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den Leichnam, denn du vermagst es und suche die Häfen von Velia erneut auf. Oder, wenn es<br />
irgendeine Möglichkeit gibt, wenn dir deine göttliche Mutter irgendeinen Weg aufzeigt (denn ich<br />
glaube freilich nicht, dass du es ohne das Wirken der Götter unternimmst so große Flüsse und den<br />
stygischen See zu befahren), (370) reiche mir unglücklichem Mann deine Rechte und nimm mich mit<br />
dir über die Wogen, so dass ich wenigstens im Tod in angenehmen Wohngegenden Ruhe finden<br />
kann.“ Solches hatte er gesprochen, als die Seherin ihm solches antwortete: „Woher, Palinurus,<br />
kommt dir dieses so unheilvolle Verlangen? Du willst unbegraben die stygischen Wasser und den<br />
ernsten Strom der Eumeniden erblicken oder willst unaufgefordert zum Ufer gehen? Höre auf,<br />
darauf zu hoffen, die Göttersprüche durch Beten umstimmen zu können, sondern halte meine Worte<br />
als Trostmittel für den harten Schicksalsschlag im Gedächtnis. Denn deine Gebeine werden<br />
Nachbarvölker sühnen, weit und breit durch die Städte von himmlischen Wunderzeichen getrieben<br />
(380) und sie werden dir einen Grabhügel errichten. Dort werden sie Opfer darbringen und der Ort<br />
wird den ewigen Namen ‚Palinurus‘ erhalten.“ Nach diesen Worten waren die Sorgen verscheucht<br />
und der Schmerz war eine Weile aus dem traurigen Herzen vertrieben. Er freute sich über den<br />
Beinamen des Landes.<br />
Also fuhren sie mit dem begonnenen Marsch fort und näherten sich dem Fluss. Der Seemann, der sie<br />
dann schon vom stygischen Wasser aus gesehen hatte, wie sie durch den ruhigen Wald liefen und<br />
ihren Schritt dem Ufer zuwandten, ging sie zuerst auf diese Weise an und schalt sie überdies: „Wer<br />
auch immer du bist, du ziehst als Bewaffneter zu meinen Flüssen, sag nun: Wozu kommst du her,<br />
bleib schon von dort stehen! (390) Dies ist der Ort der Schatten, des Schlafes und der<br />
schlafbringenden Nacht: Es ist ein heiliges Verbot lebende Körper mit dem stygischen Schiff zu<br />
transportieren. Weder habe ich mich gefreut, den kommenden Alciden auf dem See zu empfangen,<br />
noch Theseus sowie Pirithous, obwohl sie Göttersöhne und im Hinblick auf ihre Kräfte unbesiegbar<br />
waren. Jener hat mit seiner eigenen Hand den Wächter des Tartarus in Fesseln geschlagen und ihn<br />
zitternd vom Thron des Königs selbst weggezogen. Die anderen haben mich mit Bitten bestürmt, dass<br />
sie die Herrin des Dis aus ihrem Schlafgemach entführen dürfen.“ Darauf erwiderte die amphrysische<br />
Seherin knapp: „Hier liegt keine derartige Täuschung vor (rege dich nicht auf), (400) auch bringen die<br />
Waffen keine Gewalt. Mag auch der gewaltige Torhüter in der Höhle ewig den toten Schatten Angst<br />
einjagen, mag auch die keusche Proserpina den Eingang für den Onkel schützen. Der Trojer Aeneas,<br />
ausgezeichnet durch sein Pflichtgefühl und seine Waffenfertigkeit, steigt zu seinem Vater, zu den<br />
tiefsten Schatten des Erebus hinab. Wenn dich kein Abbild eines so großen Pflichtgefühls bewegt (sie<br />
deckte den Zweig auf, den sie mit dem Tuch verdeckt hatte), dann aber erkenne diesen Zweig an.“<br />
Nach der Zorneswallung beruhigte sich Charons Gemüt. Auf diese Worte sagte sie nichts mehr.<br />
Während er das verehrungswürdige Geschenk des schicksalsträchtigen Zweiges bewunderte, das er<br />
nach langer Zeit sah, (410) wendete er das schwärzliche Schiffsheck und näherte sich dem Ufer. Dann