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DIE INSEL DER SCHÖNEN SI MELU<br />

»DAS GESICHT DER V Ö L K E R «<br />

Der malaiische Kulturkreis<br />

Indonesische Dichtung


tONfNKUJK INSTITUUT<br />

voos TAAL.,<br />

AND. l VOtKENKUMDf<br />

»• Galfnsinai 14<br />

Die Insel der schonen<br />

Si Melu<br />

A<br />

INDONESISCHE<br />

DAMONENGESCHICHTEN,<br />

MARCHEN UND SAGEN AUS SIMALUR<br />

Auf einer Forschungsreise aufgenommen<br />

und in Auswahl herausgegeben<br />

von Dr. Hans Kahler<br />

Mit zwei Gebietskarten<br />

1M HlKiCti KUTÜ-ViliKDAti /<br />

UISÜJNAUH


B u c h a u s s t a 11 u n g von Kurt<br />

Franke<br />

Copyright 1952 by Erich Röth-Verlag, Eisenach<br />

Printed in Germany<br />

Lizenz-Nummer 271 - 130/74/51<br />

Aus der Exzelsior-Antiqua gesetzt und gedruckt von den<br />

Graphischen Werkstatten des Erich Röth-Verlags, Eisenach


AN DER WESTKÜSTE SUMATRAS ERSTRECKT '<br />

sich, von den Wogen des Indischen Ozeans umspült,<br />

eine lange Kette von Insein und Inselchen. Ihr nördlichster<br />

Auslaufer wird Simalur (in der Atjeh-Sprache<br />

von Nord-Sumatra Simeulue) genannt. Diese Insel<br />

ist vierundfünfzig Seemeilen lang und fünf bis vierzehn<br />

Seemeilen breit und wird von etwa zwanzigtausend<br />

Menschen bewohnt. Sie dehnt sich in nordwest-südöstlicher<br />

Richtung zwischen 2 Grad 20 Minuten<br />

bis 2 Grad 47 Minuten nördlicher Breite und<br />

95 Grad 48 Minuten bis 96 Grad 31 Minuten östlicher<br />

Lange aus. Die Insel ist in fünf Distrikte aufgeteilt,<br />

namlichTepa (von den BewohnernDefaean genannt);<br />

Simalur, wonach die ganze Insel ihren Namen erhalten<br />

hat (von den Bewohnern Simolul genannt); Lekon,<br />

Sichule und Salang. In den Landschaften Tepa,<br />

Simalur und Lekon wird, mit geringen mundartlichen<br />

Abweichungen, eine gemeinsame Sprache gesprochen.<br />

Sichule und Salang sind fremde Enklaven. Die Bewohner<br />

dieser beiden Distrikte besitzen eine eigene<br />

Sprache, die noch viel Übereinstimmung mit der der<br />

Insel Nias aufweist. Sie sind aus dem südlichen Teil<br />

der südöstlich von Simalur gelegenen Insel Nias eingewandert.<br />

Auf der Insel.Simalur wechseln fruchtbare Ebenen<br />

mit grofien Sumpfgebieten und Hügeln. Die höchste<br />

Erhebung ist der ungefahr sechshundert Meter hohe<br />

Sibao-Berg, der auch in einigen Erzahlungen eine<br />

Rolle spielt. Das Hügelland ist mit Urwald bedeckt,<br />

der reich an ausgezeichneten Nutzhölzern ist. Die<br />

tief eingegrabenen, kurzen Flüsse sind für den Verkehr<br />

auf der Insel von geringer Bedeutung — denn<br />

die Siedlungen der Bewohner liegen an der Kuste<br />

oder am Unterlauf der Flüsse und an deren Mündungen.<br />

Das Innere der Insel, wo die Flüsse ihren<br />

Oberlauf haben, ist unbewohnt und mit Urwald oder<br />

5


Sümpfen bedeckt. Die Insel wird hauflg von oft<br />

schweren Erdbeben heimgesucht.<br />

Ausgeführt werden besonders Büffel, Kopra, Rotan<br />

und früher auch Nutzhölzer. — Die Wasserbüffel mit<br />

ihren groBen, halbmondförmigen Hörnern werden<br />

vom Land auf breiten Planken in Schuten getrieben<br />

und aus diesen zwecks Transports nach Sumatra oder<br />

Java in gröBere Küstendampfer verladen. Nachdem<br />

man ihnen einen breiten Gurt um den Leib gelegt<br />

hat, werden die Tiere mittels der Schiffskrane aus<br />

den Schuten gehievt. Die Küstendampfer müssen<br />

namlich in einiger Entfernung von der Küste vor Anker<br />

gehen, da Korallenriffe und Untiefen ein Anlegen<br />

im Hafen der Hauptsiedlung Sinabang unmöglich<br />

machen. — Kopra ist das Fruchtfleisch der Kokosnüsse,<br />

das mit besonderen Messern aus den halbierten<br />

Früchten entfernt und dann entweder in der<br />

Sonne oder in besonderen öfen (ahnlich unseren<br />

Backöfen) getrocknet wird. •— Als Rotan bezeichnet<br />

man die Stengel der Rotanpalmen, die zur Familie<br />

der Calamus gehören, und von denen es sehr viele<br />

verschiedene Sorten gibt. Es sind Schlingpalmen,<br />

deren Stengel mehr als hundert Meter lang werden<br />

können. Die Stengel sind meistens glatt und hart.<br />

Sie werden geschnitten, ihrer dünnen Haut entledigt,<br />

indem man sie über eine Messerklinge zieht, getrocknet,<br />

eingeweicht, wieder getrocknet und schlieBlich<br />

zu groBen Ringen oder Bündeln aufgerollt. Die Bewohner<br />

von Simalur verwenden überall dort Rotan,<br />

wo wir Taue gebrauchen. Diese Rotanstrange sind<br />

auBerordentlich stark. — Die Nutzhölzer wurden früher<br />

von einer heute nicht mehr bestehenden europaischen<br />

Holzgewinnungsgesellschaft ausgeführt. Ein<br />

europaischer Friedhof, ein verfallenes Hotel und<br />

elektrische StraBenbeleuchtungs-Anlagen, die jedoch<br />

nicht mehr verwendungsfahig sind, zeugen in der<br />

Hauptniederlassung Sinabang noch von der vergangenen<br />

Pracht und dem Wohlstand, die zur Blütezeit<br />

dieses europaischen Unternehmens auf Simalur zu<br />

Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts herrschten.<br />

Die Bevölkerung, die bereits vor langer Zeit zum<br />

Islam übergetreten ist, stellt keinen einheitlichen<br />

6


Typus mehr dar. Sie ist stark mit Einwanderern aus<br />

Sumatra und Java durchsetzt. Diese Vermischung<br />

kommt nicht nur in der auCeren Erscheinung der<br />

Leute zum Ausdruck, sondern auch in ihrer Sprache,<br />

die viel Lehngut aus dem Atjeh, den Batak-Mundarten,<br />

dem Minangkabau und dem Malaiischen auf<br />

Sumatra enthalt, und in ihren Sitten.<br />

Die Hauser der Siedlungen liegen meistens weit entfernt<br />

voneinander inmitten von Pflanzungen. Deshalb<br />

kann sich ein verhaltnismafiig kleines Dorf über<br />

eine groBe Flache hinziehen. Die einzelnen Hütten<br />

sind in der Regel durch schmale FuBpfade miteinander<br />

verbunden. Die rechteckigen Hütten stehen nach<br />

indonesischer Sitte auf Pfahlen, als Dachbedeckung<br />

dienen Palmenblatter. Eine kurze, überdeckte Treppe<br />

oder eine Leiter führt ins Haus. Der Raum unter<br />

den Hütten dient zum Aufbewahren von Geratschaf<br />

ten und als Stall f ür Geflügel und Ziegen.<br />

Jeder Distrikt untersteht einem Radja (Simalur:<br />

Radjo) oder Haupt, der von der niederlandischindischen<br />

Regierung eingesetzt und besoldet wurde.<br />

AuBerdem hatte er feste Einnahmen aus etwaigen<br />

Holzgerechtsamen, die er an Fremde verpachtete.<br />

Radja bedeutet eigentlich Fürst, König, aber die<br />

Würde und die Befugnisse eines Radjas auf Simalur<br />

sind sehr beschrankt und keineswegs mit der eines<br />

Fürsten auf Java zu vergleichen.<br />

An der Spitze eines jeden Dorfes steht ein Datu'<br />

(oder Sippenhaupt), der im Einvernehmen mit dem<br />

niederlandischen Regierungsvertreter vom Radja ernannt<br />

wurde. Ihm obliegt die Aufrechterhaltung von<br />

Ruhe und Ordnung im Dorf und die Schlichtung von<br />

etwaigen Streitigkeiten innerhalb der Sippen. Die<br />

Bevölkerung ist in Gruppen eingeteilt, die jeweils<br />

von einem Vorfahren abzustammen behaupten. In<br />

der Landschaft Tepa bestehen sechs, in der Landschaft<br />

Simalur vier und in der Landschaft Lekon<br />

ebenfalls vier heimische Sippen, zu denen in jedem<br />

Distrikt noch eine Sippe der Fremden kommt. Jede<br />

Sippe hat Anspruch darauf, den Vertreter für ein<br />

gewisses Amt in der Verwaltung zu stellen. So muB<br />

beispielsweise in der Landschaft Simalur der Datu'<br />

7


aus der Sippe Tufa stammen. Die Sippe der Fremden<br />

ist insofern die wichtigste, als aus ihr alle Radjas<br />

herv<strong>org</strong>egangen sind. Das beweist also, daB diese<br />

Radjas ausnahmslos Fremde waren, die gröBtenteils<br />

aus Sumatra stammen und sich diese Wurde mit Gewalt<br />

verschafft haben.<br />

Folgende kurze Ausführungen mögen in groben Umrissen<br />

ein Bild von den Sitten der Bevölkerung von<br />

Simalur geben.<br />

Die Zeit der Schwangerschaft ist mit Rücksicht auf<br />

das keimende Leben und das der Mutter mit zahlreichen<br />

Verboten verbunden, die sich auf den GenuB<br />

bestimmter Nahrungsmittel und auf die Verrichtung<br />

gewisser Tatigkeiten erstrecken. Zum Teil gelten<br />

derartige Verbote auch für den Mann. Sie beruhen<br />

zur Hauptsache auf Analogieschlüssen: so darf die<br />

Frau kein Fleisch zerschneiden, weil das Neugeborene<br />

sonst ebenfalls Schnittwunden aufweisen wurde.<br />

Ein anderer Teil der Vors<strong>org</strong>emaBregeln will die<br />

Mutter vor dem EinfluB böser Damonen bewahren.<br />

Denn die Bevölkerung ist zwar zum Islam übergetreten,<br />

aber sie hat sich trotzdem viele Brauche<br />

erhalten, die noch aus animistischer Zeit stammen,<br />

in der man sich die gesamte Natur als beseelt und als<br />

von Damonen bewohnt vorstellte. So darf in der<br />

Landschaft Lekon eine Schwangere nicht zwischen<br />

fünf und sechs Uhr abends das Haus verlassen, damit<br />

die Sianafl-Damonen ihre Brüste nicht austrocknen<br />

lassen.<br />

Die Geburt flndet unter Beihilfe einer erfahrenen<br />

Frau im Hause statt. Dabei werden verschiedene<br />

MaBnahmen ergriffen, um böse Damonen abzuwehren.<br />

Die KreiBende wird mit dem Saft bestimmter<br />

Früchte bespien, oder man legt einen Stamm der Pandanuspalme<br />

unter das Haus an die Stelle, über der<br />

die Frau liegt. Um die Geburt nicht zu erschweren,<br />

dürfen keine Behalter geschlossen werden. Die Nabelschnur<br />

wird gleich nach der Geburt mit einem<br />

Bambusmesser abgeschnitten. Die Placenta (hier<br />

»alteres«, in Atjeh und auf Java »jüngeres Geschwister«<br />

genannt) wird, in Matten gewickelt und in einen<br />

Bambus-Behalter verpackt, bis zu einer Woche bei<br />

8


der Wöchnerin und dem Neugeborenen aufbewahrt.<br />

Darauf wird sie hinter dem Hause vergraben, in Simalur<br />

und Lekon j edoch im Hause aufgehangt. Sie<br />

muB vor jeglicher Beschadigung gesichert sein; denn<br />

man fürchtet, daB auch das Neugeborene Schaden<br />

