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Buch 6

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hast und in den Tod gegangen bist? Oh weh, war ich dir ein Grund des Todes? Ich schwöre bei den<br />

Sternen, bei den Göttern, und wenn es irgendeine Treue unter der tiefen Erde gibt: (460) Gegen<br />

meinen Willen, Königin, bin ich von deiner Küste gewichen! Doch mich trieben die Befehle der Götter<br />

mit ihrer Befehlsgewalt, die mich jetzt zwingen durch diese Schatten, durch die rauen Gegenden im<br />

Schmutz und durch die tiefe Nacht zu ziehen. Ich konnte nicht glauben, dir so großen Schmerz durch<br />

meine Abreise zu bereiten. Bleib stehen und entziehe dich nicht meinem Anblick. Vor wem fliehst<br />

du? Dies ist das letzte Mal, wo ich dich von meinem Schicksal her ansprechen kann.“ Mit derartigen<br />

Worten versuchte Aeneas die zornentbrannte und finster blickende Frau zu besänftigen, ihr Gemüt<br />

und ihre Tränen zu rühren. Jene hielt ihre Augen abgewandt gen Boden gerichtet und nachdem er<br />

mit dem Sprechen angefangen hatte, bewegte sie ihr Gesicht nicht mehr, als wenn sie harter Stein<br />

oder marpesischer Marmor wäre. Endlich riss sie sich zusammen und floh feindlich gesinnt in den<br />

schattenspendenden Hain zurück, wo ihr vorheriger Mann, Sychaeus ähnliche Sorgen hatte und ihre<br />

Liebe erwiderte. Aeneas, der nicht weniger aufgrund des ungerechten Schicksalsschlages erschüttert<br />

war, blickte ihr lange unter Tränen nach und bemitleidete sie.<br />

Dann setzte er den vorgegebenen Weg fort. Schon waren sie bei den letzten Fluren, dem einsamen<br />

Ort, den die Kriegshelden zahlreich bewohnten. Hier kam ihm Tydeus entgegen, hier der im Hinblick<br />

auf seine Waffenkunst ruhmreiche (480) Parthenopaeus, sowie das Abbild des blassen Adrastes. Hier<br />

waren die bei den Menschen oberhalb viel beweinten und durch den Krieg herrenlosen Dardaniden,<br />

über die Aeneas, der sie alle in einer langen Reihe erkannte, seufzte: Glaucus, Medon, Thersilochus,<br />

die drei Söhne des Antenor, sowie der Priester der Ceres, Polyboetes, sogar Idaeus, der noch immer<br />

den Wagen und die Waffen festhielt. Ringsum umgaben ihn die Seelen, zahlreich zur Rechten sowie<br />

zur Linken und es genügte ihnen nicht, ihn nur einmal gesehen zu haben. Sie wollen ganz und gar<br />

verweilen, zu ihm gehen und die Gründe seines Kommens erfahren. Die vornehmen Männer der<br />

Griechen aber und die Phalangen des Agamemnon liefen in gewaltiger Furcht unruhig hin und her,<br />

(490) sobald sie den Mann und die funkelnden Waffen durch die Schatten gesehen hatten. Ein Teil<br />

wandte sich zur Flucht, wie sie einst zu den Schiffen geeilt sind, ein anderer Teil erhob seine dünne<br />

Stimme: Doch das erhobene Geschrei erstarb in ihren aufgesperrten Mündern.<br />

Und hier sah er den Priamussohn Deiphobus, der am ganzen Körper zerfleischt war, auch sein<br />

Gesicht war zerfetzt, sein Gesicht und beide Hände, seine Schläfen waren verwüstet, da man ihm die<br />

Ohren abgeschnitten hatte, und seine Nase war in einer unehrenhaften Wunde verstümmelt. Nur mit<br />

Mühe hatte Aeneas den zitternden und die unheilvollen Wunden zudeckenden Mann erkannt. Er<br />

sprach ihn von sich aus mit seiner vertrauten Stimme an: (500) „Waffenbeherrscher Deiphobus, Sohn<br />

vom erhabenen Blut des Teucer, wer wünschte, dich so grausam zu strafen? Wem war so viel Macht<br />

über dich möglich? Mir kam in der letzten Nacht das Gerücht zu Ohren, dass du aufgrund des wüsten

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