Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg Zechen - Klartext Verlag
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Hans-Christoph Seidel: <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen<br />
Schriftenreihe C: Arbeitseinsatz und Zwangsarbeit <strong>im</strong> Bergbau<br />
herausgegeben von<br />
Walther Müller-Jentsch, K. Rainer Trösken und Klaus Tenfelde<br />
in Verbindung mit<br />
Bernd Bonwetsch, Gerald D. Feldman †, Lutz Niethammer,<br />
Holm Sundhaussen, Dieter Ziegler und Moshe Z<strong>im</strong>mermann<br />
Redaktion dieses Bandes: Jürgen Mittag<br />
Band 7<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong><br />
<strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
<strong>Zechen</strong> – Bergarbeiter – Zwangsarbeiter<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Die Umschlagabbildung stammt aus den Beständen des Bergbau-Archivs<br />
Bochum und zeigt einen Appell für Bergleute auf dem Gelände der Bochumer<br />
Zeche Hannibal, ca. 1943.<br />
1. Auflage April 2010<br />
Satz und Gestaltung: <strong>Klartext</strong> Medienwerkstatt GmbH, Essen<br />
Druck und Bindung: Fuldaer <strong>Verlag</strong>sagentur, Fulda<br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong>, Essen 2010<br />
ISBN 978-3-8375-0017-2<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
www.klartext-verlag.de<br />
www.ruhr-uni-bochum.de/isb/<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Inhalt<br />
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />
I. Einleitung: Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte<br />
des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />
II. <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong>: Region, Unternehmen, <strong>Zechen</strong>,<br />
Verbände, wirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
1. Region und Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
Die räumliche Formierung des <strong>Ruhrbergbau</strong>s . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
Die regionale Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />
2. Unternehmen und Manager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
Die Bergbauunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
Die Führungsschicht des <strong>Ruhrbergbau</strong>s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
Das Verhältnis zum Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
3. <strong>Zechen</strong> und Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />
Die Ruhrzechen als Großbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />
Arbeit und Sozialbeziehungen <strong>im</strong> Großbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />
4. Verbände und Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />
Die Herausbildung des Verbandswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />
Die Bergbauverbände <strong>im</strong> Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />
5. Produktion und Absatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />
Die Strukturkrise des Steinkohlenbergbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />
Die Führungsrolle des <strong>Ruhrbergbau</strong>s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />
III. Die Vorkriegszeit: Kohlenkrise, Bergarbeitermangel,<br />
Grubenmilitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
1. Von der Absatz- zur Förderkrise:<br />
Die Entwicklung von Kohlennachfrage und Kohlenförderung . . . . 67<br />
1.1 Kohlenbedarf und Vierjahresplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
1.2 Die Kohlenkrise der Vorkriegsmonate . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />
2. Von der Arbeitslosigkeit zum Bergarbeitermangel:<br />
<strong>Der</strong> Arbeitseinsatz bis zum Kriegsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85<br />
2.1 Belegschaftsentwicklung und<br />
Arbeitskräftebedarf der Ruhrzechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85<br />
2.2 Die „Flucht aus dem Bergbau“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />
<strong>Der</strong> fehlende Bergarbeiternachwuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />
Die Dynamisierung des Belegschaftswechsels . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />
Die Weiterbeschäftigung von Alterspensionären . . . . . . . . . . . . .<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
97<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Inhalt<br />
Die Menschenverteilung zwischen Zeche und Truppe . . . . . . . . . 99<br />
2.3 Reserven für den Arbeitseinsatz auf den Ruhrzechen . . . . . . . 102<br />
Keine Bergarbeiterinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102<br />
Die Rückführung ehemaliger Bergarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . 103<br />
Überregionale Arbeitskraftreserven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />
Anfänge und Grenzen der Ausländerbeschäftigung . . . . . . . . . . . 106<br />
3. Sozialpolitik und betriebliche Sozialbeziehungen<br />
zwischen Fürsorge und Disziplinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115<br />
3.1 Sozialpolitische Problemlagen vor Kriegsbeginn . . . . . . . . . . . 115<br />
Ernährung und Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116<br />
Die Lohnentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122<br />
Die betriebliche Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124<br />
3.2 Konfliktpunkte der betrieblichen Sozialbeziehungen . . . . . . . 127<br />
„Arbeitsordnungsgesetz“ und „Betriebsgemeinschaft“ . . . . . . . . . . 127<br />
<strong>Der</strong> Anstieg der unentschuldigten Feierschichten . . . . . . . . . . . . 128<br />
Die Gedingefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
IV. Die ersten Kriegsjahre: wirtschaftliche Selbstverantwortung,<br />
Ausländereinsatz, Privilegierung und Diskr<strong>im</strong>inierung . . . . . . . . . 137<br />
1. Die Ruhrkohle in der „großdeutschen“ Kohlenwirtschaft . . . . . . . . 137<br />
1.1 Die Kohlenwirtschaft <strong>im</strong> ersten Kriegsjahr . . . . . . . . . . . . . . . 138<br />
<strong>Der</strong> Eintritt des <strong>Ruhrbergbau</strong>s in den Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . 138<br />
<strong>Der</strong> Aufstieg des neuen Reichskohlenkommissars . . . . . . . . . . . . . 144<br />
Die Neuordnungspläne für die<br />
kontinentaleuropäische Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146<br />
Förderung und Absatz <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149<br />
1.2 Die Neuordnung der Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 151<br />
<strong>Der</strong> Sturz des Reichskohlenkommissars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155151<br />
Die Gründung der Reichsvereinigung Kohle<br />
und ihre ersten Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155<br />
Die Verschärfung der Kohlenlage <strong>im</strong> Sommer und Herbst 1941 . 163<br />
2. Ausländer statt Mobilisierung der Reserven:<br />
<strong>Der</strong> Arbeitseinsatz in den ersten Kriegsjahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 165<br />
2.1 Grundzüge des Arbeits- und Ausländereinsatzes . . . . . . . . . . . 165<br />
Die gebremste Mobilisierung der nationalen Reserven . . . . . . . . . 165<br />
<strong>Der</strong> Ausländereinsatz als Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168<br />
2.2 Belegschaftsentwicklung und Arbeitskräftebedarf<br />
<strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173<br />
<strong>Der</strong> Beginn des Ausländereinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173<br />
Die Arbeitskräftepolitik der Reichsvereinigung Kohle . . . . . . . . . 175<br />
<strong>Der</strong> Gesamtumfang des Ausländereinsatzes auf den<br />
Ruhrzechen bis 1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176<br />
2.3 <strong>Der</strong> einhe<strong>im</strong>ische Arbeitseinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182<br />
<strong>Der</strong> Einsatz von Saarbergarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
182<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Inhalt<br />
Die Menschenbewegungen zwischen Militär und „Kohlenfront“ . 183<br />
<strong>Der</strong> zögerliche Einstieg in die Frauenbeschäftigung . . . . . . . . . . . 188<br />
Verschärfter Nachwuchsmangel und gebremste Abwanderung . . . 191<br />
Die Abgabe von technischem Aufsichtspersonal nach Oberschlesien 196<br />
2.4 Initiativen und Einstellungen zum Ausländereinsatz<br />
<strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198<br />
Bedenken gegen den „Poleneinsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198<br />
Die Auseinandersetzungen über einen „Helotenbergbau“ . . . . . . 201<br />
<strong>Der</strong> Kurswechsel des <strong>Ruhrbergbau</strong>s in der Ausländerfrage . . . . . 204<br />
2.5 Freiwilligkeit und Zwang – Die „Sonderaktionen“<br />
zur Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften<br />
für die Ruhrzechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206<br />
Die „Sonderaktion“ <strong>im</strong> besetzten Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206<br />
Die Anwerbung italienischer Arbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211<br />
Westliche Kriegsgefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212<br />
Zivilarbeiter aus den nordfranzösischen<br />
und belgischen Kohlenrevieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214<br />
Die „Stinnes-Aktion“ in Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221<br />
Die Dienstverpfl ichtung oberschlesischer Bergarbeiter . . . . . . . . . 222<br />
Werbungen <strong>im</strong> ehemaligen Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224<br />
Rekrutierungen in Galizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225<br />
Bemühungen um sowjetische Kriegsgefangene . . . . . . . . . . . . . . . 227<br />
Bergarbeiter aus Krivoj Rog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230<br />
2.6 Untauglich, „Kontraktbruch“, Vertragsende –<br />
Die hohe Fluktuation der ausländischen Arbeitskräfte . . . . . . 232<br />
2.7 <strong>Der</strong> betriebliche Einsatz der ausländischen Arbeitskräfte . . . . 240<br />
Die Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240<br />
<strong>Der</strong> Über- und Untertageeinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243<br />
Arbeitsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247<br />
3. Bergarbeiter und „Fremdarbeiter“ –<br />
Soziale Lage und Arbeitsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249<br />
3.1 Die rechtliche Stellung der ausländischen Arbeitskräfte . . . . . 249<br />
3.2 Urlaub und Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252<br />
Urlaubssperren und -einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252<br />
Die Diskussionen um die Rücknahme der Arbeitszeitverlängerung 255<br />
Sonn- und Feiertagsschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257<br />
3.3 Die Ernährungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258<br />
Die privilegierte Stellung der Bergarbeiter<br />
<strong>im</strong> Rationierungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258<br />
Die Ernährungslage der deutschen Bergarbeiter . . . . . . . . . . . . . 260<br />
Die Lagerverpfl egung der Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262<br />
3.4 Gesundheitspolitik, Gesundheit und Krankheit . . . . . . . . . . . 266<br />
Die medizinischen Ressourcen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267<br />
Die Reform der Knappschaftsversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
268<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Inhalt<br />
Die Kontroverse um das Betriebsarztsystem . . . . . . . . . . . . . . . . 271<br />
Die Senkung des Krankenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272<br />
Die Unfallentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275<br />
Gesundheitspolitik und Ausländereinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277<br />
Die medizinische Versorgung der Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . 280<br />
3.5 Privilegierung und Diskr<strong>im</strong>inierung –<br />
Die Löhne für Deutsche und Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . 283<br />
Die lohnpolitischen Best<strong>im</strong>mungen<br />
der Kriegswirtschaftsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283<br />
Vergebliche Bemühungen um die Revision<br />
der „Göring-Verordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284<br />
Die Lohnbest<strong>im</strong>mungen für die Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . 287<br />
Trennungsgelder für „Fremdarbeiter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293<br />
Die Frage der Lohngerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294<br />
Die Profitabilität des Ausländereinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299<br />
3.6 Die Ausländerlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300<br />
Anfänge einer Lagerwelt <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . 300<br />
Die Durchsetzung des Lagerzwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303<br />
Die Zustände in den Lagern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305<br />
Ausländerbordelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308<br />
3.7 Das Sozialkl<strong>im</strong>a auf den <strong>Zechen</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310<br />
Zunehmende Spannungen in den Untertagebetrieben . . . . . . . . . 310<br />
Untaugliche Mittel zur Schaffung einer „Betriebsgemeinschaft“ . 313<br />
Die St<strong>im</strong>mung der Bergarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314<br />
Die Beziehungen zwischen deutschen<br />
und ausländischen Bergarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316<br />