nehmen wurde, wenn dessen »Geschwister« nicht<br />

unversehrt bleibt. Die Wöchnerin und ihr Kind hat<br />

man inzwischen in die Nahe einer kleinen Feuerstelle<br />

gelegt, die im Hause hergerichtet ist. Das Feuer halt<br />

namlich nach ihrer Meinung Damonen fern, da es<br />

magisch besonders kraftig ist und verlorengegangenen<br />

Seelenstoff ersetzen kann.<br />

Ungefahr eine Woche nach der Geburt tragt die Hebamme<br />

das Neugeborene auf den Vorhof des Geburtshauses,<br />

um es zum ersten Male mit der Erde in<br />

Berührung zu bringen. Dabei kaut diese Frau Blatter<br />

bestimmter Pflanzen und bespritzt mit ihrem Saft<br />

den Vorhof, um böse Damonen zu vertreiben. Wahrend<br />

dieser wichtigen Zeremonie wird die Hebamme<br />

von einem weiblichen Medizinmann begleitet, der<br />

einen Dolch oder ein Küchenmesser tragt, je nachdem<br />

ob das Neugeborene ein Knabe oder ein Madchen<br />

ist. Das hangt mit dem Glauben zusammen,<br />

daB Eisen böse Geister abwehrt. Als AbschluB der<br />

Zeremonie feiert man ein kleines Fest.<br />

Etwa fünfzehn bis dreiBig Tage nach der Geburt findet<br />

ein anderes bescheidenes Fest statt, »um der<br />

Hebamme die Hande zu waschen«. Denn die Hebamme<br />

muB davor bewahrt werden, daB das Blut der<br />

Gebarenden verhangnisvolle Folgen für sie haben<br />

kann. Dabei spricht ein Moscheebeamter ein Gebet.<br />

Darauf wascht die Hebamme ihre Hande in Zitronenwasser,<br />

und die Wöchnerin reibt sie mit ihrem Haar<br />

trocken. Sie nimmt damit symbolisch ihr Blut zurück.<br />

Als Belohnung für ihre Bemühungen erhalt<br />

die Hebamme bei dieser Gelegenheit gut zubereitete<br />

Speisen, ein Stück weiBen Stoff und ein kleines Geldgeschenk.<br />

Da Neugeborene dem EinfluB böser Damonen ausgesetzt<br />

sind, darf ihr Name nicht genannt werden.<br />

Sie werden daher meistens »Bübchen« oder »Madelchen«<br />

genannt. Bisweüen kommt es jedoch auch vor,<br />

9


daB die Namensgebung bereits kurz nach der Geburt<br />

erfolgt. Die Eltern nennen sich dann nach indonesischer<br />

Sitte »Vater oder Mutter des oder der N. N.«.<br />

In dieser Verbindung spielt die Nennung des Namens<br />

des Neugeborenen offenbar keine Rolle.<br />

Früher wurden Madchen im Alter von zwei bis drei<br />

Jahren die Ohrlappchen durchbohrt. Von dieser Sitte<br />

ist man jetzt abgekommen.<br />

Das durchschnittliche Heiratsalter der Knaben ist<br />

achtzehn bis zwanzig, das der Madchen sechzehn bis<br />

siebzehn Jahre. Früher wurden auch Kinderheiraten<br />

geschlossen, die jedoch von der Regierung verboten<br />

worden sind und heute nicht mehr vorkommen.<br />

Die Wahl der Braut erfolgt duren die Eltem<br />

des Jünglings. Da der Heiratsantrag nach bestimmten<br />

Vorschriften, die von altersher gebrauehlich sind,<br />

erfolgen muB, übernimmt diese Aufgabe meistens<br />

ein Heiratsvermittler. Die dabei erforderlichen<br />

Schritte sind ausführlich in der Erzahlung »Das Madchen,<br />

das nicht heiraten wollte« beschrieben. Der<br />

Heiratsvertrag wird nach mohammedanischem Ritus<br />

geschlossen.<br />

Man kennt auf Simalur vier Arten der Eheschlie-<br />

Bung, namlich: die Adat barat, die Adat Melaju te'<br />

olul (das heiBt die malaiische Sitte vom Festland), die<br />

Adat bano (das heiBt die Landessitte) und die Adat<br />

te' olul. (Adat ist ein Lehnwort aus dem Arabischen,<br />

das Sitte, Brauch bedeutet.)<br />

Bei der Adat barat, das heiBt der Sitte aus dem Westen,<br />

betragt der Brautpreis einundvierzig Gulden<br />

(der früheren niederlandisch-indischen Wahrung).<br />

Der Mann bleibt im Hause seiner Frau beziehungsweise<br />

von deren Eltern. Die Kinder aus einer solchen<br />

Ehe gehören der Sippe des Vaters an. Der Mann ist<br />

verpflichtet, für seine Schwiegereltern zu arbeiten<br />

und diese zu unterhalten.<br />

Ehen nach der Adat Melaju te' olul werden fast ausnahmslos<br />

nur von eingewanderten Fremdlingen geschlossen.<br />

Der Brautpreis wird von den Eltern der<br />

Braut bezahlt, und samtliche Festlichkeiten finden in<br />

deren Hause statt. Der Mann wohnt im Hause seiner<br />

Schwiegereltern und muB diese unterhalten. Die Kin-<br />

10


der aus einer derartigen Ehe gehören solange der<br />

Muttersippe an, bis der Brautpreis von dem Manne<br />

oder seinen Verwandten zurückerstattet ist.<br />

Bei Ehen gemaB der Adat bano betragt der Brautpreis<br />

vierzehn bis einundzwanzig Gulden. Der Mann<br />

muB ein, selten zwei Jahre lang für seine Schwiegereltern<br />

arbeiten. Die aus einer solchen Ehe herv<strong>org</strong>ehenden<br />

Kinder gehören der Sippe des Vaters an.<br />

Bei Ehen, die gemaB der Adat te' olul geschlossen<br />

sind, folgen die Kinder der Sippe der Mutter. Duren<br />

Schuldablösung, das heiBt durch nachtragliche Zahlung<br />

des Brautpreises, können diese in die Vatersippe<br />

übergehen.<br />

Die Bewohner von Simalur sollen nach Möglichkeit<br />

auBerhalb ihrer eigenen Sippe heiraten (Sippenexogamie).<br />

