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Zur Neuropsychologie von Dyslexie, AD(H)S und Dyskalkulie - SDBB

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Hirnfunktionen <strong>und</strong> ihre Störungen in postmodernen<br />

Zeiten der Globalisierung <strong>und</strong> Neoliberalisierung unter<br />

Bedingungen eines Kapitalismus neuer Technologien<br />

<strong>Zur</strong> <strong>Neuropsychologie</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Dyslexie</strong>, <strong>AD</strong>(H)S <strong>und</strong> <strong>Dyskalkulie</strong><br />

Hennric Jokeit<br />

Jokeit H, Hess E, Neurokapitalismus. MERKUR Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 721, Juni 2009<br />

Jokeit H, Hess E, Länger wach: Die Dynamik des Neurokapitalismus. Psychologie Heute 04/2010<br />

http://neurokapitalismus.com<br />

<strong>Dyslexie</strong>, <strong>AD</strong>(H)S <strong>und</strong> <strong>Dyskalkulie</strong><br />

Axial sections through the human brain at 2 mm intervals show a consistent activation<br />

difference between a group happily in love and a group in love but recently rejected.<br />

Fisher H. E. et.al. Phil. Trans. R. Soc. B 2006;361:2173-2186<br />

Fischli/Weiss<br />

4<br />

Komorbidität<br />

Forschungsmillionen des NIH<br />

☹ <br />

☹ <br />

☹ <br />

☹ <br />

☹ ⧖<br />

☹ ⧖<br />

☹ ⧖<br />

☹ ⧖<br />

<strong>Dyslexie</strong><br />

4%<br />

50%<br />

2%<br />

<strong>Dyskalkulie</strong><br />

3-6%<br />

20-30%<br />

1%<br />

ca.15%<br />

0.6%<br />

<strong>AD</strong>HS<br />

4%<br />

1000<br />

100<br />

10<br />

1<br />

0.1<br />

275 346 314 365<br />

533<br />

19 18 20 23 27<br />

1.6<br />

0.4 0.4<br />

2001 2003 2005 2007 2009<br />

Dyslexia Dyscalculia <strong>AD</strong>HD Autism<br />

Stiefelhagen 2002, <strong>von</strong> Aster 2005, Butterworth et al. 2011<br />

Bishop 2010


Wissenschaftliche Publikationen <strong>von</strong> 1984-2009<br />

<strong>AD</strong>(H)S <strong>und</strong> <strong>Dyslexie</strong> am INDB<br />

18000<br />

16000<br />

14000<br />

12000<br />

10000<br />

8000<br />

6000<br />

4000<br />

2000<br />

0<br />

12631<br />

3789<br />

229<br />

Publikationen<br />

Dyslexia Dyscalculia <strong>AD</strong>HD Autism<br />

N = 198 (153 Knaben)<br />

Alter = 10.4 J. (8-15.5)<br />

50 % in 2.-3. Klasse<br />

CH-Muttersprache<br />

IQ > 85<br />

Keine Neurologie<br />

<strong>AD</strong>S<br />

Mit <strong>Dyslexie</strong> 72 %<br />

N = 55<br />

Ohne <strong>Dyslexie</strong> 28 %<br />

N = 21<br />

<strong>AD</strong>HS<br />

54 %<br />

N= 67<br />

46 %<br />

N = 55<br />

Bishop 2010<br />

Keller 2004<br />

Ähnlichkeit <strong>von</strong> Symptomen (Phänokopie)<br />

• Das am Lesen/Rechnen verzweifelnde Kind erscheint<br />

aufmerksamkeitsgestört.<br />

• Das unkonzentriert lesende/rechnende Kind erscheint<br />

dyslektisch/dyskalkulisch.<br />

• Haben <strong>Dyslexie</strong>/<strong>Dyskalkulie</strong> <strong>und</strong> Aufmerksamkeitsstörung<br />

