JAHRBUCH - Glowfish

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176 CG. Jung. &• von der Außenwelt das paranoide System oder die schizophrene^) Symptomatologie entsteht, so ist diese Annahme vom Standpunkt des damaligen Wissens aus nicht berechtigt, denn eine bloße Libidointroversion und -regression führt, wie Freud klar gezeigt hat, unweigerlich in die Neurose (strenger gesagt : in die Übertragungsneurose) und nicht in die Dementia praecox. Die bloße Übersetzung der Libidotheorie auf die Dementia praecox ist unmöglich, weil diese Krankheit einen Verlust aufweist, der durch den Ausfall der Libido (s. s.) nicht erklärt werden kann. Es gereicht mir zur besonderen Genugtuung, daß auch unser Meister, als er seine Hand an den spröderen Stoff des paranoiden Geisteslebens legte, zu einem Zweifel an der Anwendbarkeit des bisherigen Libidobegriffes genötigt wurde. Meine reserNaerte Stellung gegenüber der Ubiquität der Sexualität, wie ich sie in der Vorrede zu meiner Psychologie der Dementia praecox bei aller Anerkennung der psychologischen Mechanismen einnahm, war diktiert durch die damalige Lage der Libidotheorie, deren sexuelle Difinition mir nicht erlaubte, Funktionsstörungen, welche das (unbestimmte) Gebiet des Hungertriebes ebensosehr betreffen wie das der Sexuahtät, durch eine sexuelle Libidotheorie zu erklären. Die Libidotheorie erschien mir lange Zeit unanwendbar bei der Dementia praecox. Bei meiner analytischen Arbeit bemerkte ich aber mit wachsender Erfahrung eine langsame Veränderung meines Libidobegriffes: an Stelle der deskriptiven Definition der ,,Drei Abhandlungen" trat allmählich eine genetische Definition der Libido, welche es mir ermöglichte, den Ausdruck ,, psychische Energie" durch den Terminus ,,Libido" zur ersetzen. Ich mußte mir sagen : Wenn schon die Wirklichkeitsfunktion heute nur zum allergeringsten Teil aus Sexuallibido und zum allergrößten Teil aus sonstigen ,,Triebkräften" besteht, so ist es doch eine sehr wichtige Frage, ob nicht phylogenetisch die Wirklichkeitsfunktion, wenigstens zu einem großen Teil, sexueller Provenienz war. Diese Frage in bezug auf die Wirklichkeitsfunktion direkt zu beantworten, ist nicht möglich. Wir versuchen aber auf einem Umweg, zum Verständnis zu gelangen. Ein flüchtiger Blick auf die Entwicklungsgeschichte genügt, um uns zu belehren, daß zahlreiche komplizierte Funktionen, denen heutzutage Sexualcharakter mit allem Recht aberkannt werden muß, ^) Freud sagt: Paraphrenie, was gewiß besser klingt.

"Wandlungen und Symbole der Libido. 1 '' 7 ursprünglich doch nichts als Abspaltungen aus dem allgemeinen Propagationstrieb sind. Es hat sich ja, wie bekannt, in der aufsteigenden Tierreihe eine wichtige Verschiebung in den Prinzipien der Propagation vollzogen: die Masse der Fortpflanzungsprodulcte mit der damit verbimdenen Zufälligkeit der Befruchtung wurde mehr und mehr eingeschränkt zugunsten einer sichern Befruchtung und einem wirksamen Brutschutz. Dadurch vollzog sich eine Umsetzung der Energie der Ei- und Samenproduktion in die Erzeugung von Anlockungs- und Brutschutzmechanismen. So erblicken wir die ersten Kunsttriebe in der Tierreihe im Dienst des Propagationstriebes, beschränkt auf die Brunstsaison. Der ursprüngliche Sexualcharakter dieser biologischen Institutionen verliert sich mit ihrer organischen Fixation und funktionellen Selbständigkeit. Wenn schon über die sexuelle Herkunft der Musik kein Zweifel obwalten kann, so wäre es eine wert- und geschmacklose Verallgemeinerung, wenn man Musik imter der Kategorie der Sexualität begreifen wollte. Eine derartige Terminologie würde dazu führen, den Kölner Dom bei der Mineralogie abzuhandeln, weil er auch aus Steinen besteht. Es kann nur einen Laien in entwicklungsgeschichtlichen Fragen verwundern, wie wenig Dinge es eigentlich in der Welt der Menschen gibt, die man nicht in letzter Linie auf den Propagationstrieb reduzieren muß; ich denke, es sei so ziemlich alles, was uns lieb und teuer ist. Wir sprachen bis jetzt von der Libido als dem Propagationstrieb und hielten uns damit in den Schranken jener Auffassung, welche Libido in ähnlicher Weise dem Hunger entgegensetzt, wie der Instinkt der Arterhaltung gern dem der Selbsterhaltung gegenübergestellt wird. In der Natur gibt es natürlich diese künstliche Scheidung nicht. Hier sehen wir nur einen kontinuierlichen Lebenstrieb, einen Willen zum Dasein, der durch die Erhaltung des Individuums die Fortpflanzung der ganzen Art erreichen will. Insofern deckt sich diese Auffassung mit dem Begriff des Willens bei Schopenhauer, als wir eine von außen gesehene Bewegung innerlich nur als Wollen erfassen können. (Die Sprache verrät es: bewegen, motivieren.) Dieses Hineinlegen von psychologischen Wahrnehmungen in das Objekt wird philosophisch als „IntrojeBion" bezeichnet, (Ferenczis Begriff der „Introjektion" bezeichnet umgekehrt das Hereinnehmen der Außenwelt in die Innenwelt: Vgl. Ferenczi, Introjektion und Übertragung. Dieses Jahrbuch, Bd. I, das Weltbild allerdings wesentlich verfälscht. Jahrbuch für psyohoanalyt. u. psyohopathol. Forschungen. IV. S. 422.) Durch die Introjektion wird Der Freudsche Begriff ^ ^^