3.8 Die Disziplinierung der Belegschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321<br />
Radikalisierungstendenzen in der „Bummelantenbekämpfung“ . . 321<br />
Die Einrichtung von Arbeitserziehungslagern . . . . . . . . . . . . . . 329<br />
Dienstverpfl ichtete und Jugendliche als „Problemgruppen“ . . . . . 332<br />
Die Disziplinierung der Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334<br />
V. <strong>Der</strong> „Totale Krieg“: Kohlenförderung <strong>im</strong> Bombenkrieg,<br />
„Russeneinsatz“, Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339<br />
1. <strong>Ruhrbergbau</strong> und Ruhrkohle in der „Ära Speer“ . . . . . . . . . . . . . . 339<br />
1.1 Die Neuausrichtung der Kriegswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 339<br />
1.2 Die Organisation der Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 341<br />
Die zentrale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341<br />
<strong>Der</strong> Einfl ussbereich des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats . 344<br />
1.3 Die Reichsvereinigung Kohle<br />
und die deutsche Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347<br />
1.4 Ruhrförderung und Kohlenversorgung<br />
bis zum Sommer 1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> Kohlenwirtschaftsjahr 1942/43 . . . . . . . . .<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
351<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Inhalt<br />
Die Auswirkungen der ersten „Schlacht um die Ruhr“<br />
auf die Kohlenförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356<br />
1.5 Probleme der Rationalisierung und Mechanisierung . . . . . . . . 361<br />
1.6 <strong>Der</strong> Zusammenbruch der Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . 366<br />
2. <strong>Der</strong> Arbeitseinsatz <strong>im</strong> „Totalen Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377<br />
2.1 <strong>Der</strong> Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz<br />
und der Arbeitseinsatz in der zweiten Kriegshälfte . . . . . . . . . 377<br />
Die Berufung eines Generalbevollmächtigten<br />
für den Arbeitseinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377<br />
Grundlegende Entwicklungen des Ausländereinsatzes . . . . . . . . . 380<br />
Die Mobilisierung der einhe<strong>im</strong>ischen Reserven . . . . . . . . . . . . . . 384<br />
2.2 Die Entwicklung des Ausländereinsatzes<br />
<strong>im</strong> Kohlen- und <strong>Ruhrbergbau</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387<br />
„Ostarbeiter“, Italiener und sowjetische Kriegsgefangene<br />
als Arbeitsreserven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387<br />
<strong>Der</strong> Beginn des Großeinsatzes sowjetischer Kriegsgefangener . . . . 394<br />
Die Ausweitung des Ausländereinsatzes seit dem Sommer 1943 . . 396<br />
<strong>Der</strong> Gesamtumfang des Ausländereinsatzes<br />
und vergleichende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399<br />
2.3 Bergarbeiter für die Wehrmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404<br />
Das Scheitern der Entlassaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404<br />
Die Einbeziehung des Bergbaus in die SE-Aktionen . . . . . . . . . . 405<br />
2.4 Deutsche Frauen und „Ostarbeiterinnen“:<br />
<strong>Der</strong> weibliche Arbeitseinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409<br />
<strong>Der</strong> Einsatz der ersten „Ostarbeiterinnen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 409<br />
Frauenbeschäftigung nach der Meldepfl ichtverordnung . . . . . . . . 413<br />
2.5 Jugendliche, Bergleute für die Ukraine und Invaliden . . . . . . . 416<br />
„Ostarbeiter“ als Bergbaunachwuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416<br />
Abgabe von Bergleuten an den Donezbergbau . . . . . . . . . . . . . . 418<br />
Invaliden und Alterspensionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420<br />
2.6 <strong>Der</strong> Ausländereinsatz: Einstellungswandel,<br />
Rekrutierungen und Fluktuation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423<br />
Einstellungen zum „Russeneinsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423<br />
Rekrutierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426<br />
Fluktuation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429<br />
2.7 <strong>Der</strong> „Russeneinsatz“ <strong>im</strong> Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435<br />
Die Abwehr externer Eingriffe in den betrieblichen Arbeitseinsatz 436<br />
Planungen des betrieblichen „Russeneinsatzes“ . . . . . . . . . . . . . . 440<br />
<strong>Der</strong> „Russenstreb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443<br />
Die Anlernung von „russischen Spezialarbeitern“ . . . . . . . . . . . . 448<br />
Die Arbeitsleistungen der sowjetischen Zwangsarbeiter . . . . . . . . 453<br />
2.8 <strong>Der</strong> Arbeitseinsatz <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
während der letzten Kriegsmonate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Inhalt<br />
3. Die Lage der Zwangsarbeiter und Bergarbeiter<br />
in der zweiten Kriegshälfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461<br />
3.1 Die Regulierung der Beschäftigung von „Ostarbeitern“,<br />
sowjetischen Kriegsgefangenen und italienischen<br />
Militärinternierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461<br />
3.2 Arbeitsbelastung und -überlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465<br />
Urlaub und He<strong>im</strong>fahrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465<br />
Die Ausweitung der Pfl icht- und Überarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 467<br />
Die Intensivierung des Luftkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469<br />
3.3 Die Ernährung der Bergarbeiter und Zwangsarbeiter . . . . . . . 470<br />
Die einhe<strong>im</strong>ischen Bergarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470<br />
Die sowjetischen Zwangsarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473<br />
Ernährungsversuche und Leistungsernährung . . . . . . . . . . . . . . . 481<br />
3.4 Die Gesundheit der Bergarbeiter und Zwangsarbeiter<br />
<strong>im</strong> „Totalen Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485<br />
<strong>Der</strong> Anstieg der Krankfeierschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485<br />
Die Einführung des betriebsrevierärztlichen Dienstes . . . . . . . . . 490<br />
Fleckfieber und Seuchenprophylaxe be<strong>im</strong> „Russeneinsatz“ . . . . . . 493<br />
Die medizinische Versorgung der sowjetischen Zwangsarbeiter . . 496<br />
Krankheit und Tod be<strong>im</strong> „Russeneinsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 502<br />
3.5 „Russeneinsatz“ und Lohnentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509<br />
Die Abschaffung der 200 Prozent-Prämie . . . . . . . . . . . . . . . . . 509<br />
Die „Fremdarbeiterlöhne“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512<br />
Die Kriegsgefangenenentlohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515<br />
Die italienischen Militärinternierten und<br />
westlichen Kriegsgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520<br />
3.6 Die Lebensbedingungen in den Ausländerlagern . . . . . . . . . . 521<br />
Die „Ostarbeiterlager“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521<br />
Die Lager für sowjetische Kriegsgefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . 528<br />
Ausländerlager und Bombenkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530<br />
3.7 Deutsche und Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533<br />
Die zerfallende Betriebsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533<br />
Das Verhältnis von Deutschen und Ausländern . . . . . . . . . . . . . 537<br />
3.8 „Bummelantenbekämpfung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546<br />
Betriebliche „Bummelantenbekämpfung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 546<br />
Außerbetriebliche Disziplinarmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550<br />
VI. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555<br />
Förderung und Förderpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555<br />
Arbeitseinsatzpolitik und Ausländereinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559<br />
Sozialpolitik und Zwangarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564<br />
Betriebliche Arbeitsbeziehungen und Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . . . 570<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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Inhalt<br />
Anhang<br />
Fördernde <strong>Zechen</strong> <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> nach der Rangfolge<br />
ihrer Kohlenförderung, 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574<br />
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580<br />
Verzeichnis der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584<br />
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586<br />
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620<br />
Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632<br />
<strong>Zechen</strong>- und Unternehmensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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I. Vorwort<br />
Ein diesem Buch zugrunde liegendes umfangreicheres Manuskript wurde <strong>im</strong> Winter<br />
2008/2009 von der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität<br />
Bochum als schriftliche Habilitationsleistung anerkannt. Ich danke den am Habilitationsverfahren<br />
beteiligten Gutachtern Prof. Dr. Constantin Goschler, Prof. Dr.<br />
Mark Spoerer und Prof. Dr. Klaus Tenfelde für ihre konstruktiven Überarbeitungsvorschläge<br />
zur Drucklegung. Klaus Tenfeldes Beitrag an der Entstehung dieses<br />
Buches geht weit darüber hinaus. Ich danke ihm insbesondere für das Vertrauen,<br />
das er und die anderen seinerzeitigen Vorstandsmitglieder der Stiftung Bibliothek<br />
des Ruhrgebiets, Prof. Dr. Walther Müller-Jentsch und Berg assessor K. Rainer<br />
Trösken, in mich setzten, als sie mich mit der Koordinierung des gesamten Forschungsprojektes<br />
zur Zwangsarbeit <strong>im</strong> deutschen Bergbau betrauten. Das Projekt<br />
wurde durch eine Finanzierung der seinerzeitigen RAG Aktiengesellschaft ermöglicht.<br />
Den an diesem Projekt Beteiligten – den Mitgliedern des wissenschaftlichen<br />
Beirates, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die eigene Forschungsprojekte<br />
bearbeitet haben, den wissenschaftlichen und studentischen Hilfskräften,<br />
den Mitarbeiterinnen in den Sekretariaten, den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren<br />
der Bibliothek des Ruhrgebiets sowie den Archivaren des Archivs für<br />
soziale Bewegungen – ist schon an anderer Stelle in dieser Publikationsreihe auch<br />
namentlich gedankt worden. Ich möchte diesen Dank an dieser Stelle wenigstens<br />
kollektiv wiederholen. Dank schulde ich außerdem den Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeitern der von mir besuchten Archive, insbesondere denjenigen des Bergbau-Archivs<br />
Bochum. Dr. Jürgen Mittag hat sich der Mühe unterzogen, sowohl<br />
die Manuskript- als auch die Druckfassung der Untersuchung kritisch zu lesen.<br />
Ihm sei aber auch darüber hinaus für seine stets kollegiale und freundschaftliche<br />
Unterstützung gedankt. Die VG Wort hat die Drucklegung durch einen namhaften<br />
Druckkostenzuschuss erheblich erleichtert.<br />
Bochum, <strong>im</strong> Februar 2010<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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13
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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I. Einleitung:<br />
Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des<br />
<strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
Den Ausgangspunkt für das vorliegende Buch bildete die Beschäftigung mit der<br />
Zwangsarbeit <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> während des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es <strong>im</strong> Rahmen<br />
eines größeren Forschungsprojektes, das von der damaligen RAG Aktiengesellschaft<br />
gefördert worden ist.¹ Zwangsarbeit ist seit längerem das wohl am intensivsten<br />
ausgeleuchtete Feld in der deutschen NS-Forschung wirtschafts-, sozial-,<br />
alltags- oder erfahrungsgeschichtlicher Provenienz, jedenfalls wenn man die Zahl<br />
der einschlägigen Studien zum Maßstab n<strong>im</strong>mt, die weit in die Hunderte, wenn<br />
nicht darüber hinaus geht. So ist es auch für den Spezialisten nicht mehr möglich,<br />
jede Publikation zur Kenntnis zu nehmen.² Innerhalb dieser Literaturflut zeichnen<br />
sich jedoch insbesondere drei Forschungskontexte deutlich ab: Die Erforschung<br />
der Zwangsarbeit erfolgt entweder <strong>im</strong> Rahmen von lokal- und regionalgeschichtlichen<br />
Untersuchungen oder von unternehmensgeschichtlichen Studien<br />
oder von einzelnen Zwangsarbeitergruppen. Die Forschungen in regional- oder<br />
1 Zum Gesamtprojekt vgl. Projektberichte <strong>im</strong> MIsB 26 (2001), S. 253–260; 28 (2003), S. 269–274;<br />
31 (2004), S. 331–335; 36 (2006), S. 233–246 sowie Hans-Christoph Seidel, Zwangsarbeit <strong>im</strong> deutschen<br />
Kohlenbergbau. Ein historisches Forschungsprojekt am Institut für soziale Bewegungen der<br />
Ruhr-Universität Bochum, in: FORUM Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur 2003, H. 2,<br />
S. 26–29. Die Hauptergebnisse <strong>im</strong> Überblick finden sich in: Klaus Tenfelde u. Hans-Christoph<br />
