JAHRBUCH - Glowfish

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602 E. Jones. habe, zu behaupten, daß ich ebenso gute Heilerfolge habe, wie die Herren Psychoanalytiker und ich muß gestehen, daß ich — therapeutisch fast immer ohne eingehende Kausalanalyse auskomme. Und anderseits könnte ich eine ganze Reihe von Fällen namhaft machen, wo Psychoanalytiker nicht genützt, sondern sogar geschadet haben, wo aber hernach andere therapeutische Maßnahmen mit Nutzen angewendet werden konnten. Ich gebe ohne weiteres zu, daß eine wirkungsvolle Therapie die Einsicht in die Genese der zu behandelnden Symptome zur Voraussetzung hat . . . Aber die dazu erforderliche Einsicht in die Psychogenese erfordert nur selten eingehende Analysen. Bestreiten muß ich aber nicht nur, daß das Vorgehen der Herren Psychoanalytiker immer der geeignete Weg ist, zu dieser Einsicht vorzudringen, bestreiten muß ich vor allem den direkten, großen therapeutischen Erfolg der Psychoanalyse." Wenn dies alles wahr wäre, wäre die Frage leicht zu entscheiden. Wenn ein Arzt behauptet, daß er ohne Psychoanalyse gleich gute Resultate erhält, hat er nur diese Resultate zu publizieren, um diese Behauptung zu beweisen. Solange ich nicht eine befriedigend ausführliche Darstellung eines Falles wie der obige habe, wo dieselben Resultate mit Methoden, die sich mir als unwirksam erwiesen haben, erzielt werden, werde ich natürlich fortfahren zu glauben, daß Psychoanalyse bis jetzt die beste Behandlungsmethode ist. Dasselbe gilt für die Frage der Einsicht in die Pathogenese. Indem die unbewußten Wurzeln der Symptome bloßgelegt wurden, wurden diese nicht nur ganz verständlich, sondern es konnte eine Einsicht in die Psychogenese gewonnen werden, der jede andere Untersuchungsmethode nicht im entferntesten gleichkommt. Psychogenese der Krankheit. Zuerst will ich einige bei dem. Falle vorkommende ungewöhnliche Züge besprechen. Da ist vor allem der vollständige und unerschütterliche Glaube des Patienten an die Wahrheit seiner Obsessionen. Darin ist der Fall eine Ausnahme von der Regel, die von Freud in seinem ersten Vortrag über dies Thema^) aufgestellt wurde: ,,Nur vorübergehend beim Auftreten neuer Zwangsvorstellungen und hie und da bei melancholischen Erschöpfungszuständen des Ichs erzwingen die krankhaften Symptome der Wiederkehr auch den Glauben." Löwenfeld^) hat die Bedingungen beschrieben, unter welchen die Wahrheit der Obsession vom Patienten angenommen wird, und der vorliegende Fall bestätigt seine Schlüsse. Das sehr langsame Fortschreiten des Krankheitszustandes ermöglichte es, daß, dank dem Bildungsmangel des Patienten, die Bildung derartiger Obsessionen sich ganz gut mit den übrigen bewußten Gedanken vertrug. Auch würden seine Hauptobsessionen, besonders der Glaube, daß von ^) Freud: Sammlung kleiner Schriften, S. 123. ") Löwenfeld: Die psychischen Zwangserscheinungen.

. Einige Fälle von Zwangsneurose. 603 seiner Persönlichkeit eine psychische Aura ausstrahle, die auf andere einwirke, und daß seine Gedanken auf sie übertragen werden, in manchen spiritistischen und okkultistischen Zirkeln gar nicht für ungewöhnlich oder pathologisch angesehen werden. Man erinnere sich an die allgemeine psychiatrische Regel, daß man bei dem Entscheide darüber, ob ein gegebener Glaube pathologisch, d. h. Wahn ist, stets das intellektuelle Milieu, unter dessen Einfluß der Patient gestanden hat, in Betracht ziehen muß. Mein Patient erkannte erst spät das Krankhafte in seinem Denkprozesse; selbst als er zur Behandlung kam, war es nur, weil er fand, daß gewisse geistige Gewohnheiten zu mächtig wurden und er die Herrschaft darüber verlor. Es ist bekannt, daß dies bei Zwangsneurotikeru häufig vorkommt und daß es der Hauptgrund ist, warum man sie so selten in einem frühen Stadium der Krankheit zur Behandlung bekommt. Man könnte sagen, daß die Zwangsneurose einer befriedigenden Sublimierung der verdrängten Komplexe näher kommt, als die Hysterie. Es scheint mir, daß dies besonders der Fall ist, wenn, wie bei unserem Patienten, die Obsessionen mit dem übrigen Bewußtsein verschmolzen werden können; vom psychologischen, nicht aber vom sozialen Standpunkt aus, kommt der Prozeß einer Sublimierung gleich. Im ganzen stellten die S}'Tnptome ein ziemlich befriedigendes Ventil für seine verdrängten Wünsche dar, ebenso, wie die Masturbation für seine autoerotischen Tendenzen. Diesen Tatsachen mag es zugeschrieben werden, daß der Patient nicht an Angst litt; ich habe sogar selten einen Psychoneurotiker gesehen, der so frei von Angst war. Andere ungewöhnliche Züge waren die relative Abwesenheit von Haß, Todeswünschen und Zweifel. Seinem Hauptsexualobjekt gegenüber schwankte er nicht zwischen Liebe und Haß, wie dies sonst für den Zwangsneurotiker so charakteristisch ist. Selbst seine Reaktion auf das Homosexualobjekt, den Vater, äußerte sich mehr als Verachtung und darin, daß er sehr empfindlich gegen Ungerechtigkeit war, denn als reiner Haß; hier wechselte allerdings Liebe mit dem Gegenteil. Es ist schwer zu sagen, warum die Inzestkomplexe manchmal zum Hasse führen und manchmal wie hier zu anderen Reaktionen. In bezug auf die bekannte Assoziation zwischen Haß und Todeswünschen, ist es interessant, zu wissen, daß beim Patienten diese Wünsche nur in ganz geringem Maße auftraten — nicht mehr als bei vielen Normalen — und daß er nie das geringste Interesse für das nächste Leben zeigte. Wenn man bedenkt, mit welcher Intensität sich Patient mit religiösen und okkulten Dingen beschäftigte, so ist die letztere Tatsache

