JAHRBUCH - Glowfish

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26 E. Bleuler. durch Kranklieitsprozesse in den Vordergrund gehoben werden kann, nehmen französische Psychologen unter der Führung von Janet an, die Realfunktion sei die höchste, die komplizierteste^). Eine klare Stellung nimmt in dieser Beziehung aber nur Freud ein. Er sagt es direkt heraus, daß in der Entwicklungsreihe seine Lustmechanismen das Primäre seien. Er kann sich den Fall denken, daß der Säugling, dessen reale Bedürfnisse ohne sein Zutun ganz von der Mutter befriedigt werden, und das sich entwickelnde Hühnchen im Ei, das durch die Schale von der Außenwelt abgeschlossen ist, noch autistisch leben. Der Säughng ,, halluziniert" wahrscheinhch die Erfüllung seiner inneren Bedürfnisse, verrät seine Unlust bei steigendem Reiz und ausbleibender Befriedigung durch die motorische Abfuhr des Schreiens und Zappeins und erlebt darauf die halluzinierte Befriedigung. Dem kann ich nicht folgen. Ich sehe keine halluzinierte Befriedigung des Säuglings, sondern nur eine nach wirklicher Nahrungsaufnahme^), und ich muß konstatieren, daß das Hühnchen im Ei nicht mit Vorstellungen von Essen, sondern mit physikalisch und chemisch greifbarer Nahrung sich emporbringt. Ich sehe auch beim etwas älteren Kinde nicht, daß es einen eingebildeten Apfel über einen wirklichen stellen würde; der Imbezille und der Wilde sind währschafte Realpolitiker und der letztere macht seine autistischen Dummheiten, genau wie wir an der Spitze der Denkfähigkeit stehenden Menschen, nur da, wo sein Verstand und seine Erfahrung nicht hinreicht: in seinen Ideen über den Kosmos, die Naturerscheinungen, in der Auffassung von Krankheiten und anderen Schicksalsschlägen und deren Abwehr, und in sonstigen, für ihn zu komplizierten Zusammenhängen. Beim Imbezillen ist das autistische Denken vereinfacht, ganz wie das rea- ^) Man spricht in Frankreich auch von einem „sens de la realite", womit in erster Linie das Unterscheidungsvermögen von Wirklichkeit und Einbildung gemeint wird. Das ist in der Hauptsache etwas ganz anderes, aber es hat natürlich seine Beziehungen insofern zum Autismus, als der extrem Autistische, z. B. der Schizoplirene, der hysterisch Dämmerige, seine autistischen Gebilde für Wirklichkeit hält, und daß namentlich beim Schizophrenen der Begriff der Realität so verschoben wird, daß man sich wohl gar nicht fragen kami, ob ein solcher Ki-anker etwas für im Sinne des Gesunden wirklich hält. ^) Das Neugeborene reagiert in allen seinen Bestrebungen auf die Realität mid im Sinne derselben; wenn der Saugreflex bei Kontakt des Mundes mit einem andern Gegenstand als der Mamilla auch in Funktion tritt, so ist das gewiß nur einem geringen Unterscheidungsvermögen (ob bewußt, oder unbewußt, lasse ich dahingestellt) zuzuschreiben, wie es in analoger Weise allen Reflexen zukommt und für deren Aufgaben praktisch genügt.

