Nervenzelle und Tiefenpsychologie
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können, sondern – so wie die Neurophysiologie für die Psychologie eine Basis<br />
liefern, auf der Strukturen der Gesellschaft besser verstanden <strong>und</strong> eher überprüft<br />
werden können.<br />
Andererseits aber enthebt uns der Rückgriff auf ein „niedrigeres“ Erklärungssystem<br />
der Notwendigkeit, Kategorien unendlich lange auf die Erfahrung abzustimmen:<br />
kennen wir ein „Prinzip“ – <strong>und</strong> Prinzipien entstehen im Rückgriff auf niedrigere<br />
Erklärungsebenen – so hilft uns die Logik, Kategorien zu setzten, die sicher mit der<br />
Realität übereinstimmen, Informationen zu fixieren, die sonst nur in unendlicher<br />
Erfahrung fixierbar sind.<br />
2.4. Bewusstsein <strong>und</strong> Denken<br />
Um die Verbindung zur klassischen Psychologie nicht zu verlieren, wäre es sinnvoll<br />
eine Verbindung zwischen unserer neurophysiologischen Auffassung der Psyche<br />
<strong>und</strong> dem bisher üblichen, großteils in empathisch verständlichen Begriffen<br />
unersuchten <strong>und</strong> abgehandelten Material herzustellen. Die neurophysiologische<br />
Erklärung funktioniert nämlich zunächst nur dort, so Denken <strong>und</strong> Reflektieren noch<br />
keine wesentliche Rolle spielen. Die Entstehung des Sprechens als Produkt der<br />
Erregungsabfuhr via Sprachwerkzeuge <strong>und</strong> deren Auseinandersetzung mit der<br />
Umwelt (im Sinne von Lernvorgängen) ist noch ein physiologisch erklärbares<br />
Phänomen. Es ist auch nachgewiesen, dass in längeren Trainingszeiten von anfangs<br />
voll ausgeführten Reaktionen nur soviel beibehalten wird, wie zur Erzeilung der<br />
erwünschten Situationsveränderung tatsächlich nötig ist:<br />
„In einem Experiment mit Katzen befreite THORNDIKE die Katze aus dem<br />
Problemkäfig, sobald sie sich leckte. THORNDIKE hatte sozusagen bestimmt,<br />
dass ein Lecken die „richtige“ Reaktion darstellte. Er sorgte dafür, dass die Tür<br />
des Käfigs aufflog, sodass die Katze heraus rannte zur Futterbelohnung,<br />
sobald sie sich leckte. Er beobachtete, dass mit steigender Zahl der<br />
Lerndurchgänge das „lecken“ stufenweise zu einer Minimalspur des<br />
ursprünglichen Leckens wurde, das in früheren Durchgängen belohnt wurde.<br />
So lange THORNDIKE weiterhin den Käfig öffnete, sobald eine reine Geste des<br />
Leckens erschien, war das die ganze Reaktion der Katze.“ (ATKINSON 1964,<br />
p.151)<br />
Diese Rudimentierung wird später aus unserer Theorie noch plausibel. Demnach<br />
wäre Denken zunächst als rudimentäres Handeln zu verstehen, wie es PIAGET von<br />
seiner Tochter im Alter von einem Jahr <strong>und</strong> vier Monaten beschreibt (also in vorsprachlichem<br />
Alter):<br />
„Jetzt beginnt der Versuch, den wir besonders hervorheben wollen. Ich lege die<br />
Kette wieder in die Schachtel zurück <strong>und</strong> verkleinere den Spalt auf drei<br />
Millimeter. Wir müssen hinzufügen, dass Lucienne selbstverständlich den<br />
Vorgang des Schließens <strong>und</strong> Öffnens von Zündholzschachteln nicht kennt <strong>und</strong><br />
dass sie nicht gesehen hat, wie ich den Versuch vorbereitet habe. Sie verfügt<br />
nur über die beiden eben genannten Verhaltensschemata „Die Schachtel<br />
umkippen, um ihren Inhalt auszuleeren“ <strong>und</strong> „Den Finger in Spalt<br />
hineinstecken, um die Kette herauszuholen“.<br />
Natürlich probiert sie zuerst die letztgenannte Vorgehensweise: Sie steckt ihren<br />
Finger hinein <strong>und</strong> müht sich ab, die Kette zu erreichen, hat aber keinen Erfolg.<br />
Es folgt eine Unterbrechung, während dessen Lucienne eine seltsame<br />
Reaktion zeigt. Diese Reaktion ist geeignet, uns davon zu überzeugen, dass<br />
sie versucht, die Situation zu denken, die auszuführenden Handlungen im<br />
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