JAHRBUCH - Glowfish

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480 S. Spielrein. ausgestreckt am Boden und behauptet, sie sei gekreuzigt, sie will alle Ki-anken erlösen; schließlich ist sie, wie Christus, das lebenspendende Grab. Prof. Forel = Dr. J., auf den sie ,,übertragen" hat, kommt wie Christus zu ihr in die Totenkamraer (ihr Zimmer); er wird ,,lebendig begraben" und kommt wieder zur Welt in Form eines Weinstockes, Dieser Weinstock, welcher das neue Leben bedeutet, ist dem Sinne nach das Kind. Zuweilen sagt auch Patientin, sie hätte sich in eine kleine Forel verwandelt. Sie wird, sagt sie, zu einer kleinen Forel dadurch, daß sie grob behandelt, geschlagen wird, also wiederum durch Zerstörung. Ein ander Mal ist ihr kinderproduzierender Organismus (Organ) ein Glassarg oder eine zerbrochene Porzellanschale. Hier liegen die Knochen ihres totgeborenen Kindes; die Porzellanstückchen müssen mit den kindlichen Knochen und anderen befruchtenden Substanzen fein zerrieben, gekocht usw. werden, damit ein Kind zustande kommt. Wesentlich ist, das zum Zustandekommen des Lebens der Tod erforderlich ist und, entsprechend dem christlichen Glauben, wird das Tote durch den Tod lebendig gemacht. Begraben ist in der mythologischen Vorstellung = Befruchtung. Die Richtigkeit dieser Behauptung drängt sich einem förmlich auf, weim man sich mit Mythologie beschäftigt. ,,Zur Erzeugung der neuen Generation", sagt Patientin, „muß der ganze Körper präpariert werden, aus dem Kopfe (Psyche) mid aus der spermatischen Entwicklung im Tier entsteht die neue Generation." „Novozoon (= Sperma) ist ein Totenstoff." Letzterer Satz zeigt auch, daß Sperma als ein totes Exkret aufgefaßt wird. Die von Bins wanger analysierte Irma ekelt sich vor dem Koitus und vor dem Leichenfraße. Ist das Essen bei ihr gleich dem Koitieren, so ist die Leiche = Sperma, welches dabei aufgenommen wird. Irma hat auch eine ausgedehnte Sargsymbolik, aber im Gegensatz zu einem normalen Individuum graut es ihr dauernd vor diesen Vorstellungen: für ein normales Mädchen wird die Begrabungsvorstellung zur Wonne, sobald sie sich das Vergehen im Geliebten denkt. Ein junges Mädchen sagte Binswanger, „das höchste Glück wäre für sie im Leibe des Geliebten zu verweilen". Irma denkt sich auch bisweilen „Der Tod ist ein schöner Mann", aber dies nur kurze Augenblicke, denn bald überwiegen die Vorstellungen der reinen Destruktion mit der dabei begreiflichen Angst. Das Gefühl schildert Irma als „das Gefühl der. Wildheit, des Sichaustobens, Sichhingebens und des Übermanntwerdens, bei dem man nicht weiß, was man tut imd was aus einem wird."

Die Destruktion als Ursache des Werdens. 481 Man wird vergiftet (deshalb paßt die in der Form längliche Schlange so gut zu einem Sexualtiere), wird gefährlich krank, wie die Symbolik der Frau M. und anderer Kjanken lautet. Dann wird man in der Scliwangerschaft durch das Kind destruiert, welches auf Kosten der Mutter sich entwickelt, wie eine bösartige Geschwulst. Meinen medizinischen Kolleginnen stand das Material zur entsprechenden Symbolbildung reichlich zur Verfügung und das Unbewußte verstand es auch zu gebrauchen. So träumte Eine, ihr kleiner Bruder (Wunschpersönlichkeit) hätte eine „Taubengeschwulst" im Magen (Taube Symbol der Unschuld); es kommt ihm dann eine Taube zum Munde heraus. Die andere Kollegin bekommt Eiterbeulen am Halse, wie Frau M. Wieder eine andere bekommt einige Male im Traume Krebsgeschwülste an den Fingern, oder irgend ein Dozent, auf den sie „übertragen" hat, fragt sie im Traume über Krebsgeschwulst (Exhibitionstraum), andere wieder werden scharlachkrank usw. Jedes sexuelle Symbol hat im Traume wie in der Mythologie die Bedeutung des leben- und todbringenden Gottes: ein Beispiel für alle: das Pferd, eines der bekannten Sexualtiere, ist das lebenbringende Tier des Sonnengottes, das Pferd ist aber auch das Totentier, ja, Symbol des Todes, i) Sehr lehrreich sind die Destruktionsvorstellungen bei verschiedenen Formen der Selbstbefriedigung. Der psychische Autoerotismus läßt sich sehr gut an Nietzsche studieren. Bei Nietzsche, welcher sein ganzes Leben lang einsam blieb, wandte sich die ganze Libido seiner eigenen Person zu. Wie faßte Nietzsche die Liebe auf oder richtiger, wie hat er die Liebe empfunden? Die Einsamkeit quälte den Dichter so sehr, daß er sich einen ideellen Freund, Zarathustra, schuf, mit dem er sich identifizierte. Die Sehnsucht nach einem Liebesobjekt machte es, daß Nietzsche in sich selbst Mann und Frau wurde und dieses beides in der Gestalt von Zarathustra. ,,Denn schon kommt sie, die glühende, ihre Liebe zur Erde kommt. Unschuld und Schöpferbegier ist alle Sonnenliebe ! Seht doch hin, wie sie imgeduldig über das Meer kommt! Fühlt ihr den Durst und den heißen Atem ihrer Liebe nicht? Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Höhe trinken: Da hebt sich die Begierde des Meeres mit tausend Brüsten. Geküßt und gesaugt will es sein vom Durste der Sonne. Lust will es werden und Höhe und Fußpfad de.-> Lichtes und selber Licht. Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen Meere. Und dies heißt mir Erkenntnis: alles Tiefe soll hinauf zu meiner Höhe. Also sprach Zarathustra." ^) Vgl. Negelein: Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult. Jahrbuch für psychoanalyt. u. psyohop.ithol. Forschungen. IV. '>'