dieselben Ursachen / Wirkungen / Wechselwirkungen?<br />

9<br />

10<br />

Lapis Niger, ca. 600 v. Chr.<br />

Vermeer 1663 Renoir 1875<br />

12


“Rechtschreibschwäche war in Exeter<br />

unbekannt, was bedeutete, dass man wenig<br />

über die Hintergründe wusste. Natürlich war<br />

meine Legasthenie dafür verantwortlich, aber<br />

da es diese Diagnose Ende der fünfziger <strong>und</strong><br />

Anfang der sechziger Jahre noch nicht gab,<br />

stufte der Sprachtherapeut, der meinen rätselhaften<br />

Fall beurteilen sollte, meine miserable<br />

Orthographie als psychologisches Problem<br />

ein. … Als ich nach zahlreichen Therapiesitzungen<br />

den Unterschied zwischen<br />

“Allegorie” <strong>und</strong> “Allergie” noch immer nicht<br />

erkennen konnte, wurde ich dem Schulpsychiater<br />

übergeben.”<br />

Mythos, Stigma, Misskonzept<br />

"Als Ursachen der Legasthenie werden zahlreiche Faktoren<br />

genannt. Sie liegen teilweise in der kindlichen<br />

Persönlichkeit, teilweise aber auch in der familiären<br />

Sozialisation des Kindes. Besondere Beachtung verdient die<br />

<strong>Zur</strong>ückführung der Legasthenie auf eine Lehrschwäche.<br />

Damit soll zum Ausdruck kommen, dass sich legasthene<br />

Störungen zumindest teilweise auf einen unqualifizierten<br />

Leseunterricht sowie auf die gesamte schulische Umwelt<br />

zurückführen lassen."<br />

(c) Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2003<br />

Historisches<br />

• 1865 Oswald Berkhan: "Über die Störung der Schriftsprache"<br />

Bericht über ein Kind, das Buchstaben verwechselte "gerade wie es<br />

Stammelnde beim Sprechen tun".<br />

Lese- <strong>und</strong> Rechtschreibstörung nach ICD-10<br />

• 1887 Rudolph Berlin:<br />

"Eine besondere Art <strong>von</strong> Wortblindheit" - Dyslexia<br />

• 1896 Pringel WP.: "A case of congenital word-blindness"<br />

- <strong>Dyslexie</strong> als eigenständiges Syndrom<br />

- Lokalisation im Gyrus angularis<br />

Umschriebene <strong>und</strong> bedeutsame Beeinträchtigung in der<br />

Entwicklung der Lese- <strong>und</strong> Rechtschreibfertigkeiten, die nicht<br />

allein durch das Entwicklungsalter, Seh- <strong>und</strong> Hörprobleme oder<br />

unangemessene Beschulung erklärbar ist.<br />

• 1950 Halgren: bei 90 % der Dyslektiker sind auch Angehörige betroffen<br />

• 1959 Hermann: bei eineiigen Zwillingen sind stets beide betroffen<br />

Epidemiologie<br />

• 3,7% der Gr<strong>und</strong>schüler (Eisert 1990, D)<br />

• 3.9% der Neun- <strong>und</strong> Zehnjährigen (Lewis et al.<br />

1994, UK)<br />

• 4.3-6.4% der deutschen Erwachsenen erreichen<br />

nicht das Rechtschreibniveau <strong>von</strong> Viertklässlern<br />

(Haffner et al. 1998).<br />

Symptomatik der Lese- <strong>und</strong> Rechtschreibstörung<br />

nach ICD-10<br />

• Hohe Fehlerzahl bei ungeübten Diktaten.<br />

• Schwierigkeiten beim Abschreiben <strong>von</strong> Texten.<br />

• Spezifische, sog. legasthenietypische Fehler sind empirisch nicht bewiesen.<br />

• Auslassen, Ersetzen oder Hinzufügen <strong>von</strong> Wörtern oder Wortteilen.<br />

• Verkrampfte Schreibhaltung.<br />

• Undeutliches Schriftbild.<br />

• Langsames Schreiben.<br />

• Niedrige Lesegeschwindigkeit.<br />

• Startschwierigkeiten beim Vorlesen, langes Zögern oder Verlieren der Zeile<br />

• Mangelhaftes Lesesinnverständnis.


