JAHRBUCH - Glowfish

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20 E. Bleuler. Das autistisclie Denken erreicht seine Ziele gar niclit immer vollständig. Oft hat es seine Widersprüche in sich. Manche unserer Vorstellungen, und zwar gerade der stark gefühlsbetonten, also der am meisten zu autistischem Denken anregenden, sind ambivalent (d. h. von negativen und positiven Gefühlen zugleich begleitet). Was man erstrebt, hat auch seine imangenehme Seite. Der Geliebte hat seine Fehler, er hat z. B. alle gewünschten persönlichen Eigenschaften, aber nicht das Vermögen, das man wünscht, oder umgekehrt. Die Frau, die ihren Gatten nicht liebt oder gar verabscheut, hat doch positive Gefühle gegen ihn, z. B. weil er der Vater ihrer Kinder ist. Der Wunsch, die Vorstellung, der Mann möchte tot sein, bringt also auch schwere negative Gefühle mit sich, die sich in verschiedener Weise, durch Verdrängung des ganzen Vorstellungskomplexes, durch Angstgefühle und vielerlei Krankheitssymptome äußern können. Am schlimmsten scheinen in dieser Beziehung die Gewissenskonflikte zu wirken. Es ist begreiflich, ich möchte geradezu sagen, verzeihlich, wenn eine Frau, die von ihrem Gatten nur Roheit zu erfahren hat, gelegentlich den Wunsch aufkommen läßt, wenn er nm' nicht mehr da wäre, und es ist selbstverständlich, daß ihr ihre autistischen Funktionen einmal mehr oder weniger bewußt im Wachen oder im Traume diesen Wunsch als erfüllt darstellen, erfüllt mit oder ohne ihr Zutun. Auch solche Vorgänge führen wieder zu Unlustgefühlen, zu Gewissensqualen, deren Ursprmig ihre Träger oft gar nicht kennen, weil alles im Unbewußten abgelaufen ist. Während man sich im realistischen Denken Vorwürfe und Reue schafft über ein begangenes Unrecht, erzeugt das autistische Denken die gleichen Qualen im Zusammenhange mit einem nur vorgestellten Unrecht; und diese ,, eingebildeten" Leiden sind oft um so schlimmer, als ihnen die Logik nicht beikommen kann, teils, weil es sich um eine autistische, von der Logik unabhängige Funktion handelt, teils weil der Ursprung dem Träger nicht bekannt ist. Wenn ein Kranker nicht weiß, warum er sich ängstigt, so kann er sich nicht beweisen, daß er sich mit Unrecht ängstigt. Selbstverständlich muß der Autismus, der unsere Wünsche als erfüllt darstellt, auch zu Konflikten mit der Umgebung führen. Man kann die Wirklichkeit ignorieren, sie macht sich aber immer wieder bemerklich. Unter nicht pathologisch zu nennenden Umständen beachtet der Autistische die Hindernisse, die der Erfüllung eines Wunsches entgegenstehen, ohne den Wunsch als Halluzination oder als Wahn zu realisieren, nicht, er denkt etwa zu optimistisch und wird

Das autistiscbe Denken. -^1 deshalb im Leben scheitern, oder er läßt sich durch das Leben, das ihm nichts bietet von dem, was man in erster Linie erstrebt, abstoßen und zieht sich auf sich selbst zurück. Unter pathologischen Umständen muß die Natur der Hindernisse durch autistisches Denken umgestaltet werden, wenn dieselben nicht vollständig ignoriert werden können. Während der Autismus durch Erfüllung der Wünsche zunächst zu expansivem Wahne führt, muß die Wahrnehmung der Hindernisse auf den oben skizzierten Wegen Verfolgungswahn erzeugen. Der Autismus ist oft selbst der Träger der Konflikte, die die Affektwirkungen in uns schaffen. Ein Ereignis bei einem Normalen sei schmerzbetont. Der Schmerz hat, wie jeder andere Affekt, die Tendenz, sich durchzusetzen, das Ereignis zu überdauern, auch auf andere Erlebnisse zu irradiieren, kurz, eine andauernde, schmerzliche Stimmung zu schaffen. Diese wird, abgesehen von der angenommenen Usur durch die Zeit, auf die Weise überwunden, daß neue Erlebnisse ihre Affekte durchsetzen. Dabei macht eine Freude allerdings den Schmerz vergessen, oder sie kann ihn mildern, aber nur solange sie selbst besteht. Das unangenehme Ereignis bleibt bei diesen Vorgängen erimierungsfähig, wie jede andere Erfahrung. Anders, wenn die autistische Ab- zusammen wehr gegen den Schmerz in Aktion tritt, sie sperrt ihn meist, mit der schmerzbetonten Vorstellung, vom Bewußtsein ab. Ob es mögMch ist, auf diesem Wege einen Affekt ganz aus der Welt zu schaffen, weiß ich nicht. Jedenfalls kommen unter normalen wie namentlich unter pathologischen Umständen eine Menge solcher abgesperrter Affekte wieder zum Vorschein, imd Wirlomgen von ihnen sehen wir auch, ohne daß der Affekt als solcher dem Träger bewußt wird (in der Mimik, in krankhaften Symptomen). Daraus ersehen wir, daß wenigstens in vielen Fällen die betreffenden Affekte nur vom Bewußtsein abgespalten, nicht unterdrückt sind, und es ist dann selbstverständlich, daß die allen Affekten innewohnende Tendenz, von der Seele Besitz zu nehmen, nicht fehlt. Die „Verdrängung" muß also (immer?) durch die autistischen Mechanismen unterhalten werden, und umgekehrt kommen in den Erscheinungen des Autismus die verdrängten Affekte oder ihre Wirkungen zum Vorschein. Der Schizophrene oder auch der schlafträumende Gesunde glaubt fälschlich einen Nahestehenden gestorben und ist darüber untröstUch. Irgendwann ist in ihm einmal die Idee vom Tode des Betreffenden in der Form eines Wunsches aufgetaucht, aber sofort, gewöhnlich, bevor sie nur ins Bewußtsein kam, unterdrückt worden, denn sie ist zu schmerzhch. Nun taucht sie im

