mit vielen<br />

ungehemmten Leitungen die ersten, die die Reaktion wieder auslösen können. Ist<br />

der zweite Reiz hingegen dem ersten ähnlicher (weil die auslösenden Stellen näher<br />

sind), so hat er mehr gemeinsame Leitungen: tritt die Hemmung auf den ersten in<br />

Aktion, so sind mehr von den Leitungen, die der zweite reiz beschickt, ebenfalls<br />

gehemmt. Durch die schon bestehende Erregung des efferenten Schenkels, die<br />

knapp unter dem auslösenden Minimum ist, kann die Reaktion noch ausgelöst<br />

werden, diese Möglichkeit sinkt aber schneller ab, weil weniger „ungehemmte“<br />

Erregungsleitung zur Verfügung steht. Die längere Dauer der Nichterregbarkeit<br />

erklärt sich im gleichen Sinne. Das ist unsere Erklärung. Sie beschreibt dasselbe<br />

Phänomen, das PAWLOW mit „Irradiation <strong>und</strong> Konzentration des Nervenprozesses“<br />

umschreibt. PAWLOW führte hier eine typische rein phänomenologische Erklärung<br />

ein: es sieht tatsächlich auf den ersten Blick so aus, als breite sich hier etwas aus<br />

<strong>und</strong> gehe dann wieder konzentriert auf den Ursprung zurück. Nur dieses etwas gibt<br />

es nicht. Es breitet sich nichts aus <strong>und</strong> geht auch nichts wieder zum Ursprung<br />

zurück, außer einer Art fiktiver „Wirksamkeit“, oder besser, ein Verhältnis von<br />

Wirksamkeit. Nun muss es natürlich zu Irrtümern <strong>und</strong> Grenzen in der Erklärung von<br />

Phänomenen kommen, wenn mathematische Größen als physikalische betrachtet<br />

werden. Denn suchen sie diese Wirksamkeitsverhältnisse, wie sie sich ausbreiten<br />

<strong>und</strong> wieder konzentrieren, wie sie sich bewegen, so werden sie tatsächlich nichts<br />

finden.<br />

An anderer Stelle wird das Prinzip noch differenzierter erprobt, so nämlich, dass eine<br />

Reizung einer dauernd gehemmten Stelle zur Blockade von nicht dauernd<br />

gehemmten Stellen führt. Unsere Erklärung bleibt hier gleich: die gut eingeschliffenen<br />

hemmenden Synapsen werden aktiviert, sodass die gemeinsamen Teile der<br />

Erregungsleitung gehemmt werden.<br />

Damit haben wir Gr<strong>und</strong>lagen PAWLOWscher „Lehre von der höheren<br />

Nerventätigkeit“ integriert: zur Übertragung seiner an Tieren gewonnenen<br />

Erfahrungen ist noch die Idee des „zweiten Signalsystems“ wesentlich (siehe dazu<br />

Kap. 2.4.), das die Gr<strong>und</strong>lage für die Erklärung des „Bewusstseins“ stellen kann, <strong>und</strong><br />

nach der Darlegung der hier vorgelegten Wiederholungsprinzipien den ersten Schritt<br />

einer Erweiterung darstellen wird. Für die hier ausgearbeitete Theorie wird noch der<br />

dynamische Stereotyp wichtig, der eine Ausformung <strong>und</strong> Erweiterung des bedingten<br />

Reflexes ist. Wir haben zu zeigen, wie sich aus der Verstärkung einer Reaktion <strong>und</strong><br />

Konditionierungen Reaktionsketten aufbauen. Löst eine Reizsituation (1) – durch<br />

vorangegangene Erfahrungen – eine Reaktion (1) aus, so wird diese normalerweise<br />

– entsprechend der Lernerfahrung – von einer Situationsänderung (1) gefolgt<br />

werden. Durch die Entwicklung eines bedingten Reflexes wird diese<br />

Situationsänderung quasi vorweggenommen: Der Organismus wird die Reaktion (2)<br />

auf die neue Reizsituation (2) (das Ergebnis der Situationsänderung(1)) zeigen,<br />

sobald aufgr<strong>und</strong> der vorangegangenen Lernvorgänge die internen<br />

Erregungsleitungen ausreichen, um die zweite Reaktion (2) auszulösen. Tritt die<br />

„erwartete“ Situationsveränderung(1) dann nicht ein, <strong>und</strong> bewirkt auch die zweite<br />

Reaktion(2) wieder eine Situationsveränderung(2), so bleibt der Ablauferhalten <strong>und</strong><br />

es entwickelt sich eine dritte Reaktion auf die aus der Situationsveränderung(2)<br />

entstandene Reizsituation(3). Damit ist eine Reaktionskette entstanden. Ein Stimulus<br />

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