JAHRBUCH - Glowfish
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224 C. G. Jung. verschwinden. Hier wurde die Autorin gestört, so daß sie für einen Moment geweckt wurde. Diese Vision erinnert an die eingangs erwähnte Phantasie von der ägyptischen Statue, deren erstarrte Geste hier als ein Phänomen der sog. funktionalen Kategorie ganz am Platze ist. Die leichten Stadien der Hypnose werden auch technisch als „Engourdissement" bezeichnet. Das Wort ,, Sphinx" deutet in der ganzen zivilisierten Welt auf ,, Rätser'; ein rätselhaftes Geschöpf, das Rätselfragen stellt, wie die Sphinx des ödipus, welche am Eingang seines Schicksals steht als eine symbolische Ankündigung des Unabwendbaren. Die Sphinx ist eine halb theriomorphe Darstellung derjenigen Mutterimago, die man als die ,,furchtbare Mutter", von der sich in der Mythologie noch reichlich Spuren finden, bezeichnen kann. Diese Deutung trifft bei ödipus zu. Hier steht die Frage offen. Man wird mir vorwerfen, daß nichts außer dem Wort ,, Sphinx" die Anspielung auf die Sphinx des ödipus rechtfertige. Bei dem Mangel an subjektiven Materialien, die im Millerschen Texte für diese Vision ganz fehlen, wäre eine individuelle Deutung auch ganz ausgeschlossen. Die Andeutung einer „ägyptischen" Phantasie (Erster Teil, Kapitel III) ist ganz ungenügend, um hier verwendet zu werden. Wir sind daher gezwungen, wenn wir uns überhaupt an ein Verständnis dieser Vision wagen wollen, — in vielleicht allzu kühner Weise — an die völkergeschichtlich vorliegenden Materialien uns zu wenden unter der Voraussetzung, daß das Unbewußte des heutigen Menschen seine Symbole noch ebenso präge, wie fernste Vergangenheit. Die Sphinx in ihrer traditionellen Form ist ein menschlich-tierisches Mischwesen, dem wir diejenige Auffassung müssen zuteil werden lassen, die überhaupt für dergleichen Phantasieprodukte Geltung hat. Ich verweise zunächst im allgemeinen auf die Ausführungen des ersten Teiles, wo von der theriomorphen Repräsentation der Libido gesprochen wurde. Dem Analytiker ist diese Darstellungsweise aus den Träumen und den Phantasien der Neurotiker (und Normalen) ganz geläufig. Der Trieb wird gern als ein Tier dargestellt, als Stier, Pferd, Hund usw. Einer meiner Patienten, der mißliche Beziehungen zu Weibern hatte und der sozusagen mit der Befürchtung, ich werde ihm sicher seine Sexualabenteuer verbieten, in die Behandlung eintrat, träumte, ich (sein Arzt) spieße ein sonderbares Tier, halb Schwein, halb Krokodil, mit großer Geschicklichkeit an die Wand. Von derartigen theriomorphen Darstellungen der Libido wimmeln die Träume. Auch Mischwesen, wie in diesem Traume, sind nicht selten. Eine Reihe von sehr schönen Belegen, wo
Wandlungen und Symbole der Libido. 225 besonders die untere animalische Hälfte theriomorph dargestellt ist, hat uns Bertschi nger gegeben^). Die Libido, welche theriomorph repräsentiert wird, ist die „tierische" Sexualität, welche sich in verdrängtem Zustande befindet. Bekanntlich geht die Geschichte der Verdrängung auf das Inzestproblem zurück, wo sich die ersten Grünae für den moralischen Widerstand gegen die Sexualität auftun. Die Objekte der verdrängten Libido sind in letzter Linie die Imagines von Vater und Mutter, daher die theriomorplien S}Tnbole, sofern sie nicht bloß allgemein die Libido symbolisieren, gern Vater und Mutter darstellen (z. B. Vater durch einen Stier, Mutter durch eine Kuh dargestellt). Aus dieser Wurzel dürften, wie wir früher zeigten, die theriomorphen Attribute der Gottheit stammen. Insofern verdrängte Libido unter gewissen Bedingungen sich wieder als Angst manifestiert, sind diese Tiere meist schrecklicher Natur. Im Bewußtsein hängt man mit allen Fasern der Pietät an der Mutter, im Traum verfolgt sie einen als schreckliches Tier. Die Sphinx, mythologisch betrachtet, ist nun tatsächlich ein Angsttier, das deutliche Züge eines Mutterderivates erkennen läßt: In der Sage des ödipus ist die Sphinx gesandt von Here, welche Theben um der Geburt des Bacchus willen haßte. Indem ödipus die Sphmx, welche nichts anderes als die Angst vor der Mutter