01.11.2013 Aufrufe

Buch 6

Buch 6

Buch 6

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

die vom Beil gefällte Steineiche und die Balken von der Esche krachten. Man schnitt das gespaltene<br />

Hartholz. Die Männer rollten gewaltige Steineschen von den Bergen einher.<br />

Und Aeneas feuerte die Kameraden als erster bei den derartigen Arbeiten an und umgürtete sich mit<br />

denselben Werkzeugen. Und während er den gewaltigen Wald betrachtete wälzte er selbst diese<br />

Gedanken in seinem traurigen Herzen hin und her: „Wenn sich uns doch jetzt im so großen Hain<br />

jener goldene Ast am Baum zeigen würde! Weil die Seherin über dich alles – ach! – allzu wahr<br />

gesprochen hat, Misenus.“ (190) Kaum hatte er das gesagt, als zufällig ein Taubenpaar vor dem<br />

Antlitz des Mannes fliegend vom Himmel herbeikam und sich auf den grünen Waldboden setzte.<br />

Dann erkannte der äußerst erhabene Held die mütterlichen Vögel und betete heiter: „Möget ihr<br />

meine Führer sein, oh, falls es einen Weg gibt: Lenkt den Kurs durch die Lüfte in den Hain, wo der<br />

reichbelaubte Ast einen Schatten auf den fruchtbaren Boden wirft. Und du, göttliche Mutter, stehe<br />

mir bei der unsicheren Angelegenheit bei!“ Nachdem er so gesprochen hatte, blieb er stehen,<br />

während er beobachtete, welche Zeichen die Tauben gaben und wohin sie zu ziehen drängten. Jene<br />

drangen fressend nur soweit vor, (200) wie die Folgenden sie mit ihrer Sehschärfe wahrnehmen<br />

konnten. Sobald sie dann zu den übelstinkenden Schluchten des Avernus gekommen waren, erhoben<br />

sich die beiden Vögel in die klare Luft und nachdem sie durch die Lüfte geglitten waren, ließen sie<br />

sich auf ihren gewünschten Ruheplätzen oben am Baum nieder, von wo das Buntfarbige des Goldes<br />

zwischen den Ästen im Tageslicht strahlte. Wie für gewöhnlich in den Wäldern die Mistel bei<br />

winterlicher Kälte mit neuem Laub grünt, die der Baum nicht von sich aus gesät hat, und welche die<br />

runden Baumstämme mit der safrangelben Frucht umgibt. So beschaffen war die Gestalt des<br />

blühenden Goldes an der schattigen Steineiche, so rauschten die dünnen Metallblättchen im sanften<br />

Wind. (210) Sofort riss ihn Aeneas an sich und brach gierig den zähen Ast ab. Er trug ihn in die<br />

Wohnstätte der Seherin Sybille. Um nichts weniger beweinten unterdessen die Teucrer an der Küste<br />

Misenus und erwiesen der undankbaren Asche die letzte Ehre. Zuerst errichtete sie ihm einen<br />

Scheiterhaufen mit reichlich Kienholz und gesägtem Hartholz, bedeckten für ihn seinen Leib mit<br />

dunklem Laub und stellten vorn Trauerzypressen auf. Oben schmückten sie den Scheiterhaufen mit<br />

funkelnden Waffen. Ein Teil machte die warmen Flüssigkeiten und die auf den Flammen siedenden<br />

Bronzetöpfe bereit, sie wuschen den Leichnam des erstarrten Mannes und salbten ihn. (220) Sie<br />

seufzten. Danach legten sie die beweinten Glieder zurück auf das Totenbett und warfen darüber<br />

purpurne Tücher, die üblichen Totenschleier. Der andere Teil schulterte die gewaltige Totenbahre,<br />

ein trauriger Dienst, und abgewandt hielten sie nach väterlichem Brauch die Fackeln an den Haufen.<br />

Zusammengetragen verbrannten Gaben aus Weihrauch sowie Speisen mit Olivenöl, aus Mischkrügen<br />

gegossen. Nachdem die Asche in sich zusammengefallen war und sich das Feuer beruhigt hatte,<br />

wuschen sie die Reste und die sich vollsaugende Asche mit Wein. Nachdem er die Knochen<br />

zusammengelesen hatte, barg sie Corynaeus in einem ehernen Weinkrug. Derselbe verteilte um

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!