JAHRBUCH - Glowfish
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166 C. G. Jung. Kraft. Hier in der gelieimnis vollen Mütterszene, wo der Dichter das letzte Geheimnis schöpferischer Kraft dem Verstehenden entschleiert, bedarf Faust des phalHschen Zauberstabes, dem er zuerst die magische Kraft nicht zutraut, um das größte der Wunder zu vollbringen, nämlich die Erschaffung von Paris und Helena. Damit erreiclit Faust göttliche Wunderlcraft, und zwar durch das unscheinbare kleine Instrument. Dieser paradoxe Eindruck scheint uralt zu sein, denn auch die Upanishaden wissen folgendes vom Zwerggott zu sagen: (19.) "Without hands, without feet. He moveth, He graspeth; eyeless He seeth, (and) earless He heareth; He knoweth what is to be known, yet is there no knower of Hirn. Him call the first, mighty the Man." (20.) Smaller than small, (yet) greater than great, in the heart of this creature the Seif doth repose .... etc." Der Phallus ist das Wesen, das sich ohne Glieder bewegt, der sieht ohne Augen, der die Zukunft weiß; und als symbolischen Repräsentanten der überall verbreiteten Schöpferkraft ist ihm Unsterblichkeit vindiziert. Er wird als durchaus selbständig gedacht, was nicht nur eine dem Altertum geläufige Vorstellung war, sondern auch aus den pornographischen Zeichnungen unserer Kinder und Künstler hervorgeht. Er ist ein Seher, Künstler und Wundertäter, daher es nicht sonderbar ist, wenn gewisse phallische Charakteristica sich beim mythologischen Seher, Künstler und Wundertäter wiederfinden. Hephästus, Wieland der Schmied und Mäni (der Stifter des Manichäismus, dessen Künstlerschaft aber auch gerühmt wird), haben verkrüppelte Füße, es scheint auch typisch zu sein, daß die Seher blind sind und daß der alte Seher Melampus einen so verräterischen Namen (Schwarzfuß) besitzt^). Der Zwergfuß, die Unscheinbarkeit und Mißgestalt sind ganz besonders bezeichnend geworden für jene geheimen chthonischen Götter, die Söhne des Hephästus, denen mächtige Wunderkraft zugetraut wurde, die Kabire n^). Der Name bedeutet „mächtig", ihr samothrakischer Kult ist innigst verschmolzen mit dem des ithyphallischen Hermes, der nach dem Berichte des Herodot durch die 1) Zu dem kommt, daß er den kultischen Phallus eingeführt hat. Zum Dank dafür, daß er die Mutter der Schlangen bestattete, reinigten ihm die jungen Schlangen die Ohren, so daß er hellhörend wurde. 2) Vgl. das "Vasenbild aus dem Kabeirion von Theben, wo die Kabiren in edler und in karikierter Form dargestellt sind (bei Röscher: Lex. s. Megaloi Theoi.).
Wandlungen und Symbole der Libido. 167 Pelasger nacli Attika gebracht wurde. Sie heißen auch die fieydXoi -deoi, die großen Götter. Ihre nahen Verwandten sind die idäischen Dalrtylen (Finger) oder Däumlinge^), die die Göttermutter die Schmiedekunst gelehrt hat. („Der Schlüssel wird die rechte Stelle wittern, folg ihm hinab, er führt dich zu den Müttern.") Sie waren die ersten Weise n, die Lehrer des Orpheus und erfanden die ephesischen Za uberfor mein und die musikalischen Rhy th me n^). Das charakteristische Mißverhältnis, auf das wir oben im Upanishadtext und im Faust hinwiesen, findet sich auch hier, indem der riesige Herakles als idäischer Daktylos galt. Die riesigen Phryger, die kunstfertigen Diener der Rhea"), waren ebenfalls Daktylen. Der Weisheitslehrer der Babylonier, Oannes^), wurde in pliallischer Fischform dargestellt^). Die beiden Sonnenlielden, die Dioskuren, stehen in Beziehung zu den Kabiren^), sie tragen auch die bemerkenswerte spitze Kopfbedeckung (Pileus), welche diesen geheimnisvollen Göttern eigen ist') und die sich von da an, wie ein geheimes Erkennungszeichen weiter pflanzt. Attis (dieser ältere Bruder des Christos) trägt die spitze Mütze, ebenso Mithras. Traditionell ist sie geworden für unsere heutigen chthonischen Infantilgötter^), die Heinzelmännchen (Penaten) und das ganze typische Zwerggelichter. Freud^) hat uns bereits auf die