Symptome - nichtschriftsprachlich<br />

mukipato sigubade nomalore fenapitoka<br />

- Eigennamen: Shostakovich<br />

- Konsonantenhäufungen: Schostakovich, Cevapcici<br />

- Gedichte Lernen (hören Reime nicht)<br />

- Sprachliche Exaktheit<br />

- Fremdsprachen Lernen<br />

- Wortfindung<br />

- Erst-Enkodierung<br />

- „Bewegungslegastheniker“, (gute Grobmotorik)<br />

nigesaar nofidabige talimenaro wesakupita<br />

rosabegode kanoleramu maseritokape taselabigoda<br />

kofenomirale safelatipoka rafenadogabi sakoralimano<br />

Empfehlungen zur Diagnostik der <strong>Dyslexie</strong><br />

Empfehlungen zur Diagnostik der <strong>Dyslexie</strong><br />

• Anamnese (Eigen-, Familien- <strong>und</strong> Fremdanamnese)<br />

• Schulbericht<br />

• Standardisierter Rechtschreibtest<br />

• Standardisierter Lesetest<br />

• Standardisierter Intelligenztest<br />

• Verfahren zur Erfassung psychischer Probleme /Störungen<br />

• Neurologisches <strong>und</strong> internistisches Screening<br />

• Tests für Hören, Sehen, Motorik<br />

• Überprüfung der Artikulation <strong>und</strong> des Sprachverständnisses<br />

Ausschlusskriterien:<br />

– Unangemessene Beschulung<br />

– Mangelnde Sprachkenntnis<br />

– Defizite im peripheren Hören <strong>und</strong> Sehen<br />

– Neurologische Störungen (z. B. Aphasie)


Häufige psychische Auffälligkeiten bei <strong>Dyslexie</strong><br />

• Introversive Symptome:<br />

– Bauchschmerzen (insbe-sondere vor Diktaten)<br />

– Vermindertes Selbstwert-gefühl<br />

– Ängste<br />

– Schlafstörungen<br />

– Selbstmordgedanken<br />

• Hyperkinetische Symptome:<br />

– Aufmerksamkeitsstörung<br />

– Hyperaktivität<br />

– Impulsivität<br />

• Dissoziale Symptome:<br />

– Lügen<br />

– Schuleschwänzen<br />

– Delinquenz<br />

Verlauf der Lese- <strong>und</strong> Rechtschreibstörung<br />

• Es besteht eine hohe Entwicklungsstabilität der Lese- <strong>und</strong><br />

Rechtschreibfähigkeit (Schulte-Körne et al. 2002).<br />

• Schlechte Leseleistungen in der 1. Klasse prädiktieren zu 90%<br />

schlechte Leistungen in der 4. Klasse, zu 75% in der 8. Klasse<br />

• Deutlich geringeres Schulabschluß- <strong>und</strong> Berufsausbildungsniveau,<br />

erhöhte Arbeitslosigkeit (Strehlow et al. 1992, Esser et al. 2002).<br />

• Erhöhte Anzahl psychiatrischer Symptome im Erwachsenenalter,<br />

insbesondere im dissozialen Bereich <strong>und</strong> Suchtbereich (Esser et al.<br />

