JAHRBUCH - Glowfish
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460 C. G. Jung. beiden^). Im christlichen Mysterium wird der Auferstandene aber zum überweltlichen Geiste und seine Gläubigen erringen sein durch Selbstopfer an die Mutter das unsichtbare Gottesreich mit seinen geheimnisvollen Gaben. In der Psychoanalyse wird die Infantilpersönlichkeit auf rationale Weise ihrer Libidobesetzungen beraubt; die daraus sich erübrigende Libido dient zum Aufbau einer gereiften und der Wirklichkeit angepaßten Persönlichkeit, die all das freiwillig tut, und ohne Murren, was die Notwendigkeit sowieso befiehlt. (Es ist nämlich das hauptsächliche Streben der infantilen Persönlichkeit, sich gegen alle Notwendigkeiten zu sträuben und sich Nötigungen zu schaffen, wo in Wirklichkeit keine sind.) Die Schlange als Opferinstrument fanden wir bereits reichlich belegt. (St. Silvesterlegende, Jungfrauenprobe, Verwundung des Re und des Philoktet, Lanzen- und Pfeilsymbolik.) Sie ist das tötende Messer, ^) Ich habe es unterlassen, im Laufe dieser bloß orientierenden Untersuchung auf die zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten der hier erforschten Zusammenhänge mit der Traumsymbolik hinzuweisen. Das ist Sache gesonderter Untersuchung. Ich kann es aber an dieser Stelle nicht unterlassen, auf einen einfachen Traum hinzuweisen, den mir eine jugendliche Patientin als ersten in die Analyse mitbrachte: ,,Sie steht zwischen hohen Schneemauern auf einem Eisenbahngeleise mit ihrem kleinen Bruder. Ein Zug kommt heran, sie läuft voll Todesangst davon und läßt ihr Brüderchen auf dem Geleise zurück. Sie sieht, wie er überfahren wird, hinter dem Zuge aber steht der Kleine unversehrt wieder auf." Der Sinn des Traumes ist klar: das unausweichliche Herankommen des ,, Triebes" (to drive = fahren). Das Zurücklassen des Brüderchens ist die verdrängte Bereitwilligkeit, sich zu unterwerfen. Die Unterwerfung wird symbolisiert durch die Opferung des Brüderchens (der infantilen Persönlichkeit), der scheinbar sichere Tod ist aber ein Wiederauferstehen. Eine andere Patientin bevorzugt klassischere Formen: Sie träumt von einem mächtigen Adler, der durch Pfeilschüsse in Schnabel und Hals verwundet ist. Wenn wir über die aktuelle Übertragungsphantasie (Adler = Arzt, Pfeile = erotische Wünsehe der Patientin) hinweggehen, so führt uns das IVIaterial zu Adler (beschwingter Löwe von St. Marco, die vergangene Herrüchkeit Venedigs; Schnabel = Erinnerungen an gewisse perverse Handlungen der Kindheit), auf die Einsicht, daß der Adler eine Komposition von InfantUerinnerungen ist, die sich zum Teil um den Vater gruppieren. Er ist also ein Infantilheros, der in charakteristischer Weise am phallischen Punkt (Schnabel) ver\vundet ist. Der Traum heißt also: Ich verzichte auf infantile Wünsche, ich opfere meine Infantilpersönlichkeit (synonym ist: ich lähme sie, entmanne den Vater oder den Arzt). Im Mithrasmysterium wird in der Introversion der Myste selber zum cterö^', zum Adler, als dem höchsten Einweüiungsgrad. Dort geht die Identifikation mit dem unbewußten Libidotier sehr weit: wie Augustin (?) berichtet: alii autem sicut aves alas percutiunt vocem coracis imitantes, alii vero leonum more fremunt. (Zitiert Dieterich: 1. c, S. 69.)
"Wandlungen und Symbole der Libido. 461 aber nach dem Prinzip des „Occide nioriturus" auch der Phallus, so daß die Opferhandlung auch zugleich eine Begattung darstellt^). Die kultische Bedeutung der Schlange als eines höhlenbewohnenden, chthonischen Tieres weist auf einen weiteren Gedanken hin: nämlich auf das Hineinkriechen (in den Mutterleib) in Schlangenform-). Wie das Pferd der Bruder, so ist die Schlange die Schwester des Chiwantopel (,,ma petite soeur"). Diese nahe Verwandtschaft deutet auf eine Zusammengehörigkeit dieser Tiere und ihrer Charaktere mit dem Helden hin. Vom Pferd wissen wir, daß es in der Regel kein Angsttier ist. (Mythologisch kann es zwar gelegentlich diese Bedeutung haben); es bedeutet daher melir den lebendigen, positiven Teil der Libido, das Streben nach beständiger Erneuerung, während die Schlange in der Regel die Angst, die Todesangst repräsentiert^) und als gegensätzlich zum Phallus gedacht wird. Dieser Gegensatz zwischen Pferd und Schlange, mythologisch zwischen Stier und Schlange, stellt einen Gegensatz der Libido in sich selbst dar, ein Vorwärtsstreben und ein Zurückstreben in einem*). Es ist nicht nur so, daß die Libido ein unaufhaltsames Verwärtsstreben, ein endloses Leben und Aufbauenwollen wäre, als welches Schopenhauer seinen Weltwillen formuliert hat, wobei der Tod und jegliches Ende eine von außen herantretende Tücke oder Fatalität