Seidel (Hrsg.), Zwangsarbeit <strong>im</strong> Bergwerk. <strong>Der</strong> Arbeitseinsatz <strong>im</strong> Kohlenbergbau des Deutschen<br />
Reiches und der besetzten Gebiete <strong>im</strong> Ersten und <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>, 2 Bde., Essen 2005.<br />
2 Als Überblicke über die jüngere Forschungsliteratur vgl. Ralph Klein, Neuere Literatur zur<br />
Zwangsarbeit während der NS-Zeit, in: IWK 40 (2004), S. 56–90; Ulrich Herbert, Zwangsarbeiter<br />
in der deutschen Kriegswirtschaft. Bemerkungen zur Forschung seit 1985, in: ders., Fremdarbeiter.<br />
Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn<br />
etc. 1999 (2. Aufl.), S. 416–433; Laura J. Hilton u. John J. Delaney, Forced Foreign Labourers,<br />
POWs and Jewish Slave Workers in the Third Reich. Regional Studies and New Directions, in:<br />
German History 23 (2005), S. 83–95. Als problemorientierte Forschungsüberblicke vgl. auch Ulrich<br />
Herbert, Zwangsarbeit <strong>im</strong> „Dritten Reich“. Kenntnisstand, offene Fragen, Forschungsprobleme,<br />
in: Reininghaus u. Re<strong>im</strong>ann (Hrsg.), Zwangsarbeit, S. 16–37 u. Lutz Niethammer, Klärung und<br />
Aufklärung. Aufgaben und Lücken der Zwangsarbeiterforschung, in: Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets<br />
(Hrsg.), Zwangsarbeiterforschung als gesellschaftlicher Auftrag, Bochum 2001, S. 13–22. Als<br />
regionale Forschungsüberblicke zum Ruhrgebiet vgl. außerdem Michael Z<strong>im</strong>mermann, Zwangsarbeit<br />
<strong>im</strong> Ruhrgebiet während des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es. Eine Zwischenbilanz der Forschung, in:<br />
FORUM Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur 2003, H. 2, S. 11–19 u. Hans-Christoph<br />
Seidel, Forschungsstand und -ausblick zum Thema. Eine regionale Übersicht, in: www.geschichtskultur-ruhr.de/frames-6.html<br />
(2003). Eine hervorragende Synthese des erreichten Kenntnisstandes<br />
zur Geschichte der Zwangsarbeit mit Bezeichnung der Forschungsdesiderata bietet: Mark Spoerer,<br />
Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge<br />
<strong>im</strong> Deutschen Reich und <strong>im</strong> besetzten Europa 1939–1945, Stuttgart 2001.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> 15<br />
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Einleitung<br />
lokalgeschichtlichem Kontext setzten, zeitgleich mit oder <strong>im</strong> Anschluss an Ulrich<br />
Herberts Pionierstudie,³ Mitte der 1980er Jahre ein, als Geschichtswerkstätten und<br />
Schülergruppen Zwangsarbeit als ein ubiquitäres Unrecht der nationalsozialistischen<br />
Diktatur entdeckten, das sich vor Ort, auch über Oral History, studieren<br />
ließ. Mit der Hinwendung der Geschichtswissenschaft zu mikro- und alltagsgeschichtlichen<br />
Fragestellungen „professionalisierte“ sich diese Forschungsrichtung<br />
bald, besonders in Form akademischer Qualifikationsarbeiten. Ihren stärksten<br />
Boom erlebte die lokal- und regionalgeschichtliche Forschung jedoch seit Ende<br />
der 1990er Jahre, als <strong>im</strong> Zuge der seinerzeit in die entscheidende Phase tretenden<br />
Entschädigungsdiskussion zahlreiche Kommunen, aber auch Landesregierungen,<br />
Historiker beauftragten, relevante Quellen zu sichten und Studien zu erstellen.4<br />
Die Forschungen der letzten Jahre haben verstärkt auch die Rolle der Kommunen<br />
als so genannte Einsatzträger, also als „Arbeitgeber“ von Zwangsarbeitern, in<br />
das Blickfeld genommen. Vor allem aber thematisieren die lokalgeschichtlichen<br />
Studien die Kommunen als einen Ort von Zwangsarbeit, an dem sich die konkreten<br />
Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter untersuchen lassen.<br />
Zudem verdeutlichen sie die Ubiquität des Phänomens, indem man topografisch<br />
die dichte Verteilung von Zwangsarbeiterlagern auf dem jeweiligen Stadtgebiet<br />
dokumentierte, indem man die genauen Einsatzorte der Zwangsarbeiter in der<br />
Stadt bezeichnete oder indem man aufzeigte, in welchen Bereichen des städtischen<br />
Alltags Zwangsarbeiter sichtbar wurden.<br />
Die unternehmenshistorische Erforschung der Zwangsarbeit setzte später ein,<br />
vor allem weil die Firmen- und Unternehmensarchive den Historikern zunächst<br />
verschlossen blieben. Mitte der 1990er Jahre erscheinende Studien zu Da<strong>im</strong>ler-<br />
Benz und Volkswagen setzten Wegmarken,5 doch war es auch hier erst die Entschädigungsdebatte<br />
Ende der 1990er Jahre, die vor allem eine ansehnliche Zahl von<br />
3 Herbert, Fremdarbeiter. Die Studie erschien erstmals 1985.<br />
4 Als von Landesregierungen initiierte Studien vgl. Uwe Danker u. a. (Hrsg.), „Ausländereinsatz<br />
in der Nordmark“. Zwangsarbeitende in Schleswig-Holstein 1939–1945, Bielefeld 2001; Hedwig<br />
Brüchert u. Michael Matheus (Hrsg.), Zwangsarbeit in Rheinland-Pfalz während des <strong>Zweiten</strong><br />
<strong>Weltkrieg</strong>es, Stuttgart 2004. Aus der Vielzahl der lokalgeschichtlichen Literatur möchte ich nur<br />
hervorheben: Rafael R. Leissa u. Joach<strong>im</strong> Schröder, Zwangsarbeit in Düsseldorf. Struktur, Organisation<br />
und Alltag <strong>im</strong> Arbeitseinsatz von Ausländern <strong>im</strong> nationalsozialistischen Düsseldorf, in:<br />
Looz-Corswarem (Hrsg.), Zwangsarbeit in Düsseldorf, S. 25–362; Friedrike Littmann, Ausländische<br />
Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939–1945, München etc. 2006; Elisabeth<br />
T<strong>im</strong>m, Zwangsarbeit in Esslingen 1939–1945. Kommune, Unternehmen und Belegschaften in der<br />
nationalsozialistischen Kriegswirtschaft, Ostfildern 2008. Die wichtigste und beste Untersuchung<br />
für eine Ruhrgebietsstadt ist: Michael A. Kanther, Zwangsarbeit in Duisburg, Duisburg 2004.<br />
5 Barbara Hopmann, Mark Spoerer, Birgit Weitz u. Beate Brüninghaus, Zwangsarbeit bei Da<strong>im</strong>ler-<br />
Benz, Stuttgart 1994; Hans Mommsen u. Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter<br />
<strong>im</strong> Dritten Reich, Düsseldorf 1996. Vgl. aber auch schon die an etwas abgelegener Stelle publizierten,<br />
aber für die regionale Unternehmensgeschichte des Ruhrgebiets einschlägigen Beiträge von<br />
Ulrich Brack, <strong>Der</strong> „Ausländer-Einsatz“ bei den Chemischen Werken Hüls während des <strong>Zweiten</strong><br />
<strong>Weltkrieg</strong>es, in: <strong>Der</strong> Lichtbogen 13 (1987), S. 18–41 u. Ingo Hinze, Fremdarbeiter und Kriegsgefangene<br />
bei der Gutehoffnungshütte Oberhausen 1939–1945, in: Historische Gesellschaft Oberhausen<br />
e. V. (Hrsg.), Ursprünge und Entwicklung der Stadt Oberhausen, Oberhausen 1992, S. 176–234.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
16 <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
Großunternehmen veranlasste, eine historische Aufarbeitung der Zwangsarbeit in<br />
den von ihnen jeweils verantworteten Bereichen vornehmen zu lassen. Diese Forschungswelle<br />
hat erheblich zur steigenden Bedeutung der Unternehmens- innerhalb<br />
der Wirtschaftsgeschichte beigetragen und fast eine ganze Nachwuchsgeneration<br />
von Wirtschaftshistorikern stark in Beschlag genommen. Es entstanden allerdings<br />
weniger Spezialstudien zur Zwangsarbeit als vielmehr auch über die Zeit des<br />
Krieges und des Nationalsozialismus hinausgreifende Unternehmensgeschichten,<br />
welche die Zwangsarbeit <strong>im</strong> Rahmen komplexerer Fragestellungen nach längerfristigen<br />
Unternehmenspolitiken behandelten.6 Ein wesentliches Interesse dieser<br />
Studien bestand darin, Sachzwänge und Handlungsspielräume der Unternehmen<br />
bei der Beschäftigung und Behandlung von Zwangsarbeitern auszuloten. Dabei<br />
zeigte sich, dass die Unternehmen <strong>im</strong> Rahmen eines gewinnorientierten unternehmerischen<br />
Handelns unter kriegswirtschaftlichen Bedingungen Sachzwängen<br />
unterliegen konnten, was die Anforderung von Zwangsarbeitern – allerdings nicht<br />
von KZ-Häftlingen – anging, ihre Handlungsspielräume, Zwangsarbeiter besser<br />
oder schlechter zu behandeln, jedoch beträchtlich waren.7<br />
Auch liegen für zahlreiche, allerdings längst nicht alle nach nationaler Herkunft<br />
und/oder Rechtsstatus definierte Zwangsarbeitergruppen Untersuchungen vor, die<br />
u. a. auf die Inkongruenzen zwischen den spezifischen Normsetzungen für die<br />
jeweilige Gruppe und ihrer tatsächlichen Lage hinweisen.8 Darüber hinaus sind<br />
erste Schritte zur Erforschung der Zwangsarbeit in den besetzten Gebieten unter-<br />
6 Ich nenne hier nur Studien über Unternehmen, die einen unmittelbaren Bezug zum <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
aufweisen: Norbert Frei, Ralf Ahrens, Frank Osterloh u. T<strong>im</strong> Schanetzky, Flick. <strong>Der</strong> Konzern, die<br />
Familie, die Macht, München 2009; Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, K<strong>im</strong> Christian<br />
Priemel u. Harald Wixforth, <strong>Der</strong> Flick-Konzern <strong>im</strong> Dritten Reich, München 2008; K<strong>im</strong> Christian<br />
Priemel, Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Göttingen 2008<br />
(2. Aufl.); Johannes Bähr, Ralf Banken u. Thomas Flemming, Die MAN. Eine deutsche Industriegeschichte,<br />
München 2008; Lothar Gall (Hrsg.), Krupp <strong>im</strong> 20. Jahrhundert. Eine Geschichte des<br />
Unternehmens vom Ersten <strong>Weltkrieg</strong> bis zur Gründung der Stiftung, Berlin 2002; Paul Erker u.<br />
Bernhard Lorentz, Chemie und Politik. Die Geschichte der Chemischen Werke Hüls 1938 bis 1979.<br />
Eine Studie zum Problem der Corporate Governance, München 2003.<br />
7 Vgl. dazu auch Mark Spoerer, Zur Verantwortlichkeit privatwirtschaftlicher Industrieunternehmen<br />
für den Einsatz von NS-ZwangsarbeiterInnen: das Beispiel Da<strong>im</strong>ler-Benz, in: Hauch u. a. (Hrsg.),<br />
Industrie, S. 37–48.<br />
8 Nur einige wenige wichtige Arbeiten seien hier genannt: Christian Streit, Keine Kameraden. Die<br />
Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945, Bonn 1997 (4. Aufl.); Wolf Gruner,<br />
<strong>Der</strong> geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden. Zur Zwangsarbeit als Element der Verfolgung<br />
1938–1943, Berlin 1997; Annette Schäfer, Zwangsarbeiter und NS-Rassenpolitik. Russische<br />
und polnische Arbeitskräfte in Württemberg 1939–1945, Stuttgart 2000; Gabriele Hammermann,<br />
Zwangsarbeit für den „Verbündeten“. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der italienischen Militärinternierten<br />
in Deutschland 1943–1945, Tübingen 2002; Helga Bories-Sawala, Franzosen <strong>im</strong><br />
„Reichseinsatz“. Deportation, Zwangsarbeit, Alltag. Erfahrungen und Erinnerungen von Kriegsgefangenen<br />
und Zivilarbeitern, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1996; Gabriele Lotfi, KZ der Gestapo.<br />
Arbeitserziehungslager <strong>im</strong> Dritten Reich, Stuttgart etc. 2000; Bernd C. Wagner, IG Auschwitz.<br />
Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz, München 2000; Jan Erik<br />
Schulte, Zwangsarbeit und Vernichtung. Das Wirtschafts<strong>im</strong>perium der SS. Oswald Pohl und das<br />
SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, Paderborn 2001. Es fehlt u. a. noch eine umfassende Spezialstudie<br />
zu den sowjetischen Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeitern.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> 17<br />
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Einleitung<br />
nommen wurden,9 und die Geschichte der Bewältigung und Entschädigung von<br />
Zwangsarbeit hat sich zu einem eigenen Forschungsfeld entwickelt.¹0 Insgesamt<br />
hat die jüngere Forschung <strong>im</strong> Anschluss an die Entschädigungsdebatte darüber<br />
hinaus zu einer Präzisierung des Zwangsarbeitsbegriffes geführt. <strong>Der</strong> Terminus<br />
„Zwangsarbeit“ wurde bis in die 1950er Jahre pr<strong>im</strong>är <strong>im</strong> strafrechtlichen Kontext<br />
zur Bezeichnung einer besonders schweren Form der Freiheitsstrafe oder eines<br />
Bestandteils des Strafvollzugs gebraucht, fand seit den 1920er Jahren <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit der Regulierung der Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse in den<br />
Kolonialwirtschaften jedoch auch Eingang in das Friedensvölkerrecht. 1922 verabschiedete<br />
der Völkerbund Grundsätze für eine Einschränkung der Zwangs- und<br />
Pflichtarbeit in den Kolonien. 1926 wurde ein entsprechender Artikel in das Anti-<br />
Sklaverei-Abkommen aufgenommen und die weitere Behandlung des Zwangarbeitthemas<br />
der International Labour Organization übertragen, die 1930 ein „Übereinkommen<br />
über die Zwangs- und Pflichtarbeit“ erreichte, das – bei großzügigen<br />
Ausnahme- und Übergangsregelungen – jede Art von Arbeit oder Dienstleistung,<br />
die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wurde und für<br />
die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hatte, untersagte.¹¹<br />
Im Zusammenhang mit dem Arbeits- und Ausländereinsatz in der NS-Kriegswirtschaft<br />
wurde der Begriff „Zwangsarbeit“ nach Kriegsende häufiger, aber längst<br />
noch nicht allgemein gebraucht.¹² Das Statut des Internationalen Militärtribu-<br />
9 Vgl. etwa Dieter Ziegler (Hrsg.), Zwangsarbeit <strong>im</strong> Nationalsozialismus in den besetzten Gebieten,<br />
JbW 2004/1. Für den Bergbau die einschlägigen Beiträge in: Tenfelde u. Seidel (Hrsg.), Zwangsarbeit<br />
<strong>im</strong> Bergwerk, Bd. 1.<br />
10 Aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen zur Entschädigungsgeschichte vgl. nur Klaus Barwig,<br />
Nicole Lippold u. Günther Saathoff, Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, Historische<br />
