JAHRBUCH - Glowfish

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01.11.2013 Aufrufe

462 C. G. Juug. leise, dann vernehmlich ilu-en Todeswilien an. Und wie in der Jugend der Trieb zu ungemessenem Wachstum öfters unter der verhüllenden Schicht eines Widerstandes gegen das Leben liegt, so liegt auch der Todeswille des Alters häufig unter der Schicht eines eigensinnigen Widerstandes gegen das Ende. Dieser anscheinende Gegensatz im Wesen der Libido ist trefflich illustriert durch eine Priapstatuette in der Veroneser Antikensammlung^). Priap deutet lächelnd mit dem Finger darauf, wie eine Schlange sein Membrum abbeißt. Er trägt einen Korb am Arm, gefüllt mit länglichen Objekten, wohl Phalli, offenbar zum Ersatz bereit. 1^ ^^^ S ^/ '^"^^^l Priap und Schlange. Ein ähnliches Motiv findet sich in der Sintflut von Eubens (München, a. Pinakothek), wo eine Schlange einen Mann entmannt. Dieses Motiv erklärt den Sinn der Sintflut : das mütter- liehe Meer ist auch die verschlingende Mutter-). ^^® Phantasie vom Weltbrande, überhaupt vom katastrophalen Weltende ist nichts als eine mythologische Projektion eines eigenen, individuellen Willens zum Tode ; daher R u b e n s die Quintessenz der Sintflutphantasie in der Entmannung durch die Schlange darstellen konnte, denn die Schlange ist der eigene (verdrängte) Willen zum Ende, mit dem wir uns so schwer einig erklären können. Was die Symbolik der Schlange im weitern anbelangt, so ist ihre Deutung wohl sehr von Lebensalter und Umständen abhängig. Der Jugend ist die verdrängte Sexualität in der Schlange symbohsiert, denn die Ankunft der Sexualität setzt der Kindheit em Ende. Dem Alter dagegen bedeutet die Schlange den verdrängten Todesgedanken. Bei unserer Autorin ist es die ungenügend zu Worte gekommene Sexualität, 1) Ich verdanke die Erlaubnis zur Publikation dieser unedierten Statuette dem liebenswürdigen Entgegenkommen der Direktion der Veroneser Antikensammlung. 2) Die Sintflut ist mit der Schlange eines Wesens. In der Wöluspa heißt es, daß sich die Flut erhebe, wenn die JVIidgardschlange sich zur allgemeinen Vernichtung erhebt. Sie heißt Jörmungandr, was wörtüch , »allgemeiner Wolf" bedeutet. Der vernichtende Fenriswolf hat wiederum Beziehung zum Meere. Fen findet sich in Fensalir (Meersäle), der Wohnung der Frigg, und bedeutet ursprünghch Meer. (Frobenius: 1. c, S. 179.) Im Märchen von Rotkäppchen ist ebenfalls statt Schlange oder Fisch Wolf gesetzt.

Wandlungen und Symbole der Libido. 463 welche als Schlange die Rolle des Opferers übernimmt und den Helden dem Tode und der Wiedergeburt überantwortet. Wie am Anfang unserer Untersuchung der Name des Helden uns nötigte, von der Symbolik des Popocatepetl, als des schaffenden Teiles des menschlichen Körpers, zu reden, so gibt uns das Ende des Millerschen Dramas nochmals Gelegenheit, zu sehen, wie der Vulkan auch dem Tode des Helden assistiert und durch ein Erdbeben ihn in die Erdtiefe verschlingen läßt. Wie der Vulkan dem Helden Namen und Geburt gegeben, so verschluckt er ihn am Ende der Tage wieder^). Aus den letzten Worten des Helden erfahren wir, daß seine ersehnte Geliebte, die einzig ihn versteht. Ja - ni - wa -ma heißt. Wir finden in diesem Namen jene aus Longfellows Hiawatha uns bekannten Lallworte aus der ersten Kindlieit des Helden: Wawa, wama, mama. Die Einzige, die uns wirklich versteht, ist die Mutter. Denn verstehen (althochdeutsch firstän) leitet sich wahrscheinlich ab aus einer urgermanischen Vorsilbe fri, die mit TtEQi, um, herum, identisch wäre; ahd. antfriston = verdolmetschen wird mit firstän als identisch zusammengestellt. Daraus ergäbe sich eine Grundbedeutung von verstehen als ,,sich um etwas herumstellen^)." Gomprehendere und xazaovXÄüjußdveiv drücken ein ähnliches Bild aus, wie das deutsche „erfassen". Das Gemeinsame dieser Ausdrücke ist das ,,Umgeben" und „Umfassen". Und es ist kein Zweifel, daß nichts in der Welt uns je so gänzlich umfaßt wie die Mutter. Wenn der Neurotiker klagt, daß die Welt „verständnislos" sei, sagt er damit indirekt, daß ihm die Mutter fehle. Paul Verlaine hat in seinem Gedicht „Mon reve familier" diesen Gedanken in schönster Weise ausgesprochen: Je fais souvent ce reve etrange et penetrant D'une femme inconnue et que j'aime et qui m'aime Et qui n'est chaque fois ni tout ä fait la meme, Ni tout ä fait une autre, et qui m'aime et me comprend. ') Vgl. die empedokleische Sehnsucht Hölderlins. Ebenso die Höllenfahrt Zarathustras durch die Hadesöffnung des Vulkans. Der Tod ist das Wiedereingehen in die Mutter. Daher auch der ägyptische König Mykerinos seine Tochter in einer hölzernen und vergoldeten Kuh beisetzen ließ. Das war die Garantie der Wiedergeburt. Die Kuh stand in einem Prunkgemache und es \\Tirden ihr Opfer gebracht. In einem andern Gemach nahe bei dieser Kuh standen die Bildnisse der Kebsweiber des Mykerinos (Herodot, II, S. 129 f.). *) Kluge: Deutsche Etymologie.

