JAHRBUCH - Glowfish

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; 422 C. G. Jung. des Unbewußten furchtbar breit, offenbar, um mit seiner Aufgeblas(niheit ein gutes Stück versäumter Lebenspfliclit zuzudecken. JedocJi folgt die Strafe auf dem Fuße nach. Wer zu viel Stolz darein setzt, keine Wunde im Lebenskampf davongetragen zu haben, der ist verdächtig, daß er wohl nur mit Worten gefochten und dabei hinter dem Ofen gesessen hat. Diese Geste ist nur eine Umkehrung des Stolzes jener Buschmännerfrauen, welche mit Genugtuung auf die zahlreichen Narben hinweisen, die ihnen von den Männern im Überwältigungskampfe geschlagen wurden. Gemäß dieser Verehrung und in konsequenter Weiterführung derselben drückt sich nun alles Folgende in uneigentlicher Sprache aus: Das orgiastische ,,occide moriturus" in seiner Vermischung mit dem ausgelassenen Taumels tritt Gelächter dionysischen uns hier in jämmerlicher Verkleidung entgegen — sentimentaler Theaterzauber, würdig unserer posthumen Edition „christlicher" Moral. Statt des positiven Phallus tritt der negative auf und führt das Pferd des Helden, seine Libido animalis statt zur Befriedigung in den ewigen Frieden, ebenso den Helden. Dieses Ende will bedeuten, daß die Mutter als Todesrachen die Libido der Tochter wieder in sich hinunterschlingt, daher statt Leben und zeugendes Wachstum phantastische Selbstversunkenheit. Das schlaffe und unrühmliche Ende wirkt nicht erhebend und erleuchtend, solange wir es nur als Lösung eines individuellen erotischen Konfliktes betrachten. Die Tatsache, daß die Symbole, unter denen die Lösung erfolgt, einen bedeutenden Aspekt haben, verrät es uns, daß hinter der individuellen Maske, hinter dem Schleier der ,,Individuation" ein lu-tümliches Bild steht, dessen strenge und ernsthafte Züge uns den Mut nehmen, die Deutung der Millerschen Symbole für genügend zu erachten. sexuelle Es ist nie zu vergessen, daß die sexuellen Phantasien der Neurotiker und die exquisit sexuelle Sprache des Traumes Regressivphänomene sind. Die Sexualität des Unbewußten ist nicht das, was sie zu sein scheint, sie ist bloß Symbol; sie ist ein tagwacher sonnenklarer Gedanke, ein Entschluß, ein Schritt vorwärts zu jeglichem Lebensziel — aber ausgedrückt in der uneigentlichen Sexualsprache des Unbewußten und des Denkens früherer Stufe sozusagen eine Wiederbelebung früherer Anpassungsmodi. Wenn daher das Unbewußte den Koituswunsch, negativ ausgedrückt, in den Vordergrund schiebt, so heißt das etwa: unter diesen Umständen handelte der primitive Mensch so. (Von dem Neger wird ja heutzutage noch dieser für uns unbewußt gewordene Anpassungsmodus durchgeführt:

: Wandlungen und Symbole der Libido. 423 die über die Ernährung hinausgehenden Unternehmungen sind für ihn Sexualität, Gewalttat und Grausamkeit.) Wir sind daher in Ansehung der archaischen Ausdrucksweise des Millerschen Phantasiegebildes nur berechtigt, die Richtigkeit unserer Deutungen für die zunächstliegende Schicht anzunelimen. Eine tiefere Bedeutungsschicht geht von der früheren Feststellung aus, daß die Figur des Chiwantopel Daher ist den Charakter des Cassius hat, dem „ein Lamm gesellt" ist. Chiwantopel der mit der Mutter verbundene (und darum männliche) Anteil der Libido der Träumerin, also ihre infantile Persönlichkeit, das Kindische in ihrem Charakter, das noch nicht einsehen will, daß ein Mensch Vater und Mutter verlassen muß, wenn seine Zeit gekommen ist, um der Bestimmung seiner Gesamtpersönlichkeit zu dienen. Die Einschränkung dazu gibt Nietzsches Wort^) ,,Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich hören und nicht, daß du einem Joch entronnen bist. Bist du ein solcher, der einem Joch entrinnen durfte? Es gibt manchen, der semen letzten Wert wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf." Wenn daher Chiwantopel stirbt, so heißt dies, des Wunsches, daß dieser Infantilheld, Schürze gehen kann, sterben möge. Und ist es sei eine Erfüllung der der Mutter nicht von der damit das Band zwischen Mutter und Tochter zerschnitten, so bedeutet dies einen größten Fortschritt an innerer und äußerer Freiheit. Aber zu lange möchte man Kind sein, man möchte in die Speichen des Rades greifen, das die Jahre rollend vorüberträgt, man möchte sich Kindheit und ewige Jugend bewahren, nicht sterben und im Grab verfaulen („Oh, ne permets pas que mon corps tombe dans la pourriture et la puanteur") — und wir denken nicht daran, da nichts uns die eilende Zeit und die grausame Vergänglichkeit aller Blüten schmerzhafter zum Bewußtsein bringt als Tatenlosigkeit und Inlialtlosigkeit des Lebens. Das faule Träumen ist die Mutter der Todesangst, der sentimentalen Beklagung des Gewesenen und der vergeblichen Zurückstellung der L%r. Wenn man es auch im lange, vielleicht zu lange bewahrten Jugendgefühl, im Traumzustand der hartnäckig festgehaltenen Erinnerungen vergessen kann, daß das Rad rollt, so melden es unbarmli erzig das graue Haar, die Erschlaffung der Haut und die Furchen des Gesichtes, daß auch, ohne daß wir den Körper den zerstörenden Gewalten des vollen Lebensringens aussetzen, das Gift der heimlich schleichenden 1) Werke: Bd. VI, S. 92.

