Skript zur Kombinatorik - Institut für Mathematik - Universität Potsdam
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<strong>Universität</strong> <strong>Potsdam</strong> V+Ü Stochastik Jahnke / Louis / Kollosche<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Mathematik</strong> <strong>Skript</strong> <strong>Kombinatorik</strong> WiSe 2008/09<br />
<strong>Kombinatorik</strong><br />
Die Stochastik bedient sich einiger Hilfsmittel der<br />
<strong>Kombinatorik</strong>, die sich mit der Bestimmung der Anzahl<br />
möglicher Anordnungen von Elementen<br />
beschäftigt.<br />
Die Urnenmodelle<br />
Das Herzstück der in der Stochastik verwendeten<br />
<strong>Kombinatorik</strong> bilden die so genannten Urnenmodellen.<br />
In Anwendungssituationen werden die auftretenden<br />
Probleme dann mit einem der Urnenmodelle assoziiert.<br />
Als Urnen werden in der <strong>Kombinatorik</strong> Behältnisse<br />
bezeichnet, in denen Objekte, beispielsweise<br />
nummerierte Kugeln, <strong>zur</strong> Ziehung bereitliegen. Die<br />
Anzahl der Kugeln in einer Urne heiße n, die Anzahl<br />
der zu ziehenden Kugeln heiße k.<br />
Die <strong>Kombinatorik</strong> untersucht nun, wie viele verschiedene<br />
Möglichkeiten es gibt, k dieser n Kugeln zu ziehen.<br />
Dabei hängt die Anzahl der Möglichkeiten ganz<br />
entscheidend davon ab, ob eine Kugel nach dem Ziehen<br />
in die Urne <strong>zur</strong>ückgelegt wird und nochmal gezogen<br />
werden kann, und ob die Reihenfolge, in der die Kugeln<br />
gezogen werden, eine Rolle spielt. Es ergeben sich<br />
also vier Fälle, die einzeln zu untersuchen sind.<br />
Definition: Eine Stichprobe heiße<br />
– geordnet, wenn die Reihenfolge der<br />
Anordnung der Kugeln eine Rolle<br />
spielt,<br />
– ungeordnet, wenn die Reihenfolge der<br />
Anordnung der Kugeln keine Rolle spielt,<br />
– mit Mehrfachziehung, wenn Kugeln<br />
mehrfach gezogen werden können und<br />
– ohne Mehrfachziehung, wenn Kugeln<br />
höchstens einmal gezogen werden können.<br />
Die Produktregel der <strong>Kombinatorik</strong><br />
Wichtig <strong>für</strong> die Betrachtung der Urnenmodelle ist die<br />
Produktregel der <strong>Kombinatorik</strong>. Sie beantwortet die<br />
Frage, wie viele mögliche Ausgänge ein Experiment<br />
hat, bei dem in mehreren Schritten verschiedenartige<br />
Ziehungen vorgenommen werden.<br />
Beispielsweise soll in einem Hotel ein Obstteller zum<br />
Frühstück gereicht werden. Auf diesem liegen eine<br />
gelbe oder grüne Birne, weiße oder rote Weintrauben<br />
und ein roter, gelber oder grüner Apfel. Wie viele<br />
verschiedene Obstteller könnte es dann geben?<br />
Beispiele<br />
Ziehung einer geordneten Stichprobe ohne<br />
Mehrfachziehung<br />
Bei einem 100-Meter-Lauf starten acht Läuferinnen.<br />
Wie viele mögliche Zieleinläufe<br />
gibt es?<br />
In diesem Fall entsprechen die Läuferinnen<br />
den Kugeln der Urne. Da jeder Läufer die<br />
Zielmarke nur einmal überquert, gibt es<br />
keine Mehrfachziehung. Da die Reihenfolge<br />
des Zieleinlaufs den Platz bestimmt,<br />
ist die Reihenfolge des Ziehens wichtig, es<br />
handelt sich um eine geordnete Stichprobe.<br />
Ziehung einer geordneten Stichprobe mit<br />
Mehrfachziehung<br />
In einer Schulklasse werden vier Theaterkarten<br />
verlost. Die Karten unterscheiden<br />
sich bezüglich der Platzzuweisung erheblich.<br />
Wie viele mögliche Verteilungen gibt<br />
