JAHRBUCH - Glowfish
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24 E. Bleuler. lichkeit ergeben und sich zum Verfolgungswahn verhalten, wie die pathologische Euphorie und Depression zum Größen- und Kleinheitswahne. Aber auch der ganz Autistische, der seine Wünsche erfüllt sieht und z. B, halluzinatorisch mit seiner Gehebten verkehrt, kann sich dabei nur selten ganz befriedigt fühlen. Um genießen zu können, bedarf man nicht nur der wirklichen oder halluzinatorischen angenehmen Sinnesreize, sondern auch einer genügenden euphorischen Stimmung oder der Fähigkeit, angenehme Reaktionen zu bilden. Es scheint nun, daß der Prozeß der Dementia praecox an sich die Bildung solcher positiven Gefühlstöne oft erschwere, sonst müßten die „Lustmechanismen" viel häufiger zur Ekstase oder sonst zu einem ganz hohen Glücksgefühl führen, wenn man auch zugeben muß, daß eben auch eine gewisse schöpferische Fähigkeit dazu gehört, sich ein vollkommenes halluzinatorisches Paradies zu schaffen; diese Fähigkeit kann nicht jeder besitzen, der schizophren wird. Auch die körperhchen Bedürfnisse und Hinfälhgkeiten müssen oft dem autistischen Glück im Wege stehen. Es wird ja nicht möghch sein, sich dieselben auf die Dauer autistisch vom Halse zu schaffen, wenigstens sehen wir im Traume den Hunger oder das Bedürfnis zu urinieren, sich immer wieder melden, nachdem sie halluzinatorisch befriedigt worden sind, und die beste Suggestion wird einen dauernden, organisch bedingten Schmerz nur temporär beseitigen. Aber auch das restlose Erreichen ersehnter Ziele macht selten glücklich. Schon in der Wirklichkeit verhält es sich so. Wer sich als Höchstes dachte, 100.000 Mark zu erwerben, ist nur ganz ausnahmsweise zufrieden, wenn er das erreicht hat, und das erträumte Glück kann das Geld überhaupt nicht bringen. Die Ehe oder der als Ideal ersehnte Gatte zeigt auch unangenehme Seiten, wenn man ihn einmal hat. Sollte es mit den halluzinatorischen Befiiedigungen viel besser sein ? Bei der sexuellen Liebe kommt aber noch ein wichtiger Umstand in Betracht: ihre Ambivalenz. Die Erotik hat (namenthch bei Frauen) auch eine starke negative Gefühlskomponente, die sich bekannthch unter normalen wie unter pathologischen Umständen sehr leicht als Angst äußert. Aus all dem wird es verständlich, daß trotz einer weitgehenden halluzinatorischen Befriedigung bei Schizophrenie so oft Verfolgungswahn entsteht; und die letzteren Ausführungen zeigen, warum auch der Geliebte regelmäßig zum Verfolger wird.
Das autistiscbe Denken. 25 Das autistische Denken ist auch im wachen Leben des Gesunden eine Macht, deren Bedeutimg man sich nur schwer klarmacht. Unsere Tagträume scheinen allerdings zunächst nur eine unschuldige Spielerei, sie sind aber gar nicht ohne Einfluß auf unser Handeln, und in der Form von Illusionen machen sie das Leben schöner oder erträghcher, aber auch zugleich gefährlicher. Auch alle echte Kunst wurzelt im Autismus, und wenn auch unlogische Dinge darin keine Rolle spielen dürfen, so ist ihr ein gewisser Grad von Ablösung von der Wirklichkeit notwendig, und das Treibende und Gestaltende sind auch bei ihr die Gefühle^). — Die Reügion ist eine autistische Bildung. Die Politik ^vi^d bei den Massen und auch bei vielen Führern in ihrer Richtimg \nelfach sehr wenig durch Überlegung, aber sehr viel von Instinkten, von suggestiven und autistischen Psychismen bestimmt. So sind die Grenzen zwischen beiden Denkformen auch dem Gesunden viel zu wenig bekannt, und auch er verhert oft den sicheren Boden der Wirkhchkeit, um zu seinem Schaden von autistischen Gebilden genarrt und ins Verderben getrieben zu werden. Innerhalb des Gesunden richtet der Autismus natürlich viel Schaden an. Die Kreuzzüge und der Dreißigjährige Krieg waren ein recht böser Aderlaß für einen großen Teil der damahgen Kulturvölker, und wenn man im Kloster