Verboten sind Ehen zwischen Geschwistern,<br />

zwischen Eltern und Kindern, zwischen Neffen und<br />

Nichten, sowie deren Onkeln und Tanten.<br />

GemaB mohammedanischem Gesetz haben die Überlebenden<br />

dem Toten gegenüber folgende vier Pflichten<br />

zu erfüllen: das Waschen des Leichnams, das<br />

Einhüllen in Leichentücher, religiöse Zeremonien für<br />

dessen Wohl und das Begrabnis. Neben diesen rein<br />

mohammedanischen Verpflichtungen wird noch eine<br />

Anzahl von Zeremonien und Handlungen vollführt,<br />

die aus vor-islamitischer Zeit stammen. — Der Körper<br />

verstorbener Manner wird von Mannern, der<br />

verstorbener Frauen von Prauen gewaschen. Dabei<br />

legt man den Körper auf die ausgestreckten Beine<br />

der Verwandten, die einander an jeder Seite des<br />

Leichnams gegenübersitzen. Dann wird der Leichnam<br />

in weiBe Tücher eingehüllt, nachdem man alle<br />

Körperöffnungen mit Watte geschlossen hat. Die Leichentücher<br />

werden mit Bandern aus dem gleichen<br />

Stoff zusammengehalten. Nachdem der Verstorbene<br />

auf eine Bahre gelegt ist, tragt man ihn zum Friedhof.<br />

Dabei gehen die Trager erst zwei bis drei<br />

Schritte auf den Ausgang des Grundstücks zu, dann<br />

wieder dieselbe Anzahl Schritte zurück und dann<br />

erst endgültig fort. So will man die Seele des Verstorbenen<br />

irreführen und ihr die Rückkehr ins Sterbe-<br />

11


haus erschweren. Als Nahrung oder als Schutz der<br />

Seele kappt einer der Zurückgebliebenen eine Bananenstaude<br />

beim Sterbehaus und entfernt eine<br />

Blattreihe aus dem Dach. Am Grab spricht ein Moscheebeamter<br />

ein kurzes Gebet, und dann legt man<br />

den Toten in die Grabnisehe. Nachdem das Grab geschlossen<br />

ist, kehrt die Trauergesellschaft ins Sterbehaus<br />

zurück, um dort den Leichenschmaus abzuhalten.<br />

Am dritten, fünften, siebenten, vierzehnten,<br />

vierzigsten und hundertsten Tage nach dem Tode<br />

halt man im Hause kleine Gedachtnisfeiern zu Ehren<br />

des Verstorbenen ab. Es ist Brauch, am siebenten<br />

Tage die Steine am Kopf- und FuCende des Grabes<br />

zu setzen. — Früher pfiegten Frauen bei Todesfallen<br />

Klagelieder anzustimmen, die jedoch von den mohammedanischen<br />

Beamten verboten wurden, und die<br />

man jetzt nur noch sehr selten hort. In alter Zeit<br />

gab man verstorbenen Frauen, die kleine Kinder<br />

hinterlieCen, BananenschöBlinge und im Wachstum<br />

begriffene Kokosnüsse als Grabbeigabe mit. Diese<br />

sollten die hinterbliebenen Kinder versinnbildlichen<br />

und verhindern, daB die Verstorbene diese zu sich<br />

holte. Eine alte Frau legte diese Beigaben ins Grab<br />

mit den Worten: »Such dein Kind nicht, denn es ist<br />

bereits hier! Sei ruhig und geh nicht um!«<br />

Der Glaube an Damonen ist auf Simalur und im<br />

übrigen Archipel noch sehr weit verbreitet. So führt<br />

man Krankheiten aller Art nicht auf natürliche Ur-.<br />

sachen, sondern auf den Einflufi solcher Damonen<br />

zurück. Diese pflegen sich überall aufzuhalten. Um<br />

sich vor innen zu schützen, aber auch um Glück und<br />

Reichtum zu erlangen, gebraucht man Amulette verschiedenster<br />

Art. So reiht man durchbohrte Krokodilzahne<br />

an einer Schnur auf und hangt sie kleinen<br />

Kindern zur Abwehr des schadlichen Einflusses der<br />

Seedamonen und als Schutz gegen die Wirkungen<br />

des Sonnenregens um den Hals. Manche Moscheebeamte<br />

schreiben wahrend einer Mondflnsternis bestimmte<br />

arabische Buchstaben auf ein Stück Papier,<br />

das dann in weiBen Stoff eingewickelt und von Kindern<br />

getragen wird, um böse Damonen abzuwehren.<br />

12


Zahlreich sind auch die symbolisehen Handlungen<br />

bei der Reis-Aussaat und -Ernte. Bei der Aussaat<br />

der Reiskörner auf die Zuchtbeete besprengt ein Moscheebeamter<br />

die Saatkörner mit Zitronenwasser,<br />

und dann laBt er das Blut eines geschlachteten<br />

Huhns darüber tröpfeln. Dabei handelt es sich vermutlich<br />

um einen alten Regenzauber. Dann erst darf<br />

die Aussaat erf olgen. Beim Verpflanzen der Setzlinge<br />

legt die Frau des Reisfeldbesitzers neben die ersten<br />

drei Setzlinge einen Betelbissen für deren Seele und<br />

ruft dabei vier Damonen an. Ein Vergleich lehrt, daB<br />

diese den Geistern entsprechen, die in den Gajo-<br />

Landen in Nord-Sumatra die »vier Elemente« genannt<br />

werden.<br />

Da in den Gajo-Landen bei der gleichen Gelegenheit<br />

Opfer von weiBem, schwarzem, rotem und gelbem<br />

geschalten Reis an den vier Ecken des Saatbeetes<br />

dargebracht werden, ist offensichtlich, daB diese<br />

Handlung indischen Ursprungs ist. Die vier Geister<br />

oder Damonen sind die vier Lokapalas, »Welthüter«,<br />

des buddhistischen Weltsystems. Von ihnen bewacht<br />

jeder je einen Weltquadranten, und sie halten sich im<br />

untersten Paradies auf. Von diesen vier Elementen<br />

ist der Wind dem Osten, das Feuer dem Süden, die<br />

Erde dem Westen und das Wasser dem Norden zugeteilt.<br />

