Nervenzelle und Tiefenpsychologie
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Ergebnissen führt. Ein solches Phänomen sind die selbstdestruktiven Handlungen<br />
bei Autisten.<br />
Die Ätiologie des Autismus – Phänomens ist empirisch noch schwer zu fixieren<br />
(siehe etwa THEISSEN 1966). Es gibt Autoren, die rein genetische Ursachen<br />
annehmen, nach THEISSEN (1966) sind sowohl Erbfaktoren als auch<br />
Umweltfaktoren beteiligt. Allerdings vertreten andere Autoren (etwa KRAMMER<br />
1958, EISENBERG 1957, STERN & SCHACHNER 1953) eine rein umweltbedingte<br />
Ätiologie. Die Frage ist schwer zu klären, es treten dieselben Schwierigkeiten auf wie<br />
bei der Schizophrenie o.ä. (siehe dazu auch SMYTHIES 1970 a). Es soll hier keine<br />
Klärung dieses Streits versucht werden, nach kommunkationstheoretischen<br />
Gesichtspunkten (cf. WATZLAWICK, BEAVIN, JACKSON 1972) oder auch vom<br />
kybernetischen Standpunkt aus ist die Frage im Sinne des Henne-Ei-Problems<br />
unbeantwortbar (cf. HASSENSTEIN 1967) 12 , <strong>und</strong> es sollte möglich sein, sich mit den<br />
lerngeschichtlichen Prozessen allein zu beschäftigen.<br />
HURLOCK (1970) schreibt:<br />
„Mangel an emotionaler Wärme führt dazu, dass emotionale Stützung <strong>und</strong><br />
intellektuelle Anregung fehlen. Wenn nur die intellektuelle Anregung<br />
vorhanden ist, folgt Autismus.“ (HURLOCK 1970, p. 203)<br />
<strong>und</strong><br />
„wenn das Verlangen des Kindes nach Zuneigung geringfügig frustriert wird,<br />
dann wird sein Verlangen danach verstärkt... Starker Mangel an Zuneigung<br />
zieht dagegen viele der erwähnten ernsten Folgen nach sich.“ (op. cit. p. 204)<br />
13<br />
Autismus äußert sich in „mannigfaltigen Stereotypien, wie rhythmischem Schaukeln<br />
oder monatelangem Imitieren von H<strong>und</strong>ebellen u. dgl.“ (THEISSEN 1966, p. 8)<br />
Wir wollen hier den Werdegang des Autisten etwa so annehmen: Ein Säugling ist –<br />
durch Lernvorgänge im Uterus <strong>und</strong> genetisch bedingte Mechanismen – eingestellt<br />
auf bestimmte Reizkonstellationen, die ihn zu Interaktivität veranlassen. Ist die<br />
tatsächliche Reizstruktur von der für ihn beruhigenden stark verschieden, so wird er<br />
erregt <strong>und</strong> aktiviert. Vermutlich genetisch bedingt sind seine Reaktionen zunächst<br />
Strampeln <strong>und</strong> Schreien. Dies wird im Idealfall bewirken, dass sich die Mutter (oder<br />
ein Mutterersatz) mit ihm beschäftigt <strong>und</strong> auf diese Weise ihm eine Reizstruktur<br />
bietet, die „Verhalten“ einerseits verstärkt, <strong>und</strong> andererseits seine momentane<br />
Aktivität verringert. Der „primäre Äußerungsdrang“ wird zu einer „sozialen<br />
Äußerungstendenz“ verstärkt. Wir aber dem Säugling nicht diese Reizänderung<br />
geboten, (man könnte sie wohl provisorisch mit Kontakt, Wärme, Bewegung etc.<br />
zusammenfassen können), so wird er zunächst weiterschreien <strong>und</strong> weiterstrampeln.<br />
Die Intensität seiner Aktionen wird steigen <strong>und</strong> erst nach einiger Zeit wieder<br />
nachlassen. Durch das Nicht-Reagieren der Umwelt werden die Reaktionen mit der<br />
Zeit unterb<strong>und</strong>en: Die Tendenz, zu schreien oder zu strampeln sinkt. Die<br />
zugehörigen Nervenbahnen werden nicht weitergebahnt <strong>und</strong> entwickeln sich nicht.<br />
Durch einen Zufall kann es nun geschehen, dass irgendeine Aktivität des Kindes –<br />
immer noch als Reaktion auf die Erregung bezogen aus der Isolation, also als<br />
12<br />
„Die Frage, ob Triebstruktur gesellschaftlich bedingt ist, gleicht der Frage, was früher sei, Henne<br />
oder Ei...“ (HUBER 1974)<br />
13 Das entspricht genau unserer Annahme über Frustration <strong>und</strong> Verstärkung (siehe Kap. 4.2.).<br />
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