462 C. G. Juug.<br />

leise, dann vernehmlich ilu-en Todeswilien an. Und wie in der Jugend<br />

der Trieb zu ungemessenem Wachstum öfters unter der verhüllenden<br />

Schicht eines Widerstandes gegen das Leben liegt, so liegt auch der<br />

Todeswille des Alters häufig unter der Schicht eines eigensinnigen<br />

Widerstandes gegen das Ende.<br />

Dieser anscheinende Gegensatz im Wesen der Libido ist trefflich<br />

illustriert durch eine Priapstatuette in der Veroneser Antikensammlung^).<br />

Priap deutet lächelnd mit dem Finger darauf, wie eine<br />

Schlange sein<br />

Membrum abbeißt. Er trägt einen Korb am Arm, gefüllt mit länglichen<br />

Objekten, wohl Phalli, offenbar zum Ersatz bereit.<br />

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Priap und Schlange.<br />

Ein ähnliches Motiv findet sich in der Sintflut<br />

von Eubens (München, a. Pinakothek),<br />

wo eine Schlange einen Mann entmannt. Dieses<br />

Motiv erklärt den Sinn der Sintflut : das mütter-<br />

liehe Meer ist auch die verschlingende Mutter-).<br />

^^® Phantasie vom Weltbrande, überhaupt vom<br />

katastrophalen Weltende ist nichts als eine mythologische<br />

Projektion eines<br />

eigenen, individuellen<br />

Willens zum Tode ; daher R u b e n s die Quintessenz<br />

der Sintflutphantasie in der Entmannung durch<br />

die Schlange darstellen konnte, denn die Schlange<br />

ist der eigene (verdrängte) Willen zum Ende, mit<br />

dem wir uns so schwer einig erklären können.<br />

Was die Symbolik der Schlange im weitern anbelangt, so ist ihre<br />

Deutung wohl sehr von Lebensalter und Umständen abhängig. Der<br />

Jugend ist die verdrängte Sexualität in der Schlange symbohsiert,<br />

denn die Ankunft der Sexualität setzt der Kindheit em Ende. Dem Alter<br />

dagegen bedeutet die Schlange den verdrängten Todesgedanken. Bei<br />

unserer Autorin ist es die ungenügend zu Worte gekommene Sexualität,<br />

1) Ich verdanke die Erlaubnis zur Publikation dieser unedierten Statuette<br />

dem liebenswürdigen Entgegenkommen der Direktion der Veroneser Antikensammlung.<br />

2) Die Sintflut ist mit der Schlange eines Wesens. In der Wöluspa heißt<br />

es, daß sich die Flut erhebe, wenn die JVIidgardschlange sich zur allgemeinen<br />

Vernichtung erhebt. Sie heißt Jörmungandr, was wörtüch ,<br />

»allgemeiner Wolf"<br />

bedeutet. Der vernichtende Fenriswolf hat wiederum Beziehung zum Meere.<br />

Fen findet sich in Fensalir (Meersäle), der Wohnung der Frigg, und bedeutet<br />

ursprünghch Meer. (Frobenius: 1. c, S. 179.) Im Märchen von Rotkäppchen<br />

ist ebenfalls statt Schlange oder Fisch Wolf gesetzt.

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