JAHRBUCH - Glowfish

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: 122 Seh. Grebelskaja. wenn ich ihn sehen könnte, ihm in seinem Alter helfen könnte, wir haben doch so gut zusammengelebt." Der Vater ist das Ideal der jungen Seele. Mit dem Wachsen der Kritik wechselt das Objekt der ersten Verehrung, der Vater wird nicht mehr als vollkommen betrachtet. An seine Stelle treten andere Autoritäten. Nur bleiben die letzteren in diesem Stadium der infantilen Übertragung stehen, sie ,,verkriechen" sich in diese Erlebnisse; ihre Psyche erstarrt, statt sich weiter zu entwickeln. Der große Komplex, der den Kranken in jungen Jahren beherrscht, der seine ganze Psyche einnimmt und sie gefühllos, interesselos für alles andere im Leben macht, ist die Grundveranlassung, daß er keine neuen Assoziationen anknüpft, weil die Aufmerksamkeit für die Realität in gewissem Sinne fehlt ; der Kranke verharrt daher in diesem Stadium der infantilen Verehrung, oder, wenn er sich eine Zeitlang davon befreit, kehrt er doch bald wieder zu seiner infantilen Einstellung zurück. Die Beziehungen des Patienten zu seinem Vater lassen sich bis in die fr üheste Jugend verfolgen ,,Ich erinnere mich noch jetzt sehr genau, wie mir mein Vater mal das ,Leder gegerbt' hatte, ich weiß es noch jetzt ganz deutlich, was ich für Gefühle hatte, ich hatte noch keine Hosen an, sondern ein Röckchen, muß also noch ganz klein gewesen sein." Was für Gefühle hatten Sie dabei? ,,Ja, daran mag ich mich gar nicht mehr erinnern, jedenfalls sah ich nachher bis vor kurzem ganz deutlich sein Gesicht vor meinen Augen mit demselben Ausdruck wie damals." Sehen Sie oft den Vater? ,,Nein, wenn ich an den Vater denken will, kommt der , Inspirator' und gibt mir entweder in den Gedanken Dr. Seh. ein oder zeigt mir sein Bild, und oft so abnorm." Um den nächsten Abschnitt der Analyse verständlich zu machen, müssen wir folgendes vorausschicken: Dr. Seh. spielt die wichtigste Rolle in seinem Wahnsystem. Er ist sein größter Verfolger. sagen ihm: Dr. ausstudiert". Die Stimmen Seh. habe sein Leben von Geburt an ,,somnambulisch Er will den Patienten lebendig begraben, seinen Körper verfaulen lassen, er schwäche ihn, er rufe bei ihm Pollutionen hervor. Wenn er an den Vater denken will, muß er an Dr. Seh. denken. Dr. Seh. tritt in gewisser Beziehung an Stelle des Vaters. In welcher Beziehung? Mit Liebe ist in der Regel auch Haß verbunden. Wie Bleuler sagt, den Begriff der Ambivalenz erläuternd^). Die Ambivalenz, welche 1) Psychiatr.-Neurol. Wochenschr., Nr. 18—21, 1910.

Psychologische Analyse eines Paranoiden. 1 23 der nämlichen Idee zwei gegenteilige GefühLsbetonungen gibt und den gleichen Gedanken zugleich positiv und negativ denken läßt. Er liebt seinen Vater; die andere Komponente des Affektes, der Haß gegen den Vater, wird ihm aber nicht bewußt. Warum aber muß er an Dr. Seh. denken, wenn er an den Vater denken will? Dr. Seh. haßt er bewußt, er möchte ihn töten und würde das vielleicht tun, wenn er frei wäre. Ist dies nicht vielleicht der Ausdruck des in der Beziehung zu seinem Vater fehlenden Hasses? Identifiziert er nicht die beiden Persönlichkeiten zum Komplex ,,Vater"? Diejenigen Gefühle, die wir, dank der Erziehung, dem Vater gegenüber nicht empfinden können, verlegt man gerne auf eine andere Person und so entgeht man dem Konflil-rb. Um den Konflikten aaszuweichen, vertieft sich der eine in die Wissenschaft, um, wie Freud sagt, ,,die Leidenschaft in Wissensdrang umzuwandeln"^), um ein Ausleben der Komplexe zu ermöglichen und damit ihre Wirkung zu dämpfen. Der andere flüchtet sich in die Krankheit, wie Jung in seiner Schrift ,,Inhalt der Psychose" gezeigt liat. Unser Patient schafft sich ein Surrogat in der Persönlichkeit von Dr. Seh., um diejenigen Gefühle ausleben zu können, die in seiner Seele von Kindheit auf gewurzelt haben. Bemerkenswert ist folgende Vision, die seine homosexuellen Tendenzen klar vor Augen führte: ,,Dr. Seh. wird mir immer nur als sein Geschlechtsorgan gezeigt. Sein Glied war ganz ausgedorrt und vertrocknet gezeigt, er ist auch schon sehr alt." Wie alt ist er? „80 Jahre, nein 50 oder 60 bloß." Patient hat sich versprochen. Wie ich ihn darauf aufmerksam mache, sagt er, 80 beziehe sich auf seinen Vater; er muß immer denken, wie der alte Mann jetzt noch arbeiten muß und keine Hilfe vom Sohne haben kann. — Dieses Versprechen ist charakteristisch. Es deutet den verdrängten Komplex an, die Identifizierung des Dr. Seh. mit dem Vater. 80 ist nämlich annähernd das Alter seines Vaters. Weder im Wahnsystem des Patienten noch in seinen Halluzinationen haben wir weibliche Personen zu verzeichnen. Aus der Anamnese wissen wir, daß er verlobt war; aber seine Braut ließ ihn kalt. Die einzigen Gefühle, die er für sie hatte, waren die der Eifersucht. ') Eine Kindheitserinnerung des Lionardo da Vinci.

