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DIE INSEL DER SCHÖNEN SI MELU<br />
»DAS GESICHT DER V Ö L K E R «<br />
Der malaiische Kulturkreis<br />
Indonesische Dichtung
tONfNKUJK INSTITUUT<br />
voos TAAL.,<br />
AND. l VOtKENKUMDf<br />
»• Galfnsinai 14<br />
Die Insel der schonen<br />
Si Melu<br />
A<br />
INDONESISCHE<br />
DAMONENGESCHICHTEN,<br />
MARCHEN UND SAGEN AUS SIMALUR<br />
Auf einer Forschungsreise aufgenommen<br />
und in Auswahl herausgegeben<br />
von Dr. Hans Kahler<br />
Mit zwei Gebietskarten<br />
1M HlKiCti KUTÜ-ViliKDAti /<br />
UISÜJNAUH
B u c h a u s s t a 11 u n g von Kurt<br />
Franke<br />
Copyright 1952 by Erich Röth-Verlag, Eisenach<br />
Printed in Germany<br />
Lizenz-Nummer 271 - 130/74/51<br />
Aus der Exzelsior-Antiqua gesetzt und gedruckt von den<br />
Graphischen Werkstatten des Erich Röth-Verlags, Eisenach
AN DER WESTKÜSTE SUMATRAS ERSTRECKT '<br />
sich, von den Wogen des Indischen Ozeans umspült,<br />
eine lange Kette von Insein und Inselchen. Ihr nördlichster<br />
Auslaufer wird Simalur (in der Atjeh-Sprache<br />
von Nord-Sumatra Simeulue) genannt. Diese Insel<br />
ist vierundfünfzig Seemeilen lang und fünf bis vierzehn<br />
Seemeilen breit und wird von etwa zwanzigtausend<br />
Menschen bewohnt. Sie dehnt sich in nordwest-südöstlicher<br />
Richtung zwischen 2 Grad 20 Minuten<br />
bis 2 Grad 47 Minuten nördlicher Breite und<br />
95 Grad 48 Minuten bis 96 Grad 31 Minuten östlicher<br />
Lange aus. Die Insel ist in fünf Distrikte aufgeteilt,<br />
namlichTepa (von den BewohnernDefaean genannt);<br />
Simalur, wonach die ganze Insel ihren Namen erhalten<br />
hat (von den Bewohnern Simolul genannt); Lekon,<br />
Sichule und Salang. In den Landschaften Tepa,<br />
Simalur und Lekon wird, mit geringen mundartlichen<br />
Abweichungen, eine gemeinsame Sprache gesprochen.<br />
Sichule und Salang sind fremde Enklaven. Die Bewohner<br />
dieser beiden Distrikte besitzen eine eigene<br />
Sprache, die noch viel Übereinstimmung mit der der<br />
Insel Nias aufweist. Sie sind aus dem südlichen Teil<br />
der südöstlich von Simalur gelegenen Insel Nias eingewandert.<br />
Auf der Insel.Simalur wechseln fruchtbare Ebenen<br />
mit grofien Sumpfgebieten und Hügeln. Die höchste<br />
Erhebung ist der ungefahr sechshundert Meter hohe<br />
Sibao-Berg, der auch in einigen Erzahlungen eine<br />
Rolle spielt. Das Hügelland ist mit Urwald bedeckt,<br />
der reich an ausgezeichneten Nutzhölzern ist. Die<br />
tief eingegrabenen, kurzen Flüsse sind für den Verkehr<br />
auf der Insel von geringer Bedeutung — denn<br />
die Siedlungen der Bewohner liegen an der Kuste<br />
oder am Unterlauf der Flüsse und an deren Mündungen.<br />
Das Innere der Insel, wo die Flüsse ihren<br />
Oberlauf haben, ist unbewohnt und mit Urwald oder<br />
5
Sümpfen bedeckt. Die Insel wird hauflg von oft<br />
schweren Erdbeben heimgesucht.<br />
Ausgeführt werden besonders Büffel, Kopra, Rotan<br />
und früher auch Nutzhölzer. — Die Wasserbüffel mit<br />
ihren groBen, halbmondförmigen Hörnern werden<br />
vom Land auf breiten Planken in Schuten getrieben<br />
und aus diesen zwecks Transports nach Sumatra oder<br />
Java in gröBere Küstendampfer verladen. Nachdem<br />
man ihnen einen breiten Gurt um den Leib gelegt<br />
hat, werden die Tiere mittels der Schiffskrane aus<br />
den Schuten gehievt. Die Küstendampfer müssen<br />
namlich in einiger Entfernung von der Küste vor Anker<br />
gehen, da Korallenriffe und Untiefen ein Anlegen<br />
im Hafen der Hauptsiedlung Sinabang unmöglich<br />
machen. — Kopra ist das Fruchtfleisch der Kokosnüsse,<br />
das mit besonderen Messern aus den halbierten<br />
Früchten entfernt und dann entweder in der<br />
Sonne oder in besonderen öfen (ahnlich unseren<br />
Backöfen) getrocknet wird. •— Als Rotan bezeichnet<br />
man die Stengel der Rotanpalmen, die zur Familie<br />
der Calamus gehören, und von denen es sehr viele<br />
verschiedene Sorten gibt. Es sind Schlingpalmen,<br />
deren Stengel mehr als hundert Meter lang werden<br />
können. Die Stengel sind meistens glatt und hart.<br />
Sie werden geschnitten, ihrer dünnen Haut entledigt,<br />
indem man sie über eine Messerklinge zieht, getrocknet,<br />
eingeweicht, wieder getrocknet und schlieBlich<br />
zu groBen Ringen oder Bündeln aufgerollt. Die Bewohner<br />
von Simalur verwenden überall dort Rotan,<br />
wo wir Taue gebrauchen. Diese Rotanstrange sind<br />
auBerordentlich stark. — Die Nutzhölzer wurden früher<br />
von einer heute nicht mehr bestehenden europaischen<br />
Holzgewinnungsgesellschaft ausgeführt. Ein<br />
europaischer Friedhof, ein verfallenes Hotel und<br />
elektrische StraBenbeleuchtungs-Anlagen, die jedoch<br />
nicht mehr verwendungsfahig sind, zeugen in der<br />
Hauptniederlassung Sinabang noch von der vergangenen<br />
Pracht und dem Wohlstand, die zur Blütezeit<br />
dieses europaischen Unternehmens auf Simalur zu<br />
Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts herrschten.<br />
Die Bevölkerung, die bereits vor langer Zeit zum<br />
Islam übergetreten ist, stellt keinen einheitlichen<br />
6
Typus mehr dar. Sie ist stark mit Einwanderern aus<br />
Sumatra und Java durchsetzt. Diese Vermischung<br />
kommt nicht nur in der auCeren Erscheinung der<br />
Leute zum Ausdruck, sondern auch in ihrer Sprache,<br />
die viel Lehngut aus dem Atjeh, den Batak-Mundarten,<br />
dem Minangkabau und dem Malaiischen auf<br />
Sumatra enthalt, und in ihren Sitten.<br />
Die Hauser der Siedlungen liegen meistens weit entfernt<br />
voneinander inmitten von Pflanzungen. Deshalb<br />
kann sich ein verhaltnismafiig kleines Dorf über<br />
eine groBe Flache hinziehen. Die einzelnen Hütten<br />
sind in der Regel durch schmale FuBpfade miteinander<br />
verbunden. Die rechteckigen Hütten stehen nach<br />
indonesischer Sitte auf Pfahlen, als Dachbedeckung<br />
dienen Palmenblatter. Eine kurze, überdeckte Treppe<br />
oder eine Leiter führt ins Haus. Der Raum unter<br />
den Hütten dient zum Aufbewahren von Geratschaf<br />
ten und als Stall f ür Geflügel und Ziegen.<br />
Jeder Distrikt untersteht einem Radja (Simalur:<br />
Radjo) oder Haupt, der von der niederlandischindischen<br />
Regierung eingesetzt und besoldet wurde.<br />
AuBerdem hatte er feste Einnahmen aus etwaigen<br />
Holzgerechtsamen, die er an Fremde verpachtete.<br />
Radja bedeutet eigentlich Fürst, König, aber die<br />
Würde und die Befugnisse eines Radjas auf Simalur<br />
sind sehr beschrankt und keineswegs mit der eines<br />
Fürsten auf Java zu vergleichen.<br />
An der Spitze eines jeden Dorfes steht ein Datu'<br />
(oder Sippenhaupt), der im Einvernehmen mit dem<br />
niederlandischen Regierungsvertreter vom Radja ernannt<br />
wurde. Ihm obliegt die Aufrechterhaltung von<br />
Ruhe und Ordnung im Dorf und die Schlichtung von<br />
etwaigen Streitigkeiten innerhalb der Sippen. Die<br />
Bevölkerung ist in Gruppen eingeteilt, die jeweils<br />
von einem Vorfahren abzustammen behaupten. In<br />
der Landschaft Tepa bestehen sechs, in der Landschaft<br />
Simalur vier und in der Landschaft Lekon<br />
ebenfalls vier heimische Sippen, zu denen in jedem<br />
Distrikt noch eine Sippe der Fremden kommt. Jede<br />
Sippe hat Anspruch darauf, den Vertreter für ein<br />
gewisses Amt in der Verwaltung zu stellen. So muB<br />
beispielsweise in der Landschaft Simalur der Datu'<br />
7
aus der Sippe Tufa stammen. Die Sippe der Fremden<br />
ist insofern die wichtigste, als aus ihr alle Radjas<br />
herv<strong>org</strong>egangen sind. Das beweist also, daB diese<br />
Radjas ausnahmslos Fremde waren, die gröBtenteils<br />
aus Sumatra stammen und sich diese Wurde mit Gewalt<br />
verschafft haben.<br />
Folgende kurze Ausführungen mögen in groben Umrissen<br />
ein Bild von den Sitten der Bevölkerung von<br />
Simalur geben.<br />
Die Zeit der Schwangerschaft ist mit Rücksicht auf<br />
das keimende Leben und das der Mutter mit zahlreichen<br />
Verboten verbunden, die sich auf den GenuB<br />
bestimmter Nahrungsmittel und auf die Verrichtung<br />
gewisser Tatigkeiten erstrecken. Zum Teil gelten<br />
derartige Verbote auch für den Mann. Sie beruhen<br />
zur Hauptsache auf Analogieschlüssen: so darf die<br />
Frau kein Fleisch zerschneiden, weil das Neugeborene<br />
sonst ebenfalls Schnittwunden aufweisen wurde.<br />
Ein anderer Teil der Vors<strong>org</strong>emaBregeln will die<br />
Mutter vor dem EinfluB böser Damonen bewahren.<br />
Denn die Bevölkerung ist zwar zum Islam übergetreten,<br />
aber sie hat sich trotzdem viele Brauche<br />
erhalten, die noch aus animistischer Zeit stammen,<br />
in der man sich die gesamte Natur als beseelt und als<br />
von Damonen bewohnt vorstellte. So darf in der<br />
Landschaft Lekon eine Schwangere nicht zwischen<br />
fünf und sechs Uhr abends das Haus verlassen, damit<br />
die Sianafl-Damonen ihre Brüste nicht austrocknen<br />
lassen.<br />
Die Geburt flndet unter Beihilfe einer erfahrenen<br />
Frau im Hause statt. Dabei werden verschiedene<br />
MaBnahmen ergriffen, um böse Damonen abzuwehren.<br />
Die KreiBende wird mit dem Saft bestimmter<br />
Früchte bespien, oder man legt einen Stamm der Pandanuspalme<br />
unter das Haus an die Stelle, über der<br />
die Frau liegt. Um die Geburt nicht zu erschweren,<br />
dürfen keine Behalter geschlossen werden. Die Nabelschnur<br />
wird gleich nach der Geburt mit einem<br />
Bambusmesser abgeschnitten. Die Placenta (hier<br />
»alteres«, in Atjeh und auf Java »jüngeres Geschwister«<br />
genannt) wird, in Matten gewickelt und in einen<br />
Bambus-Behalter verpackt, bis zu einer Woche bei<br />
8
der Wöchnerin und dem Neugeborenen aufbewahrt.<br />
Darauf wird sie hinter dem Hause vergraben, in Simalur<br />
und Lekon j edoch im Hause aufgehangt. Sie<br />
muB vor jeglicher Beschadigung gesichert sein; denn<br />
man fürchtet, daB auch das Neugeborene Schaden<br />
nehmen wurde, wenn dessen »Geschwister« nicht<br />
unversehrt bleibt. Die Wöchnerin und ihr Kind hat<br />
man inzwischen in die Nahe einer kleinen Feuerstelle<br />
gelegt, die im Hause hergerichtet ist. Das Feuer halt<br />
namlich nach ihrer Meinung Damonen fern, da es<br />
magisch besonders kraftig ist und verlorengegangenen<br />
Seelenstoff ersetzen kann.<br />
Ungefahr eine Woche nach der Geburt tragt die Hebamme<br />
das Neugeborene auf den Vorhof des Geburtshauses,<br />
um es zum ersten Male mit der Erde in<br />
Berührung zu bringen. Dabei kaut diese Frau Blatter<br />
bestimmter Pflanzen und bespritzt mit ihrem Saft<br />
den Vorhof, um böse Damonen zu vertreiben. Wahrend<br />
dieser wichtigen Zeremonie wird die Hebamme<br />
von einem weiblichen Medizinmann begleitet, der<br />
einen Dolch oder ein Küchenmesser tragt, je nachdem<br />
ob das Neugeborene ein Knabe oder ein Madchen<br />
ist. Das hangt mit dem Glauben zusammen,<br />
daB Eisen böse Geister abwehrt. Als AbschluB der<br />
Zeremonie feiert man ein kleines Fest.<br />
Etwa fünfzehn bis dreiBig Tage nach der Geburt findet<br />
ein anderes bescheidenes Fest statt, »um der<br />
Hebamme die Hande zu waschen«. Denn die Hebamme<br />
muB davor bewahrt werden, daB das Blut der<br />
Gebarenden verhangnisvolle Folgen für sie haben<br />
kann. Dabei spricht ein Moscheebeamter ein Gebet.<br />
Darauf wascht die Hebamme ihre Hande in Zitronenwasser,<br />
und die Wöchnerin reibt sie mit ihrem Haar<br />
trocken. Sie nimmt damit symbolisch ihr Blut zurück.<br />
Als Belohnung für ihre Bemühungen erhalt<br />
die Hebamme bei dieser Gelegenheit gut zubereitete<br />
Speisen, ein Stück weiBen Stoff und ein kleines Geldgeschenk.<br />
Da Neugeborene dem EinfluB böser Damonen ausgesetzt<br />
sind, darf ihr Name nicht genannt werden.<br />
Sie werden daher meistens »Bübchen« oder »Madelchen«<br />
genannt. Bisweüen kommt es jedoch auch vor,<br />
9
daB die Namensgebung bereits kurz nach der Geburt<br />
erfolgt. Die Eltern nennen sich dann nach indonesischer<br />
Sitte »Vater oder Mutter des oder der N. N.«.<br />
In dieser Verbindung spielt die Nennung des Namens<br />
des Neugeborenen offenbar keine Rolle.<br />
Früher wurden Madchen im Alter von zwei bis drei<br />
Jahren die Ohrlappchen durchbohrt. Von dieser Sitte<br />
ist man jetzt abgekommen.<br />
Das durchschnittliche Heiratsalter der Knaben ist<br />
achtzehn bis zwanzig, das der Madchen sechzehn bis<br />
siebzehn Jahre. Früher wurden auch Kinderheiraten<br />
geschlossen, die jedoch von der Regierung verboten<br />
worden sind und heute nicht mehr vorkommen.<br />
Die Wahl der Braut erfolgt duren die Eltem<br />
des Jünglings. Da der Heiratsantrag nach bestimmten<br />
Vorschriften, die von altersher gebrauehlich sind,<br />
erfolgen muB, übernimmt diese Aufgabe meistens<br />
ein Heiratsvermittler. Die dabei erforderlichen<br />
Schritte sind ausführlich in der Erzahlung »Das Madchen,<br />
das nicht heiraten wollte« beschrieben. Der<br />
Heiratsvertrag wird nach mohammedanischem Ritus<br />
geschlossen.<br />
Man kennt auf Simalur vier Arten der Eheschlie-<br />
Bung, namlich: die Adat barat, die Adat Melaju te'<br />
olul (das heiBt die malaiische Sitte vom Festland), die<br />
Adat bano (das heiBt die Landessitte) und die Adat<br />
te' olul. (Adat ist ein Lehnwort aus dem Arabischen,<br />
das Sitte, Brauch bedeutet.)<br />
Bei der Adat barat, das heiBt der Sitte aus dem Westen,<br />
betragt der Brautpreis einundvierzig Gulden<br />
(der früheren niederlandisch-indischen Wahrung).<br />
Der Mann bleibt im Hause seiner Frau beziehungsweise<br />
von deren Eltern. Die Kinder aus einer solchen<br />
Ehe gehören der Sippe des Vaters an. Der Mann ist<br />
verpflichtet, für seine Schwiegereltern zu arbeiten<br />
und diese zu unterhalten.<br />
Ehen nach der Adat Melaju te' olul werden fast ausnahmslos<br />
nur von eingewanderten Fremdlingen geschlossen.<br />
Der Brautpreis wird von den Eltern der<br />
Braut bezahlt, und samtliche Festlichkeiten finden in<br />
deren Hause statt. Der Mann wohnt im Hause seiner<br />
Schwiegereltern und muB diese unterhalten. Die Kin-<br />
10
der aus einer derartigen Ehe gehören solange der<br />
Muttersippe an, bis der Brautpreis von dem Manne<br />
oder seinen Verwandten zurückerstattet ist.<br />
Bei Ehen gemaB der Adat bano betragt der Brautpreis<br />
vierzehn bis einundzwanzig Gulden. Der Mann<br />
muB ein, selten zwei Jahre lang für seine Schwiegereltern<br />
arbeiten. Die aus einer solchen Ehe herv<strong>org</strong>ehenden<br />
Kinder gehören der Sippe des Vaters an.<br />
Bei Ehen, die gemaB der Adat te' olul geschlossen<br />
sind, folgen die Kinder der Sippe der Mutter. Duren<br />
Schuldablösung, das heiBt durch nachtragliche Zahlung<br />
des Brautpreises, können diese in die Vatersippe<br />
übergehen.<br />
Die Bewohner von Simalur sollen nach Möglichkeit<br />
auBerhalb ihrer eigenen Sippe heiraten (Sippenexogamie).<br />
Verboten sind Ehen zwischen Geschwistern,<br />
zwischen Eltern und Kindern, zwischen Neffen und<br />
Nichten, sowie deren Onkeln und Tanten.<br />
GemaB mohammedanischem Gesetz haben die Überlebenden<br />
dem Toten gegenüber folgende vier Pflichten<br />
zu erfüllen: das Waschen des Leichnams, das<br />
Einhüllen in Leichentücher, religiöse Zeremonien für<br />
dessen Wohl und das Begrabnis. Neben diesen rein<br />
mohammedanischen Verpflichtungen wird noch eine<br />
Anzahl von Zeremonien und Handlungen vollführt,<br />
die aus vor-islamitischer Zeit stammen. — Der Körper<br />
verstorbener Manner wird von Mannern, der<br />
verstorbener Frauen von Prauen gewaschen. Dabei<br />
legt man den Körper auf die ausgestreckten Beine<br />
der Verwandten, die einander an jeder Seite des<br />
Leichnams gegenübersitzen. Dann wird der Leichnam<br />
in weiBe Tücher eingehüllt, nachdem man alle<br />
Körperöffnungen mit Watte geschlossen hat. Die Leichentücher<br />
werden mit Bandern aus dem gleichen<br />
Stoff zusammengehalten. Nachdem der Verstorbene<br />
auf eine Bahre gelegt ist, tragt man ihn zum Friedhof.<br />
Dabei gehen die Trager erst zwei bis drei<br />
Schritte auf den Ausgang des Grundstücks zu, dann<br />
wieder dieselbe Anzahl Schritte zurück und dann<br />
erst endgültig fort. So will man die Seele des Verstorbenen<br />
irreführen und ihr die Rückkehr ins Sterbe-<br />
11
haus erschweren. Als Nahrung oder als Schutz der<br />
Seele kappt einer der Zurückgebliebenen eine Bananenstaude<br />
beim Sterbehaus und entfernt eine<br />
Blattreihe aus dem Dach. Am Grab spricht ein Moscheebeamter<br />
ein kurzes Gebet, und dann legt man<br />
den Toten in die Grabnisehe. Nachdem das Grab geschlossen<br />
ist, kehrt die Trauergesellschaft ins Sterbehaus<br />
zurück, um dort den Leichenschmaus abzuhalten.<br />
Am dritten, fünften, siebenten, vierzehnten,<br />
vierzigsten und hundertsten Tage nach dem Tode<br />
halt man im Hause kleine Gedachtnisfeiern zu Ehren<br />
des Verstorbenen ab. Es ist Brauch, am siebenten<br />
Tage die Steine am Kopf- und FuCende des Grabes<br />
zu setzen. — Früher pfiegten Frauen bei Todesfallen<br />
Klagelieder anzustimmen, die jedoch von den mohammedanischen<br />
Beamten verboten wurden, und die<br />
man jetzt nur noch sehr selten hort. In alter Zeit<br />
gab man verstorbenen Frauen, die kleine Kinder<br />
hinterlieCen, BananenschöBlinge und im Wachstum<br />
begriffene Kokosnüsse als Grabbeigabe mit. Diese<br />
sollten die hinterbliebenen Kinder versinnbildlichen<br />
und verhindern, daB die Verstorbene diese zu sich<br />
holte. Eine alte Frau legte diese Beigaben ins Grab<br />
mit den Worten: »Such dein Kind nicht, denn es ist<br />
bereits hier! Sei ruhig und geh nicht um!«<br />
Der Glaube an Damonen ist auf Simalur und im<br />
übrigen Archipel noch sehr weit verbreitet. So führt<br />
man Krankheiten aller Art nicht auf natürliche Ur-.<br />
sachen, sondern auf den Einflufi solcher Damonen<br />
zurück. Diese pflegen sich überall aufzuhalten. Um<br />
sich vor innen zu schützen, aber auch um Glück und<br />
Reichtum zu erlangen, gebraucht man Amulette verschiedenster<br />
Art. So reiht man durchbohrte Krokodilzahne<br />
an einer Schnur auf und hangt sie kleinen<br />
Kindern zur Abwehr des schadlichen Einflusses der<br />
Seedamonen und als Schutz gegen die Wirkungen<br />
des Sonnenregens um den Hals. Manche Moscheebeamte<br />
schreiben wahrend einer Mondflnsternis bestimmte<br />
arabische Buchstaben auf ein Stück Papier,<br />
das dann in weiBen Stoff eingewickelt und von Kindern<br />
getragen wird, um böse Damonen abzuwehren.<br />
12
Zahlreich sind auch die symbolisehen Handlungen<br />
bei der Reis-Aussaat und -Ernte. Bei der Aussaat<br />
der Reiskörner auf die Zuchtbeete besprengt ein Moscheebeamter<br />
die Saatkörner mit Zitronenwasser,<br />
und dann laBt er das Blut eines geschlachteten<br />
Huhns darüber tröpfeln. Dabei handelt es sich vermutlich<br />
um einen alten Regenzauber. Dann erst darf<br />
die Aussaat erf olgen. Beim Verpflanzen der Setzlinge<br />
legt die Frau des Reisfeldbesitzers neben die ersten<br />
drei Setzlinge einen Betelbissen für deren Seele und<br />
ruft dabei vier Damonen an. Ein Vergleich lehrt, daB<br />
diese den Geistern entsprechen, die in den Gajo-<br />
Landen in Nord-Sumatra die »vier Elemente« genannt<br />
werden.<br />
Da in den Gajo-Landen bei der gleichen Gelegenheit<br />
Opfer von weiBem, schwarzem, rotem und gelbem<br />
geschalten Reis an den vier Ecken des Saatbeetes<br />
dargebracht werden, ist offensichtlich, daB diese<br />
Handlung indischen Ursprungs ist. Die vier Geister<br />
oder Damonen sind die vier Lokapalas, »Welthüter«,<br />
des buddhistischen Weltsystems. Von ihnen bewacht<br />
jeder je einen Weltquadranten, und sie halten sich im<br />
untersten Paradies auf. Von diesen vier Elementen<br />
ist der Wind dem Osten, das Feuer dem Süden, die<br />
Erde dem Westen und das Wasser dem Norden zugeteilt.<br />
Von den Planeten beherrscht Jupiter (blau)<br />
den Osten, Mars (rot) den Süden, Venus (weiBgrau)<br />
den Westen. Saturn (schwarz) den Norden und Merkur<br />
(gelb) die Mitte. — Wenn die ersten Körner an<br />
den Reispflanzen sichtbar werden, schlachtet man<br />
auf dem Reisfeld ein Huhn und betet dort.<br />
Die nachsten Zeremonien linden bei der Ernte statt.<br />
Vor ihrem Beginn bindet eine alte Frau an einer<br />
Stelle des Reisfeldes drei der höchsten Halme mit<br />
einer Schmarotzerpflanze zusammen, schneidet sie<br />
nach einem kurzen Gebet mit dem in der Hand verb<strong>org</strong>enen<br />
Reismesser ab und tragt sie in einem wei-<br />
Ben Tuch ins Haus des Reisfeldbesitzers. Dort bringt<br />
man der »Reisseele« ein Opfer. Durch diese Zeremonie<br />
will man die Reisseele auf die bald folgende<br />
Ernte vorbereiten; denn man schreibt auch den Reispflanzen<br />
eine Seele zu. Die Ernte erfolgt mittels klei-<br />
13
ner Reismesser, die in der Hand der Schnitterinnen<br />
verb<strong>org</strong>en sind, um die Reisseelen nicht zu erschrekken.<br />
Wenn sich die Leute am Abend nach verrichteter<br />
Feldarbeit, oder nachdem sie Rotan gesammelt haben,<br />
zusammenflnden, pflegen sie sich den neuesten Dorfklatsch<br />
zu erzahlen. Aber sehr gern hört man sich<br />
auch Erzahlungen aus vergangenen Zeiten an, die<br />
tnündlich von Generation zu Generation überliefert<br />
werden. Denn die Bewohner der Insel Simalur kennen<br />
keine eigene Schrift und haben auch nie eine<br />
solche besessen. So ist der Phantasie des Erzahlers<br />
keine Grenze gesetzt.<br />
Rein inhaltlich könnte man diese Erzahlungen als<br />
»Strandliteratur« bezeichnen, wobei der Ausdruck<br />
»Literatur« im weitesten Sinne zu fassen ist. Damit<br />
soll gesagt werden, daB es sich bei den Erzahlungen<br />
groBenteils um Entlehnungen von benachbarten Völkerschaften<br />
auf Sumatra handelt, da die Berührung<br />
mit fremden Vólkern sich hauptsachlich auf die Küstengebiete<br />
beschrankt. Bei den Motiven handelt es<br />
sich namlich zum groBen Teil um Entlehnungen aus<br />
den Atjeh-, Batak- und den malaiischen Landen auf<br />
Sumatra, obwohl auch die eine oder andere Erzahlung<br />
bodenstandiges Gut ist. Der Rahmen jedoch, in<br />
den diese in der Mehrzahl entlehnten Motive verarbeitet<br />
sind, ist auf eigene Art variiert und so dem<br />
gegebenen Milieu angepaBt. Denn Motive sind im<br />
allgemeinen auBerordentlich stabil, wahrend die<br />
Koppelungen mehr oder weniger labil sind. Motivkoppelungen<br />
können sich jederzeit auflösen und auf<br />
andere Art neu zusammenschlieBen. Soweit sich hier<br />
vorkommende Motive auf indische Quellen zurückführen<br />
lassen, sind sie nicht auf unmittelbare, sondern<br />
auf mittelbare Entlehnung über benachbarte<br />
Völkerschaften von Sumatra zu erklaren. Über die<br />
Herkunft und Verbreitung einzelner Motive geben<br />
die Anmerkungen Auskunft.<br />
Wie in der Dichtung anderer Völkerschaften von<br />
Insulinde, so überwiegen auch hier folgende allgemeine<br />
Motive: Natur (Tier- und Pflanzenwelt),<br />
menschliche Gesellschaft (Liebe, HaB, Trauer) und<br />
i4
Damonenfurcht. In den Erzahlungen (und in den<br />
Klageliedern) trifft man Gedanken und Gefühle an,<br />
die zum Innersten des Allmenschlichen gehören. Das<br />
Schwergewicht liegt hier, abgesehen von dichterischen<br />
AuBerungen des Schmerzes und der Verzweiflung,<br />
vor allem in derWiedergabe allgemein-menschlicher<br />
Beziehungen. Daher erklart sich auch die Tatsache,<br />
daB der geistige Urheber einer Erzahlung<br />
unbekannt ist, und daB meistens kein genauer Ort<br />
angegeben ist, an dem sich die Handlung abspielt.<br />
Sie ist in diesem Sinne raum- und zeitlos.<br />
Die Personen werden in den Erzahlungen fast nie<br />
mit ihrem Namen angeredet oder erwahnt, sondern<br />
meistens mit Bruder, Schwester, Schwagerin, Schwiegertochter<br />
usw. Ebenso wird der Name eines Verstorbenen<br />
vermieden. Die Namensmeidung beruht<br />
auf der Anschauung, daB der Name, ebenso wie<br />
Haare, Nagel usw., ein wesentlicher Bestandteil der<br />
betreffenden Person ist. Bei Lebenden fürchtet man,<br />
daB die Nennung ihres Namens die Aufmerksamkeit<br />
der Damonen erregen, oder daB der Name für Zwecke<br />
der schwarzen Magie verwendet werden könnte. Bei<br />
Toten fürchtet man, daB bei der Nennung des Namens<br />
ihre Seele zurüekkehren würde, um den Lebenden<br />
Schaden zuzufügen.<br />
Die Erzahlungen lassen sich ihrem Inhalt nach einteilen<br />
in:<br />
Geschichtliche Erzahlungen und Legenden.<br />
In ihnen laBt man der Phantasie nur allzugern<br />
die Zügel schieBen, und man bringt so Ereignisse<br />
und Personen in Zusammenhang, die chronologisch<br />
weit auseinander liegen.<br />
Damonengeschichten. In ihnen kommt zum<br />
Ausdruck, daB die Furcht vor diesen übernatürlichen<br />
Wesen die treibende Kraft, aber auch die hemmende<br />
Schwache dieser Völkerschaften ist. Daher sind auch<br />
zahlreiche Sitten und Anschauungen auf die Furcht<br />
vor ihnen zurückzuführen. Wegen der engen Zusammengehörigkeit<br />
von Individuum und Gemeinschaft<br />
darf das «magische Gleichgewicht« des Normalzustandes<br />
nicht duren Taten einer Einzelperson<br />
15
gestort werden, da dann das Allgemeinwohl aufs<br />
Spiel gesetzt würde. Eine Missetat wurde den Zorn<br />
der Damonen erregen, der sich auf die gesamte Gemeinschaft<br />
ausdehnen würde. Aus diesem Grunde<br />
wagt man nicht, von alten Sitten und Brauchen abzuweichen,<br />
obwohl diese groBenteils im Widerspruch<br />
zum Islam stehen. Andererseits ist daher verstandlich,<br />
daB sich die Erzahlungen in weitem Umfange<br />
mit diesen Damonen befassen. Am haufigsten<br />
beschaftigt man sich mit ihren Taten, da man deren<br />
Auswirkungen am eigenen Leibe zu spüren vermeint.<br />
Seltener befaBt man sich in Mythen mit ihrer Entstehung.<br />
Da jede Völkerschaft ihre eigenen Damonen<br />
besitzt — denn die Vorstellung von ihnen ist überall<br />
anzutreffen, aber ihre Namen variieren bei den einzelnen<br />
Völkerschaften — ist es deutlich, daB sich<br />
keine Parallelen für diese Erzahlungen nachweisen<br />
lassen.<br />
Verwandlungs- und andere Marchen,<br />
das sind Erzahlungen von Menschen, die zu Tieren<br />
oder Pnanzen wurden. Bei ihren animistischen Vorstellungen,<br />
in denen die Grenze zwischen Mensch,<br />
Tier und Pflanze verwischt ist, da sie alle beseelt<br />
sind, ist es für die Indonesiër ganz natürlich, daB<br />
Menschen durch ein Gelübde oder ein Gebet zu den<br />
Vorfahren zu Tieren oder Pnanzen werden können.<br />
Es handelt sich in gewissem Sinne um explanatorische<br />
Erzahlungen, die erklaren wollen, wie ein<br />
Tier oder eine Pflanze entstanden, oder wie sie zu<br />
ihrem Aussehen oder zu einer bestimmten Eigenschaft<br />
gelangt sind. Bei den Erzahlungen von Menschen<br />
und Tieren ist, ebenso wie in den Fabeln, die<br />
Grenze zwischen Mensch und Tier oft nahezu aufgehoben.<br />
Manche wollen jedoch die Überlegenheit<br />
des Menschen über Tiere zum Ausdruck bringen.<br />
Schwanke und Volkserzahlungen. In<br />
ihnen spiegein sich oft die Sitten und Anschauungen<br />
besonders gut wider.<br />
Fabeln. Sie sind im ganzen Archipel und anderswo<br />
weit verbreitet; denn Tiere und ihre charakteristischen<br />
Eigenschaften sind einem jeden vertraut und<br />
16
daher besonders gut geeignet, im Mittelpunkt von Erzahlungen<br />
zu stehen. Das dichterische Moment ergibt<br />
sich daraus, daB man nicht mehr darauf achtet, ob<br />
man es mit Naturdingen und Tieren oder mit Menschen<br />
zu tun hat. Daher setzt man als selbstverstandlich<br />
voraus, daB Tiere ebenso wie Menschen<br />
sprechen und handeln können und menschliche<br />
Eigenschaften besitzen. Die Grenze zwischen Mensch<br />
und Tier oder Pflanze ist verwischt. In den Simalur-<br />
Fabeln spielt keine einzelne Tiergattung eine hervorragende<br />
Rolle, im Gegensatz zu den Fabeln der Javanen.<br />
Malaien, Atjeher usw., denen man den Namen<br />
»Zwerghirsch-Erzahlungen« verleihen kann, weil in<br />
ihnen der Zwerghirsch Haupttrager der Handlung<br />
ist. Die Tatsache, daB es auf Simalur kein charakteristisches<br />
Fabeltier gibt, ist vermutlich auf die heterogene<br />
Herkunft der Motive und darauf zurückzuführen,<br />
daB auf der Insel auBer Büffeln, Ziegen,<br />
Hunden, Wildschweinen und Wildkatzen keine grö-<br />
Beren Saugetiere vorkommen. In den Fabeln pflegt<br />
eines der Tiere stets durch List und Verschlagenheit<br />
zu siegen; Hochmut wird bestraft.<br />
Mein Gewahrsmann war Datu' Tjut Mera, der zur<br />
Zeit der Aufnahme dieser Erzahlungen etwa fünfzig<br />
Jahre alt war. (Früher, das heiBt vor der Islamisierung,<br />
und zum Teil auch heute noch in ab gelegenen<br />
Gebieten, war es unmöglich, das genaue Alter anzugeben.<br />
Man erinnerte sich des Geburtstages nur<br />
ungefahr an Hand besonderer Naturereignisse, wie<br />
etwa des Ausbruchs des Krakatau im Jahre 1883.)<br />
Er war einer von den wenigen Bewohnern der Insel<br />
Simalur, die noch mit allem vertraut waren, was sich<br />
ihre Vorfahren in abendlichen Stunden oder bei<br />
festlichen Gelegenheiten erzahlten. Ich glaube, auch<br />
in seinem Sinne zu handeln, wenn ich diese Erzahlungen<br />
einem weiteren Leserkreise zuganglich mache<br />
und sie so der Vergessenheit entreiBe.<br />
An dem Stil der Erzahlungen habe ich möglichst wenig<br />
geandert. Gelegentlich habe ich allerdings hauflge<br />
Wiederholungen zusammengefaBt und bisweilen<br />
direkte als indirekte Rede wiedergegeben, um den<br />
17
Stil etwas lebendiger und weniger monoton zu gestalten.<br />
Die groBe Vorliebe für die direkte Rede im<br />
Originaltext wirkt auf die Zuhörer von der Insel Simalur<br />
lebendig, für den deutschen Leser jedoch ermüdend.<br />
Es ist charakteristisch, daB man die kleinsten<br />
Einzelheiten ausführlich berichtet, dafür jedoch<br />
an anderen Stellen Gedankensprünge macht, weil man<br />
einzelne Tatsachen beim Hörer als bekannt voraussetzt.<br />
SchlieBlich habe ich vereinzelt Simalur-Redewendungen<br />
und Bilder, die dem Europaer nichts<br />
sagen oder als zu grob abstoBen würden, durch Ausdrücke<br />
ersetzt, die uns gelaufig sind.<br />
Zur Aussprache der wenigen Simalur-Ausdrücke, die<br />
in den Erzahlungen und in den Anmerkungen vorkommen,<br />
ist zu sagen, daB sie im allgemeinen wie<br />
im Deutschen zu sprechen sind. Allerdings wird e<br />
in einigen Wörtern kurz gesprochen wie das e in<br />
der zweiten Silbe von »geben«, so zum Beispiel in<br />
dem Eigennamen si Melu. Die Bezeichnung dieses<br />
»Murmelvokals« e ist hier aus technischen Gründen<br />
nicht möglich. Mit ' am Ende eines Wortes ist der<br />
sogenannte »feste Vokalabsatz« bezeichnet, bei dem<br />
ein Knacklaut hörbar ist, wie wir ihn nur am vokalischen<br />
Wortanfang, das heiBt beim festen Vokaleinsatz,<br />
kennen. In Wörtern aus der Atjeh-Sprache ist<br />
eu wie unser offenes ö in »nörgeln«, aber gedehnter,<br />
zu sprechen.<br />
18
GESCHICHTLICHE<br />
ERZAHLUNGEN UND LEGENDEN<br />
auf<br />
Die Lambore'<br />
der Insel Simalur<br />
s waren einmal<br />
fünf Lambore'-<br />
Brüder. Der alteste<br />
war Lasenga',<br />
der zweitalteste<br />
hie8 Lafu' Lafaleta,<br />
der dritte<br />
war Sumare Fintol,<br />
dann folgte<br />
Lafoe' und als<br />
letzter Lafung<br />
Lasali. Lasenga's Reich erstreckte sich von Lasengalu<br />
bis Lamali'; das Reich von Lafoe' war<br />
Olul Lade, und Sumare Fintols Gebiet reichte<br />
vom Berg Sibao bis nach dem Anfang von Tuafing.<br />
Lafaletas Beschaftigung bestand darin, inmitten<br />
des Meeres zu schmieden. Lafung Lasalis<br />
Reich war Simalur.<br />
Da sprach Lasenga': »Teile diese Insel auf, Lafoe'<br />
!«<br />
Und als Lasenga' schlief, ging Lafoe' bis zur Insel.<br />
Er teilte sie jedoch nicht auf, sondern er<br />
grub sie von der einen Seite bis nach der anderen<br />
auf, so daB die Insel in zwei Teile getrennt<br />
wurde. Dann sagte er: »Jetzt habe ich zwischen<br />
19
diesen Insein einen sehr schonen Fischplatz.«<br />
Darauf ging er wieder an Land und grub die<br />
Insel noch weiter auf. Als der Graben tief genug<br />
war, sprach er: »Ich grabe dieses Eiland noch<br />
weiter auf, damit drei Insein entstehen!«<br />
Als Lasenga' erwachte und sah, daB die Insel in<br />
zwei Stücke geteilt war, sagte er: »Lafoe' sei<br />
verflucht! Er hat meine Insel zerrissen. Ich habe<br />
ihm doch gesagt, daB er Land für meinen Garten<br />
abteilen solle.« Als er dann nach Olul Lade<br />
blickte und sah, wie Lafoe' dabei war, die Insel<br />
nach der anderen Seite hin abzugraben, warf er<br />
eine Lanze und einen Speer mit Widerhaken<br />
nach ihm. Diese fielen in Lafoe's Nahe nieder,<br />
ein Klafter noch, und er ware von ihnen getroffen<br />
worden.<br />
Als Lafoe' sich umdrehte und die Speere sah,<br />
warf er sie alle beide nach Lasenga' zurück.<br />
Aber sie vermochten nicht, ihn zu erreichen; sie<br />
flogen nur bis Nafon in der Nahe der Insel Sefelag<br />
(diese liegt gegenüber dem Salul-FluB). Die<br />
Insel war in der Mitte sumpfig, und in den<br />
Sümpfen gab es viele awa-Fische 1 .<br />
Darauf floh Lafoe' nach Matan Kahad, das deshalb<br />
jetzt Olul Lafoe' heiBt. Alsdann sprang er<br />
nach dem Alus-Alus-FluB, der aus diesem<br />
Grunde heute der «Springensort von Lafoe'« genannt<br />
wird. Dort angelangt, sprach er: »Ich<br />
werde Lasenga' hier erwarten. Warum hat er<br />
eigentlich mit den Speeren nach mir geworfen?«<br />
Dann richtete er sich einen Platz her, wo er<br />
Fechtübungen 2<br />
abhielt. Jeden Tag übte er dort<br />
allein. Der Platz heiBt jetzt »dröhnende Ebene«,<br />
weil Lafoe' dort focht.<br />
Und dort gab es einen Tümpel, in dem sich ein<br />
Krokodil befand. Am Ufer des Gewassers stand<br />
ein goldener Krug, den bewachte das Krokodil<br />
20
Tag für Tag. Niemand durfte dorthin, weil er<br />
sonst krank und von Damonen besessen wurde.<br />
Als Lasenga' jedoch nicht kam, um Lafoe' zu<br />
verfolgen, sprach dieser: «Jetzt bin ich hier der<br />
GröBte!« Und zu den Leuten in jenem Lande<br />
sagte er: »La8t uns den Leuten jetzt Namen<br />
geben, damit es hier geordnet zugeht!« Den<br />
einen fragte er: »Was ist dein Beruf?«<br />
»Ich schmiede!«<br />
«Dann solist du und werden deine Nachkommen<br />
Schmied (abon) heiBen!« Zu einem anderen<br />
sagte er: »Was befindet sich in der Nahe deines<br />
Hauses?«<br />
»Bei mir steht ein inang bau'-Baum 3 .«<br />
»Dann sei dein Name Da'inang 4 !«<br />
Ein drifter Mann berichtete ihm: »In dem Brunnen<br />
bei meinem Hause befindet sich ein groBer<br />
bangeo-Fisch 5 !«<br />
«Dann sei dein Name Bangaon!«<br />
Dann kam wieder ein Mann: »Bei meinem Hause<br />
steht ein bichao-Baum f '!«<br />
»Dann solist du Bichao heiBen!« Einen anderen<br />
fragte Lafoe': »Was weiBt du als Namen für<br />
dich?«<br />
Er erwiderte: »Meine Wohnung liegt inmitten<br />
der Hauser!«<br />
»Dann sei dein Name Da'awa' Luma 7 !«<br />
Als ihm noch ein anderer sagte, »Meine Wohnung<br />
liegt am Ende der Hauser«, sprach er:<br />
»Dein Name sei Da'awa!«<br />
»Ich besitze ein Boot (bilu'), das ich auf dem<br />
Berge angefertigt habe!«<br />
»Dann sei dein Name Lanteng (,Boot')!«<br />
Nachdem er alle Bewohner des Landes befragt<br />
hatte, sagte Lafoe': »Diese Namen sind nötig,<br />
damit wir unsere Kinder in diesem Lande mit-<br />
2i
einander verheiraten können. Man nennt das<br />
Sippenverband 8 .«<br />
lm Laufe der Zeit suchte Lafoe' dann zwei andere<br />
Insein auf. Die eine beherbergte sehr viele<br />
Wildschweine. Dort gab es auch einen Fürsten.<br />
Als Lafoe' nach seinem Namen fragte, erwiderte<br />
man ihm: »Er heifit Ito Tuang.«<br />
Dieser sprach zu Lafoe': »Du kannst nicht hierbleiben,<br />
Fürst!«<br />
Deshalb begab sich Lafoe' nach einer anderen<br />
Insel. Dabei sprang er von einem Eiland zum<br />
andern und kam schlieBlich auf der Insel Nias 0<br />
an. Als er sah, daB sie groB war, dachte er: ,Es<br />
ist gut, wenn ich mich lange in diesem Lande<br />
auf halte; denn es ist sehr groB!' Indessen fürchtete<br />
man den groBen Lafoe'.<br />
Darauf sprach ein Mann von jener Insel: »Du<br />
bist sehr groB, o Fremdling! Kannst du dich<br />
auch klein machen?«<br />
Lafoe' antwortete: »Im Umsehen kann ich mich<br />
klein oder groB machen. Hast du gesehen, daB<br />
ich ohne weiteres auf dem Meere wandle? Wenn<br />
du es sehen willst, dann komm her!« Und er<br />
nahm eine leere Flasche und kroch in sie hinein.<br />
Da kam der Mann, mit dem er sich unterhalten<br />
hatte, und verschloB die Flasche, so daB Lafoe'<br />
nicht mehr heraus konnte. Deshalb befindet er<br />
sich noch jetzt in der Flasche.<br />
Die Herkunft der Bewohner<br />
von Sichule und Salang<br />
£ïnes Tages bröckelte eine bevölkerte Landzunge<br />
von der Insel Nias ab. Man erzahlt sich,<br />
daB sie verflucht wurde und deshalb mit allen<br />
Leuten abtrieb. Als die Menschen nach einiger<br />
22
Zeit hierher nach der Insel Tepa 1<br />
gelangten,<br />
sahen sie, daB das Land sehr schön war. Nachdem<br />
sie bei Matan Kahad angekommen waren,<br />
sprach der Fürst auf der abgetriebenen Insel:<br />
»Ich halte es für ratsam, in die Ama Selatu-<br />
Bucht zu gehen.« Dort gingen sie an Land-<br />
Da sprach der Fürst: »Nun laBt uns Erde vom<br />
Festland 2<br />
und von dieser Insel nehmen, und laBt<br />
uns wagen, welche von beiden schwerer und<br />
welche leichter ist!«<br />
Als sie sahen, daB die Erde vom Festland um<br />
einen Kupang 3<br />
schwerer war, da sagte der Fürst<br />
von jener Insel: »Hier können wir nicht bleiben;<br />
denn die Erde vom Festland ist schwerer 4 .«<br />
Und die Alten stimmten ihm zu: »Wir werden<br />
uns nicht wohlfühlen, wenn wir hier bleiben!«<br />
Deshalb fuhren sie mit ihrer Insel weiter.<br />
Als dann Leute aus der Landschaft Tepa kamen,<br />
sagten sie: »Dieser Ort soll jetzt ,Strand des<br />
einen Kupang' heiBen.«<br />
Nachdem ihre Insel am Ende dieses Eilandes angekommen<br />
war, erblickten sie eine Bucht. Da<br />
diese sehr schön war, zogen sie ihre Insel zwischen<br />
die Insel und das Festland 5 . Als sie beinahe<br />
dort waren, zogen sie ihre Insel mit einem groBen<br />
Tau nach einem Berge, in dessen Innern sich das<br />
Tau noch jetzt befindet. Und dem angetriebenen<br />
Lande gaben sie den Namen »Kap Salang«. Nach<br />
der anderen Seite hin liegt die Landschaft Sichule.<br />
So hieB namlich die Insel von den Leuten,<br />
die spater gekommen sind 6 .<br />
Wie Ortsnamen entstanden sind<br />
O&as Dorf der Schweinebesitzer 1 bef and sich<br />
bei Olul Lade auf der Insel Simalur. Eines Tages<br />
stampfte dort ein Mann in seinem Hause mit<br />
23
einem Handstampfer Reis. Da kam ein Schwein,<br />
um das untere Ende des Reisstampfers abzulecken.<br />
Dabei nel der Stampfer um und traf das<br />
Schwein, so daB es starb.<br />
Abends suchte man das Schwein, weil es nicht<br />
da war. Als sie sich in der Nachbarschaft auf<br />
die Suche nach ihm machten, sahen sie, daB es<br />
gestorben war, weil der Stampfer es getroffen<br />
hatte. Da sprach der Eigentümer des Schweins:<br />
»Bezahle mir mein Schwein, denn dein Stampfer<br />
hat es getroffen!«<br />
Darüber gerieten sie in Streit, denn der andere<br />
Mann erwiderte: «Wenn du dein Schwein immer<br />
frei laufen laBt, soll es nur sterben!«<br />
»Wenn du nicht zahlen willst, werde ich einen<br />
ProzeB gegen dich führen. LaB uns sogar Krieg<br />
führen; das nehme ich an, und wenn ich sterbe!«<br />
SchlieBlich bezahlte er das Schwein doch. »Diesmal<br />
bezahle ich es noch, aber in Zukunft gebe<br />
ich nichts mehr. Baue nur einen Stall für deine<br />
Schweine!«<br />
Deshalb nennen die Leute heutzutage jene Stelle<br />
Olul Alau (das heiBt »Stelle des Reisstampfers<br />
2 «).<br />
Wie die Bewohner der Insel<br />
Mohammedaner wurden<br />
t/lnfangs hieBen die Bewohner dieser Insel<br />
Lambore'. Sie waren zuerst keine Mohammedaner.<br />
Eines Tages kam ein Fürst mit seinen<br />
Leuten auf einem Schiff aus den malaiischen<br />
Landen in dieses Inselgebiet. Als sie hier ankamen,<br />
sahen sie, daB die Einwohner zahlreich,<br />
aber alle religionslos 1<br />
waren. Deshalb sprach<br />
24
der Fürst: «LaBt uns alle diese Leute nach dem<br />
Festland verkaufen!«<br />
Man ergrifï die Einwohner, fesselte sie, verlud<br />
sie auf ein Boot und verkaufte sie nach Atjeh<br />
und den malaiischen Landen. Fortgesetzt taten<br />
der Fürst und seine Leute so. Deshalb fiohen<br />
diejenigen, die sich nicht fangen lassen wollten,<br />
in den Urwald.<br />
Da sprach der Fürst: »LaBt uns die Leute tauschen,<br />
damit sie in ihre Siedlungen zurückkehren!«<br />
Der Fürst krahte dann genau so wie ein<br />
Hahn 2 . Als die geflüchteten Leute das horten,<br />
kehrten sie zurück. Sie wurden jedoch sofort<br />
gefangen. Dem Fürsten gaben sie den Namen<br />
»krahender Datu' 3 «, weil er eine Stimme wie<br />
die eines krahenden Hahnes besaB. Sie fingen<br />
und verkauften Manner und Frauen nach Atjeh<br />
und den malaiischen Landen 4 .<br />
Einst verkauften sie eine Frau nach Atjeh. Als<br />
sie dort ankam, kaufte sie der Fürst von Atjeh.<br />
Diese Frau, si Melu geheiBen, ging jeden Abend<br />
nach dem Meeresstrand und blickte weinend gen<br />
Westen.<br />
Da fragte sie einBefehlshaber 5 :»Worüber weinst<br />
du, Frau?«<br />
»Man hat mich von meiner Inselheimat dort im<br />
Westen hierher nach Atjeh verkauft. Meine<br />
Eltern sind dort geblieben. Ein Fürst hat mich<br />
hierher verkauft. Die Leute hieBen Datu' Bakuku'<br />
und Gemo'. Ihr Beruf ist es, Menschen zu<br />
verkaufen.«<br />
Darauf erstattete der Befehlshaber dem Fürsten<br />
von Atjeh Bericht: «Majestat, eine gekaufte Frau<br />
sagt, dort im Westen befinde sich ein Land, in<br />
dem es viele Leute gebe!«<br />
25
Der Fürst von Atjeh fragte die Frau: »Ist es<br />
wahr?«<br />
»Es ist wahr, Majestat, denn dort ist meine Heimat,<br />
und dort sind meine Eltern. Es gibt da<br />
sehr viele Menschen.«<br />
Der Fürst sprach weiter: »Was tun diese Leute?«<br />
»Nichts! Zu essen, Pflanzungen anzulegen und<br />
Reis zu pnanzen ist ihre Arbeit, sonst nichts!«<br />
»Verstehen die Leute, sich zu verbeugen und<br />
wieder aufzurichten 6 ?«<br />
»Vielleicht, ich verstehe nichts davon, Majestat!«<br />
Deshalb sprach der Fürst von Atjeh zu dem Befehlshaber:<br />
»Ahme betende Leute nach, damit<br />
die Frau weiB, ob ihre Landsleute Mohammedaner<br />
sind oder nicht!«<br />
Und der Befehlshaber stimmte die Gebetsweise<br />
an, dann richtete er sich auf und verneigte sich<br />
auf der Matte.<br />
»Gibt es dort Derartiges?« fragte der Fürst.<br />
»Nein, Majestat!«<br />
»Wenn es so ist«, waren dann die Worte des<br />
Fürsten, »ist die Insel noch nicht mohammedanisch,<br />
Befehlshaber!«<br />
Nun gab es in Atjeh einen Mann namens Tengku<br />
Adji 7 , der bereits zweimal aus Mekka zurückgekehrt<br />
war 8 . In dem Jahre gedachte er, nochmals<br />
dorthin zu gehen.<br />
Diesen rief nun der Fürst von Atjeh. »Tengku,<br />
geh jetzt nicht nach Mekka, sondern tue das<br />
spater! Es gibt namlich eine Insel, die nach den<br />
Worten dieser Frau noch nicht islamisiert ist.<br />
Gehst du nach Mekka, oder islamisierst du das<br />
Land? Was willst du?«<br />
26
Da erwiderte Hali Lulla 9 : »Es ist gut, Majestat!<br />
Ich werde jenes Land Eurem Befehl gemaB islamisieren!«<br />
Der Fürst fuhr fort: »Ich verheirate dich mit<br />
dieser Frau, die si Melu heiBt.« Nachdem er<br />
Hali Lulla und si Melu miteinander verheiratet<br />
hatte, sagte der Fürst: »Jetzt seid ihr verheiratet,<br />
und nun geht mit allen Untertanen, die es<br />
wünschen, und allen, die sich widersetzen, nach<br />
jener Insel! Bekehre dort die Eltern und Geschwister<br />
deiner Frau zum Islam! Gebt dem<br />
Lande nachher, wenn es islamisiert ist, den Namen<br />
,Land der si Melu'! Wir wollen den Namen<br />
deiner Gattin als Namen für das Land nehmen!«<br />
Dann segelten sie alle nach der Heimat der si<br />
Melu. Als sie hier eintrafen, waren si Melus<br />
Eltern und alle ihre Geschwister noch am Leben.<br />
Sie waren glücklich, als sie si Melu erblickten,<br />
aber sie waren angstlich, als sie die Atjeher<br />
sahen.<br />
Nach einiger Zeit sprach si Melu zu ihnen:<br />
»Liebe Eltern und liebe Geschwister! Ich bin<br />
mit einem groBen Tengku aus Atjeh verheiratet.<br />
Deshalb laBt uns jetzt alle Mohammedaner werden,<br />
und laBt uns das befolgen, was dieser Tengku<br />
sagt! Wenn wir seine Worte namlich nicht<br />
befolgen, kommt der Fürst von Atjeh und tötet<br />
uns alle.« Sie unterwiesen ihre Eltern im Islam.<br />
Und diese befolgten ihrer Tochter und Hali Lullas<br />
Worte. Weil sie befürchteten, daB der Fürst<br />
von Atjeh sie sonst toten würde, wurden viele<br />
Leute Mohammedaner.<br />
Aber die Leute, die den Islam nicht annehmen<br />
wollten, flohen in den Wald; denn sie sagten:<br />
»Die Atjeher sind unsere Feinde!«<br />
Da sprach Hali Lulla: »LaBt uns eine List anwenden!<br />
Wir wollen ausgedehnte Pflanzungen<br />
27
anlegen, damit die angstlichen Leute zurückkommen.<br />
Wenn sie dann von den Früchten der<br />
angelegten Pflanzungen essen, wollen wir ihnen<br />
auflauern und sie einen nach dem andern fangen!«<br />
Als die Pflanzungen gediehen, kamen die Leute,<br />
um die Früchte zu stehlen; und da wurden sie<br />
nacheinander gefangen.<br />
Da sagte der Befehlshaber Djantan Lawi': «Wenn<br />
ihr Mohammedaner werden wollt, gibt euch der<br />
Tengku zu essen; wenn ihr euch jedoch weigert,<br />
so wird er euch alle tötenk Darauf wurde groB<br />
und klein auf der Insel islamitisch.<br />
Eines Tages sprach Hali Lulla: «GemaB dem islamitischen<br />
Glauben und gemaB dem religiösen<br />
Gesetz, o Landesfürsten, dürfen eure Untertanen<br />
nicht verkauft werden. Denn wir sind alle<br />
Geschöpfe des Propheten, und es ist eine Sünde,<br />
diese zu verkaufen', sagt der Qur'an. Das gebe<br />
ich euch, Fürsten dieses Landes, zur Kenntnis!«<br />
Da erwiderten die Fürsten von Simalur und von<br />
Tepa: «Es ist gut, wir verkaufen unsere Untertanen<br />
nicht mehr, wenn sie das religiöse Gesetz<br />
des Islams und alle Worte des Qur'ans befolgen<br />
wollen.«<br />
Darauf sprach Hali Lulla zu den Bewohnern des<br />
Landes: «Lafit uns den Fürsten dieses Landes<br />
für jedes Ehepaar einen Scheffel ungestampften<br />
Reis als Abgabe 10<br />
spenden!«<br />
Und alle Leute erklarten sich damit einverstanden.<br />
Im Laufe der Zeit gaben sie dem Fürsten<br />
von Tepa eine kleine Insel als Ersatz für die<br />
Reisabgabe. Seitdem herrschte Zufriedenheit im<br />
Lande.<br />
Nach einiger Zeit versammelten sich der Fürst<br />
von Tepa, der Fürst von Simalur, Hali Lulla und<br />
28
Bekudo Fatu, Hali Lullas Schüler, und sie sagten:<br />
»Jetzt ist dieses Land islamitisch. LaBt uns<br />
nun dem Fürsten von Atjeh Huldigungsöl darbringen<br />
11 !» Jedes Jahr überbrachten die Angesehenen<br />
des Landes dem Fürsten von Atjeh das<br />
Huldigungsöl.<br />
Spater kamen die Fürsten und die Angesehenen<br />
des Landes zusammen und beschlossen: »Wir<br />
wollen in diesem Lande eine Moschee errichten,<br />
damit der islamitische Glaube stark sei!« Deshalb<br />
beauftragten sie Leute, von dem Fürsten<br />
von Atjeh acht Sockel für die Moschee zu erbitten.<br />
Die Gesandten waren sehr angesehene Manner.<br />
Der eine war Madjo Labi 12 , ein anderer war<br />
fürstlicher Adjutant. noch ein anderer fürstlicher<br />
Fechtmeister und wieder ein anderer fürstliches<br />
Dorfhaupt. Sie führen mit Booten und Untertanen<br />
sowie allen Schutz- und Trutzwafren nach<br />
Atjeh.<br />
Nachdem sie dort angelangt waren, suchten sie<br />
die fürstlichen Hauptleute auf und sprachen zu<br />
ihnen: »In folgender Absicht sind wir hergekommen,<br />
erlauchte Herren: wir mochten den Sultan<br />
von Atjeh um acht Sockel für eine Moschee in<br />
unserem Lande bitten. Überbringt dem Fürsten<br />
unsere Botschaft!«<br />
Die Hauptleute erstatteten dem Fürsten von<br />
Atjeh Bericht über die Absicht der Leute von<br />
der Insel Simalur. »Es ist gut«, erwiderte da der<br />
Fürst von Atjeh, »warum sollen wir Gottes und<br />
des Propheten Glauben nicht ausbreiten und<br />
vergröBern? Fragt die Manner jedoch erst, was<br />
sie können, was sie zu leisten vermogen! Denn<br />
wenn sie nichts können, dürfen sie die acht<br />
Sockel nicht mitnehmen 13 .«<br />
29
Auf die Frage der atjehischen Hauptleute, »Was<br />
vermagst du zu leisten?« antwortete Madjo Labi:<br />
»Man kann mich in die Mündung einer groBen<br />
Kanone stecken. Dann feuere man die Kanone<br />
ab, so daB die Kugel mich forttragt!«<br />
Als man das tat, nel er an irgendeinem Ort nieder.<br />
Dann kehrte er mit der Kanonenkugel zurück;<br />
denn er war nicht gestorben.<br />
»Es ist gut«, sagten da die Hauptleute. Dann<br />
fragten sie den fürstlichen Adjutanten: »Was<br />
kannst du vollbringen?«<br />
Da erwiderte er: »Ich breche groBe Baume mit<br />
den bloBen Handen auseinanderl«.<br />
Als er dann einen groBen Baum von der Spitze<br />
bis zur Wurzel gespalten hatte, sprachen die<br />
Hauptleute: »Es ist gut!«<br />
Der Fechtmeister sagte: »Man grabe mich bis<br />
zum Halse in die Erde ein, und dann schlage man<br />
auf mich ein und w'erfe mich mit Speeren! Wenn<br />
man mich treffen sollte, dann gestattet uns nicht,<br />
die acht Sockel mitzunehmen!«<br />
Da gruben sie ihn ein, warfen mit Speeren nach<br />
ihm und schlugen auf ihn ein, aber er wurde<br />
überhaupt nicht getroffen. Alsdann fragten sie<br />
das fürstliche Dorfhaupt: »Was vermagst du zu<br />
verrichten? «<br />
Er antwortete: «Sieben Tage lang kann ich es im<br />
Wasser aushalten.«<br />
Da beschwerten sie ihn mit einem Stein und versenkten<br />
ihn sieben Tage lang ins Wasser, ohne<br />
daB er starb. Darauf sprachen die Hauptleute:<br />
»Gut denn! Wenn ihr derartige Fahigkeiten besitzt,<br />
dann schamen wir uns nicht, und ihr werdet<br />
die acht Sockel wohl mitnehmen dürfen!«<br />
30
Alsdann machten sich die Hauptleute und die<br />
vier Manner auf den Weg nach dem Palast des<br />
Sultans von Atjeh, um ihre Huldigung darzubringen<br />
und Bericht zu erstatten. »Verzeihung<br />
und Heil Eurer Majestat, der wir mit Leib und<br />
Leben ergeben sind! Die vier Manner, welche<br />
die acht Sockel mitnehmen mochten, waren zu<br />
allem, was Ihr verlangt habt, imstande. Einer<br />
kroch in eine Kanone; einer spaltete einen Baum;<br />
einer wurde mit Speeren geworfen, ohne getroffen<br />
zu werden, und als man auf ihn losschlug,<br />
drang das Schwert nicht in ihn ein; und einer<br />
war sieben Tage lang im Wasser, ohne zu sterben.»<br />
»Schön«, waren da die Worte Seiner Majestat,<br />
»ihr dürft die acht Sockel mitnehmen!« Dann<br />
gab er sie ihnen, und sie nahmen sie mit heim.<br />
Dort angekommen, brachten sie dem Fürsten des<br />
Landes Tepa ihre Huldigung dar: »Wir, die Ihr<br />
beauftragt habt, acht Sockel aus den atjehischen<br />
Landen zu erbitten, sind wiedergekommen!«<br />
Dann fertigte man alle Zubehörteile für die Moschee<br />
14<br />
an, und sie errichteten sie mit Hilfe der<br />
acht Sockel an der Mündung des Salul-Flusses.<br />
Darauf hielten sie ein religiöses Festmahl ab, um<br />
Glück und einen starken Glauben zu erbitten 15 .<br />
Dafür schlachteten sie sieben Büffel.<br />
Zu der Zeit setzten die Vornehmen und die Fürsten<br />
des Landes Adathaupter 16<br />
und Befehlshaber<br />
im Lande ein. Auch Moscheevorsteher und Vorbeter,<br />
sowie Gebetsrufer und Moscheebeamte<br />
wurden ernannt 17 . Und ihre Moschee war groB,<br />
und der Glaube im Lande war stark; gerecht<br />
ging es her, und sie suchten keine Streitigkeiten<br />
mehr. Was der Fürst sagte, das taten die Untertanen.<br />
31
DAMONENGESCHICHTEN<br />
Der Fürst,<br />
der ein Jagerdamon wurde<br />
n einem Lande war<br />
einmal ein Fürst<br />
mit seiner Gattin.<br />
Als seine Frau<br />
dann im Laufe<br />
der Zeit schwanger<br />
wurde, sprach<br />
sie zu ihm: »Ich<br />
bin nun im zweiten<br />
Monat guter<br />
Hofrnung. Deshalb<br />
möchte ich etwas sehr SüBes und sehr<br />
Saueres essen.»<br />
»Teile es mir nur mit! Welches sind denn die<br />
Dinge, die du essen möchtest?«<br />