Von den Planeten beherrscht Jupiter (blau)<br />

den Osten, Mars (rot) den Süden, Venus (weiBgrau)<br />

den Westen. Saturn (schwarz) den Norden und Merkur<br />

(gelb) die Mitte. — Wenn die ersten Körner an<br />

den Reispflanzen sichtbar werden, schlachtet man<br />

auf dem Reisfeld ein Huhn und betet dort.<br />

Die nachsten Zeremonien linden bei der Ernte statt.<br />

Vor ihrem Beginn bindet eine alte Frau an einer<br />

Stelle des Reisfeldes drei der höchsten Halme mit<br />

einer Schmarotzerpflanze zusammen, schneidet sie<br />

nach einem kurzen Gebet mit dem in der Hand verb<strong>org</strong>enen<br />

Reismesser ab und tragt sie in einem wei-<br />

Ben Tuch ins Haus des Reisfeldbesitzers. Dort bringt<br />

man der »Reisseele« ein Opfer. Durch diese Zeremonie<br />

will man die Reisseele auf die bald folgende<br />

Ernte vorbereiten; denn man schreibt auch den Reispflanzen<br />

eine Seele zu. Die Ernte erfolgt mittels klei-<br />

13


ner Reismesser, die in der Hand der Schnitterinnen<br />

verb<strong>org</strong>en sind, um die Reisseelen nicht zu erschrekken.<br />

Wenn sich die Leute am Abend nach verrichteter<br />

Feldarbeit, oder nachdem sie Rotan gesammelt haben,<br />

zusammenflnden, pflegen sie sich den neuesten Dorfklatsch<br />

zu erzahlen. Aber sehr gern hört man sich<br />

auch Erzahlungen aus vergangenen Zeiten an, die<br />

tnündlich von Generation zu Generation überliefert<br />

werden. Denn die Bewohner der Insel Simalur kennen<br />

keine eigene Schrift und haben auch nie eine<br />

solche besessen. So ist der Phantasie des Erzahlers<br />

keine Grenze gesetzt.<br />

Rein inhaltlich könnte man diese Erzahlungen als<br />

»Strandliteratur« bezeichnen, wobei der Ausdruck<br />

»Literatur« im weitesten Sinne zu fassen ist. Damit<br />

soll gesagt werden, daB es sich bei den Erzahlungen<br />

groBenteils um Entlehnungen von benachbarten Völkerschaften<br />

auf Sumatra handelt, da die Berührung<br />

mit fremden Vólkern sich hauptsachlich auf die Küstengebiete<br />

beschrankt. Bei den Motiven handelt es<br />

sich namlich zum groBen Teil um Entlehnungen aus<br />

den Atjeh-, Batak- und den malaiischen Landen auf<br />

Sumatra, obwohl auch die eine oder andere Erzahlung<br />

bodenstandiges Gut ist. Der Rahmen jedoch, in<br />

den diese in der Mehrzahl entlehnten Motive verarbeitet<br />

sind, ist auf eigene Art variiert und so dem<br />

gegebenen Milieu angepaBt. Denn Motive sind im<br />

allgemeinen auBerordentlich stabil, wahrend die<br />

Koppelungen mehr oder weniger labil sind. Motivkoppelungen<br />

können sich jederzeit auflösen und auf<br />

andere Art neu zusammenschlieBen. Soweit sich hier<br />

vorkommende Motive auf indische Quellen zurückführen<br />

lassen, sind sie nicht auf unmittelbare, sondern<br />

auf mittelbare Entlehnung über benachbarte<br />

Völkerschaften von Sumatra zu erklaren. Über die<br />

Herkunft und Verbreitung einzelner Motive geben<br />

die Anmerkungen Auskunft.<br />

Wie in der Dichtung anderer Völkerschaften von<br />

Insulinde, so überwiegen auch hier folgende allgemeine<br />

Motive: Natur (Tier- und Pflanzenwelt),<br />

menschliche Gesellschaft (Liebe, HaB, Trauer) und<br />

i4


Damonenfurcht. In den Erzahlungen (und in den<br />

Klageliedern) trifft man Gedanken und Gefühle an,<br />

die zum Innersten des Allmenschlichen gehören. Das<br />

Schwergewicht liegt hier, abgesehen von dichterischen<br />

AuBerungen des Schmerzes und der Verzweiflung,<br />

vor allem in derWiedergabe allgemein-menschlicher<br />

Beziehungen. Daher erklart sich auch die Tatsache,<br />

daB der geistige Urheber einer Erzahlung<br />

unbekannt ist, und daB meistens kein genauer Ort<br />

angegeben ist, an dem sich die Handlung abspielt.<br />

Sie ist in diesem Sinne raum- und zeitlos.<br />

Die Personen werden in den Erzahlungen fast nie<br />

mit ihrem Namen angeredet oder erwahnt, sondern<br />

meistens mit Bruder, Schwester, Schwagerin, Schwiegertochter<br />

usw. Ebenso wird der Name eines Verstorbenen<br />

vermieden. Die Namensmeidung beruht<br />

auf der Anschauung, daB der Name, ebenso wie<br />

Haare, Nagel usw., ein wesentlicher Bestandteil der<br />

betreffenden Person ist. Bei Lebenden fürchtet man,<br />

daB die Nennung ihres Namens die Aufmerksamkeit<br />

der Damonen erregen, oder daB der Name für Zwecke<br />

der schwarzen Magie verwendet werden könnte. Bei<br />

Toten fürchtet man, daB bei der Nennung des Namens<br />

ihre Seele zurüekkehren würde, um den Lebenden<br />

Schaden zuzufügen.<br />

Die Erzahlungen lassen sich ihrem Inhalt nach einteilen<br />

in:<br />

Geschichtliche Erzahlungen und Legenden.<br />

In ihnen laBt man der Phantasie nur allzugern<br />

die Zügel schieBen, und man bringt so Ereignisse<br />

und Personen in Zusammenhang, die chronologisch<br />

weit auseinander liegen.<br />

Damonengeschichten. In ihnen kommt zum<br />

Ausdruck, daB die Furcht vor diesen übernatürlichen<br />