Das autistische Denken. 27 listische. Ich kann nirgends ein lebensfähiges Geschöpf finden oder nur mir denken, das nicht in erster Linie auf die Wirklichkeit reagierte, das nicht handelte, ganz gleichgültig, wie tief es stehe; und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß von einer gewissen Einfachheit der Organisation an nach unten hin autistische Funktionen vorhanden sein können. Dazu gehören komplizierte Erinnerungsmöglichkeiten. So kennt die Tierpsychologie (außer einigen wenigen Beobachtungen an höchststehenden Tieren) nur die Realfunktion. Der Widerspruch läßt sich indes leicht lösen: Die autistische Funktion ist nicht so primitiv wie die einfachen Formen der Realfunktiou, aber — in gewissem Sinne — primitiver als die höchsten Formen der letzteren, wie wir sie beim Menschen entwickelt finden. Niedere Tiere besitzen nur die Realfunktion; es gibt aber kein Wesen, das ausschließlich autistisch denkt. Von einer gewissen Entwicklungsstufe an tritt die autistische Funktion zu der realistischen und entwickelt sich von nun an mit ihr. Wir können in der phylogenetischen Entwicklung einige Etappen herausheben, wenn diese auch, wie selbstverständlich, keine eigentlichen Grenzen gegeneinander haben. I. Das Erfassen einer einfachen äußeren Situation und das Danachhandeln : Nahrung ergreifen, einen Feind fliehen oder angreifen und dergl. Es handelt sich also hier um nicht viel anderes als Reflexe, die bis zu einer gewissen Differenziertheit und Kompliziertheit gehen können. Gefühle der Lust und Unlust werden sie begleiten, jedenfalls aber kommt hier der Affektivität keine besondere Rolle zu; sie ist nur die mit dem speziellen Vorgang (Nahrung erfassen, Flucht) untrennbar verbundene Veränderung des Allgemeinzustandes i). IL Es werden Erinnerungsbilder geschaffen und bei späteren Funktionen benutzt, aber nur im AnschluJß an äußere Reize, bei der Ausübung reahstischer Funktionen. Ein selbständiges Denken, einzig in Erinnerungsbildern, ist zunächst wohl ausgeschlossen. Die entwickeltsten Erinnermigsbilder, die wir auf früheren Stufen kennen, sind wohl die der örtlichen Orientierung dienenden; es ist aber nicht anzunehmen, daß sie vereinzelt bleiben. Hier ist nun bereits die Möglichkeit gegeben, daß allfällige an die Erinnenmgen geknüpfte Affekte auf die Auswahl der zu ekphorierenden Engramme einen gewissen Einfluß ausüben. Die Ameise mvd den Weg 1) Bleuler, Affektivität. Marhold, Halle.

Das autistische Denken. 27<br />

listische.<br />

Ich kann nirgends ein lebensfähiges Geschöpf finden oder nur<br />

mir denken, das nicht in erster Linie auf die Wirklichkeit reagierte, das<br />

nicht handelte, ganz gleichgültig, wie tief es stehe; und ich kann mir auch<br />

nicht vorstellen,<br />

daß von einer gewissen Einfachheit der Organisation<br />

an nach unten hin autistische Funktionen vorhanden sein können.<br />

Dazu gehören komplizierte Erinnerungsmöglichkeiten. So kennt die<br />

Tierpsychologie (außer einigen wenigen Beobachtungen an höchststehenden<br />

Tieren)<br />

nur die Realfunktion.<br />

Der Widerspruch läßt sich indes leicht lösen: Die autistische<br />

Funktion ist nicht so primitiv wie die einfachen Formen<br />

der Realfunktiou, aber — in gewissem Sinne — primitiver<br />

als die höchsten Formen der letzteren, wie wir sie beim<br />

Menschen entwickelt finden. Niedere Tiere besitzen nur die<br />

Realfunktion; es gibt aber kein Wesen, das ausschließlich autistisch<br />

denkt. Von einer gewissen Entwicklungsstufe an tritt die autistische<br />

Funktion zu der realistischen und entwickelt sich von nun an mit ihr.<br />

Wir können in der phylogenetischen Entwicklung einige Etappen<br />

herausheben, wenn diese auch, wie selbstverständlich, keine eigentlichen<br />

Grenzen gegeneinander haben.<br />

I. Das Erfassen einer einfachen äußeren Situation und das Danachhandeln<br />

:<br />

Nahrung ergreifen, einen Feind fliehen oder angreifen und dergl.<br />

Es handelt sich also hier um nicht viel anderes als Reflexe, die bis zu einer<br />

gewissen Differenziertheit und Kompliziertheit gehen können. Gefühle<br />

der Lust und Unlust werden sie<br />

begleiten, jedenfalls aber kommt hier<br />

der Affektivität keine besondere Rolle zu; sie ist nur die mit dem<br />

speziellen Vorgang (Nahrung erfassen, Flucht) untrennbar verbundene<br />

Veränderung des Allgemeinzustandes i).<br />

IL Es werden Erinnerungsbilder geschaffen und bei späteren<br />

Funktionen benutzt, aber nur im AnschluJß an äußere Reize, bei der<br />

Ausübung reahstischer Funktionen. Ein selbständiges Denken, einzig<br />

in Erinnerungsbildern, ist zunächst wohl ausgeschlossen. Die entwickeltsten<br />

Erinnermigsbilder, die wir auf früheren Stufen kennen, sind wohl<br />

die der örtlichen Orientierung dienenden; es ist aber nicht anzunehmen,<br />

daß sie vereinzelt bleiben.<br />

Hier ist nun bereits die Möglichkeit gegeben, daß allfällige an die<br />

Erinnenmgen geknüpfte Affekte auf die Auswahl der zu ekphorierenden<br />

Engramme einen gewissen Einfluß ausüben. Die Ameise mvd den Weg<br />

1) Bleuler, Affektivität. Marhold, Halle.

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