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JAHRBUCH - Glowfish

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334 C. G. Jung.<br />

kämpft und martert. In ilim selber hat sich Wollen gegen Wollen, Libido<br />

gegen Libido gekehrt — dalier der Dichter sagt: ,,In sich selber eingebolirt",<br />

d. h. vom eigenen Pfeil verwundet. Da wir den Pfeil als ein<br />

Libidosvmbol erkannt haben, so wird uns auch das Bild des ,.Einbolirens"<br />

klar: es ist ein phallischer Akt der Vereinigung mit sich selbst,<br />

eine Art Selbstbefruchtung (Introversion), auch eine Sclbstvergewaltigung,<br />

ein Selbstmord, daher sich Zarathustra als Selbsthenker<br />

bezeichnen bann, wie Odin, der sich selber dem Odin opfert.<br />

Die Verwundung durch den eigenen Pfeil bedeutet also zunächst<br />

einen Introversionszustand. Was dieser zu bedeuten hat, wissen<br />

wir bereits: Die Libido sinkt in ihre „eigene Tiefe" (ein bekanntes<br />

Gleichnis Nietzsches) und findet dort unten in den Schatten des<br />

Unbewußten den Ersatz für die Oberwelt, die sie verlassen hat, nämlich<br />

die Welt der Erinnerungen (,,zwischen hundert Erinnerungen"),<br />

worunter die stärksten und einflußreichsten die frühinfantilen Erinnerungsbilder<br />

sind. Es ist die Welt des Kindes, jener paradiesische Zustand<br />

frühester Kindheit, von dem uns einst ein hartes Gesetz trennte. In<br />

diesem unterirdischen Reich schlummern süße Heiraatgefühle und<br />

die unendlichen Hoffnungen alles Werdenden. Wie Heinricli in der<br />

,, Versunkenen Glocke" von Gerhart Hauptmann von seinem Wunderwerke<br />

sagt:<br />

,,Es singt ein Lied, verloren und vergessen.<br />

Ein Heimatlied, ein KinderHebeslied,<br />

Aus Märchenbrunnentiefen aufgeschöpft.<br />

Gekannt von jedem, dennoch imerhört."<br />

Doch, wie Mephistopheles sagt, „die Gefalir ist groß"i). Diese<br />

Tiefe ist verlockend, sie ist die Mutter und — der Tod. Wenn die Libido<br />

die lichte Oberwelt verläßt,<br />

sei es aus Entschluß des Menschen oder aus<br />

abnehmender Lebenskraft, so sinkt sie in die eigene Tiefe zurück, in<br />

die Quelle, aus der sie einst geflossen, und kehrt zurück zu jener Bruchstelle,<br />

dem Nabel, durch den sie einst in diesen Körper eingetreten ist.<br />

Diese Bruchstelle heißt Mutter, denn aus ihr kam uns die Quelle<br />

der Libido. Darum, wenn irgend ein großes Werk zu tun ist, vor dem<br />

der schwache Mensch, an seiner Kraft verzweifelnd, zurückweicht,<br />

dann strömt seine Libido<br />

zu jenem Quellpunkt zurück — und das ist<br />

jener gefährliche Augenblick, in dem die Entscheidung fällt zwiselien<br />

Vernichtung und neuem Leben. Bleibt die Libido im Wunderroich<br />

^) Faust IL Teil, Mütterszene.

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