Sie erwiderte: »Ich möchte Büffel- oder Hirschfleisch<br />
essen!«<br />
»Wenn es nur das ist, so kann ich mich im Walde<br />
auf die Suche danach machen. Ich gehe mit meinen<br />
Gefahrten und mit meinen Hunden los 1 . Sei<br />
deshalb nicht betrübt! Denn ich werde das, was<br />
du essen möchtest, schon finden!« Alsdann traf<br />
er seine Vorbereitungen. Er nahm sich Gefahrten,<br />
Hunde, Lanzen und Haumesser mit. Dann<br />
machten sie sich auf den Weg ins Innere des<br />
Waldes, um Wildbüffel, Hirsche 2<br />
und alles, was<br />
32
ihnen in den Weg kam, zu jagen. Von Berg zu<br />
Berg suchten sie, ohne etwas zu finden. Je weiter<br />
sie den Bergen folgten, desto tiefer gerieten<br />
sie in den Urwald, so daB sie sich sehr weit von<br />
ihrer Heimat entfernten. Plötzlich stieBen sie<br />
dann auf Wildbüffel. Als sie diese verfolgten,<br />
liefen die Buffel wer weiB wohin. Die anderen<br />
Leute folgten ihnen deshalb nicht.<br />
Wahrend der Fürst nun die Tiere allein verfolgte,<br />
geriet er in eine Astgabelung und brach<br />
sich ein Bein. So konnte er nicht mehr fort. Da<br />
seine Gefahrten mit ihren Hunden jedoch schon<br />
wieder zurückgelaufen waren, war er hilflos. Er<br />
verhielt sich ganz still, weil ihn ein Damon im<br />
Walde verhext hatte. Allmahlich wuchsen ihm<br />
Haare am ganzen Leibe; an seinem ganzen Körper<br />
war er schwarz von langen Haaren.<br />
Im nachsten Jahre kam dann sein Kind, ein<br />
Knabe, zur Welt. Er wurde allmahlich groB und<br />
konnte mit den anderen Kindern im Ort spielen.<br />
Sie sagten: »Dieses Kind hat keinen Vater.<br />
Anscheinend ist es ein uneheliches Kind!«<br />
Als er das hörte, kehrte er heim zu seiner Mutter.<br />
Denn er schamte sich, weil sie gesagt haften,<br />
er sei ein uneheliches Kind. Dort fragte er<br />
seine Mutter: »Wo ist eigentlich mein Vater,<br />
liebe Mutter? Ist er gestorben oder ist er ausgewandert?<br />
Erzahle es mir jetzt, damit ich ihn<br />
suchen kann! Wo auch immer er sich auf halten<br />
mag, ich werde ihm folgen. Denn ich schame<br />
mich vor den anderen Kindern hier, weil sie<br />
sagen, ich sei ein uneheliches Kind!«<br />
Da sprach seine Mutter: »Dein Vater ist damals<br />
mit Hunden auf die Jagd gegangen. Denn ich<br />
hatte ihm aufgetragen, in den Wald zu gehen,<br />
um Büffelfleisch zu holen.«<br />
3<br />
33
»Wenn es so ist, dann werde ich nach meinem<br />
Vater suchen, wo er sich aufhalt!«<br />
»Wenn du gehst, mein Sohn, ist hier ein Dolch<br />
von deinem Vater, den er mir als Erkennungszeichen<br />
zurückgelassen hat, falls du ihn suchen<br />
solltest!« Seine Mutter sagte noch: »Wenn du<br />
ihm diesen Dolch gibst, dann reiche ihm nicht<br />
den Griff, sondern die Klinge!«<br />
Er nahm den Dolch und begab sich in den Urwald<br />
auf die Suche nach seinem Vater.<br />
Nach einiger Zeit traf der Junge im Urwald auf<br />
menschliche Spuren 3 . Als er ihnen folgte, fand<br />
er einen Menschen, dessen ganzer Körper mit<br />
Haaren bewachsen war. Da sprach er: »Wer bist<br />
du? Bist du ein Damon oder bist du ein Mensch?«<br />
Der Mann erwiderte: »Ich bin kein Damon, sondern<br />
ich bin ein Mensch, der früher hierher<br />
kam, um Wildbüfïel und Hirsche zu jagen!«<br />
Da dachte der Knabe: ,Es ist anscheinend mein<br />
Vater!' Dann zeigte er den Dolch vor.<br />
Als der Mann ihn erblickte, sprach er: »Du bist<br />
mein Sohn! Komm hierher zu mir! Bringe mir<br />
den Dolch her; denn er ist das Zeichen dafür,<br />
daB ich dein Vater bin! Ich kann namlich nicht<br />
in die bewohnte Welt zurückkehren, weil ich ein<br />
Damon geworden bin. Es war nun einmal mein<br />
Los, ein Damon zu werden. Und jetzt kehre du<br />
in die Heimat zurück, aber gib mir den Dolch!«<br />
»Gut, lieber Vaterk<br />
Sein Vater sprach dann: »Als Zeichen dafür, daB<br />
du mein Sohn bist, pflanze eine Arekapalme 4<br />
bei<br />
deinem Hause und einen angkeo-Baum 5 ! Dann<br />
werde ich dir namlich nichts zuleide tun!«<br />
Darauf reichte der Junge seinem Vater den<br />
Dolch. Als er ihm dabei plötzlich den Dolch in<br />
34
die Brust stieB, starb sein Vater und wurde sofort<br />
ein richtiger Damon 6 , der sich in den Wipfel<br />
eines Baumes mit einer Astgabelung begab.<br />
Die Leute nennen diesen Baum jetzt »Geisterpresse«<br />
7 . Er pflegt zu knarren, weil er der<br />
Aufenthaltsort des Jager-Damons ist. — Die Gefahrten<br />
seines Vaters und die Hunde wurden zu<br />
roa'-roa'-Vögeln 8<br />
und zu Eulen.<br />
Bis da geht die Erzahlung von dem Manne, der<br />
ein Jagerdamon wurde. Noch jetzt pnanzen die<br />
Leute Arekapalmen bei ihren Hausern als Zeichen<br />
für ihn. Denn dann pflegt ihnen der Jagerdamon<br />
nichts zuleide zu tun.<br />
Der Antu' S i n g o n g o - D a m o n 1<br />
£s waren einmal ein Mann und eine Frau, deren<br />
emziges Kind war ein beinahe heiratsfahiges<br />
Madchen. Ihr Haus befand sich in einer Pflanzung.<br />
Die Eltern gingen jeden Tag auf das Zukkerrohrfeld,<br />
um dort zu jaten; tagaus tagein war<br />
es so.<br />
Eines Tages sah das Madchen seinen Oheim dorther<br />
kommen. Als er ins Haus trat, fragte das<br />
Kind: »Woher kommst du, Oheim?«<br />
»Ich komme von zu Hause!«<br />
Da sagte das Madchen: »Was möchtest du,<br />
Oheim? Denn die Sonne steht schon sehr niedrig<br />
2 !«<br />
Sein Oheim erwiderte: »Deine GroBmutter hat<br />
gesagt, du solltest einen Tag lang dorthin kommen!»<br />
»Ich werde es meinen Eltern mitteilen. Sie sind<br />
dort auf dem Zuckerrohrfeld am Ende unserer<br />
Pflanzung, um zu jaten.«<br />
3.<br />
3 5
Darauf fuhr der Damon 3<br />
fort: »Sage ihnen nicht<br />
erst Bescheid; denn vorhin habe ich es bereits<br />
getan. Du darfst deine GroBmutter besuchen!<br />
Gehen wir, denn nachher wird es Nacht!«<br />
Darauf gingen sie los. Als sie die Halfte des<br />
Weges hinter sich hatten, sprach der Oheim:<br />
>;Jetzt ist es Nacht. Komm her, damit ich dich<br />
auf dem Rücken trage 4 !« Darauf nahm er das<br />
Madchen auf den Rücken.<br />
Da fragte es: »Ist es noch weit, Oheim?«<br />
Der Damon antwortete: »Ein kleines Stück noch,<br />
dann sind wir da!«<br />
Um Mitternacht kamen sie dann bei dem Hause<br />
des Damons an. Ein Baumstamm mit einer sehr<br />
groBen Höhle war die Behausung. Und darin<br />
befand sich eine Alte mit krummem Rücken und<br />
platter Nase.<br />
Da dachte das Madchen bei sich: ,Dies ist nicht<br />
das Haus meiner GroBmutter, sondern anscheinend<br />
die Behausung von Damonen, von denen<br />
man immer spricht!' Weiter dachte es: ,Laufe<br />
ich fort, dann fressen sie mich auf. Deshalb ist<br />
es besser, daB ich das tue, was sie mir auftragen.'<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en sagte der Damon zu seiner<br />
Mutter: »Geh und bade deine Schwiegertochter<br />
am Brunnen 5 !« Darauf machten sie sich<br />
auf den Weg.<br />
Dort angelangt, sprach das Madchen: »LaB mich<br />
dich erst waschen, Mutter! Ich schöpfe Badewasser<br />
für dich!«<br />
Da sagte die alte Damonin: «Es ist gut, mein<br />
Kind!« Wahrend die Damonin dann gerade in<br />
Gedanken versunken war, stieB das Madchen sie<br />
in den Brunnen, so daB sie starb. Denn in ihren<br />
3(T
Mund und in ihre Nase war Wasser geraten, so<br />
daB sie erstickte.<br />
Darauf lief das Madchen fort in Richtung des<br />
Dorfes. Unterwegs begegnete es zwei Mannern,<br />
einem Vater mit seinem Sohn.<br />
Als das Madchen sich zu ihnen begab, sprachen<br />
sie: »Bist du das Madchen, das der Damon entführt<br />
hat?«<br />
»Das bin ich!«<br />
Als sie sahen, daB es auch der Wahrheit entsprach,<br />
nahmen sie das Madchen mit und liefen<br />
eiligst fort.<br />
Inzwischen suchte der Damon den Brunnen auf.<br />
Dort erblickte er seine Mutter tot im Brunnen.<br />
Er sah auch, daB das Madchen nicht mehr da<br />
war, es war wer weiB wohin geflüchtet. Da<br />
nahm er die Verfolgung auf, indem er nach den<br />
FuBspuren des Madchens suchte 6 . Dabei erblickte<br />
er Kappspuren von Leuten; denn sie hatten mit<br />
ihren Haumessern batu hala'-Straucher 7<br />
abgeschnitten,<br />
deren Triebe dann wieder gesproBt<br />
waren. Deshalb sagte er sich: ,Dies ist nicht der<br />
Weg, den das Madchen gegangen ist, sondern es<br />
ist der Weg von Leuten, die Rotan holten.' Deshalb<br />
kehrte er wieder um. Als er dann die FuBspuren<br />
des Madchens entdeckte, nahm er die<br />
Verfolgung wieder auf. Nachdem er ins Dorf<br />
gekommen war, sah er das Madchen mit seinen<br />
beiden mannlichen Gefahrten. Sie waren aber<br />
schon bei den Hausern der Dorfleute angelangt.<br />
Deshalb sprach der Damon: »Warte! Wenn sie<br />
einmal nicht auf der Hut sind, entführe ich dich<br />
und nehme dich als meine Frau mit!« Dann<br />
kehrte er in den Wald zurück.<br />
Darauf kamen die Eltern und brachten ihre<br />
Tochter zur GroBmutter. Als sie dort anlangten,<br />
37
waren alle von Herzen glücklich. Alle Verwandten<br />
und die Oheime waren ebenfalls hoch erfreut.<br />
Am folgenden Tage kamen dann die Alten<br />
und sprachen zum Vater des Madchens: »LaB<br />
uns deine Tochter mit dem Manne verheiraten,<br />
der sie traf, als sie aus dem Walde kam! Zur<br />
Belohnung dafür laBt uns sie ihm zur Frau<br />
geben!«<br />
Sie erwiderten: »Gut, wir wollen sie verheiraten!<br />
Denn wenn diese Leute unsere Tochter<br />
nicht mitgenommen hatten, ware sie nicht mehr<br />
am Leben, weil der Damon sie gefressen hatte!«<br />
Deshalb kamen die Leute aus dem Dorf und<br />
feierten die Hochzeit des Madchens mit dem jungen<br />
Manne 8 . Danach kehrten alle wieder heim.<br />
Nur das junge Ehepaar und eine Alte blieben<br />
zurück. Sie legten sich alle drei auf die Schlafstelle<br />
9 .<br />
Um Mitternacht kam der Damon und trug ihre<br />
Schlafstelle in den Urwald. Sie waren namlich<br />
die ganze Nacht bewuBtlos, weil der Damon sie<br />
verhext hatte. Als er im Waldesinnern angekommen<br />
war, setzte er die Schlafstelle dort nieder.<br />
Dann schickte er sich an, zu schlafen. Dabei<br />
lehnte er sich an einen groBen Baum. Wahrend<br />
er schlief, sprach er: «Schlafen meine<br />
Augen, dann ist mein Herz wach; schlaft mein<br />
Herz, dann ist mein Kopf wach; schlaft mein<br />
Kopf, dann sind meine Ohren wach 10 .«<br />
Als der junge Ehemann das hörte, sprach er:<br />
»Was? Das ist ja die Stimme eines Damons!«<br />
Und dann sah er, daB sie sich mitten im Urwald<br />
befanden. Als er den Damon erblickte, wie er<br />
mit sich selbst redete, erhob sich der Mann,<br />
nahm sein Schwert und schlug ihm den Hals beinahe<br />
durch.<br />
38
Der Damon stürzte zu Boden mit den Worten:<br />
»Schlag noch einmal zu, schlag noch einmal zu,<br />
schlag noch einmal zu!«<br />
Aber da sagte der junge Ehemann: »Ich will<br />
nicht zweimal zuschlagen; denn das ist mir verboten<br />
worden!«<br />
Darauf starb der Damon; regungslos lag er da.<br />
Und der Mann sah, daB er zu einer toten Wildkatze<br />
wurde 11 .<br />
Zu seiner Frau und der Alten sagte er: »Der<br />
Damon ist tot. Jetzt kehren wir heim, aber ich<br />
kenne den Weg nicht. Wer weiB, wo wir uns<br />
befinden!« Wahrenddessen horten sie die Stimmen<br />
von rufenden Leuten und den Klang von<br />
Gongs 12 . Denn man war gekommen, um die vom<br />
Damon Entführten zu suchen. Da gingen sie dem<br />
Klang der Gongs nach. Als sie und die Leute,<br />
die auf der Suche nach ihnen waren, einander<br />
gefunden hatten, kehrten sie ins Dorf zurück.<br />
Die Schlafstelle nahmen sie nicht mit, sie blieb<br />
dort 13 .<br />
Im Dorf erteilten die Alten dann Lehren 14 : »Wir<br />
sind dieses eine Mal noch glimpflich davongekommen.<br />
In Zukunft laBt jedoch eure Tochter<br />
nicht mehr allein zu Hause! Wohin ihr auch<br />
geht, nehmt eure Kinder mit! Sonst laBt Erwachsene<br />
bei ihnen im Hause zurück! Habt ihr<br />
die Worte der Alten vernommen?«<br />
Sie alle antworteten: »Ja, Vater!«<br />
Die F ü r s t e n t o c h t e r heiratet den<br />
» Fürsten vom O b e r 1 a u f «<br />
J- n einem Lande war einmal ein Fürst. Obwohl<br />
er schon alt war, hatte er keine Kinder, weder<br />
einen Sohn noch eine Tochter. Da rief er seine<br />
39
Gattin und sprach zu ihr: »Was hat es für uns<br />
für einen Zweck, hier auf Erden zu leben? Wir<br />
sind zwar Fürsten, und unser Besitz in Haus und<br />
Hof ist viel, aber wir haben kein einziges Kind,<br />
weder Sohn noch Tochter. Wie denkst du darüber?«<br />
»I c h bin immer sehr traurig darüber«, erwiderte<br />
seine Gattin.<br />
»Sage das nicht! Bist du schon traurig, so bin<br />
ich doppelt traurig. Und jetzt werde ich das tun,<br />
was dich gut dünkt!«<br />
Darauf sprach seine Gattin: »Jetzt wollen wir<br />
zu Gott und allen höheren Gewalten in diesem<br />
Lande und zu unseren Vorfahren beten! Wenn<br />
wir wirklich Nachkommen von Fürsten dieses<br />
Landes sind, und wenn uns eine Tochter geboren<br />
werden sollte, so wollen wir sie mit dem<br />
verheiraten, den die Leute den siebenköpfigen<br />
»Fürsten vom Oberlauf« (denSchlangendamon) zu<br />
nennen pflegen. Denn er ist der gröBte am Oberlauf<br />
des Flusses. Wir sind Fürsten, und e r ist<br />
ebenfalls ein Fürst!« Darauf beteten sie zu allen<br />
höheren Gewalten im Lande. Sie beide, Mann<br />
und Frau, erhoben ihre Hande zum Gebet.<br />
Nach zwei Monaten war seine Gattin guter Hoffnung,<br />
und sie sprach: »Ich möchte etwas sehr<br />
SüBes und salzige Baumfrüchte aller Art essen!«<br />
Da erwiderte ihr Gatte: »Alles, was du essen<br />
möchtest, kann ich suchen!« Er machte sich auf,<br />
um alles das zu suchen, was seine Gattin zu<br />
essen begehrte: reife Brotfrüchte 1 , Zitronen,<br />
Mangos 2 , Salziges aller Art und junge Ananasfrüchte.<br />
Als dann sechs Monate verstrichen waren, kam<br />
die groBe siebenköpfige Schlange. Denn sie war<br />
40
es, welche die Leute den «Fürsten vom Oberlauf«<br />
nannten. Sie kam, um ihre Frau zu besuchen,<br />
die ihr seinerzeit von dem Fürsten zugesprochen<br />
war.<br />
Da sagte der Fürst: «Dies ist der Gatte unserer<br />
Tochter, von dem wir damals in jener Nacht<br />
redeten, als wir zu allen höheren Machten beteten.<br />
Er ist jedoch kein Mensch, sondern eine<br />
Riesenschlange. Möge es dennoch dabei bleiben!<br />
Was können wir dabei machen? Denn wir haben<br />
es nun einmal gesagt, und jetzt können wir es<br />
nicht rückgangig machen.« Darauf kehrte die<br />
Riesenschlange heim.<br />
Nach zehn Monaten kam die Tochter des Fürsten<br />
zur Welt. Sie war von sehr schönem Antlitz,<br />
und im ganzen Lande gab es keine ihresgleichen.<br />
Am Tage ihrer Geburt kam die Riesenschlange,<br />
um sich das Kind anzusehen, von<br />
dem sie gesagt hatten, daB sie es mit ihr vermahlen<br />
wollten.<br />
Nachdem sie wieder in den Wald zurückgekehrt<br />
war, sprach der Fürst: «Wir sind zu weit gegangen,<br />
liebe Frau! Denn damals sagten wir,<br />
wir würden unsere Tochter mit dem ,Fürsten<br />
vom Oberlauf' verheiraten. Und nun ist er hergekommen,<br />
um unserem damaligen Versprechen<br />
gemaB seine Frau zu erbitten!«<br />
Da erwiderte seine Gattin: «Bereue es jetzt<br />
nicht! Denn ein Versprechen können wir nicht<br />
rückgangig machen 3 . Was auch immer geschieht,<br />
es ist Gottes RatschluB!«<br />
Als ihre Tochter erwachsen und heiratsfahig war,<br />
kam auch der «Fürst vom Oberlauf« ins Land<br />
seiner zukünftigen Frau.<br />
Da sprach der Fürst zu seiner Gattin: «Jetzt ist<br />
der Mann unserer Tochter gekommen. Diese<br />
41
Riesenschlange heiBt nun, wie die Alten sagen,<br />
unser Schwiegersohn. Lafi uns deshalb die Leute<br />
im Lande zusammenrufen!«<br />
Da kamen alle Einwohner und veranstalteten<br />
Festlichkeiten anlaBlich der Hochzeit der Fürstentochter.<br />
Nachdem sie drei Tage und drei<br />
Nachte gefeiert hatten, fand die Hochzeit statt.<br />
Und nach vier Tagen und vier Nachten geleiteten<br />
sie sie zum »Fürsten vom Oberlauf«. Sie setzten<br />
sie auf den Scheitel seiner sieben Köpfe. Da<br />
huben alle Leute, sowohl ihre Eltern als auch<br />
ihre Freundinnen, zu weinen an: »Gewöhnlich<br />
begeben sich die Vermahlten auf die Schlafstelle,<br />
aber sie begibt sich auf den Kopf einer groBen<br />
Schlange!« Nachdem sie sich ausgeweint hatten,<br />
machte sich die Riesenschlange auf den Weg<br />
ins Innere des Waldes in eine groBe Bergschlucht<br />
am FluBoberlauf.<br />
Darauf verkündete der Fürst: »Wer von euch<br />
Untertanen meine Tochter, die mit der Riesenschlange<br />
verheiratet ist, zu holen vermag, dem<br />
gebe ich sie zur Frau! Und dieses mein Reich<br />
geht in seinen Besitz über; von der FluBmündung<br />
bis zum Oberlauf soll es ihm gehören. Aber<br />
t ö t e t die Riesenschlange und bringt mir meine<br />
Tochter wieder! Das gebe ich euch allen, groB<br />
und klein, alt und jung, zur Kenntnis!« Darauf<br />
kehrten die Leute alle heim.<br />
Nun gab es zwei listenreiche Manner, Söhne<br />
eines Angesehenen in jenem Lande. Der altere<br />
hieB Banta Beramsa, der jüngere Banta Achmad.<br />
Da sprach Banta Beramsa: »Am Hochzeitstage<br />
sagte der Fürst: wer meine Tochter zu holen<br />
und die Riesenschlange zu töten vermag, dem<br />
schenke ich mein Land!«<br />
Darauf erwiderte sein jüngerer Bruder: »Aber<br />
wer kann denn eine Riesenschlange mit sieben<br />
42
Köpfen umbringen? Ich vermag die Fürstentochter<br />
nicht zu holen; aber wenn d u dazu<br />
imstande bist, dann werde ich dich gern begleiten.«<br />
» I c h werde die Schlange töten und die Prinzessin<br />
holen, und d u brauchst nur unser Essen<br />
zu tragen!«<br />
Darauf machten sie sich beide auf den Weg in<br />
den Wald. Als sie der Spur der Schlange folgten,<br />
stieBen sie nach drei Tagen auf eine groBe<br />
Schlucht. Sie horten den Atem des Fürsten,<br />
durch den Blatter durch die Luft gewirbelt<br />
wurden.<br />
Da sprach der jüngere Bruder: »Jetzt sind wir<br />
bei der Riesenschlange angelangt, durch deren<br />
Atem allein die Menschen schon sterben!«<br />
Banta Beramsa erwiderte: »Wenn es so ist, bin<br />
ich nicht imstande, die Riesenschlange zu töten!«<br />
Darüber gerieten beide in Streit, so daB Banta<br />
Achmad sagte: «Damals warst du es, der die<br />
Schlange durchaus töten und die Frau holen<br />
wollte, und nun bist du schon angstlich, wenn<br />
du die Riesenschlange nur siehst!«<br />
Der altere fuhr fort: »LaB uns unverrichtetersache<br />
heimkehren!«<br />
Aber da erwiderte sein jüngerer Bruder: »Und<br />
du schamst dich nicht? Ich schame mich vor<br />
allen Leuten und vor unseren Eltern! Geh nur<br />
fort und verbirg dich!«<br />
Alsdann suchte er die Schlange auf, die gerade<br />
fest schlief. Er lieB ein Rotantau von dem Wipfel<br />
eines Baumes über der Frau hinab, die sich<br />
auf dem Kopf der Schlange befand. Als die Frau<br />
das Tau erblickte, das der Mann hinabgelassen<br />
hatte, ergriff sie es, und Banta Achmad zog sie<br />
43
auf einen anderen Baum. Dann sprach er zu ihr:<br />
»Steig in den Wipfel dieses Baumes, denn ich<br />
werde mit deinem Gatten kampfenk<br />
Als er in der Nahe der Riesenschlange angelangt<br />
war, sprach er: »Hallo, GroBvater! Steh auf, denn<br />
wir wollen ein wenig miteinander kampfenk<br />
»LaB uns lieber nicht kampfen; denn durch meinen<br />
Atem allein stirbst du schonk<br />
Aber der Mann erwiderte: »LaB uns nicht lange<br />
kampfen, GroBvater! Wenn ich sterbe, dann<br />
gebe ich meine Seele auf; und wenn du stirbst,<br />
dann gibst auch du deine Seele auf!«<br />
Da sagte die Riesenschlange: »Hast du gesehen,<br />
daB ich sieben Köpfe habe?«<br />
Als Banta Achmad einmal zuschlug, nel einer<br />
ihrer Köpfe. »Was ist das, GroBvater?«<br />
»Mein Betelbissen von der Prinzessink Nachdem<br />
er zum zweiten Male zugeschlagen hatte,<br />
sprach sie: »Mein Essen von der Prinzessink<br />
Als schlieBlich nur noch zwei von ihren Köpfen<br />
übriggeblieben waren, sagte die Schlange: »Ich<br />
schakere mit meiner Frauk Nachdem er nochmals<br />
zugeschlagen hatte und wieder einer ihrer<br />
Köpfe gefallen war, sprach sie: «Jetzt gehen ich<br />
und die Prinzessin spazieren'!« Als sie jetzt nur<br />
noch einen Kopf besaB, waren ihre Worte: »LaB<br />
uns aufs neue kampfenk<br />
Aber Banta Achmad erwiderte: «Ich kann nicht<br />
mehr, denn ich bin müdek Bei sich dachte er<br />
jedoch: ,Wenn ich ihr diesen einen Kopf auch<br />
noch abschlage, dann gelten die Worte der Alten:<br />
,Wenn ein Damon sieben Köpfe hat, dürfen nicht<br />
alle abgeschlagen werden, weil er sonst am Leben<br />
bleibt.' Deshalb wollte er ihr nicht den letzten<br />
Kopf abschlagen; vielmehr durchschlug er<br />
ihren Leib mit einem Hieb oberhalb des Nabels.<br />
44
Sie starb sofort, und das Blut floB in Stromen,<br />
so daB es ihm bis zum Halse reichte.<br />
Alsdann holte er die Frau aus dem Baumwipfel<br />
und sprach zu ihr: »Jetzt habe ich deinen Gatten<br />
getötet. Wen möchtest du nun als Mann<br />
haben, meinen alteren Bruder oder mich?«<br />
»Ob ich lebe oder sterbe, d u bist mein Mann!<br />
Denn wer den ,Fürsten vom Oberlauf' getötet<br />
hat, der ist mein Gatte!«<br />
Darauf rief er seinen alteren Bruder herbei, und<br />
sie machten sich auf die Suche nach Wasser. Als<br />
sie auf einen groBen FluB stieBen, badete Banta<br />
Achmad, weil er mit dem Blut der Riesenschlange<br />
besudelt war. Dann sprach er: »Ich bin<br />
sehr müde. Deshalb möchte ich drei oder gar<br />
sieben Tage lang schlafen!« Dann legte er sich<br />
nieder und tat seinen Kopf in denSchoB der Frau.<br />
Nach zwei Tagen sagte der altere Bruder: »Wir<br />
wollen heimkehren, Frau! Denn der da ist tot!«<br />
Aber die Frau erwiderte: »LaB uns warten, bis<br />
drei oder gar sieben Tage vergangen sind; denn<br />
er hat es gesagt!«<br />
»Er ist gestorben! Nach sechs Tagen gehen wir<br />
aber, und dann bleibt er hier zurück!«<br />
Die Frau antwortete ihm: »I c h warte, bis<br />
Banta Achmad erwacht!«<br />
Darauf entgegnete der altere Bruder: »Ich werde<br />
ihm den FuB abschneiden. Wenn er nicht gestorben<br />
ist, wird er sich dann erheben!« Alsdann<br />
schlug er Banta Achmad den FuB ab. Als<br />
er auch dann nicht erwachte, sagte Banta Beramsa:<br />
»Das zeigt, daB er tot ist; denn sein FuB<br />
ist abgetrennt, ohne daB er aufgewacht ist! Nun<br />
laB uns heimkehren! Wenn du nicht willst,<br />
bringe ich dich um, Frau!«<br />
45
Sie weinte, als sie den abgetrennten FuB erblickte,<br />
den der altere Bruder abgeschlagen<br />
hatte. Deshalb nahm sie den abgetrennten FuB<br />
und wickelte ihn in ihren Rock ein. Darauf<br />
machten sie sich auf den Heimweg.<br />
Zu Hause angelangt, gingen sie zu dem Vater<br />
der Frau. »Ich habe die Riesenschlange getötet,<br />
mein Fürst!«<br />
»Es ist gut«, sprach der Fürst, »und nun vermahle<br />
ich meine Tochter, die du von dem Kopf<br />
der Riesenschlange geholt hast, mit dir.« Darauf<br />
rief er seine Untertanen zusammen. Sie<br />
stampften Reis und trockneten ihn für die Hochzeit<br />
5 .<br />
Als sieben Tage vergangen waren, erwachte<br />
Banta Achmad. Als er sah, daB sein FuB am<br />
Gelenk abgetrennt war, hub er an zu weinen.<br />
Er sprach: »Mein Bruder und die Frau sind<br />
heimgekehrt. Mag die Frau auch nicht für mich<br />
sein, wenn er mir nur nicht den FuB abgeschnitten<br />
hatte!« Darauf kroch er am groBen FluB<br />
entlang in Richtung seiner Heimat.<br />
Am Unterlauf legte ein Kind eine Reuse in den<br />
FluB. Als die Nacht hereinbrach, kamen Regen<br />
und Überschwemmung auf, so daB Banta Achmad<br />
schnell mit dem Strom nach dem Unterlauf abtrieb.<br />
Nachdem er in einer Bucht angelangt war,<br />
trugen ihn die Wassermassen in die groBe Reuse,<br />
die das Kind ausgelegt hatte. Er konnte sich<br />
nicht aus ihr befreien.<br />
Als der Tag anbrach, kam der Besitzer der<br />
Reuse. Und als er sah, daB seine Reuse gefüllt<br />
war, sprach er: »Das ist ein Riesenfisch! Ich<br />
allein kann ihn nicht hochheben.« Deshalb rief<br />
er seinen Vater herbei, damit er ihm beim<br />
Heben behilflich sei. Bei der Reuse angelangt,<br />
46
sahen sie, daB der darin befindliche Fisch einen<br />
FuB, Hande und einen Kopf besaB.<br />
Da sprach der Vater: »Bist du da in der Reuse<br />
ein Damon oder ein Mensch?«<br />
Banta Achmad erwiderte: »Ich bin kein Damon,<br />
sondern ich bin ein Mensch! Ich heiBe Banta<br />
Achmad!«<br />
Da hoben sie die Reuse auf. Als sie sahen, daB<br />
sein FuB abgeschnitten war, nahmen sie ihn sofort<br />
mit nach Hause. Sie nahmen ihn als ihren<br />
Sohn an.<br />
Als Banta Achmad hörte, daB sich alle Leute<br />
versammelten, um zur Hochzeit seines Bruders<br />
zu gehen, fragte er seinen Adoptivbruder: »Wohin<br />
gehen die vielen Leute?«<br />
»Sie gehen zur Hochzeit der Frau, die damals<br />
von einer Schlange in den Wald entführt wurde.<br />
Sie verheiraten sie mit Banta Beramsa.«<br />
Da dachte er bei sich: ,Ich werde auch zur Hochzeit<br />
meines alteren Bruders gehen; denn jetzt<br />
erkennen sie mich nicht. Sie denken wohl, ich<br />
sei gestorben!' Dann sagte er zu seiner Adoptivmutter:<br />
»Dürfen wir zur Hochzeit gehen, liebe<br />
Mutter?«<br />
»Geht nicht, meine Söhne! Denn wir schamen<br />
uns, weil dein FuB abgeschnitten ist!«<br />
Darauf erwiderte ihr Sohn: »Wir wollen auch<br />
gar nicht ins Haus gehen, sondern wir begeben<br />
uns nach unten zu den Armen!« Alsdann machten<br />
sie sich auf den Weg.<br />
Als sie dort ankamen, war es Abend, und alle<br />
Leute waren beim Hochzeitsessen. Da kam ein<br />
Zeremonienmeister, der die Aufsicht über Haus<br />
und Hof hatte, und sprach: »Wer von euch hat<br />
noch nicht gegessen?« Darauf gab er ihnen allen<br />
zu essen.<br />
47
Wahrend Banta Achmad beim Essen war, verschluckte<br />
er sich. Deshalb bat sein jüngerer<br />
Bruder um Wasser: »Bringt Wasser zum Trinken<br />
für den ,Verstümmelten'!«<br />
Als Banta Beramsa das hörte, sprang er nach<br />
unten und lief wer weifi wohin; denn er befürchtete,<br />
daB sein jüngerer Bruder ihn töten<br />
werde.<br />
Da kam die Fürstentochter, die mit Banta Beramsa<br />
vermahlt werden sollte, mit Banta Achmads<br />
FuB dorthin. Als sie Banta Achmad erkannte,<br />
nahm sie den FuB, der damals abgeschnitten<br />
worden war, und setzte ihn an das<br />
Bein, so daB sein FuB wieder wie damals wurde.<br />
Darauf erhob sich Banta Achmad. Dann faBte<br />
sie ihn bei der Hand, und sie gingen gemeinsam<br />
ins Haus. Dort sprach sie: »Dieser, lieber Vater,<br />
ist es, der die Riesenschlange tötete. Sein alterer<br />
Bruder hat ihm damals den FuB abgeschlagen,<br />
als er die Schlange umgebracht hatte. Denn<br />
Banta Beramsa verbarg sich, weil er befürchtete,<br />
daB der ,Fürst vom Oberlauf' ihn verschlukken<br />
würde.«<br />
Als alle Leute ihre Worte vernommen hatten,<br />
wurden sie beide vermahlt. Darauf ergriff der<br />
Fürst das Wort: «Jetzt laBt uns meine Tochter<br />
mit Banta Achmad vermahlen! Mein Reich geht<br />
an ihn über, und mein gesamter Besitz, viel und<br />
wenig, kommt ihm ebenfalls zu. Ehrt ihn Tag<br />
und Nacht!«<br />
Der Sohn eines Reichen<br />
und Fürst Aman<br />
«7n einem Lande war einmal ein reicher Mann,<br />
der hatte viel Besitz; Büffel, Ziegen, alles war<br />
in Haus und Hof vorhanden. Wer im Lande<br />
48
nichts zu essen hatte, dem half er. Da war seine<br />
Frau offensichtlich guter Hoffnung, und im Laufe<br />
der Zeit kam ihr Sohn zur Welt. An dem Tage<br />
beauftragte ihr Mann Leute, einen Astrologen 1<br />
zu rufen, der nachsehen sollte, was seinem Kinde<br />
das Leben nehmen werde. Als der Astrologe<br />
erschien, fragte ihn der Reiche: »Was wird mein<br />
Kind ums Leben bringen, Astrologe? Teile es<br />
mir mit!«<br />
Der Astrologe sah da aus seinen astrologischen<br />
Büchern, daB Fürst Aman das Kind töten würde.<br />
Als der Astrologe deshalb das Haupt schüttelte,<br />
sagte der Reiche: »Teile es mir sofort mit, verbirg<br />
es mir nicht!«<br />
Und der Astrologe sprach: »Wenn es so ist —<br />
Fürst Aman wird dein Kind töten. Der bringt es<br />
ums Leben.«<br />
Darauf schlug der Reiche vor: »LaBt uns mein<br />
Kind auf eine kleine Insel bringen, damit Fürst<br />
Aman es nicht findet!« Da machten sie sich auf<br />
den Weg und brachten es mit einem Gefahrten<br />
und Lebensmitteln für sie beide dorthin. Dann<br />
kehrten die Leute zurück, und das Kind blieb<br />
mit seinem Gefahrten auf der Insel. Allmahlich<br />
wuchs es heran, und als es laufen konnte 2 , kehrte<br />
sein Gefahrte nach dem Festlande zurück, so daB<br />
das Kind allein auf der Insel blieb.<br />
Eines Tages kam ein Schiff, auf dem sich Fürst<br />
Aman befand. Als sie gegenüber der Insel ankamen,<br />
wo man das Kind verb<strong>org</strong>en hatte, erlitt<br />
das Fahrzeug Schiffbruch, und die gesamte Besatzung<br />
kam ums Leben. Nur Fürst Aman blieb<br />
übrig und trieb nach der Insel ab. Als er dort<br />
die Spuren von Menschen erblickte, machte er<br />
sich auf die Suche und stieB auf eine groBe Steingrotte.<br />
Dort befand sich ein Kind.<br />
49
Als es den Fürsten Aman erblickte, sagte es:<br />
»Woher kommst du, o Mensch, hierher?«<br />
»Ich bin ein Schiffbrüchiger, der hierher abgetrieben<br />
ist!«<br />
Da freute sich das Kind, und sein Gefahrte, der<br />
Fürst Aman, war ebenfalls froh. Er gab dem<br />
Kinde Stoff; und das Kind gab ihm eine eBbare<br />
Frucht. Er schalte sie mit seinem Dolch und aB<br />
davon. Und die übriggebliebene Halfte bot Fürst<br />
Aman dem Kinde an mit den Worten: »Dies ist<br />
für dich!« Er reichte sie dem Kinde hin. Dabei<br />
glitt es aus, so daB es vornüber in den Dolch des<br />
Fürsten Aman nel und auf der Stelle starb, weil<br />
seine Brust durchbohrt war.<br />
Da lief Fürst Aman ans Ende der Insel. Dort erblickte<br />
er einen groBen Felsen, auf dem sich<br />
Frauen befanden, die ein groBer Damon entführt<br />
und dann dorthin gebracht hatte. Er schwamm<br />
nach dem Felsen, und als er dort ankam, sagten<br />
die Frauen: »Komm nicht her; denn hier haust<br />
ein groBer Damon, der dich fressen wird, o<br />
Mensch!«<br />
»Ich fürchte den Damon nicht! Wo ist er denn?<br />
Ich möchte ihn sehen!«<br />
Sie erwiderten: »Er schlaft gerade in dieser Felsgrotte!«<br />
Als er sie öffnete. prustete der Damon, so daB<br />
Fürst Aman ins Meer nel und auf einem Auge<br />
erblindete. Aber er kehrte nochmals zurück und<br />
sagte zu den Frauen: »LaBt uns heiraten!»<br />
Diese erwiderten: »Wir können nicht heiraten;<br />
denn dann friBt dich der Damon. Uns hier hat<br />
er namlich aus unserer Heimat entführt, und<br />
woher bist du?«<br />
»Ich bin Fürst Aman, ich bin nach dieser Insel<br />
abgetrieben!«<br />
50
Da sprach die eine Frau: »Wenn du so sprichst,<br />
dann sind wir Geschwister! Denn Fürst Aman<br />
war mein jüngerer Bruder. Damals, als ich noch<br />
sehr klein war, hat mich dieser Damon entführt.<br />
Rede also nicht davon, daB wir heiraten wollen!«<br />
Fürst Aman fuhr fort: »Ihr lügt! Jetzt seid ihr<br />
alle meine Frauen! Den groBen Damon wollen<br />
wir töten! Öffnet doch diese Tür, und laBt uns<br />
ihn umbringen!«<br />
Als sie dann die Felsgrotte öfïneten, prustete der<br />
groBe Damon, so daB Fürst Aman ins Meer nel<br />
und auf der Stelle starb. Es blieben nur die<br />
Frauen auf dem Felsen übrig.<br />
Im Laufe der Zeit hörte man in einem anderen<br />
Lande, daB es hier einen Astrologen gab. Deshalb<br />
sagte ein reicher Mann: »Wir wollen nach<br />
dem Lande des Astrologen gehen; denn dort befindet<br />
sich ein Reich! LaBt uns ein Schifï samt<br />
Ladung mitnehmen und einen groBen mannlichen<br />
Büfïel, den wir mit den Büfïeln der Angesehenen<br />
in dem Lande kampfen lassen wollen!<br />
Denn man sagt, daB sie zahlreiche Kenntnisse<br />
besitzen, und daB sie sogar die Todesursache<br />
eines Neugeborenen kennen!« Die Leute machten<br />
sich dann mit ihrem Schiff auf die Reise.<br />
Dort angelangt, sagte der Angesehene auf dem<br />
Schiff: »Ich komme mit einem groBen mannlichen<br />
Büffel in euer Land. Wenn ihr woilt, so<br />
laBt unsere Büffel miteinander kampfen, um zu<br />
sehen, welcher unterliegt! Unterliegt mein Büffel,<br />
dann geht mein Schiff an euch über. Unterliegt<br />
jedoch euer Büffel, dann geht dieses Reich<br />
samt allen Untertanen an mich über. Denn ich<br />
habe gehort, daB die Leute in diesem Lande viele<br />
Kenntnisse besitzen. Von einem Kind im Mutterleibe<br />
können sie sogar erraten, ob es ein<br />
Knabe oder ein Madchen ist.«<br />
*' 51
»Es ist gut«, erwiderte der Herrscher in jenem<br />
Lande. Darauf rief er seinen Astrologen und<br />
sagte zu ihm: »Jetzt ruht das Schicksal dieses<br />
Landes in deiner Hand. Wenn es möglich ist, daB<br />
ihr Büffel unterliegt, so geht dieses Schiff an uns<br />
über. Aber wenn unser Büffel unterliegt, dann<br />
geht unser Land in ihren Besitz über.«<br />
»Es ist gut«, erwiderte der Astrologe, »ich bitte<br />
um drei Tage Zeit.«<br />
Zu Hause angelangt, holte der Astrologe ein<br />
Büffelkalb, das gerade beim Saugen war. Er<br />
sperrte es in einen Stall und lieB es nicht mehr<br />
saugen. Dann fertigte er zwei Stücke Eisen an,<br />
die scharf waren, und band sie am Kopf des kleinen<br />
Büffels fest. Darauf sagte er zu allen Leuten:<br />
»Jagt alle Büffel auf diesem Grundstück<br />
weit fort nach dem Oberlauf!«<br />
Als dann drei Tage voll waren, versammelten sich<br />
die Leute auf der weiten Ebene, um zu sehen,<br />
wie die Büffel kampften. Als der Astrologe und<br />
der Herrscher dort ankamen, sagten sie: »Kein<br />
Mensch darf sich nahern, entfernt euch alle!«<br />
Als dann der groBe Büffel vom Schiff kam, band<br />
der Astrologe sein Büffelkalb los. Und als es den<br />
Büffel erblickte, strebte es sogleich in seine Nahe.<br />
Es dachte namlich, er sei vielleicht seine Mutter.<br />
Dort drangte es sich zwischen die Hinterbeine<br />
des mannlichen Büffels, weil es das Euter suchte.<br />
Wahrend es sich herandrangte, wurde das Hinterteil<br />
des Büffels vom scharf en Eisen gestochen.<br />
Desbalb sprang er sofort weg, weil er hinten<br />
ganz mit Wunden bedeckt war; denn das Kalb<br />
folgte ihm immer weiter, weil es fürchtete, daB<br />
seine (vermutliche) Mutter ihm davonlaufen<br />
wollte.<br />
Da rief die Menge: »Der Büffel vom Schiff hat<br />
verloren!«<br />
52
- Der S o m a n S o m a n - D a m o n 1<br />
und die Frau, die Reis stampfte<br />
£"s war einmal eine Frau, deren Mann war nach<br />
dem Festland gefahren, wahrend sie mit ihrem<br />
neugeborenen Kinde zurückblieb. Ihr Haus stand<br />
am Hang eines Hügels. Da ging die Mutter nach<br />
dem Stampfer, um Reis zu stampfen 2 . Ihr Kind<br />
lieB sie im Hause zurück; sie legte es in eine<br />
Wiege und wickelte es ein.<br />
Als die Sonne schon niedrig stand, hörte sie eine<br />
menschliche Stimme: «Stampfe weiter, denn es<br />
ist noch ein Kopf übrig! Siebe weiter, denn es<br />
ist noch ein Kinn übrig! Seihe weiter, denn es<br />
ist noch ein Ohr übrig!«<br />
Da dachte die Frau: ,Was haben' die Worte zu<br />
bedeuten?' Dann horchte sie gut hin. Als sie<br />
nichts mehr vernahm, eilte sie nach Hause, um<br />
nach ihrem Kinde zu sehen. Dort angekommen,<br />
blickte sie in die Wiege und sah Blut. Ihr Kind<br />
war schon völüg zerrissen und tot.<br />
Als der soman-soman-Damon das Gerausch ihrer<br />
Schritte vernahm, sprang er nach unten 3 . Sie<br />
erblickte einen sehr alten Mann, dessen Rücken<br />
gekrümmt und dessen Jacke rot gefarbt war.<br />
Da hub die Frau an zu schreien: »Hilfe, Hilfe!<br />
Ein Damon hat mein Kind gefressen!«<br />
Als andere Leute das horten, eilten sie herbei,<br />
und sie sahen, daB drinnen bereits Menschen<br />
versammelt waren. Als sie eintraten, horten sie<br />
dauernd die Stimme des Damonen, aber zu sehen<br />
war er nicht. Deshalb sprachen sie: »LaBt uns<br />
diese Frau mit ihrem toten Kinde zu uns nehmen!«<br />
Dann zündeten sie das Haus an, so daB<br />
es völüg abbrannte 4 . Als sie dann am folgenden<br />
Tage frühm<strong>org</strong>ens die Brandstatte aufsuchten,<br />
53
erblickten sie eine Wildkatze, die im Feuer verendet<br />
war.<br />
Da war es zu Ende.<br />
Der Mann, der seine Frau<br />
über alles liebte<br />
einem Lande gab es einmal ein Ehepaar;<br />
Mann und Frau liebten einander sehr von der<br />
Hochzeit an, bis sie mittleren Alters waren. Der<br />
Mann hing sehr an seiner Frau. Alles, worum<br />
seine Frau ihn bat, bes<strong>org</strong>te er, und mit Kleidern<br />
war es ebenso bestellt. In dem Lande war<br />
er der einzige, der seine Frau über alles liebte.<br />
Eines Nachts fragte ihn seine Frau: »Warum<br />
liebst du mich so sehr?«<br />
»Was nützt es, wenn ich es dir sage? Das heiBt<br />
eben, Mann und Frau zu sein; deshalb liebe ich<br />
dich. In diesem Lande gibt es keine, die schoner<br />
ist als du!«<br />
»Das sagst du jetzt! Aber wenn wir nachher gestorben<br />
sind, dann ist es mit der Liebe vorbei!<br />
Wie groB ist denn deine Liebe zu mir?«<br />
Da erwiderte ihr Mann: »Wenn du stirbst, folge<br />
ich dir in den Tod. Das kann ich dir versprechen!«<br />
Darauf wurden die beiden zartlich miteinander,<br />
und die Folge war, daB seine Frau guter Hoffnung<br />
wurde. Nach zehn Monaten kam das Kind<br />
zur Welt. Mutter und Kind starben bei der Geburt.<br />
Da hub der Mann zu wehklagen und zu<br />
zetern an, und er beweinte beide. Als man sie<br />
dann bestatten wollte, ging er mit. Nachdem sie<br />
der Erde anvertraut waren, erinnerte er sich des<br />
54
damaligen Gesprachs, das er mit seiner Frau geführt<br />
hatte.<br />
Da kamen Leute und sagten zu ihm: »Bist du<br />
verrückt? DaB du einer Toten folgen willst, ist<br />
Unsinn! Schamst du dich gar nicht? Kein Mann<br />
weint um seine Frau, und mit den Frauen ist es<br />
ebenso: stirbt ihr Mann, dann beweinen sie ihn<br />
auch nicht. Du gehst wirklich zu weit in deiner<br />
Liebe zu deiner Frau.« Dann kehrten alle,<br />
welche die Frau bestattet hatten, heim, und sie<br />
nahmen ihn mit nach Hause.<br />
Von dort kehrte er jedoch nach der Statte zurück,<br />
wo seine Frau begraben war. Tag und<br />
Nacht hielt er sich dort auf, und er war nicht<br />
imstande, zu essen.<br />
Nach sieben Tagen kam ein Alter, dessen Antlitz<br />
und dessen Kleidung weiB waren 1 . »Warum<br />
weinst du dauernd? Hast du deine Frau denn<br />
wirklich geliebt?«<br />
»Wenn sie leben dürfte, dann gabe ich einen Teil<br />
meiner eigenen Seele für sie hin!«<br />
Da sagte der Alte: »Wenn das wirklich wahr ist,<br />
dann schlieBe deine Augen!«<br />
Da schloB der Mann seine Augen, und als er sie<br />
wieder öffnete, saB seine Frau schon dort. Sie<br />
sagte: »Was du damals in jener Nacht gesagt<br />
hast, traf zu, lieber Mann!«<br />
»Wenn es nicht zutrafe, dann hatte ich es nicht<br />
gesagt! Und nun wollen wir nach Hause zurückkehren!«<br />
Als sie dort ankamen, und als man die bei der<br />
Geburt gestorbene Frau mit ihrem Mann kommen<br />
sah, sagten die Dorfleute: »Das sind die<br />
Geister der Gestorbenen!« Sie verfolgten und<br />
bekampften sie beide. »Geister seid ihr, Damonen<br />
seid ihr! Kommt nicht hierher!«<br />
55
Als sie in andere Hauser gingen, verfolgte man<br />
sie ebenfalls. Deshalb ergriffen sie die Flucht,<br />
aber man verfolgte sie mit Speeren. Als sich alle<br />
Dorfleute versammelt hatten, liefen die beiden<br />
auf die Brücke eines groBen Flusses. Da nel der<br />
Mann ins Wasser und ertrank; seine Frau kam<br />
ebenfalls dabei ums Leben.<br />
Weil ihre Seelen nun vereint waren 2 , trieben der<br />
Mann und die Frau nach der Spitze einer Landzunge<br />
in dem FluB ab. Dort verwesten beide;<br />
denn die Leute wollten die beiden Toten, die<br />
von der Brücke gefallen waren, nicht begraben 3 .<br />
Deshalb wurden sie beide zu Geistern, die zu<br />
allen Gebarenden gingen, um sie samt den Neugeborenen<br />
zu töten und mit sich zu führen.<br />
Da im ganzen sieben Frauen in diesem Land bei<br />
der Geburt ums Leben kamen, fürchten sich jetzt<br />
alle schwangeren Frauen vor dem Geist des<br />
Mannes, der seine Frau sehr liebte und deshalb<br />
ein Damon wurde. Bis jetzt dürfen daher Frauen,<br />
die eben ein Kind zur Welt gebracht haben, nicht<br />
allein zu Hause gelassen werden. Sie haben bis<br />
zu zweimal sieben Tagen eine Alte bei sich,<br />
welche die Abwehrmittel kennt 4 .<br />
Bis da geht diese Erzahlung. Die Leute sagen,<br />
daB diese Damonen sirabich tandjung-Vogel 5<br />
heiBen.<br />
Erzahlung von dem<br />
Pa'e-Damon<br />
Jn einem Lande leb ten einmal ein Mann und<br />
seine Frau; sie waren weder arm noch sehr<br />
wohlhabend. Aber ihr Leben war einigermafien<br />
ertraglich. Die Frau paBte ins Leben; denn arbeiten<br />
konnte sie, und alle Nahrungsmittel zuzubereiten<br />
verstand sie ebenfalls. Eines Tages<br />
56"
sprach sie nun zu ihrem Mann: »Höre du mal<br />
mit deinem Schlafen auf! Denn dies ist deine<br />
Beschaftigung: nachdem du gegessen hast, pflegst<br />
du zu schlafen. Kennst du kein anderes Mittel,<br />
um zu leben? Wenn ich aufhöre, mich zu rühren,<br />
dann ruht unsere Arbeit. Deshalb haben<br />
wir auch nichts zu erhoffen!«<br />
Da erwiderte ihr Mann: »Was tue ich? Wenn<br />
du arbeitest, dann arbeite ich auch! Was ist denn<br />
der Unterschied zwischen Mann und Frau?<br />
Deine Arbeit ist doch auch meine Arbeit!«<br />
Am folgenden Tage überlegte die Frau: ,Ich<br />
werde meinem Mann sagen, daB wir einen Garten<br />
anlegen wollen. Denn dann gibt es viel Arbeit,<br />
und er kann seine Augen nicht schlieBen.'<br />
Darauf weckte sie ihren Mann: »Stehe auf, es<br />
ist Abend!«<br />
Als ihr Mann sich erhob, sah er, daB die Sonne<br />
noch hoch stand. »Warum hast du mich geweckt,<br />
Frau?«<br />
Sie erwiderte ihm: »Wenn du willst, so haben<br />
wir etwas Schönes zu besprechen.«<br />
»Was denn?«<br />
»Wir wollen dort am Oberlauf im nahen Wald<br />
einen Garten anlegen!«<br />
»Gut«, sprach ihr Mann, »wir werden hingehen;<br />
aber ich fürchte den Pa'e! Der ist es, den ich<br />
auf dieser Welt fürchte, vor keinem anderen bin<br />
ich sonst angstlich!«<br />
Da sagte seine Frau: »Ich fürchte Pa'e nicht;<br />
denn er friBt keine Menschen, und wir horen<br />
nur seine Stimme!«<br />
Darauf gingen sie und ihr Mann zum Roden.<br />
Zuerst kappten sie das Gelande unten frei\ dann<br />
fallten sie groBe Baume, der Mann mit der Axt,<br />
57
seine Frau mit Beil und Haumesser. Nachdem<br />
das gerodete Gelande trocken war, brannten sie<br />
es ab. Dann pflanzten sie Reis, Mais und Gemüse<br />
aller Art, so daB alles vorhanden und ihr<br />
Leben angenehm war. Dann begann ihr Mann<br />
wieder wie damals jeden Tag zu schlafen. Am<br />
folgenden Tag schlief er, und am übernachsten<br />
Tage schlief er wieder.<br />
Deshalb sprach seine Frau: »Du schlafst den<br />
ganzen Tag. Du verstehst nicht, dich zu beschaftigen!«<br />
»Was habe ich denn zu tun?« fragte ihr Mann,<br />
»unser Garten dehnt sich bereits aus, und zu<br />
essen ist für uns da!« Dann lieB er sich wieder<br />
hinfallen und schlief, um sich dann zur Essenszeit<br />
zu erheben.<br />
Eines Tages verbarg sich seine Frau und rief:<br />
»Paaa'e!« Dreimal rief sie es, damit ihr Mann<br />
aufstünde.<br />
Als der Mann das hörte, sprang er hinab 2<br />
mit<br />
den Worten: »Pa'e friBt mich!« Eiligst ergrifï<br />
er die Flucht.<br />
Seine Frau folgte ihm. »Lauf nicht fort! Es ist<br />
nicht Pa'e, sondern ich bin es, ich!« Aber ihr<br />
Mann lief weiter mit geschlossenen Augen. Wieder<br />
um rief seine Frau: »Es ist nicht Pa'e, nicht<br />
Pa'e!«<br />
Er hörte es zwar, aber er lief weiter und erstieg<br />
einen hohen Berg. Er war schon halbtot und<br />
keuchte, denn er dachte, der Damon Pa'e setze<br />
ihm tatsachlich nach, wahrend er den sehr steilen<br />
Berg erklomm. Weil das Gelander lose war 3 ,<br />
rollte er bis an den FuB des Berges zurück.<br />
Wahrenddessen erreichte seine Frau ihn dort<br />
und sprach: »Du brauchst nicht zu sterben, denn<br />
du hast dich vor mir gefürchtet.«<br />
58
»Nicht vor dir habe ich mich gefürchtet, sondern<br />
vor dem Pa'e-Damon!«<br />
»Wie sehen denn die Pa'e-Damonen aus?«<br />
Er erwiderte: »Ihre Haare sind lang, und sie<br />
sind am ganzen Körper behaart. Ich weiB nicht,<br />
wie ich sie dir beschreiben soll.«<br />
Da machten sie sich auf den Heimweg. Als sie<br />
zu Hause ankamen, war es Nacht. Nun wollte<br />
er am Tage nicht mehr schlafen. Jeden Tag<br />
pflegte er von nun an zu arbeiten.<br />
Nach einiger Zeit war seine Frau gesegneten<br />
Leibes, und bald kam ein Madchen zur Welt. Es<br />
wuchs heran und war bereits heiratsfahig.<br />
Nun gab es auch einen armen Mann und dessen<br />
Frau, die kinderlos waren. Eines Tages sagte<br />
der Mann: »Wir haben weder Kinder noch Besitz.<br />
Wir nennen nichts unser eigen!«<br />
Da erwiderte die Frau: »Das ist unertraglich.<br />
Wenn wir doch unsere Vorfahren darum bitten<br />
könnten!« Wahrend sie und ihr Mann sich unterhielten,<br />
erblickten sie einen Leguan 4 . »Und<br />
wenn unser Kind wie ein Leguan aussehen<br />
würde, ware es auch gut!« Damit war ihre Unterhaltung<br />
beendet.<br />
Im Laufe der Zeit wurde die Frau des Armen<br />
guter Hoffnung. Als dann ein Knabe mit Leguangestalt<br />
zur Welt kam, sprach seine Frau:<br />
»Hiervon haben wir damals gesprochen! Bitten<br />
wir um Gutes, dann kommt auch Gutes; und<br />
bitten wir um Schlechtes, dann kommt auch<br />
Schlechtes! Mach dir deshalb keine Gewissensbisse!«<br />
Ihr Mann sprach: »Was kam, das gehort uns<br />
wenigstens!«<br />
59
Allmahlich wuchs der Leguan heran und hatte<br />
heiraten können, wenn er wie ein Mensch gewesen<br />
ware. Da sprach seine Mutter: »LaB uns<br />
eine Frau für unseren Sohn sucheii!«<br />
Ihr Mann entgegnete: »Wer mag denn schon die<br />
Gestalt des Leguans?«<br />
Seine Frau sagte zu ihm: »Die Kleinigkeit kann<br />
uns nichts ausmachen. Unseren Pflichten kommen<br />
wir nach! M<strong>org</strong>en werde ich die drei Madchen<br />
5<br />
fragen. Wenn sie wollen, ist es gut; wenn<br />
nicht, dann ist es auch gut!«<br />
Als der folgende Tag angebrochen war, machte<br />
sie sich auf den Weg. Dort angelangt, fragten<br />
die drei Frauen sie: «Was ist dein Begehren,<br />
Frau des Armen? Kamst du her, um kleine<br />
Reiskörner zu erbitten?«<br />
•»Ich bin hergekommen, um eine Frau für meinen<br />
einzigen Sohn zu suchen!« Dann wandte sie<br />
sich an die Mutter der drei Madchen mit den<br />
Worten: »Ich möchte, daB wir unsere Kinder<br />
miteinander verheiraten!«<br />
»Wie ist es, Kinder, möchtet ihr euch mit dem<br />
Sohn eurer Muhme 6<br />
verheiraten?«<br />
Da sprachen sie: »Mag sie sich mit ihm ver heiraten!<br />
Denn ihr Sohn ist ein Leguan, aber wir<br />
sind Kinder eines Angesehenen!« Darauf schlug<br />
eines der Madchen die Mutler des Leguans, so<br />
daB sie sich auf den Heimwog machte.<br />
Am folgenden Tage kam sie wieder, aber alle<br />
drei wollten sie nicht. Sie sagten: »Einen Leguan,<br />
den will sie uns zum Manne geben! Wenn<br />
du willst, so ist dort noch eine jüngere Schwester<br />
von uns. Nimm sie als Frau für deinen<br />
Sohn! Sie legt gerade einen Garten an. Es ist<br />
nachher auch gleich: die Frau des Leguans ist<br />
dann das Kind von Bauern!«<br />
60
Am nachsten Tage machte sie sich auf den Weg.<br />
Als sie dort ankam, sprach die Frau, die dabei<br />
war, einen Garten anzulegen: »Was ist dein Begehren?«<br />
»Ich bin hergekommen, um eine Frau für meinen<br />
Sohn namens Leguan zu erfragen. Zuerst<br />
fragte ich jene drei Frauen, aber sie schlugen<br />
mich und sagten: ,Geh heim! Wenn du willst,<br />
frage sie! Denn dort befindet sich eine jüngere<br />
Schwester von uns!' Das ist der Grund, daB ich<br />
hierhergekommen bin. Möchtest du dich mit<br />
meinem Sohne verheiraten?«<br />
Darauf sprach die Frau: »Wir treffen keine Auswahl<br />
unter den Bewohnern des Landes, ob Leguan,<br />
ob Mensch. Denn unser Los ist gleich.«<br />
Darauf verheiratete sie sich mit dem Leguan.<br />
Als es ihren alteren Schwestern zu Ohren kam,<br />
daB die jüngste geheiratet hatte 7 , da machten sie<br />
sie schlecht und brachten ihre Abscheu über die<br />
Heirat mit dem Leguan zum Ausdruck: »Sie ist<br />
unsere Schwester, und wir sind angesehene<br />
Leute in diesem Lande. Aber offenbar schamt<br />
sie sich nicht!«<br />
Drei Tage, nachdem sich der Leguan und das<br />
Menschenkind verheiratet hatten, ging der Leguan<br />
am M<strong>org</strong>en nach dem FluBufer. Seine Frau<br />
blieb zu Hause. Dort angelangt, entledigte er<br />
sich seiner haBlichen Haut und war wie ein<br />
Menschenkind. Und er war von sehr schoner<br />
Gestalt. Da kam seine Frau, die ihm nach dem<br />
FluBufer gefolgt war. Dort erblickte sie einen<br />
jungen Mann von sehr schönem Aussehen. Da<br />
dachte sie: ,Anscheinend ist der Leguan ein<br />
Mensch geworden!' Als sie dann sah, daB sich<br />
die abgestreifte Haut des Leguans am Ufer befand,<br />
nahm sie diese mit nach Hause, um sie zu<br />
61
verbrennen. Da wurde das, was sie ins Haus<br />
mitgenommen hatte, zu Geschirr; und das, was<br />
sie unter das Haus gelegt hatte, wurde zu Gefiügel,<br />
Ziegen und allerlei.<br />
Als ihr Mann dann zurückkehrte, sagte er:<br />
»Zwei Tage noch sei meine Haut vorhanden!«<br />
Am folgenden Tage vernahmen die drei Frauen<br />
hiervon, und sie sagten: «Wenn unsere Mutter<br />
es damals gewollt hatte, dann hatten wir uns<br />
mit dem zum Menschen gewordenen Leguan<br />
verheiratet.«<br />
Eine nach der anderen kam so an. SchlieBlich<br />
gerieten sie miteinander in Streit: »Damals hast<br />
du die Mutter des Leguans geschlagen! Deshalb<br />
ist sie weinend nach Hause gegangen.«<br />
Sie bereuten es bereits. Und deshalb machten<br />
sie sich am folgenden Tage auf den Weg. Sie<br />
nahmen EBbares mit; denn sie wollten ihre jüngere<br />
Schwester mit Gift umbringen. Als sie<br />
dort ankamen, sprach der Leguan: »IB nicht und<br />
kaue nicht den Betel 8 , den unsere alteren Schwestern<br />
mitgebracht haben; denn sonst wirst du<br />
sterben!« Der Leguan wuBte namlich, was sie<br />
nicht sah. Darauf kehrten ihre alteren Schwestern<br />
heim. Obwohl sie alle Listen anwandten,<br />
vermochten sie nicht, ihre Schwester umzubringen.<br />
Eines Tages sprach der Leguan: »Wenn du<br />
willst, dann laB uns unsere alteren Schwestern<br />
verheiraten, damit sie nicht mehr eifersüchtig<br />
auf dich sind!«<br />
»Es ist gut«, erwiderte seine Frau.<br />
»M<strong>org</strong>en wollen wir zu ihnen auf Besuch gehen!<br />
Wenn wir dort ankommen, gib ihnen drei Zitronen!<br />
Die reifste gib der Altesten, die halbreife<br />
62
gib der Mittleren, und die grüne gib der Jungen!<br />
Dann sag zu ihnen: ,Das hier ist ein Haarwaschmittel<br />
für euch, Schwestern! Wenn ihr<br />
heiraten wollt, dann wascht m<strong>org</strong>en euer Haar<br />
damit im groBen FluB! SchlieBt euere Augen,<br />
und stürzt euch dann alle drei hinein!'«<br />
»Es ist gut«, erwiderten ihre alteren Schwestern.<br />
Und am folgenden Tage gingen sie zum<br />
Baden. Nachdem sie am FluB angekommen<br />
waren, wuschen sie ihre Haare und stürzten sich<br />
in den FluB. Als sie auftauchten, erblickten sie<br />
am Ufer drei Manner. Das waren ihre Gatten.<br />
Von nun an waren sie nicht mehr eifersüchtig<br />
auf ihre jüngere Schwester.<br />
Die Alten sagten: »SüBes koste, aber Schlechtes<br />
brich nicht aus!« (das heiBt: wenn man Angenehmes<br />
haben will, so muB man auch Unangenehmes<br />
mit in Kauf nehmen). So sagten früher<br />
die Alten.<br />
Erzahlung von den Rotansuchern<br />
£s waren einmal vier bis fünf Rotansucher, die<br />
zum Rotansuchen nach einem grofien Berg gingen.<br />
Wahrend sie rasteten, sahen sie einen<br />
Baumstamm liegen, der an beiden Enden eine<br />
Öfïnung hatte. Sie bemerkten, daB sich am Eingang<br />
der einen öffnung ein Kindlein befand.<br />
Deshalb gingen die Leute hin und versperrten<br />
die beiden Stammenden. Dann machten sie von<br />
oben her eine öffnung und ergriffen das Kindlein.<br />
Und da sahen sie, daB die Haare an seinem<br />
