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JAHRBUCH - Glowfish

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348 C. G. Jung.<br />

Er rang, wie Adam mit Lilitli,<br />

imi die Macht. Nietzsche sprach dasselbe<br />

auch aus mit sehr schönen Worten^)<br />

,,Man darf vermuten, daß ein Geist, in dem der , Typus freier Geist'<br />

einmal bis zur Vollkommenheit reif und süß werden soll, sein entscheidendes<br />

Ereignis in einer großen Loslösung gehabt hat, daß er vorher umso mehr<br />

em gebundener Geist war und für immer an seine Ecke und Säule gefesselt<br />

schien^). Was bindet am festesten? Welche Stricke sind beinah<br />

mizerreißbarl Bei Menschen einer hohen und ausgesuchten Art werden<br />

es die Pflichten sein: jene Ehrfurcht, wie sie der Jugend eignet,<br />

jene Scheu imd Zartheit vor allem Altverehrten und Würdigen, jene<br />

Dankbarkeit für den Boden, aus dem sie wuchsen, für die Hand,<br />

die sie führte, für das Heiligtum, wo sie anbeten lernten; — ihre<br />

höchsten Augenblicke selbst werden sie am festesten binden,<br />

am dauerndsten verpflichten. Die große Loslösung kommt für solchermaßen<br />

Gebvmdene plötzlich usw."<br />

„Lieber sterben als hier leben" — so Idingt die gebieterische<br />

Stimme und Verführung : und dies .hier', dies ,zu Hause' ist alles, was sie (die<br />

Seele) bis dahin geliebt hatte ! Ein plötzlicher Schrecken und Argwohn gegen<br />

das, w-as sie liebte, ein Blitz von Verachtujig gegen das, was ihr , Pflicht' hieß,<br />

ein aufrührerisches, willkürliches vulkanisch stoßendes Verlangen nach<br />

Wanderschaft, Fremde, Entfremdung, Erkältimg, Ernüchterung,<br />

Vereisung, ein Haß auf die Liebe, vielleicht ein tempelschänderischer<br />

Griff und Blick rückwärts^), dorthin, wo sie bis jetzt anbetete<br />

und liebte, vielleicht eine Glut der Scham über das, was sie eben tat,<br />

und ein Frohlocken zugleich, daß sie es tat, ein trunkenes inneres frohlockendes<br />

Schaudern, in dem sich ein Sieg verrät — ein Sieg? über was?<br />

über wen? ein rätselhafter, fragenreicher, fragwürdiger Sieg, aber der<br />

erste Sieg immerhin: — dergleichen Schlimmes und Schmerzliches gehört<br />

zur Geschichte der großen Loslösung. Sie ist eine Krankheit zugleich,<br />

die den Menschen zerstören kann, dieser erste Ausbruch von<br />

Kraft und Willen zur Selbstbestimmung*)."<br />

') Menschüches, Allzumenschiiclies. Vorrede.<br />

^) Vgl. unten über das Motiv der Fesselung.<br />

') Die sacrilegische Gewalttat des Horus an der Isis, worüber sich Plutarch<br />

(de Is. et Os.) gewaltig entsetzt; er sagt folgendes darüber: ,,Wenn aber<br />

jemand annehmen und behaupten wollte, dies alles sei in bezug auf die glückseiige<br />

und unvergängliche Natur, welcher zumeist entsprechend das Göttliche gedacht<br />

wird, -wirklich geschehen und vorgefallen: dann, um mit Äschylos zu reden, ,,muß<br />

man ausspeien und den Mund sich reinigen". Man kann sich aus diesem Urteile<br />

einen Begiiff ma,chea davon, wie der Gutgesinnte in der antiken Sozietät die christlichen<br />

Anschauungen verachtet haben mag, erstens den gehenkten Gott, dann die<br />

Behandlung der Familie, die ,, Grundfeste" des Staates. Der Psychoanalytiker<br />

wundere sich also nicht. Es war alles schon einmal da.<br />

*) Vgl. oben das vorbildliche Schicksal von Theseus und Peirithoos.

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