2002).<br />

Vereinfachtes Ursachenmodell<br />

Ursachen - genetisch<br />

Stammbaum einer "<strong>Dyslexie</strong>-Familie"<br />

Genetische<br />

Disposition<br />

Störungen des Lesens<br />

<strong>und</strong> des Rechtschreibens<br />

Störungen der<br />

visuellen Wahrnehmung<br />

Störungen der<br />

auditiven Wahrnehmung<br />

nicht betroffen<br />

betroffen<br />

männlich<br />

weiblich<br />

Ursachen - genetisch<br />

Ursachen - genetisch<br />

Merkmale auf<br />

Chromosomen 1, 2,<br />

3, 6, 15 <strong>und</strong> 18<br />

Erblichkeit für<br />

Söhne 40 %<br />

Töchter 16 %<br />

Schlüer & Jokeit 2007


Ursachen - morphologisch<br />

Visuelles (magnozelluläres) Defizit?<br />

(Burr and Baldwin 1996)<br />

Entwicklungsdynamik<br />

Ungleichzeitigkeit der Reifung<br />

33<br />

Casey BJ et al. 2005<br />

34<br />

Geschriebenes Wort<br />

„rosarot“<br />

System zur visuellen Analyse<br />

Visuelles Wortlexikon<br />

„Sichtwortschatz“<br />

Semantisches System<br />

Phonologisches Wortlexikon<br />

Phonologische En-/Rekodierung<br />

Aussprache<br />

Demonet et al. Lancet 2004 May 1;363(9419):1451-60


Geschriebenes Wort<br />

„torasor“<br />

System zur visuellen Analyse<br />

Semantisches System<br />

?<br />

Phonologisches Wortlexikon<br />

?<br />

Phonologische En-/Rekodierung<br />

Graphem-<br />

Phonem-<br />

Konversion<br />

Aussprache<br />

Geschriebenes Wort<br />

„rosarot“<br />

System zur visuellen Analyse<br />

„torasor“<br />

Visuelles Wortlexikon<br />

„Sichtwortschatz“<br />

Semantisches System<br />

Phonologisches Wortlexikon<br />

Graphem-<br />

Phonem-<br />

Konversion<br />

Phonologische En-/Rekodierung<br />

Aussprache<br />

Geschriebenes Wort<br />

System zur visuellen Analyse<br />

„torasor“<br />

„rosarot“<br />

Visuelles Wortlexikon<br />

„Sichtwortschatz“<br />

Semantisches System<br />

Phonologisches Wortlexikon<br />

Graphem-<br />

Phonem-<br />

Konversion<br />

Phonologische En-/Rekodierung<br />

Aussprache


Lesen<br />

<strong>Dyslexie</strong><br />

C<br />

B<br />

A<br />

Normale Aktivierung<br />

Frontale Überaktivierung,<br />

temporale Minderaktivierung<br />

Was tun?<br />

Auguste Rodin (1840 - 1917)<br />

Therapie<br />

Therapie<br />

• positive Lernerlebnisse<br />

• Stärkung <strong>von</strong> Selbstwert- <strong>und</strong> -wirksamkeit<br />

• alle Verarbeitungsebenen berücksichtigen<br />

- Phonologisch<br />

- Graphematisch<br />

- visuelles Wortformwissen<br />

• Lernen ist neuronales Lernen<br />

• Prinzipien neuronalen Lernens:<br />

– Frequenz<br />

– kritische Zeitfenster<br />

• Evidenz: 100 min. täglich, 8 Wochen, 1-2 Kinder / Trainer<br />

• 50 % profitieren 1-2 Jahre<br />

• diese 50% machen weitere Fortschritte,<br />

• erreichen aber nicht das Durchschnittsniveau<br />

• Erfolgsprädiktor ist früher Therapiebeginn (6-8 Jahre)<br />

48<br />

Demonet et al. 2004


Brain activation differences in dyslexia and its treatment.<br />

... <strong>und</strong> was nicht?<br />

• Schuldzuweisungen<br />

• charismatischen Heilsversprechern glauben<br />

• hoffen, dass sich Probleme <strong>von</strong> selbst lösen<br />

J D E Gabrieli Science 2009;325:280-283<br />

Auf den Weg ...<br />

1. <strong>Dyslexie</strong> ist zumeist eine erbliche Lernstörung.<br />

2. Die Symptome auf der lautsprachlichen Ebene sind oft diskret.<br />

3. Psychische Folgen sind meist <strong>von</strong> grösster Relevanz.<br />

4. Kompensation ist möglich, kein “Auswachsen”, keine “Heilung”<br />

- nichtschriftsprachliche Merkmale persistieren<br />

Komorbidität<br />

<strong>Zur</strong> <strong>Neuropsychologie</strong> der <strong>AD</strong>(H)S<br />