und politische Aspekte, Baden-Baden 1998; Peer Zumbansen (Hrsg.), Zwangsarbeit <strong>im</strong><br />
Dritten Reich. Erinnerung und Verantwortung. Juristische und zeithistorische Betrachtungen,<br />
Baden-Baden 2002; Susanne-Sophia Spiliotis, Verantwortung und Rechtsfrieden. Die Stiftungsinitiative<br />
der deutschen Wirtschaft, Frankfurt a. M. 2003; Anja Hense, Verhinderte Entschädigung.<br />
Die Entstehung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ für die Opfer von<br />
NS-Zwangsarbeit und „Arisierung“, Münster 2008. Zur Erinnerungs- und Erfahrungsgeschichte<br />
vgl. zuletzt Alexander von Plato u. a. (Hrsg.), Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur<br />
Zwangsarbeit <strong>im</strong> internationalen Vergleich, Wien etc. 2008.<br />
11 Vgl. Hartwig Bülck, Die Zwangsarbeit <strong>im</strong> Friedensvölkerrecht. Untersuchung über die Möglichkeit<br />
und Grenzen allgemeiner Menschenrechte, Göttingen 1953, S. 9 ff.; Albrecht Freiherr von<br />
Rechenberg, Das am 28. Juni 1930 angenommene Internationale Abkommen über Zwangs- und<br />
Pflichtarbeit, in: Reichsarbeitsblatt 10 (N. F.) (1930), Nr. 27, S. 411–416; Albrecht Randelzhofer<br />
u. Oliver Dörr, Entschädigung für Zwangsarbeit? Zum Problem individueller Entschädigungsansprüche<br />
von ausländischen Zwangsarbeitern während des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es gegen die Bundesrepublik<br />
Deutschland, Berlin 1994, S. 32. Das Abkommen wurde allerdings von zahlreichen<br />
Staaten, darunter das Deutsche Reich, nicht ratifiziert.<br />
12 Als Quellenbegriff zum Arbeits- und Ausländereinsatz während des Krieges taucht Zwangsarbeit<br />
allerdings kaum auf. Allerdings gebrauchen die NS-Quellen die Kategorisierung „freie Ausländer“<br />
als <strong>im</strong>pliziten Gegenbegriff zur Zwangsarbeit. In Abgrenzung vor allem zu Kriegsgefangenen,<br />
sowjetischen Zivilarbeitern und zum Teil polnischen Zivilarbeitern wiesen „freie Ausländer“ in<br />
der Regel drei Merkmale auf: eine Anwerbung, die weder auf Deportation noch auf einer formellen<br />
Dienstverpflichtung beruhte, eine relative Freizügigkeit am Aufenthalts- und Arbeitsort sowie<br />
die Beschäftigung auf der Grundlage eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
18 <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
nals von Nürnberg führte die „Verschleppung zur Zwangsarbeit“ als Kriegs- und<br />
Menschheitsverbrechen auf,¹³ doch variierte der Begriffsgebrauch lange Zeit, je<br />
nach sachlichem Kontext und Zeitabschnitt, stark. Zum Teil wurde „Zwangsarbeit“<br />
weitgehend mit dem Industrieeinsatz von KZ-Häftlingen identifiziert,¹4 zum<br />
Teil als deckungsgleich mit dem Ausländereinsatz definiert,¹5 wobei die Zurechnung<br />
von Kriegsgefangenen variierte. Eine Tendenz zur Einengung des Begriffs<br />
auf einzelne Gruppen, die nur einen kleinen Ausschnitt des Arbeitseinsatzes in der<br />
NS-Kriegswirtschaft repräsentierten, stand neben einer Tendenz zur inflationären<br />
Ausweitung, die einen differenzierenden Blick auf die Vielgestaltigkeit des Ausländer-<br />
und Arbeitseinsatzes eher behinderte.<br />
Dagegen hat die jüngere Forschung einen weitgehenden Konsens darüber<br />
erzielt, an welche Kriterien die Verwendung des Begriffes „Zwangsarbeit“ gebunden<br />
sein sollte, und welche Arbeitskräftegruppen in der NS-Kriegswirtschaft den<br />
Zwangsarbeitern zuzurechnen sind.¹6 Die Hauptkomponente eines Zwangsarbeitsverhältnisses<br />
bildet ein außerökonomischer Arbeitszwang, der bereits bei der<br />
Arbeitsaufnahme durch Zwangsmaßnahmen von der Dienstverpflichtung bis hin<br />
zur Deportation hergestellt werden kann, aber auch erst nach der Arbeitsaufnahme<br />
entstehen kann durch die fehlende Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis innerhalb<br />
geltender Kündigungsfristen oder nach Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrages<br />
zu beenden.¹7 Einem derart definierten Arbeitszwang unterlagen allerdings die<br />
meisten Beschäftigten in der NS-Kriegswirtschaft, auch deutsche Arbeitnehmer,<br />
deren Arbeitswirklichkeit sich von derjenigen der meisten Ausländer aber dennoch<br />
deutlich zum Besseren hin unterschied. Selbst Ausländer, die den einhe<strong>im</strong>ischen<br />
Beschäftigten formal gleichgestellt waren, litten unter alltäglichen Benachteiligungen<br />
und Diskr<strong>im</strong>inierungen bei der konkreten Umsetzung von Verordnungen<br />
und Gesetzen, weil ihnen fern der He<strong>im</strong>at Mittel, Ressourcen, Kompetenzen und<br />
soziale Netze fehlten, die ihren Interessen und Bedürfnissen Nachdruck verliehen<br />
hätten. Im Vergleich zu den deutschen Arbeitern verfügten die meisten Ausländer<br />
13 Sandro Blanke, <strong>Der</strong> lange Weg zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern, in: Zumbansen<br />
(Hrsg.), Zwangsarbeit, S. 259–275, hier S. 262.<br />
14 Im angelsächsischen Sprachgebrauch hat sich für Konzentrationslagerhäftlinge und so genannte<br />
Arbeitsjuden allerdings die Bezeichnung „slave worker“ etabliert. Dies hat sich in der deutschen<br />
Forschung aber nicht allgemein durchgesetzt. Zwar bezeichnen sowohl „Zwangsarbeit“ als auch<br />
„Sklaverei“ aus ökonomischer Perspektive die Ausbeutung einer fremden Arbeitskraft auf der<br />
Grundlage der herrschaftlichen Gewalt des Siegers, aber <strong>im</strong> Falle der Sklaverei beruht diese Ausbeutung<br />
auf Eigentumsrechten, die der Sklavenhalter ausübt, während „Zwangsarbeit“ prinzipiell<br />
auf einen zeitlich beschränkten Zustand hindeutet. Das Verhältnis von SS und Konzentrationslagerhäftlingen<br />
lässt sich faktisch wohl als Eigentumsverhältnis beschreiben, aber <strong>im</strong> Gegensatz<br />
zu den Sklavenhaltern war die SS nicht grundsätzlich am Erhalt ihres „Eigentums“ interessiert.<br />
15 Vgl. z. B. Ernst Kaiser u. Michael Knorn, „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten“. Rüstungsproduktion,<br />
Zwangsarbeit und Vernichtung in den Frankfurter Adlerwerken, Frankfurt<br />
a. M. 1994, S. 63.<br />
16 Hervorzuheben sind hier vor allem die Arbeiten von Mark Spoerer, denen ich in diesem Punkt<br />
<strong>im</strong> Wesentlichen folge.<br />
17 Vgl. dazu vor allem Spoerer, Zwangsarbeit, S. 13.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> 19<br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Einleitung<br />
über deutlich geringere Chancen, Einfluss auf die Umstände ihres Arbeitseinsatzes<br />
zu nehmen. Kennzeichnend für Zwangsarbeit ist danach eine Einflusslosigkeit bis<br />
hin zur faktischen Rechtlosigkeit hinsichtlich der Gestaltung der eigenen Arbeitsund<br />
Lebensverhältnisse.¹8 Letztere wiesen allerdings erhebliche Differenzen auf,<br />
die sich insbesondere auch in einem unterschiedlichen Sterberisiko für die einzelnen<br />
Zwangsarbeitergruppen niederschlugen.<br />
In der Forschung bestehen kaum noch Differenzen über die Frage, welche<br />
Arbeitergruppen in der NS-Kriegswirtschaft als Zwangsarbeiter bezeichnet werden<br />
sollten und welche nicht.¹9 Nicht zu den Zwangsarbeitern zählten danach<br />
deutsche Arbeitskräfte, sofern sie nicht Häftlinge oder Juden waren, ausländische<br />
Arbeitskräfte, die schon länger in Deutschland arbeiteten und über entsprechende<br />
Mittel und Netzwerke zur Verteidigung und Durchsetzung ihrer Interessen verfügten<br />
und ausländische Zivilarbeiter, die nach Kriegsbeginn auf freiwilliger Basis<br />
angeworben worden waren und das Reich spätestens nach Ablauf ihres befristeten<br />
Arbeitsvertrages wieder verlassen konnten. Die größte Zwangsarbeitergruppe<br />
bildeten ausländische Zivilarbeiter, die entweder unter Zwang nach Deutschland<br />
kamen oder sich freiwillig anwerben ließen, aber ihre Arbeitsstelle nicht zum vereinbarten<br />
Zeitpunkt verlassen konnten.²0 Hinsichtlich der Lebens- und Arbeitsverhältnisse<br />
bestanden innerhalb dieser Zwangsarbeitergruppe erhebliche Differenzen,<br />
insbesondere zwischen osteuropäischen Arbeitskräften und solchen aus<br />
West-, Süd- sowie Nordeuropa.²¹ Noch größer waren die Unterschiede innerhalb<br />
der zweiten großen Zwangsarbeitergruppe, den Kriegsgefangenen. Kriegsgefangene<br />
aus Großbritannien, Belgien, Jugoslawien oder Frankreich konnten ihre Interessen<br />
wenigstens zum Teil unter Berufung auf das Völkerrecht wahrnehmen, für<br />
polnische und französische Kriegsgefangene galt dies schon deutlich weniger, während<br />
polnisch-jüdische und sowjetische Kriegsgefangene praktisch rechtlos waren<br />
und eine extreme Übersterblichkeit aufwiesen. Letzteres galt auch für die dritte<br />
Zwangsarbeitergruppe, die Häftlinge aus den Konzentrations- und Arbeitserziehungslagern,<br />
sowie für eine vierte Gruppe, welche die so genannten Arbeitsjuden<br />
umfasste. Offen ist in der Forschung allerdings noch die Einordnung derjenigen<br />
Arbeitskräfte, die außerhalb des Reichsgebietes für die Deutschen Zwangsarbeit<br />
leisten mussten.<br />
Vor dem Hintergrund der genannten Schwerpunktsetzungen in der jüngeren<br />
Forschung zur Zwangsarbeit in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft setzt<br />
die vorliegende Studie neue Akzente, indem sie eine branchengeschichtliche Perspektive<br />
wählt und von hier aus Zwangsarbeit stärker, als dies bisher geschehen<br />
ist, <strong>im</strong> Kontext der folgenden allgemeinen Entwicklungen untersucht: erstens der<br />
Produktion und Produktionspolitik (bzw. Förderung und Förderpolitik), zweitens<br />
18 Ebd. S. 14 f.<br />
19 Die folgende Kategorisierung schließt abweichende Einzelfälle und Grauzonen nicht aus.<br />
20 Herbert, Zwangsarbeit, S. 18 f.<br />
21 <strong>Der</strong> Quellenbegriff „Fremdarbeiter“ wird <strong>im</strong> Folgenden zur Bezeichnung sämtlicher ausländischer<br />
Zivilarbeiter, nicht aber der Kriegsgefangenen, verwendet.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
20 <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
des gesamten Arbeitseinsatzes, drittens der Sozialpolitik und der Sozialgeschichte<br />
der <strong>Zechen</strong>belegschaften sowie viertens Arbeits- und Sozialbeziehungen auf der<br />
betrieblichen Ebene.<br />
In der bisherigen Forschungsliteratur zur Zwangsarbeit ist ein branchengeschichtlicher<br />
Zugang noch kaum verfolgt worden. Lediglich für die Landwirtschaft,<br />
die sich einem unternehmens- oder lokal(stadt)geschichtlichen Zugang<br />
entzieht, liegen einige branchengeschichtliche Untersuchungen mit Regionalbezug<br />
vor.²² Arbeiten zu ganzen Industriebranchen stellen dagegen weiterhin eine<br />
Ausnahme dar.²³ <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> bietet sich aus mehreren Gründen für einen<br />
branchengeschichtlichen Zugriff an. Die Steinkohle stellte vor allem als Energiegrundlage,<br />
aber auch als Rohstoff zur industriellen Herstellung synthetischer<br />
Stoffe und als Exportgut die zweifellos wichtigste Grundstoffbasis der deutschen<br />
Rüstungs- und Kriegswirtschaft dar, zumal sie der einzige Rohstoff war, über den<br />
das Deutsche Reich selbst in ausreichendem Maße verfügte. Die Leistungsfähigkeit<br />
der Kriegswirtschaft hing so in hohem Maße von der Kohlenwirtschaft ab,<br />
der Ausbau der industriellen Rüstungsproduktionen setzte eine Steigerung der<br />
Steinkohlenförderung voraus. Steinkohle wurde zum Ende der 1930er Jahre innerhalb<br />
der Reichsgrenzen noch an sechs weiteren regionalen Standorten gefördert –<br />
(West)Oberschlesien, Niederschlesien, Aachen, Saar, Sachsen, Niedersachsen –,<br />
doch die Bedeutung der Ruhr überstrahlte diese Reviere deutlich. <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
bildete ein zentrales Segment der NS-Kriegswirtschaft, in dem <strong>im</strong> September<br />
1944 über 163.000 ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene, größtenteils<br />
aus der Sowjetunion, arbeiteten. <strong>Der</strong> Masseneinsatz von ausländischen Zwangsarbeitern<br />
war aber nicht nur Spiegelbild der kriegswirtschaftlichen Vorrangstellung<br />
des <strong>Ruhrbergbau</strong>s, sondern auch Ausdruck der großen Bedeutung, der <strong>im</strong> arbeitsintensiven<br />
Steinkohlenbergbau der menschlichen Arbeitskraft für das Produktionsergebnis<br />
zukam. In der Produktions- und Förderpolitik der Ruhrzechen spielte<br />
deshalb der Faktor Arbeitskraft, und damit auch der Faktor Zwangsarbeit, eine<br />
größere Rolle als in anderen Industrien.<br />
Ein branchengeschichtlicher Zugriff ist aber nicht nur wegen der herausgehobenen<br />
Bedeutung des <strong>Ruhrbergbau</strong>s für die Kriegswirtschaft und den Zwangsarbeitereinsatz<br />
sinnvoll, sondern reflektiert auch dessen hohe Organisiertheit. Beginnend<br />
in den späten 1850er Jahren kam bis zum zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts<br />
eine differenzierte Organisationsbildung und Kartellisierung der regionalen<br />
22 Vgl. etwa Stefan Karner u. Peter Ruggenthaler, Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf<br />
dem Gebiet Österreichs 1939 bis 1945, Wien etc. 2004; Ela Hornung, Ernst Langthaler u. Sabine<br />
Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich und dem nördlichen Burgenland,<br />
Wien etc. 2004; Gabriele Freitag, Zwangsarbeiter <strong>im</strong> Lipper Land. <strong>Der</strong> Arbeitseinsatz von<br />
Arbeitskräften aus Osteuropa in der Landwirtschaft Lippes 1939–1945, Bochum 1996.<br />
23 Vgl. lediglich Friedrich Stamp, Zwangsarbeit in der Metallindustrie 1939–1945. Das Beispiel<br />
Mecklenburg-Vorpommern. Eine Studie <strong>im</strong> Auftrag der Otto Brenner Stiftung, Berlin 2001. Für<br />
den Bergbau vgl. auch Thomas Urban, Zwangsarbeit <strong>im</strong> Tagebau. <strong>Der</strong> Einsatz von Kriegsgefangenen<br />
und ausländischen Zivilarbeitern <strong>im</strong> mitteldeutschen Braunkohlenbergbau 1939 bis 1945,<br />
