JAHRBUCH - Glowfish

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278 C. G. Juug. die germanischen Hängeopfer, die ganze Reihe der gehängten Götter belehren uns, daß das Hängen Cliristi am Kreuzesbaum nicht etwas Einmaliges in der religiösen Mythologie ist, sondern indenselbenVorstellungskreiswie die übrigen hineingehört. In dieser An schauungsweit ist das Kreuz Christi der Lebensbaum und zugleich das Todesholz. Dieser Gegensatz ist nicht erstaunlicli. So wie man legendär die Abstammung des Menschen aus Bäumen behauptete, so bestanden auch Bestattungsgebräuche, wonach man die Menschen in hohlen Bäumen bestattete, daher die deutsche Sprache bis jetzt den Ausdruck ,,Totenbaum" für Sarg aufbewahrte. Wenn wir nicht vergessen wollen, daß der Baum ein überwiegendes Mutters3Tnbol ist, so kann uns der mythische Sinn dieser Bestattungsweise keineswsgs unverständlich sein. Der Tote wird der Mutter übergeben zur Wiedergeburt. Wir treffen dieses Symbol in der von Plutarch^) überlieferten Osirismythe, die überhaupt in verschiedenen Hinsichten vorbildlich ist. Rhea ist mit Osiris schwanger, zu gleicher Zeit auch mit Isis ; Osiris und Isis begatten sich schon im Mutterleib. (Motivder „Nachtmeerfahrt" mit Inzest.) Ihr Sohn ist Arueris, später Horus genannt. Von Isis heißt es, sie sei im ,,ganz Feuchten" geboren {terdQrrj öerrjv^Ioiv ev jiavvyQoig ysveo'&ai); von Osiris heißt es, ein gewisser Pamyles in Theben habe beim Wasserschöpfen eine Stimme aus dem Zeustempel gehört, die ihm befahl, zu verkündigen, daß der jueyag ßaodevg €VEQyht]g "OoiQig geboren sei. Diesem Pamyles zu Ehren wurden die Pamylien gefeiert, die den Phallophorien ähnlich seien. Pamyles ist also, ähnlich wie der ursprüngliche Dionysos, ein phallischer Dämon: der Mythus heißt also reduziert: Osiris und Isis werden vom Phallus aus dem Wasser = Mutterleib gezeugt, also auf ganz gewöhnliche Weise. (Kronos hat die Rhea geschwängert, die Beziehung war heimlich, und Rhea seine Schwester. Helios aber beobachtete sie und verfluchte ihre Vermischung.) Osiris Avird durch den Unterweltgott Typhon listigerweise durch Einschließen in eine Lade getötet; diese wurde auf dem Nil ausgesetzt und so ins Meer hinaus gesandt. Osiris aber begattet sich in der Unterwelt mit seiner zweiten Schwester Nephthys (Motiv der Nachtmeerfahrt mit Inzest). Man sieht, wie hier die Symbolik entwickelt ist: Im Mutterleib vor dem extrauterinen Dasein begeht Osiris den Inzest, im Tode, dem zweiten intrauterinen Dasein, begeht Osiris wieder Inzest. Beide Male mit einer Schwester, die einfach für die Mutter eingesetzt ist als legales, 1) De Isid. et Osir.

Wandlungen und Symbole der Libido. 279 unzensuriertes Symbol, da die Schwesterehe im frühen Altertum nicht nur bloß geduldet, sondern eigentlich vornehm war. Zarathustra empfahl sogar die Verwandtenehe. Diese Mythenform wäre also heutzutage unmöglich, da Kohabitation mit der Schwester als inzestuös der Verdrängung unterläge. Der böse Typhon lockt mit List Osiris in die Lade oder Kiste: Diese Verdrehung des wirklichen Tatbestandes ist durchsichtig: Das anfänglich ,,Böse" im Menschen will wieder in die Mutter zurück, d. h. die vom Gesetz verdammte inzestuöse Sehnsucht nach der Mutter ist die angeblich von Typhon erfundene List. Sehr bezeichnend ist es eine List: durch eine List will sich der Mensch wieder irgendwie zur Wiedergeburt hindurchbetrügen, um von neuem Kind zu werden. Ein früherer ägyptischer Hymnus^) erhebt sogar eine Anklage gegen die Mutter Isis, daß sie den Sonnengott Re mit Verrat fälle: es wird der Mutter als böser Wille ausgelegt, daß sie den Sohn ausgestoßen und verraten habe. Der Hymnus beschreibt, wie Isis eine Schlange formte, sie auf den Weg des Re legte und wie diese Schlange den Sonnengott mit giftigem Bisse verwundete, von welcher Wunde er nie mehr genas, so daß er sich schließlich auf den Rücken der Himmelskuh zurückziehen mußte. Die Kuh aber ist die kuhköpfige Göttin, wie Osiris der Apis. Die Mutter wird angeklagt, wie wenn sie die Ursache wäre, daß man sich zur Mutter flüchten müsse, um von der Wunde zu genesen, die einem die Mutter geschlagen hat, dadurch daß der Inzest verboten wurde^) und man abgeschnitten wurde von der hoffnungsvollen Sicherheit der Kindheit und frülien Jugend, von all dem unbewußt triebhaften Geschehen, welches das Kind leben läßt als ein seiner selbst nicht bewußtes Anhängsel der Eltern. Es muß darin viel gefühlliafte Erinnerung an das Tierzeitalter liegen, wo es noch kein ,,Du sollst" und ,,Du darfst" gab, sondern alles nur einfaches Geschehen war. Noch scheint dem Menschen eine tiefe Erbitterung innezuwohnen, daß ihn einstmals ein brutales Gesetz vom triebartigen Gewährenlassen 1) Erman: Ägypten, S. 360 f. -) Ich muß auch hier wieder daran erinnern, daß ich mit dem Worte Inzest mehr Bedeutung verbinde, als dem Terminus eigentlich zukäme. Wie Libido das Vorwärtsstrebende ist, so ist etwa der Inzest das in die Kindheit Rückstrebende. Für das Kind heißt es noch nicht Inzest; nur für den Erwachsenen, der eine vollausgebildete Sexualität besitzt, wird dieses Rückstreben zum Inzest, indem er kein Kind mehr ist, sondern eine Sexualität besitzt, die eigentlich keine regredierende Apphkation mehr erträgt.

