JAHRBUCH - Glowfish

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34 E. Bleuler. so leicht zu erwerben, daß sie in der frühen Kindheit jedes einzelnen schon da sind und kaum durch die schwerste allgemeine Hirnkrankheit ausgelöscht werden können. Schärfere Begriffe und zwingende Zusammenhänge sind dem Phantasieren geradezu hinderlich. Das Kind kann sich noch über die Vorstellung freuen, daß es einmal Prinz werde; dem Erwachsenen bleibt die Unmöghchkeit der WunschcrfüUung gegenwärtig, und er wird höchstens einmal in einer besonderen Laune sagen können: „Wenn ich Prinz wäre, " Wichtig ist auch, daß es für die realistische Funktion nur ein richtiges Resultat gibt, während der Autismus die ,,unbegrenzten Möglichkeiten besitzt" (Jung) und sein Ziel auf die verschiedenste Art erreichen kann. So können uns die Unterschiede bei gutem oder schlechtem Funktionieren auch bei extremem Schwanken nicht groß erscheinen. Während zwischen der falschen und der richtigen Lösung einer Rechnung, zwischen einem falschen und einem richtigen Schluß ein prinzipieller Gegensatz besteht, ist das Märchen eines Kindes und das eines Genies in bezug auf seinen autistischen Zweck und die subjektive Erfüllung des Zweckes gleichwertig. Sind die Begriffe unscharf geworden, die logischen Funktionen ungenügend, so kann das realistische Denken nur noch zu unrichtigen Resultaten kommen, das autistische aber wird durch einen solchen Fehler nicht nur nicht gestört, sondern geradezu gefördert, indem er mehr Denkmöglichkeiten, wie Identifikationen und verifizierte Symbole, erlaubt. So ist die richtige Kombination in Wirklichkeit eine viel höhere Leistung als die bloß wunschgemäße. Die eine ist ein Freudenschießen, bei dem es nur knallen muß; die andere will ein bestimmtes Ziel, und nur dieses, treffen. Wenn nun das autistische Denken im großen und ganzen als eine der Art schädliche Verirrung erscheinen muß, wie konnte eine phylogenetisch so junge Funktion so große Ausdehnung und Macht erreichen, daß das autistische Denken schon bei vielen Kindern nach dem zweiten Jahr einen großen Teil ihrer psychischen Funktionen beherrscht (Spielen, Wachträumen), daß es bei Erwachsenen so leicht in den Vordergrund tritt, daß es fähig ist, Völker und Klassen in grausamem Vernichtungskampf hintereinander zu hetzen, und daß es bei vielen krankhaften Störungen der Realfunktion sofort die ganze Psyche in Besitz nehmen kann? Da ist zunächst hervorzuheben, daß die ganze Tierreihe darauf eingestellt ist, Lust zu suchen und Schmerz abzuwehren, der Lust-

Das autistische Denken. 35 erwerb ist subjektiv geradezu zum Selbstzweck geworden. Das Lustbetonte ist eben im großen und ganzen das dem Individuum oder der Art Nützliche, das Unlustbetonte das Schädliche. Nun kann das Prinzip, auf dem die Existenz der animalischen Wesen und die Organisation ihrer Psyche aufgebaut ist, nicht wohl plötzlich deshalb verlassen werden, weil nun auf einer gewissen Stufe eine Gefahr in der Anwendung eines neuen Prinzips eintritt. Der höhere Organismus muß die Gefahr überwinden oder zugrunde gehen. Es ist auch möglich, daß es schon Hemmungseinrichtungen gibt, die dem ÜlDcrhandnehmen des Autismus entgegengestellt sind, jedenfalls aber schafft das dringende Bedürfnis des Lebens bei allen gesunden Wesen ein gewaltiges Gegengewicht^). Im wesentlichen indessen muß das Genus sich mit der Existenz des Autismus abfinden. Ein gewisser Grad desselben kann leicht ertragen werden, und nur ein Übermaß wird deletär. Nun ist die Abgrenzung zwischen Mäßigkeit und Unmäßigkeit auch hier eine sehr schwierige ; der Autismus wird also auch in seinen deletären Formen nie ganz zu überwinden sein. Auch der intelligenteste Kulturmensch ist nie in allen Fällen imstande, sicher zu erkennen, was reaUstisch gedacht ist, und was Einbildung ist; vieles ist möglich geworden, was zu anderen Zeiten unmöglich schien. Die mäßigen Trinker halten die allgemeine Durchführung der Abstinenz für eine Utopie, die Abstinenten halten die Durchführung einer wirklichen Mäßigkeit für eine Utopie, Unsere Schlüsse entfernen sich eben so weit von dem Material, auf das sie basiert werden, daß Täuschungen alle Augenblicke vorkommen müssen. So ist nicht anzunehmen, daß durch Auslese je dieses schrankenlose neue Feld der affektiven Betätigung ganz verschlossen werde, und zwar um so weniger, als der Autismus auch so, wie er jetzt ist, einen positiven Wert hat. Der antezipierte Lustreiz zwingt zu Überlegung vor einem Unternehmen, zur Vorbereitung auf dasselbe und ^) Ein hübsches Beispiel, wie die Schädlichkeit des Autismus durch die Lebenskraft aufgewogen wird, berichtet Nieuwenhuis (Quer durch Bomeo, Leyden, 1907, Brill, Bd. II, S. 486): Die Taldajaken auf Bomeo stammen von den Bergdajaken ab und haben den Aberglauben ihrer sind aber zima Väter übernommen. Sie Unterschiede von ihren Brüdern im Hochlande durch die Malaria geschwächt. Wenn nun ein ungünstiges Zeichen, z. B. das Erscheinen eines gewissen Vogels, ein Vorhaben als unglücklich bezeichnet, so sind sie um keinen Preis z'i bewegen, den Plan doch auszuführen, was auf Reisen oft zu einer Kalamität wird, während ihre kräftigeren Stammesgenossen durch den gleichen Glauben sich nicht am Handeln hindern lassen. 3*