es, wenn ein Schüler auch mehrere Karten<br />
zugelost bekommen kann?<br />
Hier entsprechen die Schüler den Kugeln.<br />
Da ein Schüler auch mehrere Karten zugelost<br />
bekommen kann, handelt es sich um<br />
eine Stichprobe mit Mehrfachziehung. Da<br />
unterschiedliche Karten verlost werden,<br />
spielt die Reihenfolge der Ziehung eine<br />
Rolle, die Stichprobe ist also geordnet.<br />
Ziehung einer ungeordneten Stichprobe<br />
ohne Mehrfachziehung<br />
Beim Skat bekommt jeder Spieler zehn der<br />
32 Karten. Wie viele unterschiedliche<br />
Blätter kann er erhalten?<br />
Die Karten entsprechen den Kugeln. Da<br />
jede Karte höchstens einmal im Blatt sein<br />
kann, ist die Stichprobe ohne Mehrfachziehung.<br />
Da der Spieler die Karten beliebig<br />
anordnen darf, spielt die Reihenfolge der<br />
Ziehung keine Rolle. Die Stichprobe ist daher<br />
ungeordnet.<br />
Ziehung einer ungeordneten Stichprobe<br />
mit Mehrfachziehung<br />
In einem Restaurant können die Gäste von<br />
7 Gerichten auswählen. Der Ober notiert<br />
die jeweilige Anzahl der Gerichte und<br />
reicht die Bestellung in die Küche. Mit wie<br />
vielen verschiedenen Bestellungen muss<br />
der Koch rechnen?<br />
Die Gerichte entsprechen den Kugeln, die je<br />
Gast einmal gezogen werden. Gerichte<br />
dürfen mehrfach bestellt werden, die Reihenfolge<br />
der Bestellungen spielt keine<br />
Rolle.
Für die Auswahl der Birnen gibt es zwei Möglichkeiten<br />
(G <strong>für</strong> gelb und N <strong>für</strong> Grün). Für die<br />
Auswahl der Trauben gibt es ebenfalls zwei<br />
Möglichkeiten (W und R). Für die Auswahl des<br />
Apfels gibt es drei Möglichkeiten (R, G oder N).<br />
Für die Kombination von Birnen und Trauben<br />
gibt es dann schon vier Möglichkeiten:<br />
GW GR<br />
RW RR<br />
Nimmt man den Apfel noch dazu, ergeben sich<br />
zwölf Kombinationen:<br />
GWR GWG GWN<br />
GRR GRG GRN<br />
RWR RWG RWN<br />
RRR RRG RRN<br />
Auffällig ist nun, dass sich gerade 12=2⋅2⋅3<br />
Kombinationen ergeben, wo es doch <strong>für</strong><br />
Birnen, Trauben und Äpfel auch je 2 bzw. 3<br />
Auswahlmöglichkeiten gab.<br />
Diese Erkenntnis führt zu folgendem Satz:<br />
Satz (Produktregel der <strong>Kombinatorik</strong>):<br />
Bei einem Experiment mit k voneinander<br />
unabhängigen Stufen, bei dem jede Stufe n i<br />
Aushänge haben kann, beträgt die Anzahl<br />
der möglichen Ergebnisse der Experiments<br />
n 1<br />
⋅n 2<br />
⋅...⋅n k<br />
.<br />
Beweis: Sei k=2. Dann lassen sich die n 1<br />
Ausgänge der ersten Stufe mit den n 2<br />
Ausgängen der zweiten Stufe in einer<br />
tabellarisch darstellbaren Art verbinden:<br />
1-1 2-1 3-1 ⋯ n 1 -1<br />
1-2 2-2 3-2 ⋯ n 1 -2<br />
1-3 2-3 3-3 ⋯ n 1 -3<br />
⋮ ⋮ ⋮ ⋮<br />
1-n 2 2-n 2 3-n 2 ⋯ n 1 -n 2<br />
Es ergeben sich n 1<br />
⋅n 2 mögliche<br />
Kombinationen. Wenden man dieses<br />
Verfahren mehrfach an, erhält man den Satz.<br />
Geordnete Stichprobe mit Mehrfachziehung<br />
Bei einer geordneten Stichprobe mit Mehrfachziehung<br />
werden aus einer Urne mit<br />
n Kugeln k Stück gezogen, wobei einzelne<br />
Kugeln mehrfach gezogen werden können.<br />
Legt man jede gezogene Kugel noch vor der<br />
Ziehung der nächsten Kugel <strong>zur</strong>ück in die<br />
Urne, dann ist so eine Mehrfachziehung<br />
möglich. Letztlich ist auch die Reihenfolge<br />
der gezogenen Kugeln von Bedeutung. Es ist<br />
also ein Unterschied, ob die Kugeln 1, 3 und 4<br />
