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JAHRBUCH - Glowfish

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346 C. Ct. Jung.<br />

kanntlicli die Libido wenig. Für die unbewußten Besetzungen spielt<br />

das Geschleclit des Objektes zunäclist eine überraschend geringe Rolle,<br />

auch das Objekt selber, als ein Objelrtivreales gefaßt, ist wenig bedeutsam,<br />

(Von größter Wichtigkeit ist aber, ob übertragen oder introvertiert<br />

wird.) Die ui-sprüngliclie konkrete Bedeutung von ,, begreifen",<br />

„erfassen" usw. läßt die untere Hälfte des Wunsches, einen gleichgesinnten<br />

Menschen zu finden, klar erkennen. Die ,,obere" intellektuelle<br />

Hälfte aber ist ebenfalls darin enthalten und will mit berücksichtigt<br />

sein. Man wäre auch gern geneigt, an die Tendenz zu glauben, wenn<br />

nicht gerade unsere Kultur damit einen besonderen Unfug triebe:<br />

doch die ,,unverstandene Frau" beinahe schon sprichwörtlich geworden,<br />

was nur die Folge ganz verdrehter Wertungen sein kann. Unsere Kultur<br />

unterschätzt einerseits die Wichtigkeit der Sexualität außerordentlich,<br />

anderseits drängt sich die Sexualität eben gerade infolge der auf ihr<br />

lastenden Verdrängung an allen möglichen ihr nicht zugehörenden<br />

Orten heraus und bedient sich einer dermaßen indirekten Ausdrucksweise,<br />

daß man sie beinahe überall plötzlich anzutreffen erwarten<br />

kann. So wird auch die Vorstellung des intimen Verständnisses einer<br />

menschlichen Seele, was eigentlich etwas sehr Schönes und Reinliches<br />

ist, durch das Hereinfließen der indirekten Sexualbedeutung beschmutzti)<br />

und widerwärtig verzerrt. Diese Nebenbedeutung oder,<br />

besser gesagt, der Mißbrauch, den die verdrängte und weggelogene<br />

Sexualität mit den höchsten seelisclien Funlctionen treibt, ermöglicht<br />

es z. B. gewissen unserer Gegner, in der Psychoanalyse schlüpfrige<br />

Beichtstuhlerotik zu wittern. Das sind subjektive Wunscherfüllungsdelirien,<br />

die keiner Gegenargumentation bedürfen. Dieser Mißbrauch<br />

macht aber auch den Wunsch, ,, begriffen" zu werden, dann höchst<br />

verdächtig, wenn die natürlichen Forderungen des Lebens noch nicht<br />

erfüllt worden sind. Die Natur hat erste Rechte an den Menschen,<br />

lange nachher erst kommt der Verstandesluxus. Das mittelalterliche<br />

Ideal eines Lebens um des Sterbens willen dürfte nachgerade abgelöst<br />

werden durch eine natürlichere Lebensauffassung, in welcher die<br />

natürlichen Forderungen des Menschen voll berücksichtigt sind, so daß<br />

Gelüste der animalischen Sphäre nicht mehr die hohen Güter der<br />

geistigen Sphäre in ihren Dienst herunterziehen müssen, um überhaupt<br />

ist<br />

^) Ein direkter ungezwungener Ausdruck der Sexualität ist ein natürliches<br />

Ereignis und als solches nie unschön oder widerlich. Die ,, sittliche" Verdrängung<br />

macht die Sexualität einerseits schmutzig und heuchlerisch, anderseits frech<br />

und aufdringlich.

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