Körper sehr lang waren. Ein Teil war wie Vogelfedern,<br />
aber die Haare waren dünn gesat.<br />
Dann nahmen sie es mit in ihr Dorf.<br />
63
Dort gaben sie ihm Reisbrei zu essen; aber es<br />
wollte ihn nicht zu sich nehmen. Darauf gaben<br />
sie ihm Früchte und Holzwürmer zu essen. Denn<br />
sie sagten sich: ,Dies ist ein Waldmensch. LaBt<br />
uns ihm deshalb Früchte zu essen geben, damit<br />
er am Leben bleibt!'<br />
Als dann seine Mutter erschien, bemerkten sie,<br />
daB sie wie ihr Kind aussah; sie hatte Haare<br />
und Flügel. Ferner sahen sie, daB ihre Gestalt<br />
anscheinend wie die von Menschen war. SchlieBlich<br />
wollte sie jedoch nicht wiederkommen, weil<br />
man sie hinderte und mit Speeren nach ihr warf.<br />
Als das Kind dann fortlaufen wollte, siedelten<br />
sie es nach einem anderen Ort um, der weit<br />
vom Waldesrand entfernt war.<br />
Im Laufe der Zeit verschwanden seine langen<br />
Körperhaare, und es sah wie die Menschen in<br />
jenem Ort aus. Nachdem es erwachsen war, verheirateten<br />
sie es mit einem Manne aus der Ortschaft.<br />
Er hatte dort Kinder. Als das Kind des<br />
Waldmenschen zur Welt kam, sah es wie ein<br />
Erdenbewohner aus, aber es vermag uns nicht<br />
scharf anzusehen, wenn wir einander in die<br />
Augen blieken. Das ist namlich das Kennzeichen<br />
dafür, daB es ein Waldbewohner ist. So ist es<br />
bis heute.<br />
64
VERWANDLUNGS-<br />
UND ANDERE MARCHEN<br />
Ein Verstorbener<br />
wird ein Wildschwein<br />
instmals starb ein<br />
junger verheirateter<br />
Mann. Nachdem<br />
er verschieden<br />
war, badete<br />
man seinen Körper<br />
und hüllte<br />
ihn in Leichentücher<br />
1 . Darauf<br />
wurde er bestattet.<br />
Dann kehrten<br />
alle Leute ins Sterbehaus zurück. Sie hielten dort<br />
den Leichenschmaus sowie die Gedenkfeiern am<br />
dritten, fünften und siebenten Tage nach seinem<br />
Tode ab 1 . Darauf begaben sie sich nach dem<br />
Grabe, um zu beten. Dort angekommen, sahen<br />
sie, daB das Grab eine öffnung von der GröBe<br />
eines Topfes hatte. Die Geschwister des Verstorbenen<br />
schüttelten den Kopf und schütteten<br />
die Graböffnung zu. Dann kehrten sie heim.<br />
Als am folgenden Tage ein Mann vorüberging,<br />
sah er, daB die Graböffnung, die sie am Vortage<br />
zugeschüttet hatten, schon wieder da war. Deshalb<br />
ging er zu den Eltern des Verstorbenen und<br />
erstattete ihnen Bericht. Nachdem die Sonne<br />
sehr niedrig stand, machten sie sich auf den Weg<br />
* 65
vind beobachteten das Grab von einem Baurawipfel<br />
aus. Sie behielten dauernd die nahere<br />
Umgebung des Grabes im Auge. Als dann ein<br />
Wildschwein aus der Öffnung zum Vorschein<br />
kam, sprachen sie: »Das ist es, welches die Löcher<br />
in das Grab grabt!«<br />
Da richtete es sich auf dem Grabe auf, und dann<br />
begab es sich wieder ins Loch hinein. Nachdem<br />
das Wildschwein ins Grab zurückgekehrt war,<br />
machten sich die Leute auf den Heimweg.<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en kamen Leute und sagten:<br />
»Jenes Wildschwein sehen wir jeden Tag im Gestrüpp<br />
am Rande des Pamantjungan-Berges 2 .<br />
Allem Anschein nach halt sich das Wildschwein<br />
bei ihm auf!« Darauf riefen sie Leute, um mit<br />
Hunden Jagd darauf zu machen.<br />
Als sie das Wildschwein fanden, verfolgten sie<br />
es mit ihren Hunden. Aber obwohl es nur eben<br />
im Gestrüpp verb<strong>org</strong>en war, sahen sie es nicht.<br />
Deshaib sagten sie: »Dieses Wildschwein ist von<br />
Damonen besessen. Es ist auch wahr, daB es ein<br />
Spukwildschwein ist, wie man früher sagte.<br />
Denn wenn nur ein wenig Krüppelholz da ist,<br />
kann es schon verschwinden!« Die mit Hunden<br />
jagenden Leute kehrten dann heim.<br />
Da sprach ein Mann: «Ruft einen groBen Kundigen<br />
3 , der es versteht, jenen Damon zu vertreiben,<br />
damit wir seiner habhaft werden können!<br />
LaBt uns ihn töten, weil die Leute im Dorf alle<br />
vor ihm Angst haben!« Darauf riefen sie den<br />
groBen Kundigen, der »Vater des Rumpun 4 «<br />
hieB.<br />
Er kam und zeichnete Figuren auf das Grab 5 . Er<br />
bewegte sich nicht, sondern verhielt sich ganz<br />
ruhig Dann begannen die Leute mit Hunden<br />
zu jagen. Allmahlich fanden sie das Spukwildschwein<br />
auch; denn es konnte nicht mehr ver-<br />
66
schwinden. Wahrenddessen kamen sehr viele<br />
Leute und warfen mit Speeren und Lanzen nach<br />
ihm. Da es sich nicht mehr verbergen konnte,<br />
starb es. Darauf holten sie dann trockene Blatter<br />
und verbrannten das Wildschwein, das sie<br />
soeben getötet hatten. Dann sprachen sie: »Wir<br />
haben keine Angst mehr, wenn wir in der Nahe<br />
dieses Grabes umhergehen!« Und alle Leute<br />
waren dem «Vater des Rumpun« von Herzen<br />
dankbar.<br />
Als sie am folgenden M<strong>org</strong>en eine Katze an<br />
Stelle des toten Wildschweines erblickten, sprachen<br />
sie: »Es stimmt doch, daB es ein Spukwildschwein<br />
war!«<br />
Der Mann, der ein Specht wurde<br />
cAm Ort gab es einmal einen Mann, der Hauser<br />
und Boote anfertigen konnte. Fast alle Gegenstande<br />
verstand er herzustellen. Auf fast allen<br />
Gebieten fand er sich zurecht. Ein groBer Handwerker<br />
im Dorfe zu sein, war sein Beruf. Hier<br />
und dort Hauser zu bauen, war seine Arbeit.<br />
Aber er kam nicht dazu, eine Arbeit für sich<br />
selbst in Angriff zu nehmen. SchlieBlich ging<br />
er doch daran, Holz für ein eigenes Haus zu<br />
schlagen. Als er es dann in einen Schuppen gelegt<br />
hatte, kamen Leute und ersuchten ihn,<br />
Schuten und Boote zu bauen. Immer wieder ging<br />
es so. Deshalb wurde von dem Baumaterial für<br />
sein eigenes Haus im Schuppen ein Stück nach<br />
dem andern morsch; denn er konnte nicht zu<br />
einem schonen Haus für sich selbst kommen.<br />
Eines Tages hatte er gerade ein Boot gebaut. Da<br />
sprachen Leute in einem bewohnten Hause:<br />
»Was kann er eigentlich nicht anfertigen? Alles<br />
kann er!« Dann kam einer und sagte: »Das ist<br />
5' 67
zwar wahr, aber er selbst besitzt keinen Bau, der<br />
wie ein Haus aussieht. Er haust in einer Hütte.<br />
Denn den Unrat der anderen wascht er ab, aber<br />
seinen eigenen Unrat wischt er nur ab. Hauser<br />
für andere baut er, aber für sein eigenes Haus<br />
langt es nicht.«<br />
Wahrenddessen ging der Handwerker vorbei.<br />
Als er die Worte jenes Menschen hörte, schamte<br />
er sich sehr. Er spürte das Verlangen, den Mann<br />
umzubringen. Dann kehrte er jedoch nach Hause<br />
zurück.<br />
Am folgenden Tage begab er sich in den Wald<br />
mit den Worten: »Ich will Holz suchen. Gib mir<br />
deshalb Essen, Frau!« Nachdem er gegessen<br />
hatte, ging er fort und kam inmitten der Berge<br />
des Urwaldes an. Als er sich der Worte vom<br />
Vortage erinnerte, überkam ihn Scham, und er<br />
sprach: »Jetzt kann ich nicht einmal mehr einem<br />
Hunde in die Augen sehen 1 . Möge ich deshalb<br />
spurlos in diesem Walde verschwinden, o Ahnen,<br />
die ihr dieses Land behütet 2 !«<br />
Als er seine Augen wieder öffnete, hatte er Flügel.<br />
Er war ein Vogel geworden, dessen Jacke<br />
schwarz und dessen Weste weiB war. Das sind<br />
seine Kennzeichen. Und seine Beschaftigung ist<br />
es heute, Löcher in die Baume zu schlagen und<br />
jeden Tag zu hammern, als ob er ein Boot anfertige.<br />
Seine Kopfbedeckung ist eine rote<br />
Mütze.<br />
Ein Menschenkopf<br />
wird zur Kokospalme<br />
£s war einmal ein Mann, der zwei Söhne namens<br />
Rahim und Rachman 1<br />
besaB. Eines Tages<br />
starb ihr Vater, so daB die beiden Brüder hinterblieben.<br />
Nachdem ihr Vater verschieden war,<br />
68
kamen alle Leute des Ortes, um die Schulden<br />
ihres Vaters einzufordern. Denn als er noch am<br />
Leben war, befand sich viel Besitz anderer Leute<br />
in seinen Handen. Deshalb gaben die beiden alle<br />
seine hinterlassenen Besitztümer als Bezahlung<br />
für die Schulden des Verstorbenen hin. Haus<br />
und Hof waren dahin, bevor die Schulden des<br />
Verstorbenen alle bezahlt waren.<br />
Eines Nachts sprach dann der altere Bruder:<br />
»Viele von den Schulden unseres Vaters sind<br />
noch unbezahlt. Wenn wir sie nicht begleichen,<br />
ist unser Vater belastet. Denn die Leute in diesem<br />
Ort schwatzen immer weiter über ihn.«<br />
Da sagte sein jüngerer Bruder: »Aber was sollen<br />
wir den Leuten denn als Bezahlung dafür<br />
geben?«<br />
»Eine innere Stimme sagt mir, daB wir fliehen<br />
sollen, damit man uns nicht findet!«<br />
»Es ist gut«, waren die Worte seines jüngeren<br />
Bruders.<br />
Darauf gingen sie fort. Nacht für Nacht waren<br />
sie im Walde unterwegs, wo keine Leute gingen.<br />
Lebensmittel hatten sie sich mitgenommen.<br />
Nach ihrer Ankunft in der Mitte des Urwaldes<br />
begannen sie zu roden und den Urwald zu lichten.<br />
Dann sprach der jüngere Bruder: »Was können<br />
wir hier nun pnanzen?«<br />
Sein alterer Bruder erwiderte: »Ist Land vorhanden,<br />
dann sind auch Pnanzen da; sind Menschen<br />
da, dann gibt es auch Nahrung für sie!«<br />
Als es dann Nacht war, da hatte der altere Bruder<br />
einen Traum. Es kam ein Alter in weiBer<br />
Kleidung 2 und sprach: »Seid nicht angstlich<br />
wegen der Schulden eueres Vaters! Was dir<br />
deine innere Stimme sagt, das führe aus!« Als<br />
Rahim dann am folgenden M<strong>org</strong>en erwachte,<br />
69
dachte er bei sich: ,Meine innere Stimme sagt<br />
mir, daB ich jetzt sterben möchte. Denn wenn<br />
ich am Leben bleibe, so kommen die Leute, um<br />
zu mahnen.' Und er sprach zu Rachman: »Töte<br />
mich jetzt, andernfalls töte ich dich!«<br />
Da erwiderte er: » I c h will nicht sterben! Wenn<br />
du willst, stirb d u !«<br />
Alsdann sprach der altere Bruder: »LaB uns eine<br />
Grube graben! Und nachher durchschneide mir<br />
den Hals!«<br />
Sie machten sich dann auf den Weg und hoben<br />
eine Grube aus. Dann legte sich der altere Bruder<br />
hinein mit den Worten: »Los! Und begrabe<br />
meinen Kopf nachher dort!«<br />
Darauf nahm der jüngere Bruder sein Haumesser<br />
und holte zum Schlage aus, um seinem Bruder<br />
den Kopf abzuschlagen. Dreimal wich er dabei<br />
zurück. Denn er vermochte es nicht über<br />
sich zu bringen, seinem alteren Bruder dsn Kopf<br />
abzuschlagen. Und als er dann wirklich zuschlug,<br />
war der Kopf ab. Da nahm er ihn und<br />
begrub ihn an der Stelle, die sein Bruder angewiesen<br />
hatte. Darauf bedeckte er den Körper<br />
seines alteren Bruders mit Erde und ging heim.<br />
Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitete<br />
er bei einem Manne in jenem Lande; aber<br />
jenes Erlebnis verheimlichte er ihm.<br />
Nach einiger Zeit, nach zwei bis drei Jahren,<br />
suchte er seinen und seines alteren Bruders damaligen<br />
Platz wieder auf. Er sah, daB sich an<br />
der Statte, wo der Kopf seines Bruders begraben<br />
war, ein Baum befand. Da sagte er: »Wie heiBt<br />
der? Solch einen habe ich noch niemals gesehen.<br />
Das, was heruntergefallen ist, hat Augen und<br />
wachst bereits in groBer Menge!« Dann nahm<br />
er eine Frucht und trank deren Wasser und aB<br />
70
deren Fleisch. Darauf nahm er die Früchte anderswohin<br />
mit, wo er viele davon pflanzte. Dann<br />
kehrte er nach dem Wohnort seines Vaters zurück.<br />
Er nahm eine ganz schwere Schulterlast<br />
von jenen Früchten mit. Schwer beladen dort<br />
angekommen, begab er sich zu einer Gruppe von<br />
Leuten und fragte: »Wie heiBen diese Früchte<br />
hier?«<br />
Sie erwiderten: »Diese Frucht sehen wir heute<br />
zum ersten Male!«<br />
Als er jedem von ihnen eine Frucht gab, tranken<br />
und aBen sie deren Inhalt, der sehr süB war. Da<br />
sprach ein Mann: »Allem Anschein nach heiBt<br />
derartiges ,Kopf' (ulu); denn es sieht wie ein<br />
Kopf (ulu) aus. Das weiB ich davon!«<br />
Und die Umstehenden sagten: »So heiBt es!«<br />
Allmahlich kamen auch andere Leute und meinten:<br />
«LaBt uns ihm den schonen Namen u (KokosnuB)<br />
geben! Denn wenn wir ihn ulu nennen,<br />
so bezeichnet das den Kopf eines Menschen. Jetzt<br />
geben wir ihm daher den Namen u!« Diesen und<br />
noch viele andere Namen gaben sie dieser Frucht.<br />
Als dann die Leute, welche die Schulden seines<br />
Vaters forderten, davon horten, kamen sie und<br />
sprachen: »Für hundert Gulden Schulden deines<br />
Vaters bezahle hundert von diesen u-Früchten!«<br />
Und die Schulden seines Vaters wurden<br />
auf diese Weise alle beglichen, weil er sie mit<br />
den Früchten aus dem Kopfe seines alteren Bruders<br />
bezahlte. Darauf pflanzte er alle Baume,<br />
die dort wuchsen, aus, und so wurden die Baume<br />
aus dem Kopf seines Bruders weit verbreitet<br />
und sehr zahlreich.<br />
Und bis jetzt sagen die Leute, die Kokosnüsse<br />
pflanzen: «Andere nicht Rahims und Rachmans<br />
Worte!« Sie weichen auch dreimal beim Gehen<br />
zurück, wenn sie die Kokosnüsse pflanzen.<br />
li
Die Prinzessin,<br />
die ein Durian-Baum 1<br />
wurde<br />
£ s war einmal eine Prinzessin Sao-Sao, die<br />
Tochter eines Fürsten in jenem Lande. Als sie<br />
heiratsfahig war, kam ein Fürstensohn und hielt<br />
um ihre Hand an; denn er wollte sich mit der<br />
Prinzessin Sao-Sao vermahlen.<br />
Da sprach der Fürst: »Warum nicht? Du darfst<br />
meine Tochter heiraten!«<br />
Darauf sagte der fremde Fürstensohn: »Hier ist<br />
das Geld, eintausend Gulden, als Zeichen dafür,<br />
daB diese Prinzessin meine Gattin wird, und als<br />
Unterpfand für Euer und mein Wort, mein<br />
Fürst 2 .« Dann gab er ihm das Geld.<br />
Bald kam noch ein Fürstensohn, der ebenfalls<br />
die Prinzessin Sao-Sao heiraten wollte. Deshalb<br />
sprach er zu dem Fürsten: »Ich möchte mich mit<br />
Eurer Tochter, der Prinzessin Sao-Sao, vermahlen,<br />
mein Fürst!«<br />
Der Fürst erwiderte: »Das ist richtig. Denn du<br />
bist ein Fürstenkind und die Prinzessin gleichfalls!«<br />
Darauf überreichte der Fürstensohn ihm das<br />
Zeichen dafür, daB er und die Prinzessin verlobt<br />
waren.<br />
Der Fürst nahm auch dies Geld an und sagte:<br />
»Wenn ein Jahr verstrichen ist, komm her, damit<br />
ich euch verheirate!«<br />
Dann kamen noch andere Fürstensöhne. Bis zu<br />
zehn waren es, die sich mit Prinzessin Sao-Sao<br />
vermahlen wollten. »Bis dahin kann viel geschehen«,<br />
sagte der Fürst, »wenn es so weit ist,<br />
kommt, damit ich euch vermahlek<br />
Als die Prinzessin erfuhr, daB sie verlobt war,<br />
und daB die Anzahl ihrer Verlobten bis zu zehn<br />
72
Manner betrug, da sprach sie bei sich: ,Es ware<br />
besser, ich stürbe jetzt; denn dann ware ich<br />
glücklich!' Vor Kummer mochte die Prinzessin<br />
wirklich nicht mehr essen, und sie magerte ab.<br />
Deshalb sprach der Fürst zu einer alten Frau:<br />
»Geh doch und frage Prinzessin Sao-Sao, weshalb<br />
sie nicht mehr herunterkommt zum Baden;<br />
was sie bekümmert, ob sie keine Kleider oder<br />
ob sie nichts zu essen hat!«<br />
Als die Alte hinging und die Prinzessin fragte,<br />
sprach diese: »Es fehlt an nichts, meine Kleider<br />
genügen vollauf. Das, worüber ich bekümmert<br />
bin, ist nur, daB mein Vater bis zu zehn Manner<br />
gebeten hat, sich mit mir zu vermahlen. Alles<br />
sei möglich, sagt mein Vater. Nur deshalb bin<br />
ich bekümmert!«<br />
Als die Frau dem Fürsten die Antwort seiner<br />
Tochter mitteilte, sprach er: »Wenn die fremden<br />
Fürstensöhne auf der Heirat bestehen, so will<br />
ich Krieg mit ihnen führen. Wenn es nur das<br />
ist, so habe ich keine Furcht. Ein Jahr lang halte<br />
ich einen Krieg durch; denn ich habe viel Besitz,<br />
und meine Untertanen sind auch zahlreich. Alles,<br />
was sie wollen, das will ich auch.«<br />
Indessen war die Prinzessin weiterhin bekümmert,<br />
weil sie dauernd die Worte ihres Vaters<br />
hörte, daB er das Land zugrunderichten wollte.<br />
Deshalb fuhr die Prinzessin fort, Tag und Nacht<br />
zu weinen. Eines Nachts sprach sie dann: »0<br />
Gott, o Herr! Wenn es wahr ist, daB ich eine<br />
Fürstentochter, die Prinzessin Sao-Sao, und<br />
Nachkomme meiner Ahnen bin, so möge ich<br />
einen Ausweg finden, damit ich von dieser Qual<br />
erlöst werde :l !« Darauf hatte die Prinzessin einen<br />
Traum. Es kam ein Alter und sprach: »Bete zum<br />
Herrn, Prinzessin, damit du von dieser Qual erlöst<br />
wirst! Bitte Gott, daB du ein Baum werden<br />
73
mögest, den die Leute in diesem Lande noch nie<br />
gesehen haben!« Als sie erwachte, erinnerte sie<br />
sich ihres Traumes. Und als dann ein günstiger<br />
Tag, ein Freitag" kam, sprach die Prinzessin zu<br />
ih rer Dienerin: «Wenn ich verschwunden bin, so<br />
sucht mich nicht anderswo! Denn es kommt nachher<br />
ein Freitag, und was dann mitten auf diesem<br />
Hof wachst, das pflegt und zaunt spater ein!<br />
Und wenn der Baum nachher Früchte tragt, so<br />
gebt sie jenen zehn Fürstensöhnen als Ersatz für<br />
die Heirat!«<br />
Als sie sahen, daB die Prinzessin nicht da war,<br />
sprach der Fürst: »Sucht die Prinzessin! Wo<br />
ist sie?«<br />
Da sprach die Dienerin: «Man suche nicht nach<br />
ihr, mein Fürst! Denn die Prinzessin sagte: ,Wenn<br />
nachher ein Freitag kommt, dann wird zu sehen<br />
sein, daB auf diesem Hof ein Baum wachst. Den<br />
pflegt, und zaunt ihn spiiter ein!'«<br />
Der Fürst erwiderte: »Gut denn! Aber wenn<br />
nachher kein Baum vorhanden ist, dann bringe<br />
ich dich um!«<br />
Als ein Freitag kam, sahen sie, daB dort ein<br />
Baum von sehr schönem Aussehen gewachsen<br />
war, dessen Stamm schnell groB wurde. Allmahlich<br />
trug er Früchte mit stacheliger Schale.<br />
Da sprach der Fürst'. »Die Worte der Dienerin<br />
stimmen doch!«<br />
Und diese sagte: «Mein Fürst, wenn die Früchte<br />
dieses Baumes abfallen, dann rufe man die zehn<br />
Fürstensöhne und gebe sie ihnen! Sie mogen<br />
dann jeder eine essen!«<br />
Als die Früchte des Baumes abfielen. kamen die<br />
Fürstensöhne auch. Der Fürst erklarte ihnen:<br />
«Jetzt verheirate ich euch mit meiner Tochter,<br />
74
der Prinzessin Sao-Sao!« Dann übergab er ihnen<br />
die Früchte, und sie nahmen sie auch an.<br />
Sie waren sehr zufrieden; denn diese Früchte<br />
waren sehr wohlriechend. »Seit Generationen<br />
haben wir so etwas noch niemals gesehen!« Als<br />
sie dann die Früchte spalteten, schmeckten sie<br />
sehr süfi; es gab nichts anderes derart SüBes.<br />
Darauf sagten die Fürstensöhne: »Wir alle sind<br />
zufriedengestellt, weil in Erfüllung gegangen<br />
ist, daB wir uns mit Eurer Tochter vermahlten,<br />
o Fürst! Was nun jene eintausend Gulden betrifft,<br />
so verzehrt sie, wenn Ihr am Leben bleibt,<br />
oder sie seien für Euren Leichenschmaus 5 , wenn<br />
Ihr sterbt!« Darauf gaben sie jenen Früchten<br />
den Namen turian 6 . Dann verabschiedeten sie<br />
sich alle von dem Fürsten und wünschten ihm<br />
alles Gute.<br />
Bis da geht diese Erzahlung. Die Prinzessin Sao-<br />
Sao veranlaBte, daB die Fürstensöhne die Kerne<br />
der Durian-Früchte, die sie gegessen hatten, mitnahmen.<br />
Und seitdem gibt es viele Durian-<br />
Baume in jenem Lande.<br />
Zwei Geschwister<br />
zu Steinen<br />
werden<br />
einem Dorfe gab es einmal zwei Kinder, einen<br />
Jungen und ein Madchen, die gingen jeden Tag<br />
zum Angeln an den FluB. Wenn es tagte, rief<br />
der Junge seine Schwester: »Komm doch her,<br />
wir wollen angeln! Trag du den Korb für unsere<br />
Fische!«<br />
Eines Tages hatten sie viele ganz groBe Fische<br />
gefangen; denn sie bissen an dem Tag gut an, so<br />
daB der Korb sie nicht mehr zu fassen ver-<br />
75
mochte. Deshalb füllten sie die alabol-Fische in<br />
einen anderen Korb um.<br />
Gegen Mittag sagte die Schwester: »Wir wollen<br />
heimgehen, Bruder!«<br />
Er antwortete: »Noch nicht, denn die Fische bei-<br />
Ben gerade gut an!«<br />
Als es gegen ein Uhr war 1 , sprach das Madchen:<br />
»Wir wollen heimgehen, Bruder!«<br />
»Noch nicht, denn die Fische sind sehr zahlreich!«<br />
Als dann ein lebo'-lebo'-Fisch 2<br />
anbiB, zog<br />
er ihn an Land. Er nahm ihn und warf ihn seiner<br />
Schwester zu. Dabei traf er ihre Scham.<br />
Sofort kamen ein Bütz und ein lauter Donner.<br />
Als sie beide deshalb fortliefen, nel ein Donnerstein<br />
vom Himmel und traf sie beide, so daB sie<br />
starben und zu Steinen wurden. Das sahen<br />
Leute, die sich dort ganz in der Nahe aufhielten.<br />
Wahrenddessen sagten die Eltern der beiden<br />
Kinder: »Der Donner war sehr laut, wahrscheinlich<br />
hat es eingeschlagen!« Dann warteten und<br />
warteten sie, aber ihre beiden Kinder kamen<br />
nicht. Da machten sie sich den FluB entlang auf<br />
die Suche nach ihnen. Als sie dort ankamen und<br />
zwei Steine erblickten, sagten sie: »Woher kommen<br />
diese Steine? Früher war hier nichts von<br />
ihnen zu sehen!« Darauf gingen er und seine<br />
Frau weiter. Als sie jemandem begegneten,<br />
fragten sie ihn: »Hast du unsere Kinder gesehen?«<br />
Er antwortete: »Vorhin habe ich zwei Kinder<br />
wahrend des lauten Donners fortlaufen sehen.<br />
Und als der Donner vorüber war, erblickte ich<br />
zwei Steine an der Stelle, wo die beiden liefen.«<br />
Da wehklagten die Eltern der beiden Kinder.<br />
»Das sind unsere Kinder, die wir über alles lieben!<br />
Der Donnerstein ist auf sie niedergefah-<br />
76
en!« Sie weinten heftig. SchlieBlich kamen alle<br />
ihre Familienangehörigen aus dem Dorfe. Sie<br />
waren bestürzt, als sie die Donnersteine erblickten.<br />
»Wenn es so ist, dürfen wir auf keinen Fall nach<br />
unseren Schwestern werfen. Es ist strengstens<br />
verboten, weil sonst Unheil entsteht.«<br />
Darauf sagte der Mann, der die Kinder hatte<br />
fortlaufen sehen: »Wenn es so ist, dann laBt eure<br />
Kinder beim Donner nicht fortlaufen!«<br />
SchlieBlich sprach ein sehr alter Mann: »Madchen,<br />
die noch keine Kleidung tragen, binde man<br />
ein Schamplattchen 3<br />
um, damit ihre Scham nicht<br />
immer zu sehen ist!« Deshalb tragen kleine<br />
Madchen bis jetzt ein Schamplattchen.<br />
Eine Mutter verflucht<br />
ihren Sohn<br />
£7anz früher gab es einmal eine Frau, die einen<br />
Sohn besaB, der, als er noch sehr klein war, mit<br />
fremden Leuten nach dem Festland 1<br />
segelte. Dort<br />
entlohnten sie ihn mit einem Gulden, und dann<br />
kehrte das Boot der Leute zurück. E r blieb jedoch<br />
auf dem Festland. Der Sohn pflegte seinen<br />
Unterhalt mit dem Bau von Booten zum Angeln<br />
zu verdienen. Im Laufe der Zeit wurde er immer<br />
reicher, so daB er SchlieBlich viel Geld besaB<br />
und sich ein Schiff kaufen konnte. Als groBer<br />
Kapitan fuhr er hierher nach der Landschaft<br />
Tepa, um Handel zu treiben. Seine Waren bestanden<br />
aus Stoffen in Ballen, Tabak, Gambir 2<br />
und noch vielem anderen sowie Glasperlen und<br />
Glöckchen in vielerlei Arten und Sorten. SchlieBlich<br />
kam sein Schiff hier an, und es ankerte dort<br />
im Osten 3 . Da kamen die Leute aufs Schiff, um<br />
Stoffe zu kaufen.<br />
77
Bald hörte auch seine Mutter, daB das Schiff<br />
ihres Sohnes vom Festland gekommen war. Deshalb<br />
bereitete sie Reisbrei, Reiskuchen und mancherlei<br />
anderes und machte sich auf den Weg<br />
nach dem Schiff ihres Sohnes. Dort angelangt,<br />
sprach sie: »Bist du endlich gekommen, lieber<br />
Sohn? Sehr lange hast du dich in der Fremde<br />
aufgehalten, mein Kind!«<br />
Da sagte der Kapitan: »Wie kommt diese alte<br />
Frau dazu, zu sagen, ich sei ihr Sohn? Denn<br />
meine Mutter ist damals gestorben. Sie lügt!«<br />
»Wehe dir, mein Sohn, daB du mich verleugnest!<br />
Sage nicht, ich sei nicht deine Mutter! Denn es<br />
ist noch nicht so lange her, daB du in die Fremde<br />
gezogen bist, und schon hast du mich vergessen!<br />
Oder ist der Grund darin zu suchen, daB du reich<br />
geworden bist?«<br />
Der Kapitan erwiderte: »Rede nicht soviel, geh<br />
nur zurück an Land; denn du redest Unsinn!«<br />
Da begann seine Mutter zu weinen, weil sie<br />
traurig war, und sagte: »Du hast Gott verleugnet,<br />
du verleugnest den Propheten, und du verleugnest<br />
deine Eltern! Mag es denn so sein! Was<br />
kann ich dabei tun, mein Sohn? Weil du zu<br />
Reichtum gelangt bist, glaubst du dich in den<br />
Himmel gehoben, aber die Erde, auf der du<br />
schreitest, ist hart! Es sei denn, mein Sohn! Jetzt<br />
gehe ich fort. Hier ist ein wenig Essen für dich,<br />
das ich dir mitgebracht habe!«<br />
Darauf reichte sie es ihrem Sohn. Aber der nahm<br />
es nicht an, sondern stieB es mit der FuBspitze<br />
fort, so daB es dort überall verstreut war. Als er<br />
Reisbrei, Reiskuchen und gekochte Krebse sah,<br />
sprach er: »Diese Krebse sind gekrümmt und gerötet!«<br />
Da sagte seine Mutter: »Möge dich Gott auf diesem<br />
Meere vernichten! Mögest du von der Welt<br />
78
Beginn bis zum Jüngsten Tag unglücklich sein"!»<br />
Alsdann erhob seine Mutter die Hande und<br />
kehrte ihre Handfiachen nach unten mit den<br />
Worten: »Möge Gott der Höchste dich augenblicklich<br />
untergehen lassen! Möge dich der Donner<br />
rühren!«<br />
Da versank das Schiff und wurde mitsamt den<br />
Leuten und der gesamten Ladung zu Stein. Und<br />
die Mutter wurde ebenfalls zu Stein.<br />
Das Krokodilsei,<br />
aus dem ein Mensch entstand<br />
Z s war einmal ein Mann, der pflegte jeden Tag<br />
zu fischen. Tag für Tag tat er nichts anderes, als<br />
auf den Fischfang zu fahren. Obgleich er bereits<br />
sehr viele Fische besafi, fuhr er fort zu fischen.<br />
Eines Tages war er zum Fischen ans Meer gegangen,<br />
aber er fing nicht einen Fisch. Mittags<br />
warf er sein Wurfnetz nochmals aus. Als er zog,<br />
war es unmóglich, es zu heben; er zog wieder,<br />
aber wiederum war es unmöglich. Da tauchte er<br />
nach seinem Wurfnetz und sah, daB es am Boden<br />
an einem Haufen Krokodilseiern festgehakt<br />
war 1 . Deshalb dachte er: ,Die Krokodilseier<br />
haben mein Wurfnetz festgehalten!' Er nahm<br />
das obenliegende Krokodilsei mit; denn er sagte<br />
sich: ,Gibt es auch keine Fische, so ist doch nachher<br />
ein Krokodilsei als Spielzeug für mein Kind<br />
vorhanden. Wenn ich damit zu Hause ankomme,<br />
wird sich mein Kind darüber freuen!' Alsdann<br />
kehrte er heim. Das Krokedilsei nahm er mit<br />
und legte es zu seinem Kind in die Wiege.<br />
Da fragte ihn seine Frau: »Wo sind deine Fische?<br />
Den ganzen Tag hast du gefischt, und nicht einen<br />
Fisch hast du mir mitgebracht!«<br />
79
»Sind auch keine Fische da, so habe ich doch ein<br />
Ei als Spielzeug für den Kleinen gefunden!«<br />
Nachts begaben sich die Eheleute zur Ruhe, und<br />
das Ei befand sich in der Wiege ihres Kindes.<br />
Als der Tag angebrochen war, sahen sie, daB<br />
zwei Kinder in der Wiege lagen. Ihre GröBe und<br />
ihr Aussehen waren gleich, so daB sie das Menschen-<br />
und das Krokodilskind nicht herausfinden<br />
konnten. Da sagte der Mann: » I c h freue mich,<br />
daB aus meinem Kind zwei Kinder geworden<br />
sind!«<br />
Und seine Frau sprach: »Ich freue mich auch!«<br />
Aber innerlich war die Frau nicht zufrieden.<br />
Tagaus tagein dachte sie: ,Welches mag mein<br />
Kind und weiehes mag das Krokodilskind sein?<br />
Ich möchte mein Kind kennen!«<br />
Eines Nachts hatte die Frau einen Traum. Es<br />
kam ein Alter: »Weshalb du immer traurig bist,<br />
ist wegen deines Kindes. Ich weiB es: das, dessen<br />
Knochen stark sind, ist das Krokodilskind.«<br />
Als sie erwachte, erinnerte sie sich ihres Traumes,<br />
und sie teilte ihn ihrem Manne mit.<br />
Dieser erwiderte: »Es ist gut!«<br />
Dann befahlen sie ihren Kindern, zu laufen:<br />
»Lieblinge, lauft! Wer von euch beiden ist am<br />
schnellsten?«<br />
Und die Kinder liefen los. Das Krokodilskind<br />
war immer voran, und das Menschenkind blieb<br />
stets zurück. Als sie ihnen befahlen, zu ringen,<br />
war das Krokodilskind starker.<br />
Da sagte der Mann: »Dieses da, welches weniger<br />
Kr aft besitzt, ist dein Kind; und dieses starkknochige<br />
ist das Krokodilskind!« Nun waren sie<br />
zufrieden.<br />
Aber die Frau war es im Grunde noch immer<br />
nicht ganz. Deshalb sprach sie eines Tages zu<br />
SO
ihrem Mann: »Nimm die Kleinen mit an den<br />
Strand und laB sie dort tauchen! Und wenn du<br />
nach Hause zurückkehrst, dann teile mir mit,<br />
welches das starkere und welches das schwachere<br />
beim Tauchen war!«<br />
Am Strand angelangt, lieB er beide Kinder tauchen.<br />
Und das Menschenkind kam schnell hoch,<br />
aber das Krokodilskind tauchte nicht wieder auf,<br />
wenn es nicht herausgehoben wurde; denn es<br />
pflegte sich am Meeresgrunde festzuhalten.<br />
Nachdem der Mann mit seinen Kindern zurückgekehrt<br />
war, sagte er zu seiner Frau: »Das ist<br />
das Krokodilskind, und dies ist dein eigenes<br />
Kind!«<br />
Da war die Frau zufrieden, weil sie nun ihr eigenes<br />
Kind und das Krokodilskind kannte. Denn<br />
das sind die Zeichen des Krokodils- und des<br />
Menschenkindes. Bis jetzt noch ist ein Mensch,<br />
der kraftig tauchen kann, ein Mensch aus einem<br />
Krokodilsei. Er besitzt starke Knochen.<br />
Polambana und die Affen<br />
«?n einem Lande waren die Leute gerade dabei,<br />
Reis auf den Feldern zu pflanzen 1 . Da sahen sie,<br />
daB jeden Tag sehr viele weiBe Fischreiher<br />
kamen und die frischen Reispflanzen niedertraten,<br />
so daB sie umknickten und alle abstarben.<br />
Denn die Fischreiher suchten sich auf den frisch<br />
bepflanzten Reisfeldern Nahrung. Sie fressen<br />
namlich junge sawalil lantja-Fische 2 , Würmer<br />
aller Art und Heuschrecken. Jeden M<strong>org</strong>en<br />
kamen die Fischreiher, und abends flogen sie<br />
wieder nach dem Westen. So geschah es Tag<br />
für Tag. Die Reispflanzen aber fielen um und<br />
starben ab.<br />
SI
Eines Tages sprach deshalb der Herr jenes Landes:<br />
»Die Fischreiher vernichten unsere Reispflanzen<br />
völlig. An einem M<strong>org</strong>en treten sie ein<br />
ganzes Reisfeld nieder. Ich will deshalb demjenigen<br />
von euch, der die Vogel töten oder weit<br />
fortjagen kann, nach der Ernte Reis geben. Und<br />
ihr, meine Untertanen, sollt dasselbe tun!«<br />
»Wir wollen nachher nach der Ernte jeder einen<br />
Scheffel Reis geben!«<br />
In jenem Lande gab es nun einen Mann namens<br />
Polambana, der allein mit seiner Mutter war.<br />
Wahrend er am Tage ruhte, dachte er bei sich:<br />
,Könnte ich doch alle Fischreiher töten oder sie<br />
alle weit fortjagen! Könnte ich doch einen von<br />
ihnen als schönes Spielzeug fangen!' Dann nahm<br />
er ein Stück morschen Stamm und legte ihn an<br />
den Rand eines Reisfeldes.<br />
Als am folgenden Tage die Fischreiher kamen,<br />
lieBen sie sich auf dem Stamm nieder, den Polambana<br />
hingelegt hatte. Abends flogen sie dann<br />
alle wieder fort. Dann holte Polambana Kokosund<br />
Pinangpalmen-Blatter 3<br />
und legte sie auf<br />
den Stamm. Als die vielen Reiher am folgenden<br />
Tage wiederkamen und sich auf den Blattern<br />
niederlieBen, da dachte er: ,M<strong>org</strong>en lege ich<br />
mich unter diese Blatter!'<br />
Frühm<strong>org</strong>ens, als es noch dunkel war, begab er<br />
sich dorthin. Er verbarg sich s<strong>org</strong>faltig unter<br />
den Blattern und bewegte sich nicht.<br />
Nach einer Weile kamen die Reiher und lieBen<br />
sich auf dem verdeckten Stamm nieder. Da<br />
sprach der eine Reiher: «Vielleicht ist es ein<br />
Stamm, vielleicht befindet sich jedoch auch ein<br />
Mensch darunter.«<br />
Da umklammerte Polambana das Bein des sprechenden<br />
Reihers, und die anderen flogen er-<br />
82
schrocken davon. Polambana sprach: »Einen von<br />
euch Reihern habe ich nun gefangen. Wenn ihr<br />
wieder hierher kommt, fange ich euch alle!« Alsdann<br />
kehrte er nach Hause zurück. Dort fertigte<br />
er einen Kafig für seinen Reiher an.<br />
Da vernahm der Herrscher des Landes, daB Polambana<br />
einen Reiher gefangen hatte. Als der<br />
folgende Tag anbrach und sie sahen, daB die vielen<br />
Reiher nicht wiederkamen, sagten die Leute:<br />
»Wenn ich es gewuBt hatte, hatte ich sie auch<br />
wie Polambana mit List fangen können!«<br />
Aber da sprach der Herrscher: »Wenn ihr es<br />
verstanden hattet, dann würdet ihr sie gefangen<br />
haben. Aber es zu sagen ist leicht, es zu tun<br />
jedoch schwierig! Und nun gebt Polambana nach<br />
der Ernte jeder einen Scheffel Reis!«<br />
Mittlerweile starb Polambanas Mutter. Da nahm<br />
er seinen Reiherkafig und setzte ihn auf den<br />
Dachfirst, damit er nicht gestohlen würde; denn<br />
Polambana pflegte jeden Tag Leute zu besuchen.<br />
M<strong>org</strong>ens ging er fort, und abends kehrte er heim.<br />
Als er nun eines Tages wieder nach Hause kam,<br />
entdeckte er dort zugedeckten Reisbrei. Da<br />
dachte er: ,Woher stammt dieser Reisbrei? Wer<br />
hat ihn gekocht?' Er wollte ihn jedoch nicht<br />
essen; denn er meinte, er sei vergiftet, damit<br />
man nach seinem Tode seinen Vogel wegnehmen<br />
könne. Deshalb kochte er sich selber Reis. Nach<br />
dem Essen ging er wieder spazieren. Als er am<br />
folgenden Tage zurückkam und wiederum Reisbrei<br />
da war, da machte er sich Gedanken. Und<br />
er legte sich an einer versteckten Stelle neben<br />
seinem Haus auf die Lauer.<br />
Abends sah er eine Frau vom Dachboden herunterkommen<br />
und in die Küche gehen. Sie war<br />
sehr schön, es gab keine ihresgleichen im ganzen<br />
Land. Da dachte er bei sich: ,Woher kommt<br />
6* 83
diese Frau?' Dann ging er ganz leise auf den<br />
Dachboden, wahrend die Frau dabei war, Essen<br />
zu kochen. Er sah, daB sich sein Reiher nicht<br />
mehr im Kafig befand, sondern nur noch dessen<br />
Federn. Diese nahm er mit nach unten und<br />
verbrannte sie.<br />
Da sprang die Frau auf ihn zu mit den Worten:<br />
»M<strong>org</strong>en oder überm<strong>org</strong>en verbrenne meine<br />
Federn 4 !«<br />
Da wurden die Federn, die Polambana verbrannt<br />
hatte, zu Hühnern, Enten und Vögeln<br />
aller Art. Als sie dann zu plaudern begannen,<br />
sprach die Frau: »Die Leute in diesem Lande<br />
kennen sehr viele Listen!«<br />
Polambana sagte: »Woher kommt ihr? Wo befindet<br />
sich eure Heimat?«<br />
»Unsere Heimat ist dort, wo die Sonne untergeht.<br />
Wir kommen hierher, um uns Nahrung zu<br />
suchen. Wenn wir fortgehen, gibt uns unsere<br />
Mutter Flügel, damit wir ferne Lander aufsuchen<br />
können und dort zu essen fmden!«<br />
So vermehrte sich Polambanas Besitz. Er war<br />
fast so wohlhabend wie ein Reicher.<br />
Im Laufe der Zeit zog Polambana mit seiner<br />
Frau an den Waldrand nach dem Oberlauf 5 . Dort<br />
bauten sie sich eine Wohnung. Nach einiger Zeit<br />
kam eine Herde Affen, deren Anführer ein<br />
Brüllaffe 6<br />
war.<br />
Wenn Polambana nicht zu Hause war, ging der<br />
Brüllaffe zu der Frau und sprach: »LaB uns heiraten,<br />
Frau! Wenn du nicht willst, zermalme ich<br />
dich. Ich besitze viele Untertanen, und ich bin<br />
ihr Fürst!«<br />
Da erwiderte die Frau: »Mein Mann Polambana<br />
kennt sehr viele Listen, so daB wir ihm nicht<br />
S4
widerstehen können. AuBerdem ist er unverwundbar.«<br />
»Wenn er sich mit mir einlaBt, dann drücke ich<br />
ihn tot!«<br />
Die Frau fuhr fort: »LaB uns ihn nicht so ohne<br />
weiteres töten, sondern laB uns ihn vergiften!«<br />
»Was für ein Gift wollen wir denn verwenden?«<br />
»Bananen und gekochten Klebreis 7<br />
wollen wir<br />
ihm zu essen geben. Damit können wir ihn töten.«<br />
Der Brüllaffe sprach: »Das werden meine Unter<br />
tanen suchen!«<br />
Und die Affen machten sich auf den Weg und<br />
stahlen reife Bananen und Reis. Sie verjagten<br />
Frauen, die gerade beim Reisstampfen waren,<br />
und nahmen den erbeuteten Reis mit zu Polambanas<br />
Frau.<br />
Diese sagte: »Wenn ihr m<strong>org</strong>en herkommt, ist<br />
Polambana tot!« Zu ihrem Mann sprach sie:<br />
»Ich habe mit dem Brüllaffen vereinbart, daB<br />
wir dich mit reifen Bananen und Klebreis umbringen!«<br />
»Gut! Decke mich m<strong>org</strong>en mit einem Tuch zu<br />
und beginne dann laut zu weinen, damit sie alle<br />
hier hereinkommen! Nachher werde ich aufstehen<br />
und sie alle töten, damit sie uns nicht<br />
mehr belastigen und alle Pflanzen vernichten!<br />
Wenn das nicht das Mittel ist, sie umzubringen,<br />
dann werden wir die vielen Affen nicht los!«<br />
Als die Affen am folgenden M<strong>org</strong>en kamen, hub<br />
die Frau zu weinen an: »Uu, uu, Polambana ist<br />
gestorben!« Da waren die Affen froh. Die Frau<br />
befahl ihnen: »Bringt Badewasser für Polambana<br />
8 ; denn er ist gestorben!« Nachdem sie sehr<br />
viel Wasser geholt hatten, sagte die Frau:<br />
»Kommt alle hier herein! Ich gehe eben hinaus,<br />
um mir ein Tuch zu holen!«<br />
85
Und die Afren, groB und klein, gingen ins Haus,<br />
um sich den toten Polambana anzusehen. Aber<br />
eine trachtige Affin blieb drauBen auf dem Dach.<br />
Alsdann schloB die Frau den Hauseingang ab,<br />
so daB die Affen nicht hinauslaufen konnten.<br />
Da rief die Affin, die drauBen auf dem Dach<br />
saB: «Polambanas Augen öffnen sich!«<br />
Da stand Polambana auf und zerhackte die Affen<br />
mit seinem Schwert. Alle mitsamt dem Brüllaffen;<br />
nur die Affin auf dem Dach blieb am Leben<br />
und suchte das Weite.<br />
Der Mann und seine Frau aber trugen alle<br />
Affenleichen hinaus und wuschen das Blut im<br />
Hause mit dem Wasser weg, das die Affen selber<br />
geholt hatten. Fortan waren Polambana und<br />
seine Frau glücklich, weil ihnen niemand mehr<br />
etwas zuleide tat. Und nun gediehen auch die<br />
Pflanzen auf dem Acker.<br />
Als die Leute davon horten, waren sie ebenfalls<br />
froh und sagten: «Polambana kennt doch wirklich<br />
viele Listen! Was uns unmöglich ist, das vermag<br />
er zu vollbringen.«<br />
Die trachtige Affin aber, die in den Wald geflohen<br />
war, gebar dort ein mannliches Junges.<br />
Damit ist die Geschichte von Polambana und den<br />
Affen zu Ende.<br />
Die Kuh mit den drei Töchtern<br />
einer Landzunge war einmal eine Kuh,<br />
die sich in einer groBen Felsgrotte aufzuhalten<br />
pflegte. Abend für Abend kehrte sie dorthin<br />
zurück. Nach einiger Zeit nahm ihr Leib an Umfang<br />
zu, und bald brachte sie drei Tochter zur<br />
Welt, die sehr schön waren. Als sie bemerkte,<br />
daB die Neugeborenen nicht wie sie selbst aus-<br />
86
sahen, dachte sie: ,So sehen Menschen aus!' Dann<br />
holte die Kuh Gras und Blatter als Nahrung für<br />
ihre Tochter, aber diese wollten sie nicht essen.<br />
Deshalb machte sie sich auf die Suche nach<br />
Früchten, die von Menschen gegessen werden.<br />
Tagaus tagein holte sie alles das, was die Leute<br />
im Dorf aflen, als Nahrung für ihre Tochter. Einmal<br />
sprach sie zu ihnen: «Meine Tochter, jeden<br />
Tag gehe ich fort, um euch Nahrung zu holen.<br />
Wenn ich euch nicht beim Namen rufe, dann<br />
öffnet die Tür nicht! Wenn ich jedoch sage, .Prinzessin<br />
Opang, Prinzessin Dawango, Prinzessin<br />
Taringae ati', dann öffnet!«<br />
»Gut!« erwiderten ihre drei Tochter.<br />
Wahrenddessen kamen drei Manner, um die Kuh<br />
zu belauschen und um festzustellen, weshalb sie<br />
jeden Tag in die Felsgrotte zurückkehrte, und<br />
was sie dort vorhatte. So horten sie das Gesprach<br />
zwischen der Kuh und ihren Töchtern.<br />
Nachdem sie auf Nahrungssuche gegangen war,<br />
gingen die drei Manner nach der Grotte und riefen:<br />
«Prinzessin Opang, Prinzessin Dawango,<br />
Prinzessin Taringae ati, öffnet die Tür!« Als<br />
die Madchen geöffnet hatten, gingen die Manner<br />
hinein, und jeder von ihnen nahm sich eine<br />
Frau mit. In ihrem Wohnort angelangt, heirateten<br />
sie. Zu den Leuten sagten sie: »Es sind<br />
Menschenkinder, die wir aus einem anderen<br />
Lande mitgebracht haben.«<br />
Als die Kuh am Abend heimkehrte, sah sie, daB<br />
die Grottentür offen stand. Und als sie bemerkte,<br />
daB ihre Tochter nicht da waren, raste<br />
sie, bis sie ihren Körper an den Steinen wundgestoBen<br />
hatte. Alsdann machte sie sich auf die<br />
Suche nach ihren verschwundenen Töchtern.<br />
Im Laufe der Zeit entdeckte sie diese; denn sie<br />
hatte ihre Tochter noch nicht vergessen. Die<br />
87
eine war mit einem begüterten, die andere mit<br />
einem einigermaBen reichen und die dritte, die<br />
jüngste, mit einem armen Mann in jenem Dorf<br />
verheiratet. Als sie ihre alteste Tochter aufsuchte,<br />
war sie gerade dabei, Reis zu trocknen.<br />
»Kennst du mich, meine Tochter?« fragte ihre<br />
Mutter.<br />
»Wie kommt die Kuh dazu, zu sagen, ich sei<br />
ihre Tochter?«<br />
Ihre Mutter erwiderte: »Ich bin deine Mutter,<br />
die groBe Kuh! Wir wohnten damals in der gro<br />
Ben Felsgrotte. Du heiBt Prinzessin Opang, deine<br />
jüngere Schwester ist Prinzessin Dawango, und<br />
die jüngste Prinzessin Taringae ati.«<br />
Da schlug die Tochter ihre Mutter mit einem<br />
Bambus, bis sie weinend die Flucht ergriff. Als<br />
sie dann ihre zweitalteste Tochter fand und<br />
ebenso zu ihr sprach, schlug diese die Kuh mit<br />
einem Reisstampfer. »Du bist nicht meine Mutter!<br />
Wer weiB, wie die Kuh dazu kommt, zu<br />
sagen, ich sei ihre Tochter! Denn ich habe noch<br />
niemals gesehen, daB die Jungen einer Kuh<br />
Menschen sind.«<br />
Darauf begab sich die Kuh zu ihrer jüngsten<br />
Tochter. Als sie dort ankam, war diese gerade<br />
dabei, Reis auf dem Felde zu ernten. Als die<br />
Kuh sie fragte, »Kennst du mich, meine Tochter?«<br />
erwiderte diese: »Ich kenne dich, liebe<br />
Mutter; denn wir stammen aus der groBen Felsgrotte.<br />
Haben wir einander jetzt endlich wieder<br />
gefunden?«<br />
Da begannen beide zu weinen. Und als der<br />
Mann der Kuhtochter kam, nahm er sie mit<br />
nach Hause. Dort gaben sie der Kuh Essen und<br />
Arznei.<br />
88
Nach einiger Zeit teilte sie ihren Schwestern<br />
mit: » Unsere Mutter ist zu mir gekommen. Sie<br />
ist sehr krank.«<br />
Da sprachen sie: »Du erweckst den Eindruck, als<br />
ob du dich nicht vor den Leuten schamst. Denn<br />
nun wird man sagen, wir seien die Tochter einer<br />
Kuh. Wir wissen auch, daB sie unsere Mutter<br />
ist, aber wir sagen, sie sei es nicht. Schamst du<br />
dich nicht, wenn man dich für die Tochter einer<br />
Kuh halt?«<br />
Die jüngere erwiderte: »Mag es so sein! Ich<br />
werde nicht sagen, ich sei das Kind eines Menschen;<br />
denn soviel ich weiB, sind wir die Tochter<br />
einer Kuh!« Dann kehrte sie nach Hause<br />
zurück.<br />
Darauf sprach ihre Mutter: »Ich bin sehr krank,<br />
mein Kind! Wenn ich sterbe, dann nimm meine<br />
Augen heraus und pflanze sie auf den Hof vor<br />
deinem Haus!«<br />
Als ihre Mutter gestorben war und sie es ihren<br />
Schwestern mitteilte, sagten sie: »Mag die Kuh<br />
tot sein, denn sie war nicht unsere Mutter!«<br />
Da nahm sie die Augen ihrer Mutter und pflanzte<br />
sie mitten auf den Hof ihres Hauses. Die Kuh<br />
begruben sie auBerhalb des Zaunes.<br />
Nach sieben Tagen wuchs ein sehr schoner Baum<br />
an der Stelle, wo die Augen ihrer Mutter begraben<br />
waren. Es gab keinen derartigen Baum<br />
im ganzen Land. Und als er BlStter bekam,<br />
waren die des einen Zweiges Gold, die Blatter<br />
eines anderen waren Stoff, und ein Zweig trug<br />
nur Teller und Schüsseln. Das waren die Früchte<br />
des Baumes, der aus den Augen ihrer Mutter<br />
entstanden war.<br />
Da kamen ihre alteren Schwestern, die hiervon<br />
gehort hatten, und sagten: »Du bist jetzt reich<br />
geworden durch die Augen<br />
89
»Ich hindere euch nicht, wenn ihr davon nehmt!«<br />
Darauf nahmen ihre alteren Schwestern davon<br />
mit. Als sie zu Hause angelangt waren, war das<br />
Gold zu Stein, und waren die Kleider zu Blattern<br />
geworden. Aber die jüngste Schwester und<br />
ihr Mann, der arm gewesen war, wurden reich.<br />
Da kamen die Leute aus dem Dorf und sprachen:<br />
»In Zukunft laBt uns die Eltern nicht vergessen!<br />
Wenn wir Kuhkinder sind, so laBt uns<br />
das eingestehen, und wenn wir Menschenkinder<br />
sind, dann wollen wir das auch zugeben!«<br />
Der Mann, der dauernd angelte<br />
J-n einem Dorf gab es einmal einen Mann, der<br />
standig angelte; Tag und Nacht war das seine<br />
Beschaftigung. Nachts ging er ans Meer 1 , und<br />
am Tage angelte er am FluBufer. Sein Haus<br />
faBte die Fische schon nicht mehr, weil er jeden<br />
Tag angelte.<br />
Deshalb sagte seine Frau: »Du tust nichts anderes,<br />
als immer nur angeln. Was hast du nur für<br />
einen Nutzen davon? Denn du hast schon sehr<br />
viele Fische gefangen!«<br />
»Was verstehst denn d u davon? Für mich ist<br />
es das, was mein Herz begehrt; das Angeln bereitet<br />
mir Vergnügen. So haben wir Fische zum<br />
Verkaufen und auch zum Essen. Deshalb angle<br />
ich immer.«<br />
Eines Tages ging er zum Angeln an einen kurzen<br />
Bach. Als ein alabol-larodon-Fisch 2<br />
angebissen<br />
hatte, warf er ihn in seinen Korb. Dann<br />
wartete und wartete er, aber es bissen keine<br />
Fische mehr an seinen Angelhaken an. Deshalb<br />
kehrte er heim.<br />
Als er den Vordergarten seines Hauses 3<br />
erreicht<br />
hatte, kam sein Töchterchen, das so groB war,<br />
90
daB es schon Kleidung trug", und fragte: »Hast<br />
du viele Fische gefangen, Vater?«<br />
»Einen alabol-Fisch!«<br />
Als er ihn mit ins Haus nehmen wollte, fragte<br />
es seinen Vater: »Darf ich mit diesem alabol-<br />
Fisch spielen?«<br />
»Sicher!« antwortete er.<br />
Da nahm es den Fisch und tat ihn in eine Schüssel<br />
mit Wasser, damit er nicht stürbe. Als es<br />
zwei Körner vom Reisbrei nahm und sie dem<br />
Fisch zu fressen gab, verzehrte er diese auch.<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en sah es, daB der alabol-<br />
Fisch groB geworden war. Da nahm es eine Fingerspitze<br />
voll Reisbrei 5<br />
und tat ihn als Futter<br />
für seinen Fisch in die Schüssel. Nachdem der<br />
Fisch noch gröBer geworden war, tat es ihn aus<br />
der Schüssel in einen Büffeltümpel. Als er weiter<br />
Tag für Tag an GröBe zunahm, trug es ihn<br />
in einen Bach, und SchlieBlich brachte es ihn in<br />
einen FluB. Es gab seinem alabol-Fisch Reisbrei,<br />
gestampften Reis und alles was es fand, zu<br />
fressen.<br />
Dann starb der Vater, und im Laufe der Zeit<br />
segnete auch die Mutter das Zeitliche, so daB die<br />
Tochter allein auf der Welt blieb. SchlieBlich<br />
waren der ungeschalte und der geschalte Reis<br />
sowie die Ziegen, Hühner und Büffel verbraucht,<br />
weil sie alles dem alabol-Fisch zu fressen gegeben<br />
hatte. Deshalb war er auch so groB wie<br />
ein riesiger tauhao-Stamm 6 .<br />
Als sie eines Tages ohne Nahrung zu ihrem<br />
Fisch kam, sprach dieser: »Wo ist das Essen, das<br />
du mir mitgebracht hast?«<br />
»Die Vorrate meines Vaters sind schon alle verbraucht,<br />
weil ich sie dir zu fressen gegeben habe.<br />
Geh nun und suche dir anderswo Nahrung!«<br />
91
Da erwiderte der Fisch: »Wenn du keine Nahrung<br />
für mich hast, dann komm her, damit ich<br />
dich verschlinge!«<br />
Als das Madchen dann auf den Kopf des Fisches<br />
sprang, sagte der alabol: »Ich fresse dich, Maden<br />
en!«<br />
»Gut, friB mich nur, lieber alabol; denn ich<br />
fürchte mich nicht vor dir, habe ich dich doch<br />
von klein auf groBgemacht! Wenn du mich jetzt<br />
friBt, verfluche ich dich, so daB du zu Staub<br />
wirst. Viel von dem Besitz meines Vaters befindet<br />
sich in deinem Bauch, und ich bin es<br />
durchaus müde, dir jeden Tag Nahrung zu bringen!«<br />
»Wenn es sich so verhalt, kann ich dich unmöglich<br />
fressen. Wir beide wollen deshalb einen<br />
gerechten Richter aufsuchen. LaB uns nach dem<br />
Oberlauf gehen!« Alsdann gingen sie den FluBlauf<br />
hinauf.<br />
Als sie einer treibenden Bananenstaude begegneten,<br />
sagte der alabol-Fisch: »Wir bitten dich<br />
um ein Urteil!«<br />
Die Bananenstaude erwiderte: »Die Menschen<br />
sind immer so. Ich war sehr schön und stattlich;<br />
aber da kamen Leute und schlugen mich<br />
ab. Deshalb friB das Madchen sofort!«<br />
Und als sie nach dem Oberlauf weitergingen,<br />
trafen sie einen treibenden Baumstamm. Wiederum<br />
sprach der Fisch: »Wir bitten dich um<br />
ein Urteil!«<br />
Der Baumstamm antwortete: »Verschlinge das<br />
Madchen sofort; denn alle Leute in diesem Lande<br />
sind so. Ich stand auf dem Festland. Da warfen<br />
sie mich in den FluB und beschmutzten mich.«<br />
Weiter fluBaufwarts begegneten sie einem Krebs.<br />
»Wir bitten dich um ein Urteil, Bruder Krebs!«<br />
92
Der Krebs entgegnete: »Wenn du das Madchen<br />
nicht friBt, fresse ich es! Denn die Menschen<br />
sind voller Listen. Uns ködern sie zuerst, und<br />
dann fangen sie uns 7 . Ihre Beschaftigung ist es,<br />
uns FluBinsassen zu überlisten. Aber dort am<br />
Oberlauf dieses Flusses gibt es einen Fürsten.<br />
Bittet ihn um ein Urteil!«<br />
Sie machten sich sofort auf den Weg. Als sie<br />
dort ankamen, war der Fürst gerade am FluBufer,<br />
wo er immer zu baden pflegte.<br />
Da sprach der Mensch: »Was ist mit dir, alabol-<br />
Fisch, daB du ein Madchen auf dem Kopf hast?«<br />
Der Fisch erwiderte: »Wir bitten Euch, den<br />
Herrn dieses Flusses, um ein gerechtes Urteil!«<br />
Der Fürst erwiderte: »Wenn ihr es befolgen<br />
wollt, sage ich es; wenn nicht, dann sage ich es<br />
nicht!«<br />
Darauf ging der Fürst an Land und sprach bei<br />
sich: ,Diese Frau ist sehr schön. Wenn der alabol-Fisch<br />
sie friBt, bin ich sehr traurig, weil ich<br />
dann das Antlitz dieser Frau nicht mehr erblikken<br />
kann. Denn in meinem ganzen Reich bin<br />
ich noch niemals einer Frau von derartiger<br />
Schönheit begegnet.' Dann sagte der Fürst zum<br />
Fisch: »Befolgt alle beide, was ich euch nun<br />
sage!« Zum alabol-Fisch sprach er dann: »Wenn<br />
ich ,du...' sage, friB sie!« Und zur Frau sagte<br />
er: »Wenn ich sage ,spr ...' dann springe!«<br />
Als der Fürst dann »du...« zum alabol-Fisch<br />
sagte, sprang die Frau sofort an Land 8 . Der<br />
Fisch schnappte auch zu, aber in sein Maul geriet<br />
Wasser.<br />
Da sagte der Fürst: »Das Urteil ist gefallt. Warum<br />
hast du das Madchen nicht gefressen? Ich<br />
habe doch ,du...' gesagt! Jetzt hast du keine<br />
Gelegenheit mehr dazu; denn nun gehort diese<br />
93
Frau mir. Und jetzt geh heim! Wenn du es nicht<br />
tust, töte ich dich!« Darauf nahm der Fürst die<br />
Frau mit sich.<br />
Dort zu Hause sagte sie: »Wenn du nicht gewesen<br />
warst, dann ware ich bereits tot, weil mich<br />
der groBe alabol-Fisch gefressen hatte. Deshalb<br />
will ich mich jetzt mit dir vermahlen. Das soll<br />
die Belohnung dafür sein, die ich dir, o Fürst,<br />
zuteil werden lasse!« Dann heirateten der Fürst<br />
und die Frau einander.<br />
Ein Mann aus jenem Lande bemerkte dazu:<br />
»Was dem Fürsten gehort, kann nicht dem Untertan<br />
zukommen. So war es auch mit der Frau<br />
und dem alabol-Fisch. LaBt uns Menschen in<br />
diesem Lande stets dessen eingedenk sein!«<br />
Bis da geht diese Erzahlung. Die Atjeher 9<br />
sagen<br />
folgendermaBen: »Das Glück des Tigers geht an<br />
das Krokodil über.«<br />
Das Madchen und die Riesenm<br />
ü c k e n<br />
,?n einem Lande am Oberlauf eines Flusses war<br />
einmal ein Fürst, der sehr viele Untertanen<br />
hatte. Weil sie Felder angelegt und Reis darauf<br />
gepflanzt hatten, gab es viele Lebensmittel in<br />
dem Lande. Im Laufe der Zeit kam eine Riesenmücke,<br />
die sich auf die Menschen dort setzte,<br />
so daB einige von ihnen sogar starben. Deshalb<br />
sprach der Fürst: »Wenn die Sonne niedrig steht,<br />
zündet rund herum um eure Hauser Feuer an,<br />
damit alle Feinde und Damonen fernbleiben!<br />
Wir aber halten uns am Waldrand auf!«<br />
Darauf zündeten sie Feuer an, wie der Fürst<br />
gesagt hatte. Nach geraumer Zeit kamen zwei<br />
Mücken. Wenn sie flogen, waren sie so groB wie<br />
eine Ziege. Wenn Rauch vorhanden war, dann<br />
94
kamen sie nicht in die Nahe der Hauser 1 . Aber<br />
wenn kein Rauch vorhanden war, dann kamen<br />
die Riesenmücken, um das Blut der Menschen<br />
auszusaugen. Deshalb starben viele Leute durch<br />
sie. Die Mücken wurden immer zahlreicher, so<br />