Hennric Jokeit<br />

☹ <br />

☹ <br />

☹ <br />

☹ <br />

☹ ⧖<br />

☹ ⧖<br />

☹ ⧖<br />

☹ ⧖<br />

NIH $100M<br />

<strong>Dyslexie</strong><br />

4%<br />

50%<br />

2%<br />

<strong>Dyskalkulie</strong><br />

3-6%<br />

NIH $2.3M<br />

20-30%<br />

1%<br />

ca.15%<br />

0.6%<br />

<strong>AD</strong>HS<br />

4%<br />

Stiefelhagen 2002, <strong>von</strong> Aster 2005, Butterworth et al. 2011


Was ist Aufmerksamkeit?<br />

Ontogenese <strong>von</strong> Aufmerksamkeitsfunktionen<br />

blau gelb rot grün<br />

grün blau gelb rot<br />

grün rot blau gelb<br />

rot grün gelb blau<br />

gelb rot grün blau<br />

rot blau gelb grün<br />

Was ist Aufmerksamkeit?<br />

Was ist <strong>AD</strong>HS?<br />

1. Modulation der Selektivität <strong>von</strong><br />

Reizverarbeitungsprozessen<br />

2. komplexes Funktionssystem, das ontogenetisch spät<br />

ausreift<br />

3. hohe Vulnerabilität (TBI, MTBI, Depression,<br />

chronischer Schmerz, Alter)<br />

Lorenz, 11;9 Jahre<br />

Was ist <strong>AD</strong>HS?<br />

Unaufmerksamkeit<br />

Impulsivität<br />

Hyperaktivität<br />

Desorganisiertheit<br />

Gedächtnisdefizite<br />

Reizbarkeit<br />

Impulsive Aggressivität<br />

Emotionale Labilität<br />

"Sensation seeking"<br />

Abweichende Reaktion auf Belohnung<br />

Klinisch heterogenes Bild!<br />

Diagnosekriterien<br />

• ICD-10: Hyperkinetische Störungen<br />

– F90.0 einfache Aktivitäts- <strong>und</strong><br />

Aufmerksamkeitsstörung<br />

– F90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens<br />

• DSM-IV Attention Deficit / Hyperactivity Disorder<br />

(314)<br />

– inattentive type<br />

– hyperactive-impulsive type<br />

– combined type


Diagnostische Kriterien der <strong>AD</strong>HS nach DSM-IV<br />

<strong>AD</strong>HS → Störung mit Beginn im Kleinkindalter, der Kindheit <strong>und</strong> Adoleszenz<br />

Kriterien:<br />

•Für eine <strong>AD</strong>HS-Diagnose nach DSM-IV müssen entweder A1 <strong>und</strong>/oder A2 sowie B, C,<br />