Essen 2006.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> 21<br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Einleitung<br />
Bergbaubranche zum Abschluss, die andernorts nicht ihresgleichen fand.²4 Diese<br />
Organisationsbildung wurde zweifellos durch eine hohe soziale Homogenität der<br />
regionalen bergbaulichen Führungsschicht in den Verbänden und Unternehmen<br />
erleichtert, die vor allem auf einer gemeinsamen berufsständischen Sozialisation<br />
beruhte, welche von der Zeit als Bergbaubeflissener über das Studium an einer<br />
Bergakademie und das Referendariat in der staatlichen Bergbauverwaltung zum<br />
Bergassessorenexamen führte.²5 So entstand trotz mancher zentrifugal wirkenden<br />
Kräfte frühzeitig ein Branchenbewusstsein als ein Bewusstsein gemeinsamer sozialund<br />
wirtschaftspolitischer Interessen und Ziele, aber auch als ein elitäres Sonderbewusstsein<br />
der Bergbaumanager sogar gegenüber ihren <strong>im</strong> gemeinsamen Konzern<br />
hierarchisch oft höher angesiedelten Kollegen von der Stahlseite. Als Akteur<br />
in der regionalen und nationalen Arbeitseinsatz-, Sozial- und Wirtschaftspolitik<br />
des Kohlenbergbaus während des Krieges trat der <strong>Ruhrbergbau</strong> in Gestalt seiner<br />
Verbände, aber auch von <strong>Zechen</strong>- und Unternehmensleitungen auf. Die regionale<br />
Branche <strong>Ruhrbergbau</strong> zeichnete sich zudem dadurch aus, dass sich ihre unterund<br />
übertägigen <strong>Zechen</strong>betriebe in der technischen, funktionalen, sozialen und<br />
hierarchischen Organisation weitgehend glichen, der Großbetrieb Zeche also ein<br />
einheitliches technisch-soziales System mit entsprechenden Macht- und Autoritätsstrukturen<br />
darstellte. Dazu trug auch die gemeinschaftliche Behandlung von<br />
Fragen der technischen Entwicklung der <strong>Zechen</strong>betriebe sowie zunehmend auch<br />
der Betriebsorganisation innerhalb des Verbandswesens bei.<br />
Die hier gewählte branchengeschichtliche Perspektive, die den <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
als Segment der deutschen Kriegswirtschaft, als Akteur in der Arbeitseinsatz-,<br />
Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie als technisch-betrieblichen Zusammenhang<br />
begreift, ermöglicht zentrale Fragen der Zwangsarbeitsforschung – etwa<br />
nach den Arbeits- und Lebensbedingungen oder nach den unternehmerischen<br />
Handlungsspielräumen – aufzugreifen, führt aber auch zu darüber hinausgehenden<br />
Forschungsinteressen. Dazu gehört die Rolle der Verbände, die aus zweierlei<br />
Perspektiven ein Forschungsdesiderat darstellt. Die bisherige Zwangsarbeiterforschung<br />
hat die Rolle der Verbände für den Ausländer- und Zwangsarbeitereinsatz<br />
als vernachlässigenswert eingeschätzt und sich bisher an keiner Stelle systematisch<br />
mit ihr beschäftigt.²6 Im Folgenden wird dagegen die zentrale Bedeutung<br />
der Wirtschaftsverbände für die Organisation der Zwangsarbeit <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
betont. Zudem hat sich die jüngere wirtschaftshistorische Forschung über die<br />
nationalsozialistische Zeit ganz überwiegend mit den Unternehmen beschäftigt<br />
24 Zur Organisationsbildung des <strong>Ruhrbergbau</strong>s vgl. vor allem Stefan Przigoda, Unternehmensverbände<br />
<strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong>. Zur Geschichte von Bergbau-Verein und <strong>Zechen</strong>verband 1858–1933,<br />
Bochum 2002.<br />
25 Vgl. dazu zuerst Bernd Faulenbach, Die Preußischen Bergassessoren <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong>. Unternehmermentalität<br />
zwischen Obrigkeitsstaat und Privatindustrie, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse.<br />
Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag,<br />
Göttingen 1982, S. 225–242.<br />
26 So auch Kanther, Zwangsarbeit, S. 26.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
22 <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
und den Wirtschaftsverbänden wenig Beachtung geschenkt.²7 So liegen auch für<br />
die Verbände des <strong>Ruhrbergbau</strong>s – Bezirksgruppe Ruhr der Fachgruppe Steinkohlenbergbau<br />
der Wirtschaftsgruppe Bergbau (Bezirksgruppe Ruhr), Verein für die<br />
bergbaulichen Interessen <strong>im</strong> Oberbergamtsbezirk Dortmund (Bergbau-Verein),<br />
Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat (RWKS) – bzw. für die nationalen Bergbauverbände<br />
– Wirtschaftsgruppe Bergbau, Reichsvereinigung Kohle (RVK) – für<br />
die Zeit des Nationalsozialismus und des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es praktisch keine<br />
Untersuchungen vor. Przigodas instruktive Studie zur Verbandsgeschichte des<br />
<strong>Ruhrbergbau</strong>s endet mit dem Jahr 1933,²8 und die „Friedensjahre“ des Nationalsozialismus<br />
behandelt lediglich die schon ältere unveröffentlichte Magisterarbeit<br />
von Unverferth.²9 Zur Geschichte des RWKS steht lediglich die wegen ihrer ideologischen<br />
Verformungen nur eingeschränkt benutzbare zeitgenössische Darstellung<br />
von Muthesius zur Verfügung.³0 Sowohl zur Bezirksgruppe Ruhr als auch<br />
zur Wirtschaftsgruppe Bergbau fehlt bisher jede Untersuchung, und selbst die<br />
RVK, die eines der schillerndsten Organe der industriellen Selbstverwaltung in der<br />
Kriegswirtschaft darstellte, harrt noch einer historiografischen Betrachtung, sieht<br />
man von der älteren Studie Riedels zur deren Vorsitzendem, Paul Pleiger, ab.³¹<br />
Die nachfolgende Untersuchung bietet keine systematische Verbands- und Organisationsgeschichte<br />
des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>, aber sie verfolgt die<br />
Funktion und Politik der Bergbauverbände auf den Feldern der Kohlenwirtschaft<br />
und Förderpolitik, des Arbeitseinsatzes, der Sozialpolitik sowie der betrieblichen<br />
Arbeitsbeziehungen, jeweils besonders in deren Bezug zur Zwangsarbeit.<br />
Die prominente Berücksichtigung der Verbändepolitik wirft für die Untersuchung<br />
der genannten Felder durchgehend die Frage nach dem Verhältnis von<br />
Wirtschaft und Staat auf. Die Verbände des <strong>Ruhrbergbau</strong>s agierten, so wird<br />
gezeigt werden, unter veränderten Bedingungen weiter <strong>im</strong> Sinne von Interessenverbänden,<br />
indem sie Einfluss auf die Ministerialbürokratie und politische Stellen<br />
zu nehmen versuchten. Doch stellten sie darüber hinaus auch unmittelbare<br />
Bindeglieder zwischen Staat und Wirtschaft dar. Jüngere Forschungen zur nationalsozialistischen<br />
Wirtschaftsordnung haben die Untauglichkeit von Termini<br />
wie Zwangs- oder Befehlswirtschaft zur Charakterisierung des Verhältnisses von<br />
27 Eine Ausnahme für den Bankensektor ist Harold James, Von der Interessenvertretung zur Wirtschaftsgruppe:<br />
<strong>Der</strong> Centralverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes 1932–1945, München<br />
2001. Als Standardwerk muss <strong>im</strong>mer noch die ältere Untersuchung von Ingeborg Esenwein-<br />
Rothe, Die Wirtschaftsverbände von 1933 bis 1945, Berlin 1965, gelten.<br />
28 Przigoda, Unternehmensverbände.<br />
29 Gabriele Unverferth, Die verbandspolitische und ökonomische Entwicklung des <strong>Ruhrbergbau</strong>es<br />
von der Machtergreifung bis zum Vierjahresplan, Examensarbeit (Ms), Bochum 1975.<br />
30 Volkmar Muthesius, Ruhrkohle 1893–1943. Aus der Geschichte des Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikats,<br />
Essen 1943. Vgl. als kürzeren Beitrag Evelyn Kroker, Das Rheinisch-Westfälische<br />
Kohlen-Syndikat. Gründung, Organisation, Strukturprobleme, in: <strong>Der</strong> Anschnitt 44 (1992),<br />
S. 189–197.<br />
31 Matthias Riedel, Eisen und Kohle für das Dritte Reich. Paul Pleigers Stellung in der NS-Wirtschaft,<br />
Göttingen etc. 1973Ḣans-Christoph<br />
Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010<br />
23
Einleitung<br />
Staat und Wirtschaft festgestellt,³² schon weil in der Wirtschaftspolitik von einer<br />
zentralen staatlichen Lenkung angesichts zahlreicher konkurrierender Institutionen,<br />
Interessen und Machtzentren keine Rede sein konnte. Das Reg<strong>im</strong>e gab die<br />
grundsätzlichen ökonomischen Ziele bzw. die Ziele, denen sich die Ökonomie<br />
unterzuordnen hatte, vor und richtete die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen<br />
Handelns entsprechend aus. Aber dies folgte keinem zentralen Plan, sondern<br />
in Form zahlreicher Einzelinterventionen verschiedener staatlicher und halbstaatlicher<br />
Funktionsträger.³³ Zudem nahmen diese Interventionen nur in Ausnahmefällen<br />
einen unmittelbaren Zwangscharakter an. Vielmehr sollten Anreize,<br />
die dem kapitalistischen Gewinnmotiv Rechnung trugen, das unternehmerische<br />
Handeln – besonders Produktion und Investition – in die gewünschte Richtung<br />
lenken.³4 Andererseits erforderte der Fortbestand unternehmerischen Handels<br />
auch Rücksicht auf dessen Eigendynamik, was ständige Anpassungsleistungen des<br />
staatlich-regulativen Rahmens verlangte. Dieses Spannungsfeld von Rahmensetzung,<br />
Intervention, Reaktion und Anpassungsleistung gilt es <strong>im</strong> Folgenden für<br />
den <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong>mer wieder auszuleuchten. Dabei ist davon auszugehen, dass<br />
der strukturelle Interessenkonflikt zwischen der vom nationalsozialistischen Herrschaftsapparat<br />
gewünschten kurzfristigen max<strong>im</strong>alen Nutzung der wirtschaftlichen<br />
Ressourcen für den Krieg und dem längerfristigeren Verwertungs- und<br />
Bestandsinteressen der kapitalistischen einer kapitalistisch verfassten Unternehmenswirtschaft<br />
<strong>im</strong> Kohlenbergbau wegen dessen ausgeprägter Orientierung an<br />
Nachhaltigkeitsprinzipien besonders deutlich zutage traten.<br />
<strong>Der</strong> Ausländer- und Zwangsarbeitereinsatz <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> sollte funktional<br />
dazu dienen, die Kohlenförderung auf hohem Niveau zu halten bzw. zu steigern.<br />
Zwar liegen quantitativ-deskriptive Daten zur Entwicklung der Ruhrförderung<br />
seit längerem vor,³5 deren Analyse in ihren Bedingtheiten steht aber noch weitgehend<br />
aus. Es gilt also die Förderpolitik des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> Kontext staatlicher<br />
Förderziele und der tatsächlichen Entwicklung von Kohlenförderung, Kohlenbedarf<br />
und Kohlenabsatz nachzuzeichnen und dabei den Stellenwert des Ausländer-<br />
und Zwangsarbeitereinsatzes auch <strong>im</strong> Verhältnis zu anderen Instrumenten<br />
der Förderpolitik, etwa zu Rationalisierungs- und Mechanisierungsanstrengungen<br />
sowie zu sozialpolitischen Maßnahmen, näher zu best<strong>im</strong>men. Mit dieser Fragestellung<br />
knüpft die Studie auch an die Untersuchungen John Gillinghams an,<br />
32 Zur Charakterisierung der Montanindustrie als Befehlswirtschaft vgl. Gerhard Mollin, Montankonzerne<br />
und „Drittes Reich“. <strong>Der</strong> Gegensatz zwischen Monopolindustrie und Befehlswirtschaft<br />
in der deutschen Rüstung und Industrie 1936–1944, Göttingen 1988.<br />
33 Vgl. Michael von Prollius, Das Wirtschaftssystem der Nationalsozialisten 1933–1945. Steuerung<br />
durch emergente Organisation und politische Prozesse, Paderborn etc. 2003.<br />
34 Zur NS-Wirtschaftsordnung vgl. zuletzt Christoph Buchhe<strong>im</strong> u. Jonas Scherner, Anmerkungen<br />
zum Wirtschaftssystem des „Dritten Reichs“, in: Abelshauser u. a. (Hrsg.), Wirtschaftsordnung,<br />
S. 81–97; Jonas Scherner, Das Verhältnis zwischen NS-Reg<strong>im</strong>e und Industrieunternehmen –<br />
Zwang oder Kooperation?, in: ZUG 51 (2006), S. 166–190. Vgl. auch Ralf Banken, Edelmetallmangel<br />
und Großraubwirtschaft. Die Entwicklung des deutschen Edelmetallsektors <strong>im</strong> „Dritten<br />
Reich“ 1933–1945, Berlin 2009.<br />
35 Paul Wiel, Wirtschaftsgeschichte des Ruhrgebietes. Tatsachen und Zahlen, Essen 1970.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
24 <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
die mit dem empirischen Schwerpunkt auf den Jahren 1933 bis 1939 nach den<br />
Strategien und Politiken fragen, mit denen der <strong>Ruhrbergbau</strong> auf die politischen<br />
und wirtschaftlichen Herausforderungen des Nationalsozialismus reagierte.³6 Gillingham<br />
zufolge ließ der <strong>Ruhrbergbau</strong>, vor allem wegen des Konservatismus und<br />
der mangelnden Dynamik seines Managements, die Chancen zur Erweiterung<br />
seiner Förderbasis und Tätigkeitsfelder, die sich aus der NS-Autarkiepolitik seit<br />
1936 ergaben, ungenutzt. Die Folge dieser selbst verschuldeten unzureichenden<br />
Integration der Ruhr in die dynamische Vierjahresplanwirtschaft sei eine ungenügende<br />
Vorbereitung der Kohlenwirtschaft auf den Krieg gewesen, die sich nach<br />
Kriegsbeginn in zahlreichen akuten Brennstoffengpässen niederschlug, damit zur<br />
Verlangsamung der Rüstungsproduktion beitrug und Deutschlands Möglichkeiten<br />
in der Kriegführung verminderte. Diese These, die sich <strong>im</strong> Rahmen der älteren<br />
Forschungsfrage, ob bei einer rechtzeitigen Totalmobilisierung der deutschen<br />
Wirtschaft der Krieg (wirtschaftlich) zu gewinnen gewesen sei,³7 bewegt, gilt es<br />
neu zu überdenken.<br />
Zwangsarbeit war auch eine kriegswirtschaftliche Maßnahme gegen den<br />
Arbeitskräftemangel, die sich als solche nur <strong>im</strong> Rahmen des gesamten Arbeitseinsatzes<br />
erschließt. Als Quellenbegriff tauchte der „Arbeitseinsatz“ erstmals <strong>im</strong><br />
Frühjahr 1934 <strong>im</strong> Zusammenhang mit Ermächtigungen auf, die der Präsident der<br />
Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung erhielt, um<br />
durch Umschichtungen von Arbeitskräften einen Ausgleich zwischen der hohen<br />
Arbeitslosigkeit in den Großstädten und dem Arbeitskräftemangel auf dem Land<br />
zu schaffen. Dagegen verschwand der Begriff „Arbeitsmarkt“ wenigstens aus dem<br />
offiziellen Sprachgebrauch. Im Verständnis des Nationalsozialismus war Arbeit<br />
keine marktgängige Ware, die man kaufte oder verkaufte, sondern ein verpflichtender<br />
Dienst gegenüber der Volksgemeinschaft. Daher sollte eine staatlich regulierte,<br />
sich an übergeordneten staatspolitischen Notwendigkeiten ausrichtende<br />
Lenkung der Arbeitskräfte (der Arbeitseinsatz), für die seit 1934 die Instrumente<br />
sukzessive geschaffen wurden, den liberalistischen Arbeitsmarkt ablösen.³8 Seit<br />
1938 und dann besonders seit 1940 gewann der Ausländereinsatz innerhalb des<br />
Arbeitseinsatzes <strong>im</strong>mer größere Bedeutung. <strong>Der</strong> Terminus bezeichnete zeitgenössisch<br />
in der Regel die Beschäftigung von zivilen Arbeitskräften aus befreundeten<br />
und neutralen Staaten sowie von Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen aus den<br />
36 John R. Gillingham, Industry and Politics in the Third Reich. Ruhr Coal, Hitler and Europe,<br />
Stuttgart 1985.<br />
37 Zur Kritik an dieser älteren Forschungsposition vgl. zuletzt vor allem Adam Tooze, Ökonomie der<br />
Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft <strong>im</strong> Nationalsozialismus, München 2007.<br />
38 Vgl. dazu vor allem Hans-Walter Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in<br />
Deutschland 1871–2002. Zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt, Nürnberg 2003, S. 222. Als<br />
Sammlung der einschlägigen Verordnungen vgl. Die Anordnungen zur Regelung des Arbeitseinsatzes.<br />
Erläutert von Dr. Friedrich Syrup, Berlin etc. 1940.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> 25<br />
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Einleitung<br />
besetzten Ländern, die <strong>im</strong> Rahmen des staatlich gelenkten Arbeitseinsatzes in das<br />
Deutsche Reich kamen.³9<br />
Im Folgenden geht es, erstens, darum den gesamten Arbeits- und Ausländereinsatz<br />
<strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> in seinem Verlauf und seinen quantitativen D<strong>im</strong>ensionen<br />
zu rekonstruieren. Als Vorarbeit liegt lediglich eine zeitgenössische, rein<br />
statistisch-deskriptiv verfahrende Untersuchung vor,40 während Spezialstudien zur<br />
Einberufung von Bergarbeitern, zum Fraueneinsatz, zum Nachwuchsproblem der<br />
<strong>Zechen</strong>, zur Belegschaftsfluktuation oder zur nationalen Differenzierung des Ausländereinsatzes<br />
völlig fehlen. <strong>Zweiten</strong>s wird die Politik des Arbeits- und Ausländereinsatzes<br />
<strong>im</strong> Spannungsfeld der verschiedenen damit befassten staatlichen und<br />
halbstaatlichen Institutionen sowie der Verbände und Unternehmen des <strong>Ruhrbergbau</strong>s<br />
analysiert. So werden die unterschiedlichen Ziele und Schwerpunkte<br />
in der Arbeitseinsatz- und Ausländereinsatzpolitik der verschiedenen Akteure<br />
untersucht, wird nach den Initiatoren und Initiativen des Arbeits- und Ausländereinsatzes<br />
<strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> gefragt und werden dahin führende Entscheidungsprozesse<br />
verfolgt. Besonderes Interesse gilt, drittens, der Organisation des Arbeitsund<br />
Ausländereinsatzes. Die Zwangsarbeiterforschung hat sich bisher vor allem<br />
auf die Tätigkeit der staatlichen Arbeitseinsatzbehörden, also der Arbeitsämter,<br />
konzentriert, über die wir trotz der schwierigen Überlieferungssituation – soweit<br />
bekannt, existiert weder für ein Landes- bzw. Gauarbeitsamt noch für ein größeres<br />
lokales Arbeitsamt eine geschlossene Überlieferung – weitgehend orientiert<br />
sind.4¹ Dagegen sind die Funktionen der Zwangsverbände der gewerblichen Wirtschaft<br />
für die Organisation des Ausländereinsatzes bisher unbeachtet geblieben.<br />
Die vorliegende Studie thematisiert eingehend die Rolle der Bezirksgruppe Ruhr<br />
bei der Lenkung des Arbeitskräfteeinsatzes <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong>. Viertens werden die<br />
Bedingungen, unter denen die verschiedenen „Sonderaktionen“ zur Rekrutierung<br />
von Arbeitskräften für den Kohlen- bzw. <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> befreundeten wie <strong>im</strong><br />
besetzten Ausland stattfanden, <strong>im</strong> Einzelnen nachgezeichnet, um differenzierte<br />
Antworten auf die Frage nach Freiwilligkeit und Zwang der Rekrutierungspraxis<br />
zu ermöglichen. Um den Zwangscharakter der „Fremdarbeiterbeschäftigung“ geht<br />
es auch, fünftens, bei der Untersuchung der Fluktuation <strong>im</strong> Ausländereinsatz,<br />
die „legale“ und „illegale“ Möglichkeiten zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
diskutiert. Schließlich, sechstens, erweitert die Studie den zeitgenössischen Begriff<br />
39 Ausländer, die bereits seit längerem in Deutschland arbeiteten, schloss die Bezeichnung dagegen<br />
gewöhnlich ebenso wenig ein, wie die „illegale“ individuelle Arbeitsmigration. Eine zeitgenössische<br />
Grauzone des Begriffes ergab sich außerdem daraus, dass in der nationalsozialistischen<br />
Ideologie und Politik das völkerrechtliche Nationalitätenprinzip durch ein wenig konturscharfes<br />
Rassenschema überlagert wurde, nach dem Ausländer mit ihrem oder gegen ihren Willen als<br />
„Reichsdeutsche“, „Volksdeutsche“ oder „Eindeutschungsfähige“ klassifiziert wurden. Vgl. dazu<br />
auch Spoerer, Zwangsarbeit, S. 19. Im <strong>Ruhrbergbau</strong> tauchte dieses Problem vor allem bei einer<br />
größeren Anzahl von Arbeitskräften aus den besetzten oberschlesisch-polnischen Gebieten auf.<br />
40 Matthias Odenthal, Die Entwicklung des Arbeitseinsatzes in Rheinland und Westfalen unter<br />
besonderer Berücksichtigung der Ausländer und Kriegsgefangenen 1938–1943, Essen 1944.<br />
41 Vgl. dazu z. B. Nils Köhler, Zwangsarbeit in der Lüneburger Heide. Organisation und Alltag des<br />
„Ausländereinsatzes“ 1939–1945, Bielefeld 2004 (2. Aufl.), S. 401 ff.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
26 <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
des Arbeitseinsatzes um die D<strong>im</strong>ension des betrieblichen Einsatzes von „Fremdarbeitern“<br />
und Kriegsgefangenen, eine Thematik, die in der bisherigen Zwangsarbeiterforschung<br />
bestenfalls randständig behandelt worden ist.4² Dagegen wird hier<br />
untersucht, welche Strategien die <strong>Zechen</strong>leitungen verfolgten, um die Ausländerund<br />
Zwangsarbeit in die betrieblichen Produktionsprozesse zu integrieren, welche<br />
Auswirkungen diese auf die bisherige betriebliche Arbeitsorganisation hatte und<br />
welche Probleme damit verbunden waren.<br />
Die Praxis der Zwangsarbeit, die Arbeits- und Lebensbedingungen, die ausländische<br />
Zwangsarbeiter <strong>im</strong> Deutschen Reich vorfanden, war(en), so hat die<br />
Forschung vielfach herausgearbeitet, vor allem Ausdruck des aggressiven Rassismus<br />
und Sozialdarwinismus des NS-Reg<strong>im</strong>es. Im Folgenden soll diese Praxis<br />
<strong>im</strong> Kontext der allgemeinen bergbaulichen Sozialpolitik und sozialen Lage der<br />
<strong>Zechen</strong>belegschaften analysiert werden. Für diesen Untersuchungskomplex kann<br />
am stärksten auf Voruntersuchungen zurückgegriffen werden. Klaus Wisotzky hat<br />
die sozialpolitischen Konflikte <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> und deren Regelung während der<br />
„Friedensjahre“ des Nationalsozialismus vor allem unter der Fragestellung untersucht,<br />
wie sich die Machtverhältnisse zwischen der Industrie, den Parteistellen<br />
(Gauleitungen, Arbeitsfront) und der Reichsbürokratie gestalteten. Er konstatiert<br />
dabei einen (sozialpolitischen) Machtverlust des <strong>Ruhrbergbau</strong>s vor Kriegsbeginn,<br />
der insbesondere in der „Verordnung zur Erhöhung der Förderleistung und des<br />
Leistungslohnes <strong>im</strong> Bergbau“ („Göring-Verordnung“) vom März 1939 Ausdruck<br />
fand.4³ Im Folgenden soll diese Fragestellung und These für die Kriegsjahre weiterverfolgt<br />
werden. Zu den Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen<br />
Zwangsarbeiter <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> liegt inzwischen eine ganze Reihe von Arbeiten<br />
vor. Schon Christian Streits <strong>im</strong>mer noch unverzichtbare Untersuchung über<br />
die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen legte die Behandlung der<br />
Letzteren auf den Ruhrzechen in ihren Grundzügen dar,44 und auch Herberts<br />
Standardwerk über den „Fremdarbeitereinsatz“ verarbeitet den <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
als zentrales empirisches Beispiel für das die Praxis der Zwangsarbeit prägende<br />
Spannungsverhältnis zwischen rassistisch-ideologischen Vorgaben und kriegswirtschaftlichen<br />
Zwängen.45 Eine publizierte Magisterarbeit von Thomas Urban widmet<br />
sich den Arbeits- und Lebensbedingungen von Zwangsarbeitern vor allem<br />
auf den Staatszechen an der Ruhr.46 Außerdem sind kleinere Untersuchungen<br />
zu einzelnen Bergbauorten oder <strong>Zechen</strong>, zum Teil auch als „graue Literatur“,<br />
42 Eine etwas intensivere Auseinandersetzung mit diesem Thema für das Beispiel der Rüstungsindustrie<br />
findet sich aber bei Neil Gregor, Stern und Hakenkreuz. Da<strong>im</strong>ler-Benz <strong>im</strong> Dritten Reich,<br />
Berlin 1997.<br />
43 Klaus Wisotzky, <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> Dritten Reich. Studien zur Sozialpolitik <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
und zum sozialen Verhalten der Bergleute 1933–1939, Düsseldorf 1983.<br />
44 Streit, Kameraden, S. 268–285.<br />
45 Herbert, Fremdarbeiter, S. 256–266.<br />
46 Thomas Urban, ÜberLeben und Sterben von Zwangsarbeitern <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong>, Münster 2002.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> 27<br />
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Einleitung<br />
erschienen,47 hat die Thematik inzwischen Eingang in die Jubiläen- und Festschriftenliteratur<br />
zu einzelnen <strong>Zechen</strong>gesellschaften gefunden48 und sind von<br />
der lokalhistorischen Forschung Erlebnis- und Erinnerungsberichte ehemaliger<br />
Zwangsarbeiter der Ruhrzechen veröffentlicht worden.49 Zur sozialen Lage der<br />
einhe<strong>im</strong>ischen Bergarbeiter während des Krieges kann seit langem auf die Arbeit<br />
von Wolfgang Franz Werner zurückgegriffen werden, die vor allem Antworten<br />
auf die Frage sucht, warum ein breiter und entschiedener Widerstand der Ruhrbergarbeiter<br />
gegen Reg<strong>im</strong>e und Krieg unterblieb.50 Die vorliegende Untersuchung<br />
wird die genannten Forschungsstränge in vielerlei Hinsicht vertiefend, vor allem<br />
aber erstmals in ihren korrespondierenden Aspekten behandeln und damit dem<br />
Umstand Rechnung tragen, dass sozialpolitische Maßnahmen für „Fremdarbeiter“,<br />
Kriegsgefangene und einhe<strong>im</strong>ische Bergarbeiter nie isoliert, sondern <strong>im</strong>mer<br />
in Bezug zueinander standen.<br />
Ein letzter Schwerpunkt liegt auf der Analyse der Zwangsarbeit als Bestandteil<br />
der betrieblichen Arbeitsbeziehungen bzw. der betrieblichen Sozialbeziehungen.<br />
Als Sozialsysteme und Zwangsverbände werden Betriebe durch eine stets prekäre<br />
Ausübung von Autorität zusammengehalten. Aus ihrem funktionalen und hierarchischen<br />
Aufbau ergeben sich strukturelle, aus den Konfliktlinien des Zwangsverbandes<br />
„Betrieb“ informelle Beziehungen zwischen den betrieblichen Sozialgruppen,<br />
<strong>im</strong> Bergbau <strong>im</strong> Wesentlichen den <strong>Zechen</strong>direktionen, der mittleren Ebene<br />
der Betriebsführer und Steiger sowie den Bergarbeitern.5¹ Für den <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
ist verschiedentlich die Entwicklung einer extrem autoritären Grundstruktur<br />
der betrieblichen Sozialbeziehungen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
konstatiert worden. Erst durch die Bergrechtsreform der Jahre 1851 bis 1865 in<br />
sämtliche Unternehmerrechte eingesetzt, bemühten sich die Bergwerksbesitzer<br />
und vor allem ihr leitendes Management, das sich mehr und mehr aus dem Kreis<br />
der zumeist konservativ-autoritär eingestellten Bergassessoren rekrutierte, um die<br />
Durchsetzung eines autoritären Disziplinarreg<strong>im</strong>es auf den <strong>Zechen</strong> und um ein<br />
Diktat der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Diesen „Herr-<strong>im</strong>-Hause-Standpunkt“<br />
47 Heinz Weischer, Russenlager. Russische Kriegsgefangene in Heesen (Hamm) 1942–1945, Essen<br />
1992; Jürgen Pohl, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene <strong>im</strong> Recklinghäuser Bergbau in der Zeit<br />
des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es, in: Klaus Bresser u. Christoph Thüer (Hrsg.), Recklinghausen <strong>im</strong> Industriezeitalter,<br />
Recklinghausen 2000, S. 443–459; Reinhold Grau, Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter<br />
und Kriegsgefangene auf der Zeche Emscher-Lippe, Datteln, 1914–1918 und 1940–1945, o. O.<br />
(Datteln) o. J. (1997); Ulrich Kemper, Zwangsarbeiter auf der Zeche Niederberg in Neukirchen-<br />
Vluyn während der Kriegsjahre 1939–1945, Neukirchen-Vluyn 1991 (Ms); Revierarbeitsgemeinschaft<br />
für kulturelle Bergmannsbetreuung, Geschichtskreis „General Blumenthal“ (Hrsg.), Misshandlung<br />