oder die Kugeln 3, 4 und 1 (in dieser Reihenfolge)<br />
gezogen wurden.<br />
Nun hat man bei der ersten der k Ziehungen<br />
n verschiedene Kugeln <strong>zur</strong> Auswahl. Da die<br />
Kugel der ersten Ziehung jedoch vor der Ziehung<br />
der nächsten Kugel <strong>zur</strong>ückgelegt<br />
wird, hat man auch bei der zweiten und jeder<br />
folgenden Ziehung n Möglichkeiten. Mit<br />
der Produktregel der <strong>Kombinatorik</strong> folgt daher,<br />
dass es bei einer geordneten Stichprobe<br />
mit Mehrfachziehung n⋅n⋯n=n k mögliche<br />
Ziehungen gibt.<br />
Geordnete Stichprobe ohne Mehrfachziehung<br />
Die geordnete Stichprobe kommt ohne<br />
Mehrfachziehung aus. Eine bereits gezogene<br />
Kugel kann also nicht erneut gezogen<br />
werden. Für die Anzahl der Möglichkeiten<br />
in jeder der k Ziehungen bedeutet das, dass<br />
diese abnehmen muss, da ja von Ziehung zu<br />
Ziehung eine Kugel weniger da ist. So gibt<br />
es in der ersten Ziehung n Möglichkeiten, in<br />
der zweiten Ziehung n−1 Möglichkeiten, in<br />
der dritten Ziehung n−2 Möglichkeiten usw.<br />
In der letzten, also k-ten Ziehung muss es<br />
schließlich n−k−1 Ziehungen geben, wie<br />
sich leicht überlegen lässt. Mit der<br />
Produktregel der <strong>Kombinatorik</strong> ergeben sich<br />
daher n⋅ n−1⋯n−k1 mögliche<br />
Ziehungen. Verwendet man nun noch die<br />
Falkultäts-Schreibweise m!=m⋅ m−1⋯2⋅1,<br />
so lässt sich <strong>für</strong> die Anzahl der möglichen<br />
geordneten Stichproben ohne<br />
n!<br />
Mehrfachziehung auch<br />
n−k ! schreiben.
Ungeordnete Stichprobe ohne Mehrfachziehung<br />
Zieht man bei einer „vereinfachten“ Lotterie<br />
aus zehn von 0 bis 9 nummerierten Kugeln<br />
drei Stück und bildet aus der Ziehung eine<br />
dreistellige Zahl, wobei keine Zahl doppelt<br />
gezogen werden soll und der Zeitpunkt der<br />
Ziehung die Stelle in der Zahl bestimmen<br />
soll, so hat man eine geordnete Stichprobe<br />
ohne Mehrfachziehung mit<br />
10!<br />
10−3 ! = 10!<br />
7! =10⋅9⋅8=720<br />
möglichen Ausgängen. Zieht man die Zahlen<br />
1, 4, und 7, so wären folgende Ausgänge<br />
denkbar:<br />
1 4 7 1 7 4<br />
4 1 7 4 7 1<br />
7 1 4 7 4 1<br />
Oben wurde gezeigt, dass es<br />
n!<br />
n−n! =n! Möglichkeiten<br />
gibt, alle n Elemente einer n-elementigen<br />
Menge anzuordnen. Für die Zahlen<br />
1, 4 und 7 gibt es also 3!=6 mögliche Anordnungen,<br />
wie die obige Auflistung schon<br />
gezeigt hat.<br />
Interessiert man sich nun jedoch <strong>für</strong> eine ungeordnete<br />
Stichprobe, beispielsweise, weil<br />
die gezogenen Ziffern sowieso so geordnet<br />
werden, dass die kleinstmögliche Zahl, hier<br />
also 147, entsteht, so reduziert sich die Anzahl<br />
der Möglichkeiten. Da es <strong>für</strong> jede mögliche<br />
Ziehung von k Kugeln k! mögliche Anordnungen<br />
gibt, ist jeder Ergebnis der ungeordneten<br />
Stichprobe ohne Mehrfachziehung<br />
k!-fach in der geordneten Stichprobe ohne<br />
Mehrfachziehung enthalten. So ergeben sich<br />
<strong>für</strong> die ungeordnete Stichprobe ohne Mehrfachziehung<br />
Ausgänge.<br />
n!<br />
n−k ! :k!= n!<br />
k! n−k!<br />
mögliche<br />
Ungeordnete Stichprobe mit Mehrfachziehung<br />
Die ungeordnete Stichprobe mit Mehrfachziehung<br />
ist der vielleicht komplizierteste<br />
Fall. Im Folgenden sollen zwei Möglichkeiten<br />
vorgestellt werden, um hier zu einer<br />
