JAHRBUCH - Glowfish
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268 C. G. JunR o" Einen Erfolg aber haben sie, und das ist die Übung der Phantasie, welche allmälich eben durch die Schaffung von phantastischen Möglichkeiten Bahnen herstellt, auf denen die Libido sich betätigend, abfließen kann. So wird die Libido auf unmerkliche Weise geistig. Die Kraft, ,,die stets das Böse will", schafft so geistiges Leben. Daher in den Religionen dieser Weg nunmehr zum System erhoben ist. Es ist darum überaus lehrreich, zu sehen, wie die Religion sich bemüht, dieses symbolische Übersetzen zu fördern^). Ein treffliches Beispiel in dieser Hinsicht gibt uns das Neue Testament: Im Gespräch über die Wiedergebiirt kann sich Nikodemus^) nicht enthalten, die sehr real aufzufassen: Sache ,,Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er ein Greis ist? Kann er denn in den Leib seiner Mutter zum zweitenmal eingehen und geboren werden?" Jesus strebt aber danach, die sinnliche Anschauung des in materialistischer Schwere dämmernden Geistes des Nikodemus läuternd zu erheben und verkündet ihm — im Grunde genommen das Gleiche — und doch nicht das Gleiche: ,, Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wenn einer nicht geboren wird aus Wasser imd Geist, so kann er nicht in das Reich des Himmels eingehen. Was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist. Wundere dich nicht, daß ich dir gesagt habe: ihr müßt von oben her geboren werden. Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht; so ist es mit jedem, der da aus dem Geiste geboren ist." Aus dem Wasser geboren sein heißt immer nur : aus dem Mutterleib geboren sein. Vom Geist: heißt vom befruchtenden Windhauch; 1) Muther (Geschichte der Malerei, Bd. II) sagt im Kapitel Die ersten spanischen Klassiker: ,,Tieck schreibt einmal: ,WoIlust ist das große Geheimnis unseres Wesens. Sinnlichkeit ist das erste bewegende Rad in unserer Maschine. Sie wälzt unser Dasein von der Stelle und macht es froh und lebendig. Alles, was wir als schön und edel träumen, greift hier hinein. Sinnlichkeit und Wollust Bind der Geist der Musik, der Malerei und aller Künste. Alle Wünsche der Menschen fliegen um diesen Pol, wie Mücken um das brennende Licht. Schönheitssinn und Kunstgefühl sind nur andere Dialekte und Aussprachen. Sie bezeichnen nichts weiter als den Trieb des Menschen zur Wollust. Ich halte selbst die Andacht für einen abgeleiteten Kanal des Sinnentriebes.' Hier ist ausgesprochen, was man bei der Beurteilung der alten Kirchenkunst niemals vergessen darf: das Streben, die Grenzen zwischen irdischer und himmlischer Liebe zu verwischen, die eine unmerklich in die andere überzuleiten, ist jederzeit der leitende Gedanke, das stärkste Agitationsmittel der katholischen Kirche gewesen." ^) Joh. 'S, 3 ff.
Wandlangen und Sj-mbole der Libido. 269 darüber belelirt uns auch der griechische Test, wo Geist und Wind durch dasselbe Wort rtvevua gegeben sind: tö yeytrrt]uiyov hc Tfjg rKiQxiy; odo^ Icntv. xal ro '/eyernjuevor hi xov nvivuaio^ nrevuä iorir. — Tb nvtvua otiov diJLU :tvh usw. Diese Symbolik wird vom gleichen Bedürfnis getragen wie die ägvptische Legende vom Geier, dem Muttersymbol, daß er nur weiblich sei und vom Winde befruchtet werde. Man erkennt als Grundlage dieser mythologischen Behauptungen ganz klar die ethische Forderung: Du sollst von der Mutter sagen, sie werde nicht von einem Manne auf gewöhnliche, sondern von einem Hauchwesen auf ungewöhnliche Art befruchtet.Diese Forderung steht in einem strikten Gegensatz zur realen Wahrheit, daher der Mythus ein passender Ausweg ist: man sagt: es sei ein Heros gewesen, der gestorben und auf eine merkwürdige Weise wieder geboren sei und so die Unsterblichkeit erlangt habe. Das Bedürfnis, das diese Forderung aufstellt, ist offenkundig ein Verbot gegen eine bestimmte Phantasie über die Mutter: ein Sohn darf natürlich denken, daß ein Vater ihn auf fleischlichem Weg erzeugt habe, nicht aber, daß er selber die Mutter befruchte und so. sich selber gleich, zu neuer Jugend wieder gebären lasse. Diese inzestuöse Phantasie, die aus irgend welchen Gründen eine ungemeine Stärke besitzt^) und daher als gebieterischer Wunsch auftritt, wird verdrängt und im Bewußtsein durch die obige Forderung, sich (unter gewissen Bedingungen) über das GJeburtsj»oblem svmbolisch auszudrücken, nämlich immer dann, wenn es die eigene Wiedergeburt aus der Mutter betrifft. In der Aufforderung Jesu an Nikodemus erkennen wir klar diese Tendenz: „denke nicht fleischlich, sonst bist du Fleisch, sondern denke symboUscn. dann bist du Geist". Es ist evident, wie ungemein erzieherisch und wie fördernd dieser Zwang zum Symbolischen sein kann: Xikodemus bliebe in platter Alltäglichkeit stecken, wenn es ihm nicht gelänge, symbolisch sich über seinen verdrängten Inzestwunsch zu erheben. Als ein richtiger Büdungsphüister spürt er wahrscheinlich auch kein zu großes Verlangen nach dieser Anstrengung, denn die Menschen scheinen sich im wesentlichen damit zu begnügen, die inzestuöse Libido zu verdrängen und im besten Falle durch einige bescheidene Religions- 1) Wir wolien hier die Gründe für die Stärke dieser Phantasie nicht dx?^kntieren. Es scheint mir aber nicht schwierig zu sein, nachzufühlen, was für >D.:hte hinter der obieen Formel stecken.
