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Buch 6

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Plötzlich blickte sich Aeneas um und sah unter einer Felswand zu seiner Linken eine breite Burg, die<br />

mit einer dreifachen Schutzmauer umgeben war und (550) die ein reißender Fluss mit heißen<br />

Flammen umgab: Der Unterweltsfluss Phlegethon, der dröhnende Felsen hin und her wendete. Vorn<br />

befand sich eine gewaltiges Tor, sowie Säulen aus massivem Stahl, so dass sie keine einzige<br />

Manneskraft, nicht einmal die Himmelsbewohner selbst im Krieg zerstören konnten. Dort stand ein<br />

eiserner Turm, der bis in den Himmel reichte und während dort Tisiphone mit einem blutigen Mantel<br />

bekleidet nie schlafend saß, beobachtete sie die Vorhalle, sowie die Nächte und die Tage. Von hier<br />

waren die Klagen zu hören und es hallten die wilden Schläge wieder, dann das Zischen eines<br />

Schwertes und herumgezerrte Ketten. Aeneas blieb stehen und vernahm zutiefst erschreckt den<br />

Lärm. (560) „Verbrechen welcher Art sind das, oh Jungfrau? Sprich! Oder mit welchen Strafen<br />

werden hier die Seelen bedrängt? Welch so großes Wehklagen dringt zum Himmel?“ Dann begann<br />

die Seherin so zu sprechen: „Berühmter Anführer der Teucrer, es ist ein göttliches Verbot, dass<br />

jemand reinen Gewissens die verbrecherische Pforte betritt. Doch als mir Hecate die Leitung über<br />

den Avernerhain übertragen hatte, hatte sie mich über die Strafen der Götter belehrt und mich durch<br />

alle geführt. Der cnosische Rhadamanthus besitzt dieses äußerst hartherzige Königreich, züchtigt die<br />

Schuldigen, hört von den listigen Plänen und zwingt Verbrechen zu gestehen, über die sich jemand<br />

bei den Menschen in der Oberwelt aufgrund eines wertlosen Diebstahls gefreut hat, wobei derjenige<br />

das Sühneopfer auf seinen späten Tod verschoben hat. (570) Daraufhin schlägt die mit einer Peitsche<br />

umgürtete Tisiphone die Schuldigen und verspottet sie. Während sie ihnen mit der Linken finstere<br />

Schlangen hinstreckt, ruft sie die wilde Schar ihrer Schwestern. Dann endlich öffneten sich ächzend<br />

die heiligen Torflügel mit ihren schauerlich quietschenden Türangeln. Erkennst du die Wächterin, wie<br />

sie in der Vorhalle sitzt? Erkennst du die Gestalt, welche den Eingang bewacht? Noch wilder hat die<br />

gewaltige Hydra mit fünfzig schwarzen Rachen im Inneren ihren Sitz. Dann breitet sich zweifach der<br />

Tartarus selbst aus: Er erstreckt sich jäh soweit tief in das Schattenreich, wie der Blick zum in den<br />

Himmel ragenden Olymp reicht. (580) Hier wälzt sich das altehrwürdige Geschlecht der Erde, das<br />

Titanenvolk, vom Blitz niedergeworfen im tiefen Grund. Hier habe ich auch die beiden Aloiden –<br />

gewaltige Körper – gesehen, die sich daran gemacht hatten mit ihren bloßen Händen den großen<br />

Himmel einzureißen und Jupiter aus dem oben befindlichen Königreich herabzustoßen. Ich sah auch<br />

Salmoneus, der grausam bestraft wurde, während er die Blitze des Jupiters und das Grollen des<br />

Olymps nachahmte. Dieser fuhr auf einem Viergespann, als er heftig die Fackel durch die Völker der<br />

Griechen und jubelnd durch die Stadt mitten in Elis schwang. Er forderte immer wieder für sich<br />

göttliche Ehren. (590) Ein Tor, wer die Gewitterwolken und den unnachahmlichen Blitz durch Erz und<br />

durch den Hufschlag der hornfüßigen Pferden nachahmen will. Doch der allmächtige Vater<br />

schleuderte zwischen dichten Wolken sein Wurfgeschoss: Er verwendete keine Fackeln oder das<br />

rauchende Licht eines Kienholzbrandes, sondern schleuderte ihn steil in einen gewaltigen Strudel.

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