Wesen die treibende Kraft, aber auch die hemmende<br />

Schwache dieser Völkerschaften ist. Daher sind auch<br />

zahlreiche Sitten und Anschauungen auf die Furcht<br />

vor ihnen zurückzuführen. Wegen der engen Zusammengehörigkeit<br />

von Individuum und Gemeinschaft<br />

darf das «magische Gleichgewicht« des Normalzustandes<br />

nicht duren Taten einer Einzelperson<br />

15


gestort werden, da dann das Allgemeinwohl aufs<br />

Spiel gesetzt würde. Eine Missetat wurde den Zorn<br />

der Damonen erregen, der sich auf die gesamte Gemeinschaft<br />

ausdehnen würde. Aus diesem Grunde<br />

wagt man nicht, von alten Sitten und Brauchen abzuweichen,<br />

obwohl diese groBenteils im Widerspruch<br />

zum Islam stehen. Andererseits ist daher verstandlich,<br />

daB sich die Erzahlungen in weitem Umfange<br />

mit diesen Damonen befassen. Am haufigsten<br />

beschaftigt man sich mit ihren Taten, da man deren<br />

Auswirkungen am eigenen Leibe zu spüren vermeint.<br />

Seltener befaBt man sich in Mythen mit ihrer Entstehung.<br />

Da jede Völkerschaft ihre eigenen Damonen<br />

besitzt — denn die Vorstellung von ihnen ist überall<br />

anzutreffen, aber ihre Namen variieren bei den einzelnen<br />

Völkerschaften — ist es deutlich, daB sich<br />

keine Parallelen für diese Erzahlungen nachweisen<br />

lassen.<br />

Verwandlungs- und andere Marchen,<br />

das sind Erzahlungen von Menschen, die zu Tieren<br />

oder Pnanzen wurden. Bei ihren animistischen Vorstellungen,<br />

in denen die Grenze zwischen Mensch,<br />

Tier und Pflanze verwischt ist, da sie alle beseelt<br />

sind, ist es für die Indonesiër ganz natürlich, daB<br />

Menschen durch ein Gelübde oder ein Gebet zu den<br />

Vorfahren zu Tieren oder Pnanzen werden können.<br />

Es handelt sich in gewissem Sinne um explanatorische<br />

Erzahlungen, die erklaren wollen, wie ein<br />

Tier oder eine Pflanze entstanden, oder wie sie zu<br />

ihrem Aussehen oder zu einer bestimmten Eigenschaft<br />

gelangt sind. Bei den Erzahlungen von Menschen<br />

und Tieren ist, ebenso wie in den Fabeln, die<br />

Grenze zwischen Mensch und Tier oft nahezu aufgehoben.<br />

Manche wollen jedoch die Überlegenheit<br />

des Menschen über Tiere zum Ausdruck bringen.<br />

Schwanke und Volkserzahlungen. In<br />

ihnen spiegein sich oft die Sitten und Anschauungen<br />

besonders gut wider.<br />

Fabeln. Sie sind im ganzen Archipel und anderswo<br />

weit verbreitet; denn Tiere und ihre charakteristischen<br />

Eigenschaften sind einem jeden vertraut und<br />

16


daher besonders gut geeignet, im Mittelpunkt von Erzahlungen<br />

zu stehen. Das dichterische Moment ergibt<br />

sich daraus, daB man nicht mehr darauf achtet, ob<br />

man es mit Naturdingen und Tieren oder mit Menschen<br />

zu tun hat. Daher setzt man als selbstverstandlich<br />

voraus, daB Tiere ebenso wie Menschen<br />

sprechen und handeln können und menschliche<br />

Eigenschaften besitzen. Die Grenze zwischen Mensch<br />

und Tier oder Pflanze ist verwischt. In den Simalur-<br />

Fabeln spielt keine einzelne Tiergattung eine hervorragende<br />

Rolle, im Gegensatz zu den Fabeln der Javanen.<br />

Malaien, Atjeher usw., denen man den Namen<br />

»Zwerghirsch-Erzahlungen« verleihen kann, weil in<br />

ihnen der Zwerghirsch Haupttrager der Handlung<br />

ist. Die Tatsache, daB es auf Simalur kein charakteristisches<br />

Fabeltier gibt, ist vermutlich auf die heterogene<br />

Herkunft der Motive und darauf zurückzuführen,<br />

daB auf der Insel auBer Büffeln, Ziegen,<br />

Hunden, Wildschweinen und Wildkatzen keine grö-<br />

Beren Saugetiere vorkommen. In den Fabeln pflegt<br />

eines der Tiere stets durch List und Verschlagenheit<br />

zu siegen; Hochmut wird bestraft.<br />

Mein Gewahrsmann war Datu' Tjut Mera, der zur<br />

Zeit der Aufnahme dieser Erzahlungen etwa fünfzig<br />

Jahre alt war. (Früher, das heiBt vor der Islamisierung,<br />

und zum Teil auch heute noch in ab gelegenen<br />

Gebieten, war es unmöglich, das genaue Alter anzugeben.<br />

Man erinnerte sich des Geburtstages nur<br />

ungefahr an Hand besonderer Naturereignisse, wie<br />

etwa des Ausbruchs des Krakatau im Jahre 1883.)<br />

Er war einer von den wenigen Bewohnern der Insel<br />

Simalur, die noch mit allem vertraut waren, was sich<br />

ihre Vorfahren in abendlichen Stunden oder bei<br />

festlichen Gelegenheiten erzahlten. Ich glaube, auch<br />

in seinem Sinne zu handeln, wenn ich diese Erzahlungen<br />

einem weiteren Leserkreise zuganglich mache<br />

und sie so der Vergessenheit entreiBe.<br />

An dem Stil der Erzahlungen habe ich möglichst wenig<br />

geandert. Gelegentlich habe ich allerdings hauflge<br />

Wiederholungen zusammengefaBt und bisweilen<br />

direkte als indirekte Rede wiedergegeben, um den<br />

17


Stil etwas lebendiger und weniger monoton zu gestalten.<br />

Die groBe Vorliebe für die direkte Rede im<br />

Originaltext wirkt auf die Zuhörer von der Insel Simalur<br />

lebendig, für den deutschen Leser jedoch ermüdend.<br />

