JAHRBUCH - Glowfish

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16 E. Bleuler. Merkwürdig ist die mythologische Realität. Auch da, wo sie Gedanken enthält, die vom Standpimktc der Logik aus als kompletter Unsinn erscheinen, findet sie bei den Meisten wirklichen Glauben; ja hervorragende Geister haben ihre Realität bei Konflikten über die der sinnlichen Welt gestellt. Von da aus gibt es alle Übergänge durch die Auffassimg als S}Tnbol, hinter dem mehr oder weniger Wirkliches steckt, und durch die Anerkennung etwa im Sinne einer bloß poetischen Wahrheit hindurch bis zur völligen Ablehnung. Die autistische Abwendung von der Realität ist oft eine aktive. Sie wird im Schlaftraume, wo sie am ausgesprochensten ist, wohl durch die Schlafmechanismen selbst bewirkt. Bei der Schizophrenie und beim hysterischen Dämmerzustand ist sie eine Teilerscheinung des autistischen Mechanismus selbst. Der Schizophrene will sich nicht nur etwas seinen Wünschen Entsprechendes denken, er will sich auch von der Wirkhchkeit, die ihn ärgert und reizt, aktiv abwenden. Dieses Streben findet seinen Ausdruck im Negativismus und in der äußeren Abschließung von der Umgebung, die bei manchen schweren Schizophrenen so auffallend ist. Der Widerwille gegenüber der Außenwelt und gegenüber äußeren Reizen sperrt die Gedanken der Kranken von den Vorstellungen der Realität und manchmal sogar von den von ihr herrührenden Sinnesempfindungen ab, wie anderseits die Lust an bestimmten irrealen Vorstellungen die Psyche diesen zuwendet. Viele nicht negativistische Schizophrene wenden ihr bewußtes Streben der Realität zu; die autistische Gedankenwelt drängt sich ihnen aber auf in Form von Halluzinationen, Wahnideen, Automatismen und ähnhchen Symptomen, die aus dem Unbewußten aufsteigen. Eine gewisse Abwendung von der Reahtät besteht natürlich auch im Wunschtraume des Gesunden, der sich Luftschlösser baut; sie ist da wohl meistens eine Art Willensakt; man will sich einer bestimmten Phantasie hingeben, von der man weiß, daß sie nur eine Phantasie ist, aber sobald die Wirkhchkeit es erfordert, wird die Einbildung wieder gebannt. Ohne einen deutlichen Grad von Abwendung von der Außenwelt möchte ich das Spiel der nämlichen Mechanismen nicht Autismus nennen. Wenn also der Manisch-Depressive seinen Stimmungen entsprechende Wahnideen bildet, so ist das eine pathologische Übertreibung der Affektwirkung und den affektiven Denkfehlern der Gesunden analog, aber noch nicht Autismus in unserem Sinne. Ob man trotzdem das affektive Denken auch hier noch als autistisches bezeichnen will, mag dahingestellt sein.

Das autistische Denken. 17 Wollte man diese Frage bejahen, so wäre dann der Begriff des autistischen Denkens weiter als der des Autismus. Das Verhältnis des autistischen Denkens zu dem realistischen ist ein in vielen Beziehungen gegensätzliches. Das realistische Denken repräsentiert die Wirklichkeit, das autistische stellt sich vor, was einem Affekt entspricht, unter gewöhnlichen Umständen also das, was angenehm ist. Die realistischen Funktionen haben den Zweck, eine richtige Erkenntnis der Umgebung zu schaffen, das Wahre zu finden. Die autistischen wollen affektbetonte (meist lustbetonte) Vorstellungen hervorbringen und die mit einem entgegengesetzten Affekt betonten verdrängen. Die realistischen Mechanismen regulieren unsere Beziehungen zur Außenwelt; sie dienen dazu, das Leben zu erhalten, sich zu nähren, anzugreifen und sich zu verteidigen; die autistischen schaffen direkt Lust durch Herbeiführung lustbetonter Vorstellungen und halten Unlust ab durch Absperrung der Vorstellungen, die mit Unlust verbunden sind. Es gibt also eine autistische und eine realistische Befriedigung seiner Bedürfnisse. Wer sich autistisch befriedigt, hat weniger oder gar keinen Grund mehr zu handeln mid auch weniger Kjaft dazu; die gesunden und die schizophrenen Träumer sind bekannte Beispiele dafür. Beherrscht das autistische Denken einen Menschen gar vollständig, so erscheint dieser nach außen, apathisch, Stupores. Die Gegensätzlichkeit der beiden Funktionen kommt besonders deutlich darin zum Ausdrucke, daß sie einander in gewissem Grade hemmen. Wo die Affekte momentan oder in der Anlage die Oberhand haben, wird das logische Denken unterdrückt und gefälscht im Sinne des Autismus. Umgekehrt hindert die realistische Überlegung beim normalen Menschen das Überwuchern des Autismus. Auch da, wo autistische Ideen ausgesponnen werden, wird doch beim Gesunden eine möghchst reinUche Trennung durchgeführt und ihr Einfluß auf das Handeln beschränkt oder ganz unterdrückt. Ist das logische Denken auf irgend eine Weise geschwächt, so bekommt das autistische relativ oder absolut die Oberhand. Wir können diese Fälle etwa in vier Gruppen teilen: 1. Dem Kinde fehlt die Erfahrung, die notwendig ist zur Handhabung der logischen Denkformen und zur Kenntnis der Möghchkeiten in der Außenwelt. Wenn es Phantasie besitzt, bekommt diese im Sinne des Autismus leicht das Übergewicht. 2. In Thematen, die unseren Kenntnissen und un- Jahrbuoh für psychoanalyt. und psychopathol. Forschungen. IV. 2