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von der Außenwelt das paranoide System oder die schizophrene^)<br />

Symptomatologie entsteht, so ist diese Annahme vom Standpunkt<br />

des damaligen Wissens aus nicht berechtigt, denn eine bloße Libidointroversion<br />

und -regression führt, wie Freud klar gezeigt hat, unweigerlich<br />

in die Neurose (strenger gesagt : in die Übertragungsneurose)<br />

und nicht in die Dementia praecox. Die bloße Übersetzung<br />

der Libidotheorie auf die Dementia praecox ist unmöglich, weil<br />

diese Krankheit einen Verlust aufweist, der durch den Ausfall<br />

der Libido (s. s.) nicht erklärt werden kann.<br />

Es gereicht mir zur besonderen Genugtuung, daß auch unser<br />

Meister, als er seine Hand an den spröderen Stoff des paranoiden Geisteslebens<br />

legte, zu einem Zweifel an der Anwendbarkeit des bisherigen<br />

Libidobegriffes genötigt wurde. Meine reserNaerte Stellung gegenüber<br />

der Ubiquität der Sexualität, wie ich sie in der Vorrede zu meiner<br />

Psychologie der Dementia praecox bei aller Anerkennung der psychologischen<br />

Mechanismen einnahm, war diktiert durch die damalige<br />

Lage der Libidotheorie, deren sexuelle Difinition mir nicht erlaubte,<br />

Funktionsstörungen, welche das (unbestimmte) Gebiet des Hungertriebes<br />

ebensosehr betreffen wie das der Sexuahtät, durch eine sexuelle<br />

Libidotheorie zu erklären. Die Libidotheorie erschien mir lange Zeit<br />

unanwendbar bei der Dementia praecox. Bei meiner analytischen<br />

Arbeit bemerkte ich aber mit wachsender Erfahrung eine langsame<br />

Veränderung meines Libidobegriffes: an Stelle der deskriptiven<br />

Definition der ,,Drei Abhandlungen" trat allmählich eine genetische<br />

Definition der Libido, welche es mir ermöglichte, den Ausdruck<br />

,,<br />

psychische Energie" durch den Terminus ,,Libido" zur ersetzen.<br />

Ich mußte mir sagen : Wenn schon die Wirklichkeitsfunktion heute nur<br />

zum allergeringsten Teil aus Sexuallibido und zum allergrößten Teil<br />

aus sonstigen ,,Triebkräften" besteht, so ist es doch eine sehr wichtige<br />

Frage, ob nicht phylogenetisch die Wirklichkeitsfunktion,<br />

wenigstens zu einem großen Teil, sexueller Provenienz<br />

war. Diese Frage in bezug auf die Wirklichkeitsfunktion direkt zu<br />

beantworten, ist nicht möglich. Wir versuchen aber auf einem Umweg,<br />

zum Verständnis zu gelangen.<br />

Ein flüchtiger Blick auf die Entwicklungsgeschichte genügt,<br />

um uns zu belehren, daß zahlreiche komplizierte Funktionen, denen<br />

heutzutage Sexualcharakter mit allem Recht aberkannt werden muß,<br />

^) Freud sagt: Paraphrenie, was gewiß besser klingt.

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