ist; sondern die Libido will, dem Sonnengleichnis entsprechend, auch den Untergang ihrer Bildung. In der ersten Lebenshälfte will sie Wachstum, in der zweiten Lebenshälfte deutet sie erst ^) Die Sehlange bei Miß IVIiller ist grün. Grün ist auch die Schlange meiner Patientin (in meiner ,,Psych, der Dementia praecox", S. 161), von der sie sagt: ,,Da kam ein grünes Schlänglein mir bis zum ]\Iunde, das hatte den feinsten, liebhchsten Sinn, wie wenn es Menschenverstand hätte, mir etwas sagen wollte, gerade, wie wenn es mich hätte küssen wollen." Spielreins Patientin sagt von der Schlange: ,,Es ist ein Gottestier, das so wunderbare Farben hat: grüne, blaue, weiße. Grün ist die Klapperschlange; sie ist sehr gefährüch. Die Schlange kann Menschengeist haben, kann Gottesurteil haben; sie ist eine Kinderfreundin. Sie würde diejenigen Kinder retten, die zur Erhaltung des Menschenlebens notwendig sind." {Dieses Jahrbuch, Bd. III, S. 366.) Hier ist die phallische Bedeutung unverkennbar. Die Schlange als verwandelter Prinz im Märchen hat dieselbe Bedeutung. (Vgl.Riklin: Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen, S. 40 f.) ^) Eine Patientin hatte die Phantasie, sie sei eine Schlange, die sich um die Mutter ringle und schheßlich ganz in sie hineinkrieche. ') Die epidaurische Schlange ist im Gegensatze heilend — similia similibus. *) Dies hat Bleuler als Ambivalenz oder -tendenz bezeichnet, Stekel als ,,Bipolarität aller psychischen Phänomene". (Sprache des Traumes, S. 535.)
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aber nach dem Prinzip des „Occide nioriturus" auch der Phallus, so daß<br />
die Opferhandlung auch zugleich eine Begattung darstellt^). Die kultische<br />
Bedeutung der Schlange als<br />
eines höhlenbewohnenden, chthonischen<br />
Tieres weist auf einen weiteren Gedanken hin: nämlich auf das<br />
Hineinkriechen (in den Mutterleib) in Schlangenform-). Wie das Pferd<br />
der Bruder, so ist die Schlange die Schwester des Chiwantopel (,,ma<br />
petite soeur"). Diese nahe Verwandtschaft deutet auf eine Zusammengehörigkeit<br />
dieser Tiere und ihrer Charaktere mit dem Helden hin.<br />
Vom Pferd wissen wir, daß es in der Regel kein Angsttier ist. (Mythologisch<br />
kann es zwar gelegentlich diese Bedeutung haben); es bedeutet<br />
daher melir den lebendigen, positiven Teil der Libido, das Streben<br />
nach beständiger Erneuerung, während die Schlange in der Regel die<br />
Angst, die Todesangst repräsentiert^) und als gegensätzlich zum<br />
Phallus gedacht wird. Dieser Gegensatz zwischen Pferd und Schlange,<br />
mythologisch zwischen Stier und Schlange, stellt einen Gegensatz<br />
der Libido in sich selbst dar, ein Vorwärtsstreben und ein Zurückstreben<br />
in einem*). Es ist nicht nur so, daß die Libido ein unaufhaltsames<br />
Verwärtsstreben, ein endloses Leben und Aufbauenwollen<br />
wäre, als welches Schopenhauer seinen Weltwillen formuliert hat,<br />
wobei der Tod und jegliches<br />
Ende eine von außen herantretende Tücke<br />
oder Fatalität ist; sondern die Libido will, dem Sonnengleichnis entsprechend,<br />
auch den Untergang ihrer Bildung. In der ersten Lebenshälfte<br />
will sie Wachstum, in der zweiten Lebenshälfte deutet sie erst<br />
^) Die Sehlange bei Miß IVIiller ist grün. Grün ist auch die Schlange<br />
meiner Patientin (in meiner ,,Psych, der Dementia praecox", S. 161), von der sie<br />
sagt: ,,Da kam ein grünes Schlänglein mir bis zum ]\Iunde, das hatte den feinsten,<br />
liebhchsten Sinn, wie wenn es Menschenverstand hätte, mir etwas sagen<br />
wollte, gerade, wie wenn es mich hätte küssen wollen." Spielreins Patientin<br />
sagt von der Schlange: ,,Es ist ein Gottestier, das so wunderbare Farben hat:<br />
grüne, blaue, weiße. Grün ist die Klapperschlange; sie ist sehr gefährüch. Die<br />
Schlange kann Menschengeist haben, kann Gottesurteil haben; sie ist eine<br />
Kinderfreundin. Sie würde diejenigen Kinder retten, die zur Erhaltung<br />
des Menschenlebens notwendig sind." {Dieses Jahrbuch, Bd. III, S. 366.) Hier<br />
ist die phallische Bedeutung unverkennbar. Die Schlange als verwandelter Prinz<br />
im Märchen hat dieselbe Bedeutung. (Vgl.Riklin: Wunscherfüllung und Symbolik<br />
im Märchen, S. 40 f.)<br />
^) Eine Patientin hatte die Phantasie, sie sei eine Schlange, die sich um<br />
die Mutter ringle und schheßlich ganz in sie hineinkrieche.<br />
')<br />
Die epidaurische Schlange ist im Gegensatze heilend — similia similibus.<br />
*) Dies hat Bleuler als Ambivalenz oder -tendenz bezeichnet, Stekel<br />
als ,,Bipolarität aller psychischen Phänomene". (Sprache des Traumes, S. 535.)