daB sie schon überhand nahmen und jeden<br />
Abend in die Nahe der Hauser kamen.<br />
Deshalb sprach der Fürst: »Wïr wollen diesen<br />
Riesenmücken jetzt Nahrung geben, damit sie<br />
unser Land nicht mehr heimsuchen! Bringt<br />
ihnen abends blutreiche Hühner nach dem Waldrand!<br />
Einer nach dem andern bringe ihnen Hühner!»<br />
Da machten die Leute sich auf den Weg und<br />
brachten sehr groBe Hühner hin. Nachdem die<br />
Hühner verbraucht waren, brachten sie Hunde<br />
hin. Nachdem im Laufe der Zeit auch die Hunde<br />
verbraucht waren, brachten sie Tag für Tag Ziegen<br />
hin. SchlieBlich brachten sie den Mücken<br />
jedesmal einen Büffel als Nahrung. Da kamen<br />
die Riesenmücken nicht mehr jeden Abend ins<br />
Land.<br />
Als nun im Laufe der Zeit auch die gesamten<br />
Büffel der Leute verbraucht waren, sprach der<br />
Fürst: »Nun sind auch die Büffel verbraucht.<br />
Was erscheint euch ratsam, und was wollt ihr<br />
tun, damit diese Mücken uns nicht ganzlich auffressen?«<br />
Da sprach ein Mann: »LaBt uns dieses Land verlassen!»<br />
Aber die anderen Leute mein ten: »Wenn wir<br />
unser Land verlassen, haben wir nichts zu essen;<br />
denn hier gewinnen wir unsere Nahrungsmittel.«<br />
Darauf schlug der Fürst vor: »LaBt uns den<br />
Mücken nun alte Leute zu fressen geben, und<br />
zwar jedesmal je einen! Bringt abends die Alten<br />
nach dem Waldrand!«<br />
95
Und sie brachten einen halbtoten Alten dorthin,<br />
und am folgenden Abend geschah es wiederum so.<br />
Als es allmahlich auch keine alten Leute mehr<br />
gab, da sprach der Fürst: «Bringt blinde und<br />
taube Leute dorthin!«<br />
Als nach geraumer Zeit auch keine Blinden und<br />
Tauben mehr da waren, sagte der Fürst: «Bringt<br />
nun die anderen gebrechlichen und lahmen Leute<br />
hin!«<br />
Als auch von ihnen keine mehr vorhanden waren<br />
und die Mücken wieder zahlreicher wurden,<br />
sagte der Fürst: »Bringt Tag für Tag von jedem<br />
Haus einen Erwachsenen hin!«<br />
Als auch von ihnen keine mehr vorhanden<br />
waren, wurden auch alle Kinder den Mücken als<br />
Nahrung zugeführt. SchlieBlich blieben nur noch<br />
die Leute im Hause des Fürsten übrig.<br />
Da sprach dieser: »Nun sind auch schon die Kinder<br />
der Untertanen, Knaben und Madchen, aufgefressen.<br />
Was ist jetzt zu tun?«<br />
Seine Frau erwiderte: »Du oder ich oder unsere<br />
alte Mutter wollen nun als Nahrung der Mücken<br />
dienen!«<br />
Ihr Gatte meinte jedoch: «LaBt uns unsere<br />
Tochter hinbringen, und dann laBt uns von hier<br />
fliehen!«<br />
Als seine Frau da zu weinen begann, sagte die<br />
Tochter: »Bringt mich nur dorthin, liebe Eltern!<br />
Denn wenn ihr dorthin geht, sind die Erhalter<br />
dieses Landes nicht mehr vorhanden!«<br />
Dann gaben sie ihrer Tochter, die sehr schön und<br />
ihr einziges Kind war, süBe Speisen zu essen,<br />
weil sie in den Tod gehen sollte. Wahrenddessen<br />
röstete die GroBmutter Bataten 2<br />
und füllte sie in<br />
ein Körbchen mit den Worten: »Hier ist Essen<br />
96
für dich, wenn du die Mücken erwartestk Alsdann<br />
brachten sie ihre Tochter fort.<br />
Als sie am Abend den Korb mit den gerösteten<br />
Bataten öffnete, sah sie, daB sich Glut am Stiel<br />
derselben befand. Sie entfachte die Glut und<br />
zündete alle dort befindlichen trockenen Blatter<br />
und Zweige damit an. Dann legte sie rund um<br />
sich herum ein Feuer und begab sich selbst in<br />
die Mitte. Als die Riesenmücken das Madchen<br />
erblickten, flogen sie in seine Nahe, weil sie es<br />
für Nahrung hielten. Dabei gerieten sie jedoch<br />
in die Flammen, so daB ihre Flügel verbrannten.<br />
Sie konnten das Madchen nicht fressen, weil<br />
ringsherum Feuer lohte. So wurden die Mücken<br />
vom Feuer, in das sie hineinflogen, vernichtet.<br />
Darauf sprach das Madchen: «Seid ihr Mücken<br />
nun alle tot? Es ist nur ein Glück, daB meine<br />
Eltern und meine GroBmutter am Leben geblieben<br />
sind, nachdem ihr jetzt alle vernichtet seid.<br />
Denn ihr habt wirklich viele Untertanen umgebracht.<br />
Und dies ist nun die euch von Gott gesandte<br />
Vergeltung!« Dann kehrte es zu seinen<br />
Eltern zurück.<br />
Als es dort ankam, waren sie alle dabei, zu weinen<br />
und zu klagen: «LaBt uns m<strong>org</strong>en alle drei<br />
als Nahrung für die Mücken dorthin gehen, damit<br />
wir alle auf einmal umkommen!«<br />
Da sagte das Madchen: «Hallo, Mutter, wo seid<br />
ihr? Ich bin noch nicht gestorben. Ihr habt noch<br />
Glück gehabt; denn ich habe einen Ausweg gefunden.<br />
Die Mücken sind zwar zu mir gekommen,<br />
aber sie sind alle vernichtet!«<br />
Sie waren glücklich, als sie die Worte ihres geliebten<br />
Kindes vernahmen. Sie hoben es hoch<br />
und küBten es.<br />
Bis da geht die Erzahlung von den Riesenmücken<br />
und dem Madchen. Die Maden aus den toten<br />
7<br />
97
Mücken wurden zu sehr kleinen Mücken. Diese<br />
kommen nicht in die Nahe der Hauser, wenn<br />
Feuer raucht.<br />
Ein Jüngling<br />
wird von einem Büffelkopf<br />
getötet<br />
£s war einmal ein reicher Mann, der sagte eines<br />
Tages zu seiner Frau: »Wir besitzen zwar sehr<br />
viel Gold, aber dieser viele Besitz hat keinerlei<br />
Nutzen. Wie denkst du nun darüber? Wir haben<br />
keine Kinder, weder einen Sohn noch eine Tochter.<br />
Wie können wir nur zu einem Kinde kommen<br />
?«<br />
Da antwortete seine Frau: »Wenn du willst,<br />
so laB uns ein Gelübde ablegen. Wir bitten Gott<br />
und den Propheten, daB wir einen Sohn bekommen<br />
mögen, der dich vertreten kann.«<br />
Alsdann beteten sie: »0 Gott, o Herr, mochten<br />
wir doch einen Sohn erhalten! Wenn uns ein<br />
Sohn geboren wird, so werden wir ihn sein ganzes<br />
Leben lang nicht nach unten lassen, um die<br />
Erde zu beschreiten; mag er nur hier im Hause<br />
groB werden! Seine Beschaftigung soll nur in<br />
Essen und Schlafen bestehen, bis er ganz alt ist!«<br />
Nach einiger Zeit war dann offensichtlich, daB<br />
die Frau des reichen Mannes guter Hoffnung<br />
war. Als ein Sohn von sehr schönem Aussehen<br />
das Licht der Welt erblickte, sprach der reiche<br />
Mann: »Ruft mir den Astrologen her; denn ich<br />
möchte ihn etwas fragen!« Dieser erschien dann.<br />
»Sieh mal nach, was das vorherbestimmte Lebensende<br />
meines Sohnes ist, was ihn töten wird!«<br />
Da öffnete der Astrologe seine Bücher und sah<br />
nach der Todesursache des Kindes. Diese war,<br />
daB ihn spater ein Büffel aufspieBen würde.<br />
98
Nachdem der Astrologe dem Reichen dies nach<br />
einigem Zögern mitgeteilt hatte, sagte dieser:<br />
«Astrologe, jetzt gebe ich dir ein Geschenk!« Alsdann<br />
kehrte der Astrologe heim, und der Reiche<br />
sprach zu allen Hausbewohnern: »LaBt mein<br />
Kind nicht nach unten gehen, laBt es nicht die<br />
Erde betreten, bis es erwachsen ist! Denn der<br />
Astrologe hat gesagt: seine Todesursache wird<br />
sein, daB ein Büffel es aufspiefit. LaBt es deshalb<br />
nicht hinuntergehen, wenn ich nicht zu<br />
Hause bin!«<br />
»Es ist gut«, erwiderten die Hausbewohner.<br />
Im Laufe der Zeit heiratete der Sohn des Reichen.<br />
Er hatte bereits Kinder in dem Haus, aber<br />
noch nicht ein einziges Mal war er hinuntergegangen.<br />
Eines Tages kamen nun Leute, um<br />
dem Reichen einen Büffelkopf zu bringen, den er<br />
gekauft hatte.<br />
Als sie ankamen, hörte der Sohn davon und<br />
fragte seine Mutter: »Liebe Mutter, woher<br />
kommt der Büffelkopf? Lafi ihn mich betrachten,<br />
wie er aussieht!« Er naherte sich ihm, weil<br />
seine Mutter vergessen hatte, ihn zu warnen.<br />
Darauf stieB der Sohn des Reichen den Büffelkopf<br />
mit den FüBen und sprach: »Das ist also<br />
der Büffel, der mich nach den Worten des groBen<br />
Astrologen tötet!« Dabei traf sein FuB die Spitze<br />
des Büffelhorns. Der FuB war verwundet und<br />
schwoll an. Der Sohn konnte nicht aufstehen<br />
und starb sofort.<br />
Da sagten die Leute im Lande: »Wie sehr wir<br />
auch unser Leben hüten, wenn Gottes RatschluB<br />
es will, so ereilt es einen doch irgendwann.<br />
Wenn wir auch in eine Kiste kriechen, so sterben<br />
wir doch!«<br />
»Deine Worte sind auch wahr, Vater, und sie<br />
sind eine Lehre für uns!«<br />
7*<br />
99
SCHWANKE<br />
Der Arme, der Pflüge verbarg<br />
n einem Lande war<br />
einmal ein Fürst,<br />
der jedes Jahr<br />
allen Leuten den<br />
Auftrag gab, Reis<br />
zu pflanzen und<br />
Pflanzungen anzulegen.<br />
Nicht ein<br />
einziger durfte<br />
zurückbleiben, sie<br />
alle muBten arbeiten.<br />
Eines Tages sprach der Fürst: «M<strong>org</strong>en<br />
früh geht ihr alle, groB und klein, hinunter auf<br />
die Reisfelder!«<br />
Da hörte ein Armer im Lande, daB die Leute<br />
Vorbereitungen trafen, um am folgenden Tage<br />
Beete für die Setzlinge herzurichten 1<br />
und die<br />
Reisfelder zu pflügen. Deshalb sprach der Arme<br />
bei sich: ,Wir haben jetzt nichts zu essen. Wenn<br />
wir etwas kaufen mochten, ist kein Geld da; und<br />
wenn wir darum bitten, so gibt man uns nichts.'<br />
Deshalb sagte er zu seiner Frau: »Ob ich hingehe<br />
und die Pflüge verstecke? Vielleicht ruft<br />
man mich nachher, um Auskunft zu geben!«<br />
Seine Frau antwortete: »Deine List kann vielleicht<br />
Erfolg haben.«<br />
100
Da machte sich der Arme auf den Weg, um alle<br />
Pflüge 2<br />
der Leute wegzunehmen. Er nahm jedesmal<br />
einen auf die Schulter; und dann versteckte<br />
er sie alle im Walde. Er verbarg sie unter einem<br />
hohen Baum, der dort im Urwald stand. Die<br />
ganze Nacht war er damit beschaftigt, dann<br />
kehrte er in seine Wohnung zurück.<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en bemerkten die Leute, dafi<br />
ihre Pflüge nicht an ihrem Platz waren; deshalb<br />
fragte ein Mann einen anderen, der ganz nahe<br />
bei seinem Reisfeld wohnte: »Mein Pflug ist verschwunden!<br />
Wer weiC, wer ihn mitgenommen<br />
hat!«<br />
Da antwortete der Gefragte: »Auch mein Pflug<br />
ist verschwunden!«<br />
Sie machten sich im Krüppelholz auf die Suche<br />
nach ihren Pflügen, aber sie fanden sie nicht.<br />
Unterwegs begegneten sie anderen Leuten, die<br />
ebenfalls auf der Suche nach ihren Pflügen waren.<br />
Gemeinsam gingen sie zum Fürsten: »Mein<br />
Fürst, seid nicht zornig auf uns, aber heute können<br />
wir noch nicht mit dem Pflügen beginnen;<br />
denn alle unsere Pflüge sind spurlos verschwunden!«<br />
Da sprach der Fürst: »Sucht gründlich danach!<br />
Oder aber ruft einen Astrologen, damit er in seinem<br />
Almanach nachsehe 3 !«<br />
Und sie suchten einen Astrologen auf. Er sah in<br />
seinem Almanach nach, aber es war nichts zu<br />
sehen. Deshalb kehrten die Leute zum Fürsten<br />
zurück und erstatteten ihm Bericht: »In dem<br />
Almanach des Astrologen ist nichts zu sehen. Er<br />
sagte, wir sollten einen Menschen suchen, der<br />
sich auf das Prophezeien versteht. Er könne<br />
nichts aus seinen Büchern ersehen.«<br />
Der Fürst entgegnete: »Wen habt ihr noch nicht<br />
befragt?«<br />
101
»Einen Armen haben wir noch nicht befragt!«<br />
«Dann holt ihn hierher, denn vielleicht kann er<br />
die verschwundenen Pflüge wiederbeschaffen!«<br />
Sofort holte man den Armen, und der Fürst<br />
sagte zu ihm: »Wenn du die Pflüge dieser Leute<br />
wiederbeschaffen kannst, gebe ich dir Nahrung,<br />
Armer! Für einen Pflug gebe ich dir nachher<br />
einen Scheffel Reis. Und wenn du sie augenblicklich<br />
findest, dann gebe ich dir noch mehr<br />
Reis!«<br />
Der Arme erwiderte: »Ich will es versuchen und<br />
in meinen Büchern nachsehen, mein Fürst!« Als<br />
er in seinem Almanach nachgesehen hatte, sagte<br />
er: «Anscheinend wird man die Pflüge noch finden;<br />
denn sie scheinen dort im Walde versteekt<br />
zu sein.« Und zu den Pflugbesitzern sprach er:<br />
»Dort steht ein groBer Baum; unter den hat man<br />
die Pflüge gestellt. Das sehe ich in meinem<br />
Almanach.«<br />
«Ist es der, welcher gegenüber von jenem Baum<br />
steht? «<br />
Der Arme antwortete: »Ich kann euch den Baum<br />
nicht zeigen, aber der, welcher dort steht, ist es,<br />
den mein Almanach erwahnt! Versucht es nur<br />
und geht nach dem Baum!«<br />
Und die Leute machten sich alle auf die Suche.<br />
Von der Ebene hielten sie Ausschau nach den<br />
höchsten Baumen im Walde. Und als sie dann<br />
einen Baum erblickten, der höher als alle anderen<br />
im Walde war, gingen sie dorthin. Und siehe<br />
da, ihre Pflüge standen alle unter dem Baum!<br />
Sie nahmen sie mit und erstatteten dem Fürsten<br />
Bericht.<br />
Er war froh, weil seine Untertanen nun wieder<br />
arbeiten konnten, und er sprach zu den Leuten:<br />
«Nun gebe ein jeder von euch dem Armen die<br />
versprochene Menge Reis! Denn wenn er nicht<br />
102
gewesen ware, so hattet ihr in diesem Jahr nicht<br />
arbeiten können!«<br />
Da gaben sie dem Armen geschalten und ungeschalten<br />
Reis. Und der Arme war glücklich;<br />
denn nun besaB er Reis im ÜberfluB. Er sprach<br />
bei sich: ,Für dieses Jahr haben wir genug zu<br />
essen, vielleicht verzehren wir noch nicht einmal<br />
alles. Und vermutlich gibt man mir nach<br />
dieser Ernte auch noch einen Teil von dem neuen<br />
Reis als Belohnung dafür, daB ich ihre Pflüge<br />
wiedergefunden habe.'<br />
Im Laufe der Zeit horten auch Leute aus einem<br />
anderen Lande von diesem Ereignis. Deshalb<br />
sagten sie: »Es gibt dort einen Mann, der sich<br />
gut aufs Prophezeien versteht. Alles, was jahrelang<br />
verschwunden war, vermag er in seinem<br />
Almanach zu finden. Alles, was andere Astrologen<br />
nicht wissen, kann er aufsuchen!«<br />
Als ein reicher Mann das hörte, sagte er: »Wir<br />
wollen uns den Mann einmal ansehen, der wahrzusagen<br />
versteht, und von dem man sagt, daB<br />
sein Verstand wirklich bemerkenswert ist!«<br />
So segelten sie denn mit einem Schiff und viel<br />
Ladung los. Nachdem sie in einer Bucht am Gestade<br />
jenes Fürsten angekommen waren, feu erten<br />
sie dreimal eine groBe Kanone ab.<br />
Der Fürst schickte Leute an Bord, die fragten<br />
den Kapitan: »Weshalb kommt euer Schiff hierher?<br />
Wünscht ihr Krieg, oder wollt ihr etwas<br />
anderes?«<br />
Der Kapitan antwortete: »Wir haben keineswegs<br />
den Wunsch, Krieg zu führen; wir mochten uns<br />
nur das Reich dieses Fürsten ansehen. Ich habe<br />
namlich wiederholt gehort, daB es in diesem<br />
Lande einen Mann gibt, der sich gründlich im<br />
Almanach auskennt. Was auch immer zu Lande<br />
103
und zu Wasser verschwand, das kann er finden.<br />
Teilt eurem Herrn mit, daB ich mit ihm eine<br />
Wette um Gurkenkerne abschlieBen möchte.<br />
Denn ich habe drei Gurken mitgebracht, eine<br />
groBe, eine mittlere und eine sehr kleine. Wenn<br />
er die Anzahl der Gurkenkerne erraten kann,<br />
dann übergebe ich ihm mein ganzes Schiff mitsamt<br />
der Ladung. Ich will dann völlig mittellos<br />
heimkehren. Aber wenn der Fürst die Anzahl<br />
der Kerne nicht erraten kann, dann geht dieses<br />
ganze Land an mich über, und die Untertanen<br />
beherrsche ich dann!«<br />
Das teilten sie dem Fürsten mit. Und er erwiderte:<br />
»Gut denn, was bleibt mir anderes<br />
übrig? Ich kann den Vorschlag des Kapitans<br />
nicht zurückweisen, weil ich mich dann schame.<br />
Er möge also in drei Tagen kommen!«<br />
Alsdann lieB er den Armen zu sich rufen: »0<br />
Armer, jetzt ist ein Kapitan mit seinem Schiff<br />
gekommen, der möchte eine Wette eingehen und<br />
verlangt, daB ich die Anzahl der Kerne seiner<br />
Gurken errate. Wer das vermag, dem gibt er<br />
sein ganzes Schiff. Aber wenn ich sie nicht erraten<br />
kann, dann nimmt er dieses Land und alle<br />
Untertanen an sich. Jetzt steht es bei dir, die<br />
Anzahl der Gurkenkerne zu erraten. Wenn du<br />
das nicht kannst, schlage ich dir den Kopf ab!«<br />
Der Fürst fuhr fort: »Warst du doch nur nicht<br />
imstande gewesen, die verschwundenen Pflüge<br />
wiederzubeschaffen! Denn nun reicht dein Ruhm<br />
bereits bis in fremde Lander, weil du groBe<br />
Kenntnisse besitzst. Alle erzahlen, zu Lande und<br />
zu Wasser vermöchtest du alles zu finden!«<br />
»Mein Fürst«, antwortete der Arme, »ich will<br />
zwar nach besten Kraften versuchen, es zu erraten,<br />
aber wenn es mir nachher nicht geüngt,<br />
dann liegt mir nichts mehr an meinem biBchen<br />
104
Leben. Ich bitte Euch um drei Tage Zeit, dann<br />
komme ich wieder zu Euch, mein Fürst!«<br />
Darauf kehrte der Arme heim. Den ganzen Weg<br />
über war er in tiefster Bes<strong>org</strong>nis; denn er dachte<br />
bei sich: ,Diesmal geht es mir an den Kragen,<br />
denn der Fürst wird mich töten.' Zu Hause sagte<br />
er zu seiner Frau: »Triff jetzt Vorbereitungen,<br />
denn wir wollen mit unseren Kindern aus diesem<br />
Lande fliehen! Ich befürchte namlich, daB<br />
der Fürst mich tötet, wenn ich die Anzahl der<br />
Kerne von den Gurken, die der Kapitan mitgebracht<br />
hat, nicht erraten kann.«<br />
Sie bereiteten ihre Flucht vor, und nachts paddelten<br />
sie in einem Boot nach der FluBmündung.<br />
Dort trieben sie jedoch in die Nahe des fremden<br />
Schifïes. Da horten sie, wie Leute sich unterhielten;<br />
der Kapitan und der Astrologe auf dem<br />
Schiff sagten gerade: »Diese groBe Gurke hat<br />
einen Kern, die mittlere hat drei Kerne und die<br />
kleinste hat sieben Kerne.«<br />
Als der Kapitan seinen Astrologen fragte, »Ist<br />
das nachher auch nicht falsch?« antwortete dieser:<br />
»Das ist auf keinen Fall falsch, magst du<br />
mit mir anfangen, was du willst!«<br />
Der Arme und seine Familie hatten diese Unterhaltung,<br />
die sie nicht hören durften, gehort. Deshalb<br />
kehrten sie an Land zurück. Sie flohen<br />
nicht, weil sie nun die Anzahl der Gurkenkerne<br />
kannten.<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en riefen die Leute den Armen<br />
zum Fürsten. »Wie ist es, kannst du die<br />
Anzahl der Gurkenkerne erraten?«<br />
»Mit Eurem Segen ist es wahrscheinlich möglich.<br />
Ich will deshalb versuchen, ihre Anzahl zu<br />
erraten. Wenn es nachher nicht gelingt, dann<br />
schneidet mir den Kopf ab!«<br />
»Es ist gut«, erwiderte der Fürst.<br />
105
Darauf kamen der Kapitan und sein Astrologe<br />
mit den drei Gurken. »Errate die Anzahl der<br />
Kerne dieser Gurken!«<br />
»Gut, hoher Herr, ich will versuchen, es zu erraten!<br />
Aber wenn ich es nicht kann, dann seid<br />
nachher nicht zornig!« Nach einiger Zeit sagte<br />
der Arme: »Die gröBte Gurke hat einen Kern,<br />
die mittlere hat drei Kerne, und die kleinste hat<br />
sieben Kerne! Spaltet die Gurken, und prüft es!«<br />
Da erwiderte der Astrologe vom Schiff: »Wir<br />
glauben nicht, daB die gröBte Gurke nur einen<br />
Kern und die kleinste viele Kerne hat. Wir<br />
schenken deinen Worten keinen Glauben.«<br />
Darauf sagte der Arme: »Wenn das, was ich gesagt<br />
habe, nachher nicht den Tatsachen entspricht,<br />
und wenn ich zuviel angegeben habe,<br />
dann schneidet mich in drei Teile. Gab ich jedoch<br />
zu wenig an, dann zerschneidet mich in zwei<br />
Teile, oder schlagt mir meinen dünnen Hals<br />
durch! Ich gebe dann nichts mehr um mein<br />
Leben!«<br />
Als sie die Gurken dann spalteten, stimmten die<br />
vom Armen angegebenen Zahlen. Da begannen<br />
alle Versammelten laut zu rufen: »Der Arme hat<br />
gewonnen!«<br />
Und der Kapitan übergab dem Fürsten sein ganzes<br />
Schiff samt Ladung und allem, was sich im<br />
Schiff befand. Das bedeutete, daB er die Wette<br />
mit dem Fürsten verloren hatte. Deshalb kehrte<br />
der Kapitan völlig mittellos in seine Heimat<br />
zurück.<br />
Palantjar<br />
£"s war einmal ein Mann, der besaB eine Zukkerrohrpflanzung,<br />
die nahe am Ufer eines gro<br />
Ben Flusses lag. Am jenseitigen Ufer lebte ein<br />
106
anderer Mann, der Palantjar hieB. Er besaB<br />
keine Zuckerrohrpfianzung, sondern er lebte<br />
vom Stehlen. Eines Tages war es nun sehr<br />
warm; deshalb wollte Palantjar gern Zuckerrohr<br />
1<br />
kauen, aber das gab es nur am jenseitigen<br />
Ufer. Es gab jedoch keinen Weg dorthin, und<br />
ein Boot war auch nicht vorhanden. Der FluB<br />
war sehr reiBend, und viele Krokodile lebten<br />
darin. Da war der Mann, der am jenseitigen<br />
Ufer die Zuckerrohrpfianzung besaB, gerade dabei,<br />
das Zuckerrohr zu schlagen, um es dann<br />
auszupressen. Deshalb dachte Palantjar: ,Wie<br />
finde ich nur ein Mittel, um an das Zuckerrohr<br />
dieses Mannes zu kommen?' SchlieBlich schickte<br />
er sich an, am FluBufer zu roden. Dabei sagte<br />
er: »Ich besitze eine Pflanzung, ich besitze eine<br />
Pflanzung!«<br />
Als der Pflanzungsbesitzer das hörte, sagte er:<br />
«Ausgerechnet ein soldier wie du besitzt eine<br />
Zuckerrohrpflanzung!«<br />
Ein Wort gab das andere, und SchlieBlich gerieten<br />
beide in Streit miteinander. Palantjar sagte:<br />
»Ein Hundesohn bist du! Wirf doch nach mir,<br />
wenn du kannst!«<br />
Da wurde der Zuckerrohrbesitzer wütend und<br />
warf mit Zuckerrohr nach Palantjar. Und je<br />
heftiger Palantjar schalt, desto wütender warf<br />
er auch mit dem Zuckerrohr. Nachdem er alles<br />
nach dem jenseitigen Ufer geworfen hatte, warf<br />
er Palantjar auch noch mit den Stecklingen. Als<br />
auch diese alle hinübergeworfen waren, sagte<br />
der Pflanzungsbesitzer: »Ich habe mein ganzes<br />
Zuckerrohr zu dir hinübergeworfen! Palantjar,<br />
du bist der Sohn eines Schweines!«<br />
Da erwiderte dieser: »Wenn du der Sohn eines<br />
Mannes bist, dann komm doch her! Ich will dir<br />
dann den Schadel spalten!«<br />
i07
Als der Pflanzungsbesitzer das hörte, sprang er<br />
mitten in den groBen FluB. Da packte ihn ein<br />
Krokodil beim FuBe. »Hilfe, Hilfe!« schrie er.<br />
Darauf sagte Palantjar: »Packe ihn nicht, GroBvater<br />
2 ! Denn wenn der Pflanzungsbesitzer nicht<br />
ware, dann würden alle armen Leute umkommen.«<br />
Das Krokodil lieB von dem Pflanzungsbesitzer<br />
ab und brachte ihn an Land.<br />
Da sagte Palantjar: »Wenn ich nicht gewesen<br />
ware, dann hatte unser GroBvater dich gefressen.<br />
Sei deshalb künftig nicht wieder so überheblich!«<br />
Der Pflanzungsbesitzer bedankte sich bei ihm<br />
und sprach: »LaB uns Frieden schlieBen, und<br />
laB uns denn verbrüdern! Vom Anbeginn der<br />
Welt bis zum Jüngsten Tage sind wir nun Brüder.<br />
Und meinen Besitz wollen wir teilen, einen<br />
Teil erhaltst du, einen ich!«<br />
»Es ist gut!« erwiderte Palantjar.<br />
Nach geraumer Zeit sagte Palantjar: »Es gibt<br />
noch etwas, das wir nicht geteilt haben, Bruder!«<br />
«Meinen Besitz haben wir doch geteilt!«<br />
Palantjar sagte: »Noch nicht!«<br />
SchlieBlich gerieten sie in Streit, und Palantjar<br />
sprach: «Damals hast du gesagt, wir wollten<br />
alles teilen!«<br />
»Was haben wir denn noch nicht geteilt? Das<br />
einzige, was wir noch nicht geteilt haben, ist<br />
meine Frau.«<br />
Da erwiderte Palantjar: »Die ist es, die ich mit<br />
dir teilen möchte, deine Frau namlich!«<br />
»Wenn man dir den kleinen Finger reicht, dann<br />
willst du die ganze Hand haben : M« Da machten<br />
sie sich auf den Weg zum Fürsten vom Oberlauf,<br />
um dort ein gerechtes Urteil zu erbitten.<br />
108
Dort angekommen sagten sie: »Wir kommen zu<br />
Euch, o Fürst, um ein gerechtes Urteil zu erbitten!»<br />
»Es ist gut«, antwortete der Fürst. Nachdem sie<br />
ihm ihre Streitigkeiten berichtet hatten, rief der<br />
Fürst seinen Hauptmann aus dem FluB und befahl<br />
ihm: »Öffne deinen Mund, Hauptmann!<br />
Wer von ihnen im Recht ist, dem gibst du<br />
recht!« Und als der Hauptmann im FluB seinen<br />
Mund öffnete, sagte der Fürst vom Oberlauf:<br />
»Stürz dich dorthin, Pflanzungsbesitzer!«<br />
Und er stürzte sich auf den Kopf des Riesenkrokodils.<br />
Da sprach der Fürst: »Du bist im<br />
Recht, Pflanzungsbesitzer! Und nun stürze du<br />
dich auch dorthin, Palantjar, was dann wohl<br />
geschehen wird!« Als er dann sprang, fiel er ins<br />
Maul des Krokodils, das ihn sofort verschluckte.<br />
Da sprach der Fürst: »Es ist deutlich, wer im<br />
Recht und wer im Unrecht war.<br />
gesehen, Leute?«<br />
»Wir haben es gesehen, o Fürst!«<br />
Habt ihr es<br />
Der Fürst fuhr fort: »Wenn man ihm weiBen<br />
Stoff gibt, dann will er seidenen haben. So verhielt<br />
es sich mit Palantjar und dem Pflanzungsbesitzer.«<br />
Der Herr und sein Skiave<br />
Lafoebu'<br />
Jn einem Distrikt gab es einen wohlhabenden<br />
Mann, der einen Sklaven namens Lafoebu' besaB.<br />
Dieser war weder klug noch dumm. Seine<br />
Beschaftigung bestand darin, nach dem gesamten<br />
Besitz seines Herrn zu sehen. Ferner muBte<br />
er, ganz wie die Frauen, Mahlzeiten koenen, Reis<br />
stampfen und trocknen.<br />
109
Eines Tages sagte sein Herr zu ihm: »Wir wollen<br />
auf Besuch gehen. Trockne du inzwischen Reis,<br />
denn wir haben nichts zu essen!«<br />
»Es ist gut«, erwiderte Lafoebu'.<br />
Sein Herr sagte weiter: »Wenn nachher die Ziegen<br />
meckern (das heiBt wenn es nachher Regen<br />
gibt), dann sammle den Reis wieder ein!« Alsdann<br />
ging der Mann mit seiner Frau auf Besuch.<br />
Da meckerte ein Ziegenbock, und Lafoebu' sagte<br />
sich: ,Ich werde den Reis einsammeln; denn vorhin<br />
hat mein Herr gesagt, wenn Ziegen meckerten,<br />
sollte ich den Reis aus der Sonne fortnehmen.'<br />
Und er sammelte den ganzen Reis ein,<br />
obwohl die Sonne noch warmte und es nicht<br />
regnete.<br />
Als sein Herr am Abend wiederkam, fragte er:<br />
»Ist der Reis schon trocken?«<br />
»Noch nicht! Denn nachdem Ihr fortgegangen<br />
wart, meckerte eine Ziege, und da habe ich den<br />
Reis eingesammelt.«<br />
Da sagte sein Herr: »Ich habe gesagt, wenn die<br />
Ziegen meckern, gibt es Regen. Und nun hast<br />
du den Reis bei strahlendem Sonnenschein eingesammelt!«<br />
Am folgenden Tage sprach sein Herr zu ihm:<br />
»Wir wollen zum Fischen gehen, trockne du inzwischen<br />
den Reis! Wenn die Sonne im Wipfel<br />
dieses Durian-Baumes 1<br />
steht, dann stampfe<br />
Reis, denn wir haben nichts zu essen!«<br />
Nachdem sie fort waren, sah Lafoebu', daB die<br />
Sonne über dem Wipfel des Durian-Baumes<br />
stand. Da nahm er den Reis und brachte ihn in<br />
den Baumwipfel. Darauf begab er sich nach<br />
Hause.<br />
Als am Abend sein Herr kam, fragte ihn dieser:<br />
»Ist der Reisbrei schon gar?«<br />
110
Lafoebu' antwortete: »Wir haben keinen gestampften<br />
Reis!«<br />
»Warum hast du den Reis nicht gestampft?«<br />
»Vorhin am M<strong>org</strong>en hast du doch gesagt, daB<br />
der Reis nach dem Wipfel des Durian-Baumes<br />
gebracht werden sollte.«<br />
Da schwieg sein Herr nur, bei sich dachte er<br />
jedoch: ,Du bist beschrankt. Du sagst etwas anderes,<br />
als ich gesagt habe 2 .'<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en beauftragte man ihn, an<br />
den Strand zu gehen, um Kokosnüsse zu holen.<br />
Als er zu Hause ankam, fragte ihn sein Herr:<br />
»Warum hast du die Kokosnüsse gespalten?«<br />
»Zuerst haben sie mich beschimpft, und dann<br />
haben sie mich angestarrt. Deshalb habe ich sie<br />
alle zerschlagen.«<br />
Da sagte sein Herr: »Das sieht dir ahnlich, du<br />
bist ein Narr!«<br />
Am folgenden Tage befahl ihm sein Herr: »Geh<br />
und kappe die Stamme der Kokospalmen frei!«<br />
Dort angekommen, fallte er die Stamme, die<br />
noch Früchte trugen.<br />
Er pflückte Kokosnüsse und nahm sie auf die<br />
Schulter. Unterwegs hörte er das Glucksen der<br />
Kokosmilch, und er sagte: »Die Kokosnüsse sind<br />
verflucht; denn sie beschimpfen mich.« Deshalb<br />
durchlöcherte er sie, dann goB er die Kokosmilch<br />
weg mit den Worten: »Stirb, KokosnuB!« Dann<br />
setzte er seinen Weg fort. Im Weitergehen bemerkte<br />
er die Augen der Kokosnüsse. »Warum<br />
starrt ihr mich an?« Dann spaltete er alle Kokosnüsse.<br />
Als er abends nach Hause zurückkehrte, fragte<br />
ihn sein Herr: »Hast du viele Kokospalmen freigekappt<br />
3 ?«<br />
1H
Er erwiderte: »Viele von den fruchttragenden<br />
Kokospalmen sind umgefallen.«<br />
Da schüttelte der Besitzer der Kokospalmen das<br />
Haupt: »Warum hast du die Kokospalmen gefallt?«<br />
»Vorhin am M<strong>org</strong>en hast du doch gesagt, ich<br />
solle Kokospalmenstamme freikappen. Als ich<br />
dann dort ankam, habe ich sie freigekappt und<br />
gefallt.«<br />
Sein Herr schwieg, aber bei sich dachte er: ,Dieser<br />
Lafoebu' sucht anscheinend einen AnlaB, um<br />
fortzulaufen!'<br />
Am folgenden Tage beauftragte ihn sein Herr,<br />
ein Boot zuzuschlagen 4 . Als Lafoebu' im Wald<br />
angekommen war, fallte er einen Baum, und<br />
dann zerhackte er den ganzen Baumstamm.<br />
Als er nach Hause zurückgekehrt war, fragte ihn<br />
sein Herr: »Hast du das Boot angefertigt?«<br />
»Ich habe es beinahe fertig zugeschlagen, so daB<br />
es aus dem Walde gezogen werden kann.«<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en machten sie sich dann<br />
auf den Weg, um das Boot aus dem Wald an<br />
den Strand zu ziehen. Dort sahen sie, daB es<br />
nicht wie ein Boot aussah; denn er hatte den<br />
Stamm zerhackt. Da sagte sein Herr: »So sieht<br />
kein Boot aus. Anscheinend bist du einfaltig,<br />
Lafoebu'!«<br />
»Du hast doch gesagt, ich solle ein Boot zuschlagen.<br />
Soviel ich weiB, macht man das so.«<br />
Sein Herr schwieg und fertigte ein anderes Boot<br />
an. »So fertigt man ein Boot ank Dann kehrten<br />
sie heim.<br />
Abends sprach der Herr: »Geh an den Strand<br />
und suche Fische; denn dort sind Fischer!«<br />
Als Lafoebu' dort ankam, erblickte er im Meer<br />
und im FluB Fische. Da sagte er: »Geht dorthin,<br />
112
Fische; denn mein Herr möchte Fische essen!«<br />
Dann ging Lafoebu' auf und ab, und am Abend<br />
kehrte er nach Hause zurück. Dort fragte er:<br />
»Sind die Fische, die ich gesucht habe, schon<br />
hier angekommen, Mutter?«<br />
»Wo waren die Fische denn, Lafoebu'?«<br />
»Sie befanden sich im Meer, und ich habe ihnen<br />
befohlen, am Ufer entlang hierher zu kommen.»<br />
Seine Herrin sagte: »Das sieht dir ahnlich, du<br />
bist ein Narr!«<br />
Nachts sagte der Mann zu seiner Frau: «Lafoebu'<br />
beabsichtigt etwas anderes, weil er so handelt.<br />
Ob wir deshalb unseren Besitz an ihn übertragen?«<br />
Seine Frau erwiderte: »Das liegt bei dir!«<br />
Am folgenden Tage sprach sein Herr: »Geh und<br />
markiere die Büffel 5 !«<br />
Als Lafoebu' dort ankam, hackte er den Büffeln<br />
die FüBe ab, und dann kehrte er heim.<br />
Sein Herr fragte ihn: »Hast du unsere Büffel<br />
markiert?«<br />
»Vier habe ich an ihrem rechten FuB markiert.<br />
Jetzt kann man sie nicht mehr stehlen; denn<br />
vier lahmen bereits. Du hast doch gesagt, daB<br />
die Büffel gezeichnet werden sollen!«<br />
»Ich habe gesagt, daB ihnen wie üblich das rechte<br />
Ohr e<br />
abgeschnitten werden soll. Das ist ihr<br />
Kennzeichen!«<br />
Da sagte Lafoebu': »Ich habe sie schon an ihren<br />
FüBen markiert!«<br />
Der Mann schwieg, und zu seiner Frau sagte er:<br />
»Wenn wir Lafoebu' jetzt töten, dann sind wir<br />
traurig; und wenn wir ihn schlagen, dann lauft<br />
er fort. Wir haben keine Kinder, weder einen<br />
Sohn noch eine Tochter, und wenn wir sterben,<br />
a<br />
i i 3
dann nehmen andere unseren Besitz. Deshalb<br />
wollen wir ihm nun unseren Besitz übertragen,<br />
damit er nicht alles zugrunde richtet!« Dann<br />
rief er alle Leute des Distrikts zusammen: »Hört<br />
zu, Leute: mein Besitz in Haus und Hof geht an<br />
Lafoebu' über. Dieses Land wird er regieren,<br />
und befolgt seine Worte, denn ich bin alt!«<br />
So ging das Land an Lafoebu' über. Und da<br />
blühte es auf, und alle Lebensmittel waren<br />
reichlich. Alles, was Lafoebu' sagte, befolgten<br />
die Leute im Distrikt; denn sie fürchteten Lafoebu',<br />
weil er sehr schlau war.<br />
Der Fürst und sein Neffe<br />
jeden Tag dasselbe gegessen wie du, Vater! Deshalb<br />
bin ich so dick.«<br />
Da sagte der Fürst: »Dann bezahle mir jetzt alle<br />
Nahrung, die du verzehrt hast; denn deshalb bist<br />
du doch so wohlgenahrt! Wenn du nicht bezahlst,<br />
töte ich dich, oder ich zerstöre dein Haus. Entferne<br />
dich aus der Nahe meines Hauses!«<br />
»Ich werde es dir erstatten, Vater! Kann ich das<br />
Essen, das ich verzehrt habe, auch nicht mit Gold<br />
bezahlen, so bezahle ich es dir doch mit Worten.«<br />
Als die Leute sich dann auf Befehl des Fürsten<br />
auf den Weg machten, um den Preis für die Nahrung<br />
einzutreiben, da sagte Palantjar: „Gut, ich<br />
zahle! Nehmt es in Empfang, Leute! Worte bezahle<br />
ich mit Worten, und Nahrung bezahle ich<br />
meinem Vater mit Nahrung. Das, was ich gegessen<br />
habe, war der Duft von seinem Essen und<br />
der Duft von seinem Gebratenen. Und nun<br />
werde ich das, was ich gegessen habe, namlich<br />
Luft, auch mit Luft bezahlen. Wenn drei Tage<br />
um sind, dann kommt her und holt den Preis für<br />
den Duft des Essens meines Vaters!«<br />
Nach zwei Tagen zündete der Arme des Nachts<br />
seine Hütte an, so daB das Feuer sie ganz verzehrte.<br />
Da sprach der Fürst: „Palantjars Hütte<br />
ist vorige Nacht abgebrannt. Nun sucht ihn und<br />
fordert den Preis für mein Essen, das ihn dick<br />
gemacht hat!«<br />
Als die Leute zu ihm kamen, sagte Palantjar:<br />
»Was kann ich euch schon geben? Meine einzige<br />
Hütte ist abgebrannt, und meinen gesamten Besitz<br />
hat das Feuer verzehrt. Jetzt bitte ich euch<br />
um drei Tage Aufschub.«<br />
Als die Nacht hereingebrochen war, füllte er<br />
einen Korb mit Holzkohle von seinem verbrannten<br />
Hause. Dann machte er sich auf den Weg<br />
8* H5
nach der anderen Seite des Landes. Unterwegs<br />
begegnete er zwei Leuten, die auch Körbe von<br />
der GröBe des seinigen auf der Schulter trugen.<br />
Als die Sonne bereits niedrig stand, sagte er:<br />
»Wohin geht ihr, Brüder?«<br />
Sie antworteten: »Wir kehren in unsere Heimat<br />
zurück!«<br />
Da schlug Palantjar vor: »Es dammert jetzt<br />
schon. Wenn ihr wollt, laBt uns in jener unbewohnten<br />
Hütte schlafen!«<br />
Die beiden Manner willigten ein. Nachdem die<br />
Nacht dann weit v<strong>org</strong>erückt war, fragte der<br />
Arme: »Was befindet sich in euren Körben, Brüder?«<br />
»Sie enthalten Gold, das wir von der anderen<br />
Seite dieses Landes geholt haben. Und was ist<br />
in deinem Korb?«.<br />
Der Arme erwiderte: »In meinem Korb befindet<br />
sich auch Gold. Mich hat der Fürst beauftragt,<br />
es nach der anderen Seite dieses Landes zu bringen.<br />
Ich bin namlich sein Diener.« Als sie sich<br />
dann schlafen legten, sagte Palantjar: »Ich muB<br />
dieses Gold noch weit fortbringen. Wenn ihr<br />
nachher noch schlaft, gehe ich schon voraus!«<br />
«Gut, tu es nur!«<br />
Bei sich dachte der Arme jedoch: ,Wenn sie nachher<br />
fest schlafen, nehme ich meinen Koro und<br />
stelle ihn an den Platz ihres Korbes. Ich werde<br />
einen Korb Gold mitnehmen.'<br />
Gegen zwei Uhr nachts, als die beiden in tiefem<br />
Schlafe lagen, stand Palantjar auf. Er ging ganz<br />
leise, damit sie nicht erwachten. Dann nahm er<br />
den Korb mit Gold auf seine Schulter und ging<br />
eiligst fort, um sich im Walde zu verbergen.<br />
Als die Eigentümer der Körbe frühm<strong>org</strong>ens erwachten<br />
und sahen, daB ihr Gefahrte bereits fort<br />
116
war, erinnerten sie sich seiner Worte und faBten<br />
keinerlei MiBtrauen. Als sie an ihrem Wohnort<br />
ankamen, sahen sie, daB ein Korb statt Gold<br />
Holzkohle enthielt, und sie schlugen sich vor die<br />
Brust.<br />
Da sagte ein Mann: »Es ist immer so mit dem<br />
Golde, es ist verhext und kann zu Stein oder<br />
zu Erde werden, sagten die Leute früher.«<br />
Und die beiden meinten: »Wir haben eben Pech<br />
gehabt!«<br />
Palantjar kehrte nach dem Wohnort des jüngeren<br />
Bruders seines Vaters zurück. Dort erbaute<br />
er sich anderswo ein Hüttchen, das oberhalb des<br />
Windes und nicht gegenüber dem Hause des Fürsten<br />
stand. Nachts maB er dann sein Gold mit<br />
den Worten: »Ein Scheffel, zwei Scheffel, drei<br />
Scheffel!«<br />
Das hörte der Fürst und fragte: »Was sagt Palantjar?<br />
Geht und schaut nach!«<br />
Dort angekommen, sahen die Leute etwas Rötliches,<br />
und sie sagten sich: ,Das ist Gold!' Eiligst<br />
liefen sie zum Fürsten zurück, um ihm folgendes<br />
mitzuteilen: »Der Arme miBt groBe Mengen Goldes.<br />
Ein ganzer Korb voll ist davon vorhanden!«<br />
Der Fürst erwiderte: »Ihr lügt und redet Unsinn!«<br />
Und er beauftragte andere Leute, die sich<br />
das erwahnte Gold ansehen sollten.<br />
Auch sie sahen das Gold und sagten nach ihrer<br />
Rückkehr zum Fürsten: »Es ist doch wahr,<br />
Fürst!«<br />
Er sagte zu ihnen: »Wollt ihr, daB ich euch zerhacke?<br />
Unsinn erzahlt ihr mir!« Alsdann erhob<br />
sich der Fürst, um selbst nachzusehen. Dort angelangt,<br />
sah er, daB tatsachlich Gold vorhanden<br />
war, und er fragte: »Woher hast du das Gold,<br />
Palantjar!«<br />
I<br />
117
»Ich habe Leute darum gebeten!«<br />
Der Fürst fuhr fort: »Wer in diesem Lande verschenkt<br />
wohl Gold? Obwohl ich vermogend bin,<br />
verschenke ich doch noch nicht Gold in einer derartigen<br />
Menge. Sag mir nun die Wahrheit! Tust<br />
du es nicht, dann töte ich dich! Denn du kennst<br />
viele Listen, und dieses Gold hast du gestohlen!«<br />
Als Palantjar das hörte, war er angstlich; denn<br />
der Fürst hatte ihm Furcht eingeflöBt. Deshalb<br />
sagte er: »Lieber Vater, die Wahrheit ist, daB<br />
das Gold von der anderen Seite dieses Landes<br />
stammt. Es gibt dort namlich Leute, die Goldberge<br />
besitzen. Und dies ist der Preis für die<br />
Holzkohle von meiner abgebrannten Hütte, die<br />
ich dorthin gebracht habe. Dort tauschten sie<br />
mir einen Korb Holzkohle gegen einen Korb<br />
Gold ein. Denn jene Leute verstehen es nicht,<br />
Holzkohle herzustellen. Wenn sie Gold schmieden<br />
wollen, so haben sie keine wirklich gute<br />
karuing 3 - und bolawa 4 -Holzkohle.«<br />
Der Fürst fragte: »Ist die Holzkohle noch bei<br />
ihnen begehrt?«<br />
»Sie tauschen alle Holzkohle, die es gibt, gegen<br />
Gold ein!«<br />
Da meinte der Fürst: «Ob ich dieses groBe Haus<br />
in Brand stecke? Sein Holz taugt namlich sehr<br />
gut als Holzkohle; denn es sind sehr harte Holzsorten.«<br />
Palantjar erwiderte: »Das kann ich nicht sagen.<br />
Du allein muBt entscheiden, was ratsam ist. Aber<br />
wenn du viel Gold haben möchtest, dann kannst<br />
du es ja verbrennen, Vater!«<br />
Da sprach der Fürst: »Wenn ich dann viel Gold<br />
besitze, wird ein anderes, schöneres Haus an<br />
Stelle des verbrannten gebaut!« Darauf kehrte<br />
der Fürst heim, und dort sagte er zu seinen Leu-<br />
118
ten: »VerlaBt alle das Haus; tragt das, was sich<br />
in ihm befindet, in das kleine Haus! Denn ich<br />
will dieses Haus verbrennen, weil es nicht schön<br />
ist!« Darauf steckte er sein Haus in Brand, so<br />
daB alles zu Holzkohle wurde. Am folgenden<br />
Tage beauftragte er viele Leute, die Holzkohle<br />
zu denen zu bringen, die an der anderen Seite<br />
des Landes Gold besaBen.<br />
Die Leute machten sich, jeder mit einem Korb,<br />
auf den Weg, um die Holzkohle hinzubringen.<br />
Als sie dort ankamen, fragten sie: »Wo sind die<br />
Leute, die hier einen Goldberg besitzen?«<br />
»Hier gibt es keinen Goldberg. Ich habe nur<br />
einen Mann gesehen, der Gold schmiedet, und<br />
der kauft Holzkohle.«<br />
Da begaben sie sich zu ihm: »Kaufst du Holzkohle,<br />
Goldschmied?«<br />
»Ich kaufe einen Korb voll für sechs Cente 5 .«<br />
Da warfen sie die Körbe mit Holzkohle von sich<br />
und machten sich auf den Heimweg mit den<br />
Worten: »Von einem Ende des Landes nach dem<br />
andern haben wir die Körbe mit Holzkohle getragen,<br />
und nun will er sie für sechs Cente kaufen!<br />
Wir lassen die Holzkohle hier, und wenn<br />
der Fürst uns nachher töten will, so mag er es<br />
nur tun!«<br />
Daheim angelangt, fragte sie der Fürst: »Wo<br />
habt ihr das Gold, Leute?«<br />
Sie erwiderten: »Wenn Ihr uns töten wollt, so<br />
tötet uns; denn wir haben unser Leben bereits<br />
abgeschrieben! Die Holzkohle haben wir dort<br />
gelassen. Denn der Goldschmied sagte, er bezahle<br />
für einen Korb Holzkohle sechs Cente. Da<br />
haben wir uns eiligst auf den Heimweg gemacht,<br />
und die Holzkohle haben wir dort gelassen!«<br />
119
Da war der Fürst sprachlos, und er dachte bei<br />
sich: .Palantjar hat mich bei lebendigem Leibe<br />
betrogen. Er ist das Kind eines Schweines! Ich<br />
bin schlau, aber der Mann ist noch schlauer; ich<br />
bin reich, aber Palantjar ist reicher. Wenn er<br />
sogar mich hat überlisten können, um wieviel<br />
mehr dann noch die gewöhnlichen Leute. Das ist<br />
seine Vergeltung dafür, daB ich ihn vernachlassigt<br />
habe, und daB ich Bezahlung für alle Bratendüfte<br />
und die kleinen Reiskörner gefordert<br />
habe, die er gegessen hat!' Darauf befahl er den<br />
Leuten, den Palantjar zu ihm zu bringen. Als<br />
Palantjar vor ihm erschien, sprach der Fürst:<br />
»Ich bin nun klug, aber mein Sohn ist klüger.<br />
Damals war dein Vater der GröBte in diesem<br />
Lande. Deshalb gehen jetzt meine Besitzungen<br />
und mein Titel an dich über. Denn damals war<br />
dein Vater machtig und reich. Ich habe seine Besitztümer<br />
nur an mich genommen, damit andere<br />
sie nicht an sich nahmen. Und jetzt geht dieses<br />
Reich zu Wasser und zu Lande mitsamt den Untertanen<br />
an dich über!«<br />
Da sagte Palantjar: «Vater, i c h fordere nicht<br />
den Titel und das Gold! Wenn du dich jedoch<br />
nicht mehr betatigen kannst, weil du bereits alt<br />
bist, ist es gut, lieber Vater, dann mag alles an<br />
mich übergehen. Und dir gebe ich Nahrung und<br />
Kleidung, iB und schlafe nur! Alle Untertanen<br />
im Lande werde ich regieren!«<br />
Bis da geht die Erzahlung von dem Fürsten, der<br />
seinen Neffen Palantjar vernachlassigte.<br />
Der L a c h w e 11 b e w e r b<br />
2 in reicher Mann rief alle Leute zusammen und<br />
sagte zu ihnen: »Ich habe sehr viele Besitztümer<br />
und auch viel Gold. Deshalb sage ich euch: wer<br />
120
von euch alle Leute in diesem Lande zum Lachen<br />
bringen kann, dem gebe ich einen Teil dessen,<br />
was ich besitze!«<br />
Deshalb kamen alle Leute in seinem Hause zusammen,<br />
wo sie Büffel schlachteten und aBen.<br />
Dann sagten sie alles, was sie wuBten. Und ein<br />
Teil der Leute konnte auch lachen, aber nicht<br />
alle vermochten zu lachen.<br />
Als ein Mann aus einem anderen Lande seine<br />
Kunst versuchte, blieben auch einige übrig, die<br />
nicht lachen konnten. Ein armer Mann versuchte<br />
ebenfalls seine Kunst, alle zum Lachen zu bringen,<br />
aber er hatte kein Glück damit. Deshalb<br />
kehrte er heim und legte sich schlafen. Als er<br />
fest schlief, erschien ihm im Traum ein alter<br />
Mann. Der sagte: »Suche nicht weiter! Geh nur<br />
ohne Vorbereitung in die Versammlung und sag,<br />
was du willst, was dich richtig dünkt!«<br />
Er ging also dorthin und begab sich aufs Dach<br />
des Hauses, das am höchsten von allen war, um<br />
die Leute zum Lachen zu veranlassen. Dann<br />
sprach er: »Hört alle auf meine Worte, groB und<br />
klein, alt und jung! Gestern hat mir mein Vater<br />
aufgetragen, reife und junge Pinangnüsse 1<br />
für<br />
seinen Betelbissen zu pflücken. Ich kletterte also<br />
in die Arekapalme 1 , pflückte die Nüsse und warf<br />
sie hinab. Da riB meine Kletterschlinge 2 . Meine<br />
FüBe losten sich, und ich nel in einen groBen<br />
Sumpf, so daB ich bis zum Halse versank und<br />
nicht wieder aufstehen konnte. Da kehrte ich<br />
nach Hause zurück, um einen Spaten zu holen.<br />
Nachdem ich dort wieder angekommen war,<br />
schaufelte ich die Erde fort, und so kam ich aus<br />
dem Sumpf frei!«<br />
Als die Leute das horten, begannen sie alle, ohne<br />
Ausnahme, zu lachen.<br />
Da fragte der Reiche: »Habt ihr alle gelacht?«<br />
121
»Wir haben alle gelacht, es gibt niemanden, der<br />
nicht gelacht hat!«<br />
Der Reiche fuhr fort: »Meinen Besitz will ich<br />
zwischen euch und dem Armen aufteilen. Mir<br />
soll nichts gehören, sondern alles gehe an den<br />
Armen! Er möge ihn unter euch verteilen!«<br />
Der Arme als<br />
Richter<br />
Jn einem Lande war einmal ein Fürst, der war<br />
sehr reich und besaB auch viele Büffel, unter<br />
denen sich auch ein groBer mannlicher befand.<br />
Da starben alle mannlichen Büffel seiner Untertanen.<br />
so daB nur die weiblichen übrigblieben.<br />
SchlieBlich gab es im Lande nur noch den mannlichen<br />
Büffel des Fürsten. Da bekamen alle Büffel<br />
im Lande Kalber. Dadurch nahmen die mannlichen<br />
Büffel zu, aber sie starben, bevor sie<br />
groB geworden waren. Da dachte der Fürst bei<br />
sich: ,Ich sehe, daB die Büffel in diesem Lande<br />
sehr zahlreich sind, aber mein Büffel ist der einzige<br />
mannliche.' Deshalb rief er am folgenden<br />
Tage alle Büffelbesitzer zu sich ins Haus und<br />
sagte zu ihnen: »Leute, von allen Büffeln, die<br />
innerhalb dieses Jahres geboren werden, müBt<br />
ihr einen Teil an mich abliefern! Denn nur ich<br />
besitze einen mannlichen Büffel!«<br />
Da erwiderten die Leute: »Wir geben sie dir<br />
nicht; denn es besteht keinerlei AnlaB dazu, dir<br />
unsere Büffel zu übergeben. Wenn dein mannlicher<br />
Büffel Kalber bekommt, so gehören sie dir,<br />
aber unsere Büffel rühre nicht an, Fürst!«<br />
Der Fürst antwortete: »Wenn ihr mir nicht einen<br />
Teil abgebt, bekriege ich euch Büffelbesitzer<br />
alle!«<br />
»Wenn es auf Grund einer gerechten Entscheidung<br />
geschieht, geben wir sie dir; aber nur auf<br />
122
Grund deiner Entscheidung geben wir sie nicht<br />
her! Zu einem Krieg sind auch wir bereit! Wenn<br />
es möglich ist, so rufe jedoch Fürsten aus anderen<br />
Landern her, damit sie eine gerechte Entscheidung<br />
treffen mögen!«<br />
Als er dann andere Fürsten darum bat, kamen<br />
sie ins Land. Nachdem sie von dem Streit vernommen<br />
hatten, sagten sie: »Fürst, es ist unmöglich,<br />
daB die Büffelkalber der Leute an dich<br />
gehen, denn das ist ungerecht!«<br />
Der Fürst entgegnete: »Auf jeden Fall geht ein<br />
Teil ihrer Büffel an mich. Wenn das nicht geschieht,<br />
bekriege oder töte ich sie. Denn wenn<br />
mein Büffel nicht ware, hatten ihre Büffel keine<br />
Kalber bekommen. Ihr fremden Fürsten könnt<br />
das nicht entscheiden. Ruft die, welche eine Entscheidung<br />
treffen können! Denn eure Worte erkenne<br />
ich nicht an!«<br />
Da sagte ein Fürst: »Es gibt dort einen Armen.<br />
Bringt ihn augenblicklich her, damit er die Entscheidung<br />
falle!«<br />
Sie machten sich eiligst auf den Weg zum Armen.<br />
»Komm mit uns, Armer! Denn der Fürst<br />
hat gesagt, du müBtest auf jeden Fall kommen!«<br />
Der Arme antwortete: »Ich kann nicht gehen;<br />
denn ich bin alt und gebrechlich. Aber mein<br />
Sohn dort möge mit euch gehen!«<br />
Da sagte sein Sohn: »Was weiB ich schon! Denn<br />
ich, üeber Vater, bin ein ganz einfaltiger Mensch,<br />
der nichts weiB.«<br />
»Geh nur, lieber Sohn! Und sag zum Fürsten:<br />
,Der Grund, daB ich zu spat komme, Fürst, ist,<br />
daB mein Vater in Geburtswehen liegt. Vorhin<br />
wurde mir tatsachlich eine Schwester geboren.<br />
Deshalb habe ich solange gebraucht, um herzukommen,<br />
Fürst!'«<br />
123
Als der Sohn das dem Fürsten mitteilte, geriet<br />
dieser in Zorn. Dabei sprang er auf und schalt<br />
den Sohn des Armen: »Du redest Unsinn. Wieso<br />
gebiert ein Mann Kinder? Du bist der erste, der<br />
mir erzahlt, daB sein Vater ein Madchen geboren<br />
hat. Solange ich lebe, habe ich noch niemals gehort,<br />
daB ein Mann Kinder zur Welt bringt!«<br />
Da erwiderte der Sohn des Armen: »Mein Fürst,<br />
auch ich habe heute zum erstenmal vernommen,<br />
daB ein mannlicher Büffel gebiert. Das habe ich<br />
zum erstenmal bei Euch, o Fürst, vernommen!«<br />
Da klatschten alle anwesenden Fürsten in die<br />
Hande und sagten: »Fürst, das Urteil über deinen<br />
Büffel und die der Untertanen ist bereits<br />
gefallt! Da die Worte des Sohnes des Armen<br />
stimmen, können wir sie nicht umstoBen. Das<br />
ist das Urteil, es gibt kein besseres!«<br />
»Wenn es so ist, dann ist es gut, ihr fremden<br />
Fürsten«, erwiderte der Fürst des Landes.<br />
Der u n en t s c h 1 o s s e n e Mann<br />
m Oberlauf schlachtete man Büffel, und an<br />
der FluBmündung schlachtete man Ziegen, und<br />
es gibt Klebreis 1<br />
und viel anderes EBbares«,<br />
sagten die Leute, die diesen Mann einluden.<br />
Da sprach er bei sich: ,Wenn ich nach dem Oberlauf<br />
gehe, haben sie Büffel geschlachtet, aber es<br />
gibt keinen Klebreis, sondern nur Fleischzukost<br />
und Reisbrei. Wenn ich jedoch nach der Mündung<br />
gehe, dann sind die Ziegen zwar sehr<br />
klein, aber es gibt Klebreis.' Wahrenddessen<br />
waren die anderen Leute bereits zu den Festen<br />
gegangen, aber er fuhr fort zu schwatzen. Er<br />
dachte: ,Gehe ich nun zu dem groBen oder zu<br />
dem kleinen Fest? Könnte ich nur zu beiden<br />
gehen!' SchlieBlich ging er nach dem Oberlauf.<br />
124
Unterwegs begegnete er Leuten, die schon vom<br />
Fest zurückkamen. Deshalb fragten sie ihn:<br />
»Wohin gehst du?«<br />
»Ich gehe nach dem Oberlauf zu dem Fest, wo<br />
sie Büffel schlachteten.«<br />
Da sagten die Leute: »Das Fest ist schon zu<br />
Ende.«<br />
Deshalb kehrte er um und ging nach der FluBmündung.<br />
Als er dort ankam, sagten die Leute:<br />
«Das Fest ist schon zu Ende!«<br />
Da schlug er sich vor die Brust und kehrte nach<br />
Hause zurück, um sich ein Tau für einen gro<br />
Ben Angelhaken zu holen. »Ich werde GröBeres<br />
als die Fleischzukost angeln. Denn wenn das Angelhakentau<br />
dick ist, dann sind nachher auch die<br />
Fische groB.«<br />
Darauf holte er ein Boot und fuhr aufs offene<br />
Meer hinaus. Als er dort seinen Angelhaken auswarf,<br />
biB ein groBer Hai an. Und als der Mann<br />
an der Leine zog, vermochte er den Fisch nicht<br />
hochzuziehen. Da entführte der Hai das Boot, so<br />
daB es unterging und der Fischer ums Leben<br />
kam.<br />
Die Alten sagten: »Wenn wir allzu habgierig<br />
sind, kommen wir auf solche Weise ums Leben.<br />
Das Kleine erlangen wir nicht, und das GroBe<br />
erst recht nicht; das Gesuchte ist dann nicht vorhanden,<br />
und das Vorhandene ist bereits verbraucht^<br />
Jetzt heiBt es deshalb: »Zu den Leuten,<br />
die uns zuerst einladen, gehen wir auch zuerst!«<br />
Der Sohn des W o h 1 h a b e n d e n<br />
und der Arme<br />
Jn einem Lande war einmal ein wohlhabender<br />
Mann, der einen Sohn besaB, welcher den ganzen<br />
Tag nichts anderes tat, als nur auf seinem<br />
125
Pferd vom Oberlauf nach der Mündung spazieren<br />
zu reiten. War er hungrig, dann ging er<br />
essen; und dann ritt er wieder spazieren, wohin<br />
er wollte. Eines Tages begegnete er einem Armen.<br />
Zu diesem sagte er: «Wohin gehst du?«<br />
»Ich gehe auch spazieren, und du?«<br />
»Ich reite. Das ist meine Beschaftigung. Ich gehe<br />
nur nach Hause, um zu essen oder zu schlafen.<br />
Und du, Armer?«<br />
»Mit mir ist es auch so, ich pflege spazieren zu<br />
gehen.« Aber bei sich dachte er: ,Du lügst, Reicher!'<br />
Darauf fragte der Arme: »Wie stark ist<br />
dein Pferd?«<br />
»Es ist sehr stark und kann laufen.«<br />
Der Arme erwiderte: »Aber mein Pferd ist starker.<br />
Denn es kann mich über einen groBen<br />
Sumpf tragen. Das kann dein Pferd nicht.<br />
Sieh dir mein RoB genau an, ich reite jetzt!«<br />
Dann machte er sich zu FuB auf den Weg. Und<br />
nachdem er auf der anderen Seite des groBen<br />
Sumpfes angelangt war, kehrte er schleunigst zu<br />
dem Mann mit dem Pferd zurück. Dann sagte er:<br />
»Reite auf die andere Seite dieses Sumpfes, ob<br />
du dort hingelangen kannst!«<br />
Der Reiche spornte sein Pferd, aber mitten im<br />
Sumpf konnte es nicht mehr gehen, weil es einsank.<br />
Da sagte der Arme: »Mein Pferd ist doch<br />
besser als das deinige! Wenn du willst, tauschen<br />
wir. Du besitzst ein Pferd, aber ich habe zwei<br />
Pferde!«<br />
Da dachte der Reiche: ,Der Arme hat doch recht.<br />
Denn sein Pferd kann nach der anderen Seite<br />
des Sumpfes gelangen.'<br />