Es ist charakteristisch, daB man die kleinsten<br />

Einzelheiten ausführlich berichtet, dafür jedoch<br />

an anderen Stellen Gedankensprünge macht, weil man<br />

einzelne Tatsachen beim Hörer als bekannt voraussetzt.<br />

SchlieBlich habe ich vereinzelt Simalur-Redewendungen<br />

und Bilder, die dem Europaer nichts<br />

sagen oder als zu grob abstoBen würden, durch Ausdrücke<br />

ersetzt, die uns gelaufig sind.<br />

Zur Aussprache der wenigen Simalur-Ausdrücke, die<br />

in den Erzahlungen und in den Anmerkungen vorkommen,<br />

ist zu sagen, daB sie im allgemeinen wie<br />

im Deutschen zu sprechen sind. Allerdings wird e<br />

in einigen Wörtern kurz gesprochen wie das e in<br />

der zweiten Silbe von »geben«, so zum Beispiel in<br />

dem Eigennamen si Melu. Die Bezeichnung dieses<br />

»Murmelvokals« e ist hier aus technischen Gründen<br />

nicht möglich. Mit ' am Ende eines Wortes ist der<br />

sogenannte »feste Vokalabsatz« bezeichnet, bei dem<br />

ein Knacklaut hörbar ist, wie wir ihn nur am vokalischen<br />

Wortanfang, das heiBt beim festen Vokaleinsatz,<br />

kennen. In Wörtern aus der Atjeh-Sprache ist<br />

eu wie unser offenes ö in »nörgeln«, aber gedehnter,<br />

zu sprechen.<br />

18


GESCHICHTLICHE<br />

ERZAHLUNGEN UND LEGENDEN<br />

auf<br />

Die Lambore'<br />

der Insel Simalur<br />

s waren einmal<br />

fünf Lambore'-<br />

Brüder. Der alteste<br />

war Lasenga',<br />

der zweitalteste<br />

hie8 Lafu' Lafaleta,<br />

der dritte<br />

war Sumare Fintol,<br />

dann folgte<br />

Lafoe' und als<br />

letzter Lafung<br />

Lasali. Lasenga's Reich erstreckte sich von Lasengalu<br />

bis Lamali'; das Reich von Lafoe' war<br />

Olul Lade, und Sumare Fintols Gebiet reichte<br />

vom Berg Sibao bis nach dem Anfang von Tuafing.<br />

Lafaletas Beschaftigung bestand darin, inmitten<br />

des Meeres zu schmieden. Lafung Lasalis<br />

Reich war Simalur.<br />

Da sprach Lasenga': »Teile diese Insel auf, Lafoe'<br />

!«<br />

Und als Lasenga' schlief, ging Lafoe' bis zur Insel.<br />

Er teilte sie jedoch nicht auf, sondern er<br />

grub sie von der einen Seite bis nach der anderen<br />

auf, so daB die Insel in zwei Teile getrennt<br />

wurde. Dann sagte er: »Jetzt habe ich zwischen<br />

19


diesen Insein einen sehr schonen Fischplatz.«<br />

Darauf ging er wieder an Land und grub die<br />

Insel noch weiter auf. Als der Graben tief genug<br />

war, sprach er: »Ich grabe dieses Eiland noch<br />

weiter auf, damit drei Insein entstehen!«<br />

Als Lasenga' erwachte und sah, daB die Insel in<br />

zwei Stücke geteilt war, sagte er: »Lafoe' sei<br />

verflucht! Er hat meine Insel zerrissen. Ich habe<br />

ihm doch gesagt, daB er Land für meinen Garten<br />

abteilen solle.« Als er dann nach Olul Lade<br />

blickte und sah, wie Lafoe' dabei war, die Insel<br />

nach der anderen Seite hin abzugraben, warf er<br />

eine Lanze und einen Speer mit Widerhaken<br />

nach ihm. Diese fielen in Lafoe's Nahe nieder,<br />

ein Klafter noch, und er ware von ihnen getroffen<br />

worden.<br />

Als Lafoe' sich umdrehte und die Speere sah,<br />

warf er sie alle beide nach Lasenga' zurück.<br />

Aber sie vermochten nicht, ihn zu erreichen; sie<br />

flogen nur bis Nafon in der Nahe der Insel Sefelag<br />

(diese liegt gegenüber dem Salul-FluB). Die<br />

Insel war in der Mitte sumpfig, und in den<br />

Sümpfen gab es viele awa-Fische 1 .<br />

Darauf floh Lafoe' nach Matan Kahad, das deshalb<br />

jetzt Olul Lafoe' heiBt. Alsdann sprang er<br />

nach dem Alus-Alus-FluB, der aus diesem<br />

Grunde heute der «Springensort von Lafoe'« genannt<br />

wird. Dort angelangt, sprach er: »Ich<br />

werde Lasenga' hier erwarten. Warum hat er<br />

eigentlich mit den Speeren nach mir geworfen?«<br />

Dann richtete er sich einen Platz her, wo er<br />

Fechtübungen 2<br />

abhielt. Jeden Tag übte er dort<br />

allein. Der Platz heiBt jetzt »dröhnende Ebene«,<br />

weil Lafoe' dort focht.<br />

Und dort gab es einen Tümpel, in dem sich ein<br />

Krokodil befand. Am Ufer des Gewassers stand<br />

ein goldener Krug, den bewachte das Krokodil<br />

20


Tag für Tag. Niemand durfte dorthin, weil er<br />

sonst krank und von Damonen besessen wurde.<br />

Als Lasenga' jedoch nicht kam, um Lafoe' zu<br />

verfolgen, sprach dieser: «Jetzt bin ich hier der<br />

GröBte!« Und zu den Leuten in jenem Lande<br />

sagte er: »La8t uns den Leuten jetzt Namen<br />

geben, damit es hier geordnet zugeht!« Den<br />

einen fragte er: »Was ist dein Beruf?«<br />

»Ich schmiede!«<br />

«Dann solist du und werden deine Nachkommen<br />

Schmied (abon) heiBen!« Zu einem anderen<br />

sagte er: »Was befindet sich in der Nahe deines<br />

Hauses?«<br />

»Bei mir steht ein inang bau'-Baum 3 .«<br />

»Dann sei dein Name Da'inang 4 !«<br />

Ein drifter Mann berichtete ihm: »In dem Brunnen<br />

bei meinem Hause befindet sich ein groBer<br />

bangeo-Fisch 5 !«<br />

«Dann sei dein Name Bangaon!«<br />

Dann kam wieder ein Mann: »Bei meinem Hause<br />

