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JAHRBUCH - Glowfish

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328 C. G. Jung.<br />

„Sie erhielt nämlich schon im Noviziate als Weilniachtsgeschenk<br />

vom heiligen Christ ein gar sehr peinigendes Htu'zleiden für die ganze Zeit<br />

ihres Ordenslebens. Gott zeigte ihr im Innern den Zweck, es sei für den<br />

Verfall des Ordensgeistes, insbesondere für die Sünden ihrer Mitschwestern.<br />

Was aber dieses Leiden am peinigendsten machte, war ihre Gabe, welche<br />

sie von Jugend auf besessen hatte, nämlich das innere Wesen der Menschen<br />

nach seiner Wahrheit vor Augen zu sehen. Das Herzleiden empfand sie<br />

körperlich, als werde ihr Herz beständig von Pfeilen durchbohrt^).<br />

Diese Pfeile — imd das war das noch schhmmerc geistige Leiden — erkannte<br />

sie aus der Nähe als die Gedanken, Pläne, geheimen Reden von<br />

Mißdeutungen, Verleumdungen, Lieblosigkeiten, worin ihre Mitschwestern<br />

ganz grund- und gewissenlos gegen sie und ihren gottesfürchtigen Wandel<br />

begriffen waren."<br />

Es ist schwer, eine Heilige zu sein, denn eine derartige Vergewaltigung<br />

erträgt auch die geduldige und langmütige Natur nur sehr<br />

schlecht und verteidigt sich auf ihre Art. Das Gegenstück zur Heiligkeit<br />

sind die Versuchungen, ohne die doch kein rechter Heiliger leben kann.<br />

Wir wissen aus psyclioanalytischer Erfahrung, daß diese Versuchungen<br />

auch unbeAvußt verlaufen können, so daß nur Äquivalente davon in<br />

Form von Symptomen dem Bewußtsein zugeführt werden. Wir wissen<br />

es schon sprichwörtlich, daß Herz und Schmerz sich reimen. Es ist eine<br />

längst bekannte Tatsache, daß die Hysterie an Stelle eines seelischen<br />

Schmerzes einen körperlichen setzt. Das hat der Biograph der Emmerich<br />

ganz richtig aufgefaßt. Nur ist ihre Deutung der Schmerzen wie gewöhnlich<br />

eine projizierte:<br />

Es sind immer die andern, welche heimlich<br />

allerhand Übles von ihr behaupten und dies macht ihr angeblich die<br />

Schmerzen^). Die Sache liegt aber etwas anders: Der ganze schwere<br />

Verzicht auf alle<br />

Freuden des Lebens, dieses Absterben vor der Blüte,<br />

ist das Schmerzliafte im allgemeinen, und im besondern sind es die unerfüllten<br />

Wünsche and die Versuche der animalischen Natur, die Macht<br />

der Verdrängung zu durchbrechen. Natürlich spielt das Herumklatschen<br />

und Sticheln der Mitschwestern liebevoll und ausgerechnet immer<br />

auf diese peinlichsten Dinge an, so daß es der Heiligen erscheinen mußte,<br />

als kämen ihre Beschwerden davon her. Sie konnte natürlich nicht wissen,<br />

daß das Gerücht gern die<br />

ein geschiclrter<br />

Eolle des Unbewußten übernimmt, das wie<br />

Gegner immer auf die tatsächlichen, selber schmerzlich<br />

empfundenen Lücken unseres Panzers zielt.<br />

^) Das Herz der Gottesmutter ist von einem Schwert durchbohrt.<br />

-) Entsprechend dem Bilde im Psalm 11, 2: ,,Denn siehe, die Gottlosen<br />

spannen den Bogen und legen ihre Pfeile auf die Sehnen, damit heimlich zu schießi ii<br />

die Frommen."

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