Nachdem er und der Arme getauscht hatten,<br />
sagte der Reiche: »Wenn dir dein Pferd abhanden<br />
kommt, ist kein Ersatz dafür da. Aber wenn<br />
126
das meinige stirbt, habe ich Ersatz!« Dann<br />
kehrte der Sohn des reichen Mannes heim.<br />
Da fragte ihn seine Mutter: »Wo ist dein Pferd,<br />
mein Sohn?«<br />
»Ich habe es mit dem Pferd des Armen getauscht,<br />
weil sein Pferd starker ist; denn wir<br />
können damit in einen groBen Sumpf gehen.«<br />
Da schwieg seine Mutter. ,Man hat dich betrogen,<br />
mein Sohn 1 ', dachte sie bei sich.<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en ging ihr Sohn mit seiner<br />
Frau spazieren. Da begegneten sie dem Armen.<br />
Der Mann, dem die Frau gehorte, fragte ihn:<br />
»Was suchst du, Armer?«<br />
»Ich suche das, was vorhanden ist! Und was<br />
sucht ihr, du und meine Schwagerin?«<br />
»Wir pflegen immer in dieser Weise spazieren<br />
zu gehen. Woran ich und deine Schwagerin denken?<br />
An Essen, Schlafen und Spazierengehen!<br />
Kehren wir heim, dann ist schon Reisbrei vorhanden.<br />
Ist es mit dir auch so?«<br />
»I c h suche mir nur etwas zum Essen, das ist<br />
meine Beschaftigung.«<br />
Da fragte der Reiche: »Weshalb sprichst du so?«<br />
Der Arme erwiderte: »Ich habe mehrere Frauen,<br />
aber ich pflege sie nicht mitzunehmen, wenn ich<br />
fortgehe. Aber wenn ich hungrig bin, dann<br />
geben sie mir zu essen. An allen Orten habe ich<br />
eine Frau. Wenn mich friert, dann kann ich mich<br />
warmen, und wenn ich durchnaBt bin, dann kann<br />
ich mich trocknen. Tut deine Frau das auch?<br />
Wenn eine von meinen Frauen nicht da ist, dann<br />
ist noch eine andere vorhanden.«<br />
Der Reiche antwortete: »Wenn diese eine stirbt,<br />
dann fragt man eben andere Frauen, die noch<br />
keinen Mann haben!«<br />
127
»Das ist es«, sagte der Arme, »aber meine<br />
Frauen sind besser. Wenn du willst, dann komm<br />
her und sieh sie dir an!«<br />
Sie gingen dann an ein Wasser. Dort sprang der<br />
Arme hinein. Als er ganz naB war, ging er an<br />
Land zurück, weil er schon zitterte. Dann entfachte<br />
er ein Feuer und warmte sich daran. Da<br />
hörte er auf zu frieren, und sein Körper hörte<br />
auf zu zittern. Dann sagte er: »Dies sind meine<br />
Frauen, sie sind zahlreich. Kommen wir aus dem<br />
Regen, dann hört unser Frieren auf diese Weise<br />
auf. Fische und EBbares aller Art koenen meine<br />
Frauen. Wenn du willst, laB sie uns gegen deine<br />
Frau tauschen. Nachher geben wir sie einander<br />
zurück. Komm m<strong>org</strong>en und gib mir meine Frau<br />
zurück!«<br />
Da lieB der Reiche seine Frau beim Armen zurück<br />
und kehrte allein heim.<br />
Seine Mutter fragte ihn: »Wo ist meine Schwiegertochter,<br />
mein Sohn?«<br />
»Ich und der Arme haben getauscht. Denn der<br />
Nutzen seiner Frauen ist gröBer, weil sie alles<br />
tun können. Meine Frau ist dort in der Küche;<br />
Feuer heiBt sie.«<br />
Da sagte seine Mutter: »Der Arme hat dich betrogen,<br />
aber du wolltest es ja auch so haben.«<br />
Er dachte über ihre Worte nach und sagte sich:<br />
,Die Worte meiner Mutter sind auch wahr!'<br />
Eilends kehrte er zurück. Aber als er dort ankam,<br />
waren der Arme und seine Frau fortgelaufen.<br />
Da folgte er ihnen und sah, wie sie auf<br />
das Haus des Fürsten zugingen. »M eine Gattin<br />
ist diese Frau!« rief er.<br />
Als er die Frau anfaBte, sprach der Fürst: »Weshalb<br />
faBt du seine Frau an, Mann?«<br />
Er antwortete: »Dies ist meine Frau! Der<br />
Arme hat mich betrogen!«<br />
128
Da sagte der Fürst: »Kommt her, ich werde<br />
Recht über euch sprechen!« Dann fragte er nach<br />
allem, worüber sie vom Vortage bis zu diesem<br />
Tage gesprochen hatten. SchlieBlich fragte der<br />
Fürst: »Ist dies deine Frau, Reicher?«<br />
»Ja!«<br />
Und den Armen fragte er: »Ist dies deine Frau,<br />
Armer?«<br />
»Ja, ob ich sterbe, oder ob ich lebe!«<br />
Dann befahl er dem Armen und dem Reichen zu<br />
schweigen, und er rief die Frau zu sich: »Reize<br />
deine Kehle, damit du erbrichst!«<br />
Als sie sich übergeben muBte, kam Colocasiablatter-Zukost<br />
2<br />
zum Vorschein, die sie und der<br />
Arme gegessen hatten.<br />
Da rief der Fürst den reichen Mann und erteilte<br />
ihm den gleichen Befehl. Er erbrach jedoch gebratene<br />
Fische und ganz weiBen Reisbrei, das<br />
Essen reicher Leute. Und als auch der Arme sich<br />
übergab, kam Colocasiablatter-Zukost zum Vorschein,<br />
die er und die Frau am Vortage gegessen<br />
hatten.<br />
Die Frau wollte lieber den Armen als Mann<br />
haben, weil der Reiche stets seine Frau mitnahm,<br />
wohin auch immer er ging.<br />
Da sprach der Fürst: »Sie ist nicht deine Frau,<br />
du hast die Frau eines anderen geraubt. Denn<br />
das ist das Zeichen dafür, daB sie seine Frau ist.<br />
Ihre Nahrung ist die von Armen; denn aus ihren<br />
Ma gen kamen Pflanzenblatter zum Vorschein.<br />
Aber das von dir Erbrochene war Nahrung reicher<br />
Leute!«<br />
So lauteten die Worte des Fürsten. Damit war<br />
die Angelegenheit entschieden. In Zukunft wurden<br />
die reichen Leute als groBe Lügner angesehen.<br />
0<br />
129
VOLKSERZAHLUNGEN<br />
Die Prinzessin, die einen<br />
vom Himmel H e r a b g e s t i e g e n e n<br />
heiraten wollte<br />
n jenem Lande gab<br />
es einmal eine<br />
Prinzessin, zu der<br />
kamen Fürstensöhne,<br />
die um<br />
ihre Hand anhielten.<br />
Aber sie war<br />
mit keinem einverstanden.<br />
Obwohl<br />
also sehr<br />
viele Fürstensöhne<br />
um ihre Hand anhielten, wollte sie keinen<br />
einzigen von ihnen; denn sie begehrte nur einen<br />
vom Himmel herabgestiegenen Mann. Würde<br />
sich ein soldier nicht finden lassen, dann wollte<br />
sie überhaupt nicht heiraten. Deshalb wurde es<br />
still um sie; denn niemand wollte noch um ihre<br />
Hand anhalten.<br />
Da fragte ihr Vater sie: »Warum willst du nicht<br />
heiraten, liebe Tochter?«<br />
»Ich will nur einen vom Himmel Herabgekommenen<br />
heiraten. Denn ich schame mich vor den<br />
gewöhnlichen Menschen.«<br />
Wahrend sie sich unterhielten, ging gerade ein<br />
Niasser 1<br />
vorüber, der die Worte der Fürsten-<br />
1 30
tochter hörte. Da sprach der Niasser bei sich: ,In<br />
der Nacht werde ich auf eine Kokospalme am<br />
Brunnen klettern. Wenn die Prinzessin m<strong>org</strong>en<br />
früh zum Baden dorthin geht und mein Spiegelbild<br />
im Wasser sieht, dann wird sie nach<br />
oben blieken und mich sehen. Und dann wird<br />
sie sagen, ich sei ein Mann vom Himmel!'<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en begab sich die Prinzessin<br />
rfach dem Brunnen, um sich das Antlitz zu waschen.<br />
Als sie in den Brunnen blickte und das<br />
Spiegelbild eines Mannes sah, schaute sie hinauf<br />
nach dem Wipfel der Kokospalme. Da wurde<br />
sie einen sehr schonen Mann gewahr. Seine<br />
Kleider waren aus Seide, aber seinen Kopf hatte<br />
er mit weiBem Stoff verdeckt, damit seine Ohrlappchen<br />
nicht zu sehen waren; denn sie waren<br />
(nach Niasser-Sitte) auf beiden Seiten durchbohrt<br />
2 . Da kehrte die Prinzessin eiligst nach<br />
Hause zurück, um es ihrem Vater mitzuteilen.<br />
«Dort im Wipfel jener Kokospalme befindet sich<br />
edn sehr schoner Mann, der wunderschön gekleidet<br />
ist!«<br />
Der Fürst erwiderte: »Das ist vermutlich der<br />
vom Himmel Herabgestiegene!«<br />
Als sie dann hingingen und nachsahen, befand<br />
sich dort tatsachlich ein Mann von unbeschreiblicher<br />
Schönheit des Antlitzes. »Der soll mein<br />
Gatte sein, Vater!«<br />
Und der Fürst sprach zu einem Diener: »Schlage<br />
die groBe Trommel, damit das Volk kommt!<br />
Wir wollen diesen vom Himmel Herabgestiegenen<br />
zu uns nach Hause bringen; denn er soll<br />
mit der Prinzessin vermahlt werden!«<br />
Deshalb versammelten sich die Untertanen im<br />
Hause des Fürsten. Sie fertigten eine Leiter an,<br />
die bis in den Wipfel der Kokospalme reichte,<br />
und mit der sie den Mann herunterholten. Man<br />
»• 131
achte ihn ins Haus des Fürsten. Dann kamen<br />
die Moscheebeamten 3<br />
und vermahlten die Prinzessin<br />
mit dem vom Himmel Herabgestiegenen.<br />
Danach kehrten alle Leute heim, und die Prinzessin<br />
blieb mit ihrem Mann allein.<br />
Ihr Mann wollte jedoch nicht reden und sich<br />
unterhalten, sondern er pflegte wie ein Stein zu<br />
schweigen. Redete seine Frau ihm freundlich<br />
zu, dann schüttelte er nur sein Haupt. Deshalb<br />
sprach sie bei sich: .Mit den Menschen vom Himmel<br />
ist es immer so; denn Leute mit übernatürlichen<br />
Kraften reden nicht viel.' Als dieser Zustand<br />
anhielt, dachte sie: ,Wenn ich nun sein<br />
Haumesser 4<br />
versteckte, ob er dann wohl mit mir<br />
reden würde? Denn jetzt kommt er nachts, und<br />
m<strong>org</strong>ens geht er wieder fort.' Nachts versteckte<br />
die Prinzessin dann das Haumesser ihres Mannes;<br />
sie nahm es von seinem üblichen Platz weg<br />
und tat es anderswohin.<br />
Gegen vier Uhr m<strong>org</strong>ens stand ihr Mann auf<br />
und suchte sein Haumesser, aber er fand es<br />
nicht. Er schaute hierhin, und er schaute dorthin,<br />
aber es war nicht da. Deshalb weckte er<br />
seine Frau mit den Worten: «Prinzessin, Prinzessin,<br />
wo ist meine Haumessar, die atjehische<br />
Haumessar, mit Scheida von Blattscheida, seine<br />
Scheida waren Deckblatt? (das heiBt: Prinzessin,<br />
Prinzessin, wo ist mein Haumesser mit der<br />
Scheide aus Blattscheiden 5 ; seine Scheide waren<br />
Deckblatter 6 ).«<br />
Als die Prinzessin diese Worte vernahm, sprach<br />
sie: »Ein Niasser bist du, Unglücklicher, ein<br />
Schweinesohn bist du 7 !« Dann stürzte sie sich<br />
auf den Niasser und verprügelte ihn. Er floh<br />
wer weiB wohin und kam nicht wieder.<br />
Nachdem die Hausbewohner aufgestanden waren,<br />
fragten sie: »Was hatte denn das Schelten<br />
zu bedeuten, Prinzessin?«<br />
132
»Mein Mann ist kein vom Himmel Herabgestiegener,<br />
sondern ein Niasser! Er hat mich betrogen!«<br />
Da sprach die Mutter der Prinzessin: »Meine<br />
Tochter, ich habe dir gesagt, du solltest nicht zu<br />
erhaben sein über die gewöhnlichen Leute! Denn<br />
die Worte unserer Eltern sind das einzig Richtige!<br />
Deshalb laBt uns stets die Worte der Alteren<br />
befolgen! Wenn wir hoch stehen, dann wollen<br />
wir nicht noch höher streben, denn sonst<br />
kommen wir zu Fall!«<br />
Da wollten die anderen Prinzessinnen in jenem<br />
Lande nicht mehr überheblich sein, nachdem sie<br />
gehort hatten, daB eine Fürstentochter sich mit<br />
einem Niasser verheiratet hatte. Denn sie fürchteten,<br />
daB es ihnen auch so ergehen könnte wie<br />
der Prinzessin.<br />
Deshalb sagt man: »Wenn man Zuckerrohr in<br />
der Pflanzung aussucht, dann sucht man das<br />
süBe, aber man nimmt das schlechte mit 8 .«<br />
Bis da geht diese Erzahlung.<br />
Das Madchen,<br />
das nicht heiraten wollte<br />
Dorfe gab es einmal einen vornehmen<br />
Mann, der eine Tochter besaB, die er sehr liebte.<br />
Eines Tages sprach er zu seiner Frau: »Wir<br />
wollen dort am FluBoberlauf eine Pflanzung anlegen;<br />
denn der Reis steht bei uns nicht gut.«<br />
Da nahmen sie alle Hausinsassen und die Sklaven<br />
1<br />
mit, um den Platz für die Pflanzung zu<br />
roden. Nachdem sich die Rodung weit ausdehnte,<br />
brannten sie das Pflanzungsland nach vierzig<br />
Tagen ab. Alsdann begannen die Sklaven, das<br />
Brandfeld zu saubern 2 .<br />
133
Eines Tages ging nun die Tochter des Vornehmen<br />
mit den Leuten zum Saubern. Wahrend sie<br />
beim Saubern des Feldes war, drang ein Dom<br />
in ihre FuBsohle. »Auu«, sagte sie da.<br />
»Was ist?« fragten ihre Gefahrten.<br />
»Ich habe mir den FuB an einem Dorn verletzt!«<br />
Da erwiderten sie: »Das Heiraten schmerzt nachher<br />
noch mehr!«<br />
»Wenn es schmerzt, dann will ich nicht heiraten!«<br />
Aber ihre Gefahrten hatten nur Scherz gemacht.<br />
Die Tochter des Vornehmen ging jedoch nach<br />
Hause, und dort fragte ihre Mutter sie: »Warum<br />
kommst du heim? Du kehrst ja sehr schnell<br />
zurück!«<br />
Die Tochter antwortete: »Vorhin habe ich mich<br />
an einem Dorn gestochen, und es schmerzte sehr.<br />
Da sagten meine Gefahrten, das Heiraten sei noch<br />
schmerzhafter. Deshalb bin ich so schnell zurückgekommen.«<br />
In Zukunft wollte sie nicht mehr<br />
mit zum Saubern gehen.<br />
Allmahlich war die Tochter des Vornehmen erwachsen<br />
und heiratsf ahig geworden.<br />
In dem Distrikt gab es einen Jüngling, der sich<br />
gern mit ihr verheiratet hatte. Eines Tages rief<br />
der Vater des Jünglings eine Witwe und sprach<br />
zu ihr: »Geh und sage jenem Vornehmen, ich<br />
möchte gern mit ihm in Schwiegerschaft treten<br />
und unsere Kinder miteinander verheiraten!<br />
Denn ich besitze einen Sohn, und er besitzt eine<br />
Tochter.«<br />
»Es ist gut«, erwiderte die alte Frau.<br />
Als sie dort ankam, sprachen der Vornehme und<br />
seine Frau: »Was ist dein Begehr, Schwester?«<br />
»Mich hat jemand beauftragt, Euch, Vornehmer,<br />
eine Anfrage nach Landesbrauch zu übermitteln<br />
f34
und eine Antwort mitzunehmen! Das ist mein<br />
Anliegen an Euch. Er fragte namlich, ob er seinen<br />
Sohn für Euch s<strong>org</strong>en lassen könne. Das<br />
entbiete ich Euch, Vornehmer, als GruB!«<br />
»Wenn deine Worte, die Worte nach Landesbrauch<br />
sind, erfüllbar sind, dann kann ich nicht<br />
Nein sagen. Denn von altersher heiBt es: gibt es<br />
einen Himmel, dann gibt es auch eine Erde; gibt<br />
es Manner, dann gibt es auch Frauen auf dieser<br />
Welt. Deshalb sei mein Bruder also nicht beunruhigt!<br />
Denn seine Botschaft sind Worte, die<br />
seit unseren Vorfahren in diesem Lande gebrauchlich<br />
sind. Kehre nun heim, Schwester,<br />
und teile meinem Bruder mit, daB ich die Leute<br />
in diesem Lande nicht aussuche'. Das kann ich<br />
dir nun schon sagen.«<br />
Darauf machte sich die Witwe auf den Heimweg<br />
und erstattete dem Vornehmen 4<br />
Bericht: »Ich<br />
bin zurückgekehrt, Bruder! Die Worte des Mannes<br />
waren günstig.«<br />
Da fragten die Eltern die Alte lachelnd: »Wie<br />
war es denn, und was ist dir widerfahren, und<br />
wie lautet der günstige Bescheid? Teile es uns<br />
mit, damit unsere Herzen und unsere Ohren zufrieden<br />
sind!«<br />
Darauf sprach die Alte: »Sie haben mir einige<br />
belanglose Worte mit auf den Weg gegeben 5 . Sie<br />
sagten, die von mir übermittelten Worte seien<br />
Worte gemaB Landesbrauch. Weiterhin auBerten<br />
sie, daB sie die Leute im Lande nicht aussuchten.<br />
Das soll ich euch ausrichten!«<br />
Als die Witwe heimgegangen war, unterhielt sich<br />
der Vornehme mit seiner Frau: »Wenn sie das<br />
gesagt haben, ist die Angelegenheit doch ein<br />
wenig hoffnungsvoll. Sie haben den Landesbrauch<br />
nicht vergessen. Denn wenn man eine<br />
135
Tochter hat, dann wird um sie angehalten.<br />
können wir also ein wenig Hoffnung haben.«<br />
Als ein Tag und eine Nacht verstrichen waren,<br />
riefen sie einen Mann, der sich auf die hergebrachten<br />
Sitten verstand, der die üblichen Redensarten<br />
kannte, sie beherrschte und mit ihnen<br />
vertraut war. Nachdem er gekommen war,<br />
sprach der Vornehme zu ihm: »Wir beauftragen<br />
dich, Bruder, bei jenem Vornehmen nachzufragen,<br />
ob die Botschaft der Witwe zu ihm gelangt<br />
ist. Denn die Alte hat ihm unser beider Herzenswunsch<br />
übermittelt.«<br />
»Gut, warum nicht, Bruder? Wir waren einander<br />
seit früher behilflich. Konnten wir nicht mit<br />
Geld helfen, dann waren wir mit Schlauheit behilflich;<br />
wenn aber keine Schlauheit vorhanden<br />
ist, was können wir dann anfangen? Das kann<br />
ich Euch erwidern, Bruder!«<br />
»Deshalb habe ich dich auch gerufen. Denn ich<br />
möchte dich veranlassen, Nachfrage nach unserem<br />
geauBerten Herzenswunsch zu halten. Wir<br />
sind namlich alt und mochten die suchen, die uns<br />
Wasser zum Trinken holt, eine Mahlzeit Zukost<br />
für uns kocht und eine Tasse Wasser warm<br />
macht.« Dann ehrten sie jenen Mann, indem sie<br />
ihm gute Speisen aller Art gaben.<br />
Denn in ihren Augen ist er gröBer als ein Berg.<br />
Sie lassen ihn nochmals ihren Wunsch übermitteln,<br />
ob es möglich ist, daB Wasser und Wind<br />
zusammengehen. Dieser Mann wird zum Heiratsvermittler.<br />
— Nachdem Frauen, die darin<br />
bewandert waren, Sirihzubehör zum Betelkauen 6<br />
in einem Behalter fertiggemacht hatten, überreichten<br />
sie ihn dem Manne mit freundlichen<br />
Worten. Dann ging er, mit Tabak, Gambir, Betelblattern<br />
und Kalk versehen 6 , nach dem Hause<br />
So<br />
136
jenes Vornehmen. Dort auf dem Vorderhof angekommen,<br />
rausperte er sich 7 .<br />
Da sprach der Vornehme: »Wohin willst du da?«<br />
Und zu seiner Frau sagte er: »Breite eine Matte<br />
aus, denn unser Bruder ist gekommen!«<br />
Der Gast begab sich auf die Veranda des Vornehmen,<br />
wo der Hausbesitzer und er dann Betel<br />
kauten. Unterdessen beauftragte der Vornehme<br />
seine Frau, eine Mahlzeit für ihren Gast zu bereiten.<br />
Wahrend des Betelkauens sagte der Angekommene:<br />
»Ich möchte etwas mit dir besprechen,<br />
Bruder!«<br />
»Warum nicht? Rede nur, ich werde zuhören!«<br />
Da begann der Heiratsvermittler: »Zuvor entbiete<br />
ich dir meinen GruB, Bruder! Wenn diese<br />
Worte nachher keinen Sinn haben, dann sage,<br />
daB sie sinnlos sind; sind sie jedoch das Richtige,<br />
dann sag es auch! Mir hat mein Bruder dort auf<br />
der anderen Seite einen Auftrag erteilt. Ich bin<br />
hierhergekommen, um nachzufragen, ob die Botschaft<br />
der Witwe zu dir gelangt ist. Wenn es so<br />
ist, dann sage es!«<br />
»So ist es«, erwiderte der Vornehme, »wir haben<br />
damals miteinander geredet. Es kam eine alte<br />
Frau hierher, und ich erfuhr, daB sie und deine<br />
Schwagerin 8<br />
sich unterhalten haben. Aber ich<br />
habe keine Fragen gestellt, sondern nur zugehört.<br />
Dann kehrte die Alte heim. Nachher hat mir<br />
deine Schwagerin alles erzahlt. Und nun bist<br />
du also zu mir gekommen, Bruder, um nachzufragen.<br />
Dieses Mal kann ich freilich noch nicht<br />
sagen, ob es möglich oder ob es unmöglich ist.<br />
Ich kann nur sagen, daB es Worte nach Landesbrauch<br />
waren. Denn wenn wir eine Tochter besitzen,<br />
dann pflegt man von altersher bei uns anzufragen.<br />
Wie Himmel und Erde sind wir hier.<br />
137
Aber nun laB uns die Angelegenheit nicht übereilen!<br />
Wir wollen erst die Blutsverwandten und<br />
die Oheime mütterlicherseits von meiner Tochter<br />
zusammenrufen. Wenn diese dann damit<br />
einverstanden sind, werde ich die Anzahl deiner<br />
Nichten vergröBern. Wenn sie es gutheiBen,<br />
dann werde auch ich es gutheiBen. Das kann ich<br />
dir als Botschaft mitgeben, etwas anderes kann<br />
ich nicht sagen. Denn ich allein vermag die Veranwortung<br />
dafür nicht zu tragen 9 . Nun kann ich<br />
sagen, daB ich dich kenne, und daB ich dich<br />
gesehen habe. Und wenn du wieder zu mir<br />
kommst, dann werde ich dir nicht den Zutritt<br />
verwehren 10 . Das teile meinen Geschwistern auf<br />
der anderen Seite mit! Wenn nachher ein günstiger<br />
Tag ist, werde ich dich rufen; laB uns<br />
dann mit allen Beteiligten beratschlagen!«<br />
Dann boten sie ihm Wasser und Essen auf einem<br />
mit Tüchern überdeckten Brett. Die Speisen bestanden<br />
aus ganz weiBem Reis und aus Gebratenem<br />
aller Art, so daB es wie die Mahlzeit eines<br />
Vornehmen war. Denn sie dachten, ,dieser Mann<br />
wird der Heiratsvermittler für unsere Tochter<br />
sein'. Alsdann sprach die Frau zu ihm: »IB, Bruder!<br />
Es ist zwar nur Reisbrei und Salz, denn wir<br />
haben keine Beigerichte 11 !«<br />
»Es ist gut, Schwagerin!« Nach der Mahlzeit<br />
kaute er Betel aus dem in einer Schale befindlichen<br />
Betelbehalter des Vornehmen, dann verabschiedete<br />
er sich mit den Worten: »Ich kehre<br />
jetzt heim, Bruderk<br />
»Es ist gut! Teile mit, daB wir wieder miteinander<br />
reden werden, wenn die genannte Zusammenkunft<br />
der Verwandten stattgefunden hat!«<br />
Darauf nahmen sie Abschied voneinander, nachdem<br />
er noch seine Kinder ins Haus gerufen<br />
hatte 12 .<br />
138
Als er bei seinem Auftraggeber ankam, sprach<br />
dieser: »Bist du gekommen, Bruder?«<br />
»Ja!«<br />
»Und welche Antwort hat man dir dort erteilt?«<br />
Da antwortete er: »Es steht einigermaBen günstig.<br />
Angstigt euch beide deshalb nicht! Denn<br />
euer Wunsch ist zu ihnen gelangt. Sie müBten<br />
aber erst mit ihren Blutsverwandten reden, und<br />
dann sei mir das Wiederkommen nicht verwehrt.«<br />
»Es ist gut! Wenn es so steht, dann dürfen wir<br />
Hoffnung hegen. Derweil warten wir solange<br />
wie ein Küken nötig hat, um aus dem Ei zu<br />
kommen 13 .« Für den Heimweg gaben sie ihm<br />
dann Betelzutaten mit und sagten zu ihm:<br />
»Wenn wir dir Nachricht senden, komme wieder<br />
her!«<br />
»Es ist gut«, erwiderte er und kehrte heim.<br />
Am folgenden Tage sprach die Tochter des Vornehmen:<br />
«Liebe Eltern, ich will nicht heiraten;<br />
denn es tut weh, haben damals meine alteren<br />
Geschwister 14<br />
gesagt. Verheiratet mich deshalb<br />
nicht, bis ich ganz alt bin! Wenn ihr mich trotzdem<br />
vermahlen wollt, gehe ich in den Wald und<br />
baue dort ein Haus für mich und eine Dienerin.<br />
Wenn ihr mich verheiratet, bringe ich mich um!<br />
Denn ich habe gehort, daB ihr wiederholt gesagt<br />
habt, er solle herkommen und um meine Hand<br />
anhalten!«<br />
Da erwiderten ihre Eltern: »Deine alteren Geschwister<br />
haben damals Scherz mit dir getrieben,<br />
liebe Tochter! Weshalb sollte das Heiraten<br />
wohl schmerzen?«<br />
Sie antwortete: »Tötet mich, aber heiraten will<br />
ich nicht, bis mein Haupt ergraut ist. Wenn ihr<br />
139
wollt, dann verheiratet i h r euch doch mit dem<br />
Fremdling!«<br />
Da waren ihre Eltern sehr bekümmert, weil sie<br />
wortbrüchig werden muBten.<br />
Als der Monat zu Ende war, kam der Mann von<br />
damals. »Wie ist es jetzt?«<br />
Der Vornehme erwiderte: »Sie will nicht, daB<br />
wir sie verheiraten, sonst bringt sie sich um.<br />
Und wenn wir sie nicht verheiraten, dann sind<br />
wir wortbrüchig geworden.«<br />
Da nahm das Madchen Abschied. «Liebe Eltern,<br />
jetzt gehe ich mit meiner Freundin in den Wald.«<br />
Seine Eltern erwiderten nichts, sondern begannen<br />
zu weinen. Ihre Tochter nahm verschiedene<br />
Lebensmittel sowie Haumesser, Axt und Geratschaften<br />
aller Art für die Küche, wie groBe und<br />
kleine Töpfe und Schüsseln, mit. Dann machte<br />
sie sich mit ihrer Dienerin auf den Weg ins Innere<br />
des Waldes. Sie gingen kreuz und quer,<br />
damit man ihren Weg nicht fande. Sie kappten<br />
sich auch keinen Weg, sondern sie krochen unter<br />
dem Gestrüpp hindurch. Nachdem sie an einer<br />
geeigneten Stelle angelangt waren, sprach das<br />
Madchen: »Jetzt laB uns unsere Sachen hinlegen<br />
und eine Hütte mit einem Dach aus mahao-<br />
Blattern' 5<br />
als Aufenthalt für uns bauen!«<br />
Nachdem es Tag geworden war, begannen sie<br />
den Platz zu roden. Als die von ihnen gerodete<br />
Stelle groB genug war, brannten sie einen Platz<br />
für ihren Garten ab. Und im Laufe der Zeit<br />
grünte dieser, und alles, was man sich nur wünschen<br />
konnte, war da.<br />
Nach einiger Zeit sagte der Vornehme: »Damals<br />
haben wir dem Heiratsvermittler gesagt, wir<br />
wollten ihn wieder rufen. LaB uns nur einfach<br />
i40
sagen, unsere Tochter sei gestorben! Denn was<br />
können sie noch sagen, wenn unsere Tochter<br />
nicht mehr lebt? Und wenn sie es nicht glauben,<br />
so mögen sie die Sache untersuchen! Wenn sie<br />
das Madchen dann finden, mögen sie es mitnehmen!«<br />
Deshalb lieBen sie dem Mann von damals<br />
sagen: »Komm nicht her, wie wir damals<br />
vereinbart hatten, denn unsere Tochter ist gestorben!<br />
Jetzt sind wir zutiefst traurig. Nicht<br />
wart ihr es, die nicht wollten, und nicht war ich<br />
es, der nicht wollte, sondern sie ist gestorben.<br />
Und so gehort unsere Tochter jetzt weder euch<br />
noch mir.«<br />
Als die Eheleute die Nachricht vernahmen, weinten<br />
sie, weil ihre Schwiegertochter gestorben<br />
war.<br />
Ein Teil der Dorfbewohner sagte: »Die Tochter<br />
des Vornehmen ist tatsachlich gestorben.« Aber<br />
ein anderer Teil von ihnen behauptete: »Wieso<br />
denn? Sie ist fortgelaufen, weil sie sich vor<br />
dem Heiraten fürchtete, sie hat sich wer weifi<br />
wohin in den Wald begeben. Denn damals, als<br />
sie in einen Dorn getreten war, haben ihre Gefahrten<br />
sie abgeschreckt. Und sie erwiderte:<br />
,Wenn es so ist, will ich Schweinefleisch heiraten,<br />
bis ich alt bin 16 '!«<br />
Da sagte sich ein listenreicher Mann: ,Das ist<br />
ja alles nur Gerede! Die Alten haben gesagt:<br />
wenn harte Topfkruste mit Wasser in Berührung<br />
kommt, so wird sie weich. So ist es auch<br />
mit dieser Frau!' Er machte sich von einem<br />
Berg nach dem andern auf die Suche nach dem<br />
Weg der Frau, die in den Wald gegangen war.<br />
Als er menschliche Spuren fand, folgte er ihnen<br />
kreuz und quer. Man sagte, der Mann sei ein<br />
Pfadfinder gewesen; deshalb fand er auch ihren<br />
Weg. Nach einem Tag und einer Nacht bemerkte<br />
14i
er, daB der Wald gelichtet aussah, und daB sich<br />
dort sowohl ein Haus als auch ein Garten belanden.<br />
Deshalb sprach er bei sich: ,Das ist das<br />
Haus der Frau, die nicht heiraten will!' Darauf<br />
ging er geradeswegs weiter nach dem Hause der<br />
Frau.<br />
Als er dort ankam, sprach diese: »Woher kommst<br />
du, Oheim?«<br />
»Als ich hier mitten im Walde Rotan suchte,<br />
verirrte ich mich hierher zu euch.« Dann setzte<br />
er sich. Und nach einiger Zeit verführte er sie.<br />
Alsdann kehrte die Frau zu ihrer Mutter zurück<br />
und sprach: »Jetzt will ich heiraten, liebe Mutter,<br />
denn damals haben sie mich nur angstlich<br />
gemacht!«<br />
Da sagten ihre Eltern: »Wer möchte dich wohl<br />
haben? Alle Manner sind schon verheiratet,<br />
denn wir haben gesagt, daB du damals gestorben<br />
seist.«<br />
Darauf beauftragte sie ihre Freundin: »Dort<br />
wohnt ein Mann. Sag ihm, daB wir heiraten<br />
wollen! Denn wenn er nicht ware, könnte ich<br />
nicht heiraten. Und wenn er nicht will, dann<br />
werde ich ihn mir fangen!« Darauf heiratete sie<br />
den nahezu alten Mann.<br />
Und die Dorf bewohner sagten: »Töchter, unterlaBt<br />
es, nicht heiraten zu wollen!«<br />
Bis da geht die Erzahlung von der Frau. die<br />
nicht heiraten wollte.<br />
Die Frau, die Ehebruch beging<br />
,7n jenem Lande war einmal ein Mann, der mit<br />
einer sehr schonen Frau verheiratet war. Da<br />
wollte jemand Ehebruch mit ihr begehen. Deshalb<br />
beauftragte er eine Witwe, der Frau seine<br />
Absicht zu übermitteln 1 .<br />
142
Die Frau antwortete der Witwe: »Gut, warum<br />
nicht? Ich möchte es auch; denn mein Mann<br />
ist jeden Tag damit beschaftigt, am Strand zu<br />
fischen.« Und so taten sie Böses, ohne daB<br />
menschliche Augen es bemerkten.<br />
Als ihr Mann im Laufe der Zeit doch erfuhr,<br />
daB seine Frau Böses zu tun pflegte, sprach er:<br />
»Ich sehe, daB du dich jetzt ganz anders betragst.<br />
Höre endlich mit deinem Treiben auf!«<br />
Seine Frau erwiderte: »Wie schlecht mein Benehmen<br />
auch immer sein mag, du bist schuld<br />
daran!«<br />
»Das brauchst du doch nicht erst zu erzahlen;<br />
denn ich kenne deine Worte schon. Aber anscheinend<br />
bin ich einfaltig!«<br />
Darauf steilte sie ihr Treiben denn auch ein.<br />
Aber nach einem Monat nahmen ihr Verehrer<br />
und sie das Ehebrechen noch schlimmer als vorher<br />
wieder auf.<br />
Da sprach ihr Mann bei sich: ,Wenn sich meine<br />
Frau so betragt, dann ziehen wir an einen anderen<br />
Ort. Denn wenn es nicht geschieht, stellt sie<br />
ihr Treiben nicht ein, und im Laufe der Zeit<br />
geschieht noch ein Unglück.' Am nachsten Tag<br />
sagte er zu seiner Frau: »Wir ziehen nach der<br />
anderen Seite des Landes. Denn dort befindet<br />
sich ein mir von unserem Vater hinterlassenes<br />
Stück Land.«<br />
Seine Frau erwiderte: »Gut, warum nicht? Gibt<br />
es dort auch viele Leute? Und laBt es sich dort<br />
auch gut leben?«<br />
»Das Land ist sehr gut, es gibt dort viele schone<br />
Fischplatze, und die Felder für den Reis sind<br />
auch sehr gut. Wenn wir einen Garten anlegen<br />
wollen, so ist das auch möglich!«<br />
143
Da sagte seine Frau: »Wenn es so ist, will ich es<br />
meiner Mutter mitteilen.« Und sie machte sich<br />
auf den Weg. Unterwegs begegnete sie ihrem<br />
Freund, und sie begannen zu plaudern. Die Frau<br />
sprach: »Wir ziehen von hier fort nach der anderen<br />
Seite des Landes, hat mein Mann gestern<br />
gesagt.« Alsdann nahm sie Abschied von ihm,<br />
und weinend trennten sie sich. Die Frau kehrte<br />
nach Hause zurück. Dort sprach sie: »Ich habe<br />
es den Eltern mitgeteilt!«<br />
»Gut! Und nun suche alle deine Sachen zusammen,<br />
damit wir sie mitnehmen können! Das<br />
andere lassen wir zurück, oder wir holen es spater<br />
nach!«<br />
Frühm<strong>org</strong>ens machten er und seine Frau sich<br />
auf den Weg. Sie gingen an dem groBen FluB<br />
entlang nach dem Oberlauf. Als sie an den FuB<br />
eines Berges gelangten, kletterten sie abends<br />
auf den Berg 2 , bauten sich eine einfache Hütte 3<br />
und schliefen dort eine Nacht. Frühm<strong>org</strong>ens<br />
gingen sie weiter, nachdem sie wieder hinabgestiegen<br />
waren. Dann stieBen sie auf einen<br />
anderen FluB, dem sie folgten. Als sie an seiner<br />
Mündung angelangt waren und es wiederum<br />
Abend war, da bauten sie sich wieder eine<br />
Hütte. Dann sagte der Mann: »Wir sind angelangt!<br />
Hier befinden wir uns auf dem mir von<br />
meinem Vater hinterlassenen Gebiet.«<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en begannen sie mit dem<br />
Bau eines gröBeren Hauses. Dann rodeten sie<br />
den Wald und legten sich einen Garten an, in<br />
dem sie Zuckerrohr, Reis und Gemüse aller Art<br />
pflanzten. Darauf war ihr Mann stets wieder<br />
damit beschaftigt, zum Fischen an den Strand<br />
zu gehen. Jeden Tag ging er m<strong>org</strong>ens fort, und<br />
abends kam er wieder; so ging es tagaus tagein.<br />
144
Wahrenddessen dachte der Liebhaber der Frau:<br />
,Wenn ich dem FluB folge, von dem meine<br />
Freundin gesprochen hat, ob ich sie dann wohl<br />
finden werde?' Und er ging am FluB entlang.<br />
Als er auf einen anderen FluB und auf Menschenspuren<br />
stieB, folgte er ihnen. Nachdem er<br />
dort an der FluBmündung angelangt war und<br />
ein Haus erblickte, dachte er bei sich: ,Das ist<br />
anscheinend das Haus meiner Freundin!' Und<br />
er beobachtete es vom Rand des Krüppelholzes<br />
aus, aber es war kein Mann zu sehen, nur eine<br />
Frau war sichtbar, niemand anders. Da zeigte<br />
er sich.<br />
Und als ihn die Frau vom Hause her erblickte,<br />
erkannte sie ihn sogleich. Sie sagte sich: ,Das<br />
ist mein Liebhaber!' Sie ging ihm bis zum Waldesrand<br />
entgegen und fragte: »Woher führte<br />
dich dein Weg, Liebster?«<br />
»Ich folgte dem FluB, von dem du damals geredet<br />
hast!«<br />
Da sagte die Frau: »Komm heute abend nach<br />
dem Hause!«<br />
Nachdem es dunkel geworden war, begab er sich<br />
dorthin und versteckte sich hinter der Küche.<br />
Als es dann nach gebratenen Fischen und Krebsen<br />
duftete, bat er die Frau: »Gib mir einen<br />
von den Fischen! Sie duften sehr gut.«<br />
Die Frau antwortete: »Sei nicht voreilig!«<br />
Weil er einen Augenblick darauf nochmals darum<br />
bat, reichte sie ihm einen gebratenen Fisch<br />
und einen Krebs hin. Er verzehrte sie im Dunkeln.<br />
Da bekam er den Schluckauf, und ein<br />
Stück Krebsschale geriet ihm in den Hals, so<br />
daB er auf der Stelle starb.<br />
Als die Frau sah, daB ihr Liebhaber tot und<br />
schon ganz steif war, sprach sie bei sich: ,Jetzt<br />
1 0<br />
145
ist mir ein groBes Unglück zugestoBen! Ich<br />
fürchte, daB mein Mann diesen Toten findet.'<br />
Darauf wickelte sie ihn in eine Matte und deckte<br />
ihn mit Brennholz zu. Als ihr Mann dann zum<br />
Fischen gegangen war, sagte sie: »Es besteht<br />
folgender Aus weg: in diesem Lande gibt es<br />
Diebe; sieben sind ihrer, sagt man. Nun werde<br />
ich alle unsere schonen Kleidungsstücke und<br />
Seidenstoffe nehmen und sie in der Sonne trocknen.«<br />
Als sie die vielen Kleidungsstücke trocknete,<br />
gingen plötzlich die Diebe vorüber. Und als sie<br />
all die kostbaren Stücke sahen, sprachen sie bei<br />
sich: ,Wartet nur, in der Nacht lassen wir das<br />
alles verschwinden!'<br />
Darauf nahm die Frau den Toten, wickelte ihn<br />
in eine Schlaf- und Sitzmatte 4<br />
ein, die sie dann<br />
an beiden Enden und in der Mitte zusammenschnürte.<br />
Alsdann legte sie das Bündel auf die<br />
Deckenbalken.<br />
Zur Nachtzeit kamen die Diebe nach dem Hause<br />
der Frau. Sie fühlten dorthin, sie tasteten hierhin,<br />
bis sie plötzlich auf etwas Schweres stieGen,<br />
das an beiden Enden verschnürt war. Da sprachen<br />
sie: »Oh, das ist es, was sie gestern getrocknet<br />
haben!« Sie hoben es sofort auf die Schulter<br />
und liefen sehr geschwind damit in den<br />
Wald.<br />
Dabei blieb jedoch einer der Diebe, der einen<br />
HinkfuB hatte und naselte, zurück. Als er nun<br />
von hinten die FuBspitzen des Toten erblickte,<br />
dessen FuBsohlen ganz weiB waren 5 , da rief er:<br />
»Ein Mensch, ein Mensch! MenschenfüBe, MenschenfüBe<br />
tragt ihr auf der Schulter!«<br />
Als die anderen Diebe das horten, riefen sie:<br />
»Beeilt euch! Wir müssen sehr schnell laufen,<br />
denn man verfolgt uns!« Deshalb ergriffen sie<br />
146
die Flucht und liefen unbeschreiblich schnell<br />
fort.<br />
Nachdem sie mitten im Walde angelangt waren,<br />
legten sie ihr Bündel nieder. Und als sie es<br />
öffneten, da sahen sie es ... »0 weh! Um des<br />
Himmels willen, ein toter Mann! Die zehnmal<br />
verfluchten Menschen haben uns getauscht. Sie<br />
haben uns nur einen Toten forttragen lassen.<br />
Anscheinend wollten sie ihn nicht begraben und<br />
schmiedeten deshalb einen Plan, um ihn beiseite<br />
zu schaffen. Diese Frau war wirklich sehr<br />
schlau; denn uns Manner vermochte sie hinters<br />
Licht zu führen. Mag es dabei sein Bewenden<br />
haben, denn was können wir anderes tun? Wir<br />
wollen uns keine Vorwürfe machen.«<br />
Darauf sprach der Anführer der Diebe: »Wir<br />
werden schon etwas anderes finden!«<br />
Bis dahin geht diese Erzahlung.<br />
Der Mann, der starb,<br />
weil seine Frau ihn kitzelte<br />
,7n einem Dorf gab es einmal ein Ehepaar, das<br />
eben erst verheiratet war. Deshalb liebten sie<br />
einander sehr. Immerfort pflegten sie sich zu<br />
necken und anzustoBen. Wenn sie aBen oder wenn<br />
sie lagen, war es ebenso.<br />
Deshalb sagten die Leute: »Madel, du schakerst<br />
wohl dauernd mit deinem Mann?«<br />
Die Frau erwiderte: »So sind nun einmal die<br />
Jungvermahlten! Was sollten wir denn anderes<br />
tun?«<br />
Eines Tages begaben sich alle Leute des Dorfes<br />
auf die Reisfelder, um zu pflügen und die Felder<br />
von Büffeln durchstampfen zu lassen 1 . Der Mann<br />
nahm ebenfalls an diesen Arbeiten teil. Denn<br />
io'<br />
t 4 7
die Landessitte schreibt vor, daB der jungverheiratete<br />
Mann ein bis zwei Jahre lang bei seinen<br />
Schwiegereltern arbeitet 2 . Der Mann lieB<br />
das Reisfeld von Büfïeln durchstampfen, und die<br />
Frau pflanzte. Tag für Tag war das ihre Beschaftigung;<br />
denn sie waren sehr fleifiig. Schon<br />
frühm<strong>org</strong>ens gingen sie und ihr Mann aufs Feld.<br />
Eines Tages brachte die Frau ihrem Mann Essen<br />
aufs Reisfeld. Sie trug es in einer Schüssel, die<br />
mit einem ganz neuen Reisbreideckel 3<br />
zugedeckt<br />
war, auf dem Kopf. Dort angekommen, sprach<br />
sie: »Wenn du hungrig bist, komm her und iB!«<br />
»Es ist gut«, erwiderte er. Er hielt seinen Pflug<br />
und die Büffel an und ging essen. Als er dann<br />
den Deckel der Schüssel öffnete und zu essen<br />
begann, saB seine Frau bei ihm auf einem Reisfelddeich<br />
4 . Wahrend er aus einem BambusgefaB<br />
trank, stieB seine Frau ihn an und kitzelte ihn<br />
in der Achselhöhle. Da erschrak er. Er verschluckte<br />
sich, so daB Wasser in seine Nase und<br />
in seine Ohren geriet. Da rang der Mann nach<br />
Luft, fiel auf den Rücken, schlug um sich und<br />
starb sofort.<br />
Sie umarmte ihn mit den Worten: »Warum, warum<br />
nur?« Und als sie sah, daB er gestorben war,<br />
da begann sie zu wehklagen, so daB die Leute<br />
auf den Reisfeldern es horten, von denen einige<br />
auch bemerkt hatten, daB sie ihren Mann beim<br />
Trinken gekitzelt hatte.<br />
Alle Leute eilten herbei, um nach ihm zu sehen,<br />
aber er war bereits tot. Da schüttelten sie den<br />
Kopf und brachten den Verstorbenen nach<br />
Hause. Dann kamen die Moscheebeamten; man<br />
badete den Leichnam und hüllte ihn in Leichentücher<br />
5 . Darauf geleitete man ihn zu Grabe.<br />
Dort wurde er bestattet; dann schütteten sie sein<br />
Grab zu, besprengten es mit Zitronenwasser 6 ,<br />
148
sprachen ihm das mohammedanische Glaubensbekenntnis<br />
vor und unterrichteten ihn, was er<br />
den Grabesengeln zu antworten habe 7 . Nachdem<br />
die Moscheebeamten gebetet hatten, kehrten alle<br />
Leute heim.<br />
Die jüngeren Geschwister des Verstorbenen beweinten<br />
ihn sehr, weil er so kurz nach der Hochzeit<br />
gestorben war. Sie hielten das Totenmahl<br />
im Hause seiner Schwiegereltern ab und den<br />
Leichenschmaus sowie die Gedenkfeiern am<br />
dritten, fünften und siebenten Tag nach dem<br />
Tode s . Als die Gedenkfeiern beendet waren,<br />
kam ein alter Mann und sagte: »Setzt eben mit<br />
eurer Arbeit aus, ihr Jugendlichen, Manner und<br />
Frauen, und hört auf meine Worte, die von<br />
unseren GroBeltern und Vorfahren stammen:<br />
,Geht nicht über das HöchstmaB hinaus! Denn<br />
die Alten haben schon gesagt: Wenn Liebe übertrieben<br />
wird, entsteht Leid; wenn die Mischung<br />
überschritten wird, entsteht Aufgedunsenheit.'<br />
So sagte man früher.«<br />
Bis zum heutigen Tage erinnert man sich dieses<br />
Vorfalls. Und man neckt sich nicht und stöBt<br />
einander nicht an, wenn man trinkt. Denn man<br />
fürchtet, auf dieselbe Weise zu sterben wie jener<br />
Mann.<br />
Der eifersüchtige Fürst<br />
£"s war einmal ein Fürst mit seiner Frau, der<br />
war sehr reich und hatte sehr viele Untertanen;<br />
sein Reich war auch sehr ausgedehnt. Der Fürst<br />
liefi ein Versammlungshaus bauen, wo er Recht<br />
sprach und in seinem Reiche zu Gericht saB.<br />
Waren Missetater vorhanden, so wurden sie sofort<br />
enthauptet. Das war der Zweck des Versammlungshauses.<br />
Da der Fürst jeden Tag mit<br />
seinen Untertanen dorthin ging, dachte er bei<br />
149
sich: ,Ich bin hier im Versammlungshaus, und<br />
meine Frau bleibt allein im Hause zurück. Ich<br />
befürchte deshalb, daB andere Leute sie mitnehmen.<br />
Deshalb werde ich nun ein Tau von diesem<br />
Versammlungshaus nach meiner Wohnung<br />
legen. Wenn ich von hiér aus ziehe, dann zieht<br />
meine Frau vom Hause aus. Das ist dann das<br />
Zeichen dafür, daB sie nicht spazieren geht, oder<br />
daB andere sie entführten.'<br />
Als die Leute das horten, sagten sie: »Unser<br />
Fürst benimmt sich sehr eifersüchtig. Noch niemals<br />
haben wir einen solchen Fürsten gesehen.«<br />
Da vernahm man in einem anderen Lande, daB<br />
der Fürst eifersüchtig sei. Als auch ein reicher<br />
Mann davon hörte, sprach er: »Es ware gut,<br />
wenn ich einmal dorthin ginge, um dem eifersüchtigen<br />
Fürsten einen Besuch abzustatten und<br />
zu sehen, wie seine Gattin aussieht, ob sie sehr<br />
schön ist!« Und er befahl seinen Leuten: »Trefft<br />
Vorbereitungen für eine Schiffsreise; denn wir<br />
wollen uns die Frau des Fürsten ansehen, ob sie<br />
in meinen Augen auch wirklich schön ist!«<br />
Am folgenden Tage segelten sie dann mit drei<br />
Schiffen los. Nach einiger Zeit kamen sie im<br />
Lande des eifersüchtigen Fürsten an. In einer<br />
Bucht feuerten sie Gewehre ab.<br />
Da erschrak der Fürst und sandte Leute nach<br />
der FluBmündung, die nachsehen sollten, was<br />
das Gewehrfeuer zu bedeuten habe. Vielleicht<br />
waren es Leute, die Krieg führen, oder Leute, die<br />
Stoffe oder geschalten Reis verkaufen wollten.<br />
Deshalb machten sich die Hauptleute auf den<br />
Weg, um sich die Schiffe anzusehen. Dort fragten<br />
sie: »Was wollt ihr?«<br />
Die Schiffsbesatzung antwortete: »Wir sind hierher<br />
gefahren, um uns das Land anzusehen!«<br />
150
Die Hauptleute kehrten heim und erstatteten<br />
dem Fürsten Bericht: »Die Schiff e fahren ohne<br />
bestimmte Absicht umher. Die Leute sagen, sie<br />
wollten keinesfalls Krieg führen. Und ihre Ladung<br />
besteht aus Stoffen.«<br />
Der Fürst sprach: »Es sei denn, beruhigt euch!«<br />
Der Kapitan der Schiffe entsandte Leute: »Teilt<br />
dem Fürsten mit, daB wir m<strong>org</strong>en früh an Land<br />
gehen, um seinem Reich einen Besuch abzustatten.<br />
Wir werden auch seine Gattin aufsuchen, damit<br />
wir sehen, wie schön sie ist.« Als sie am<br />
Land ankamen, erwarteten der Fürst und seine<br />
Frau sie mit freundlichen Worten. Dann gaben<br />
sie der gesamten Schiffsbesatzung ein Festmahl.<br />
Darauf sprach der Kapitan: »Wir wollen an Bord<br />
zurückkehren, Fürst!«<br />
»Gut, tut das!«<br />
Alsdann verabschiedeten sich der Fürst und der<br />
Kapitan voneinander. Nachdem sie alle auf den<br />
Schiff en angekommen waren, sagte der Kapitan:<br />
»Die Frau des Fürsten ist von unbeschreiblicher<br />
Schönheit! Habt ihr es auch bemerkt?«<br />
»Wir haben es auch bemerkt. Derartige Schönheit<br />
einer Frau gibt es nicht wieder!«<br />
Da befahl der Kapitan: »Wir wollen eine List<br />
versuchen!« Er beauftragte seine Maulwurfsgrille<br />
1 , die Erde vom Meeresstrand bis unter das<br />
Haus des Fürsten zu untergraben. Als das geschehen<br />
war, sandte er am folgenden M<strong>org</strong>en<br />
ganz früh einen Mann und eine Frau zu der Gattin<br />
des Fürsten; denn sie sollten eine Botschaft<br />
vom Kapitan überbringen. Er sprach: »Fragt<br />
die Fürstin, ob sie mir in ein groBes Reich folgen<br />
will, und ob wir heiraten wollen. Wenn sie es<br />
will, so möge sie euch von dort folgen! Der Weg<br />
befindet sich in dem Maulwurfsgrillengang!«<br />
15i
Nachdem der Mann und die Frau dort angelangt<br />
waren, teilten sie der Fürstin die Worte des Kapitans<br />
mit, und sie antwortete: »Ich möchte es<br />
noch tausendmal lieber als er, wenn ich nur von<br />
hier fortkomme! Denn ich bin sehr betrübt; es<br />
ist mir namlich, als ob ich in Fesseln lage. Es ist<br />
besser, ich folge dem Kapitan!«<br />
Da sagten die beiden: »Mach dich fertig, und<br />
nimm alle deine Kleider mit!«<br />
Und die Fürstin sagte zu einer alten Frau:<br />
»Wenn der Fürst nachher am Tau zieht, dann<br />
zieh du von hier!« Darauf floh die Fürstin durch<br />
den Maulwurfsgrillengang bis nach dem Meeresstrand.<br />
Dort brachte man sie an Bord des Schiffes,<br />
und sie wechselte ihre Kleider.<br />
Da sprach der Fürst: »Warum zieht die Fürstin<br />
nicht an dem Tau? Ob sie vielleicht schlaft?«<br />
Als er wiederum zog und sie nicht vom Hause<br />
her antwortete, erhob er sich und ging heim. Als<br />
er sah, daB sie nicht anwesend war, fragte er die<br />
eine Frau: »Wohin ist die Fürstin gegangen?«<br />
»Vor einem Augenblick saB sie noch dort!«<br />
Darauf befahl der Fürst: »Sucht sie! Wo ist sie?«.<br />
Bei der Suche im Hause geriet sein FuB in den<br />
Gang, durch den die Fürstin geflohen war.<br />
»Was?« sprach er da, »die Fürstin ist von Damonen<br />
geholt! Macht euch eiligst auf den Weg; denn<br />
anscheinend hat ein Damon meine Frau entführt!»<br />
Er selbst ging durch den Maulwurfsgrillengang<br />
bis an den Strand.<br />
Dort stieg er an Bord des Schiffes, und der Kapitan<br />
sprach zu ihm: »Setzt Euch!« Und zu der<br />
Gattin des Fürsten sagte der Kapitan: »Bringe<br />
deinen Behalter mit dem Betelzubehör her!«<br />
Als sie dem Fürsten davon anbot, dachte dieser<br />
bei sich: .Anscheinend ist das meine Frau. Aber<br />
152
wie sollte das möglich sein? Denn wenn sie<br />
meine Frau ware, so würde er sie mir hier nicht<br />
zeigen.' SchlieBlich sagte der Fürst: »Ich kehre<br />
an Land zurück, denn ich habe Leibschmerzen.«<br />
Als er zu Hause ankam, sah er, daB seine Frau<br />
noch immer nicht gekommen war. Deshalb ging<br />
er am Meeresstrand entlang. Da sah er, daB die<br />
Schiffe bereits nach dem offenen Meer fortgesegelt<br />
waren. Er begann zu weinen. Und als<br />
er ein anderes Schiff erblickte, winkte er es herbei.<br />
Nachdem die Schiffsbesatzung ihn an Bord geholt<br />
hatte, fragte ihn der Kapitan: »Was begehrt Ihr,<br />
o Fürst?«<br />
»Ich bin auf der Suche nach meiner Frau; denn<br />
die Besatzung eines Schiffes hat sie anscheinend<br />
entführt. Bringt mich nun nach jenem groBen<br />
Lande! Denn es ist besser, daB ich sterbe, statt<br />
daB ich noch am Leben bleibe.«<br />
Nach einiger Zeit kamen sie am neuen Wohnort<br />
seiner Frau an. Der Fürst erblickte das Schiff<br />
in einer Bucht vor Anker. Als er auf dem Schiff<br />
angelangt war, fragte ihn der Kapitan: »Woher<br />
kommt Ihr, Fürst?«<br />
»Ich komme von jenem Schiff. Wo ist denn deine<br />
Frau? Ich möchte essen!«<br />
Da erwiderte der Kapitan: »Meine Frau ist<br />
krank!«<br />
»Ist sie wirklich krank?«<br />
»Sie ist wirklich erkrankt!«<br />
Da sagte der Fürst: »LaB uns sie dann aufsuchen!«<br />
Und sie besuchten sie in der Kajüte.<br />
Ais sie dort ankamen, war sie auch schwer krank.<br />
Vorher war sie zwar nicht krank gewesen, aber<br />
weil der Kapitan gesagt hatte, sie sei krank, war<br />
sie denn auch sofort sterbenskrank.<br />
153
Da sagte der Fürst: »Du hast mich betrogen,<br />
denn du hast meine Frau entführt! Diese da ist<br />
namlich niemand anders als meine Frau!«<br />
Da erwiderte der Kapitan: »Was ist denn das<br />
Kennzeichen dafür, daB sie Eure Frau ist?«<br />
»Mir ist das Kennzeichen bekannt. Wenn du es<br />
augenblicklich sehen willst, dann ist es gut!« Und<br />
der Fürst fragte sie: »Bin ich dein Mann oder<br />
nicht? Sprich!«<br />
Die Frau anwortete »Nein!« und schüttelte ihr<br />
Haupt.<br />
Deshalb sagte der Kapitan: »Was ist das Kennzeichen<br />
dafür, daB sie Eure Gattin ist?«<br />
Der Fürst erwiderte: »Reize die Kehle dieser<br />
Frau!« Als er sie dann reizte und sie gebratenes<br />
Büffelfleisch erbrach, sagte der Fürst: »Sieh nach,<br />
ob bei mir das Kennzeichen dafür vorhanden ist,<br />
daB sie meine Frau ist!« Als der Fürst dann<br />
seine Kehle reizte, und er ebenfalls gebratenes<br />
Fleisch erbrach, da waren die Worte des Fürsten:<br />
»Das ist das Kennzeichen dafür, daB sie meine<br />
Frau ist. Versuche es und reize du nun deine<br />
Kehle, was dann zum Vorschein kommt!« Und<br />
als er sie reizte, erbrach er Brot. »Das ist das<br />
Zeichen dafür, daB sie nicht deine Frau ist!«<br />
Darauf sprach der Fürst: »Wir können nicht endlos<br />
um sie streiten. Weil sie sich jetzt von mir<br />
abgewandt hat, soll sie nicht mehr glücklich sein.<br />
Sie kehre zum Wind zurück, und ich kehre nach<br />
dem Wasser zurück!«<br />
Darauf wurde die Fürstin zum Winde und nog<br />
dahin 2 , und der Fürst wurde zu Wasser. Da<br />
waren die beiden Eheleute tot, und der Kapitan<br />
blieb dort allein zurück. Er begann zu wehklagen<br />
und laut zu weinen.<br />
Damit ist die Erzahlung zu Ende.<br />
154
Der despotische<br />
Fürst<br />
S&er Landesfürst sprach: »Ich bin der GröBte<br />
von euch allen in diesem Lande. Befolgt daher<br />
alles, was ich nun sage! Wenn ihr es nicht tut,<br />
dann töte ich euch alle.«<br />
Die Leute sagten: »Es ist gut, o Fürst, alles, was<br />
Ihr sagt, werden wir ohne weiteres tun!«<br />
Darauf fuhr der Fürst fort: »Wer von euch heiratet,<br />
dessen Braut kommt erst zu mir ins Haus,<br />
um sich die Nagel rot farben zu lassen 1 . Drei<br />
Tage lang bleibt sie bei mir, alsdann darf sie<br />
sich mit ihrem Verlob ten verheiraten!«<br />
»Es ist gut, Fürst«, antworteten die Leute, die<br />
daraufhin heimkehrten.<br />
Im Laufe der Zeit gab es einen Mann, der ein<br />
Madchen heiraten wollte. Da sagte der Vater<br />
des Madchens: »Meine Tochter, jetzt bringen wir<br />
dich in das Haus des Fürsten. Du gehst drei<br />
Tage dorthin, um dir die Nagel rot farben zu<br />
lassen, dann darfst du heiraten.«<br />
Als sie beim Fürsten angekommen war, sprach<br />
dieser nachts zum Madchen: »Komm her und<br />
schlaf heute nacht bei mir! Wenn du es nicht<br />
willst, dann bringe ich dich um!«<br />
Da begann das Madchen zu weinen. Weil es<br />
nicht zum Fürsten gehen wollte, wurde dieser<br />
zornig. SchlieBlich ging sie doch zu ihm, um die<br />
Nacht dort zu schlafen. Der Fürst wollte ihr<br />
jedoch nicht die Nagel rot farben, sondern er<br />
wünschte etwas anderes von ihr.<br />
Nach drei Tagen befahl er dem Menschenkind,<br />
ins vaterliche Haus zurückzukehren.<br />
Dort sagte das Madchen: »Der Fürst hat mich<br />
geschandet, Vater!«<br />
Dieser erwiderte: »LaB nur, denn wir können<br />
uns dem Fürsten nicht widersetzen, weil er der<br />
155
Machtigste im Lande ist.« Dann verheiratete er<br />
seine Tochter mit jenem Mann.<br />
Nachdem sie zwei bis drei Tage lang verheiratet<br />
waren, wuBte der Mann, daB der Fürst sie geschandet<br />
hatte. »Das also war es, was der Fürst<br />
meinte, als er sagte, meine Frau solle hingehen,<br />
um sich die Nagel rot farben zu lassen!«<br />
Als er es seinen Schwiegereltern mitteilte, sagte<br />
sein Schwiegervater: »LaB nur, mein Sohn,<br />
schweig und erzahle es nicht den anderen Leuten!«<br />
Nach einem Jahr sprach der Fürst zu seinen<br />
Untertanen: »Ich will im Meer baden, deshalb<br />
bringt mich jeden Freitag dorthin! Ihr alle versammelt<br />
euch, um mich zum Baden zu tragen!<br />
Wenn ihr es nicht wollt, bringe ich euch alle<br />
um!«<br />
Weil alle Leute angstlich waren, sagten sie: »Es<br />
ist gut, o Fürst, wir werden dich am Freitag<br />
baden!« Und jeden Freitag trugen sie ihn auf<br />
den Schultern an den Meeresstrand. Wenn sie<br />
dort angekommen waren, badete er, und sie rieben<br />
ihm die Haut ab. Dann brachten sie den<br />
Fürsten ins Haus zurück und gingen heim. Dort<br />
sagten sie: »Der Fürst ist sehr tyrannisch. Wir<br />
wollen eine List suchen. um ihn umzubringen.<br />
Aber wollen wir ihn mit scharfen Waffen töten,<br />
so können ihm Haumesser und Speer nichts anhaben,<br />
denn er ist unverwundbar 2 .«<br />
Da sagte ein listenreicher Mann: »Ich weiB ein<br />
Mittel, um den Fürsten zu töten. Denn wenn<br />
Eisen ihm nichts anzuhaben vermag, dann laBt<br />
uns doch groBmaschige Wurfnetze 3<br />
anfertigen.<br />
LaBt uns Bast vom balu-Baum 4<br />
suchen, und laBt<br />
uns jeder ein Wurfnetz knüpfen! Wenn der<br />
Freitag da ist und der Fürst gerade badet, dann<br />
156
werfen wir unsere Wurfnetze aus. Wir sagen<br />
dann, wir wollten Fische fangen.«<br />
Als dann der Badetag des Fürsten gekommen<br />
war, versammelten sich alle Leute, die groBe<br />
Wurfnetze angefertigt hatten. Als der Fürst<br />
beim Baden in Gedanken versunken war, warfen<br />
die Leute ein Netz nach dem andern über<br />
ihn, so daB er ertrank, denn er konnte sich nicht<br />
aufrichten, weil er von den zahlreichen Netzen<br />
zugedeckt war. So starb er.<br />
Da sagten die Leute: »Du bist gestorben, weil<br />
du so tyrannisch warst.« lm Hause des Fürsten<br />
erzahlten sie: »Er ist beim Baden ertrunken,<br />
weil Wasser in seine Nase geriet. Das ist es,<br />
welches den Fürsten entseelte.« Aber sie teilten<br />
nicht mit, daB sie ihn in Wirklichkeit mit<br />
ihren Wurfnetzen umgebracht hatten. Alsdann<br />
bestatteten sie den Fürsten in einem Grab.<br />
Nach seinem Tode waren alle Madchen und alle<br />
Jünglinge glücklich. Da sagte ein alter Mann:<br />
»Ist ein Fürst gerecht, dann wird er geehrt; ist<br />