phallische Bedeutung des Hutes in rezenten Phantasien aufmerksam gemacht. Eine weitere Deutung ist wohl die, daß die spitze Mütze die Vorhaut darstellt. Um nicht zu weit von meinem eigentlichen Thema abzukommen, muß ich mich hier mit Andeutungen begnügen. Ich werde aber bei späterer Gelegenheit mit ausführlichen Nachweisen auf diesen Punkt zurückkommen. ^) Die Berechtigung, die Daktylen Däumlinge zu nennen, gibt eine Notiz bei Plinius, 37, 170, wonach es kretische Edelsteine von Eisenfarbe und Daumenform gab, welche Idaei Daktyli genannt wurden. *) Nach Jensen: Kosmologie, S. 292 f., ist Oannes-Ea derJMenschenbildner. ^) Daher das Metrum des Daktylos. ^) Siehe Röscher: Lex. d. Gr. u. Rom. Myth. s. Daktj-loi. *) In man: Ancient pagan and modern Christian symbolism. ^) Varro identifiziert die fxeyäXoi dsol mit den Penaten. Die Kabiren seien simulacra duo viril ia Castoris et PoUucis am Hafen von Samothrake. '') In Brasiae an der lakonischen Küste und in Pephnos befanden sich einige bloß fußhohe Statuen mit Mützen auf dem Kopfe. ^) Daß gerade die Mönche die Kapuze wieder erfunden haben, erscheint von nicht geringem Belang. 9) Zentralbl. f. Psychoanalyse, II, S. 187 ff.
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Kraft. Hier in der gelieimnis vollen Mütterszene, wo der Dichter das letzte<br />
Geheimnis schöpferischer Kraft dem Verstehenden entschleiert, bedarf<br />
Faust des phalHschen Zauberstabes, dem er zuerst die magische Kraft<br />
nicht zutraut, um das größte der Wunder zu vollbringen, nämlich die<br />
Erschaffung von Paris und Helena. Damit erreiclit Faust göttliche<br />
Wunderlcraft, und zwar durch das unscheinbare kleine Instrument.<br />
Dieser paradoxe Eindruck scheint uralt zu sein, denn auch die Upanishaden<br />
wissen folgendes vom Zwerggott zu sagen:<br />
(19.) "Without hands, without feet. He moveth, He graspeth;<br />
eyeless He seeth, (and) earless He heareth; He knoweth what is to<br />
be known, yet is there no knower of Hirn. Him call the first,<br />
mighty the Man."<br />
(20.) Smaller than small, (yet) greater than great, in the heart of<br />
this creature the Seif doth repose .... etc."<br />
Der Phallus ist das Wesen, das sich ohne Glieder bewegt, der<br />
sieht ohne Augen, der die Zukunft weiß; und als symbolischen Repräsentanten<br />
der überall verbreiteten Schöpferkraft ist ihm Unsterblichkeit<br />
vindiziert. Er wird als durchaus selbständig gedacht, was nicht nur eine<br />
dem Altertum geläufige Vorstellung war, sondern auch aus den pornographischen<br />
Zeichnungen unserer Kinder und Künstler hervorgeht.<br />
Er ist ein Seher, Künstler und Wundertäter, daher es nicht sonderbar<br />
ist, wenn gewisse phallische Charakteristica sich beim mythologischen<br />
Seher, Künstler und Wundertäter wiederfinden. Hephästus, Wieland<br />
der Schmied und Mäni (der Stifter des Manichäismus, dessen Künstlerschaft<br />
aber auch gerühmt wird), haben verkrüppelte Füße, es<br />
scheint auch typisch zu sein, daß die Seher blind sind und daß der<br />
alte Seher Melampus einen so verräterischen Namen (Schwarzfuß)<br />
besitzt^). Der Zwergfuß, die Unscheinbarkeit und Mißgestalt sind ganz<br />
besonders bezeichnend geworden für jene geheimen chthonischen<br />
Götter, die Söhne des Hephästus, denen mächtige Wunderkraft zugetraut<br />
wurde, die Kabire n^). Der Name bedeutet „mächtig",<br />
ihr samothrakischer Kult ist innigst verschmolzen mit dem des ithyphallischen<br />
Hermes, der nach dem Berichte des Herodot durch die<br />
1) Zu dem kommt, daß er den kultischen Phallus eingeführt hat. Zum<br />
Dank dafür, daß er die Mutter der Schlangen bestattete, reinigten ihm die jungen<br />
Schlangen die<br />
Ohren, so daß er hellhörend wurde.<br />
2) Vgl. das "Vasenbild aus dem Kabeirion von Theben, wo die Kabiren<br />
in edler und in karikierter Form dargestellt sind (bei Röscher: Lex. s.<br />
Megaloi Theoi.).