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gerettet! - Schauspiel Stuttgart

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s chausp iels tuttgart<br />

gefährliche liebschaften<br />

s chausp iels tuttgart<br />

gefährliche liebschaften<br />

die nachgeahmte Leidenschaft bringt es zuwege. Die Fähigkeit, Menschen<br />

zu bewegen, setze voraus, selbst unbewegt zu sein, um die eigene Wirkung<br />

zu kontrollieren und außerdem genau zu beobachten, um nachahmen zu<br />

können, was nur aus einer emotionalen Distanz heraus möglich ist.<br />

Der große <strong>Schauspiel</strong>er darf sich keine Aussetzer erlauben, er muss immer<br />

dieselbe, perfekt austarierte Leistung reproduzieren können – jede Unstimmigkeit<br />

würde das ganze Illusionsgebäude zum Einsturz bringen und damit<br />

jede Wirkung – die Rührung der Zuschauer – zunichte machen.<br />

Diderot hätte die Marquise vermutlich zutiefst bewundert – wenn sie Theaterschauspielerin<br />

gewesen wäre. Doch sie vollzieht ihr Spiel in der (Roman)<br />

Realität, und damit kann jeder Fehler, jede Unstimmigkeit ihren Untergang<br />

bedeuten. Sie ist ihr eigenes Werk, Dichter und <strong>Schauspiel</strong>er in Personalunion:<br />

Vergebens hatte man mir gesagt und hatte ich gelesen, dies Gefühl<br />

[die Liebe] lasse sich nicht heucheln; ich sah gleichwohl, dass es, um dahin<br />

zu gelangen, genügte, mit dem Geist eines Autors die Gaben eines <strong>Schauspiel</strong>ers<br />

zu verbinden.<br />

Sie trainiert die Kontrolle über ihre Mimik, Gestik und Reden mit dem Ziel,<br />

ein täuschend echtes Abbild ihrer selbst zu erschaffen, bis sie schließlich<br />

in jede beliebige Rolle schlüpfen kann – die der mütterlichen Freundin, der<br />

scheuen oder enthemmten Liebhaberin und der tugendsamen Witwe.<br />

An Valmont schreibt sie: Mich nicht durchschauen zu lassen, war mir zu<br />

wenig, und so belustigte ich mich damit, mich unter verschiedenen Masken<br />

zu zeigen.(...) Ich wollte nicht genießen, ich wollte wissen, und der Wunsch,<br />

mich zu unterrichten, gab mir auch die Mittel dazu.<br />

Sie zieht ihre Lust nicht aus der Erfüllung von Begierden, sondern daraus,<br />

die eigenen Begierden und die der anderen nach Belieben zu lenken und zu<br />

kontrollieren. Ihr Wille zum Wissen ist der Wille zur Macht, und diese Macht<br />

schafft Lust. Die andere Seite der Medaille ist die Zurichtung, die dazu nötig<br />

ist. Sie muss sich selbst Gewalt antun, um in den Rahmen des eigenen Bildes<br />

zu passen, und dies wird nur möglich, wenn diese Gewalt als lustvoll empfunden<br />

wird. Die Merteuil darf sich – wie der <strong>Schauspiel</strong>er – keine Aussetzer<br />

erlauben, denn die kleinste Unstimmigkeit würde das Bild, das sie von sich<br />

erschaffen hat, in Scherben zerfallen lassen. Sie hat sich ihr eigenes Gefängnis,<br />

das der Verstellung, geschaffen, in dem sie Wärter und Gefangener<br />

zugleich ist. Verlässt sie ihren Wachtposten oder bricht aus dem selbstgewählten<br />

Gefängnis aus, hat das die Zerstörung des gesamten Gebäudes<br />

zur Folge.<br />

Paradoxerweise ermöglicht ihr die Fähigkeit zur Maskierung aber auch, das<br />

Leben zu führen, das sie sich wünscht, sich jeden Liebhaber zu nehmen der<br />

ihr gefällt und dabei trotzdem noch als Ideal einer tugendsamen Frau angesehen<br />

zu werden. Die Maske ist sowohl Zwang als auch Befreiung, die Lüge<br />

ermöglicht ihr, sie selbst zu sein.<br />

s: 26 ˚<br />

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