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Wandlungen und Symbole der Libido. 423<br />

die über die Ernährung hinausgehenden Unternehmungen sind für<br />

ihn Sexualität, Gewalttat und Grausamkeit.) Wir sind daher in Ansehung<br />

der archaischen Ausdrucksweise des Millerschen Phantasiegebildes<br />

nur berechtigt, die Richtigkeit unserer Deutungen für die<br />

zunächstliegende Schicht anzunelimen. Eine tiefere Bedeutungsschicht<br />

geht von der früheren Feststellung aus, daß die Figur des Chiwantopel<br />

Daher ist<br />

den Charakter des Cassius hat, dem „ein Lamm gesellt" ist.<br />

Chiwantopel der<br />

mit der Mutter verbundene (und darum männliche)<br />

Anteil der Libido der Träumerin, also ihre infantile Persönlichkeit,<br />

das Kindische in ihrem Charakter, das noch nicht einsehen will, daß<br />

ein Mensch Vater und Mutter verlassen muß, wenn seine Zeit gekommen<br />

ist, um der Bestimmung seiner Gesamtpersönlichkeit zu dienen. Die<br />

Einschränkung dazu gibt<br />

Nietzsches Wort^)<br />

,,Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich hören<br />

und nicht, daß du einem Joch entronnen bist. Bist du ein solcher, der<br />

einem Joch entrinnen durfte? Es gibt manchen, der semen letzten Wert<br />

wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf."<br />

Wenn daher Chiwantopel stirbt, so heißt dies,<br />

des Wunsches, daß dieser Infantilheld,<br />

Schürze gehen kann, sterben möge. Und ist<br />

es sei eine Erfüllung<br />

der der Mutter nicht von der<br />

damit das Band zwischen<br />

Mutter und Tochter zerschnitten, so bedeutet dies einen größten Fortschritt<br />

an innerer und äußerer Freiheit. Aber zu lange möchte man Kind<br />

sein, man möchte in die Speichen des Rades greifen, das die Jahre<br />

rollend vorüberträgt, man möchte sich Kindheit und ewige Jugend<br />

bewahren, nicht sterben und im Grab verfaulen<br />

(„Oh, ne permets pas<br />

que mon corps tombe dans la pourriture et la puanteur") — und wir<br />

denken nicht daran, da nichts uns die eilende Zeit und die grausame<br />

Vergänglichkeit aller Blüten schmerzhafter zum Bewußtsein bringt<br />

als Tatenlosigkeit und Inlialtlosigkeit des Lebens. Das faule<br />

Träumen ist die Mutter der Todesangst, der sentimentalen<br />

Beklagung des Gewesenen und der vergeblichen Zurückstellung der<br />

L%r. Wenn man es auch im lange, vielleicht zu lange bewahrten Jugendgefühl,<br />

im Traumzustand der hartnäckig festgehaltenen Erinnerungen<br />

vergessen kann, daß das Rad rollt, so melden es unbarmli erzig das<br />

graue Haar, die Erschlaffung der Haut und die Furchen des Gesichtes,<br />

daß auch, ohne daß wir den Körper den zerstörenden Gewalten des<br />

vollen Lebensringens aussetzen, das Gift der heimlich schleichenden<br />

1) Werke: Bd. VI, S. 92.

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