allgemeinen Lösung zu gelangen.<br />
Zugang über die Restaurant-Bestellung<br />
Ausgangspunkt sei folgende Überlegung: In<br />
einem Restaurant werden n Gerichte<br />
angeboten. Der Ober nimmt nun die<br />
Bestellungen an einem Tisch auf, an dem k<br />
Gäste sitzen. Die Gäste bestellen jeweils ein<br />
Gericht. Auf einem Zettel, auf dem<br />
untereinander bereits die Namen der n<br />
Gerichte stehen, zeichnet der Ober pro<br />
Bestellung je einen Strich hinter das<br />
jeweilige Gericht. Natürlich können Gerichte<br />
mehrmals bestellt werden und die<br />
Reihenfolge der Bestellung spielt keine<br />
Rolle, da sich sicherlich später jeder<br />
erinnern wird, was er bzw. sie bestellt hat.<br />
Bei vier Gerichten und vier Gästen könnte<br />
ein Bestellzettel wie folgt aussehen:<br />
Hasenkeule mit Kroketten<br />
Wiener Schnitzel mit Pommes frites<br />
Seelachs nach Müllerin Art<br />
Mediterraner Salatteller<br />
II<br />
I<br />
I<br />
Die Frage ist nun, wie viele verschiedene<br />
Bestellzettel der Ober an die Küche weiterreichen<br />
könnte. Eine Antwort auf diese Frage<br />
erhält man, indem man den Bestellzettel<br />
weiter vereinfacht. Dabei schreibt man „I“<br />
pro Bestellung eines Gerichts und „–“, wenn<br />
man in die nächste Zeile, also zum nächsten<br />
Gericht geht. Der Code <strong>für</strong> obige Bestellung<br />
wäre also:<br />
II––I–I<br />
Offenbar wird jeder Bestellcode dann k<br />
senkrechte und n−1 waagerechte Striche,<br />
also insgesamt nk−1 Zeichen enthalten.<br />
Fraglich ist bloß, wie viele Möglichkeiten es<br />
gibt, diese anzuordnen. Letztlich müssen<br />
aber lediglich k senkrechte Striche auf<br />
nk−1 Stellen verteilt werden, in die<br />
Lücken kommen dann waagerechte Striche.<br />
Dabei spielt die Reihenfolge der einzelnen
Alternativer Zugang<br />
senkrechten Striche keine entscheidende<br />
Rolle, da die Striche ja alle identisch sind. Es<br />
handelt sich also um eine ungeordnete Stichprobe<br />
ohne Wiederholung, <strong>für</strong> die es<br />
Möglichkeiten gibt.<br />
nk−1 !<br />
k! n−1!<br />
Alternativ stelle man sich folgenden Sachverhalt<br />
vor: In einer Lotterie werden aus einer<br />
Urne mit n Kugeln k gezogen. Gezogene<br />
Kugeln werden notiert und sofort <strong>zur</strong>ückgelegt,<br />
abschließend werden die Kugel der Größe<br />
ihrer Bezifferung nach geordnet. Es handelt<br />
sich also um eine ungeordnete Stichprobe<br />
mit Mehrfachziehung und ein möglicher<br />
Ausgang bei 5 aus 7 Kugeln wäre:<br />
1 2 2 2 7<br />
Addiert man nun <strong>zur</strong> ersten Zahl 0 hinzu,<br />
<strong>zur</strong> zweiten Zahl 1, <strong>zur</strong> dritten Zahl 2 usw., so<br />
erhält man folgendes:<br />
1 2 2 2 7<br />
+0 +1 +2 +3 +4<br />
1 3 4 5 11<br />
Offenbar kann es nun keine mehrfach auftretenden<br />
Zahlen mehr geben. Es handelt<br />
sich nun um eine Stichprobe ohne Mehrfachziehung<br />
aus nk−1 Zahlen. Die Stichprobe<br />
ist immernoch ungeordnet, da die Zahlen eh<br />
ihrer Größe nach geordnet werden. Für diese<br />
ungeordnete Stichprobe ohne Mehrfachziehung<br />
ergeben sich daher<br />
Ausgänge.<br />
nk−1 !<br />
k! n−1! mögliche<br />
Setzt man nun noch n k := n!<br />
k!n−k ! (gesprochen „n über k“), so erhält man folgende Tabelle:<br />
Stichprobe ohne Mehrfachziehung mit Mehrfachziehung<br />
geordnet<br />
n!<br />
n−k !<br />
ungeordnet<br />
n k nk−1<br />
k<br />
n k<br />
bzw. nk−1<br />
n−1