D & E zutreffen<br />

A1 Unaufmerksamkeit<br />

>6 (9) Symptome<br />

>6 Monate<br />

Bsp: beachtet häufig Einzelheiten nicht<br />

oder macht Flüchtigkeitsfehler<br />

B<br />

Einige der beeinträchtigenden<br />

Symptome vor dem 7. LJ<br />

D<br />

Klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen<br />

In sozialen, schulischen oder beruflichen<br />

Funktionsbereichen<br />

←<strong>und</strong>/oder→<br />

A2 Hyperaktivität/Impulsivität<br />

>6 (9) Symptome<br />

>6 Monate<br />

Beispiel: zappelt häufig mit Händen oder<br />

Füssen oder rutscht auf dem Stuhl herum<br />

C<br />

Beeinträchtigungen in ≥2 Bereichen<br />

Schule bzw. Arbeitsplatz<br />

<strong>und</strong> zu Hause<br />

E<br />

Symptome können nicht durch eine<br />

andere psychische Störung besser<br />

erklärt werden<br />

Soziale Kosten<br />

• 50-75% der Strafgefangenen<br />

• 43% der Jungen bei Festnahme mit 16<br />

• 52 % bei Substanzmissbrauch<br />

• 35 % Schulversager<br />

• 25 % “Sitzenbleiber”<br />

• 40 % ungewünschter Schwangerschaften<br />

• 3 x höheres Scheidungsrisiko<br />

• 1.5 x höhere Kosten für Krankenversicherung<br />

<strong>AD</strong>HS - Häufigkeit<br />

Prävalenz nach DSM IV: 3-7%<br />

15%<br />

5%<br />

Mischtyp<br />

Unaufmerksam<br />

Hyperaktiv/impulsiv<br />

80%<br />

63<br />

Konrad & Rösler 2009<br />

64<br />

Prävalenzschätzungen <strong>AD</strong>HD<br />

• 2 - 12 % im frühen Schulalter<br />

• 1- 8 % Sozial oder psychiatrisch Auffällig<br />

• 9 % männlich / 3 % weiblich<br />

• 0.2 % - 2.4 % Erwachsenen-<strong>AD</strong>HD<br />

– syndromatische Remission<br />

– symptomatische Remission<br />

– funktionelle Remission<br />

Sagvolden et al. 2005<br />

66<br />

Schlander et al. 2009


<strong>AD</strong>HS – Komorbidität – ca. 80%<br />

Ätiologie <strong>und</strong> Pathogenese<br />

(%)<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Oppositionelles<br />

Trotzverhalten<br />

Angststörung<br />

Lernstörung<br />

Affektive<br />

Störung<br />

St. des<br />

Sozialverhaltens<br />

Substanzgebrauch<br />

Milberger et al. Am J Psychiatry 1995; 152: 1793–1799<br />

Biederman et al. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 1997; 36: 21–29<br />

Castellanos. Arch Gen Psychiatry 1999; 56: 337–338<br />

Goldman et al. JAMA 1998; 279: 1100–1107<br />

Tics<br />

• Heterogenes Syndrom<br />

• mit unklarer Ätiologie<br />

• mit unklarer Pathologie<br />

• kein spezifisches Merkmal / Test<br />

• Diagnose basiert auf Verhaltensbeurteilung<br />

– Fremdbeurteilung durch Lehrer <strong>und</strong> Eltern<br />

– selten ergänzt um psychologische <strong>und</strong><br />

neurokognitive Evaluation<br />

67<br />

“Where, within the brain of the <strong>AD</strong>HD child, is<br />

the site of the common core dysfunction that<br />

causes <strong>AD</strong>HD?”<br />

69<br />

Sonuga-Barke, 1994<br />

70<br />

Curatolo 2008<br />

71<br />

Regions where the <strong>AD</strong>HD group had delayed cortical maturation, as indicated by an older age of<br />

attaining peak cortical thickness.<br />

Sowell et al. 2003 Shaw P et al. PNAS 2007;104:19649-19654


Multiple pathologische „Pathways“<br />

controls<br />

<strong>AD</strong>HS<br />

50%<br />

Frequency of patients attained peak thickness at each age for prefrontal cortex<br />

Shaw P et al. PNAS 2007;104:19649-19654<br />

74<br />

Renner & Lesch 2008, nach Castellanos & Tannock 2002<br />

<strong>AD</strong>HD-Endophänotypen<br />

<strong>AD</strong>HD-Endophänotypen<br />

• Exekutive Defizite (Barkley, Brown)<br />

• Defizite im Belohnungssystem (Sagvolden)<br />

• Energetische Defizite (Sergeant)<br />

• Zeitliche Koordination (Castellanos)<br />

• <strong>AD</strong>HD-related Variability (ARV) (Castellanos)<br />

• intermediäre Merkmale<br />

• enger verknüpft mit Pathomechanismen<br />

• neurowissenschaftlich basiert<br />

• quantifizierbar<br />

• neuropsychologische Konstrukte<br />

• Parameter für Diagnostik <strong>und</strong> Therapie<br />

75<br />

76<br />

Neuropsychologische Diagnostik<br />

• kosteneffektiv<br />

• einfach zu implementieren<br />

• Beitrag zur Diagnosestellung<br />

• Beitrag zur Therapieindikation<br />

• Beitrag zur Definition des Therapieziels<br />

• Therapiemarker<br />

• Komorbiditäten (<strong>Dyslexie</strong>)<br />

Lebensspannenperspektive<br />

The political p<strong>und</strong>it and consultant<br />

is widely credited with helping Bill<br />

Clinton win the 1992 presidential<br />

election, but he wasn't always so<br />

focused. In fact, Carville, initially<br />

flunked out of college.<br />

He later went back to earn his<br />

bachelor's degree before going on<br />

to graduate from law school.<br />

Carville has said that he fo<strong>und</strong> his<br />

razor-sharp focus for politics<br />

because of its fast-paced and everchanging<br />

nature.<br />

77<br />

James 78 Carville, 64<br />

Quelle: health.com


Threshold Theory<br />

Verbal learning in 1156 patients with TLE vs. 1000<br />

healthy control subjects<br />

? <strong>AD</strong>HD ?<br />

79<br />

80<br />

Helmstaedter & Elger 2009<br />

<strong>AD</strong>HD – ein Arbeitsbegriff<br />

<strong>AD</strong>HD ist eine ätiologisch <strong>und</strong> pathologisch heterogene, unspezifische (Entwicklungs-<br />

