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hast und in den Tod gegangen bist? Oh weh, war ich dir ein Grund des Todes? Ich schwöre bei den<br />
Sternen, bei den Göttern, und wenn es irgendeine Treue unter der tiefen Erde gibt: (460) Gegen<br />
meinen Willen, Königin, bin ich von deiner Küste gewichen! Doch mich trieben die Befehle der Götter<br />
mit ihrer Befehlsgewalt, die mich jetzt zwingen durch diese Schatten, durch die rauen Gegenden im<br />
Schmutz und durch die tiefe Nacht zu ziehen. Ich konnte nicht glauben, dir so großen Schmerz durch<br />
meine Abreise zu bereiten. Bleib stehen und entziehe dich nicht meinem Anblick. Vor wem fliehst<br />
du? Dies ist das letzte Mal, wo ich dich von meinem Schicksal her ansprechen kann.“ Mit derartigen<br />
Worten versuchte Aeneas die zornentbrannte und finster blickende Frau zu besänftigen, ihr Gemüt<br />
und ihre Tränen zu rühren. Jene hielt ihre Augen abgewandt gen Boden gerichtet und nachdem er<br />
mit dem Sprechen angefangen hatte, bewegte sie ihr Gesicht nicht mehr, als wenn sie harter Stein<br />
oder marpesischer Marmor wäre. Endlich riss sie sich zusammen und floh feindlich gesinnt in den<br />
schattenspendenden Hain zurück, wo ihr vorheriger Mann, Sychaeus ähnliche Sorgen hatte und ihre<br />
Liebe erwiderte. Aeneas, der nicht weniger aufgrund des ungerechten Schicksalsschlages erschüttert<br />
war, blickte ihr lange unter Tränen nach und bemitleidete sie.<br />
Dann setzte er den vorgegebenen Weg fort. Schon waren sie bei den letzten Fluren, dem einsamen<br />
Ort, den die Kriegshelden zahlreich bewohnten. Hier kam ihm Tydeus entgegen, hier der im Hinblick<br />
auf seine Waffenkunst ruhmreiche (480) Parthenopaeus, sowie das Abbild des blassen Adrastes. Hier<br />
waren die bei den Menschen oberhalb viel beweinten und durch den Krieg herrenlosen Dardaniden,<br />
über die Aeneas, der sie alle in einer langen Reihe erkannte, seufzte: Glaucus, Medon, Thersilochus,<br />
die drei Söhne des Antenor, sowie der Priester der Ceres, Polyboetes, sogar Idaeus, der noch immer<br />
den Wagen und die Waffen festhielt. Ringsum umgaben ihn die Seelen, zahlreich zur Rechten sowie<br />
zur Linken und es genügte ihnen nicht, ihn nur einmal gesehen zu haben. Sie wollen ganz und gar<br />
verweilen, zu ihm gehen und die Gründe seines Kommens erfahren. Die vornehmen Männer der<br />
Griechen aber und die Phalangen des Agamemnon liefen in gewaltiger Furcht unruhig hin und her,<br />
(490) sobald sie den Mann und die funkelnden Waffen durch die Schatten gesehen hatten. Ein Teil<br />
wandte sich zur Flucht, wie sie einst zu den Schiffen geeilt sind, ein anderer Teil erhob seine dünne<br />
Stimme: Doch das erhobene Geschrei erstarb in ihren aufgesperrten Mündern.<br />
Und hier sah er den Priamussohn Deiphobus, der am ganzen Körper zerfleischt war, auch sein<br />
Gesicht war zerfetzt, sein Gesicht und beide Hände, seine Schläfen waren verwüstet, da man ihm die<br />
Ohren abgeschnitten hatte, und seine Nase war in einer unehrenhaften Wunde verstümmelt. Nur mit<br />
Mühe hatte Aeneas den zitternden und die unheilvollen Wunden zudeckenden Mann erkannt. Er<br />
sprach ihn von sich aus mit seiner vertrauten Stimme an: (500) „Waffenbeherrscher Deiphobus, Sohn<br />
vom erhabenen Blut des Teucer, wer wünschte, dich so grausam zu strafen? Wem war so viel Macht<br />
über dich möglich? Mir kam in der letzten Nacht das Gerücht zu Ohren, dass du aufgrund des wüsten