er jedoch ungerecht, dann leistet man ihm<br />
Widerstand.«<br />
Der Mann,<br />
der sich eine Nebenfrau nahm<br />
£s war einmal ein Mann, der besaB zuerst nur<br />
eine Frau, die seine Eltern für ihn ausgesucht<br />
hatten. Als er dann noch eine andere heiraten<br />
wollte, die schön und klug war, sprach seine<br />
Mutter: »Heirate nicht zwei Frauen! Nachher<br />
hast du S<strong>org</strong>en, weil du nicht für ihren Lebensunterhalt<br />
aufkommen kannst.«<br />
Da entgegnete ihr der Sohn: »Ihr sollt sie ja<br />
nicht aussuchen, sondern ich "will es selbst tun.<br />
Wenn es nachher nicht gut geht, dann verstoBe 1<br />
157
ich sie.« Darauf verheiratete er sich mit der<br />
Tochter eines Mannes, der einigermafien wohlhabend<br />
war.<br />
Da sprachen seine Eltern: »Die Frau, die wir<br />
für dich ausgesucht haben, ist für lange Zeit,<br />
aber die, welche du dir selbst ausgesucht hast,<br />
ist nur für kurze Zeit 2 ! Mit deiner zweiten Frau<br />
wollen wir nichts zu tun haben.«<br />
Er lieB seine beiden Frauen in einem Hause<br />
miteinander wohnen. Die eine war etwas alter,<br />
die andere jünger.<br />
Da dachte die jüngere Frau: ,Ich will meine Gefahrtin<br />
unbeliebt machen.' Dann nahm sie eine<br />
Handvoll Salz und tat sie in die Zukost, die ihre<br />
Gefahrtin gekocht hatte, so daB das Essen versalzen<br />
war.<br />
Da sprach ihr Mann: »Warum ist diese Zukost<br />
versalzen?«<br />
Seine Frau, die das Essen gekocht hatte, antwortete:<br />
»Ich habe vorhin nicht viel Salz hineingetan!«<br />
Der Mann sagte: »Wenn man der Köchin sagt,<br />
das Essen sei salzig, dann antwortet sie: ,Ich habe<br />
gar nicht viel Salz hineingetan!' Ihr schlechten<br />
Weiber seid immer so! Ihr kennt wirklich immer<br />
Ausflüchte, um euch herauszureden!«<br />
Als dann die junge Frau am folgenden M<strong>org</strong>en<br />
die Mahlzeit kochte, dachte die altere:<br />
,Warte du nur dein Los ab!' Dann nahm sie<br />
zwei Hande voll Lombokpfeffer 3<br />
und tat ihn in<br />
die Zukost, die ihre Mitehefrau gekocht hatte.<br />
Deshalb war die Zukost sehr scharf.<br />
Da sprach der Mann: »Warum ist die Zukost<br />
übertrieben scharf? Wer von euch hat sie gekocht?»<br />
158
Die junge Frau antwortete: »Wer denn anders<br />
als ich soll die Zukost gekocht haben? Sei nicht<br />
böse, aber vorhin habe ich nicht viel Pfeffer<br />
hineingetan!«<br />
Der Mann sagte: »Mit dir und deiner Mitehefrau<br />
ist es doch immer dasselbe! Ihr kennt<br />
wirklich Köchinnen-Antwortenk<br />
Deshalb waren die beiden Ehefrauen uneins<br />
miteinander.<br />
Die eine dachte: ,Warte du nur dein Los ab!'<br />
Die andere sagte sich: ,Ich werde ihre Reispflanzen<br />
verfluchen'! Warum wachsen sie denn<br />
auch in groBer Menge?' Darauf schlug sie die<br />
Reispflanzen mit einem Bambuszweig; da flog<br />
die Lebenskraft der Reispflanzen fort.<br />
Als die andere Frau dann hinging und nachsah,<br />
ob ihr Reis schon Schalen hatte, sprach<br />
sie bei sich: ,Das alte Weib hat mir Schaden zugefügt.<br />
Sie ist die Tochter eines Schweins. Aber<br />
warte du nur dein Geschick ab!'<br />
Alsdann begab sie sich nach der Sagopalme 5<br />
ihrer Mitehefrau und verfluchte sie mit den<br />
Worten: »0 Sagopalme, dein Mehl rinne von<br />
heute bis in Ewigkeit nicht mehr heraus 6 !«<br />
Dann stieB sie die Sagopalme dreimal mit dem<br />
FuB.<br />
Als die andere Frau am folgenden Tag sah, daB<br />
das Mehl ihrer Sagopalme nicht mehr herausrinnen<br />
konnte, sprach sie: »Sie hat Rache für<br />
ihre Reispflanzen genommen, die ich mit dem<br />
Bambus geschlagen habe. Hatte ich doch ihre<br />
Reispflanzen nicht geschlagen!« Nun bereute die<br />
altere Frau es bereits.<br />
Darauf sprach ihr Mann: »So geht es nicht mehr<br />
weiter; denn jetzt bin ich ruiniert. Und das<br />
haben die verdammten Weiber getan! Hatte ich<br />
159
doch damals nicht zwei geheiratet! Meine Mutter<br />
sagte ja schon, ich solle nicht zwei Frauen<br />
heiraten!« Und am folgenden Tage verstieB er<br />
seine jüngere Frau mit den Worten: »Du hast<br />
mir nur Kummer bereitet. Kehre deshalb zu<br />
deinen Eltern zurück! Meine Mutter hat auch<br />
gesagt, du seist nur für kurze Zeit!«<br />
Die Frau kehrte zu ihren Eltern zurück. Es<br />
blieb nur noch seine Frau, die das Vermachtnis<br />
seiner Eltern war.<br />
Deshalb sagten die Leute im Lande: »Es war<br />
nicht gut, diese beiden zu heiraten, mochte die<br />
zweite auch noch so schön sein. Denn eine beleidigte<br />
Frau kann eine erlittene Krankung nie<br />
vergessen 7 .«<br />
Bis da geht die Erzahlung von dem Mann, der<br />
sich eine Nebenfrau nahm.<br />
Der unverschamte<br />
Baumeister<br />
3m Dorf sagte einmal ein Mann: »Baue mir hier<br />
ein groBes Haus! Als Lohn erhaltst du spater<br />
alles, was du willst. Wenn mein Haus steht,<br />
gebe ich dir alles, worum du bittest, als Lohn!«<br />
Da antwortete der Angeredete: »Es ist gut, Bruder,<br />
und mit dem Lohn ist es nachher sehr einfach:<br />
was du mir gibst, das nehme ich an!« Darauf<br />
glattete und meiBelte er die Zubehörteile für<br />
das Haus, und nach einiger Zeit sagte er zu seinem<br />
Auftraggeber: »LaB uns jetzt das Haus aufrichten,<br />
Bruder!«<br />
Sie riefen die Leute im Dorf zusammen, damit<br />
sie ihnen dabei behilflich seien. Sie steilten das<br />
Haus auf das Fundament, legten alle Dachsparren<br />
und deckten das Haus 1 .<br />
Nachdem es unter Dach war, sprach der Baumeister:<br />
«Damals hat der Hausbesitzer zu mir<br />
160
gesagt: ,Wenn dieses Haus steht, gebe ich dir<br />
alles, was du willst, als Lohn.' Wenn er mir nun<br />
Reis, Geld und alles mögliche als Lohn geben<br />
will, werde ich es nicht annehmen. Denn das,<br />
was ich begehre, ist seine Frau! Sagte er doch<br />
damals: ,Alles, was du begehrst, gebe ich dir als<br />
Lohn!'« Alsdann suchte er den Hausbesitzer auf:<br />
»Dein Haus ist nun unter Dach. Gib mir jetzt<br />
meinen Lohn, Bruder, denn ich möchte heimkehren!«<br />
»Es ist gut«, antwortete der Hausbesitzer und<br />
gab ihm Reis.<br />
»Ich will keinen Reis.«<br />
Dann gab er ihm Gold.<br />
»Ich will kein Gold.«<br />
SchlieBlich gab er ihm Büffel.<br />
»Ich will sie nicht«, sagte er da, »ich will keinerlei<br />
Güter haben!«<br />
»Was willst du denn als Lohn haben, wenn dir<br />
alles nicht paBt?«<br />
«Damals hast du gesagt: ,Alles, was du willst,<br />
gebe ich dir als Lohn.' Und nun möchte ich, daB<br />
mir deine Frau gehort. Das möchte ich, etwas<br />
anderes will ich nicht haben! Und wenn du sie<br />
mir nicht gibst, reiBe ich das Haus wieder ab!«<br />
Darauf gerieten sie in Streit, und der Hausbesitzer<br />
sagte: »Wie du willst!«<br />
Der Baumeister entgegnete: »Ich halte mich an<br />
deine Worte. Das will ich haben!«<br />
SchlieBlich machten sie sich auf den Weg, um<br />
den Fürsten um ein Urteil zu bitten. Dort erzahlten<br />
sie die ganze damalige Unterhaltung.<br />
Da sprach der Fürst: »Ist es auch wahr, Hausbesitzer?«<br />
Dieser erwiderte: »Es ist wahr! Damals habe ich<br />
gesagt, daB er haben solle, was er begehrte. Reis<br />
1 1<br />
i61
kann ich ihm geben, Gold oder Büffel kann ich<br />
ihm auch geben. Aber nun bittet er darum, daB<br />
ihm meine Frau gehöre!«<br />
»Ist es wahr, Baumeister? Erscheint es dir gut,<br />
seine Frau zu begehren?«<br />
»Es ist wahr, das scheint mir gut!«<br />
«Wirklich, wirklich?«<br />
«Wirklich, mein Fürst!« Und er war froh, als er<br />
die Worte des Fürsten hörte.<br />
«Schweigt jetzt«, sagte da der Fürst. Darauf lieB<br />
er einen Mann rufen, der Geige zu spielen verstand.<br />
Als er gekommen war, befahl ihm der<br />
Fürst: «Komm doch mit deiner Geige her und<br />
spiele recht schön vor mir!« Alsdann rief er alle<br />
Hausbewohner: «Kommt her, denn wir wollen<br />
einem Geigenspieler lauschen!«<br />
Nachdem er den Geiger gebeten hatte, recht<br />
schön zu spielen, tat dieser es auch. Und er<br />
spielte schoner als je zuvor.<br />
Da fragte der Fürst: «Klingt es schön für dich,<br />
Baumeister? Kannst du auch Geige spielen? Man<br />
sagt doch von dir, du seist ein groBer Meister!«<br />
«Ich kann nicht Geige spielen, mein Fürst!«<br />
«Klingt es dir schön?«<br />
»Ja!«<br />
«Wirklich schön?«<br />
«Ja, mein Fürst!«<br />
«Gut denn! Habt ihr es alle gehört?«<br />
»Ja!« antworteten die Leute.<br />
«Da dir der Klang der Geige schön erscheint, ist<br />
er auch gut als Lohn für dich, weil du das Haus<br />
dieses Mannes gebaut hast. Denn es gibt nichts<br />
Schöneres als den Klang einer Geige. Und wenn<br />
du nicht willst, dann töte ich dich augenblicklich.<br />
Sprich deshalb, ob du sie haben willst oder<br />
162
nicht! Wenn du sie nicht haben willst, dann hüte<br />
dich! Denn wenn man dir Gebratenes zu essen<br />
gibt, willst du gekochte Zukost haben 2 !«<br />
»Es ist gut«, erwiderte der Baumeister, der<br />
schon am ganzen Leibe zitterte.<br />
Da nahm der Fürst eine schwarze Hose und eine<br />
schwarze Jacke 3<br />
und warf sie ihm zu mit den<br />
Worten: »Geh heim, wenn du nicht sterben<br />
willst!«<br />
Und der Baumeister kehrte schleunigst mit seinem<br />
Lohn heim.<br />
Bis da geht diese Erzahlung. Und die Leute sagten:<br />
»Wer nicht wenig annehmen will, erhalt<br />
auch nicht viel!«<br />
Die Frau mit dem unehelichen<br />
Kind<br />
•?n einem Dorf war einmal ein Mann, der war<br />
schon alt, aber er besafi keine Kinder, weder<br />
Tochter noch Söhne. Sein Haupt war bereits<br />
weiB.<br />
Nun gab es in dem Dorfe auch eine Frau, die<br />
keinen Mann hatte, weil er gestorben war. Da<br />
lieB sie sich mit einem Manne ein, so daB sie<br />
gesegneten Leibes wurde. Weil sie das nicht<br />
mehr verheimlichen konnte, sprach sie bei sich:<br />
,Entferne ich mein Kind, dann sterbe ich; entferne<br />
ich es jedoch nicht, dann schame ich mich.'<br />
Als ihr Söhnlein nach geraumer Zeit geboren<br />
war, dachte sie: ,Ich kann mein Kind nicht umbringen.<br />
Mir vergeht das Herz, wenn ich mein<br />
eigen Fleisch und Blut töte. Ich werde es deshalb<br />
in jener ausgedehnten Pandanuswaldung 1<br />
aussetzen.' Darauf nahm sie eine schmutzige<br />
Matte, wickelte ihr Kind darin ein und legte es<br />
„. 163
unter den Pandanuspalmen nieder. Dann kehrte<br />
sie heim.<br />
Eines Tages gingen der erwahnte kinderlose<br />
Mann und seine Frau in die Waldung, um dort<br />
Pandanusblatter zu sammeln. Wahrend sie Blatter<br />
schnitten, horten sie das Wimmern eines neugeborenen<br />
Kindes. Die Frau sagte: »Das klingt<br />
wie das Weinen eines Sauglings!« Als sie und<br />
ihr Mann dann dorthin gingen, erblickten sie ein<br />
neugeborenes Knablein. Da sagte die kinderlose<br />
Frau: »LaB uns dieses Kind mitnehmen, weil<br />
wir keine Kinder besitzen!«<br />
Ihr Mann stimmte zu, und so nahmen sie es mit<br />
nach Hause. Dort sagte ihr Mann: »Massiere deinen<br />
Leib! Ich baue dir eine Feuerstelle, so daB<br />
es aussieht, als ob du das Kind zur Welt gebracht<br />
hattest 2 !«<br />
Die Frau massierte ihren Leib und trank seimiges<br />
Reisbreiwasser, damit ihre Brüste Milch hatten;<br />
dann saugte sie das Kind. Darauf bauten<br />
sie, ganz so wie andere Leute, eine Wiege für<br />
ihr Kind.<br />
Als man nach ein bis zwei Tagen im Dorfe davon<br />
hörte, sagte man: »Die Frau, die bisher kein<br />
Kind hatte, besitzt nun einen Sohn. Im Alter<br />
hat sie noch ein Kind bekommen!«<br />
Da fragte ein anderer: »Hat sie dir erzahlt, daB<br />
sie guter Hoffnung war?«<br />
»Woher denn! Das ist anscheinend ein Findelkind!»<br />
Nachdem die Geschwister der Frau gehort hatten,<br />
daB ihnen ein Neffe geboren war, machten<br />
sie sich auf den Weg, um sich das Kind ihrer<br />
Schwester anzusehen. Dort angekommen, sagten<br />
sie: »Warum habt ihr uns nicht gerufen, als<br />
euch ein Sohn geboren wurde?«<br />
Sie erwiderten: »Wir haben niemanden gerufen!«<br />
164
Als das Kind dann groB war und bereits laufen<br />
konnte, starb der Mann jener Frau. Und nachdem<br />
ihr Sohn erwachsen war, heiratete er. Im<br />
Laufe der Zeit starb die Frau auch, so daB ihr<br />
Sohn und seine Frau allein zurückblieben.<br />
Da sagten die Leute im Dorfe: »Dieses Menschenkind<br />
hat keinen Vater. Anscheinend fanden<br />
es die Leute, die damals kein Kind hatten,<br />
in dem Pandanuswaldchen!«<br />
Darauf sagte einer von ihnen: »Damals gab es<br />
dort eine Frau, die schwanger war. Plötzlich<br />
war ihr Leib nicht mehr geschwollen. Und nach<br />
vier Tagen hörte man dann, daB den kinderlosen<br />
Leuten ein Kind geboren war. Sie gingen schon<br />
gebückt und hatten graue Haare, als das Kind<br />
kam. Das ist in Wirklichkeit ihr Kind!«<br />
Da sprach ein Angesehener aus dem Lande:<br />
»Was ich über uneheliche Kinder weiB, ist, daB<br />
wir ihnen seit unseren Vorfahren Schaden zufügen,<br />
daB wir ihren Besitz bei ihrem Hause verzehren<br />
und die Bananenstauden oder die anderen<br />
Baume fallen; denn wenn das nicht geschieht,<br />
entsteht eine Seuche im Lande. Die Person<br />
wird im Dorf geehrt 3 !« Darauf gingen sie<br />
nach dem Hause des vaterlosen Mannes, um<br />
Schaden anzurichten.<br />
Er gab ihnen zu essen mit den Worten: »Bittet<br />
darum, daB ich viel Gold besitzen möge!«<br />
Dann ehrten sie ihn: »Wir sind hergekommen,<br />
um dich zu ehren. Denn damals war dein Vater<br />
auch ein angesehener Mann.« Damit schmeichelten<br />
sie seinem Herzen und seinen Ohren.<br />
Bis da geht diese Erzahlung. Wenn spater derartige<br />
Menschen vorhanden waren, so wurde das<br />
Land durch ein Opferfest gereinigt.<br />
165
Der Mann, der<br />
Riesenschlange<br />
eine<br />
tötete<br />
£ ines Tages wollte ein Mann mit seiner Frau<br />
von der Landschaft Tepa nach der anderen Seite<br />
der Insel gehen. Sie machten sich bewaffnet auf<br />
den Weg. Der Mann trug eine Lanze in der<br />
Hand. Sie gingen den ganzen Tag hindurch und<br />
hatten bereits die Half te des Weges hinter sich.<br />
Vor ihnen ging ein Mann, der mit einem Schwert<br />
bewaffnet war, in der gleichen Richtung. Wahrend<br />
er nun so des Weges dahinzog, erblickte er<br />
eine riesige dunkle Schlange von der GröBe des<br />
Stammes einer Kokospalme. Sie überquerte gerade<br />
seinen Weg, und ihr Kopf war bereits im<br />
Gebüsch verschwunden, als der Mann kam. Da<br />
dachte er: ,Wenn ich sie töte, dann fürchte ich,<br />
daB sie mich friBt; töte ich sie jedoch nicht, dann<br />
friBt sie andere Leute auf.' Deshalb nahm er<br />
sein Schwert und durchhieb den Körper der<br />
Schlange zweimal. Dann sammelte er die Teile<br />
und rollte sie mitten auf dem Weg zusammen.<br />
so daB sie wie eine lebende Schlange aussahen.<br />
Dann sagte er: »Wenn andere sie finden, dann<br />
mögen sie erschrecken!« Darauf setzte er seinen<br />
Weg fort. Er kam in ein Dorf. Dort fand gerade<br />
eine Versammlung aller Alten und Angesehenen<br />
statt.<br />
Als der von hier kommende Mann, der die<br />
Schlange getötet hatte, sich unter die Menge begab,<br />
fragte man ihn: »Woher kommst du?«<br />
»Ich komme aus Tepa und will nach der anderen<br />
Seite der Insel.«<br />
Inzwischen kamen der Mann und seine Frau an<br />
die Stelle, wo der genannte Reisende die<br />
Schlange getötet hatte. Beim Gehen erblickte<br />
die Frau die Riesenschlange mitten auf dem<br />
166
Wege, und da sie wie eine lebende Schlange aussah,<br />
wich die Frau erschrocken zurück und fiel<br />
in die Lanzenspitze ihres Mannes. Die Frau<br />
starb auf der Stelle.<br />
Da rief ihr Mann in der Nahe befindliche Leute.<br />
Und als sie kamen und die tote Frau sahen, da<br />
schüttelten sie ihr Haupt. Dann sagte der Mann:<br />
»Diese Tote lasse ich in euren Handen zurück!«<br />
»Es ist gut«, erwiderten die Leute und nahmen<br />
sie mit nach Hause.<br />
»Ich setze meine Reise fort. Bestattet meine<br />
Frau nicht, sondern wartet damit, bis ich wiederkomme!«<br />
Dann machte er sich schleunigst<br />
auf den Weg.<br />
Als er in jenem Dorf ankam, wo alle Alten und<br />
Angesehenen eine Versammlung abhielten, entbot<br />
er seinen GruB. Man fragte ihn, woher er<br />
komme. Und er antwortete: »Ich komme aus<br />
Tepa und bin auf dem Wege nach der anderen<br />
Seite der Insel.« Alsdann grüBte er sie ehrerbietig.<br />
»Ich bitte euch alle ehrerbietigst um Erlaubnis,<br />
ein kleines Erlebnis zu berichten.«<br />
»Gut«, sagten die Leute in der Versammlung.<br />
Da sprach er: »Ich und meine Frau kamen zu<br />
zweit aus Tepa. Als wir nun auf dem Hauptweg<br />
ankamen, stieBen wir auf eine Riesenschlange,<br />
die andere Leute getötet hatten. Sie<br />
hatten sie genau in die Mitte des Weges gelegt.<br />
Derj enige, der sie getötet hat, muB sehr mutig<br />
gewesen sein; ohne besondere Krafte hatte er<br />
es nicht tun können.«<br />
Bevor seine Worte beendet waren, antwortete<br />
bereits der Mann, der die Schlange vorhin getötet<br />
hatte: »Ich habe die Schlange getötet! Ich<br />
war völlig erschöpft vom Zuschlagen, und beinahe<br />
ware mir ein Unglück zugestoBen!«<br />
167
Da sagte der Mann, dessen Frau gestorben war:<br />
»In der Tat, in der Tat! Habt ihr Leute es gehort,<br />
die ihr hier seid?«<br />
»Ja!« antworteten die zahlreichen Leute in der<br />
Versammlung.<br />
Da stand der Mann, dessen Frau gestorben war,<br />
auf und begab sich in die Nahe dessen, der die<br />
Schlange getötet hatte. Und mit einem Schlage<br />
hieb er ihm mit seinem eigenen Schwerte den<br />
Kopf ab. Dann sagte er: »Du bist das Sühneopfer<br />
für meine Frau!«<br />
Die Leute waren sprachlos und standen mit offenem<br />
Mund da. SchlieBlich sagte einer: »Warum<br />
hast du ihn getötet?«<br />
Er antwortete: »Er ist wegen seiner losen Zunge<br />
gestorben; die war es, die ihn tötete, nicht ich!<br />
Denn meine Frau ist durch ihn ums Leben gekommen.<br />
Er rollte die von ihm getötete Schlange<br />
wie eine lebende mitten auf dem Wege auf. Als<br />
meine Frau dann vor Schreck zurücksprang, fiel<br />
sie in die Spitze meiner Lanze, so daB sie aufgespieBt<br />
wurde und auf der Stelle starb. Und<br />
nun bitte ich euch darum, daB ihr mitkommt und<br />
euch die Tote anseht, damit wir sie bestatten<br />
können. Wenn ihr mich töten wollt, dann werde<br />
ich nicht fliehen!«<br />
Da machte sich die Menge auf den Weg, um sich<br />
die tote Schlange und die tote Frau anzusehen.<br />
Dort sprach der Fürst: »Wie denkt ihr darüber?«<br />
Die Leute antworteten: «Der Mann, der die<br />
Schlange tötete, hatte zur Vergeltung für seine<br />
Tat mit Recht sein Leben verwirkt'. Die Zeit<br />
der Frau war erfüllt. Und nun laBt uns sie hier<br />
begraben!«<br />
Bis da geht die Erzahlung von der Schlange und<br />
der toten Frau.<br />
168
Da sagten die Alten: »Wer in Zukunft eine tote<br />
Schlange mitten auf den Weg legt, der wird getötet!<br />
Zur Vergeltung dafür hat er sein Leben<br />
verwirkt. Und wer eine Lanze in der Hand halt,<br />
der soll ihre Spitze nach hinten halten 2 , damit<br />
kein Unglück geschieht!«<br />
Der Mann, der seinen Besitz<br />
vor seinem Tode verteilte<br />
£"in reicher Mann hatte drei Söhne, deren Charakter<br />
sehr gut, und die sehr fleiBig waren. Da<br />
dachte der Reiche eines Tages bei sich: ,Ich bin<br />
schon alt.' Als ein ebenfalls reicher Mann aus<br />
jenem Lande zu ihm kam, sagte er zu ihm: »Da<br />
ich alt bin, werde ich meinen Besitz an deine<br />
drei Neffen 1<br />
verteilen. Dafür mögen sie mich<br />
dann ernahren, und ich will auf ihre Kinder aufpassen<br />
und ihre Hauser hüten. Denn ich kann<br />
nicht mehr sehr weit gehen.«<br />
Aber der Angeredete sprach: »Alterer Bruder,<br />
gib deinen Besitz nicht zu voreilig schon jetzt an<br />
deine Kinder! Wenn du nachher gestorben bist,<br />
dann übergeben wir ihnen deinen Besitz!«<br />
Der Reiche erwiderte: «Weshalb sollte das denn<br />
nicht richtig sein? Denn der Charakter deiner<br />
Neffen ist gut; sie pflegen mich und deine<br />
Schwagerin nicht zu erzürnen. Ich werde meinen<br />
Besitz doch an sie verteilen, und dafür mögen sie<br />
uns abwechselnd zu essen geben.«<br />
Der andere sprach: »Tu es denn, alterer Bruder,<br />
denn ich kann dich nicht zwingen, und ich kann<br />
dir keine Befehle erteilen!«<br />
Nachdem der Vater seinen Besitz an seine drei<br />
Söhne verteilt hatte, sprach er zu ihnen: «M<strong>org</strong>ens<br />
essen wir bei dir, unserem Jüngsten; mittags<br />
bei dir, dem Zweitaltesten, und abends bei<br />
169
dir, dem Altesten. S<strong>org</strong>t dafür, mich und eure<br />
Mutter zu ernahren!« Darauf pflegten ihre Eltern<br />
Tag für Tag von einem Sohn zum andern zu<br />
gehen. Nachdem diese reich geworden waren,<br />
s<strong>org</strong>ten sie auch für ihre Eltern: sie gaben ihnen<br />
Essen und sehr schone Kleider.<br />
Nach ungefahr einem Jahr vers<strong>org</strong>ten sie ihren<br />
Vater nicht mehr besonders gut; denn ihre Mutter<br />
war gestorben, so daB ihr Vater allein zurückblieb.<br />
Er ging bereits krumm, und seine<br />
Kleider waren ganz zerrissen, so daB er wie ein<br />
armer Mann aussah. Und seine Beschaftigung<br />
bestand darin, in den Hausern anderer Leute<br />
betteln zu gehen. Denn seine Söhne s<strong>org</strong>ten nicht<br />
mehr für ihn. Wenn ihr Vater zu ihnen kam,<br />
sagten sie: »Der lastige Alte bereitet uns dauernd<br />
Ungelegenheiten. Gebt ihm nur den kalten<br />
Reisbrei dort!«<br />
Er aB ihn auch, aber dabei flossen die Tranen des<br />
einst reichen Mannes in Stromen; denn er erinnerte<br />
sich an jene Zeit, als er stolz war, und<br />
als er noch alles mögliche zu essen hatte. Bei<br />
sich dachte er: ,Das ist nun der Dank, den mir<br />
meine Söhne für all mein Gold zuteil werden<br />
lassen!' Dann begab er sich nach dem Hause seines<br />
jüngsten Sohnes, der sagte: »Was begehrst<br />
du? Es ist noch sehr früh am M<strong>org</strong>en, und du<br />
kommst schon?«<br />
Da sprach der Alte: »Wehe dir, mein Sohn, warum<br />
hast du das gesagt?« Und der Vater ging sofort<br />
hinunter. Seitdem pflegte er nicht wiederzukommen,<br />
sondern er begab sich nach einem<br />
anderen Ort. Seine Söhne waren weiterhin reich<br />
in jenem Lande, aber ihr Vater war verarmt und<br />
pflegte von einem Ort nach dem andern zu ziehen.<br />
Er bat um das Mitleid anderer.<br />
170
Eines Tages begegnete er dem reichen Mann, mit<br />
dem er seinerzeit gesprochen hatte. Als dieser<br />
seinen alteren Bruder erblickte, schüttelte er<br />
sein Haupt, weil er sah, daB der Reiche arm geworden<br />
war. Nun war er reich in Gott und zog<br />
im Lande umher. Da redete er den Armgewordenen<br />
an: »Warum ergeht es dir so, alterer Bruder?<br />
Weshalb kommst du ganzlich unerwartet<br />
her?«<br />
»Erspare mir, daB ich es dir mitteile, jüngerer<br />
Bruder! Denn immer ergeht es uns so, die wir<br />
auf Erden leben.«<br />
Alsdann unterhielten sie sich, und der Jüngere<br />
sprach zu ihm: »Ich weiB einen Rat; willst du ihn<br />
befolgen, alterer Bruder? Wenn du willst, teile<br />
ich ihn dir mit!«<br />
»Teile ihn mir mit!«<br />
»Dann komm mit mir nach Hause!«<br />
Nachdem sie dort angelangt waren, ersetzte er<br />
seinem alteren Bruder die völlig zerrissenen<br />
Kleider, und dann gaben sie ihm zu essen. Der<br />
verarmte reiche Mann war mit SchweiB bedeckt<br />
und weinte.<br />
Da holte sein jüngerer Bruder einen kleinen<br />
Stein herauf, wickelte ihn in zwei Stücke weiBen<br />
Stoff und gab ihn seinem alteren Bruder mit den<br />
Worten: »Dies ist ein Erbstück von meinen Vorfahren.<br />
Wohin du auch gehst, nimm es stets mit,<br />
lege es nicht weg! Wenn du schlafst, benutze es<br />
als Kopf kissen! Vielleicht s<strong>org</strong>en deine Söhne<br />
dann wieder für dich. Wer auch immer danach<br />
fragt, dem sage: ,Das ist ein Erbstück von meinen<br />
Vorfahren, das man nicht aus den Handen geben<br />
darf. Deshalb bin ich reich gewesen, und deshalb<br />
habe ich viel Besitz mein eigen genannt. Aber<br />
jetzt haben mich meine Söhne vernachlassigt;<br />
171
denn sie sind sehr stolz geworden, und sie hassen<br />
mich, weil ich alt bin!'«<br />
Da horten seine Söhne von dem Erbstück ihres<br />
Vaters. Deshalb holten sie ihn wieder, s<strong>org</strong>ten<br />
für ihn und gaben ihm Kleidung wie damals.<br />
Denn alle drei wuBten bereits, daB ihr Vater<br />
einen Talisman von seinen Vorfahren besaB. Deshalb<br />
bemühten sie sich wieder um ihren Vater<br />
und taten wie damals an ihm.<br />
Als ihr Vater dann nach einiger Zeit starb, sagten<br />
sie: »Dieses Erbstück kommt mir zu!« Ein<br />
jeder von ihnen beanspruchte es für sich. So gerieten<br />
sie miteinander in Streit um das Erbstück.<br />
Sie kümmerten sich nicht um ihren toten Vater,<br />
sondern stritten nur weiter miteinander. Deshalb<br />
kamen die Leute aus dem Ort und bestatteten<br />
den reichen Mann; denn seine Söhne waren<br />
nur mit dem Streit um das Erbstück beschaftigt.<br />
Wahrenddessen kam der Bekannte ihres Vaters,<br />
der an einem anderen Ort wohnte: »Worum<br />
streitet ihr miteinander? Ihr habt nicht einmal<br />
euren Vater bestattet, ihr benehmt euch, als ob<br />
euch ein Damon verhext hatte! Bringt es her,<br />
damit ich es unter euch verteile!« Als er das<br />
Bündel ihres Vaters öffnete, da war nur ein kleiner<br />
Stein zu sehen.<br />
»0 weh«, sagten da die Leute, »der Talisman<br />
ist zu Stein geworden! Er hat keinerlei Nutzen<br />
mehr; denn seine Kr aft ist geschwunden!«<br />
Da sprach der Bekannte ihres Vaters: »Ihr drei<br />
habt gleichermaBen nichts!» Dann nahm er den<br />
Stein und warf ihn in den FluB. Und die drei<br />
Manner schwiegen, weil sie es bereits bereuten,<br />
um das Erbstück gestritten zu haben, das zu<br />
Stein geworden war.<br />
Da sagte ein alter Mann: »In Zukunft laBt uns<br />
unseren Besitz nicht an unsere Kinder verteilen,<br />
J 72
sondern solange wir noch am Leben sind, wollen<br />
wir ihn behalten! Und wenn wir sterben, sollen<br />
die Leute im Ort ihn aufteilen. So sei es in Zukunft!<br />
LaBt uns nicht der Weise dieses reichen<br />
Mannes folgen, der seinen Besitz verteilte, bevor<br />
er starb; denn spater hat er es sehr bereut. Habt<br />
ihr es alle gehort?«<br />
»Wir alle haben es vernommen, o langlebiger<br />
Mann!«<br />
Der reiche Mann,<br />
der vor Hunger starb<br />
'Jn einem Lande war einmal ein reicher Mann.<br />
Er besaB Reis, viele Büffel und Ziegen. In Haus<br />
und Hof hatte er Besitz, und alle Lebensmittel<br />
waren für ihn in genügender Menge vorhanden.<br />
Eines Tages sprach er bei sich selbst: ,Ich besitze<br />
bereits genügend Reichtümer in diesem<br />
Lande. Es gibt niemanden, der reicher ist als<br />
ich. Jetzt will ich keine Reichtümer mehr anh<br />
auf en; denn meine Mittel zum Leben genügen<br />
bereits.' Alsdann begab er sich nach der Wohnung<br />
seiner ersten, alteren Frau. Nachdem er<br />
gegessen und Betel gekaut hatte, rief er die<br />
Frau zu sich und sagte dann: »Wir besitzen jetzt<br />
bereits genügend Reichtümer. Deshalb möchte<br />
ich es nun bequem haben. Meine Beschaftigung<br />
wird künftig darin bestehen, daB ich vom Oberlauf<br />
nach der Mündung gehe 1 . So wollen wir<br />
nun eine geeignete Vereinbarung treffen, damit<br />
wir zufrieden leben!«<br />
Seine Frau sprach: »Warum nicht? Ich bin nur<br />
eine von deinen Frauen. Meine Arbeit besteht<br />
nur darin, Mahlzeiten zu koenen. Mit allen<br />
anderen Angelegenheiten bef asse ich mich<br />
nicht.«<br />
Da entgegnete ihr Mann: »Ab heute wollen wir<br />
es folgendermaBen halten: m<strong>org</strong>ens gibst du mir<br />
173
zu essen, mittags deine zweite Mitehefrau und<br />
abends deine dritte, jüngste Mitehefrau. So soll<br />
es Tag für Tag sein! Gebt mir eine nach der<br />
anderen zu essen, damit es mir gut schmeckt!«<br />
Seine Frau antwortete: »Das ist keineswegs<br />
verkehrt! Für alles, was du sagst, bist nur du<br />
verantwortlich; denn w i r befolgen nur deine<br />
Worte.«<br />
Weiter sagte der Reiche: »Wenn ich abends nicht<br />
zur Essenszeit komme, dann laB mir kein Essen<br />
zurück! Denn wenn es aufgewarmt ist, schmeckt<br />
es mir nicht.« Alsdann begab er sich in das<br />
Haus seiner zweiten Frau. Dort besprach er mit<br />
ihr alles genau so wie er es mit der altesten<br />
Frau besprochen hatte.<br />
Seine zweite Frau antwortete: »Warum nicht?<br />
W i r sind Frauen, und was du sagst, das befolgen<br />
wir. Was auch immer dein Wüle ist, es ist<br />
gut.«<br />
Darauf machte er sich auf den Weg nach dem<br />
Hause seiner jüngsten Frau, der er dasselbe erzahlte.<br />
Sie sagte dann: »Wir gehorchen dir nur. Ob<br />
wir leben oder sterben, wir befolgen deine<br />
Worte.«<br />
Der Mann fuhr fort: »Wenn ich m<strong>org</strong>ens nicht<br />
zur Essenszeit komme, dann laB kein Essen für<br />
mich zurück! Abends soll es ebenso sein: wenn<br />
ich nicht zur Schlafenszeit komme, dann öffne<br />
die Tür nicht! Das wollen wir ein für allemal<br />
verabreden!«<br />
Darauf pflegte der Reiche von einem Haus zum<br />
andern spazieren zu gehen; vom Oberlauf nach<br />
der Mündung zu gehen, war Tag für Tag seine<br />
Beschaftigung. Nachdem er an einem Ort gegessen<br />
und geschlafen hatte, tat er nichts anderes<br />
mehr.<br />
174
Die Alten sagten: »Was ist seine Beschaftigung?<br />
nur essen und schlafen? Über seinen m<strong>org</strong>endlichen<br />
und abendlichen Lebensunterhalt macht<br />
er sich überhaupt keine Gedanken!«<br />
Eines Tages ging er nun zusammen mit vielen<br />
Leuten von einem Hause nach dem anderen auf<br />
Besuch. Als er sah, daB die Sonne bereits hoch<br />
stand und die Zeit, zu Mittag zu essen, vorbei<br />
war, sprach er bei sich: ,Ich gehe essen, denn ich<br />
bin hungrig.' Darauf begab er sich nach dem<br />
Hause seiner zweiten Frau. Als er dort ankam,<br />
war sie bereits fertig mit dem Essen. Da sagte er:<br />
»Wo ist das Essen für mich? Bring es her, Frau!«<br />
»Es ist kein gekochter Reisbrei da, denn wir sind<br />
schon alle mit dem Essen fertig. Damals hast<br />
du doch gesagt: ,Wenn ich nicht zur Essenszeit<br />
komme, dann laB kein Essen für mich zurück!'«<br />
Da wurde der Reiche zornig und ging nach dem<br />
Haus seiner driften Frau. Als er dort ankam,<br />
war auch sie bereits mit dem Essen fertig. Er<br />
fragte sie: »Wo ist mein Essen? Bring es her!«<br />
Da antwortete sie: »Woher soll denn Essen für<br />
dich kommen? Damals hast du doch gesagt:<br />
,Wenn die Essenszeit vorbei ist, dann laB mir<br />
nichts zurück!'«<br />
SchlieBlich begab er sich nach dem Hause seiner<br />
ersten Frau. Als er dort ankam, war es bereits<br />
gegen zehn Uhr abends 2 , und die Hausbewohner<br />
waren schon alle schlafen gegangen. Deshalb<br />
ging er sofort nach dem Hause seiner zweiten<br />
Frau. Und als er dort ankam, war es bereits<br />
Mitternacht. Er rief die Leute, aber nicht einer<br />
wachte auf, denn das ganze Haus war bereits in<br />
Schlaf gefallen. Und weil er fortgesetzt so zwischen<br />
Oberlauf und Mündung hin und her lief,<br />
kam er die ganze Nacht und den ganzen Tag<br />
nicht dazu, zu essen und zu schlafen.<br />
175
Als er SchlieBlich mitten auf dem Wege ankam,<br />
konnte er nicht mehr gehen; denn er war sehr<br />
hungrig und nel nur so hin. Er war völlig erschöpft,<br />
weil er weder gegessen noch geschlafen<br />
hatte.<br />
Als dann Leute von der Mündung kamen und<br />
den Mann dort regungslos liegen sahen, fragten<br />
sie ihn: »Weshalb liegst du da, Reicher?«<br />
Dieser antwortete: »Ich bin vom Oberlauf gekommen<br />
und war auf dem Weg nach der Mündung;<br />
aber ich kann nicht mehr gehen. Helft<br />
mir deshalb und bringt mich nach dem Hause<br />
meiner ersten Frau!«<br />
Als sie dort mit ihm eintrafen, fragte seine<br />
Frau: »Warum befindest du dich in einem derartigen<br />
Zustand? Kannst du nicht gehen?«<br />
Ihr Mann erwiderte: »Das Verhangnis hat es so<br />
gewollt. Ich bin jetzt völlig erschöpft, weil ich<br />
weder gegessen noch geschlafen habe.«<br />
»Was kann ich dabei tun? Du hast es doch so<br />
gewollt! Nicht ich habe es damals gesagt, und<br />
nun hat es dich ereilt!« Alsdann holte die Frau<br />
Reisbrei, um ihn ihrem Mann zu geben.<br />
Aber er konnte seinen Mund nicht mehr öffnen,<br />
weil seine Kiefer bereits steif waren. Nach zwei<br />
Tagen starb der Reiche, weil er weder gegessen<br />
noch geschlafen hatte.<br />
Darauf bestattete man ihn. Nachdem die Menge<br />
heimgekehrt war, sprach ein alter Mann aus<br />
jenem Lande: »Jetzt wird dies eine Lehre für<br />
euch alle sein, die ihr in diesem Lande wohnt,<br />
damit es sich in Zukunft nicht wiederhole: gebt<br />
euch nie mit dem Erreichten zufrieden, sondern<br />
arbeitet stets an seiner Vervollkommnung weiter<br />
3 ! Faulenzt nie!«<br />
Damit ist diese Erzahlung zu Ende.<br />
176
FABELN<br />
Pythonsch1ange und Reisvogel<br />
s gab einmal eine<br />
Pythonschlange,<br />
die auBerordentlieh<br />
giftig war.<br />
Wenn sie nur in<br />
unsere FuBspuren<br />
biB, so starben<br />
wir bereits 1 ;<br />
wenn sie nur in<br />
die Spur eines<br />
Wildschweines<br />
biB, so starb es. Alle, in deren Spur sie biB,<br />
kamen ums Leben. BiB sie einen Menschen, so<br />
dauerte es nicht einen Betelbissen lang 2 , bis er<br />
verschied. Sehr viele Büffel, Ziegen sowie Hühner<br />
und Menschen kamen gleichermaBen durch<br />
sie ums Leben. Die Leute fürchteten sich deshalb<br />
schon, in den buschigen Wald zu gehen.<br />
Da kam ein Reisvogel, der sich auf den Weg<br />
gemacht hatte, um die Pythonschlange aufzusuchen.<br />
Er flog in den Baumwipfel über der<br />
Schlange und sprach: »Hallo, Schwester Schlange,<br />
was tust du da?«<br />
Sie antwortete ihm: »Was? Möchtest du gerne<br />
sterben? «<br />
Da sagte der Reisvogel: »Sei nicht zornig, Schwester<br />
Schlange! Ich bin her gekommen, um dich<br />
12 f 7 7
aufzusuchen. Ich hörte namlich wiederholt, daB<br />
du sehr giftig seiest. Man sagt, daB die von dir<br />
Totgebissenen zahlreich seien.«<br />
Darauf waren die Worte der Schlange: »Wir<br />
können es einmal versuchen! Wenn du sterben<br />
möchtest, dann komm her, damit ich in deine<br />
Spur beiBe! Dann kannst du sehen, ob du hinterher<br />
nicht krepierst!«<br />
Der Reisvogel sagte: »Sei nicht zu voreilig!<br />
Wenn es möglich ist, komme ich m<strong>org</strong>en ganz<br />
früh hierher, um dich aufzusuchen!«<br />
Die Schlange sprach: «Wenn dir dein biBchen<br />
Leben lieb ist, komm nicht hierher!«<br />
Bruder Reisvogel schickte sich dann an, heimzukehren.<br />
Bei einem Pandanus-Waldchen 3<br />
angekommen,<br />
sprach er zu seinen Gefahrten: »M<strong>org</strong>en werden<br />
wir die Schwester Pythonschlange dort im FiuBtal<br />
auf suchen! Wir wollen ihre Giftigkeit prüfen.<br />
Denn es sind sehr viele Menschen, die sie<br />
totgebissen hat.« Sie machten sich dann zu viert<br />
auf den Weg. Da sprach der groBe Reisvogel:<br />
»Wenn Schwester Pythonschlange mich nachher<br />
ruft, dann antwortet ihr: ,Fange an!'« Darauf<br />
flogen sie los.<br />
Dort angekommen, flog der Reisvogel vor die<br />
Schlange und sprach: »BeiBe nachher dort in<br />
meine Spur, Schwester Schlange, damit ich sehe,<br />
ob es wirklich stimmt, daB du übernatürliche<br />
Krafte besitzest!«<br />
Darauf biB die Schlange in die Spur des Bruders<br />
Reisvogel und rief: «Hallo, Bruder Reisvogel!«<br />
Da beantwortete ein anderer Reisvogel den Ruf<br />
der Schlange: «Hier bin ich!«<br />
Deshalb sagte sich die Pythonschlange: ,Der Bruder<br />
Reisvogel ist tatsachlich nicht gestorben. Es<br />
178
scheint, daB mein Gift nicht mehr imstande ist,<br />
zu wirken. Anscheinend sterben sie nicht mehr,<br />
obwohl ich sie beiBe. Wenn es so ist, dann ist<br />
es besser, daB ich es dorthin erbreche!' Deshalb<br />
erbrach sie ihr gesamtes Gift auf die Blatter der<br />
Brennessel.<br />
Es kam dann eine erang-erang-Schlange 4<br />
und<br />
leekte an dem Gift der Python; die groBe Giftigkeit<br />
ging infolgedessen auf sie über. Und es kam<br />
noch eine ular gelang 5<br />
geheiBene Schlange aus<br />
dem Meer. Sie leekte ebenfalls ein wenig von<br />
dem Gift der Pythonschlange auf. Daher sind<br />
beide Schlangen jetzt sehr giftig.<br />
Der Zwerghirsch und der<br />
Hund<br />
£s war einmal ein Pflanzungsbesitzer, in dessen<br />
Pflanzung es Zuckerrohr, Bananen sowie Gewachse<br />
aller Art gab. Deshalb zaunte er seinen<br />
Garten ein, damit nicht Wildschweine und Affen<br />
die Früchte fraBen. Und es gab auch Leute, die<br />
auf seine Pflanzung zu achten hatten; sie bewachten<br />
sie Tag und Nacht. Sie sahen zwar, daB<br />
das Zuckerrohr verschwand, und daB die Bananenstauden<br />
umfielen oder deren Früchte gefressen<br />
wurden, aber denj enigen, der sie auffraB,<br />
trafen sie niemals an; nur seine Spuren<br />
sahen sie. Deshalb sprach der Pflanzungsbesitzer:<br />
»Ich habe gestern gesehen, daB sehr viel<br />
Zuckerrohr vernichtet ist. Wer mag es nur gefressen<br />
haben?«<br />
Da erwiderten die Leute, welche die Pflanzung<br />
bewachten: »So friBt nach unserer Ansicht nur<br />
der Bruder Zwerghirsch 1 ; denn wenn es ein<br />
Wildschwein ware, so hatte der Zaun ein Loch.«<br />
12* i 7 9
Darauf riet ihnen der Pflanzungsbesitzer: »Fertigt<br />
dort, wo er springt, Fallgruben oder FuBangeln<br />
an!«<br />
Sie führten den Auftrag aus, aber trotzdem vermochten<br />
sie ihn nicht zu fangen. Weil der<br />
Zwerghirsch sehr schlau war, konnte man seiner<br />
nicht habhaft werden; er kannte namlich<br />
alle Todesarten ganz genau.<br />
Da kam ein Mann und sprach: »Es gibt noch<br />
eine andere List. Man nehme sehr viel Gummi<br />
vom wilden Brotfruchtbaum und forme es wie<br />
eine Katze. Dann stelle man sie hier innerhalb<br />
des Zaunes auf den Weg!«<br />
Als es Nacht geworden war, kam Bruder Zwerghirsch.<br />
Und als er die Katze erblickte, die auf<br />
dem Wege stand, sagte er zu ihr: »Was hast du<br />
vor, Schwester Katze? Ich will dorthin gehen,<br />
um mir Nahrung zu suchen!« Als die Katze<br />
nicht antwortete, wurde er sehr zornig und ohrfeigte<br />
den wie eine Katze geformten Klebstoff.<br />
Als Bruder Zwerghirschs Pfote festklebte, stieB<br />
er auch noch mit den FüBen danach, so daB auch<br />
diese haften blieben. Da konnte er sich nicht<br />
mehr bewegen, weil er daran festgeklebt war.<br />
Am folgenden M<strong>org</strong>en kam dann der Pflanzungsbesitzer<br />
mit seinen Leuten. Als sie sahen, daB<br />
Bruder Zwerghirsch am Klebstoff festsaB, da<br />
sprachen sie: »Du da bist es also, der unsere<br />
Pflanzungserzeugnisse zu fressen pflegt!«<br />
»Nicht ich bin es, der eure Erzeugnisse friBt,<br />
sondern meine Begierde verzehrt sie!«<br />
Darauf nahmen die Leute ihn mit nach Hause.<br />
Dort angekommen, sperrten sie den Zwerghirsch<br />
in den Hühnerstall.<br />
Da dachte er bei sich: ,Jetzt werden sie mich<br />
töten oder schlachten, um mich dann zu verzehren.'<br />
180
Alsdann sagte der Pflanzungsbesitzer: «Schlachtet<br />
den Bruder Zwerghirsch nachher!«<br />
»Es ist gut!« erwiderten die Leute, die den<br />
Zwerghirsch gefangen hatten.<br />
Als dann ein Hund vorüberlief, begann Bruder<br />
Zwerghirsch zu weinen, so daB seine Tranen in<br />
Stromen flossen. Deshalb fragte der Hund: «Warum<br />
tust du so, Bruder Zwerghirsch?«<br />
»Man will mich mit einer Frau verheiraten,<br />
aber ich will die Heirat durchaus nicht. Mein<br />
ganzes Leben lang will ich nicht heiraten. Oder<br />
möchtest du heiraten?«<br />
Da erwiderte der Hund: »Wenn die Hochzeit mit<br />
einer Frau stattfinden soll, dann möchte ich wohl<br />
heiraten!«<br />
Bruder Zwerghirsch sprach: »Dann öffne mir<br />
doch, damit ich hinausgehen kann, und geh du<br />
in den Stall! Und wenn nachher die Leute kommen,<br />
um dich zu holen, dann rede auf keinen<br />
Fall, sondern verhalte dich ganz still; denn sie<br />
holen dich zur Hochzeit!« Darauf lief Bruder<br />
Zwerghirsch fort.<br />
Als die Leute kamen, um den Zwerghirsch zu<br />
holen, erblickten sie einen Hund in dem Stall.<br />
Da sprachen sie: «Bruder Zwerghirsch ist frei;<br />
denn im Stall befindet sich ein Hund!«<br />
Sein Gefahrte sagte: «Erzahle es auf keinen<br />
Fall! Sonst wird der Pflanzungsbesitzer uns umbringen.<br />
Denn er wollte doch den Bruder Zwerghirsch<br />
als Zukost essen, den Hund mag er nicht<br />
Jetzt laB uns aber diesen Hund schlachten! Wir<br />
sagen dann, es sei Zwerghirschfleisch!«<br />
Nachdem das Fleisch gar war, brachten sie es<br />
dem Manne. Als er das Hundefleisch aB, sagte<br />
er: «Ist es auch wahr, daB es Zwerghirschfleisch<br />
18i
ist?« Denn die Leute, die das Fleisch gekocht<br />
hatten, aBen nicht davon 2 .<br />
Am anderen Tage frühm<strong>org</strong>ens sprach dann der<br />
Zwerghirsch: »Derjenige, welcher das Hundefleisch<br />
aB, dachte vermutlich, daB es Zwerghirschfleisch<br />
ware. Aber der Kopf des Hundes<br />
liegt hinter der Küche!«<br />
Als der Mann das hörte, dachte er: ,Ihr habt mir<br />
anscheinend Hundefleisch zu essen gegeben!' Als<br />
er dann hinging, erblickte er den Hundekopf,<br />
der tatsachlich hinter der Küche lag 3 . Da wurde<br />
er zornig auf die Leute, die das Fleisch gekocht<br />
hatten.<br />
Sie sprachen: «Nachts konnten wir nichts sehen.<br />
Deshalb sagten wir uns: anscheinend ist dies der<br />
Bruder Zwerghirsch; denn er sieht auch fast aus<br />
wie ein Hund.« Als er daraufhin auf sie eindrang,<br />
ergriffen die beiden die Flucht.<br />
Da sagte der Zwerghirsch: »Bringe sie nicht um,<br />
Bruder! Wenn du willst, töte mich! Nimm trokkene<br />
Kokospalmenblatter und binde sie an meinem<br />
Schwanz fest! Dann zünde sie an! Das<br />
allein kann mein Tod sein, durch etwas anderes<br />
vermag ich nicht zu sterben!«<br />
Darauf holte der Mann trockene Kokospalmenblatter<br />
und band sie am Schwanz des Zwerghirsches<br />
fest mit den Worten: »Es ist auch wahr!<br />
Anscheinend bedeutet das den Tod des Zwerghirsches!«<br />
Darauf holte er Feuer und steckte<br />
die Blatter am Schwanz des Bruders Zwerghirsch<br />
in Brand 4 . Als das Feuer heil aufflammte,<br />
sprang der Zwerghirsch auf den First des Hauses<br />
des Pflanzungsbesitzers. Infolgedessen geriet<br />
das Haus in Brand. Das ganze Gebaude und die<br />
Besitztümer darin wurden von den Flammen<br />
vernichtet. Der Zwerghirsch aber stürzte sich in<br />
182
einen Büfïeltümpel, so daB das Feuer an seinem<br />
Schwanz erlosch. Darauf begab er sich ins Innere<br />
des Waldes.<br />
Bis dahin geht die Erzahlung von dem Bruder<br />
Zwerghirsch und dem Hunde.<br />
Das Wildschwein und der Affe<br />
fin einzelner Affe hüpfte von Baum zu Baum,<br />
um Nahrung zu suchen. Er begab sich dann hinunter<br />
nach dem Rande des Krüppelholzes. Als er<br />
dort einem groBen Wildschwein mit sehr scharren<br />
Hauern begegnete, sprach er: »Was suchst<br />
du hier, Freund Wildschwein?«<br />
Das Wildschwein antwortete: »Nichts suche ich!<br />
Ich warte, daB es Nacht wird. Denn wenn es<br />
nachher dunkel ist, gehe ich auf die Suche nach<br />
Sago, Reis und allem, was ich antreffe.«<br />
Darauf fragte der Affe: »Warum kannst du dich<br />
denn nicht jetzt auf den Weg machen?«<br />
Das Wildschwein sprach: »Ich fürchte, daB die<br />
Hunde mich verfolgen!«<br />
Da meinte der Affe: »LaB uns am Rand dieses<br />
Krüppelholzes spazieren gehen! Hast du Lust,<br />
Freund Wildschwein?«<br />
»Es ist gut!« sagte das Wildschwein.<br />
Als sie fortgingen, sprach das Wildschwein:<br />
»Warum dürfen wir uns eigentlich nicht am<br />
Tage zeigen und ins freie Gelande gehen?«<br />
Darauf erwiderte der Affe: »Ich fürchte mich<br />
vor den Menschen; denn sie fangen oder töten<br />
uns, damit wir umkommen.«<br />
»Wie sehen die Menschen denn aus?«<br />
Der Affe sprach: »Sie haben zwei Beine, und ihr<br />
Kopf ist aufgerichtet. Sie kennen sehr viele<br />
i83
Listen, um alle Waldbewohner zu töten. Sie<br />
fangen uns mit Schlingen, und sie fertigen<br />
Affenfallen, FuBangeln und Kafige an, um uns<br />
damit umzubringen. Denn ihre Listen, durch<br />
die sie uns zu töten verstehen, sind sehr zahlreich.«<br />
Da sagte das Wildschwein: »Wenn es das ist, so<br />
fürchte ich die Menschen nicht. Denn wenn ich<br />
mich nur einmal mit meinen sehr scharfen Hauern<br />
auf sie stürze, dann f allen sie schon um!«<br />
Da meinte der Affe: »Sei nicht zu groBsprecherisch,<br />
Freund Wildschwein! Denn du bist die<br />
Listen der Menschen noch nicht gewahr geworden!«<br />
Als dann ein kleines Kind in Sicht kam, sprach<br />
das Wildschwein: »So sehen Menschen aus!<br />
Wenn ich mich einmal auf diesen da stürzte, so<br />
würde er schon hinfallen! Wenn ich ihn nur einmal<br />
mit den Hauern bearbeitete, dann würde<br />
er sterben!«<br />
»Dieser da ist noch kein richtiger Mensch, es gibt<br />
noch andere!«<br />
Darauf erblickten sie einen sehr alten Mann,<br />
dessen Rücken bereits gekrümmt war. »Ist dieser<br />
da ein richtiger Mensch?« waren die Worte<br />
des Bruders Wildschwein.<br />
»Nein«, erwiderte der Affe, »es gibt noch<br />
andere!«<br />
Darauf kam ein Mann mit einem Bambusspeer,<br />
einem Haumesser und einem Gewehr des Weges<br />
daher. Da sprach Bruder Affe: »Der da ist fürwahr<br />
ein richtiger Mensch! Wenn du willst,<br />
dann stürze dich auf ihn!«<br />
Und das Wildschwein rannte auf ihn los. Als es<br />
dort ankam, zog der Mann sein Haumesser und<br />
184
verwundete das Schwein damit. Er schoB auch,<br />
aber das Wildschwein wurde nicht getroffen. Da<br />
ergriff es die Flucht; denn sein Kopf war bereits<br />
voller Wunden.<br />
Als es dann mit dem Affen wieder zusammentraf,<br />
sprach dieser: »Wie ist es, Freund Wildschwein,<br />
hast du Bekanntschaft mit den Menschen<br />
gemacht?«<br />
Da erwiderte das Wildschwein: »Ich möchte keineswegs<br />
mit einem richtigen Menschen zusammengeraten!<br />
Denn aus seinem Munde kam<br />
Feuer, und aus seinem Bauche kamen scharfe<br />
Waffen!«<br />
Da meinte der Affe: »Sei nicht zu groBsprecherisch!<br />
Sieh nur deinen Kopf an, er ist rot von<br />
Blut!«<br />
Das Wildschwein erwiderte: »In Zukunft will<br />
ich auch auf keinen Fall wieder dorthin!«<br />
Bis da geht diese Erzahlung.<br />
Der Reisvogel und der Affe<br />
£"ines Tages begegneten sich Reisvogel und ein<br />
Affe auf einem Reisfelde. Da sagte der Affe:<br />
«Was habt ihr vielen Reisvogel für eine Beschaf<br />
tigung?«<br />
»Wir suchen Nahrung für unsere Kinder. Und<br />
du, Bruder Affe?«<br />
Er erwiderte: »Ich suche Nahrung für mich!«<br />
Als sie einander am folgenden Tage wiederum<br />
begegneten, sagte der Affe: »Wo ist euer Aufenthaltsort,<br />
Reisvögel?«<br />
»Wenn nicht an der Mündung, dann ist unser<br />
Aufenthaltsort am Oberlauf des Flusses!«<br />
Da sprach der Affe: »Was mich betrifft, so<br />
möchte ich nach dem Strand spazieren gehen,<br />
um mir die Gegend genau anzusehen.«<br />
185
Die Reisvogel meinten darauf: »Wenn du Lust<br />
hast, folge uns m<strong>org</strong>en! Wir wollen dann spazieren<br />
gehen, oder wir werden eine Segelfahrt<br />
unternehmen!«<br />
»Ich möchte wirklich gern dorthin nach dem<br />
Strand; denn ich habe ihn noch niemals gesehen.«<br />
Die Reisvogel sagten zu ihm: »Suche dort bei<br />
den Hausern der Menschen ein Boot für uns!«<br />
Und der Affe machte sich auf den Weg. Er fand<br />
auch einen Topf mit einer Reiskruste darin, einer<br />
Reiskruste, die vom vorigen Tage stammte und<br />
schon hart war. Da stahl er den Topf und<br />
kratzte die Reiskruste heraus. Denn diese sollte<br />
das Boot werden, von welchem der Reisvogel<br />
gesprochen hatte.<br />
Als er sie dann dem Reisvogel mitbrachte, sprach<br />
dieser: »Wir gehen nach dem Strand, und dann<br />
unternehmen wir eine Segelfahrt!« Und sie<br />
machten sich auf den Weg.<br />
Dort angelangt, stiegen der Reisvogel und der<br />
Affe hinein ins Reiskrusten-Boot. Der Reisvogel<br />
fragte noch: »Kannst du auch schwimmen?«<br />
»Schwieriges bewaltigen kann ich«, erwiderte<br />
der Affe. Alsdann segelten sie mitten aufs hohe<br />
Meer. Als die Sonne bereits hoch stand, sagte<br />
der Affe: »Ich bin hungrig!«<br />
Der Reisvogel erwiderte: »IG ein Stück von unserem<br />
Boot!«<br />
Ein wenig spater sprach der Affe: »Ich bin hungrig!«<br />
Und noch ein wenig langer, da lieB er sich<br />
vernehmen: »Ich esse noch ein Stück von unserem<br />
Boot!«.<br />
»If3 nur alles«, waren da die Worte des Reisvogels.<br />
Und der Affe aB alles auf. Da ging ihr Boot<br />
mitten auf dem Meere unter. Bruder Reisvogel<br />
1S6
nog fort, aber der Affe ertrank, weil er nicht<br />
schwimmen konnte. Da sprach der Reisvogel:<br />
»Bist du gestorben? Du sagtest doch, es sei sehr<br />
leicht, aufs Meer hinauszufahren! Du behauptetest<br />
doch, Schwieriges bewaltigen zu können!<br />
Wie ist es nun, jetzt bist du doch tot?«<br />
Bis da geht diese Erzahlung.<br />
Affe und FluB-Schnecke<br />
^Z^ieser eine Affe befand sich auf einem Baum<br />
über einer groBen Bucht. Da erblickte er eine<br />
Schwester FluBschnecke. Sie war dabei, hin und<br />
her zu gehen, aber sie bewegte sich nur sehr<br />
langsam fort. Da sprach der Bruder Affe: »Was<br />
tust du da, Schwester FluBschnecke?«<br />
»Ich bin im Begriff, nach dem Oberlauf des Flusses<br />
zu gehen!«<br />
Da sagte der Affe: »Wenn du, die einen derartigen<br />
Anblick bietet, überhaupt am Oberlauf ankommst,<br />
dann erst nach deinem Tode! Denn es<br />
ist ausgeschlossen, daB du dein Ziel erreichst.«<br />
Darauf erwiderte Schwester FluBschnecke:<br />
»Sage das nicht! Wenn du willst, laufen wir<br />
m<strong>org</strong>en früh um die Wette!«<br />
Da waren die Worte des Affen: »Eine von deiner<br />
Sorte wird gerade um die Wette laufen! Du<br />
bist ja nur so groB wie eine Made!« Dann kehrte<br />
Bruder Affe heim.<br />
Die FluBschnecke ging zu ihren Schwestern in<br />
den FluB und sprach: «M<strong>org</strong>en früh wollen ich<br />
und ein groBer Affe 1<br />
einen Wettlauf veranstalten.<br />
Wenn mich der groBe Bruder Affe m<strong>org</strong>en<br />
hier an der Mündung ruft, dann antwortet ihr<br />
dort vorne 2 ! Und wenn er von der Mitte des<br />
187
Flusses ruft, dann antwortet ihr, die ihr euch<br />
ganz vorne am Oberlauf befindet!«<br />
Der Affe kam und sagte: »LaB uns jetzt mit<br />
unserem Wettlauf beginnen, Schwester FluBschnecke!»<br />
Darauf begannen sie zu laufen. Was<br />
den Affen betraf, so sprang er sofort los, am<br />
FluBufer entlang. Als er dann rief »Hallo,<br />
Schwester FluBschnecke, wo bist du?« antwortete<br />
eine andere FluBschnecke, die sich ganz<br />
vorne befand. »Oh!« sprach da der Affe, »ich<br />
bin bereits hier hinter der FluBschnecke zurückgeblieben!<br />
Denn sie ist schon ganz vorne!« Bruder<br />
Affe lief deshalb mit aller Kraft. Als er<br />
nochmals rief, antwortete eine andere FluBschnecke,<br />
die schon ganz vorne angelangt war.<br />
Da konnte der Bruder Affe nicht mehr laufen;<br />
denn er war bereits stark erschöpft. Er keuchte<br />
und fiel zur Erde mit den Worten: »Jetzt bin ich<br />
von einer Schwester FluBschnecke besiegt!«<br />
Die FluBschnecke sagte zu ihm: »Ha, hast du<br />
verloren, Bruder Affe? Gestern sagtest du doch,<br />
ich liefe sehr langsam! Wenn es so ist, dann sei<br />
in Zukunft nicht zu groBsprecherisch!«<br />
Der Affe konnte nicht mehr antworten;<br />
sein Atem stockte.<br />
denn<br />
Bis dahin geht die Erzahlung von dem Bruder<br />
Affe und der FluBschnecke.<br />
D e r P a p a g e i u n d der S p e c h t<br />
Jn einem Walde gab es zwei Papageien, ein<br />
Mannchen und ein Weibchen. Als die Papageiin<br />
ein Ei legen wollte, sprach sie zu dem Mannchen:<br />
»Ich möchte ein Ei legen. Aber wohin sollen<br />
wir es tun? Du könntest einen Platz dafür<br />
her richten k<br />
188
Da sagte das Mannchen: »Ich kann kein Loch in<br />
einen Baum schlagen; denn mein Schnabel ist<br />
nach unten gebogen. Und ein Nest bauen wie<br />
andere Vögel kann ich auch nicht; denn meine<br />
Zehen sind ganz krumm. LaB uns deshalb einen<br />
anderen Aus weg suchen: denn wenn wir es auf<br />
die Erde legen, so wird man dein Ei wegnehmen!«<br />