Das autistiscbe Denken. -^1<br />

deshalb im Leben scheitern, oder er läßt sich durch das Leben, das<br />

ihm nichts bietet von dem, was man in erster Linie erstrebt, abstoßen<br />

und zieht sich auf sich selbst zurück. Unter pathologischen Umständen<br />

muß die Natur der Hindernisse durch autistisches Denken umgestaltet<br />

werden, wenn dieselben nicht vollständig ignoriert werden können.<br />

Während der Autismus durch Erfüllung der Wünsche zunächst zu<br />

expansivem Wahne führt, muß die Wahrnehmung der Hindernisse<br />

auf den oben skizzierten Wegen Verfolgungswahn erzeugen.<br />

Der Autismus ist oft selbst der Träger der Konflikte, die die<br />

Affektwirkungen in uns schaffen. Ein Ereignis bei einem Normalen<br />

sei schmerzbetont. Der Schmerz hat, wie jeder andere Affekt, die Tendenz,<br />

sich durchzusetzen, das Ereignis zu überdauern, auch auf andere<br />

Erlebnisse zu irradiieren, kurz, eine andauernde, schmerzliche Stimmung<br />

zu schaffen. Diese wird, abgesehen von der angenommenen Usur durch<br />

die Zeit, auf die Weise überwunden, daß neue Erlebnisse ihre Affekte<br />

durchsetzen. Dabei macht eine Freude allerdings den Schmerz vergessen,<br />

oder sie kann ihn mildern, aber nur solange sie selbst besteht.<br />

Das unangenehme Ereignis bleibt bei diesen Vorgängen erimierungsfähig,<br />

wie jede andere Erfahrung. Anders, wenn die autistische Ab-<br />

zusammen<br />

wehr gegen den Schmerz in Aktion tritt, sie sperrt ihn meist,<br />

mit der schmerzbetonten Vorstellung, vom Bewußtsein ab. Ob es<br />

mögMch ist, auf diesem Wege einen Affekt ganz aus der Welt zu schaffen,<br />

weiß ich nicht. Jedenfalls kommen unter normalen wie namentlich<br />

unter pathologischen Umständen eine Menge solcher abgesperrter<br />

Affekte wieder zum Vorschein, imd Wirlomgen von ihnen sehen wir<br />

auch, ohne daß der Affekt als<br />

solcher dem Träger bewußt wird (in der<br />

Mimik, in krankhaften Symptomen). Daraus ersehen wir, daß wenigstens<br />

in vielen Fällen die betreffenden Affekte nur vom Bewußtsein abgespalten,<br />

nicht unterdrückt sind, und es ist dann selbstverständlich,<br />

daß die allen Affekten innewohnende Tendenz, von der Seele Besitz<br />

zu nehmen, nicht fehlt. Die „Verdrängung" muß also (immer?) durch<br />

die autistischen Mechanismen unterhalten werden, und umgekehrt<br />

kommen in den Erscheinungen des Autismus die verdrängten Affekte<br />

oder ihre Wirkungen zum Vorschein. Der Schizophrene oder auch<br />

der schlafträumende Gesunde glaubt fälschlich einen Nahestehenden<br />

gestorben und ist darüber untröstUch. Irgendwann ist in ihm einmal<br />

die Idee vom Tode des Betreffenden in der Form eines Wunsches aufgetaucht,<br />

aber sofort, gewöhnlich, bevor sie nur ins Bewußtsein kam,<br />

unterdrückt worden, denn sie ist zu schmerzhch. Nun taucht sie im

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