ist, überwindet, muß er Jokaste, seine Mutter, freien, da der Thron und die Hand der verwitweten Königin von Theben dem zugehörten, der das Land von der Sphinxplage befreite. Die Genealogie der Sphinx ist reich an Beziehungen auf das hier angeregte Problem: sie ist eine Tochter der Echidna, eines Mischwesens, oben eine schöne Jungfrau, unten eine gräuliche Schlange. Dieses Doppelwesen entspricht dem Bilde der Mutter: oben die menschliche liebenswerte anziehende Hälfte, unten die animalische, durch das Inzestverbot in ein Angsttier umgewandelte, furchtbare Hälfte. Die Echidna stammt von der Allmutter, der Mutter Erde, Gäa, welche mit Tartaros, der personifizierten Unterwelt (dem Orte der Angst), sie zeugte. Echidna selber ist die Mutter aller Schrecken, der Chimära, Scylla, Gorgo, des scheußlichen Cerberus, des nemeischen Löwen und des Adlers, der des Prometheus Leber fraß, außerdem zeugte sie noch eine Reihe von Drachen. Einer ihrer Söhne ist auch Orthrus, der Hund des ungeheuerlichen Geryon, der von Herakles getötet wurde. Mit diesem Hunde, S. 69 ff. 1^) Bertschinger: Illustrierte Halluzinatioaen. Dieses Jalirbuch, Bd. III, Jahrbuch für psjohoanalyt u. psychopathol. Forschungen. IV. 1^
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verschwinden. Hier wurde die Autorin gestört, so daß sie für einen<br />
Moment geweckt wurde. Diese Vision erinnert an die eingangs erwähnte<br />
Phantasie von der ägyptischen Statue, deren erstarrte Geste<br />
hier als ein Phänomen der sog. funktionalen Kategorie ganz am<br />
Platze ist. Die leichten Stadien der Hypnose werden auch technisch<br />
als „Engourdissement" bezeichnet. Das Wort ,, Sphinx" deutet in<br />
der ganzen zivilisierten Welt auf ,, Rätser'; ein rätselhaftes Geschöpf,<br />
das Rätselfragen stellt, wie die Sphinx des ödipus, welche am Eingang<br />
seines Schicksals steht als eine symbolische Ankündigung des<br />
Unabwendbaren. Die Sphinx ist eine halb theriomorphe Darstellung<br />
derjenigen Mutterimago, die man als die ,,furchtbare Mutter", von der<br />
sich in der Mythologie noch reichlich Spuren finden, bezeichnen kann.<br />
Diese Deutung trifft bei ödipus zu. Hier steht die Frage offen. Man<br />
wird mir vorwerfen, daß nichts außer dem Wort ,, Sphinx" die Anspielung<br />
auf die Sphinx des ödipus rechtfertige.<br />
Bei dem Mangel an subjektiven<br />
Materialien, die im Millerschen Texte für diese Vision ganz fehlen,<br />
wäre eine individuelle Deutung auch ganz ausgeschlossen. Die Andeutung<br />
einer „ägyptischen" Phantasie (Erster Teil, Kapitel III) ist ganz ungenügend,<br />
um hier verwendet zu werden. Wir sind daher gezwungen,<br />
wenn wir uns überhaupt an ein Verständnis dieser Vision wagen<br />
wollen, — in vielleicht allzu kühner Weise — an die völkergeschichtlich<br />
vorliegenden Materialien uns zu wenden unter der Voraussetzung,<br />
daß das Unbewußte des heutigen Menschen seine Symbole noch ebenso<br />
präge, wie fernste Vergangenheit. Die Sphinx in ihrer traditionellen<br />
Form ist ein menschlich-tierisches Mischwesen, dem wir diejenige<br />
Auffassung müssen zuteil werden lassen, die überhaupt für dergleichen<br />
Phantasieprodukte Geltung hat. Ich verweise zunächst im allgemeinen<br />
auf die Ausführungen des ersten Teiles, wo von der theriomorphen<br />
Repräsentation der Libido gesprochen wurde. Dem Analytiker ist<br />
diese Darstellungsweise aus den Träumen und den Phantasien der<br />
Neurotiker (und Normalen) ganz geläufig. Der Trieb wird gern als<br />
ein Tier dargestellt, als Stier, Pferd, Hund usw. Einer meiner Patienten,<br />
der mißliche Beziehungen zu Weibern hatte und der sozusagen mit<br />
der Befürchtung, ich werde ihm sicher seine Sexualabenteuer verbieten,<br />
in die Behandlung eintrat, träumte, ich (sein Arzt) spieße ein<br />
sonderbares Tier, halb Schwein, halb Krokodil, mit großer Geschicklichkeit<br />
an die Wand. Von derartigen theriomorphen Darstellungen<br />
der Libido wimmeln die Träume. Auch Mischwesen, wie in diesem<br />
Traume, sind nicht selten. Eine Reihe von sehr schönen Belegen, wo