Da erblickten sie einen Vogel namens Specht.<br />
Seine Beschaftigung bestand darin, fortgesetzt<br />
Löcher in Baume zu schlagen. Damit beschaftigte<br />
er sich den ganzen Tag. Da sprach die Papageiin<br />
zu ihm: »Was für einen Nutzen hast du<br />
davon, daB du Löcher in die Baume schlagst?«<br />
Der Specht erwiderte: »Sie sind meine Wohnung.<br />
Und wer keine Wohnung besitzt, dem gebe<br />
ich eine.«<br />
Da sprach die Papageiin: »Gib mir die Wohnung,<br />
die du angefertigt hast!«<br />
Er entgegnete ihr: »Wenn du damit einverstanden<br />
bist, daB wir heiraten, dann gebe ich dir<br />
diese Wohnung!«<br />
»Ich besitze bereits einen Gatten. Es ist also<br />
unmöglich, daB wir heiraten. Aber wenn du mit<br />
meinem Kinde fürlieb nehmen willst, so verheirate<br />
ich es spater mit dir, wenn es zur Welt gekommen<br />
ist!«<br />
«Es ist gut!« waren die Worte des Spechtes,<br />
«aber wenn du mich nachher betrügst, dann ist<br />
es dein Unglück!«<br />
Darauf legte die Papageiin ein Ei. Und nach<br />
einiger Zeit schlüpfte das Junge denn auch aus.<br />
Als sie sah, daB der Schnabel ihres Jungen rot<br />
war, sprach sie: «Der Schnabel meines Jungen<br />
ist rot wie der meines Mannes. Nun ist dieses<br />
mein Junges anscheinend ein MannchenM«<br />
189
Da kam der Specht. »Ist dein Junges schon zur<br />
Welt gekommen, Schwester Papageün?«<br />
»Ja«, sprach sie.<br />
»Dann wird es nachher, wenn es erwachsen ist,<br />
meine Frau«, waren die Worte des Spechtes. Als<br />
es erwachsen war und fliegen konnte, sagte der<br />
Specht: «Jetzt soll meine Hochzeit mit deinem<br />
Kinde stattfinden!«<br />
«Gut! Damals sprachen wir von der Heirat mit<br />
dir, vorausgesetzt, daB es ein Madchen ist. Wenn<br />
es jedoch ein Knabe ist, dann könnt ihr nicht<br />
heiraten. Und nun ist mein Kind ein Knabe;<br />
denn sein Schnabel sieht so rot aus wie der meines<br />
Mannes. Das gebe ich dir hiermit zur<br />
Kenntnis!«<br />
Da sagte der Specht: «Du willst mich nur betrügen!<br />
Wenn du mich nicht mit deinem Kinde<br />
verheiratest, bringe ich euch alle um!«<br />
Darauf erwiderte sie: «Komm spater einmal<br />
wieder, wenn ich eine Tochter zur Welt gebracht<br />
habe!«<br />
Als spater ein weibliches Junges der Papageiin<br />
das Licht der Welt erblickte, kam der Specht<br />
wieder. «Wo ist meine Frau, Papageiin?«<br />
«Hier ist sie! Nimm sie mit, wenn sie will! Aber<br />
wenn sie nicht will, dann weiB ich es nicht, dann<br />
bin ich am Ende mit meinem Rat.«<br />
Das Papageienjunge und seine Mutter flogen<br />
dann irgendwohin fort; und der Specht blieb<br />
allein zurück. Da sprach er: «Dieses eine Mal<br />
war es nicht möglich. Aber wenn ich euch spater<br />
noch einmal treffe, und wenn es dann nicht<br />
geschieht, bringe ich euch alle um, groB und<br />
klein!«<br />
Damit ist die Erzahlung vom Papagei und dem<br />
Specht zu Ende. Seitdem sind Papageien und<br />
190
Spechte einander gram. Deshalb sagen die Leute:<br />
»Der Specht schlagt Löcher, aber der Papagei<br />
besetzt sie.« Bis dahin. Es wurde zu einem<br />
Gleichnis der Alten.<br />
Die Wildkatze und das<br />
Huhn<br />
;2.uerst kam eine Wildkatze. Diese sprach zu<br />
einem Huhn und dessen Jungen: »Hallo, Schwester<br />
Huhn! Wollen wir uns einen GenuB gönnen?«<br />
Das Huhn sagte: »Was wollen wir denn genieI3en?«<br />
Die Wildkatze erwiderte: »Wir schlachten<br />
Hühner!« Da sagte das Huhn: »Gut, warum<br />
nicht?« Die Wildkatze fuhr fort: »Nachher gegen<br />
Mitternacht komme ich dorthin nach deinem<br />
Aufenthaltsort.« »Es ist gut«, sagte da das Huhn.<br />
Alsdann kehrte die Wildkatze nach ihrem<br />
Aufenthaltsort zurück.<br />
Das Huhn aber sprach zu seinem Jungen: »Liebes<br />
Kind, jetzt komm her! Nachher in der Nacht<br />
will uns eine Wildkatze fressen. LaB uns deshalb<br />
von hier fortgehen!« Als das Küchlein<br />
fragte »Wohin denn?« erwiderte seine Mutter:<br />
»Dorthin auf jenen Bambus!«<br />
»Es ist gut, liebe Mutter!« Darauf begaben sich<br />
beide dorthin auf den Bambus.<br />
Als die Wildkatze um Mitternacht nach dem<br />
früheren Platz des Huhns kam, sah sie, daB<br />
Huhn und Hühnchen nicht mehr dort waren. Da<br />
machte sie sich auf die Suche nach ihnen. Sie<br />
fand sie auf jenem Bambus, erkletterte ihn vorsichtig<br />
und sprach: «Hallo, Schwester Huhn, wo<br />
seid ihr?«<br />
Da sagte das Küchlein: «Piep piep, Mutter!«<br />
Dadurch erschrak die Wildkatze, so daB sie hinunterfiel<br />
und sofort tot war — weil sie die<br />
Stimme des Küchleins gehort hatte.<br />
191
Die beiden<br />
Kampfhahne<br />
£"s waren einmal diese beiden Hahne, die miteinander<br />
kampfen wollten. Deshalb sprachen<br />
sie zu allen ihren Gefahrtinnen: »Seht zu, denn<br />
ich und dieser Hahn werden miteinander kampfen!<br />
Wer unterliegt, den lacht aus!« Darauf<br />
begannen sie ernstlich zu kampfen. Allmahlich<br />
wurde der eine Hahn auf einem Auge blind.<br />
Sein Gegner hackte jedoch weiter in das andere<br />
Auge, bis beide erblindet waren. Da fiel er um<br />
und starb auf der Stelle. Nun krahte der Hahn,<br />
der allein übriggeblieben war. Und die zahlreichen<br />
Hühner folgten seinem Geschrei.<br />
Da sprach der Hahn: »Jetzt ist der, mit dem ich<br />
kampfte, tot. Nun bin ich der einzige Hahn.<br />
AuBer mir gibt es niemanden mehr, der Widerstand<br />
leisten kÖnnte!« Darauf flog er auf einen<br />
Dachfirst. Dort angekommen, sprach er: »Ich<br />
bin der GröBte in diesem Lande!« Dann krahte<br />
er: »Ich bin der GröBte!«<br />
Da kam ein Habicht von oben herab, umkrallte<br />
den Hahn und flog mit ihm nach oben. Darauf<br />
brachte er ihn um, und als er tot war, fraB ihn<br />
der Habicht auf.<br />
Da sagte ein Huhn: »LaBt uns nicht zu prahlerisch<br />
sein hier auf Erden! LaBt uns einen Unglücklichen<br />
nicht noch unglücklicher machen, als<br />
er schon ist!«<br />
Darauf kam ein sehr alter Mann und sprach:<br />
»Habt ihr die miteinander kampfenden Hahne<br />
gesehen?« Als die Menge antwortete, »Wir<br />
haben sie gesehen«, fuhr er fort: »Seid nicht zu<br />
groBsprecherisch hier auf Erden! Denn spater<br />
ster ben wir doch! Meine Lehre gilt für euch<br />
alle!«<br />
Damit war es zu Ende.<br />
192
GESCHICHTLICHE ERZAHLUNGEN<br />
UND LEGENDEN<br />
Die Lambore' auf der Insel Simalur<br />
Die Bezeichnung Lambore' hangt sicherlich mit dem<br />
alten Reich Lampuri in Nord-Sumatra zusammen.<br />
Sie weist gleichzeitig auf einen verhaltnismafiig frühen<br />
Kontakt zwischen Nord-Sumatra und Simalur. —<br />
Wegen des Sich-klein-machens und des Hineinkriechens<br />
in eine Flasche vergleiche Bolte und Polivka,<br />
Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmarchen der<br />
Brüder Grimm, Nr. 99: »Der Geist im Glas«.<br />
1<br />
awa ist eine Fischart, die mir unbekannt ist.<br />
2<br />
Malaien, vor allem die der Minangkabau-Lande in Zentral-Sumatra,<br />
kennen FechttSnze, die von zwei Mannern<br />
ausgeführt werden. Als Waften dienen dabei entweder<br />
Schwerter oder aber kurze Dolche. Diese Tanze bestehen<br />
aus Angriffs- und Abwehrbewegungen. Gelegentlich<br />
werden diese Fechtübungen, wie in der vorliegenden<br />
Erzahlung, auch nur von einem Mann ausgeführt, der<br />
dann gegen einen nicht vorhandenen Gegner auftritt.<br />
* inang bau' ist eine Arekapalmenart, auch Pinangpalme<br />
genannt (Areca Catechu L.), deren Nüsse unter der Krone<br />
sitzen, und die zum Betelkauen gebraucht werden.<br />
4<br />
Die Sippennamen auf der Insel Simalur sind durch eine<br />
Vorsilbe da' gekennzeichnet, die in anderen indonesischen<br />
Sprachen die Mehrzahl bezeichnet. Die Namen<br />
stimmen nicht immer lautlich mit den hier angegebenen<br />
konkreten Bezeichnungen überein. Darin ist ein Versuch<br />
zu erblicken, diese Sippennamen nachtraglich zu erklaren.<br />
(Wegen der Sippen siehe Anmerkung 8). ,<br />
6<br />
bangeo ist ein FluBfischart.<br />
o bichao ist eine Baumart. — Es ist auffallig, daB Sippen<br />
nach Tieren und Pflanzen benannt werden. Hier liegt<br />
bereits ein Schritt zum Totemismus vor. Denn es ist ein<br />
Kennzeichen des Totemismus, daB sich Bevölkerungsgruppen<br />
(Sippen, Clans) nach einem Tier oder nach einer<br />
Pflanze nennen, die dann als Vorfahren der Sippe angesehen<br />
und verehrt werden.<br />
7<br />
Da'awa' Luma enthalt die Ausdrücke awa' (Stamm) und<br />
luma (Haus), bedeutet also etwa «Stamm = Mittelpunkt<br />
der Hauser*.<br />
8<br />
Mit »Sippenverband« sind hier die Sippen, das heiBt die<br />
Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Stammes, gemeint,'<br />
deren Angehörige auch untereinander heiraten dürfen.<br />
Man unterscheidet in Indonesien namlich Sippenendogamie<br />
und Sippenexogamie. Bei der ersteren dürfen die<br />
Sippenangehörigen nur innerhalb, bei der letzteren nur<br />
auBerhalb ihrer Sippe heiraten. Auf der Insel Simalur<br />
herrscht Sippenexogamie.<br />
1 3<br />
193
0<br />
Die Insel Nias, deren Bewohner in den letzten Jahrzehnten<br />
von der Rheinischen Missionsgesellschaft gröCtenteils<br />
christianisiert wurden, liegt südöstlich von Simalur. Ihre<br />
Bewohner haben eine eigene Sprache.<br />
Die Herkunft der Bewohner<br />
von Sichule und Salang<br />
Hier wird versucht, eine Erklarung für das Bestehen<br />
der niassischen Enklave in den Landschaften Sichule<br />
und Salang zu geben. Denn sprachvergleichend steht<br />
fest, daB deren Bewohner aus Süd-Nias stammen.<br />
(Ein ehemals auf Nias stationierter Missionar der<br />
Rheinischen Missionsgesellschaft teilte mir mündlich<br />
mit, daB, soweit er sich erinnere, auch in Süd-Nias<br />
eine Erzahlung bestünde, die von einer gröBeren<br />
Auswanderung spreche.)<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
Damit ist die Landschaft Tepa im südöstlichen Teil der<br />
Insel Simalur gemeint.<br />
Das heiBt Erde von der Insel Simalur.<br />
Kupang ist ursprünglich ein kleines Goldgewicht im<br />
Wert von sechs Centen, das heiBt von 'A eines niederlandisch-indischen<br />
Guldens.<br />
Das heiBt wohl, die beiden Lander passen nicht zueinander.<br />
Das heiBt zwischen Simular und Sumatra, da die Landschaft<br />
Sichule noch nicht vorhanden war (siehe Anmerkung<br />
6).<br />
Die Bewohner der Landschaft Sichule sind also spater<br />
aus Nias gekommen.<br />
Wie Ortsnamen entstanden sind<br />
1<br />
2<br />
Vor der Islamisierung scheint man auf der Insel Schweine<br />
gezüchtet zu haben. Diese sind beispielsweise noch heute<br />
ein Ausfuhrartikel der Bewohner der Insel Nias, die südöstlich<br />
von Simalur liegt.<br />
Diese Erzahlung dient dazu, den geographischen Eigennamen<br />
Olul Alau zu erklaren.<br />
Wie die Bewohner der Insel<br />
Mohammedaner wurden<br />
Diese Erzahlung dürfte insofern geschichtlich sein,<br />
als sie die gewaltsame Art der Islamisierung zeigt.<br />
AuBerdem geht aus ihr hervor, daB Simalur vor dieser<br />
Zeit das Jagdgebiet rücksichtsloser Sklavenjager<br />
aus den Minangkabau-Landen in Zentral-Sumatra<br />
war. Eine Bestatigung hierfür findet sich in einer<br />
ahnlichen Erzahlung aus einem andern Teil der Insel.<br />
— Das AbschieBen eines Menschen als (oder wie<br />
194
hier: auf einer) Kanonenkugel kommt auch in der<br />
malaiischen «Geschichte von Radja Muda« vor.<br />
1 Unter >religionslos« ist hier zu verstehen, daB sie keine<br />
Mohammedaner, sondern noch Animisten sind. Sie kennen<br />
keine zentrale, oberste Gottheit, sondern sie glauben<br />
an Damonen und eine allgemein beseelte Natur (Tiere<br />
und Pflanzen), die sie auch verehren.<br />
2<br />
Dadurch will er die geflüchteten Dorfbewohner in den<br />
Glauben versetzen, da!3 ihr Dorf wieder bewohnt sei, um<br />
sie so zur Rückkehr zu bewegen.<br />
3<br />
Personen werden gern nach einer charakteristischen<br />
Eigenschaft benannt. Datu' ist ein malaiischer Titel, der<br />
etwa mit «Sippen-, Dorfhaupti wiederzugeben Ist.<br />
« Es handelte sich dabei um sporadische Sklavenzüge. In<br />
alter Zeit wurden auch Sklaven, die man auf der Insel<br />
Nias (südöstlich von Simalur) gefangen hatte, auf Simalur<br />
gesammelt und von dort nach Sumatra verschifft.<br />
5 «Befehlshaber' entspricht etwa unserem Offlzier.<br />
« Das heiBt «Verstehen sie, die mohammedanischen Gebetsübungen<br />
zu verrichten?» Jeder glaubige Muslim (das<br />
heiBt Mohammedaner) muB taglich fünf Gebete zu festgesetzten<br />
Zeiten verrichten. Die Gebetsübungen sind<br />
eine bis in die Einzelheiten v<strong>org</strong>eschriebene Folge von<br />
Handlungen und von Rezitationen gewisser Stellen aus<br />
dem Qur'an, dem heiligen Buch der Muslims. Sie müssen<br />
möglichst in Gesellschaft mehrerer Glaubiger verrichtet<br />
werden. Das erste Gebet flndet kurz vor Sonnenaufgang<br />
statt, das zweite um die Mittagszeit, das dritte<br />
am Nachmittag, das vierte sofort nach Sonnenuntergang,<br />
und das fünfte einige Stunden nach Sonnenuntergang.<br />
AuBer diesen fünf v<strong>org</strong>eschriebenen taglichen Gebeten<br />
ist jeder freie mannliche, volljahrige, im Vollbesitz seiner<br />
Geisteskrafte stehende Glaubige zum sogenannten<br />
Freitagsgebet in der Moschee verpflichtet (vergleiche<br />
Anmerkung 14). Dabei müssen mindestens vierzig Personen<br />
anwesend sein. Der Zeitpunkt zum Gebet wird<br />
durch Trommelschlag oder durch den Gebetsrufer verkündet.<br />
Um eine einheitliche Durchführung des Gebets<br />
zu gewahrleisten, tritt einer der Anwesenden als «V<strong>org</strong>anger<<br />
auf. Er steht vor der Nische in der Moscheewand,<br />
welche die Richtung nach Mekka bezeichnet, und<br />
die anderen Glaubigen stellen sich in Reihen hinter ihn.<br />
Im Mittelpunkt des Freitagsgebets steht eine Art Predigt,<br />
die ein Moscheebeamter in arabischer Sprache vortragt.<br />
Dabei steht er auf einer Kanzei und halt den altarabischen<br />
Rednerstab in der Hand, der jedoch bisweilen auch<br />
fehlt. — Von den Haltungen, die wahrend des Gebets eingenommen<br />
werden müssen, seien als die hauptsachlichsten<br />
erwahnt: das Knien und aus dieser Stellung das Berühren<br />
des FuBbodens oder der Gebetsmatte mit der<br />
Stirn. — Die taglichen Gebete werden auf Simalur, ebenso<br />
wie anderswo in Indonesien und in vielen anderen<br />
13<br />
* 195
mohammedanischen Landern, von der groBen Mehrheit<br />
der Bevölkerung versaumt.<br />
7<br />
Tengku ist ein aus der Atjeh-Sprache in Nord-Sumatra<br />
entlehnter Titel, mit dem Religionslehrer oder besonders<br />
iromme Personen angeredet werden.<br />
» Das heiBt er hatte bereits zweimal die Pilgerüahrt nach<br />
Mekka, der heiligen Stadt der Mohammedaner, angetreten.<br />
Der Islam (das heiBt Hingabe an Allah und Unterwerfung<br />
unter die von seinem Gesandten übermittelten<br />
Befehle) beruht auf fünf >Grundpfeilern« oder >Saulen«,<br />
welche die fünf höchsten rituellen Pflichten darstellen.<br />
Es sind: 1. das Glaubensbekenntnis, 2. der pflichtmaBige<br />
Gottesdienst (siehe Anmerkung 6), 3. die religiöse Steuer,<br />
4. das Fasten im Monat Ramadan und 5. die Pilgerfahrt<br />
nach der Ka'aba (das ist eine alte arabische Kultstatte<br />
in Würfelform, in deren Ostseite der von den Pilgern<br />
verehrte schwarze Stein eingemauert ist) in Mekka.<br />
Letztere ist Pflicht für jeden dazu fahigen Muslim (auch<br />
für Frauen), wenn er sie ohne ernste Gefahrdung von<br />
Leben oder Besitz unternehmen kann, und wenn keiner<br />
seiner Familienangehörigen durch seine Abwesenheit<br />
Schaden erleidet. Die Pilgerfahrt ist eine uralte arabische<br />
Einrichtung. Sie besteht aus einer festgesetzten<br />
Folge von rituellen und religiösen Handlungen an bestimmten<br />
Flatzen in Arabien. Die Teilnahme der Indonesier<br />
an der Pilgerfahrt ist sehr groB, so daB sie in der<br />
heiligen Stadt sogar eine Indonesische Kolonie (die Djawah-Kolonie)<br />
bilden. — Die in die Heimat zurückgekehrten<br />
Pilger (hadjis) haben das Privileg, ihren Kopf mit<br />
weiBem oder grünem Tüllband bedecken und sich mit<br />
mehr oder weniger im arabischen Stil gehaltenen Gewandern<br />
kleiden zu dürfen.<br />
* Hali Lulla ist der Name des Tengku Adji. Es ist eine<br />
Entstellung des arabischen chalil ullah, >Freund Gottes«.<br />
"> Es handelt sich um eine Reisabgabe an den Fürsten, die<br />
wohl alsEntschadigung dafür aufzufassen ist, daB er seine<br />
mohammedanischen Untertanen nun nicht mehr als Sklaven<br />
verkaufen darf.<br />
u Die Gebiete, die dem Sultan von Atjeh hörig waren,<br />
muBten diesem jahrlich als symbolischen Tribut öl überreichen.<br />
1 2 Wahrscheinlich ein Titel, dessen Bedeutung nicht mehr<br />
bekannt ist.<br />
1 3<br />
Die Abgesandten müssen erst durch besondere Leistungen<br />
zeigen, daB sie des Geschenks vom Sultan von Atjeh<br />
würdig sind.<br />
i' Die Moschee ist das mohammedanische Gotteshaus. Auf<br />
Simalur sind die Moscheen etwas besser und gröBer gebaut<br />
als die Hauser der Inselbewohner. Ein Minarett,<br />
von dem der Gebetsrufer die Anfangszeiten der Gebete<br />
(siehe Anmerkung 6) bekanntgibt, fehlt, wie bei den meisten<br />
Moscheen in Indonesien. Das Gebaude besteht aus<br />
einer Veranda an der Vorderseite und dem Hauptraum.<br />
Eine Nische an der westlichen Wand gegenüber dem<br />
196
1 0<br />
16<br />
1 7<br />
Haupteingang gibt die Richtung nach Mekka an. In der<br />
Nahe dieser Nische steht gewöhnlich die Rednerkanzel,<br />
von der der Redner freitags eine arabische Predigt vortragt,<br />
die kaum einer der Glaubigen versteht. Bei jeder<br />
Moschee befindet sich eine Waschgelegenheit für die Glaubigen,<br />
damit sie die rituellen Waschungen der Hande und<br />
FüBe und des Gesichts vornehmen können. — In den drei<br />
Landschaften Tepa, Simalur und Lekon sind kleinere<br />
Dörfer (mindestens fünf) zu einer Art »Moschee-Verbandi<br />
zusammengefaBt, damit für das Freitagsgebet die vom<br />
mohammedanischen Gesetz v<strong>org</strong>eschriebenen mindestens<br />
vierzig mannlichen Glaubigen zusammenkommen. Die<br />
Bewohner der umliegenden kleinen Dörfer halten den<br />
Freitagsdienst dann in dieser gemeinsamen Moschee ab,<br />
die meistens zentral gelegen ist. — Daneben bestehen in<br />
einzelnen Dörfern kleinere Kapellen (surao), die für die<br />
taglichen Gebete v<strong>org</strong>esehen sind.<br />
Religiöse Festmahler sind in Indonesien allgemein sehr<br />
beliebt. Sie finden bei allen Gelegenheiten statt, wo eine<br />
religiöse Zeremonie und Gebete erforderlich sind, so bei<br />
der Beschneidung von Knaben, bei der Gesundung nach<br />
einer Krankheit, beim Antritt von weiten Reisen und<br />
bei Todesfallen.<br />
Adathaupter sind meistens die Sippenvorsteher, die darüber<br />
zu wachen haben, daB die Sitte, der uralte Brauch,<br />
das heiBt die Adat (Lehnwort aus dem Arabischen), In<br />
der Sippe gewahrt bleibt. Ihnen oblag ebenfalls die<br />
Schlichtung von Streitigkeiten innerhalb der Sippe. Die<br />
Rechtsprechung erfolgte nach althergebrachten Richtlinien,<br />
die in kurzen Sprüchen zusammengefaBt sind,<br />
deren Auslegung nach Prazedenzfallen erfolgt.<br />
Jede Moschee (Anmerkung 14) besitzt eine Anzahl Beamte.<br />
Das Moscheepersonal besteht in Indonesien selten<br />
aus weniger als vier Personen, namlich aus dem V<strong>org</strong>anger<br />
beim Freitagsgebet (imam), der die Gemeinde<br />
führt; aus dem Redner (chatib), der die Freitags- und<br />
Festpredigten in arabischer Sprache vortragt; aus dem<br />
Gebetsrufer (modin oder bilal) und mindestens einem<br />
Mann, dem die Pflege der Moschee und der Einrichtung<br />
sowie das Füllen des Wasserbehalters für die rituellen<br />
Waschungen obliegt. Alle diese Personen sind jedoch<br />
keine Geistlichen; denn der Islam kennt keinen solchen<br />
Stand. Der Moscheevorsteher verwaltet die religiösen<br />
Geldmittel der Gemeinde und bestimmt die Arbeiten<br />
des Personals. — Auf Simular kommen als Moscheepersonal<br />
vor: der Moscheevorsteher oder -direktor, der Vorbeter,<br />
der Gebetsrufer und der Redner. Früher bestand<br />
in den drei Distrikten Tepa, Simalur und Lekon noch der<br />
Rang eines keutji', der die Moschee des »Moschee-Verbandes«<br />
(siehe Anmerkung 14) zu betreuen hatte. Die<br />
Dorfhaupter sind gleichzeitig Vorsteher der Dorfkapellen<br />
(surao, Anmerkung 14). Alle diese Amter sind in bestimmten<br />
Sippen erblich.<br />
197
DAMONEN GESCHICHTEN<br />
Der Fürst, der ein Jagerdamon wurde<br />
Wegen des weitverbreiteten Motivs der Gelüste einer<br />
Schwangeren siehe Tawney und Penzer, Band 1, Anhang<br />
3: »On the Dohada or Craving of the pregnant<br />
Woman as a Motif in Hindu Fiction«. Die Beschuldigung,<br />
ein Bastard zu sein, ist ein im Sanskritschrifttum<br />
weit verbreitetes Motiv. Siehe obiges<br />
Werk, Band 9, Seite 82, Anmerkung 1, und Erzahlung<br />
Nr. 171 G: »Muladeva and the Brahman's<br />
Daughter«.<br />
1 Auf Simalur und anderswo im Archipel geht man mit<br />
Hunden auf die Jagd. Sie spüren das Wild auf und stellen<br />
es. Das gestellte Tier wird dann mit Lanzen getötet<br />
Diese Jagdhunde gehören keiner besonderen Rasse an,<br />
sondern sind Mischungen aller Art. Nach erfolgreicher<br />
Jagd überlaBt man ihnen die Reste des erlegten Tieres.<br />
» Auf Simular gibt es keine Hirsche. Daher ist die Erzahlung<br />
schon aus diesem Grunde enüehnt.<br />
3 Siehe >Der antu' singogo-Damon», Anmerkung 6.<br />
4<br />
Die Arekapalme (Areca Catechu L.) wird auch falschlich<br />
Betelpalme genannt (siehe »Das Madchen, das nicht heiraten<br />
wollte», Anmerkung 6).<br />
» Eine Baumart. Die Arekapalme (Anmerkung 4) und dieser<br />
Baum sollen dem Jagerdamon anzeigen, daB die<br />
Leute zu seiner Familie gehören, daB er ihnen also nichts<br />
zuleide tun darf.<br />
• Der Vater des Knaben wird offenbar erst durch den<br />
Tod ein Damon. Er muBte erst von seiner menschlichen<br />
Hülle befreit und entseelt werden.<br />
? Der Baum heiBt vermutlich >Geister-Presset, weil seine<br />
Aste bei Sturm gegeneinander reiben und ein knarrendes<br />
Gerausch verursachen.<br />
8<br />
roa'-roa' ist eine Vogelart, die vermutlich nach ihrem Ruf<br />
benannt ist. (Im Minangkabau in Zentral-Sumatra bedeutet<br />
rua'-rua' »Wasserhuhn«.)<br />
Der Antu' Singongo-Damon<br />
1<br />
Dieser Damon soll im Wald in Erdlöehern und in Talern<br />
hausen.<br />
* Das heiBt: es ist bereits kurz vor Einbruch der Dunkelheit.<br />
3<br />
Der Damon, der verschiedene Erscheinungsformen annehmen<br />
kann, ist dem Madchen in Gestalt seines Oheims<br />
erschienen.<br />
4<br />
Lasten werden entweder auf dem Rücken oder zu mehreren<br />
an einer Tragstange über der Schulter oder aber<br />
auf dem Kopf getragen. Die indonesischen Sprachen besitzen<br />
für jede Art des Tragens besondere Ausdrücke.<br />
6<br />
Auf Simalur badet man entweder in den Flüssen, die<br />
jedoch wegen der zahlreichen Krokodile gefahrlich sind,<br />
198
oder meistens an gegrabenen Brunnen, vor allem dort<br />
wo kein FluB in der Nahe ist. Das Baden am Brunnen<br />
besteht darin, daB man Wasser aus einem wasserschöpferförmig<br />
gefalteten Blatt über den Körper schüttet.<br />
Diese Art des Badens ist sehr erlrischend.<br />
6<br />
Unter den nicht-stadtischen Indonesiern gibt es sehr erfahrene<br />
Fahrtensucher.<br />
7<br />
Eine Strauchart mit weiBen Blüten.<br />
8<br />
Wegen der Hochzeitszeremonien siehe Einleitung.<br />
o Es ist Sitte, daB die Jungvermahlten die ersten Nachte<br />
zusammen mit einer alten, erfahrenen Frau im Hause<br />
der Eltern des Brautigams verbringen. Die Bettstelle<br />
besteht aus einem rechteckigen Holzgestell ohne FuBund<br />
Kopf stück. Meistens schlaft man jedoch nur auf<br />
einer Matte, die auf dem FuBboden ausgebreitet ist. Man<br />
gebraucht auch mehr oder weniger reichverzierte Kissen,<br />
die mit Baumwolle oder Kapok gefüllt sind.<br />
"> Damonen reden, da sie keine menschlichen Wesen sind,<br />
anders als Menschen. In manchen Teilen von Indonesien<br />
gibt es daher besondere Sprachen, mittels derer die<br />
Schamanen mit ihnen in Verbindung treten (so beispielsweise<br />
bei den Batak in Nord-Sumatra). Das ist jedoch<br />
auf Simalur nicht der Fall.<br />
11 Damonen können alle möglichen menschlichen und tierischen<br />
Erscheinungsformen annehmen (siehe Anmerkung<br />
3).<br />
12 Gongs oder kleine Becken aus Messing werden entweder<br />
mit der Hand oder aber mit einem kleinen Holzhammer<br />
geschlagen. Sie wurden früher auBer für musikalische<br />
Veranstaltungen auch dafür verwendet, durch ihren<br />
Klang schadliche Tiere und böse Damonen zu verscheuchen.<br />
Hier will man sich durch Gongs bemerkbar<br />
machen, damit die Entführten die Richtung erkennen.<br />
« Die Schlafstelle (siehe Anmerkung 9) blieb im Walde,<br />
weil sie von einem Damon berührt war.<br />
15 Die Dorfaltesten spielen im öfïentlichen Leben eine wichtige<br />
Rolle, insofern sie bei Entscheidungen über das Wohl<br />
und Wehe der Bewohner mitzureden haben. Als die Erfahrensten<br />
erteilen sie auch wohl Lehren an die Jüngeren,<br />
wie es hier geschieht.<br />
Die Fürstentochter heiratet<br />
den » Fürsten vom Oberlauf «<br />
Inhaltlich entspricht diese Erzahlung der atjehischen<br />
vom «Gadja tudjoh uleë«. Allerdings nimmt in dieser<br />
ein siebenköpfiger Elefant die Stelle der siebenköpfigen<br />
Schlange der Simalur-Version ein. In der<br />
atjehischen »Hikajat Banta Beuransah« sind drei<br />
Söhne vorhanden, aber keiner, der Banta Achmad<br />
heiBt. — Wegen des Kampfes mit der siebenköpflgen<br />
Schlange und des Betruges vergleiche «Michel und<br />
die Schlange mit den sieben Köpfen« (Hambruch,<br />
199
»Malaiische Marchen«, Seite 160 bis 164), femer Bolte<br />
und Polivka, Nr. 60, »Die zwei Brüder« (Drache mit<br />
sieben Köpfen, Betrugsmotiv). — Wegen des Nichtabschlagens<br />
des letzten Kopfes siehe Tawney und<br />
Penzer, Band 3, Seite 268, Anmerkung 1.<br />
1 Der Brotfruchtbaum (Artocarpus Integrifolia L. = anasa)<br />
ist bei den Englandern als Jack-tree bekannt. Es ist ein<br />
ziemlich groBer Baum, der überall in Indonesien vorkommt.<br />
Das harte gelbe Holz dient zum Hausbau und<br />
zum Anfertigen von Möbeln. Die riesigen, am Stamm<br />
wachsenden Früchte sind sehr schmackhaft.<br />
2<br />
Die Mango-Baume (Mangifera Indica L.) haben eine<br />
dichte runde Krone und schmale, lederartige Blatter.<br />
Die eiförmigen grünen oder gelben Früchte haben<br />
orangefarbiges, faseriges Fruchtfleisch, das unter einer<br />
dünnen Schale und um einen grofien, platten Kern sitzt.<br />
Manche Sorten haben einen ausgesprochenen Terpentingeschmack.<br />
3 Wörtlich: >Erbrochenes können wir nicht wieder verschlucken.<<br />
4<br />
Die Riesenschlange bagatellisiert durch diese Worte den<br />
Verlust der Köpfe.<br />
6<br />
Für groBe Festlichkeiten steuern die Dorfleute Nahrungsmittel,<br />
vor allem Reis, bei. Denn Reis ist die Hauptnahrung<br />
in Indonesien.<br />
Der Sohn eines Reichen<br />
und Fürst Aman<br />
Die Episode von dem Kampf zwischen dem Büfïelstier<br />
und dem Kalb entspricht der Sage von einem<br />
gleichartigen Kampf zwischen den Reichen von Madjapahit<br />
(auf Java) und Minangkabau (Zentral-<br />
Sumatra), wonach letzterer Volksstamm seinen Namen<br />
erhalten haben soll (Minangkabau soll danach<br />
bedeuten: »der Büf£el«, das heiBt das Kalb, »siegte«).<br />
1<br />
Wegen Prophezeiungen aus dem Almanach siehe >Der<br />
Arme, der Pflüge verbarg», Anmerkung 3.<br />
2<br />
Die Altersstufen der Kinder werden, ebenso wie anderswo<br />
im Archipel, nach ihren Bewegungen oder nach anderen<br />
Ereignissen eingeteilt, so beispielsweise >das Kind<br />
kann schon ein wenig laufen»; >das Kind ist bereits so<br />
groB, daB es Kleidung tragt»; »sie war so groB, daB sie<br />
heiraten konnte».<br />
Der S o m a n - S o m a n - D a m on<br />
und die Frau, die Reis stampfte<br />
Es ist besonders zu bemerken, daB der Damon nach<br />
dem Verbrennen zur Wildkatze geworden ist. Diese<br />
Metamorphose erinnert an den »Wertiger« der Javanen<br />
und anderer indonesischer Völkerschaften.<br />
200
1<br />
Die Bevölkerung von Simalur kennt, wie alle indonesischen<br />
völkerschaften, viele Damonen, die sich an verschiedenen<br />
Platzen (im Wald, auf dem Meer, am Strand,<br />
an den Flüssen, im Urwald) aufhalten, und die den Menschen<br />
Schaden zufügen können. Deshalb muB man stets<br />
vor ihnen auf der Hut sein. Einer dieser Land-Damonen<br />
ist der soman-soman. Der Name bedeutet, wie die<br />
Sprachvergleichung zeigt, ursprünglich «Herr, Patron».<br />
Er dient auch als allgemeine Bezeichnung für Damonen.<br />
Die Reiskörner werden durch Stampfen von ihrer Schale<br />
befreit. Das Stampfen geschieht entweder mit der Hand<br />
mittels StöBeln in Reismörsern, die aus Holz bestehen<br />
und eine oder mehrere tiefe Muiden zur Aufnahme der<br />
Reiskörner enthalten, oder durch Stampfer mit FuBbetrieb.<br />
Bei diesen wird der StöBel mittels eines horizontal<br />
liegenden Balkens durch Hebelkraft in Bewegung<br />
gesetzt.<br />
Der Damon sprang hinunter, weil die Simalur-Hauser<br />
nach indonesischer Sitte etwa einen halben bis anderthalb<br />
Meter über der Erde auf Pfahlen stehen, um die<br />
Bodenfeuchtigkeit abzuhalten, ursprünglich wohl auch,<br />
um sich vor wilden Tieren und Feinden zu schützen.<br />
4<br />
Man verbrennt das Haus, weil der Damon ein Kind darin<br />
getötet hat. Feuer ist eines der Hauptabwehrmittel<br />
gegen Damonen.<br />
2<br />
3<br />
Der Mann,<br />
der seine Frau über alles liebte<br />
Vergleiche hierzu Bolte und Polivka, Nr. 16, »Die<br />
drei Schlangenblatter«, wo der Held seiner Braut<br />
geloben muB, sich mit ihr begraben zu lassen, falls<br />
sie vor ihm stirbt; das geschieht bald nach der Hochzeit.<br />
— In der annamitischen Erzahlung »La femme<br />
métamorphosée en moustique« gelobt der Ehemann,<br />
daB er bei der Leiche seiner Frau bleiben wird. —<br />
Eine entfernte Parallele bietet auf Java die Erzahlung<br />
»Die ungetreue Gattin«.<br />
1 WeiB ist die Farbe des Todes, der Erschienene ist also ein<br />
Toter beziehungsweise dessen Geist. Verstorbene kommen<br />
in Simalur-Erzahlungen haufiger vor, um eine Botschaft<br />
zu überbringen oder einen Rat in hoffnungslos erscheinender<br />
Lage zu übermitteln.<br />
2<br />
Das heiBt, weil sie nun beide tot waren.<br />
3<br />
Man hielt sie namlich für Geister, da die tote Frau nach<br />
ihrer Meinung den Mann zu sich geholt hatte.<br />
4<br />
Damonen werden durch Abwehrmittel ferngehalten.<br />
6<br />
Die sirabich tandjung-Vogel entsprechen in mancher Beziehung<br />
den Pontianak der Malaien, die man als Geister<br />
verstorbener Wöchnerinnen ansieht. Aus Rache verursachen<br />
sie den Tod anderer Wöchnerinnen. — Sirabich<br />
201
tandjung ist wiederzugeben mit ïSirabich aus Tandjung».<br />
Denn dieser Damon entspricht dem burong S(eu)rabi der<br />
Atjeher in Nord-Sumatra, dessen Grab sich im Dorf Tandjong<br />
nahe bei der Hauptstadt Kutaradja befindet. Sirabich<br />
geht zurück auf den weiblichen Eigennamen si Rabi.<br />
Si Rabi war angeblich die Tochter eines Religionslehrers<br />
aus Atjeh, die sich schlecht betrug und SchlieBlich mit<br />
ihrem Liebhaber in einem Boot floh. Unterwegs wurde<br />
sie jedoch von dem Mann erschlagen. Ihr Leichnam trieb<br />
bei einem anderen Dorf an, dessen Bewohner sie dann<br />
begruben. Inzwischen hatte sich die Unglückliche jedoch<br />
in einen burong verwandelt, der nicht ruhte. bevor der<br />
Mörder erschlagen war. Dann tötete sie schwangere<br />
Frauen und Wöchnerinnen in anderen Dörfern (siehe C.<br />
Snouck Hurgronje, The Achehnese. E. J. Brill, Leiden<br />
1906, Band 1, Seite 379).<br />
Erzahlung vondem<br />
Pa'e-Damon<br />
Pa'e bedeutet im Atjeh und im Gajo (Nord-Sumatra)<br />
»Gecko«, das sind Mauer-Eidechsen. Diese<br />
Nachttiere klettern mit Hilfe der an ihren Zehen<br />
befindlichen Saugvorrichtungen schnell und mühelos<br />
an senkrechten Wanden oder unter der Zimmerdecke.<br />
Vergleiche hierzu die malaiische Erzahlung<br />
von Pa' Pandir, wo dieser vor dem vermeintlichen<br />
Gecko fortlauft, dessen Ruf von seiner Frau nachgeahmt<br />
wird. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daB<br />
dieser Pa'e der Simalur-Erzahlung ursprünglich<br />
ebenfalls einen Gecko bezeichnet hat. — Parallelen<br />
dafür, daB eine Frau einen Sohn in Leguangestalt<br />
gebiert, flnden sich in den Batak-Erzahlungen (Nord-<br />
Sumatra) »Si Robar« und »Suhutan nan djomba<br />
ilik«. — Wesentlich ist, daB der Wunsch zur Wirklichkeit<br />
wird. Das hangt damit zusammen, daB man<br />
Wort und Benanntes gleichsetzt. Über die Empfangnis<br />
durch bloBen Wunsch siehe Hartland, »Primitive<br />
Paternity«, Band 1, Seite 27. — Ein im Archipel und<br />
anderswo weitverbreitetes Motiv ist, daB ein Tier,<br />
in diesem Fall ein Leguan, nach Ablegen seiner Haut<br />
zu einem Menschen wird. Mit dem Ablegen der tierischen<br />
Haut tritt, wie Adriani es formuliert hat, sein<br />
wahrer, menschlicher Kern zutage. In dieser Simalur-Erzahlung<br />
hat der Leguan-Mann, ebenso wie in<br />
den Toradja- und Minahassa-Erzahlungen auf Celebes,<br />
seherische Gabe. Aus seiner verbrannten tierischen<br />
Haut entstehen Gebrauchsgüter und Haustiere.<br />
Hülle und Mensch sind also besonders magischkraftig.<br />
Wegen des Verbrennens der Tierhülle siehe<br />
auch Benfey, »Pantschatantra«, Teil 1, Seite 261 ff.,<br />
202
und Erzahlung 8, Nachtrag zum ersten Buch, »Der<br />
verzauberte Brahmanensohn«.<br />
1<br />
Das heiBt vom Unterholz.<br />
2<br />
Die Hauser stehen auf Pfahlen.<br />
3<br />
Unter Gelander ist hier wahrscheinlich ein Rotantau zu<br />
verstenen, das an einer steilen Stelle gespannt ist, um<br />
das Klettern zu erleichtern.<br />
4<br />
Leguane sind amphibische Eidechsen mit langer, gekerbter<br />
Zunge (wie bei Schlangen). Der Körper ist mit dunklen<br />
Schuppen bedeckt, Hals und Schwanz sind sehr lang,<br />
und auf dem Rücken haben sie einen gut entwickelten<br />
Kamm. Sie halten sich mit Vorliebe an sumpfigen FluBlaufen,<br />
aber auch auf dem Lande auf.<br />
5<br />
Die bisher noch nicht erwahnten drei Schwestern setzt<br />
der Erzahler als bekannt voraus, da seine Zuhörer diese<br />
Geschichte wohl schon mehrfach gehort haben. Das<br />
gleiche gilt für die vierte Schwester.<br />
6<br />
Die Mutter spricht von der Frau als »Muhme« der Madchen.<br />
Damit soll wahrscheinlich angedeutet werden, daB<br />
sie zur Sippe der Madchen gehort.<br />
7<br />
Der Zorn der drei alteren Schwestern dürfte auch dadurch<br />
herv<strong>org</strong>erufen sein, daB die jüngste Schwester vor<br />
ihnen heiratet. Denn es ist in Indonesien allgemein Sitte,<br />
daB ein junges Madchen nicht vor ihren alteren Schwestern<br />
heiraten darf, auBer wenn diese auf Grund körperlicher<br />
oder geistiger Gebrechen nicht zu einer Ehe tauglich<br />
sind.<br />
8 Wegen der Zusammensetzung eines Betelbissens siehe<br />
>Das Madchen, das nicht heiraten wollte», Anmerkung 6.<br />
VERWANDLUNGS-<br />
UND ANDERE MARCHEN<br />
Ein Verstorbener wird ein Wildschwein<br />
1<br />
Wegen der Zeremonien anlaBlich eines Todesfalles siehe<br />
>Der Mann, der starb, weil seine Frau ihn kitzelte», Anmerkung<br />
7, und die Einleitung.<br />
2<br />
Es ist mir unbekannt, wo sich der Pamantjungan-Berg<br />
befindet. Auf Simalur gibt es keinen solchen Berg.<br />
3<br />
Zur Vertreibung von Damonen ruft man besonders kundige<br />
Manner herbei.<br />
4<br />
Indonesischer Sitte gemaB werden die Eltern nach ihrem<br />
erstgeborenen Kinde genannt, also: >Vater beziehungsweise<br />
Mutter des oder der N. N.< Dadurch will man zum<br />
Ausdruck bringen, daB man Kinder hat, und gleichzeitig<br />
will man vermeiden, daB man seinen eigenen Namen<br />
nennen muB. Denn der Eigenname gilt als fester Bestandteil<br />
der Person. Nennt man den Namen, so zitiert<br />
man die Person selbst. Das gilt vor allem bei der Ausübung<br />
des Schadzaubers.<br />
203
5<br />
Die magischen Figuren auf dem Grab sollen die Bewegungsfreiheit<br />
des Spukschweins behindern.<br />
Der Mann, der ein Specht wurde<br />
Vergleiche Antti Aarne, »Verzeichnis der Marchentypen«,<br />
Nr. 751 A, wo die geizige Bauerin in einen<br />
Schwarzspecht verwandelt wird. •— Das Augenschlie-<br />
Ben, um einen Zauber wirksam zu machen, kommt<br />
haufiger vor, so auch in Nordamerika und in China.<br />
1<br />
Hunde sind unreine, daher verachtete Tiere. Der Erzahler<br />
will damit sagen, daB sich der Bootsbauer verachtlicher<br />
als ein Hund vorkommt.<br />
2<br />
Die Ahnen, genauer gesagt, die Seelen der Ahnen, betrachtet<br />
man nicht nur als Hüter des persönlichen Geschicks,<br />
sondern auch als Hüter des Landes.<br />
Ein Menschen kopf wird zur Kokospalme<br />
Diese Erzahlung dürfte aus Atjeh (Nord-Sumatra)<br />
entlehnt sein. Die Gleichsetzung einer KokosnuB mit<br />
einem menschlichen Kopf auBert sich auch anderswo<br />
im Archipel, wo man namlich an Stelle von Menschen<br />
bei gewissen rituellen Zeremonien Kokosnüsse<br />
opferte, wie beispielsweise auf der Insel Wetar<br />
(nördlich von Timor) für den Sonnengott Upu Lero.<br />
Sehr oft ist im indonesischen Archipel die KokosnuB<br />
ein Stellvertreter für ein Menschenopfer früherer<br />
Zeiten.<br />
1 Rahim und Rachman sind ursprünglich arabische Eigennamen,<br />
sie bedeuten beide >barmherzig«. Die Bevölkerung<br />
von Simalur kennt, ebenso wie die übrigen indonesischen<br />
Völkerschaften, keine Geschlechts- oder Familiennamen.<br />
Ursprünglich wurden Personen nach markanten,<br />
konkreten Merkmalen oder nach konkreten Dingen<br />
benannt, beispielsweise »der Bucklige», »der Dicke»,<br />
>die Jasmin». Erst nach der Islamisierung führte man<br />
arabische Namen ein. Am beliebtesten sind unter anderen<br />
die der Kalifen Omar, Osman, Ali, und für Frauen<br />
Fatimah.<br />
2<br />
WeiB ist die Farbe des Todes.<br />
Die Prinzessin,<br />
die ein Durian-Baum wurde<br />
Traume, die als ein Teil der Wirklichkeit angesehen<br />
werden, flnden sich passim bei Tawney und Penzer.<br />
Man glaubt namlich, daB sich die Seele des Schlafenden<br />
aus dem Körper entfernt und tatsachlich die<br />
Platze besucht, die Personen sieht und die Taten<br />
vollführt, von denen die Person traumt.<br />
204
1<br />
Wegen des Durian-Baumes (Durio Zibethinus Linn.) siehe<br />
«Der Herr und sein Skiave Lafoebu'», Anmerkung 1.<br />
2<br />
Wörtlich: «o, Majestat». — Ein Fürst (radjo) steht und<br />
stand auf Simalur nicht in dem hohen Ansehen wie bei<br />
den Javanen, sondern er war ein Potentat mit beschrankten<br />
Vorrechten, dessen Macht kaum über seinen Bezirk<br />
hinausgereicht haben dürfte. Wenn hier und anderswo<br />
der Ausdruck »Fürst« gebraucht wird, so entspricht er<br />
etwa dem «Herr König» in unseren Marchen.<br />
3 Vor entscheidenden Schriften oder in der Verzweiflung<br />
wiederholt sich oft der zur stereotypen Wendung gewordene<br />
Ausdruck: «Wenn ich Nachkomme meiner Ahnen<br />
bin, dann . . .«<br />
1<br />
Der Freitag ist ein besonders günstiger Tag, da an ihm<br />
das Freitagsgebet in der Moschee abgehalten werden<br />
muö.<br />
5<br />
Wegen des Leichenschmauses siehe Einleitung.<br />
" Malaiisches durian ist im Simalur turian.<br />
Zwei Geschwister werden zu Steinen<br />
In dieser Erzahlung kommt die magische Kraft des<br />
Fisehes zum Ausdruck, mit dem der Bruder die<br />
Scham seiner Schwester versehentlich trifft. Die<br />
Folge ist, daB ein Donnerstein Bruder und Schwester<br />
in Steine verwandelt. Offenbar ersetzt die Berührung<br />
mit dem Fisch den tatsachlichen blutschanderischen<br />
Umgang. Vergleiche Erzahlungen aus den<br />
Batak-Landen in Nord-Sumatra, wo blutschanderische<br />
Geschwister zu Steinen werden.<br />
» Wörtlich: «Als die Sonne bereits hoch stand.»<br />
2<br />
lebo'-lebo' ist eine FluBfïschart.<br />
3<br />
In alter Zeit, als die Kinder noch bis zum Alter von<br />
etwa neun bis zehn Jahren völlig nackt umherliefen,<br />
bedeclcte man die Scham kleiner Madchen mit einem<br />
Plattenen, das aus Silber angefertigt war. Es wurde mittels<br />
einer langen, dünnen Kette um die Hüften befestigt.<br />
Heutzutage tragen die Kinder meistens frauenrock-Shnliche<br />
farbige Tücher (Sarong) um den Unterkörper, die<br />
bis auf die FüBe reichen.<br />
Eine Mutter verflucht ihren Sohn<br />
Parallelen für das versteinerte Schiff finden sich in<br />
West-Borneo und in der Tontemboan-Erzahlung<br />
(Celebes) «Verhaal betreffende de Verdeeling«. Vergleiche<br />
auch die malaiische »Tjeritera si Kantan«.<br />
1<br />
Das heiBt nach Sumatra.<br />
2<br />
Siehe «Das Madchen, das nicht heiraten wollte», Anmerkung<br />
6.<br />
205
3<br />
4<br />
Wörtlich: «lm Rücken des Landes.» Für «Ostent sagt man<br />
auch «Aufgehensort der Sonne», für «Westen» «Untergehensort<br />
der Sonne».<br />
Dem Fluch der Eltern schreibt man ganz besondere Kraft<br />
zu.<br />
Das Krokodilsei,<br />
aus dem ein Mensch entstand<br />
l Krokodile legen ihre Eier niemals auf den FluB- oder<br />
Meeresgrund, sondern stets in einer untiefen Grube am<br />
Strand. Die Weibchen bedecken die zwanzig bis hundert<br />
Eier, die oval sind und die GröBe von Ganse-Eiern haben,<br />
mit Pflanzenresten. Sie werden von der sie umgebenden<br />
Warme ausgebrütet. — Dem Erzahler ist sicherlich bekannt<br />
gewesen, wo die Krokodile ihre Eier zu legen pflegen.<br />
Es scheint mir daher, daB er diese falsche Darstellung<br />
gab, um die Motive der Erzahlung unterbringen zu<br />
können.<br />
Polambana und die Affen<br />
Es handelt sich um eine Variante des weitverbreiteten<br />
Schwanenjungfrau-Motivs. Auch hier wird das<br />
TierauBere (im Bade) abgelegt, da man sich vorstellt,<br />
daB der vollstandige Mensch im Innern der Gestalt<br />
sitzt. Vergleiche hierzu die «Hikajat Banta Ahmat«<br />
aus Atjeh, wo der Held einen Papagei fangt, der<br />
seinen Reis auffriBt. Der Vogel verwandelt sich<br />
dann in eine Prinzessin. Siehe ferner die Batak-<br />
Erzahlung (Nord-Sumatra) «Porhail na tigor« (Motiv<br />
der Frau, die unbemerkt für den Helden kocht).<br />
Das Schwanenjungfrau-Motiv ist indischen Ursprungs,<br />
da die Ansatze dazu im frühen Sanskritschrifttum<br />
zu flnden sind (siehe Tawney und Penzer,<br />
Band 8, Anhang 1, Seite 213 bis 234). — Parallelen<br />
für die Erlösung des Tiermenschen durch Verbrennen<br />
der Haut beziehungsweise der Federn oder durch<br />
einfaches Ablegen der Tierhaut finden sich auch bei<br />
den Toradjas und in der Minahassa auf Celebes, ferner<br />
bei den Indianern in Nord- und Süd-Amerika,<br />
auf den Philippinen, auf den Mentawai-Inseln an der<br />
Westküste von Sumatra, auf der Insel Madagaskar,<br />
auf den Banks-Inseln in Melanesien, in China, wo<br />
es in alterer Form als Astralmarchen vorkommt, und<br />
im Deutschen (siehe Bolte und Polivka, Nr. 193: »Der<br />
Trommler«). — Eine Parallele für das Vergiftungs-<br />
Motiv findet sich bei Aarne, »Verzeichnis der Marchentypen«,<br />
Nr. 1380, »Die treulose Gattin«, wo die<br />
Frau ihren Mann dadurch blind machen will, daB<br />
206
sie ihm Milchbrei zu essen gibt. Es handelt sich um<br />
ein indisches Motiv.<br />
1<br />
Die Reiskörner werden zunachst auf Saatbeeten ausgesat<br />
(siehe >Der Arme, der Pflüge verbarg», Anmerkung 1).<br />
2<br />
Die sawalil-lantja-Fische sind klein und leben auf den<br />
künstlich bewasserten Reisfeldern.<br />
3<br />
Wegen der Pinangpalme (Areca Catechu L.) siehe >Das<br />
Madchen, das nicht heiraten wollte», Anmerkung 6.<br />
4<br />
Vergleiche auch >Erzahlung von dem Pa'e-Damon» auf<br />
Seite 61.<br />
5<br />
Am Oberlauf der Flüsse befinden sich keine menschlichen<br />
Niederlassungen, so daB sich dort Gelegenheit bietet,<br />
Acker anzulegen.<br />
8<br />
Auf Simalur gibt es keine Affen (mehr?). — Der Brüllaffe,<br />
der hier als Anführer auftritt, ist wahrscheinlich<br />
identisch mit dem Gibbon (Hylobates Syndactylus Desm.).<br />
Die Gibbons kommen in Gruppen in den Bergen von<br />
Sumatra vor. Der Ruf dieser schwarzen Affen ist sehr<br />
weit hörbar; denn er wird durch einen groBen Kehlsack<br />
verstarkt, der betrachtlich aufgeblasen werden kann.<br />
7 wegen Klebreis siehe >Der unentschlossene Mann», Anmerkung<br />
l.<br />
8<br />
Tote werden vor der Bestattung gewaschen (siehe Einleltung).<br />
Die Kuh mit den drei Töchtern<br />
Der Wunderbaum aus Tierknochen, in dem sich das<br />
helfende Tier in einer neuen Form zeigt, ist ein weitverbreitetes<br />
Motiv. Parallelen linden sich in der Tontemboan-Erzahlung<br />
(Celebes) »Het Stiefkind en de<br />
Koe«, in Annam »Con Tam et Con Cam«, wo ein<br />
Fisch vergraben wird und Kleider spendet, in Indien,<br />
in Süd-China, in Arabien und bei uns: «Einauglein,<br />
Zweiauglein und Dreiauglein« (siehe Bolte und Polivka,<br />
Nr. 130).<br />
Der Mann, der dauernd angelte<br />
Sie dürfte, nach dem SchluC zu urteilen, aus Atjeh<br />
(Nord-Sumatra) stammen. Wegen des Riesenfisches<br />
vergleiche Aarne, «Verzeichnis der Marehentypen«,<br />
Nr. 1960 B.<br />
1<br />
Gelegentlich fischt man nachts am Meer mit Fackeln.<br />
2<br />
alabol larodon ist eine mir nicht bekannte Fischart.<br />
3<br />
Die Hauser auf Simalur, die weit voneinander entfernt<br />
inmitten von Pflanzungen liegen, haben haufig einen<br />
Garten vor dem Haus, in dem unter anderem Obstbaume<br />
waehsen.<br />
4<br />
Siehe >Der Sohn eines Reichen und Fürst Aman», Anmermerkung<br />
2.<br />
6<br />
Das heiBt soviel Reisbrei, wie man mit den zusammengelegten<br />
Fingerspitzen der Hand fassen kann.<br />
207
» tauhao ist eine Baumart (Shorea Barbata Brandis) aus<br />
der Familie der Dipterocarpaceen. Diese Baume werden<br />
bis zu sechzig Meter noch; ihr Holz wird für den Bau<br />
von Hausern verwendet.<br />
7<br />
Wörtlich: >In unser Maul stecken sie SüBigkeiten, und an<br />
unserem Schwanz befestigen sie Rotandornent, das heiBt<br />
erst ködert man uns, um uns dann aufzuspLeBen.<br />
8 Die Frau ist dadurch gewarnt und über die Absicht des<br />
Fisches unterrichtet, daB der Fürst zuerst dem Fisch den<br />
Befehl und dessen Bedeutung mitteilt. Auf diese Weise<br />
gibt er der Frau zu verstehen: »Wenn der Fisch dich<br />
fressen will, dann spring an LandU Infolgedessen konnte<br />
sich die Frau beim Nennen des Stichwortes durch einen<br />
Sprung in Sicherheit bringen.<br />
0 Die Atjeher wohnen in Nord-Sumatra. Der SchluBsatz<br />
zeigt, daB die Erzahlung höchstwahrscheinlich von dort<br />
entlehnt ist. Sie bewerten das Krokodil höher als den<br />
Tiger. Das hangt wohl ursprünglich mit totemistischen<br />
Anschauungen zusammen (vergleiche >Die Lambore' auf<br />
der Insel Simalurc, Anmerkung 6, und >Palantjar
Seite 411 bis 413, »Doktor Allwissend«, die indischen<br />
Ursprungs sein soll.<br />
1<br />
Man sat den Reis nicht auf die nassen Reisfelder, sondern<br />
erst auf Zuchtheete, wo man Setzlinge heranzieht.<br />
Diese Setzlinge (bibit) werden nach etwa vierzig Tagen<br />
auf die nassen Reisfelder verpflanzt. Dabei finden zahlreiche<br />
symbolische Handlungen statt, weil man sich den<br />
Reis als beseelt vorstellt (siehe Einleitung).<br />
- Die indonesischen Pflüge sind leicht und daher von einem<br />
Mann tragbar. Der Pflug besteht aus dem vertikal stellenden<br />
langen Griff, an dessen unterem Ende die Pflugschar<br />
befestigt ist, die durch eine Holzscheide geschützt<br />
wird. Durch die untere Halfte dieses Holzgriffes verlauft<br />
ein langer Pfahl in horizontaler Richtung, an dessen vorderem<br />
Ende das Joch für den Zugbüffel angebracht ist.<br />
3<br />
Der Almanach ist ein Buch mit allerlei Figuren und Tabellen,<br />
die zur Berechnung günstiger und ungünstiger<br />
Tage sowie zu Prophezeiungen dienen.<br />
Palantjar<br />
1<br />
Zuckerrohr = Saccharum Officinarum L. Die senkrecht<br />
stehenden Stengel, die in regelmaCigen AbstSnden Knoten<br />
haben, werden in ausgewachsenem Zustand bis zu<br />
fünf Meter hoch. Sie sind massiv. Das Rohr (der Stengel)<br />
wird von der indonesischen Bevölkerung mit primitiven<br />
Pressen ausgepreBt. Dann wird der so gewonnene<br />
Saft in eisernen Pfannen gedampft, bis eine sirupahnliche<br />
Masse übrigbleibt. Zuckerrohr wird durch Stecklinge<br />
verpflanzt. Es wird überall in Indonesien angebaut,<br />
kommt jedoch auf Simalur nur sehr selten vor.<br />
Sehr oft kaut man auch kleine Stücke Zuckerrohr, um<br />
sich an dem Saft zu erfrischen.<br />
2<br />
Krokodile werden auch anderswo im Archipel mit »GroBvater»<br />
bezeichnet (so zum Beispiel bei den Batak auf<br />
Sumatra und auf der Insel Enggano an der Westküste<br />
von Sumatra). Es geschieht dort, wo totemistische Anschauungen<br />
herrschen, da man das Krokodil als Stammvater<br />
ansieht.<br />
s Wörtlich: >Wenn du bereits auf der Schulter bist, willst<br />
du auf den Schaitel gehen.«<br />
Der Herr und sein Skiave Lafoebu'<br />
1<br />
Der Durian-Baum (in der Simalur-Sprache turian), Durio<br />
Zibethinus Linn., ist sehr hoch und im Archipel weit verbreitet.<br />
Er tragt seinen Namen nach den groBen, stachligen<br />
Früchten (malaiisch duri = Stachel, Dorn), die weiches,<br />
rahmfarbiges Fruchtfleisch enthalten. Es verbreitet<br />
einen Geruch, der an Knoblauch erinnert. Die Indonesiër<br />
und viele dort ansassige Europaer betrachten diese<br />
Früchte als Leckerbissen.<br />
2<br />
Das heiBt: du verdrehst mir das Wort im Munde.<br />
14<br />
209
Das heiBt: vom Unterholz.<br />
4<br />
Boote fertigte man früher aus einem Baumstamm, und<br />
zwar aus einem Stück an. Ein geeigneter Baum wurde<br />
lm Walde gefallt, mit DeiBel und Haumesser ausgehöhlt,<br />
zum Teil auch ausgebrannt. Dann zündete man unter<br />
der Höhlung ein Feuer an, das das hineingegossene Wasser<br />
zum Koenen brachte und so die öffnung vergröBerte.<br />
Um ein Zusammenziehen der beiden AuBenplanken zu<br />
verhindern, preBte man nach geraumer Zeit starke Holzlatten<br />
in die öffnung und lieB das Boot dann allmahlich<br />
trocknen. Nach Fertigstellung wurde es mit Hilfe anderer<br />
Dorfleute an den Strand gezogen. Wenn es sich um<br />
gröBere Boote handelte, verwendete man wohl auch<br />
Holzrollen für diesen Transport.<br />
5 Früher, heute nur noch selten, wurden die Büffel von<br />
ihren Besitzern durch besondere Zeichen markiert. Meistens<br />
schnitt man ihnen ein kleines Stück vom Ohr ab<br />
oder schnitt eine Kerbe hinein.<br />
8<br />
Das heiBt ein Stück vom Ohr (siehe Anmerkung 5).<br />
Der Fürst und sein Neffe<br />
Für das Motiv des Armen, der von dem Bratengeruch<br />
in des reichen Mannes Küche dick wird, kommen folgende<br />
Parallelen vor: in der malaiischen Erzahlung<br />
vom Zwerghirsch, wo dieser vom Essensduft satt geworden<br />
ist und als Bezahlung dafür den Klang von<br />
Silbergeldstücken gibt; bei den Laos und bei den Javanern.<br />
Entfernte Parallelen finden sich bei Bolte<br />
und Polivka, Nr. 146, »Die Rübe«. Indische Varianten<br />
des Grundmotivs sind weit verbreitet, siehe<br />
Tawney und Penzer, »The Ocean of Story«, Band 5,<br />
Nr. 134, Seite 132, «Story of the Fooi who gave a<br />
verbal Reward to the Musician« (ein reicher Mann<br />
gibt für ein leichtvergangliches Vergnügen für die<br />
Ohren, das ihm ein Musikant durch sein Spiel bereitete,<br />
ein leichtvergangliches Vergnügen zurück,<br />
indem er ihm Geld als Belohnung verspricht, aber<br />
nicht gibt); und Johannes Hertel, «Katharatnakara,<br />
Das Marchenmeer«, Band 1, Erzahlung 93, »Der Hirt<br />
Dhusara oder ein Schelmenstreich«, wo einem Schauspieldirektor<br />
der Lohn verweigert wird mit den Worten:<br />
»Du hast meinen Augen eine Freude bereitet,<br />
trefflicher Mime, und ich deinen Ohren : wir sind<br />
quitt!« Das haufige Vorkommen dieses Motivs in<br />
indischen Erzahlungen. sowie dessen strahlenförmige<br />
Verbreitung laBt ziemlich sicher auf Indien als Ausgangspunkt<br />
schlieBen.<br />
1<br />
210<br />
Kleine Reiskörner oder Bruchreis iBt man nach guten<br />
Ernten im allgemeinen nicht, sondern man füttert damit<br />
die Hühner.
