01.11.2013 Aufrufe

Gottesdienstlehre - Mohr Siebeck Verlag

Gottesdienstlehre - Mohr Siebeck Verlag

Gottesdienstlehre - Mohr Siebeck Verlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

4. Schwelle und Unterbrechung: Gottesdienstliche Dramaturgie<br />

zweckrationalen und wertrationalen Wahrnehmung der Wirklichkeit zu einer<br />

geschenkten und glaubenden Wahrnehmung. Darum spielt das Schöne etwa<br />

in der Musik eine so wichtige Rolle, weil es Anschauungen und Verstehen<br />

nicht außer Kraft setzt, aber den Menschen über seine Absichten hinaus zum<br />

Genießen der Wirklichkeit erhebt (vgl. Ps 8 und Ps 104). 7<br />

3.2 Die Metapher der Unterbrechung, die theologisch und liturgisch vielfach<br />

als Umschreibung der glaubenden Erfahrung herangezogen wurde (Jüngel<br />

294–296), bringt die Wahrnehmungsveränderung in ähnlicher Weise zum<br />

Ausdruck. Als das Besondere dabei kann der zeitliche Aspekt genannt werden.<br />

Wie die Metapher der Schwelle ihr reales Äquivalent im Betreten und<br />

Verlassen des Gottesdienstraumes hat, so gibt es während der Gottesdienstzeit<br />

die reale Unterbrechung der üblichen Handlungsweisen. Das ist in der<br />

Gegenwart vor allem an der Unterbrechung der Mediennutzung zu erkennen.<br />

Auf vielen Handzetteln mit dem Gottesdienstverlauf findet sich schon die<br />

Bitte, die Mobiltelefone auszuschalten. Die Liturgie unterbricht die chronologische<br />

Zeit, die durch die zweckrationale Zeitplanung gekennzeichnet ist,<br />

zugunsten der kairologischen Zeit. Hier gelten nicht mehr einzelne Handlungsoptionen.<br />

Vielmehr tritt das Ganze der Existenz in das Licht des liturgischen<br />

„Heute“. 8 Dabei erschließen sich neu die anfängliche Beziehung zu<br />

Gott, wie sie in der Taufe zugeeignet wird, und die endzeitliche Gemeinschaft<br />

und Schau Gottes, die im Abendmahl vorweggenommen ist (EG 220). Nach<br />

dem Schritt über die Schwelle und vor dem Rückweg in den Alltag steht die<br />

Unterbrechung der geplanten Zeit durch die Aufhebung der Zeit in Hören<br />

und Feiern, Wort und Sakrament. Diese Zusammenhänge in der liturgischen<br />

Gestaltung erfahrbar zu machen, ist der Sinn der liturgischen Dramaturgie.<br />

Unterbrechung<br />

4. Die Inszenierung von Schwelle und Unterbrechung:<br />

Gottesdienstliche Dramaturgie<br />

Real ist die Schwelle zum Kirchenraum bzw. zum Altarraum schnell überschritten.<br />

Die liturgische Inszenierung aber verlangsamt diesen Schritt im<br />

Erleben, indem sie ihn in mehrere Teilschritte zerlegt. Im Laufe der Liturgiegeschichte<br />

haben sich die Schritte und die Gebetsformen vielfach differenziert.<br />

Dabei ist es auch von der dramaturgischen Logik her einleuchtend,<br />

dass der zunehmenden Schwierigkeit, die Schwelle zur liturgischen Wahrneh-<br />

7 Nach der geltenden Perikopenordnung ist Ps 8 dem Neujahrstag und Ps 104 dem Erntedankfest<br />

zugeordnet: Die Freude am Geschaffenen ist der Beginn des Jahres und das<br />

Ziel der Arbeit.<br />

8 Dazu vergleiche man die „Heute“-Texte der Perikopenordnung: Lk 2,11 (Weihnachten),<br />

Hebr 3,15 (Sexagesimae), Lk 23,43 (Karfreitag), Lk 19,5.9 (3. nach Trinitatis).<br />

Leseprobe aus Meyer-Black: <strong>Gottesdienstlehre</strong><br />

(c) 2011 <strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong> www.mohr.de<br />

395

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!