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gerettet! - Schauspiel Stuttgart

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s chausp iels tuttgart<br />

gefährliche liebschaften<br />

s chausp iels tuttgart<br />

gefährliche liebschaften<br />

enthüllung<br />

° außerdem hat das reale noch nie jemanden interessiert<br />

jean baudrillard<br />

Der Rokoko zelebriert die Rüsche, die Falte, die gezierte Rede und die gekünstelten<br />

Umgangsformen. In der abgeschlossenen Welt des Salons kann<br />

sich eine Kunstwelt entwickeln, ein Gesellschaftsspiel, dessen Regeln nur die<br />

Eingeweihten kennen. Da es eine überschaubare Welt ist, kann man, wenn<br />

man die Regeln beherrscht, sie wie die Merteuil nach Belieben formen und<br />

lenken.<br />

Es ist eine Welt des Scheins, hinter dessen Oberfläche sich lediglich Leere<br />

verbirgt, per se ein ‚verführerischer‘ Ort und ein Ort der Verführung.<br />

Aber die Leere ist nicht existent, solange der Schein für Realität genommen<br />

wird : Wenn die Künstlichkeit so sehr auf die Spitze getrieben wird, dass sie<br />

falscher als das Falsche wird, muss es möglich sein, sie in Realität zu transformieren<br />

– Minus plus Minus ergibt Plus.<br />

Nicht ob etwas wahr ist, ist wichtig, sondern ob es funktioniert – ‚even better<br />

than the real thing‘ heißt es bei U2 und Diderot schreibt (...) was liegt nun<br />

tatsächlich daran, ob sie [die <strong>Schauspiel</strong>er] empfinden oder nicht empfinden<br />

– vorausgesetzt, das wir das letztere nicht merken?<br />

Das Ideal besteht in der Verschmelzung von Person und Rolle, denn die Rolle<br />

verspricht Perfektion. Wenn der schöne Schein so sehr in Fleisch und Blut<br />

überginge, dass er Realität würde, wäre die perfekte Gesellschaft erreicht:<br />

jeder bekäme was er wollte, das Leben verliefe reibungslos wie ein Uhrwerk,<br />

nicht länger gestört von unvorhersehbaren Emotionen und Verhaltensweisen.<br />

Oder gerade nicht? Valmonts Liebe zu Madame de Tourvel gibt eine Ahnung<br />

davon: zuerst spielt er den Verliebten, aber schließlich wird diese Rolle<br />

Realität, er verliebt sich wirklich in sie.<br />

Das Paradoxe ist, dass das Erreichen des Ideals, die Verschmelzung von Rolle<br />

und Person, das System zum Einsturz bringt. Valmont und Merteuil haben<br />

ein Abbild, ein Imago von sich erschaffen, vergleichbar mit dem ‚image‘ von<br />

Hollywoodstars. Ein Star kann auf zwei Arten fallen: entweder wenn das<br />

perfekte Bild, das von ihm geschaffen wurde, zerstört wird – das ist bei der<br />

Marquise der Fall. Oder wenn, wie bei Valmont, das Ideal Realität wird. Im<br />

Gegensatz zu der Marquise ist er als eiskalter Verführer bekannt, niemand<br />

nimmt die Rolle des glühenden Verehrers wirklich ernst. Die Frauen, die er<br />

verführt hat, ließen sich von dem Bild des perfekten Liebhabers verführen,<br />

nicht von der Annahme, dass dieses Bild in irgendeiner Form authentisch sei.<br />

Wenn das Bild anziehend genug ist, wird die Frage nach der Wahrheit<br />

obsolet. Diese Illusion, die nicht vorgibt etwas anderes als eine Illusion zu<br />

sein, kann nur gebrochen werden, wenn sie – Realität wird. Ein Ideal kann<br />

s: 28 ˚<br />

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