Nervenzelle und Tiefenpsychologie
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Reaktion auf das „Isolationsgefühl“ – eine neue Reizsituation herbeiführt, dieses von<br />
seiner Isolation ablenkt (wohlgemerkt: diese nicht beseitigt!). Ein solcher Effekt wäre<br />
z.b. eine Verletzung, ein starker Schmerz. Das Verhalten, das am meisten<br />
Verstärkung erfährt, wird gelernt.<br />
Wenn das Kind durch Zufall mit dem Kopf gegen die Wand stößt, so wird der<br />
Schmerz die Isolation übertönen, es wird als nächstes auf den Schmerz reagieren.<br />
Die Reaktionsbahn vom „Isolationsgefühl“ zum „an die Wand stoßen“ wird verstärkt,<br />
weil sie eine ausreichende Situationsveränderung bewirkt hat. Diese Reaktion kann<br />
sich dann nach kurzer Zeit einschleifen, wenn sinnvollere Reaktionen schon<br />
ausreichend abgebaut sind <strong>und</strong> kaum mehr auftreten.<br />
Das Kind reagiert nun also auf „Isolation“ mit „Kopf gegen die Wand“. Der schmerz<br />
wirkt – wohlgemerkt – nicht erleichternd für den Organismus, sondern er lenkt nur ab.<br />
Auf diese Weise wird eine selbstdestruktive Handlung eingeschliffen.<br />
Somit also die Situation des Autisten: Äußerungsdrang <strong>und</strong> Bewegungstendenzen<br />
sind extingiert <strong>und</strong> haben keine Entwicklung durch Übung mitgemacht (sind also<br />
relativ verkümmert). An deren Stelle ist ein stereotyper Wechsel zwischen<br />
Isolationsgefühl, Selbstverletzung, Schmerz, Schmerznachlassen <strong>und</strong> wieder<br />
Isolationsgefühl getreten. Dieser Zyklus wird sich immer mehr einschleifen, da durch<br />
das Wechselspiel die Reaktionsbahnen immer wieder entlastet werden <strong>und</strong> daher die<br />
Inhibition nie mehr in Kraft treten kann. Ein Rückgängigmachen diese Phänomens ist<br />
deshalb so schwierig, weil die destruktive Reaktion durch ihre ungeheure<br />
Verstärkung <strong>und</strong> dadurch, dass sie die einzige ist, die zur Verfügung steht, zuletzt auf<br />
alle Reize hin auftreten wird, nicht nur auf das Gefühl der Isolation. Sozial „sinnvolle“<br />
Reaktionen sind vollkommen unterentwickelt <strong>und</strong> müssten vom Nullpunkt an neu<br />
erlernt werden. Es würde bei weitem nicht ausreichen, die destruktive Reaktion zu<br />
verhindern, damit an deren Stelle wieder normale Reaktionen auftreten können,<br />
sondern es müsste in jahrelanger Arbeit ständig soziales Verhalten schon in seinen<br />
geringsten Ansätzen verstärkt werden (was immer noch wesentlich einfacher klingt<br />
als es tatsächlich ist).<br />
4.4. Umlernen<br />
Wir müssen nun zum weiteren Verständnis unser Modell noch einmal ausbauen. Ich<br />
fasse kurz zusammen: aus der Funktionsweise der <strong>Nervenzelle</strong>n ergibt sich etwa<br />
folgender Ablauf einer Aktion des Organismus:<br />
Eine Reizsituation führt über Reaktionsbahnen zu einer Reaktion. Die Reaktion kann<br />
die sie auslösenden Reize beseitigen. Dann ist sie verstärkt.<br />
Die Reaktion kann durch neue Reize gefolgt werden, die subjektiv stärker oder<br />
wirksamer sind, als die ursprünglichen. Diese Reaktion wird ebenfalls verstärkt, <strong>und</strong><br />
eine neue Reaktion auf die stärkeren Reize tritt auf.<br />
Die Reaktion kann auch wirkungslos sein, d.h. keine Veränderung der bestehenden<br />
Reizsituation bewirken. Diese Reaktion wird gelöscht.<br />
Nach ECCLES (1971, p. 121); KATZ (1971, p. 140); KUPFERMANN,<br />
CASTELLUCCI, PINSKER <strong>und</strong> KANDEL (1970 a, 1970 b) ist der Effekt der<br />
Reduzierung der erregenden Potentiale – also der Reizleistungsverminderung –<br />
mehr am efferenten Schenkel der Nervenleitung zu suchen. Es ist nahe liegend, zu<br />
vermuten, dass häufig die zuleitenden Bahnen besser eingeschliffen sind als die<br />
ableitenden. KUPFERMANN & Co schreiben:<br />
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