von Zwangsarbeitern auf der Zeche General Blumenthal in Recklinghausen <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong><br />
<strong>Weltkrieg</strong>, o. O. (Recklinghausen) o. J. (2006).<br />
48 Als gelungenes Beispiel vgl. Karl Lauschke, Menschen auf dem Bergwerk: Die Belegschaft <strong>im</strong><br />
Wandel der Zeit, in: Zeche Westfalen, S. 67–90.<br />
49 Waltraud Jachnow u. a. (Hrsg.), … und die Erinnerung tragen wir <strong>im</strong> Herzen. Briefe ehemaliger<br />
Zwangsarbeiter – Bochum 1942–1945, Bochum 2002.<br />
50 Wolfgang Franz Werner, „Bleib übrig“. Deutsche Arbeiter in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft,<br />
Düsseldorf 1983.<br />
51 Vgl. dazu auch Ralf Dahrendorf, Sozialstruktur des Betriebes, Wiesbaden 1959.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
28 <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
behielt die bergbauliche Elite über die politischen Zäsuren <strong>im</strong> ersten Drittel des<br />
20. Jahrhunderts hinweg mehr oder weniger bei. Die praktische Durchsetzung<br />
der unumschränkten unternehmerischen Autorität <strong>im</strong> bergbaulichen Großbetrieb<br />
oblag dem mittleren technischen Aufsichtspersonal, den Betriebsführern und Steigern,<br />
die dieser Aufgabe zumeist in einem sprichwörtlich rauen und herrischen<br />
Tonfall sowie unter Zuhilfenahme rigider Disziplinarstrafen bis hin zu körperlicher<br />
Züchtigung nachkamen.5² Zur Bezeichnung dieser spezifischen betrieblichen<br />
Sozialbeziehungen hatte sich seit den 1920er Jahren der Begriff „Grubenmilitarismus“<br />
etabliert. Die Entwicklung der betrieblichen Sozialbeziehungen <strong>im</strong><br />
<strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> wird, obgleich noch wenig untersucht, zumeist als Phase eines<br />
übersteigerten bzw. entfesselten Grubenmilitarismus gedeutet. Für die vorliegende<br />
Untersuchung stellt sich vor diesem Hintergrund einerseits die Frage, welche Auswirkung<br />
das Auftauchen einer neuen, in sich stark differenzierten betrieblichen<br />
Sozialgruppe, der „Fremdarbeiter“ und Kriegsgefangenen, auf die betrieblichen<br />
Sozialbeziehungen hatte. Andererseits gilt es aber auch in umgekehrter Richtung<br />
zu fragen, welche spezifischen Folgen der Grubenmilitarismus für die ausländischen<br />
Zwangsarbeiter hatte.<br />
Das Ziel dieser Untersuchung ist mithin, ausgehend von der Frage der Zwangsarbeit<br />
und <strong>im</strong>mer wieder auf sie hinführend, eine breiter angelegte (wirtschaftsgeschichtlich<br />
informierte) Organisations- und Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s<br />
während des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es. Eine solche stellt innerhalb der Historiografie<br />
zum <strong>Ruhrbergbau</strong> ein spürbares Desiderat dar.5³ So liegen für die vorindustrielle<br />
Bergbaugeschichte der Region,54 zur Wirtschafts-, Sozial- und Organisationsgeschichte<br />
der Industrialisierungsphase bis zum Ersten <strong>Weltkrieg</strong>,55 zu den Entwick-<br />
52 Vgl. Bernd Weisbrod, Arbeitgeberpolitik und Arbeitsbeziehungen <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong>. Vom „Herr<strong>im</strong>-Haus“<br />
zur Mitbest<strong>im</strong>mung, in: Gerald D. Feldman u. Klaus Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter,<br />
Unternehmer und Staat <strong>im</strong> Bergbau. Industrielle Beziehungen <strong>im</strong> internationalen Vergleich,<br />
München 1989, S. 107–162; Helmuth Trischler, Steiger <strong>im</strong> deutschen Bergbau. Zur Sozialgeschichte<br />
der technischen Angestellten 1815–1945, München 1988; ders., Partielle Modernisierung.<br />
Die betrieblichen Sozialbeziehungen zwischen Grubenmilitarismus und Human Relations, in:<br />
Matthias Frese u. Michael Prinz (Hrsg.), Politische Zäsuren und gesellschaftlicher Wandel <strong>im</strong><br />
20. Jahrhundert. Regionale und vergleichende Perspektiven, Paderborn 1996, S. 145–171; Siegfried<br />
Braun, Wilhelm Eberwein u. Jochen Tholen, Belegschaften und Unternehmer. Zur Geschichte<br />
und Soziologie der deutschen Betriebsverfassung und Belegschaftsmitbest<strong>im</strong>mung, Frankfurt<br />
a. M. etc. 1992, S. 191–203.<br />
53 Zur Historiografie des <strong>Ruhrbergbau</strong>s vgl. auch Klaus Tenfelde, Bergbaugeschichte <strong>im</strong> Ruhrgebiet,<br />
in: <strong>Der</strong> Anschnitt 50 (1998), S. 215–227; Stefan Przigoda, Technik- und wirtschaftshistorische<br />
Forschungen zur Geschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s, in: Rasch u. Bleidick (Hrsg.), Technikgeschichte,<br />
S. 477–490.<br />
54 Michael Fessner, Steinkohle und Salz. <strong>Der</strong> lange Weg zum industriellen Ruhrrevier, Bochum<br />
1998.<br />
55 Klaus Tenfelde, Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr <strong>im</strong> 19. Jahrhundert, Bonn-<br />
Bad Godesberg 1977; Franz-Josef Brüggemeier, Leben vor Ort. Ruhrbergleute und <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
1889–1919, München 1983; Susanne Peters-Schildgen, „Schmelztiegel“ Ruhrgebiet. Die Geschichte<br />
der Zuwanderung am Beispiel Herne bis 1945, Essen 1997; Carl-Ludwig Holtfrerich, Quantitative<br />
Wirtschaftsgeschichte des Ruhrkohlenbergbaus <strong>im</strong> 19. Jahrhundert. Eine Führungssektoranalyse,<br />
Dortmund 1973; Przigoda, Unternehmensverbände.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> 29<br />
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Einleitung<br />
lungen in der Zwischenkriegszeit und in den „Friedensjahren“ des Nationalsozialismus56<br />
sowie für die Nachkriegszeit nach 194557 wichtige Arbeiten vor. Dagegen<br />
beschränkt sich eine in breiteren Zusammenhängen angelegte Historiographie des<br />
<strong>Ruhrbergbau</strong>s für die Jahre 1939 bis 1945 auf zwei Kapitel in der erwähnten Untersuchung<br />
von Gillingham.58 Dabei unterlag der Ort des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es in der<br />
Geschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s in der jeweiligen zeitgenössischen und historischen<br />
Betrachtung erheblichen Umdeutungen. Vielen zeitgenössischen Beobachtern<br />
der Jahre 1939 bis 1941, aber selbst noch der letzten Kriegsjahre, schien, nachdem<br />
sich in den 1920er und frühen 1930er Jahren deutliche Zeichen eines Niedergangs<br />
bemerkbar gemacht hatten, ein neues Steinkohlenzeitalter in einer vom „Großdeutschen<br />
Reich“ dominierten europäischen Großraumwirtschaft anzubrechen,<br />
in welcher dem <strong>Ruhrbergbau</strong> eine unbestrittene Führungsrolle bis dahin nicht<br />
gekannten Ausmaßes zukommen sollte. In der Wahrnehmung der Nachkriegszeit<br />
markierte der Zweite <strong>Weltkrieg</strong> dagegen den Tiefpunkt einer 30-jährigen Krisenund<br />
Niedergangsgeschichte seit dem Ende des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>es, die den <strong>Ruhrbergbau</strong>,<br />
so die Einschätzung des Unternehmensverbandes <strong>Ruhrbergbau</strong> in einer<br />
Schrift aus den 1950er Jahren, auf den Stand von 1875 zurückwarf.59 Das pr<strong>im</strong>äre<br />
Interesse der nachfolgenden Untersuchung bleibt aber die Darstellung und Analyse<br />
der Kriegsentwicklung selbst und nicht deren Einordnung in die längere Aufund<br />
Abstiegsgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s.<br />
Die Untersuchung beruht empirisch hauptsächlich auf einer systematischen<br />
Auswertung der Unternehmens- und Verbandsüberlieferungen des <strong>Ruhrbergbau</strong>s<br />
zu den genannten Fragestellungen. Herangezogen wurde ausschließlich <strong>im</strong><br />
Rahmen der Benutzungsordnung privater und öffentlicher Archive der wissenschaftlichen<br />
und nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit allgemein zugängliches<br />
Material.60 Dies folgt einerseits dem Grundsatz, die Überprüfbarkeit der darge-<br />
56 Karin Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt. Bergarbeiter und ihre Familien <strong>im</strong> Ruhrgebiet<br />
1914–1924, München 1989; Hans Mommsen, <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> Spannungsfeld von Politik<br />
und Wirtschaft in der Zeit der We<strong>im</strong>arer Republik, in: Blätter für Landesgeschichte 108 (1972),<br />
S. 160–175; Rudolf Tschirbs, Tarifpolitik <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> 1918–1933, Berlin 1986; Wolfgang Jäger,<br />
Bergarbeitermilieus und Parteien <strong>im</strong> Ruhrgebiet. Wahlverhalten des katholischen Bergarbeitermilieus<br />
bis 1933, München 1996; Wisotzky, <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> Dritten Reich.<br />
57 Werner Abelshauser, <strong>Der</strong> Ruhrkohlenbergbau seit 1945. Wiederaufbau, Krise, Anpassung, München<br />
1984; Mark Roseman, Recasting the Ruhr 1945–1958. Manpower, Economic Recovery and<br />
Labour Relations, New York 1992; Christoph Nonn, Die <strong>Ruhrbergbau</strong>krise. Entindustrialisierung<br />
und Politik 1958–1969, Göttingen 2001.<br />
58 Gillingham, Industry, S. 112–162. Vgl. außerdem John R. Gillingham, Die Ruhrbergleute und<br />
Hitlers Krieg, in: Mommsen u. Borsdorf (Hrsg.), Glück auf, S. 325–343.<br />
59 <strong>Der</strong> Unternehmensverband bezog sich mit dieser Wertung auf die Fördermenge, allerdings fehlerhaft.<br />
Die 1945 erreichte Förderung lag noch gut doppelt so hoch wie 1875 und entsprach ziemlich<br />
genau der Produktion von 1889. Unternehmensverband <strong>Ruhrbergbau</strong> (Hrsg.), Was wissen Sie<br />
vom <strong>Ruhrbergbau</strong>?, Essen o. J. (ca. 1956) (3. Aufl.), S. 13. Vgl. weiter August Heinrichsbauer, <strong>Der</strong><br />
<strong>Ruhrbergbau</strong> in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Essen 1948, S. 7 ff. Zur historischen<br />
Förderentwicklung des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> tabellarischen Längsschnitt vgl. Wiel, Wirtschaftsgeschichte,<br />
S. 128–132.<br />
60 Im Rahmen des Projektes, in dem auch die vorliegende Studie entstand, wurde ein Spezialinventar<br />
der in nordrhein-westfälischen Staats-, Wirtschafts- und Kommunalarchiven nachweisbaren<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
30 <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
legten Fakten, Argumente und Thesen zu gewährleisten, resultiert andererseits<br />
aber auch aus dem Umstand, dass nach den Recherchen des Verfassers weder bei<br />
der Deutschen Steinkohle AG noch bei den weiter fördernden <strong>Zechen</strong> oder an<br />
anderem Ort für diese Untersuchung einschlägiges Material in größerem Umfang<br />
vorhanden ist.<br />
<strong>Der</strong> größte Teil der Unternehmensüberlieferung der Ruhrzechen befindet sich,<br />
der besonderen Unternehmensgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s in der Nachkriegszeit<br />
folgend, <strong>im</strong> Bergbau-Archiv Bochum.6¹ Für die Untersuchung wurden insgesamt<br />
26 Unternehmens- bzw. <strong>Zechen</strong>bestände aus dem Bergbau-Archiv ausgewertet,<br />
darunter die Bestände der größeren Gesellschaften wie der Gelsenkirchener Bergwerks<br />
AG (GBAG), der Hibernia, der Harpener Bergbau AG oder des Krupp-<br />
Steinkohlenbergbaus, aber auch die Überlieferung kleinerer Bergwerksunternehmen<br />
und -betriebe wie der Gewerkschaften Rheinpreußen oder Westfalen.<br />
Außerdem wurden noch sieben Unternehmensbestände aus dem Westfälischen<br />
Wirtschaftsarchiv in Dortmund herangezogen, von denen diejenigen der Essener<br />
Steinkohlenbergwerke und der Concordia Bergbau AG die wichtigsten und aussagekräftigsten<br />
darstellen. Dagegen wurde nach Stichproben auf eine systematische<br />
Durchsicht der in den Unternehmensarchiven bei Krupp, Thyssen-Krupp, Mannesmann<br />
oder Hoesch noch befindlichen einschlägigen Bergbauakten verzichtet,<br />
da diese weder besonders umfangreich sind, noch deren Auswertung in qualitativer<br />
Hinsicht wesentlichen Zugewinn gegenüber den in den „übergeordneten“<br />
Wirtschaftsarchiven lagernden Bergbauunternehmensakten versprach.<br />
Keine der ausgewerteten Unternehmensüberlieferungen ist so umfangreich und<br />
geschlossen, dass sie zu allen hier interessierenden Fragestellungen Auskunft geben<br />
könnte. Neben dichten Überlieferungen wenigstens zu einzelnen Problemkreisen<br />
in manchen Beständen, stehen lediglich splitterhafte Aktenüberreste in anderen<br />
Beständen. In der Gesamtschau erweist sich die Unternehmensüberlieferung zu<br />
zahlreichen Fragestellungen aber als durchaus ergiebig. Als wichtigste Quellen-<br />
Quellen zur Geschichte der Zwangsarbeit <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> erstellt. Holger Menne u. Michael<br />
Farrenkopf (Bearb.), Zwangsarbeit <strong>im</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> während des <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>es. Spezialinventar<br />
der Quellen in nordrhein-westfälischen Archiven, Bochum 2004 (als online-Publikation<br />
unter www.vfkk.de/pdf/Zwangsarbeit.pdf). Zu den für die Geschichte der Zwangsarbeit einschlägigen<br />
Überlieferungen <strong>im</strong> Bergbau-Archiv Bochum vgl. außerdem Stefan Przigoda, Quellen<br />
zur Geschichte der Zwangsarbeit: Die Überlieferung <strong>im</strong> Bergbau-Archiv Bochum, in: <strong>Der</strong><br />
Archivkurier 14 (2000), S. 72–78 u. Evelyn Kroker, Zur Überlieferung von Zwangsarbeit <strong>im</strong><br />
Steinkohlenbergbau. Fragen zum Quellenwert, in: Reininghaus u. Re<strong>im</strong>ann (Hrsg.), Zwangsarbeit,<br />
S. 243–247. Zur Zwangsarbeitsüberlieferung in den nordrhein-westfälischen Staatsarchiven<br />
vgl. außerdem Anselm Faust, Akten zu Zwangsarbeit und Zwangsarbeitern <strong>im</strong> Nordrhein-<br />
Westfälischen Hauptstaatsarchiv, in: Archivkurier 14 (2000), S. 69–71 u. Wilfried Reininghaus,<br />
Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter in Westfalen 1939–1945. Quellen des Staatsarchivs Münster,<br />
in: <strong>Der</strong> Archivar 53 (2000), S. 114–121. Zahlreiche Quellen zur Zwangsarbeit <strong>im</strong> Kohlenbergbau<br />
sind inzwischen publiziert bei: Hans-Christoph Seidel u. Klaus Tenfelde (Hrsg.), Zwangsarbeit<br />
<strong>im</strong> Bergwerk. <strong>Der</strong> Arbeitseinsatz <strong>im</strong> Kohlenbergbau des Deutschen Reiches und der besetzten<br />
Gebiete <strong>im</strong> Ersten und <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong>. Bd. 2: Dokumente, Essen 2005.<br />
61 Zu den Beständen des Bergbau-Archivs vgl. Evelyn Kroker (Bearb.), Das Bergbau-Archiv und<br />
seine Bestände, Bochum 2001.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> 31<br />
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Einleitung<br />
typen aus dieser Überlieferung stellten sich Geschäfts- und Jahresberichte, Niederschriften<br />
zu Aufsichtsrats- und Direktorenbesprechungen, der Schriftwechsel der<br />
Unternehmen und <strong>Zechen</strong> mit den Bergbauverbänden, Behörden und zum Teil<br />
auch mit Partei- und militärischen Stellen, statistisches Material, die – allerdings<br />
nur in wenigen Fällen überlieferten – Niederschriften zu Vertrauensratssitzungen<br />
sowie interne Verwaltungsschriftwechsel heraus.<br />
Das zweite wichtige empirische Standbein der Untersuchung stellen die Verbandsüberlieferungen<br />
dar. Das reichhaltigste Material bietet der Bestand der<br />
Bezirksgruppe Ruhr, die eine zentrale Schnittstelle zwischen den <strong>Zechen</strong> und<br />
Unternehmen auf der einen Seite und den übergeordneten Verbänden sowie den<br />
staatlichen, politischen und militärischen Stellen der Mittel- und Zentralinstanz<br />
auf der anderen Seite bildete. Als eine wichtige serielle Quelle für zahlreiche<br />
Aspekte dieser Untersuchung erwiesen sich die Rundschreiben der Bezirksgruppe<br />
an die Bergwerksgesellschaften und Bergwerksdirektoren, in denen die Bezirksgruppe<br />
ihre Mitglieder einerseits über Veränderungen der Weisungs- und Erlasslage<br />
auf zahlreichen Problemfeldern informierte, andererseits aber auch die Reaktionen<br />
des <strong>Ruhrbergbau</strong>s auf sich verändernde Rahmenbedingungen koordinierte.<br />
Überaus reichhaltig ist darüber hinaus das von der Bezirksgruppe Ruhr erstellte<br />
statistische Material. Wohl kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist bezüglich der<br />
grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen während des <strong>Zweiten</strong><br />
<strong>Weltkrieg</strong>es statistisch so dicht und zuverlässig erfasst wie der <strong>Ruhrbergbau</strong>.<br />
Von großem Interesse sind weiterhin die Niederschriften zu den Beiratssitzungen<br />
und zu den Sitzungen wichtiger Ausschüsse der Bezirksgruppe, beispielsweise des<br />
so genannten Kleinen Ausschusses für sozialwirtschaftliche Fragen. Zuletzt erwies<br />
sich auch noch der Schriftverkehr mit den <strong>Zechen</strong>gesellschaften zu Einzelfragen<br />
als eine wichtige Quellengruppe aus dem Bestand der Bezirksgruppe Ruhr.<br />
Seit 1942 fungierte die Bezirksgruppe Ruhr auch als regionale Organisation<br />
der RVK, eine der wichtigsten und einflussreichsten „Organe der unternehmerischen<br />
Selbstverwaltung“ in der zweiten Kriegshälfte, die mit dem <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
personell eng verflochten war. Die Akten der RVK haben zwar allem Anschein<br />
nach den Krieg überstanden und gelangten über Berlin und Ludwigsburg nach<br />
Essen, wo sich ihre Spur jedoch verliert. Im Bundesarchiv in Berlin sind lediglich<br />
noch Bestandsreste aus Akten vorhanden, die in Vorbereitung der Nürnberger<br />
Wirtschaftsprozesse zusammengestellt wurden. Deutlich wird aus diesen Akten<br />
vor allem die zentrale Organisation des Ausländereinsatzes <strong>im</strong> Kohlenbergbau.<br />
Als serielle Quelle ist außerdem die „Sozialpolitische Information“ der RVK zu<br />
nennen, die Einblick in die Tätigkeit des Sozialausschusses der Organisation gibt.<br />
Quellen zur Arbeit der Geschäftsführung, des Präsidiums oder anderer Ausschüsse<br />
lassen sich dagegen nur noch vereinzelt nachweisen. Von weit geringerer Bedeutung<br />
als die RVK war die Wirtschaftsgruppe Bergbau, der die Bezirksgruppe Ruhr<br />
eigentlich formal untergeordnet war. Aus dem <strong>im</strong> Bochumer Bergbau-Archiv<br />
lagernden mäßig umfangreichen Teilbestand wurden hauptsächlich der Schriftwechsel<br />
der Wirtschaftsgruppe mit der Bezirksgruppe Ruhr sowie ihre Korrespondenz<br />
mit anderen Zentralinstanzen, sofern der <strong>Ruhrbergbau</strong> davon betroffen<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
32 <strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
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Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
war, eingesehen. <strong>Der</strong> <strong>im</strong> Bundesarchiv archivierte Teilbestand ist dagegen für die<br />
Fragestellungen dieser Untersuchung ohne Bedeutung.<br />
Letzteres ließe sich auch vom Bestand des Bergbau-Vereins sagen, wenn dieser<br />
nicht die Niederschriften zu den Sitzungen der 1942 auf allen Ruhrzechen eingerichteten<br />
Arbeitskreise für Leistungssteigerung und der so genannten Leistungskameradschaften<br />
enthalten würde. Dabei handelt es sich um eine serielle Quelle,<br />
die von der bisherigen Forschung komplett übersehen wurde, für Untersuchungen<br />
zum betrieblichen Ausländereinsatz und zur betrieblichen Praxis der Zwangsarbeit<br />
aber besonders reichhaltig und unverzichtbar ist. Erstaunlich wenig Beachtung<br />
fand in der Forschung bisher auch der gut erschlossene Bestand des RWKS <strong>im</strong><br />
Bergbau-Archiv.6² Für die <strong>im</strong> Folgenden behandelten Fragen nach der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung boten vor allem die Niederschriften zu den Versammlungen<br />
der Vorsitzenden der Ausschüsse <strong>im</strong> RWKS sowie die Akten des Generalsekretariats<br />
wichtiges Material.<br />
Eine weitere prinzipiell zentrale Überlieferung zur Geschichte des regionalen<br />
Bergbaus stellen die Akten der bergbehördlichen Mittelinstanz dar. Die einschlägigen<br />
Akten des Dortmunder Oberbergamtes sind allerdings bereits während des<br />
Krieges durch Bombentreffer so gut wie vollständig vernichtet worden. Dagegen<br />
ist die <strong>im</strong> Staatsarchiv Münster zugängliche Überlieferung der einzelnen Bergämter<br />
zu manchen Fragen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und<br />
des Arbeitseinsatzes durchaus ergiebig. Insbesondere gilt dies für die Lage- und<br />
St<strong>im</strong>mungsberichte der Bergrevierbeamten und für Korrespondenzen der <strong>Zechen</strong>gesellschaften<br />
mit den Bergrevierbeamten über Probleme, die bergpolizeiliche<br />
Aspekte beinhalteten. Auf die Auswertung der <strong>im</strong> Hauptsstaatsarchiv Düsseldorf<br />
erschlossenen Bergamtsakten wurde allerdings verzichtet, weil bereits die systematische<br />
Durchsicht der umfangreicheren Münsteraner Bestände zu erheblichen<br />
sachlichen Redundanzen führte. Die sonstige Überlieferung der mittleren Administrationsebene<br />
in Münster erwies sich, abgesehen vom Bestand „Oberpräsidium“,<br />
der einige wichtige Quellen zum Ausländereinsatz auf den Ruhrzechen<br />
in den ersten Kriegsjahren enthält, als wenig ergiebig. Da nach Vorrecherchen für<br />
die Bestände <strong>im</strong> Hauptstaatsarchiv Düsseldorf gleiches zu erwarten stand, blieb<br />
eine Auswertung aus. Auch Recherchen in Kommunalarchiven mussten schon aus<br />
arbeitsökonomischen Gründen unterbleiben.<br />
Die Auswertung von Quellen der zentralen Administrationsebene <strong>im</strong> Bundesarchiv<br />
Berlin konzentrierte sich, neben der RVK, auf Akten aus dem Reichwirtschaftsministerium<br />
(RWM), dem Reichsarbeitsministerium (RAM) und dem<br />
Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion. Aus dem Bestand des<br />
RWM geben die Akten der so genannten Bergabteilung vor allem Auskunft über<br />
Fragen der Planung von Kohlenproduktion und -versorgung. Darüber hinaus enthält<br />
der Bestand die Erlasse an die Oberbergämter sowie die monatlichen Lage-<br />
62 Evelyn Kroker u. Norma von Ragenfeld (Bearb.), Findbuch zum Bestand 33: Rheinisch-Westfälisches<br />
Kohlensyndikat 1893–1945, Bochum 1977.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong> 33<br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Einleitung<br />
berichte der Bezirksgruppe Ruhr und des westfälischen Oberbergamtes. Akten<br />
aus dem RAM ermöglichen Einblicke in die zentrale Organisation des Arbeitseinsatzes<br />
<strong>im</strong> Bergbau. Aus dem Bestand des Rüstungsministeriums wurden die<br />
Niederschriften zu den Sitzungen der Zentralen Planung (ZP), die sich mit der<br />
Kohlenversorgungslage beschäftigten, gesichtet.<br />
Die Verwertung von akzidentiell aus weiteren Archiven herangezogenen Quellen<br />
verdankt sich dem Umstand, dass diese Studie in einem größeren Projektzusammenhang<br />
entstanden ist und die Bearbeiter anderer Projekte den Verfasser<br />
dankenswerter Weise an ihren Quellenrecherchen teilhaben ließen, sofern diese<br />
einen Bezug zum <strong>Ruhrbergbau</strong> aufwiesen. <strong>Der</strong> außerordentliche Zeitschriftenbestand<br />
der in der Bibliothek des Ruhrgebiets aufgegangenen Essener Bergbaubücherei<br />
ermöglichte außerdem eine systematische Auswertung sowohl der bergbaulichen<br />
Fachzeitschriften als auch der regionalen Wirtschaftspresse. Auch die<br />
zeitgenössisch relevante monographische Bergbau-, wirtschaftliche und sozialpolitische<br />
Literatur konnte ausschließlich aus den Beständen der Bergbaubücherei<br />
recherchiert werden.<br />
Die jüngeren Forschungen zur Zwangsarbeit haben in starkem Maße auf Erinnerungsberichte<br />
oder -interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern zurückgegriffen,<br />
zum Teil in Ergänzung zur archivalischen Überlieferung, zum Teil auch als<br />
Hauptinformationsquelle. In dieser Arbeit wurde darauf verzichtet, erstens, weil<br />
der Fokus der Untersuchung deutlich über den Problemkontext „Zwangsarbeit“<br />
hinauszielt und ein systematischer Einbau von Zeitzeugeninterviews angesichts<br />
der ohnehin schwer zu bewältigenden Quellenflut nicht möglich erschien, zweitens,<br />
aber auch weil die zur Verfügung stehende archivalische Überlieferung des<br />
<strong>Ruhrbergbau</strong>s gerade zur Frage der Zwangsarbeit insgesamt reichhaltiges und aussagekräftiges<br />
Material bereit hält.<br />
Am Anfang der Untersuchung steht eine Skizze des wirtschaftlichen, demografischen,<br />
politischen und sozialen Gesamtrahmens, in dem der <strong>Ruhrbergbau</strong><br />
seit der Mitte des 19. Jahrhunderts seine industriewirtschaftliche Führungsrolle<br />
gewann. Es folgen drei chronologisch angeordnete Hauptkapitel, von denen das<br />
erste, deutlich knapper gehaltene, etwa Ende 1936 einsetzt und mit dem Kriegsbeginn<br />
1939 endet. Diese Rückschau in die Vorkriegszeit ist notwendig, weil zahlreiche<br />
Entwicklungen, die während des Krieges zum Tragen kamen, hier ihren<br />
Anfang nahmen. Das zweite Hauptkapitel behandelt die Zeit bis etwa zur Jahreswende<br />
1941/42, das dritte die Jahre bis zum Kriegsende. Diese Zäsurensetzung<br />
ist nicht für alle behandelten Untersuchungsstränge zwingend, trägt aber der<br />
Fokussierung auf den Ausländer- bzw. Zwangsarbeitereinsatz Rechnung, für den<br />
der Beginn des „Russeneinsatzes“ auf den <strong>Zechen</strong> Anfang 1942 einen deutlichen<br />
Einschnitt markierte.<br />
Die Binnengliederung der Hauptkapitel folgt einem einheitlichen Prinzip. Ein<br />
erster Teil behandelt jeweils die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die<br />
Förderentwicklung, die Förderpolitik, die Absatzlage und die Organisation der<br />
Kohlenwirtschaft. Ein zweiter Teil diskutiert jeweils den Arbeitseinsatz, darunter<br />
dessen Organisation, die Belegschaftsentwicklung und -politik, die Beschäftigung<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
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© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010
Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des <strong>Ruhrbergbau</strong>s <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
von Frauen und Jugendlichen, die militärischen Einberufungen von Bergarbeitern,<br />
den Ausländereinsatz, die Bedingungen, unter denen ausländische Arbeitskräfte<br />
rekrutiert wurden, den Belegschaftswechsel und den betrieblichen Einsatz<br />
von „Fremdarbeitern“ und Kriegsgefangenen. Ein dritter Teil bearbeitet jeweils<br />
die Themenfelder Sozialpolitik, soziale Lage und betriebliche Sozialbeziehungen.<br />
Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei, neben der Lohnfrage oder der Entwicklung<br />
der Arbeitsbelastungen, den unter Kriegsbedingungen zentralen Problemen der<br />
Ernährung und Gesundheit. Hinsichtlich der betrieblichen Sozialbeziehungen<br />
liegen Schwerpunkte auf den Auswirkungen, welche die Arbeitsorganisation <strong>im</strong><br />
Untertagebetrieb auf die Beziehungen von Ausländern und einhe<strong>im</strong>ischen Bergarbeitern<br />
hatte, sowie auf der Entwicklung von Disziplinar- und Repressionsinstrumenten<br />
insbesondere auch gegen die ausländischen Zwangsarbeiter.<br />
Hans-Christoph Seidel<br />
<strong>Der</strong> <strong>Ruhrbergbau</strong> <strong>im</strong> <strong>Zweiten</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />
© <strong>Klartext</strong> <strong>Verlag</strong> 2010<br />
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