2<br />
Er nennt den Fürsten JVatert, weil er, wie sich am SchluB<br />
herausstellt, Palantjars Oheim ist. Beim Tode des Vaters<br />
übernimmt der Oheim von Vatersseite beim Fatriarchat<br />
die Rechte und Pflichten des Verstorbenen.<br />
3<br />
karuing (Dipterocarpus Tampurau Korth.) ist ein Baum,<br />
der bis zu lünfzig Meter hoch wird, und dessen Holz man<br />
für den Hausbau verwendet.<br />
* bolawa (Baccaurea Racemosa Müll. arg.) ist ein Baum<br />
aus der Familie der Euphorbiaceae, der gutes Bauholz<br />
liefert. Er wird nicht sehr hoch.<br />
5<br />
Wörtlich: »Für einen kupang» (siehe »Die Herkunft der<br />
Bewohner von Sichule und Salang*, Anmerkung 3).<br />
Der Lachwettbewerb<br />
1 Wegen der Pinang- oder Arekanüsse siehe »Das Madchen,<br />
das nicht heiraten wollte», Anmerkung 6.<br />
2<br />
Beim Erklettern von Kokospalmen bedient man sich<br />
einer FuBschlinge. Aus Baumbast fertigt man einen Ring<br />
an, den man in der Mitte einmal übereinanderschlagt, so<br />
daB zwei steigbügelartige Öffnungen entstehen. Die so<br />
vorbereitete Schlinge legt man auf den meistens etwas<br />
schrag gewachsenen Palmenstamm, tritt mit beiden Fü-<br />
Ben in die beiden öffnungen, wobei die FuBsohlen an<br />
den AuBenseiten des Stammes angelegt sind, und umfaBt<br />
den Stamm mit beiden Handen. Dann zieht man sich<br />
durch Aufstemmen der FuBschlinge am Stamm hoch.<br />
Der Arme als Richter<br />
Hier wird die Unmöglichkeit einer Behauptung in<br />
Parabelform ad absurdum geführt. Parallelen hierfür<br />
flnden sich in der malaiischen Erzahlung vom<br />
Zwerghirsch, in der Lampong-Erzahlung »Sang Haruk<br />
rik Ratu Pudontja« (Süd-Sumatra), in der Tontemboan-Version<br />
«Verhaal van den Bedrieger (Towo)«<br />
(Celebes), die vermutlich aus dem Malaiischen<br />
entlehnt ist, im tibetischen Kandjur, im Jataka Nr.<br />
546 und im Tatarischen. Wegen des Motivs, die Unmöglichkeit<br />
einer Sache zu zeigen, indem man die<br />
Unmöglichkeit einer anderen Sache demonstriert,<br />
siehe Tawney und Penzer, Band 3, Seite 250 bis 251,<br />
»Note on the Impossibilities Motif«, und ebenda,<br />
Band 5, Seite 64 bis 66.<br />
Der unentschlossene Mann<br />
Es handelt sich um eine Episode aus der malaiischen<br />
«Tjeritera Djenaka«. Siehe ferner die malaiische<br />
«Erzahlung von Pa' Ka'dok und vom Lebai Malang«.<br />
1<br />
Klebreis ist eine besondere Reissorte (Oryza Glutinosa<br />
Lour.). Die Körner kleben beim Koehen aneinander und<br />
bilden eine breiige Masse, wahrend andere Reissorten<br />
14* 2ii
eim Koenen körnig bleiben. Klebreis gilt als Leckerbissen.<br />
Der Sohn des Wohlhabenden<br />
und der Arme<br />
Das für Indonesien sehr seltene Motiv. durch Erbrechen<br />
des Mageninhalts den rechtmaBigen Gatten<br />
festzustellen, das sich auch in der Erzahlung »Der<br />
eifersüchtige Fürst« flndet, dürfte indischen Ursprungs<br />
sein. Vergleiche J. Dutoit, »Das Buch der<br />
Erzahlungen aus früheren Existenzen Buddhas«,<br />
Band 6, Nr. 546, »Die groBe Erzahlung von dem<br />
Kanak Und Seite 398 bis 400, "Das Rind«, wo<br />
ein Ochse durch in Wasser zerriebene. zerstoBene<br />
Piyanggu-Blatter zum Erbrechen gereizt wird, um<br />
auf Grund des erbrochenen Mageninhalts den Eigentümer<br />
festzustellen.<br />
1<br />
ErgSnze: ïnamlich indem du dein Pferd hingibst, um an<br />
seinerstatt deine Beine zu gebrauchen*.<br />
2<br />
Blatter der Colocasia dienen als Zukost, das heiBt als<br />
Gemüse. Es handelt sich um die Colocasia Antiquorum<br />
Schott., die wegen ihrer eBbaren Knollen angebaut wird.<br />
Die Knollen werden gekocht gegessen.<br />
VOLKSERZAHLUNGEN<br />
Die Prinzessin, die einen vom Himmel<br />
Herabgestiegenen heiraten wollte<br />
Vergleiche die malaiische Erzahlung von Pa' Pandir.<br />
in der dieser durch von ihm gefangene Vögel nach<br />
dem Palast des Shah Malim getragen wird, sich als<br />
Geisterfürst ausgibt und die Prinzessin Dans Lela<br />
heiratet. Siehe ferner die annamitische Erzahlung<br />
»La fille qui veut épouser un roi«, und bei Bolto und<br />
Polivka, Nr. 139, Seite 127: »Dat Maken von Brakel«.<br />
1<br />
Die Insel Nias liegt südöstlich von Simalur.<br />
2<br />
Das Durchbohren der Ohrlappehen kommt auch anderswo<br />
im Archipel haufig vor. Auf der Insel Simalur wurden<br />
den Madchen die Ohrlappehen durchbohrt, wenn sie<br />
zwei bis drei Jahre alt waren. Die mit Blattdornen<br />
gestochenen Löcher wurden durch spiralenförmig zusammengerollte<br />
Blatter erweitert, die sich in der öffnung<br />
ausdehnten. In diese Löcher wurden spater bei festlichen<br />
Veranstaltungen Blumen oder Schmuck gesteckt. Die<br />
Löcher in den Ohrlappehen erreichten bisweilen eine sehr<br />
betrachtliehe GröBe, so daB deren unterer Rand bisweilen<br />
rifi. Diese Sitte schwindet auf Simalur immer mehr.<br />
3<br />
In mohammedanischen Landern erfolgt dieTrauung durch<br />
Moscheebeamte. Die Ehe wird mittels eines Heiratsver-<br />
212
trages geschlossen, durch den die Frau aus der Vormundschaft<br />
ihres Vaters oder ihres gesetzlichen Vormundes in<br />
die ihres Mannes übergeht. Partner dieses Ehevertrages<br />
sind der Brautigam und der Vormund der Braut. In ihm<br />
sprechen beide Teile ihren Willen zur Ehe aus; auBerdem<br />
verpflichtet sich der Brautigam, der Braut einen gewissen<br />
Betrag als Brautgabe zu entrichten, seine Frau mit allem<br />
Nötigen zu vers<strong>org</strong>en, und, falls er andere Frauen dazu<br />
heiratet, keiner von ihnen mehr Zeit als jeder anderen<br />
zu widmen. (Der freie Muslim darf nicht mehr als vier<br />
Frauen gleichzeitig haben.) Beim AbschluB des Vertrages<br />
müssen mindestens zwei Zeugen zugegen sein, die<br />
den vom mohammedanischen Gesetz gestellten Anforderungen<br />
in Glauben und Moral entsprechen. Da meistens<br />
nur der Moscheevorsteher und sein Personal diesen<br />
Anforderungen genügen, treten diese als Heiratsbeamte,<br />
als Zeugen oder als bevollmachtigter Vormund<br />
auf. Die lAnnatraiec des Brautigams muB dem >Angebot«<br />
des Vormundes der Braut sofort folgen. JAngebot»<br />
und >Annahme< erfolgen nach festgesetztem Wortlaut, da<br />
der Vertrag bei Vernachlassigung einer dieser Vorschriften<br />
ungültig ist. Ausdrückliche Zustimmung der Braut<br />
zum Heiratsvertrag ist nur dann erforderlich, wenn sie<br />
keine Jungfrau mehr ist. Das Angebot erfolgt etwa mit<br />
den Worten: >leh verheirate dich mit N. N., der Tochter<br />
von N. N., von dem ich ermachtigt bin, es zu tun, unter<br />
Zahlung von soundsoviel Brautgeld.» Die Annahme des<br />
Brautigams, die sofort erfolgt, lautet etwa: >Ich nehme<br />
ihre Hand an.» Dann rezitiert der Moscheevorsteher die<br />
erste Sure des Qur'ans, und SchlieBlich wird ein Gebet<br />
gesprochen, das bei Hochzeiten allgemein üblich ist. Der<br />
AbschluB des Ehevertrages erfolgt auf der Veranda des<br />
Hauses der Brauteltern. In ihm wird stets die Höhe des<br />
Brautpreises genannt. Denn in Indonesien ist es allgemein<br />
üblich, daB der Mann den Eltern seiner Braut einen<br />
Geldbetrag und Geschenke zahlen muB, die gewissermaBen<br />
als Entschadigung dafür anzusehen sind, daB den<br />
Eltern des Madchens oder ihrer Sippe deren Arbeitskraft<br />
verloren geht. Deshalb ist das Wort für >BrauU in mandiën<br />
indonesischen Sprachen gleichbedeutend mit »die<br />
Gekauftec<br />
' Jeder indoncsische Dorfbewohner besitzt ein Haumesser.<br />
Es hat einen kurzen Griff und eine lange, einseitig geschliffene<br />
Eisen- oder Stahlklinge. Man schliigt sich damit<br />
nicht nur Wege im Urwald oder verwendet es bei<br />
der Feldarbeit, sondem es dient auch zum Schlachten,<br />
ferner zum Herauslösen von Domen aus der FuBsohle<br />
usw. Es ist ein Universal-Instrument.<br />
•' Gewöhnlich steekt das Haumesser in einer Holzscheide,<br />
nur sehr selten in einer Scheide, die aus starken Blattern<br />
zusammengenaht ist.<br />
• Der Niasser beherrscht die Simalur-Sprache noch nicht.<br />
< Schimpfworte und Flüche sind im allgemeinen sehr grob,<br />
zum Beispiel >du bist der Nachkomme eines Affen, eines<br />
is 213
8<br />
Schweines»; >möge dich der Donner rühren!*; >mögest du<br />
wie eine abbröckelnde Uferwand werden!» — Die Frau<br />
bezeichnet den Niasser hier als »Schweinesohn«, weil bei<br />
den Völkerschaften von Sumatra die Legende besteht,<br />
daB die Bevölkerung der Insel Nias aus der Vereinigung<br />
eines Mannes mit einem Schwein herv<strong>org</strong>egangen sei.<br />
Die Bewohner von Nias sind im allgemeinen auf Sumatra<br />
nicht sehr angesehen.<br />
Das heiBt: wer allzu wahlerisch ist, greift doch nach dem<br />
Schlechten.<br />
Das Madchen, das nicht heiraten<br />
wollte<br />
1<br />
Diese Erzahlung ist von den Atjehern in Nord-Sumatra<br />
entlehnt. — Auf Simalur kannte man keine Sklaven,<br />
wohl aber in Atjeh. Diese Sklaven wurden als nützliche<br />
Arbeitskrafte gut behandelt.<br />
2<br />
Das Anlegen einer Pflanzung geschieht folgendermaBen:<br />
Nachdem man ein geeignetes Stück Land ausgesucht hat,<br />
ruft man die Geister an, damit sie der geplanten Unternehmung<br />
günstig gesinnt sind. Zunachst fallt man die<br />
groBen Baume, die man je nach Umfang bis zu zwei und<br />
mehr Meter über der Erde umschlagt. Dabei steht man<br />
auf einem primitiven Holzgerüst. Dann entfernen Frauen<br />
und Kinder das Unterholz. Die gefallten Stamme und<br />
das Unterholz werden dann verbrannt, die Asche bleibt<br />
als Düngemittel liegen. Alsdann bearbeitet man den Boden<br />
mit Hacken, bis die erste Saat ausgesat werden kann.<br />
Die Baumstümpfe laBt man dazwischen stehen, denn sie<br />
verfauien im Laufe der Zeit. An besonders groBe Baumstümpfe<br />
und Wurzeln legt man Feuer, so daB sie teilweise<br />
verkohlen. Zur Beruhigung der Walddamonen halt<br />
man noch ein Opfermahl ab.<br />
3<br />
Das heiBt: ich behandle alle Leute gleich.<br />
4<br />
Das heiBt dem Vater des Jünglings.<br />
5<br />
Aus Bescheidenheit werden die Worte als belanglos hingestellt,<br />
obwohl das Gegenteil gemeint ist (siehe auch<br />
Anmerkung 11). Die bei einem Heiratsantrag zu sprechenden<br />
Worte sind von der Adat, das heiBt von dem<br />
seit Jahrhunderten geübten Brauch, genau festgelegl.<br />
Man bedient sich dabei mit Vorliebe blumenreicher Wendungen<br />
und Umschreibungen. Deshalb beauftragt man<br />
meistens berufsmaBige Heiratsvermittler mit dieser Aufgabe.<br />
6<br />
Das Betelkauen ist vor allem in West-Indonesien sehr<br />
beliebt und weit verbreitet. Zu einem Betelbissen gehören:<br />
ein Blatt der Betelpflanze (diese ist eine Schlingpflanze<br />
aus der Familie Piperaceae, vor allem Piper Betle<br />
L. = Chavica Betle Miq.), ein wenig Gambir (das ist eine<br />
Schlingpflanze aus der Familie Rubiaceae, namlich Uncaria<br />
Gambir Roxb. Ihre Blatter werden ausgekocht, so<br />
daB man einen gerbstoffhaltigen Extrakt, Gambir, erhalt),<br />
ein Stückchen PinangnuB = ArekanuB (das ist<br />
214
eine Palraenart: Areca Catechu L.), Kalk und Tabak. Das<br />
mit Kalk bestrichene Blatt der Betelpflanze wird um ein<br />
Stück PinangnuB und Gambir gefaltet. Dann steekt man<br />
alles zusammen mit einem Tabakpriem in den Mund.<br />
Nach einiger Zeit ist der Speichel blutrot gefarbt. Wenn<br />
ein Madchen einem Jüngling einen Betelbissen anbietet,<br />
so gilt das als Zeichen der Zuneigung.<br />
7<br />
Wenn jemand einen Besuch macht, so meldet er sich<br />
entweder diskret durch Kauspern an, oder dadurch, daB<br />
er die Fingernagel gegen die Türpfosten schnellt. Er<br />
wartet solange auf der Veranda des Hauses oder bei der<br />
Treppe, bis der Hausbesitzer erscheint.<br />
8<br />
Das heiBt die Frau seines Auftraggebers, also die Mutter<br />
des Jünglings. Durch diese Umschreibung vermeidet<br />
man, den Namen der Frau zu nennen. Gleichzeitig wird<br />
damit wahrscheinlich angedeutet, dafi sie zur Sippe des<br />
Heiratsvermittlers gehort.<br />
* Wörtlich: >Ganz allein kann ich es nicht schlucken, sonst<br />
bekomme ich nachher, wenn ich es esse, den Schluckauf.«<br />
1 0<br />
Wörtlich: >Ich lasse die Treppe nicht fallen.c — In das auf<br />
Pfahlen stehende Haus führt eine heute nach europaischem<br />
Vorbild gebaute kleine Holztreppe ohne Gelander.<br />
Bei einfachen Hütten dient bisweilen auch nur ein mit<br />
regelmaBigen Kerben versehener, schrag nach oben gelehnter<br />
Baumstamm als Treppe. In alter Zeit dürfte man<br />
diese beim Nahen von Feinden hochgezogen haben.<br />
1 1<br />
Die besonders gut hergerichteten Speisen werden aus<br />
Bescheidenheit als armiich und geringfügig bezeichnet<br />
(siehe Anmerkung 5).<br />
1 2<br />
Die zukünftige Braut muB sich dem Heiratsvermittler<br />
beim Abschied kurz zeigen.<br />
1 3<br />
Vor der Ankunft der Europaer im Archipel kannte man<br />
nur ungefahre Zeitangaben, die durch den Sonnenstand<br />
oder durch andere konkrete Bilder gemacht wurden.<br />
Derartige Angaben sind: «derweil wir die Zeit abwarten,<br />
die (nötig ware, damit) ein Kücken aus dem Ei schlüpft»;<br />
>es dauert nicht einen Betelbissen lang« (das heiBt etwa<br />
eine halbe Stunde); >die Sonne steht bereits hoch (oder<br />
niedrig)».<br />
M Das heiBt die Sklaven ihres Vaters. — Die indonesischen<br />
Sprachen besitzen besondere Wörter für >jüngere« und<br />
für »altere« Geschwister.<br />
'5 mahao ist ein Baum, dessen Blatter getrocknet werden<br />
und dann als Dachbedeckung dienen.<br />
19 Da den Mohammedanern der GenuB von Schweinefleisch<br />
verboten ist, bedeuten diese Worte, daB sie niemals heiraten<br />
wird.<br />
Die Frau, die Ehebruch beging<br />
i Witwen werden gern als solche Boten verwendet.<br />
* Sie wollen sich dort vor wilden Tieren und vor Mücken<br />
schützen.<br />
215
3<br />
5<br />
Es handelt sich um einen Windschirm zum Schutz gegen<br />
Regen und Unwetter. Ein Windschirm besteht aus vier<br />
quadratisch oder reehteckig in die Erde gesteckten Asten,<br />
über deren obere Enden vier oder mehr andere Aste<br />
gelegt werden. Auf diese deckt man als Dach Palmenoder<br />
andere Blatter. Sie sind verhaltnismaBig schnell zu<br />
errichten.<br />
Matten werden aus Pandanus-Blattern geflochten, die<br />
man durch Ziehen über eine Haumesserschneide und<br />
durch Einweichen in Wasser geschmeidig macht. Die<br />
Pandanuspalmen sind im Archipel in zahlreichen Arten<br />
vertreten. Sie wachsen am Strand oder im sumpfigen<br />
Urwald und treiben sehr oft Luftwurzeln in die Erde.<br />
Es gibt mannliche und weibliche Pandanuspalmen. Ihre<br />
Blatter dienen auch als Material für die Dachbedeckung.<br />
Man kennt keine Betten oder Stühle, sondern schlaft<br />
und sitzt auf geflochtenen Matten.<br />
FuBsohlen und Handflachen sind heller als die übrlgen<br />
Teile der menschlichen Haut. Bei Toten haben sie einen<br />
weiBlichen Ton.<br />
4<br />
Der Mann,der starb,<br />
weil seine Frau ihn kitzelte<br />
1<br />
Um die Erdklumpen auf den nassen Reisfeldern zu zerkleinern,<br />
treibt man einige Büffel auf die Felder, damit<br />
sie diese Arbeit mit ihren Hufen verrichten.<br />
• Wie ich in der Einleitung bemerkt habe, kennt man auf<br />
der Insel Simalur vier Möglichkeiten der EheschlieBung.<br />
GemaB der Adat bano, das heiBt der Landessitte, muB<br />
der junge Ehemann ein, selten zwei Jahre lang ununterbrochen<br />
bei seinen Schwiegereltern arbeiten.<br />
3<br />
Diese Deckel, die vor allem zum Zudecken von Reisbrei<br />
benutzt werden, sind aus Palmblattern geflochten. Sie<br />
werden mit farbigem Papier verziert, das man in regelmaBigen<br />
Abstanden in die durch das Flechtmuster entstandenen<br />
Quadrate oder Rechtecke schiebt. Diese ovalen<br />
Deckel dienen vor allem zum Schutz gegen Fliegen.<br />
Man gebraucht sie jedoch nur bei festlichen Gelegenheiten.<br />
4<br />
Um das Wasser auf den künstlich bewasserten, das heiBt<br />
aus abgeleiteten Flüssen gespeisten Reisfeldern am Abflieflen<br />
zu hindern, sind innerhalb des Feldes kleine,<br />
niedrige Erdwalle mit der Hand aufgeworfen. Um sie<br />
vor Abschwemmung zu schützen, sind sie haufig durch<br />
Grassoden gestützt.<br />
6<br />
Wegen der Begrabniszeremonien siehe Einleitung.<br />
' Durch Besprengen mit Zitronenwasser sollen böse Damonen<br />
abgewehrt werden.<br />
7<br />
In der Todesstunde ist der Mensch der groBen Gefahr<br />
ausgesetzt, daö der Teufel ihn für sich zu gewinnen<br />
trachtet. Deshalb wird sterbenden Mohammedanern das<br />
Glaubensbekenntnis (>Ich bezeuge, daB es keinen Gott<br />
auBer Allah gibt,und ich bezeuge, daB Mohammed Allahs<br />
216
Gesandter ist«) v<strong>org</strong>esprochen, und man sagt innen, was<br />
sie den Grabes-Engeln Munkar und Nakir zu antworten<br />
haben. (Begrabniszeremonien siehe Einleitung.)<br />
• Siehe Einleitung unter Begrabniszeremonien.<br />
Der e i f e r s ü c h t i ge Fürst<br />
1<br />
Es ist nicht ganz sicher, ob mit dem Simalur-Ausdruck<br />
gundjo die Maulwurfsgrille gemeint ist. Die Maulwurfsgrille<br />
ist ein geflügeltes Insekt, dessen VorderfüBe<br />
stark verbreitert sind und an die eines Maulwurfs erinnern.<br />
Sie lebt meistens in selbstgegrabenen Gangen in<br />
der Erde. Ihre Nahrung besteht gröBtenteils aus Würmern<br />
und Insekten.<br />
2<br />
Mit dieser Erzahlung scheint ein früher auf Simalur geübter<br />
Brauch in Zusammenhang zu stehen. Bei heftigem<br />
Sturm kehrten namlich auf See befindliche Manner ihr<br />
entblöfites Geschlechtsteil der Windrichtung zu, um den<br />
Sturm zu beschwichtigen. Dadurch wollte man den Sturm<br />
(also die Frau) beschamen und zur Umkehr zwingen.<br />
Der despotische Fürst<br />
' Hand- und FuBnagel der Brautleute werden vor der<br />
Hochzeit rot gefarbt. Dazu dient der Saft der Blatter des<br />
ine'-Strauches (Lawsonia Inermis L.).<br />
- Viele Völkerschaften in Indonesien glauben, daB man<br />
sich unverwundbar machen kann. Um dieses zu erreichen,<br />
bedient man sich verschiedener geheimer Mittel,<br />
wie beispielsweise Quecksilber, das man auf der Haut<br />
verreibt.<br />
• Diese Netze sind kegelförmig; ihre Unterseite ist durch<br />
eine Kette beschwert. Der Fischer, der die Spitze des<br />
Netzes in der Hand halt, wirft es vom FluB- oder Meeresufer<br />
oder vom Bug des Bootes aus.<br />
* Balu (Hibiscus Tiliaceus L.) ist eine Baumart mit herzförmigen<br />
Blattern und groBen gelben Blüten, deren Inneres<br />
purpurfarben ist. Aus dem Bast fertigt man Taue<br />
an; er dient auch zum Flechten von Netzen.<br />
Der Mann, der sich eine Nebenfrau<br />
nahm<br />
1<br />
Der Mann hat gemaB mohammedanischem Gesetz das<br />
Recht, die Frau ohne Angabe von Gründen durch einfache<br />
Erklarung aus der Ehe zu entlassen. Aber die Ehe<br />
ist erst nach dreimaliger VerstoBung sofort und endgültig<br />
gelost. Das mohammedanisehe Gesetz empflehlt den<br />
Mannern nicht, sich wegen geringfügiger Anlasse von<br />
ihren Ehefrauen zu trennen, oder mehr als eine Frau<br />
zu haben. Ein Mann kann sich nicht von seiner schwangeren<br />
Frau scheiden lassen, sondern er muB damit bis<br />
ungefahr vierzig Tage nach der Geburt warten. Die Frau<br />
muB auf Simalur hundert Tage warten, bevor sie wieder<br />
217
eine Ehe eingehen darf. Im Scheidungsfalle folgen dort<br />
die Kinder meistens dem Vater, das heiBt es herrscht<br />
das Patriarchat. Beim Matriarchat folgen die Kinder dem<br />
altesten Bruder der Mutter und damit der Muttersippe.<br />
2 lm Originaltext handelt es sich um ein Wortspiel mit den<br />
Ausdrücken pusako und. sangsako. Pusako bedeutet<br />
>Erbe, Erbstück», sangsako entspricht unserem »für<br />
kurze Zeit, nicht dauernd».<br />
3 Lombokpfeffer (Capsicum Annuum L.) wird allgemein<br />
>spanischer Pfeffer» genannt. Die langlichen roten Schoten<br />
wachsen an Strauchern und werden nach der Ernte<br />
getrocknet. Sie sind sehr scharf und werden, in kleinen<br />
Steinmörsern feingestampft, als Gewürz bei Reis und<br />
Zutaten verwendet. Man iBt in Indonesien sehr scharfgewürzte<br />
Speisen.<br />
i Die Bewohner der Insel Simalur, die trotz des Islams<br />
weitgehend Animisten geblieben sind, schreiben auch<br />
den Reispflanzen eine Seele zu. Sie kann, ebenso wie bei<br />
Menschen, den Körper, das heiBt hier also die Pflanze,<br />
verlassen. Infolge dieses Glaubens müssen bei der Reisaussaat<br />
und bei der Reisernte gewisse Zeremonien verrichtet<br />
werden (siehe Einleitung Seite 13).<br />
» Die Sagopalme (Metroxylon Sagus Rottb.) kommt wildwachsend<br />
und, vor allem im östlichen Teil des Archipels,<br />
auch angepflanzt vor. Dort dient das Sagomehl als<br />
Hauptnahrungsmittel, im Gegensatz zu West-Indonesien,<br />
wo Reis Hauptnahrungsmittel ist. Die Sagopalmen werden<br />
im Alter von vierzehn bis fünfzehn Jahren gefallt<br />
und in lange Stücke zerlegt, die man dann der Lange<br />
nach spaltet. Mit Hilfe einer Art DeiBel wird das Mark<br />
daraus entfernt und in ein GefaB gefüllt, das unten mit<br />
einem Sieb versehen ist. Wenn man das Mark, mit Wasser<br />
vermengt, knetet, laBt man die feinen Teile in ein<br />
anderes GefaB mit Wasser fallen, wo sie auf den Boden<br />
sinken. Diese Masse wird dann getrocknet und zu Speisen<br />
verwendet. — Sagopalmen sind auf Simalur sehr<br />
selten.<br />
• Das ist wohl so zu verstehen, daB beim Herausschlagen<br />
des Marks kein Sagomehl zum Vorschein kommt. Der<br />
Ausdruck Jherausrinnen» zeigt, daB der Erzahler mit der<br />
Sagogewinnung nicht vertraut ist, da Sago dort nicht als<br />
Nahrungsmittel dient (siehe Anmerkung 5).<br />
7 Wörtlich: >Eine enthautete Ziege lebt weiter, aber sie ist<br />
doch krank.c<br />
Der unverschamte Baumeister<br />
1<br />
Die Dacher der Hauser auf Simalur und anderswo in Indonesien<br />
sind meistens mit Blattern der Nipahpalmen<br />
(Nipa Fruticans Thunb.) gedeckt. Diese Palmen wachsen<br />
in groBer Anzahl in den Mangrovesümpfen an den<br />
FluBmündungen und am Meeresstrand. Ihre Blatter werden<br />
ungefahr gleich lang geschnitten und dicht auf eine<br />
etwa einen halben Meter lange Leiste aus gespaltenem<br />
218
Bambus aufgereiht, indem man sie um diesen Bambus<br />
knickt. Dann werden sie unterhalb der Bambusleiste mit<br />
feingespleiBtem Rotan festgeheftet. SchlieBlich legt man<br />
diese Leisten mitsamt den daran befestigten Nipahblattern<br />
in Reihen wie Schindeln über Leisten aus gespaltenem<br />
Bambus auf die Dachsparren. An ihnen werden<br />
sie nochmals mit dickeren Rotantauen befestigt. — Neben<br />
dieser ursprünglichen Art der Dachbedeekung bürgert<br />
sich, ebenso wie auf Sumatra und anderswo im Archipel,<br />
das Wellblech als Deckmaterial immer mehr ein. Ein<br />
Dach aus Nipahblattern hat gegenüber dem Wellblechdach<br />
den groBen Vorteil, daB es stets das Hausinnere<br />
kühl halt, wahrend sich unter dem Wellblechdach eine<br />
fast unertragliche Hitze entwickelt.<br />
» Das heiBt: wenn man dir den kleinen Finger reicht, willst<br />
du die ganze Hand haben.<br />
3<br />
Das heiBt billige Kleidung.<br />
Die Frau mit dem unehelichen Kind<br />
1<br />
Pandanuspalmen, siehe >Die Frau, die Ehebruch beging*,<br />
Anmerkung 4.<br />
2 Wöchnerinnen wird im Zimmer eine Feuerstelle errichtet.<br />
Denn dem Feuer schreibt man nicht nur reinigende,<br />
sondern auch Damonen abwehrende Kraft zu. Diese<br />
fürchten namlich das Feuer, das den Seelenstoff eines<br />
Menschen auffüllen kann.<br />
3<br />
Uneheliche Kinder gelten als magisch gefahrlich für die<br />
Gemeinschaft. Durch das Failen der den Betreffenden<br />
gehörenden Fruchtbaume wird die Sünde der Eltern<br />
gewissermaBen materialisiert, und durch diese Vernichtung<br />
durch Menschenhand beugt man einer zu befürchtenden<br />
Bestrafung der Gemeinschaft durch übernatürliche<br />
Machte vor. Bei den Batak auf Sumatra muB eine<br />
schwangere Frau, die unverheiratet ist, deshalb sofort<br />
verheiratet werden, gegebenenfalls sogar mit einem<br />
Mann niederen Ranges. Denn man glaubt, sonst von Tigern<br />
heimgesucht zu werden, oder man fürchtet, daB die<br />
Pflanzen auf den Feldern keine ertragreiche Ernte bringen<br />
werden. Das sexuelle Vergehen der Eltern würde<br />
namlich die gesamte Ernte gefahrden, wenn es nicht<br />
schleunigst gutgemacht würde. Diese Vorstellung beruht<br />
auf dem Glauben an den EjnfluB der Geschlechter auf<br />
die Vegetation.<br />
Der Mann,<br />
der eine Riesenschlange tötete<br />
i Wörtlich: »Sand und Gras (das heiBt der Grabhügel) sind<br />
die Vergeltung für den Mann, der die Schlange tötete.*<br />
Es handelt sich um einen sogenannten »Adat-Spruch«.<br />
Derartige, sehr alte Sprüche dienen als Richtlinien für<br />
die Rechtsprechung innerhalb der Sippe und der Gemeinschaft.<br />
- An diese Ermahnung halt man sich im allgemeinen auf<br />
der Insel Simalur.<br />
219
Der Mann, der seinen Besitz<br />
vor seinem Tode verteilte<br />
Es handelt sich um eine Variante des König Lear-<br />
Motivs. Vergleiche die ahnliehe Erzahlung »Der<br />
Goldschmied Khemala oder Des Freundes Klugheit«<br />
bei Hertel, »Katharatnakara. Das Marchenmeer«.<br />
Band 2, Nr. 210.<br />
1<br />
Das heiBt: an meine Söhne.<br />
Der reiche Mann, der vor Hunger<br />
starb<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Das heifit er will nur noch spazieren gehen.<br />
Wörtlich: >Die Nacht war bereits so weit v<strong>org</strong>erückt, daB<br />
es Schlafenszeit für die Kinder ware (siehe >Das Madchen,<br />
das nicht heiraten wollte», Anmerkung 13).<br />
Wörtlich: >Das, was bereits hoch ist, werde noch erhöht!<br />
Macht euren Oberarmansatz weich, all ihr Leute in diesem<br />
Lande! c<br />
FABELN<br />
Pythonschlange und Reisvogel<br />
1<br />
In die FuBspuren zu beiBen ist gleichwertig mit dem Ver-<br />
Ietzen des Urhebers derselben. Es handelt sich um eine<br />
Art des Bestandteil- und Restezaubers, der sehr oft zu<br />
belegen ist (siehe Frazer, >The Golden Boughi, Band I, 1,<br />
Seite 207 bis 211).<br />
-' Siehe «Das Madchen, das nicht heiraten wolltec, Anmerkung<br />
13.<br />
3<br />
Siehe >Die Frau, die Ehebruch begingi, Anmerkung 4.<br />
4<br />
erang-erang ist eine kleine Baumschlange.<br />
5<br />
ular gelang ist eine giftige Seeschlange.<br />
Der Zwerghirsch und der Hund<br />
DaB der Zwerghirsch seinen Platz im Karig mit dem<br />
Hund tauscht, indem er auf dessen Wollust rechnet,<br />
findet sich in Erzahlungen auf Java, Sumatra und<br />
Hinter-Indien. Vergleiche die malaiische Erzahlung<br />
vom Zwerghirsch, wo auch eine Vogelseheuche in<br />
menschlicher Gestalt aus Vogelleim vorkommt; Bolte<br />
und Polivka, Nr. 61, »Das Bürle«. Meinhof, «Afrikanische<br />
Marchen«, Nr. 18, »Der Hase und der Mensch«<br />
(Vogelfalle in Gestalt einer hölzernen Frau. Der<br />
Hase steigt auf den mit Vogelleim bestrichenen<br />
Stuhl, bleibt kleben und ohrfeigt die Holzfigur, an<br />
der er SchlieBlich vollstandig festklebt), und Nr. 78,<br />
220
«Der Hase« (ein Bali-Marchen, wo eine Figur aus<br />
Gummi als Falie oben in einem Baum angebracht ist).<br />
1<br />
Der Zwerghirsch gehort zur Familie Tragulidae der Wiederkauer.<br />
Er hat jedoch keine Hörner und lebt einsam<br />
oder in Paaren, nicht in Herden wie andere Wiederkauer.<br />
Vermutlich handelt es sich um den Tragulus Kantjil<br />
Raffl., der auf Sumatra, im Riouw-Arehipel, auf Borneo<br />
(jetzt Kalimantan) und auf Java vorkommt. Er fehlt auf<br />
der Insel Simalur. Der Zwerghirsch ist rot- bis dunkelbraun<br />
gefarbt, hat drei weiCe Streifen auf dem Hals und<br />
ist etwa fünfzig Zentimeter lang. In Indonesien spielt er<br />
die Rolle des Reineke Fuchs. — Der Zwerghirsch hat nur<br />
einen sehr kurzen Schwanz, daher dürfte die Befestigung<br />
von Blattern daran sehr schwierig sein.<br />
- Auf Simalur und in anderen Teilen des Archipels iBt<br />
man kein Hundefleisch, da der Hund den Mohammedanern<br />
als unreines Tier gilt. Die Tobabatak in Nord-<br />
Sumatra essen aber Hundefleisch, das dort auf Markten<br />
verkauft wird.<br />
3<br />
Die Küche befindet sich auf Simalur hinter dem Haus in<br />
einem Anbau oder in einem besonderen Gebaude, das<br />
mit dem Haus durch einen überdachten Gang verbunden<br />
ist, damit man sie in der Regenzeit trocken erreichen<br />
kann.<br />
4<br />
Siehe Anmerkung 1.<br />
Das Wildschwein und der<br />
Affe<br />
Parallelen für dieses Motiv finden sich in Indonesien,<br />
in Afrika (beispielsweise im Suaheli: »Der Leopard<br />
und der Mensch«) und in Europa. Vergleiche auch<br />
Bolte und Polivka, Nr. 48 und 72, wo weitere Parallelen<br />
angeführt sind, aus denen die weite Verbreitung<br />
dieses Motivs herv<strong>org</strong>eht.<br />
Affe und F 1 u B - S c h n e c k e<br />
Die Erzahlung vom Wettlauf zwischen einem langsamen<br />
und einem schnellen Tier (Typus »Swinegel<br />
und Hase«), der dadurch einen unerwarteten Ausgang<br />
nimmt, daB das langsame Tier eine List anwendet,<br />
ist allgemein verbreitet.<br />
1<br />
Auf Simalur ist es üblich, dafi sich der Redende zuerst<br />
nennt.<br />
- Das heiGt: dann antwortet ihr, die ihr euch fluCaufwarts<br />
befindet!<br />
Der Papagei und der Specht<br />
1<br />
Papageienmannchen haben rote, Papageienweibchen<br />
schwarzliche Schnabel, soweit es sich um Psittacula<br />
Alexandri Cala (Oberholser) handelt.<br />
221
SCHRIFTENVERZEICHNIS<br />
Aarne, Antti:Verzeichnis der Marchentypen (FF Communications<br />
Nr. 3).<br />
Aarne, Antti: Leitfaden der vergleichenden Marchenforschung<br />
(FF Communications Nr. 13).<br />
Adriani, Nicolaus, und Kruyt, Albert C: De Bare'esprekende<br />
Toradja's van Midden-Celebes. Band 3:<br />
Taal- en Letterkundige Schets der Bare'e-Taal en<br />
Overzicht van hat Taalgebied Celebes-Zuid-Halmahera.<br />
Batavia 1914.<br />
Benfey, Theodor: Pantschatantra. Leipzig 1859.<br />
Bezemer: Volksdichtung aus Indonesien. Nijhoff,<br />
Den Haag 1904.<br />
Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van<br />
Nederlandsch-Indië. Verschiedene Bande.<br />
Bolte, Johannes. und Polivka, Ge<strong>org</strong>: Anmerkungen<br />
zu den Kinder- und Hausmarchen der Brüder<br />
Grimm. Fünf Bande. Leipzig.<br />
Burger. Adolf: Manggaraiische Tiermarchen (Zeitschrift<br />
für Eingeborenen-Sprachen. Band 31. 1940<br />
bis 1941).<br />
Codrington, Robert Henry: The Melanesians. Oxford<br />
1891.<br />
Crooke, William: Religion and Folklore of Northern<br />
India.<br />
van Dijken u.vanBaarda: Fabelen, Verhalen en Overleveringen<br />
der Galelareezen (Bijdragen, Teil 45).<br />
Dutoit, Julius: Jatakam. Das Buch der Erzahlungen<br />
aus früheren Existenzen Buddhas. Sieben Bande.<br />
Leipzig.<br />
Eberhard. Wolfram: Typen chinesischer Volksmarchen<br />
(FF Communications Nr. 120).<br />
Frazer, James Ge<strong>org</strong>e: The golden Bough. (7 Bande.)<br />
Hambruch, Paul: Malaiische Marchen. Eugen Diederichs,<br />
Jena 1922.<br />
Hartmann, Richard: Die Religion des Islam. E. S.<br />
Mittler und Sohn, Berlin 1944.<br />
Hertel, Johannes: Katharatnakara.DasMarchenmeer.<br />
Zwei Bande. Ge<strong>org</strong> Müller, München 1920.<br />
222
Hertel, Johannes: Indische Marchen. Eugen Diederichs,<br />
Jena 1925.<br />
Hertel, Johannes: Zwei indische Narrenbücher.<br />
Haessel, Leipzig 1922.<br />
Hooykaas: Over Maleische Literatuur. E. J.Brill, Leiden<br />
1937.<br />
Kats: Warna Sari Melaju. Zwei Bande. Visser u. Co.<br />
1922.<br />
Koch-Grünberg, Theodor: Indianermarchen aus Südamerika.<br />
Eugen Diederichs, Jena 1920.<br />
Krickeberg, Walter: Indianermarchen aus Nordamerika.<br />
Eugen Diederichs, Jena 1924.<br />
Meinhof, Carl: Afrikanische Marchen. Eugen Diederichs,<br />
Jena 1921.<br />
Morris, Max: Die Mentawai-Sprache. Berlin 1900.<br />
Overbeck, Hans: Malaiische Erzahlungen. Eugen Diederichs,<br />
Jena 1925.<br />
Rappard: Het Eiland Nias en zijne Bewoners (Bijdragen,<br />
Teil 62).<br />
Rosen, Ge<strong>org</strong>: Das Papageienbuch.<br />
Leipzig.<br />
Insel-Verlag,<br />
Schwarz: Tontemboansche Teksten. Band 2: Vertaling.<br />
Leiden 1907.<br />
Snouck Hurgronje, Christian: The Achehnese.<br />
Zwei Bande. Leiden 1906.<br />
Tawney, Charles Henry, und Penzer: The Ocean of<br />
Story. Zehn Bande. J. Sawyer Ltd., London.<br />
Tichelman und Voorhoeve: Steenplastiek in Simaloengoen.<br />
Kohier und Co., Medan 1938.<br />
Tuuk, Hendrik Neubronner van der: Bataksch Leesboek.<br />
Vier Bande. Amsterdam 1860/1862.<br />
Voorhoeve: Overzicht van de Volksverhalen der Bataks.<br />
Van de Velde jr., Vlissingen 1927.<br />
Wilhelm, Richard: Chinesische Volksmarchen.<br />
Winstedt: The Indian Origin of Malay Folk-Tales<br />
(Journal of the Straits Branch of the Royal Asiatic<br />
Society, 1920, Band 81).<br />
223
S c<br />
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g s 2 .<br />
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224<br />
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Übersicht<br />
EINLEITUNG 5<br />
GESCHICHTLICHE ERZAHLUNGEN<br />
UND LEGENDEN<br />
Die Lambore' auf der Insel Simalur 19<br />
Die Herkunft der Bewohner von Sichule<br />
und Salang 22<br />
Wie Ortsnamen entstanden sind 23<br />
Wie die Bewohner der Insel Mohammedaner<br />
wurden 24<br />
DAMONENGESCHICHTEN<br />
Der Fürst, der ein Jagerdamon wurde 32<br />
Der Antu' Singongo-Damon 35<br />
Die Fürstentochter heiratet den »Fürsten vom<br />
Oberlauf« 39<br />
Der Sohn eines Reichen und Fürst Aman ... 48<br />
Der Soman-Soman-Damon<br />
und die Frau, die Reis stampfte 53<br />
Der Mann, der seine Frau über alles liebte ... 54<br />
Erzahlung von dem Pa'e-Damon 56<br />
Erzahlung von den Rotansuchern 63<br />
VERWANDLUNGS-<br />
UND ANDERE MARCHEN<br />
Ein Verstorbener wird ein Wildschwein . . . . 65<br />
Der Mann, der ein Specht wurde 67<br />
Ein Menschenkopf wird zur Kokospalme . . . . 63<br />
226
Die Prinzessin, die ein Durian-Baum wurde . . 72<br />
Zwei Geschwister werden zu Steinen 75<br />
Eine Mutter verflucht ihren Sohn 77<br />
Das Krokodilsei, aus dem ein Mensch entstand . 79<br />
Polambana und die Affen 81<br />
Die Kuh mit den drei Töchtern 86<br />
Der Mann, der dauernd angelte 90<br />
Das Madchen und die Riesenmücken 94<br />
Ein Jüngling wird von einem Büffelkopf getötet 98<br />
SCHWANKE<br />
Der Arme, der Pflüge verbarg 100<br />
Palantjar 106<br />
Der Herr und sein Skiave Lafoebu' 109<br />
Der Fürst und sein Neffe 114<br />
Der Lachwettbewerb 120<br />
Der Arme als Richter 122<br />
Der unentschlossene Mann 124<br />
Der Sohn des Wohlhabenden und der Arme . . 125<br />
VOLKSERZAHLUNGEN<br />
Die Prinzessin, die einen vom Himmel Herabgestiegenen<br />
heiraten wollte 130<br />
Das Madchen, das nicht heiraten wollte . . . . 133<br />
Die Frau, die Ehebruch beging 142<br />
Der Mann, der starb,<br />
weil seine Frau ihn kitzelte 147<br />
Der eifersüchtige Fürst 149<br />
Der despotische Fürst 155<br />
Der Mann, der sich eine Nebenfrau nahm ... 157<br />
Der unverschamte Baumeister 160<br />
Die Frau mit dem unehelichen Kind 163<br />
Der Mann, der eine Riesenschlange tötete ... 166<br />
Der Mann, der seinen Besitz vor seinem Tode<br />
verteilte 169<br />
Der reiche Mann, der vor Hunger starb .... 173<br />
227
FABELN<br />
Pythonschlange und Reisvogel 177<br />
Der Zwerghirsch und der Hund 179<br />
Das Wildschwein und der Affe 183<br />
1 8 5<br />
Der Reisvogel und der Affe<br />
Affe und FluB-Schnecke 187<br />
1 8 8<br />
Der Papagei und der Specht<br />
Die Wildkatze und das Huhn 191<br />
Die beiden Kampfhahne 192<br />
ANMERKUN GEN<br />
Schriftenverzeichnis 222<br />
Karte von Sumatra und den umliegenden Insein 224<br />
Karte von der Insel Simalur 225<br />
1 9 3<br />
228
»DAS<br />
GESICHT DER VÖLKERi<br />
Die Reiskugel. Sagen und Göttergeschichten, Marchen,<br />
Fabeln und Schwanke aus Vietnam. Aus dem Vietnamesisehen<br />
tibersetzt und herausgegeben von Prof. Dr Hans<br />
Nevermann.<br />
Hinterindien, an dessen östlicher Küste sich Vietnam hinzieht,<br />
ist von einer Vielzahl von Volksstammen bewohnt.<br />
Ihre Kultur ist weitgehend von Indien her beeinfluBt worden;<br />
nur der Süden, die Halbinsel Malakka, rechnet in kultureller<br />
Beziehung eindeutig zum malaiischen Kulturkreis.<br />
Vietnam, seit vielen Jahrhunderten infolge seiner wechselvollen<br />
Geschichte tiefgehendem chinesischen EinfluB unterworfen,<br />
weist sich in den Sagen und Göttergeschichten als<br />
natürliche Brücke zwischen den beiden Kulturbereichen<br />
China und Indien aus. Die Marchen und Tierfabeln jedoch,<br />
bis auf geringe Ausnahmen, die Schwanke und Volkslieder<br />
aber ganz besonders, sind durchaus eigenwüchsig und bodenstandig.<br />
Mit den Entlehnungen zusammen geben sie ein<br />
deutliches Abbild der heutigen vietnamesischen Vorstellungswelt.<br />
Die vom Herausgeber eingefügten Zwischentexte<br />
bieten Einblick in die geschichtlichen, kulturellen,<br />
sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhange.<br />
Unter dem Odongbaum. Koreanische Sagen, Marchen<br />
und Fabeln, wahrend eines zwanzigjahrigen Aufenthalts in<br />
Korea gesammelt von Prof. Dr. André Eckardt.<br />
Mit einem Holzschnitt und vier nach volkskundlichen Motiven<br />
geschnittenen Initialen. 184 Seiten.<br />
Wie die Kultur Vietnams, so ist auch die Koreas von China<br />
her beeinfluBt worden — und wie die vietnamesische Volksdichtung<br />
typisch chinesische Motive aufgenommen hat, so<br />
auch die koreanische. In ethischer Hinsicht aber — sei es<br />
durch ihre religiös-sittliche Grundanschauung, sei es durch<br />
die Geradheit ihres Charakters — stehen nach Eckardts<br />
TJntersuchungen die Koreaner an erster Stelle unter den<br />
Vólkern Asiens. Die hier gebotenen Volksdichtungen erharten<br />
die These des Forschers. „Stark ausgepragter Gerechtigkeitssinn,<br />
tiefe Empflndsamkeit und Klugheit geben diesen<br />
Marchen. die sich durch Inhaltsreichtum, Stimmungsgehalt<br />
und liebenswürdige Heiterkeit auszeichnen, ihren<br />
besonderen Charakter" („Die Buchbesprechung").<br />
„Wie ein Prismal das Licht in farbige Bander auseinanderfaltet,<br />
so sind in diesen Erzahlungen die Eigentümlichkeiten<br />
des koreanischen Volk es zu erkennen" (Dr. Julius Kühn).<br />
Aura Pohu. Mythen, Marchen und Sagen — Sprichwörter,<br />
Fabeln und Ratsel von der Elfenbeinküste Westafrikas, auf<br />
einer völkerkundlichen Forschungsreise aufgenommen und<br />
in Auswahl herausgegeben von Dr. Dr. HansHimmelh<br />
e b e r. Mit zwei Bildtafeln und drei nach volkskundlichen<br />
Motiven geschnittenen Initialen. 188 Seiten.<br />
„Die Volksliteratur der Afrikaner besteht in der Hauptsaehe<br />
aus Marchen, und diese wirken, in gröBerer Zahl gelesen,<br />
leicht ermüdend. Die vorliegende Sammlung zeichnet sich<br />
ERICH RÖTH -VERLAG /EISENACH
aber vor anderen aus durch ihre Vielseitigkeit; die meisten<br />
Stücke sind aufierdem in so flieBendem Stil geschrieben,<br />
und die ganze Sammlung ist so reich an Abwechslung, daB<br />
man gern darin liest und einen wirklichen Einblick in afrikanisches<br />
Leben gewinnt. Von besonderem Interesse sind<br />
der Anlang und das Schluflkapitel des Buches. In ersterem<br />
werden Geschichten erzahlt von Göttern und der Weltschöpfung.<br />
Im SchluBkapitel erzahlt Himmelheber die<br />
Stammessage der Baule . . . Das Buch ist lebendig geschrieben<br />
und wird der afrikanischen Wirklichkeit durchaus gerecht"<br />
(Professor Dr. Diedrich Westermann).<br />
Der gefrorene Pfad. Mythen und Marchen — Legenden<br />
und Ahnengeschichten der Eskimo, auf einer völkerkundlichen<br />
Forschungsreise in Südwest-Alaska und auf der Insel<br />
Nunivak aufgenommen und in Auswahl herausgegeben von<br />
Dr. Dr. Hans Himmelheber. 140 Seiten.<br />
„In einer knappen und sehr treffend das Wesentliche festhaltenden<br />
Einleitung führt uns Himmelheber in Leben und<br />
Brauche dieser Eskimo ein. Es folgen Erlauterungen, deren<br />
Kenntnis eine Voraussetzung bildet zum Verstandnis der<br />
nachfolgenden eskimoischen Erzahlungen. In ihnen werden<br />
mit liebevoller S<strong>org</strong>falt und Ausführlichkeit das Leben und<br />
sogar die alltaglichsten Gewohnheiten in Worte gefafit. Es<br />
war das Bestreben des Verfassers, die Dichtungen möglichst<br />
originalgetreu wiederzugeben, das heiBt der Versuchung zu<br />
widerstehen, Dinge, die ihm selbst wichtig erschienen, hervorzuheben<br />
oder die Holprigkeiten und eintönigen Langen<br />
zu glatten, was eine falsche Vorstellung vermittelt hatte.<br />
Diese Heldenfahrten, Tiergeschichten, Marchen, Mythen und<br />
Sagen führen uns in eine fremde, eigentümliche Welt, die<br />
uns aber bald ganz gefangennimmt. Wir mochten sie allen<br />
warmstens empfehlen, die nicht nur die auBere Kultur der<br />
Eskimo kennenlernen wollen, sondern auch ein Stück ihres<br />
geistigen Besitzes" („Schweizer Volkskunde").<br />
Die gefliigelte Sekwester. Albanische Volksmarchen, Mythen<br />
und Tierfabeln, gesammelt und herausgegeben von<br />
Prof. Dr. Maxlmilian Lambertz. 224 Seiten.<br />
In den albanischen Marchen und Tierfabeln reicht uraltes<br />
Volksgut, teilweise noch aus illyrischer Zeit, in unsere Gegenwart<br />
herein und haben sich uralte Glaubensvorstellungen<br />
erhalten, wie sie ahnlich lebendig und zeitnahe kaum<br />
ein anderes Volk Europas aufzuweisen hat. Das bunte, vielgestaltige<br />
Brauchtum der Albaner durchwirkt diese Volksdichtungen<br />
mit leuchtenden Farben.<br />
I m D r u c k :<br />
Die Ginsengtrursel. Koreanische Sagen und VolkserzShlungen,<br />
wahrend eines zwanzigjahrigen Aufenthaltes in<br />
Korea gesammelt von Prof. Dr. André Eckardt.<br />
Jeder Band holzfrei, Halbleinen 3.80 DM<br />
ERICH<br />
RÖTH-VERLAG/EISENACH
»DAS GESICHT DER V Ö L K E R «<br />
Wissarion Belinsklj s VOLKHEIT UND VOLK IN DICH-<br />
TUNG UND PHILOSOPHIE. Essays.<br />
Wladitnir Korolenkot ALS DIE BANDURA SANG . . .<br />
Nur wenige russische Dichter haben den russischen Menschen<br />
so wahr und einpragsam dargestellt wie Korolenko<br />
in den drei sibirischen Erzahlungen, die in diesem Bande<br />
vereinigt sind: „Es rauscht der Wald" — „Der Totschlager" —<br />
„Der Falke von Sachalin". In ihnen kampft er für die Sache<br />
der Gerechtigkeit in jener restlosen Anspannung, „in der<br />
sich Gefühl und Vernunft harmonisch vereinigen und sich<br />
zu hoher religiöser Leidenschaft erheben".<br />
Wjatscheslaw SAitthkoW: LAND IM REGENBOGEN.<br />
Drei Erzahlungen aus der Taiga. „Der in Deutschland viel<br />
zu wenig bekannte russische Dichter Schischkow gehort in<br />
die erste Reihe zeitgenössischer europaischer Erzahler. Was<br />
der Amerikaner Jack London für die Walder und Menschen<br />
des Nordens, das ist für die Taiga Sibiriens, ihre Tiere und<br />
naturnahen Menschen der Dichter Schischkow: ein Entdecker<br />
ihrer groBartigen Schönheit, ein Gestalter ihrer<br />
Kraft. Urwüchsigkeit und Seele. Die drei Erzahlungen lassen<br />
den Leser, auch den jugendlichen, bis zum letzten Satz<br />
nicht mehr aus ihrem Bann" (Dr. A. Helmbold).<br />
Anton Tschechow: DIE STEPPE. Zwei Erzahlungen. Erstaunlicherweise<br />
ist die Titelerzahlung, Tschechows gröBte<br />
und bedeutendste, mit ihren oft so humorvollen, immer<br />
aber psychologisch feinen autobiographischen Zeichnungen<br />
noch niemals ins Deutsche übersetzt worden . . . um so unbegreiflicher,<br />
als schon Maxim Gorki nur das eine an ihr<br />
auszusetzen fand: daB nicht er sie geschrieben hatte.<br />
Itrnn S. Turgeneia JERMOLAI UND DIE SCHONE<br />
MÜLLERIN. Was Herder von einer Schilderung des Volkes<br />
verlangt, daB sie „Sitten und Denkart desselben durch<br />
sich selbst" zeige, das hat Turgenew wohl als einer der<br />
ersten in der Dichtung erfüllt. Seine Gestalten sind vollgültige<br />
Vertreter des russischen Volksgeistes, in denen wir<br />
das innere, zweite Gesicht des russischen Menschen als eine<br />
lebenschaffende Wirklichkeit vor uns haben. Das gilt nicht<br />
nur für seine Menschen in der Titelerzahlung, sondern auch<br />
in „Chorj und Kalinytsch", „Birjuk", der liebenswürdigen<br />
Dichtung „KaBjan", und der mit atemberaubender Spannung<br />
geladenen Schilderung eines Wettstreits „Die Sanger",<br />
Seine „Fahrt in die PoleBje" ist eine der meisterhaf testen<br />
Walddarstellungen, die das russische Schrifttum herv<strong>org</strong>ebracht<br />
hat.<br />
I m D r u c k<br />
Nieolai Gogol: DER GEI STERVOGEL. Ukrainische Erzahlungen.<br />
Giovanni Verga: TROCKENES BROT. Sizilianische<br />
Erzahlungen.<br />
Jeder Band der Sammlung Halbleinen 3.80 DM<br />
ERICH R Ö T H-V E RL AG / E I S E NAC H
»DAS GESICHT DER V Ö L K E R «<br />
In Vorbereitung<br />
Paul Delarue/Paris: Französische Volksmarchen<br />
Prof. Dr. André Eekardt: Koreanische Volkslieder<br />
Prof. Dr. Eduard Erkes: Chinesische Volksmarchen<br />
Prof. Dr. Martin Gusinde / Washington: Volksdichtung des<br />
Feuerlandes<br />
Dr. Matthias Hermanns / Bombay: Tibetische Volksmarchen<br />
Dr. Irene Hiigers-Hesse: Volksdichtungen aus Malakka<br />
Dr. Johanna Huppertz: Indianer-Marchen aus Südbolivien<br />
Prof. Dr. Kohl-Larsen: Mythen aus dem Innersten Afrikas<br />
Ders.: Aus der Marchenwelt der Lappen<br />
Dr. Ernst Krenn: Faröer Marchen<br />
Prof. Dr. Walter Krickeberg: Marchen der SchwarzfuB-<br />
Indianer<br />
Dr. Erich Kunze/Helsinki: Finnische Volkslieder<br />
Prof. Dr. Maximilian Lambertz: Albanische Sagen<br />
Prof. Dr. Ludwig Mühlhausen: Irische Marchen, Sagen<br />
Prof. Dr. Hans Nevermann: Marchen aus Kambodscha<br />
Ders.: Volksdichtungen der Papua<br />
Prof. Dr. Wolfgang Steinitz: Ostjakisehe Volksmarchen<br />
Prof. Dr. Antonio Tovar / Salamanca: Marchen der Basken<br />
Prof. Dr. Hermann Trimborn: Marchen der Khetschua<br />
# * #<br />
Die E r 1 e b n i s b ü c h e r der Sammlung<br />
> D a s Gesicht der Volken<br />
Dr. Dr. Hans Himmelheber:<br />
Unter Schlangenbeschwörern und Hexenjagern<br />
(Expedition 1949/1950 ins Urwaldgebiet Liberias)<br />
Prof. Dr. Ludwig Kohl-Larsen:<br />
Kinderspiele, Kriegsgeschrei und Zauberei<br />
(Jugenderinnerungen eines Urwaldnegers)<br />
Prof. Dr. Ludwig Kohl-Larsen:<br />
Unter roten Hibiskusblüten (Südsee)<br />
Erich Wustmann:<br />
Klingende Wildnis (Lappland)<br />
Jeder Band stark bebildert<br />
ERICH<br />
RÖTH-VERLAG / EISENACH
^Vegegnung mit den Menschen anderer Völker<br />
zu vermitteln, ist die Aufgabe der<br />
Sammlung »Das Gesicht der Völker«.<br />
Aus dem Schaffen der Dichter, Schriftsteller und<br />
Denker der Gegenwart und noch zeitnahen jüngsten<br />
Vergangenheit und aus der Volksdichtung<br />
wahlt die Sammlung, was die Besonderheit der<br />
betreffenden Völker erkennen laBt, und was Achtung<br />
vor dieser anderen Art zu wecken vermag.<br />
Aus dem Verstandnis für die Vielfalt der Wesensformen<br />
und aus der Achtung vor dem Anderssein<br />
möge dann die Erkenntnis erwachsen, daB<br />
hinter allen Eigen-Arten das Gemeinsame alles<br />
Menschlichen zu suchen ist.<br />
Die Sammlung ist nach Kulturkreisen gegliedert.<br />
In etwa dreiBig Reihen wird die Dichtung aller<br />
Völker in kennzeichnender Auswahl dargeboten.<br />
ERICH RÖTH-VERLAG / EISENACH