480 S. Spielrein.<br />

ausgestreckt am Boden und behauptet, sie sei gekreuzigt, sie will alle<br />

Ki-anken erlösen; schließlich ist sie, wie Christus, das lebenspendende<br />

Grab. Prof. Forel = Dr. J., auf den sie ,,übertragen" hat, kommt wie<br />

Christus zu ihr in die Totenkamraer (ihr Zimmer); er wird ,,lebendig<br />

begraben" und kommt wieder zur Welt in Form eines Weinstockes,<br />

Dieser Weinstock, welcher das neue Leben bedeutet, ist dem Sinne<br />

nach das Kind. Zuweilen sagt auch Patientin, sie hätte sich in eine kleine<br />

Forel verwandelt. Sie wird, sagt sie, zu einer kleinen Forel dadurch,<br />

daß sie grob behandelt, geschlagen wird, also wiederum durch Zerstörung.<br />

Ein ander Mal ist ihr kinderproduzierender Organismus (Organ) ein<br />

Glassarg oder eine zerbrochene Porzellanschale.<br />

Hier liegen die Knochen<br />

ihres totgeborenen Kindes; die Porzellanstückchen müssen mit den<br />

kindlichen Knochen und anderen befruchtenden Substanzen fein<br />

zerrieben, gekocht usw. werden, damit ein Kind zustande kommt.<br />

Wesentlich ist, das zum Zustandekommen des Lebens der Tod erforderlich<br />

ist und, entsprechend dem christlichen Glauben, wird das Tote<br />

durch den Tod lebendig gemacht. Begraben ist in der mythologischen<br />

Vorstellung = Befruchtung.<br />

Die Richtigkeit dieser Behauptung drängt<br />

sich einem förmlich auf, weim man sich mit Mythologie beschäftigt.<br />

,,Zur Erzeugung der neuen Generation", sagt Patientin, „muß der<br />

ganze Körper präpariert werden, aus dem Kopfe (Psyche) mid aus der<br />

spermatischen Entwicklung im Tier entsteht die neue Generation." „Novozoon<br />

(= Sperma) ist<br />

ein Totenstoff."<br />

Letzterer Satz zeigt auch, daß Sperma als ein totes Exkret aufgefaßt<br />

wird. Die von Bins wanger analysierte Irma ekelt sich vor dem<br />

Koitus und vor dem Leichenfraße. Ist das Essen bei ihr gleich dem<br />

Koitieren, so ist die Leiche = Sperma, welches dabei aufgenommen<br />

wird. Irma hat auch eine ausgedehnte Sargsymbolik, aber im Gegensatz<br />

zu einem normalen Individuum graut es<br />

ihr dauernd vor diesen Vorstellungen:<br />

für ein normales Mädchen wird die Begrabungsvorstellung zur<br />

Wonne, sobald sie sich das Vergehen im Geliebten denkt. Ein junges<br />

Mädchen sagte Binswanger, „das höchste Glück wäre für sie im<br />

Leibe des Geliebten zu verweilen". Irma denkt sich auch bisweilen<br />

„Der Tod ist ein schöner Mann", aber dies nur kurze Augenblicke,<br />

denn bald überwiegen die Vorstellungen der reinen Destruktion mit<br />

der dabei begreiflichen Angst. Das Gefühl schildert Irma als<br />

„das Gefühl der. Wildheit, des Sichaustobens, Sichhingebens und des<br />

Übermanntwerdens, bei dem man nicht weiß, was man tut imd was aus<br />

einem wird."

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