)Störung, die die automatische Regulation <strong>und</strong> bewusste Selbstregulation motorischer,<br />

attentionaler, kognitiver, affektiver <strong>und</strong> vegetativer Funktionen in unterschiedlichem<br />

Ausmasse betreffen kann.<br />

Die Symptomatik variiert in Abhängigkeit <strong>von</strong> der Ätiologie, den betroffenen<br />

Funktionssystemen, dem Zeitpunkt der Schädigung <strong>und</strong> der Verfügbarkeit<br />

kompensatorischer Reserven.<br />

- hohe Erblichkeit für Kombination <strong>AD</strong>HD/<strong>Dyslexie</strong><br />

- Unaufmerksamkeit <strong>und</strong> <strong>Dyslexie</strong> sind enger verknüpft als<br />

Hyperaktivität <strong>und</strong> <strong>Dyslexie</strong><br />

81<br />

82<br />

- Tempoprobleme in beiden Gruppen<br />

- Tempoprobleme ausgeprägter bei <strong>Dyslexie</strong><br />

DYSLEXIE<br />

<strong>AD</strong>HD<br />

- langsame/instabile Verarbeitungsgeschwindigkeit<br />

- Reduziertes verbales Arbeitsgedächtnis<br />

- Wortfindung (rapid naming)<br />

- komplexes auditorische Textverständnis<br />

(Bental & Tirosh 2007; Rucklidge & Tannock 2002;<br />

Martinussen & Tannock 2006)<br />

83<br />

84


<strong>AD</strong>HS<br />

<strong>Dyslexie</strong><br />

Zusammenfassung<br />

• Komorbidität ist die Regel bei <strong>AD</strong>HS <strong>und</strong> häufig bei<br />

<strong>Dyslexie</strong><br />

• Höhere Erblichkeit bei <strong>AD</strong>HS+<strong>Dyslexie</strong><br />

• Unaufmerksamkeitssymptome überlappen bei <strong>AD</strong>HS<br />

<strong>und</strong> <strong>Dyslexie</strong><br />

• Umfassende Diagnostik<br />

– Pädiatrie (Pädaudiologie, Logopädie)<br />

– <strong>Neuropsychologie</strong><br />

– Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie<br />

• Therapie<br />

– Gemeinsame Symptome gemeinsam angehen!<br />

– Positive Verstärkung, Training, Medikation<br />

85<br />

86<br />

Kasuistik<br />

m, geb. 14.03.79<br />

- leichte motorische Entwicklungsretardierung<br />

-„late talker“ > 3 Jahren<br />

- „Eigenbrötler“ in Schule<br />

- Schwächen im Fremdspracherwerb<br />

- herausragende Leistungen in Naturwissenschaften<br />

- Nach Studium allein in 7 Jahren 5 Umzüge<br />

- „Genussgifte“: Tee, Brissago-Zigarren, Pfeife<br />

87<br />

- wechselnde Partnerschaften <strong>und</strong> Affären 88<br />

Witelson et al. 1999 Lancet, 353, 2149<br />

89


<strong>Zur</strong> <strong>Neuropsychologie</strong> der<br />

<strong>Dyskalkulie</strong><br />

Hennric Jokeit<br />

“Learn maths to boost the economy, scientist advises Britons should<br />

improve their <strong>und</strong>erstanding of mathematics in order to boost the<br />

economy and stimulate growth, a scientist has claimed.<br />

“ The Telegaph” 18.11.2010<br />

Causal model of possible inter-relations between biological, cognitive, and simple behavioral levels.<br />

Von Aster et al. 2007<br />

B Butterworth et al. Science 2011;332:1049-1053<br />

Fig. 2 Structural abnormalities in young dyscalculic brains suggesting the critical role for the IPS.<br />

Triple Code Modell<br />

B Butterworth et al. Science 2011;332:1049-1053


WWW.INDB.CH<br />

NEUROPSYCHOLOGIE@SWISSEPI.CH<br />

Sarah Broicher, MSc.<br />

Gianina Toller, MSc.<br />

Agne Velickaite, lic. phil.<br />

Franziska Arter, lic. phil.

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