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Wandlangen und Sj-mbole der Libido. 269<br />
darüber belelirt uns auch der griechische Test, wo Geist und Wind<br />
durch dasselbe Wort rtvevua gegeben sind: tö yeytrrt]uiyov hc Tfjg<br />
rKiQxiy; odo^ Icntv. xal ro '/eyernjuevor hi xov nvivuaio^ nrevuä iorir. —<br />
Tb nvtvua otiov diJLU :tvh usw.<br />
Diese Symbolik wird vom gleichen Bedürfnis getragen wie<br />
die ägvptische Legende vom Geier, dem Muttersymbol, daß er nur<br />
weiblich sei und vom Winde befruchtet werde. Man erkennt als<br />
Grundlage dieser mythologischen Behauptungen ganz klar die ethische<br />
Forderung: Du sollst von der Mutter sagen, sie werde nicht<br />
von einem Manne auf gewöhnliche, sondern von einem<br />
Hauchwesen auf ungewöhnliche Art befruchtet.Diese Forderung<br />
steht in einem strikten Gegensatz zur realen Wahrheit, daher der Mythus<br />
ein passender Ausweg ist: man sagt: es sei<br />
ein Heros gewesen, der gestorben<br />
und auf eine merkwürdige Weise wieder geboren sei und so<br />
die Unsterblichkeit erlangt habe. Das Bedürfnis, das diese Forderung<br />
aufstellt, ist offenkundig ein Verbot gegen eine bestimmte Phantasie<br />
über die Mutter: ein Sohn darf natürlich denken, daß ein Vater ihn<br />
auf fleischlichem Weg erzeugt habe, nicht aber, daß er selber<br />
die Mutter befruchte und so. sich selber gleich, zu neuer<br />
Jugend wieder gebären lasse. Diese inzestuöse Phantasie, die<br />
aus irgend welchen Gründen eine ungemeine Stärke besitzt^) und daher<br />
als gebieterischer Wunsch auftritt, wird verdrängt und im Bewußtsein<br />
durch die obige Forderung, sich (unter gewissen Bedingungen) über<br />
das GJeburtsj»oblem svmbolisch auszudrücken, nämlich immer dann,<br />
wenn es die eigene Wiedergeburt aus der Mutter betrifft. In der Aufforderung<br />
Jesu an Nikodemus erkennen wir klar diese Tendenz:<br />
„denke nicht fleischlich, sonst bist du Fleisch, sondern denke symboUscn.<br />
dann bist du Geist". Es ist evident, wie ungemein erzieherisch und<br />
wie fördernd dieser Zwang zum Symbolischen sein kann: Xikodemus<br />
bliebe in platter Alltäglichkeit stecken, wenn es ihm nicht gelänge,<br />
symbolisch sich über seinen verdrängten Inzestwunsch zu erheben.<br />
Als ein richtiger Büdungsphüister spürt er wahrscheinlich auch kein<br />
zu großes Verlangen nach dieser Anstrengung, denn die Menschen scheinen<br />
sich im wesentlichen damit zu begnügen, die inzestuöse Libido<br />
zu verdrängen und im besten Falle durch einige bescheidene Religions-<br />
1) Wir wolien hier die Gründe für die Stärke dieser Phantasie nicht dx?^kntieren.<br />
Es scheint mir aber nicht schwierig zu sein, nachzufühlen, was für<br />
>D.:hte hinter der obieen Formel stecken.