Psychologische Analyse eines Paranoiden. 1 23<br />

der nämlichen Idee zwei gegenteilige<br />

GefühLsbetonungen gibt und den<br />

gleichen Gedanken zugleich positiv und negativ denken läßt.<br />

Er liebt<br />

seinen Vater; die andere Komponente des Affektes, der Haß gegen den<br />

Vater, wird ihm aber nicht bewußt. Warum aber muß er an Dr. Seh.<br />

denken, wenn er an den Vater denken will?<br />

Dr. Seh. haßt er bewußt,<br />

er möchte ihn töten und würde das vielleicht tun, wenn er frei<br />

wäre.<br />

Ist dies nicht vielleicht der Ausdruck des in der Beziehung zu seinem<br />

Vater fehlenden Hasses? Identifiziert er nicht die beiden Persönlichkeiten<br />

zum Komplex ,,Vater"?<br />

Diejenigen Gefühle, die wir, dank der Erziehung, dem Vater<br />

gegenüber nicht empfinden können, verlegt man gerne auf eine andere<br />

Person und so entgeht man dem Konflil-rb. Um den Konflikten aaszuweichen,<br />

vertieft sich der eine in die Wissenschaft, um, wie Freud<br />

sagt, ,,die Leidenschaft in Wissensdrang umzuwandeln"^), um ein<br />

Ausleben der Komplexe zu ermöglichen und damit ihre<br />

Wirkung zu<br />

dämpfen. Der andere flüchtet sich in die Krankheit, wie Jung in<br />

seiner Schrift ,,Inhalt der Psychose" gezeigt liat.<br />

Unser Patient schafft<br />

sich ein Surrogat in der Persönlichkeit von Dr. Seh., um diejenigen<br />

Gefühle ausleben zu können, die in seiner Seele von Kindheit auf<br />

gewurzelt haben.<br />

Bemerkenswert ist folgende Vision, die seine homosexuellen<br />

Tendenzen klar vor Augen führte:<br />

,,Dr. Seh. wird mir immer nur als sein Geschlechtsorgan gezeigt.<br />

Sein Glied war ganz ausgedorrt und vertrocknet gezeigt, er ist auch schon<br />

sehr alt."<br />

Wie alt ist er?<br />

„80 Jahre, nein 50 oder 60 bloß."<br />

Patient hat sich versprochen. Wie ich ihn darauf aufmerksam<br />

mache, sagt er, 80 beziehe sich auf seinen Vater; er muß immer denken,<br />

wie der alte Mann jetzt noch arbeiten muß und keine Hilfe vom Sohne<br />

haben kann. — Dieses Versprechen ist charakteristisch. Es deutet den<br />

verdrängten Komplex an, die Identifizierung des Dr. Seh. mit dem<br />

Vater. 80 ist nämlich annähernd das Alter seines Vaters.<br />

Weder im Wahnsystem des Patienten noch in seinen Halluzinationen<br />

haben wir weibliche Personen zu verzeichnen. Aus der<br />

Anamnese wissen wir, daß er verlobt war; aber seine Braut ließ ihn<br />

kalt.<br />

Die einzigen Gefühle, die er für sie hatte, waren die der Eifersucht.<br />

') Eine Kindheitserinnerung des Lionardo da Vinci.

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