Das autistische Denken. 35<br />

erwerb ist subjektiv geradezu zum Selbstzweck geworden. Das Lustbetonte<br />

ist eben im großen und ganzen das dem Individuum oder der<br />

Art Nützliche, das Unlustbetonte das Schädliche. Nun kann das Prinzip,<br />

auf dem die Existenz der animalischen Wesen und die Organisation<br />

ihrer Psyche aufgebaut ist, nicht wohl plötzlich deshalb verlassen<br />

werden, weil nun auf einer gewissen Stufe eine Gefahr in der Anwendung<br />

eines neuen Prinzips eintritt. Der höhere Organismus muß die<br />

Gefahr überwinden oder zugrunde gehen. Es ist auch möglich, daß<br />

es schon Hemmungseinrichtungen gibt, die dem ÜlDcrhandnehmen<br />

des Autismus entgegengestellt sind, jedenfalls aber schafft das dringende<br />

Bedürfnis des Lebens bei allen gesunden Wesen ein gewaltiges<br />

Gegengewicht^).<br />

Im wesentlichen indessen muß das Genus sich mit der<br />

Existenz des Autismus abfinden. Ein gewisser Grad desselben kann<br />

leicht ertragen werden, und nur ein Übermaß wird deletär. Nun ist die<br />

Abgrenzung zwischen Mäßigkeit und Unmäßigkeit auch hier eine<br />

sehr schwierige ; der Autismus wird also auch in seinen deletären Formen<br />

nie ganz zu überwinden sein. Auch der intelligenteste Kulturmensch<br />

ist nie in allen Fällen imstande, sicher zu erkennen, was reaUstisch<br />

gedacht ist, und was Einbildung ist; vieles ist möglich geworden, was<br />

zu anderen Zeiten unmöglich schien. Die mäßigen Trinker halten die<br />

allgemeine Durchführung der Abstinenz für eine Utopie, die<br />

Abstinenten<br />

halten die Durchführung einer wirklichen Mäßigkeit für eine Utopie,<br />

Unsere Schlüsse entfernen sich eben so weit von dem Material, auf das<br />

sie basiert werden, daß Täuschungen alle Augenblicke vorkommen<br />

müssen.<br />

So ist nicht anzunehmen, daß durch Auslese je<br />

dieses schrankenlose<br />

neue Feld der affektiven Betätigung ganz verschlossen werde,<br />

und zwar um so weniger, als der Autismus auch so, wie er jetzt ist,<br />

einen positiven Wert hat. Der antezipierte Lustreiz zwingt zu Überlegung<br />

vor einem Unternehmen, zur Vorbereitung auf dasselbe und<br />

^) Ein hübsches Beispiel, wie die Schädlichkeit des Autismus durch die<br />

Lebenskraft aufgewogen wird, berichtet Nieuwenhuis (Quer durch Bomeo,<br />

Leyden, 1907, Brill, Bd. II, S. 486): Die Taldajaken auf Bomeo stammen von<br />

den Bergdajaken ab und haben den Aberglauben ihrer<br />

sind aber zima<br />

Väter übernommen. Sie<br />

Unterschiede von ihren Brüdern im Hochlande durch die Malaria<br />

geschwächt. Wenn nun ein ungünstiges Zeichen, z. B. das Erscheinen eines<br />

gewissen Vogels, ein Vorhaben als unglücklich bezeichnet, so sind sie um keinen<br />

Preis z'i bewegen, den Plan doch auszuführen, was auf Reisen oft zu einer Kalamität<br />

wird, während ihre kräftigeren Stammesgenossen durch den gleichen<br />

Glauben sich nicht am Handeln hindern lassen.<br />

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