16 E. Bleuler.<br />

Merkwürdig ist die mythologische Realität. Auch da, wo<br />

sie Gedanken enthält, die vom Standpimktc der Logik aus als kompletter<br />

Unsinn erscheinen, findet sie bei den Meisten wirklichen Glauben;<br />

ja hervorragende Geister haben ihre Realität bei Konflikten über die<br />

der sinnlichen Welt gestellt. Von da aus gibt es alle Übergänge durch<br />

die Auffassimg als S}Tnbol, hinter dem mehr oder weniger Wirkliches<br />

steckt, und durch die Anerkennung etwa im Sinne einer bloß poetischen<br />

Wahrheit hindurch bis zur völligen Ablehnung.<br />

Die autistische Abwendung von der Realität ist oft eine<br />

aktive. Sie wird im Schlaftraume, wo sie am ausgesprochensten ist,<br />

wohl durch die Schlafmechanismen selbst bewirkt. Bei der Schizophrenie<br />

und beim hysterischen Dämmerzustand ist sie eine Teilerscheinung<br />

des autistischen Mechanismus selbst. Der Schizophrene will sich<br />

nicht nur etwas seinen Wünschen Entsprechendes denken, er will sich<br />

auch von der Wirkhchkeit, die ihn ärgert und reizt,<br />

aktiv abwenden.<br />

Dieses Streben findet seinen Ausdruck im Negativismus und in der<br />

äußeren Abschließung von der Umgebung, die bei manchen schweren<br />

Schizophrenen so auffallend ist.<br />

Der Widerwille gegenüber der Außenwelt<br />

und gegenüber äußeren Reizen sperrt die<br />

Gedanken der Kranken<br />

von den Vorstellungen der Realität und manchmal sogar von den<br />

von ihr herrührenden Sinnesempfindungen ab,<br />

wie anderseits die Lust<br />

an bestimmten irrealen Vorstellungen die Psyche diesen zuwendet.<br />

Viele nicht negativistische Schizophrene wenden ihr bewußtes<br />

Streben der Realität zu; die autistische Gedankenwelt drängt sich<br />

ihnen aber auf in Form von Halluzinationen, Wahnideen, Automatismen<br />

und ähnhchen Symptomen, die<br />

aus dem Unbewußten aufsteigen.<br />

Eine gewisse Abwendung von der Reahtät besteht natürlich<br />

auch im Wunschtraume des Gesunden, der sich Luftschlösser baut;<br />

sie ist da wohl meistens eine Art Willensakt; man will sich einer bestimmten<br />

Phantasie hingeben, von der man weiß, daß sie nur eine<br />

Phantasie ist, aber sobald die Wirkhchkeit es erfordert, wird die Einbildung<br />

wieder gebannt.<br />

Ohne einen deutlichen Grad von Abwendung von der Außenwelt<br />

möchte ich das Spiel der nämlichen Mechanismen nicht Autismus nennen.<br />

Wenn also der Manisch-Depressive seinen Stimmungen entsprechende<br />

Wahnideen bildet, so ist das eine pathologische Übertreibung der Affektwirkung<br />

und den affektiven Denkfehlern der Gesunden analog, aber noch<br />

nicht Autismus in unserem Sinne. Ob man trotzdem das affektive Denken<br />

auch hier noch als autistisches bezeichnen will, mag dahingestellt sein.

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