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Einige Fälle von Zwangsneurose. 603<br />

seiner Persönlichkeit eine psychische Aura ausstrahle, die auf andere<br />

einwirke, und daß seine Gedanken auf sie übertragen werden, in manchen<br />

spiritistischen und okkultistischen Zirkeln gar nicht für ungewöhnlich<br />

oder pathologisch angesehen werden. Man erinnere sich an die allgemeine<br />

psychiatrische Regel, daß man bei dem Entscheide darüber, ob ein<br />

gegebener Glaube pathologisch, d. h. Wahn ist, stets das intellektuelle<br />

Milieu, unter dessen Einfluß der Patient gestanden hat, in Betracht<br />

ziehen muß.<br />

Mein Patient erkannte erst spät das Krankhafte in seinem<br />

Denkprozesse; selbst als er zur Behandlung kam, war es nur, weil<br />

er fand, daß gewisse geistige Gewohnheiten zu mächtig wurden und<br />

er die Herrschaft darüber verlor. Es ist bekannt, daß dies bei Zwangsneurotikeru<br />

häufig vorkommt und daß es der Hauptgrund ist, warum<br />

man sie so selten in einem frühen Stadium der Krankheit zur Behandlung<br />

bekommt. Man könnte sagen, daß die Zwangsneurose einer befriedigenden<br />

Sublimierung der verdrängten Komplexe näher kommt,<br />

als die Hysterie. Es scheint mir, daß dies besonders der Fall ist, wenn,<br />

wie bei unserem Patienten, die Obsessionen mit dem übrigen Bewußtsein<br />

verschmolzen werden können; vom psychologischen, nicht aber vom<br />

sozialen Standpunkt aus, kommt der Prozeß einer Sublimierung gleich.<br />

Im ganzen stellten die S}'Tnptome ein ziemlich befriedigendes Ventil<br />

für seine verdrängten Wünsche dar, ebenso, wie die Masturbation für<br />

seine autoerotischen Tendenzen.<br />

Diesen Tatsachen mag es zugeschrieben<br />

werden, daß der Patient nicht an Angst litt; ich habe sogar selten einen<br />

Psychoneurotiker gesehen, der so frei von Angst war. Andere ungewöhnliche<br />

Züge waren die relative Abwesenheit von Haß, Todeswünschen<br />

und Zweifel. Seinem Hauptsexualobjekt gegenüber<br />

schwankte er nicht zwischen Liebe und Haß, wie dies sonst für den<br />

Zwangsneurotiker so charakteristisch ist. Selbst seine Reaktion auf<br />

das Homosexualobjekt, den Vater, äußerte sich mehr als Verachtung<br />

und darin, daß er sehr empfindlich gegen Ungerechtigkeit war, denn<br />

als reiner Haß; hier wechselte allerdings Liebe mit dem Gegenteil.<br />

Es ist schwer zu sagen, warum die Inzestkomplexe manchmal zum<br />

Hasse führen und manchmal wie hier zu anderen Reaktionen. In<br />

bezug auf die bekannte Assoziation zwischen Haß und Todeswünschen,<br />

ist es interessant, zu wissen, daß beim Patienten diese Wünsche nur<br />

in ganz geringem Maße auftraten — nicht mehr als bei vielen Normalen<br />

— und daß er nie das geringste Interesse für das nächste Leben<br />

zeigte. Wenn man bedenkt, mit welcher Intensität sich Patient mit<br />

religiösen und okkulten Dingen beschäftigte, so ist die letztere Tatsache

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