Wandlungen und Symbole der Libido. 279<br />

unzensuriertes Symbol, da die<br />

Schwesterehe im frühen Altertum nicht<br />

nur bloß geduldet, sondern eigentlich vornehm war. Zarathustra empfahl<br />

sogar die Verwandtenehe. Diese Mythenform wäre also heutzutage<br />

unmöglich, da Kohabitation mit der Schwester als<br />

inzestuös der Verdrängung<br />

unterläge.<br />

Der böse Typhon lockt mit List Osiris in die Lade oder Kiste:<br />

Diese Verdrehung des wirklichen Tatbestandes ist durchsichtig: Das<br />

anfänglich ,,Böse" im Menschen will wieder in die Mutter zurück, d. h.<br />

die vom Gesetz verdammte inzestuöse Sehnsucht nach der Mutter<br />

ist die angeblich von Typhon erfundene List. Sehr bezeichnend ist es<br />

eine List: durch eine List will sich<br />

der Mensch wieder irgendwie zur<br />

Wiedergeburt hindurchbetrügen, um von neuem Kind zu werden.<br />

Ein früherer ägyptischer Hymnus^) erhebt sogar eine Anklage gegen<br />

die Mutter Isis, daß sie den Sonnengott Re mit Verrat fälle: es wird<br />

der Mutter als böser Wille ausgelegt, daß sie den Sohn ausgestoßen<br />

und verraten habe. Der Hymnus beschreibt, wie Isis eine Schlange<br />

formte, sie auf den Weg des Re legte und wie diese Schlange den<br />

Sonnengott mit giftigem Bisse verwundete, von welcher Wunde er nie<br />

mehr genas, so daß er sich schließlich auf den Rücken der Himmelskuh<br />

zurückziehen mußte. Die Kuh aber ist die kuhköpfige Göttin, wie<br />

Osiris der Apis. Die Mutter wird angeklagt, wie wenn sie die Ursache<br />

wäre, daß man sich zur Mutter flüchten müsse, um von der Wunde<br />

zu genesen, die einem die Mutter geschlagen hat, dadurch daß der Inzest<br />

verboten wurde^) und man abgeschnitten wurde von der hoffnungsvollen<br />

Sicherheit der Kindheit und frülien Jugend, von all dem unbewußt<br />

triebhaften Geschehen, welches das Kind leben läßt als ein seiner selbst<br />

nicht bewußtes Anhängsel der Eltern. Es muß darin viel gefühlliafte<br />

Erinnerung an das Tierzeitalter liegen, wo es noch kein ,,Du sollst"<br />

und ,,Du darfst" gab, sondern alles nur einfaches Geschehen war.<br />

Noch scheint dem Menschen eine tiefe Erbitterung innezuwohnen,<br />

daß ihn einstmals ein brutales Gesetz vom triebartigen Gewährenlassen<br />

1) Erman: Ägypten, S. 360 f.<br />

-) Ich muß auch hier wieder daran erinnern, daß ich mit dem Worte Inzest<br />

mehr Bedeutung verbinde, als dem Terminus eigentlich zukäme. Wie Libido<br />

das Vorwärtsstrebende ist, so ist etwa der Inzest das in die Kindheit Rückstrebende.<br />

Für das Kind heißt es noch nicht Inzest; nur für den Erwachsenen, der eine<br />

vollausgebildete Sexualität besitzt, wird dieses Rückstreben zum Inzest, indem<br />

er kein Kind mehr ist, sondern eine Sexualität besitzt, die eigentlich keine regredierende<br />

Apphkation mehr erträgt.

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