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JAHRBUCH - Glowfish

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30 E. Bleuler.<br />

reagiert aber, sogar ohne Worte zu verstehen, schon auf den Affektausdruck<br />

eines andern, und sein eigener Affekt weist ihm ohne Überlegung<br />

und ohne Erfahrung, daß man der Liebe Liebe, der Drohung<br />

Trotz oder ängstliche Unterwerfung entgegenstellt, und er bringt<br />

automatisch nicht nur angeborene Eeaktionen in Funktion (schmeicheln,<br />

hauen usw.), sondern ordnet auch das geringe Vorstellungsmaterial,<br />

das bis jetzt erworben werden konnte, entsprechend seinen Zielen.<br />

Rosegge r gibt^)<br />

von seinem vierjährigen Mädchen folgendes hübsche<br />

Beispiel: ,,Ich fühle mich heute so müde und weiß nicht warum," sagte<br />

ich zur Mutter. Redete das Gretchen dazwischen: ,,Bist schon groß,<br />

Vater, und weißt es nicht? Große Leute wissen doch alles." ,, Kleiner<br />

Naseweis!" versetzte ich, ,,mehr weiß ich schon wie du." ,,Wir wollen<br />

sehen," antwortete das Kind. „Ich will dich fragen. Sage mir einmal,<br />

Vater, warum das Bild einen Rahmen hat?" „Weil der Rahmen zum<br />

Bilde gehört," war meine Antwort, von der es auch befriedigt schien.<br />

Dann blickte es auf einen Blumenstrauß, der vor dem Spiegel stand, und<br />

fragte: ,,Ist der Gott auch in den Blumen?" ,,Ja freilich, mein Kind."<br />

„Warum ist der Gott auch in den Blumen?" „Weil er überall ist." „Ist<br />

der Gott auch in den Blumen, die im Spiegel sind?" fragt die Kleine.<br />

Ich fürchte, ihr glaubt mir nicht, aber ich versichere, daß das vierjährige<br />

Kind aus sich selbst und ganz in dieser Reihenfolge die Fragen stellte und<br />

mit der letzten, die einem Philosophen alle Ehre gemacht hätte, mich<br />

in die Enge trieb. Wenn Gott überall ist, so sollte ich nun sagen, ob er<br />

auch in den Blumen wäre, die gar nicht sind, sondern sich nur spiegeln!<br />

Ein helles Auflachen von mir und meinem Weibe war die Antwort. Das<br />

Mädel schaute verblüfft drein: was es denn da zu lachen gäbe? Es wollte<br />

mich ja auf meine gerühmte Weisheit prüfen. ,,Also weißt du mehr als<br />

ich, Vater?" ,,Ja, ich weiß, daß du ein loser Schnabel bist." Einen Augenbhck<br />

besann es sich, ob es den Schnabel auf^sich sitzen lassen könne, denn<br />

Gretel ist in bezug auf ehrenrührige Bezeichnungen empfindlich: ,, Schnabel<br />

ist keine Schande," sagte sie endlich, ,,die lieben Vögelein haben auch<br />

Schnäbel."<br />

Eine solche Affektreaktion ist auch das Lügen ganz kleiner Kinder.<br />

Es gibt sonderbarerweise Erzieher, die sich über derartige Vorkommnisse<br />

nicht nur moralisch entrüsten, sondern j^ich<br />

auch verwundern, wie die<br />

einfache kindliche Seele so etwas zustande bringe. Wenn aber das<br />

Kind gefragt wird, ob es den Apfel ^genommen habe, und es weiß, daß<br />

es Prügel bekommt, wenn es ja sagt, aber keine, wenn es nein sagt,<br />

so gibt es darauf zwei Reaktionsformen, Die eine ist die Überlegung,<br />

daß es den Apfel gegessen habe, und daß es notwendig sei, dies zu sagen,<br />

die andere ist die einfache affektive Reaktion, daß man etwas Un-<br />

^) „Das Buch von den Kleinen", Leipzig, 1911, Staackmaim, S. 107.

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