sich erhalten lassen kann, so kann sich doch das Genus so wenig auf autistischem Weg ernähren wie das Hühnchen im Ei. Es gibt natürlich noch viele andere Formen, unnützen Ideen zu leben oder sich Scheinbefriedigung zu verschaffen, die dem Individuum auf Kosten der Gesamtheit in einzelnen Beziehungen das Leben erleichtern. Es ist so hübsch, sein Mitleid an das phantasierte Gretchen zu verschwenden, das kostet nichts als ein Theaterbillet. Wenn aber das Gretchen im Leben den gleichen Faustschwärmern nahe kommt, so ündet es verschlossene Herzen und Beutel und einen pharisäisch kräftigen Fußtritt. Denn es wäre unmoralisch, wie mir eben ein wohltätiger Damenverein in einem bestimmten Falle klargemacht hat, sich mit solchen Personen zu beschäftigen. * * * Da das realistische Denken, die Fonction du reel, das Sichabfinden mit den komplizierten Bedürfnissen der Wirklichkeit, durch Krankheit viel leichter gestört wird als das autistische Denken, und dieses geradezu 1) Vgl. Bleuler, Freudsche Mechanismen in der Symptomatologie von Psychosen. Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift, 1906, Marhold, Halle,
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24 E. Bleuler.<br />
lichkeit ergeben und sich zum Verfolgungswahn verhalten, wie die<br />
pathologische Euphorie und Depression zum Größen- und Kleinheitswahne.<br />
Aber auch der ganz Autistische, der seine Wünsche erfüllt sieht<br />
und z. B, halluzinatorisch mit seiner Gehebten verkehrt, kann sich<br />
dabei nur selten ganz befriedigt fühlen. Um genießen zu können, bedarf<br />
man nicht nur der wirklichen oder halluzinatorischen angenehmen<br />
Sinnesreize, sondern auch einer genügenden euphorischen Stimmung<br />
oder der Fähigkeit, angenehme Reaktionen zu bilden.<br />
Es scheint nun,<br />
daß der Prozeß der Dementia praecox an sich die Bildung solcher<br />
positiven Gefühlstöne oft erschwere, sonst müßten die „Lustmechanismen"<br />
viel häufiger zur Ekstase oder sonst zu einem ganz hohen<br />
Glücksgefühl führen, wenn man auch zugeben muß, daß eben auch<br />
eine gewisse schöpferische Fähigkeit dazu gehört, sich ein vollkommenes<br />
halluzinatorisches Paradies zu schaffen; diese Fähigkeit kann nicht<br />
jeder besitzen, der schizophren wird. Auch die körperhchen Bedürfnisse<br />
und Hinfälhgkeiten müssen oft dem autistischen Glück im Wege<br />
stehen. Es wird ja nicht möghch sein, sich dieselben auf die Dauer<br />
autistisch vom Halse zu schaffen, wenigstens sehen wir im Traume<br />
den Hunger oder das Bedürfnis zu urinieren, sich immer wieder melden,<br />
nachdem sie halluzinatorisch befriedigt worden sind, und die beste<br />
Suggestion wird einen dauernden, organisch bedingten Schmerz nur<br />
temporär beseitigen.<br />
Aber auch das restlose Erreichen ersehnter Ziele macht selten<br />
glücklich. Schon in der Wirklichkeit verhält es sich so. Wer sich als<br />
Höchstes dachte, 100.000 Mark zu erwerben, ist nur ganz ausnahmsweise<br />
zufrieden, wenn er das erreicht hat, und das erträumte Glück<br />
kann das Geld überhaupt nicht bringen. Die Ehe oder der als Ideal<br />
ersehnte Gatte zeigt auch unangenehme Seiten, wenn man ihn einmal<br />
hat. Sollte es mit den halluzinatorischen Befiiedigungen viel besser<br />
sein ?<br />
Bei der sexuellen Liebe kommt aber noch ein wichtiger Umstand<br />
in Betracht: ihre Ambivalenz. Die Erotik hat (namenthch bei Frauen)<br />
auch eine starke negative Gefühlskomponente, die sich bekannthch<br />
unter normalen wie unter pathologischen Umständen sehr leicht als<br />
Angst äußert.<br />
Aus all dem wird es verständlich, daß trotz einer weitgehenden<br />
halluzinatorischen Befriedigung bei Schizophrenie so oft Verfolgungswahn<br />
entsteht; und die letzteren Ausführungen zeigen, warum auch<br />
der Geliebte regelmäßig zum Verfolger wird.