steht ein bichao-Baum f '!«<br />

»Dann solist du Bichao heiBen!« Einen anderen<br />

fragte Lafoe': »Was weiBt du als Namen für<br />

dich?«<br />

Er erwiderte: »Meine Wohnung liegt inmitten<br />

der Hauser!«<br />

»Dann sei dein Name Da'awa' Luma 7 !«<br />

Als ihm noch ein anderer sagte, »Meine Wohnung<br />

liegt am Ende der Hauser«, sprach er:<br />

»Dein Name sei Da'awa!«<br />

»Ich besitze ein Boot (bilu'), das ich auf dem<br />

Berge angefertigt habe!«<br />

»Dann sei dein Name Lanteng (,Boot')!«<br />

Nachdem er alle Bewohner des Landes befragt<br />

hatte, sagte Lafoe': »Diese Namen sind nötig,<br />

damit wir unsere Kinder in diesem Lande mit-<br />

2i


einander verheiraten können. Man nennt das<br />

Sippenverband 8 .«<br />

lm Laufe der Zeit suchte Lafoe' dann zwei andere<br />

Insein auf. Die eine beherbergte sehr viele<br />

Wildschweine. Dort gab es auch einen Fürsten.<br />

Als Lafoe' nach seinem Namen fragte, erwiderte<br />

man ihm: »Er heifit Ito Tuang.«<br />

Dieser sprach zu Lafoe': »Du kannst nicht hierbleiben,<br />

Fürst!«<br />

Deshalb begab sich Lafoe' nach einer anderen<br />

Insel. Dabei sprang er von einem Eiland zum<br />

andern und kam schlieBlich auf der Insel Nias 0<br />

an. Als er sah, daB sie groB war, dachte er: ,Es<br />

ist gut, wenn ich mich lange in diesem Lande<br />

auf halte; denn es ist sehr groB!' Indessen fürchtete<br />

man den groBen Lafoe'.<br />

Darauf sprach ein Mann von jener Insel: »Du<br />

bist sehr groB, o Fremdling! Kannst du dich<br />

auch klein machen?«<br />

Lafoe' antwortete: »Im Umsehen kann ich mich<br />

klein oder groB machen. Hast du gesehen, daB<br />

ich ohne weiteres auf dem Meere wandle? Wenn<br />

du es sehen willst, dann komm her!« Und er<br />

nahm eine leere Flasche und kroch in sie hinein.<br />

Da kam der Mann, mit dem er sich unterhalten<br />

hatte, und verschloB die Flasche, so daB Lafoe'<br />

nicht mehr heraus konnte. Deshalb befindet er<br />

sich noch jetzt in der Flasche.<br />

Die Herkunft der Bewohner<br />

von Sichule und Salang<br />

£ïnes Tages bröckelte eine bevölkerte Landzunge<br />

von der Insel Nias ab. Man erzahlt sich,<br />

daB sie verflucht wurde und deshalb mit allen<br />

Leuten abtrieb. Als die Menschen nach einiger<br />

22


Zeit hierher nach der Insel Tepa 1<br />

gelangten,<br />

sahen sie, daB das Land sehr schön war. Nachdem<br />

sie bei Matan Kahad angekommen waren,<br />

sprach der Fürst auf der abgetriebenen Insel:<br />

»Ich halte es für ratsam, in die Ama Selatu-<br />

Bucht zu gehen.« Dort gingen sie an Land-<br />

Da sprach der Fürst: »Nun laBt uns Erde vom<br />

Festland 2<br />

und von dieser Insel nehmen, und laBt<br />

uns wagen, welche von beiden schwerer und<br />

welche leichter ist!«<br />

Als sie sahen, daB die Erde vom Festland um<br />

einen Kupang 3<br />

schwerer war, da sagte der Fürst<br />

von jener Insel: »Hier können wir nicht bleiben;<br />

denn die Erde vom Festland ist schwerer 4 .«<br />

Und die Alten stimmten ihm zu: »Wir werden<br />

uns nicht wohlfühlen, wenn wir hier bleiben!«<br />

Deshalb fuhren sie mit ihrer Insel weiter.<br />

Als dann Leute aus der Landschaft Tepa kamen,<br />

sagten sie: »Dieser Ort soll jetzt ,Strand des<br />

einen Kupang' heiBen.«<br />

Nachdem ihre Insel am Ende dieses Eilandes angekommen<br />

war, erblickten sie eine Bucht. Da<br />

diese sehr schön war, zogen sie ihre Insel zwischen<br />

die Insel und das Festland 5 . Als sie beinahe<br />

dort waren, zogen sie ihre Insel mit einem groBen<br />

Tau nach einem Berge, in dessen Innern sich das<br />

Tau noch jetzt befindet. Und dem angetriebenen<br />

Lande gaben sie den Namen »Kap Salang«. Nach<br />

der anderen Seite hin liegt die Landschaft Sichule.<br />

So hieB namlich die Insel von den Leuten,<br />

die spater gekommen sind 6 .<br />

Wie Ortsnamen entstanden sind<br />

O&as Dorf der Schweinebesitzer 1 bef and sich<br />

bei Olul Lade auf der Insel Simalur. Eines Tages<br />

stampfte dort ein Mann in seinem Hause mit<br />

23


einem Handstampfer Reis. Da kam ein Schwein,<br />

um das untere Ende des Reisstampfers abzulecken.<br />

Dabei nel der Stampfer um und traf das<br />

Schwein, so daB es starb.<br />

Abends suchte man das Schwein, weil es nicht<br />

da war. Als sie sich in der Nachbarschaft auf<br />

die Suche nach ihm machten, sahen sie, daB es<br />

gestorben war, weil der Stampfer es getroffen<br />

hatte. Da sprach der Eigentümer des Schweins:<br />

»Bezahle mir mein Schwein, denn dein Stampfer<br />

hat es getroffen!«<br />

Darüber gerieten sie in Streit, denn der andere<br />

Mann erwiderte: «Wenn du dein Schwein immer<br />

frei laufen laBt, soll es nur sterben!«<br />

»Wenn du nicht zahlen willst, werde ich einen<br />

ProzeB gegen dich führen. LaB uns sogar Krieg<br />

führen; das nehme ich an, und wenn ich sterbe!«<br />

SchlieBlich bezahlte er das Schwein doch. »Diesmal<br />

bezahle ich es noch, aber in Zukunft gebe<br />

ich nichts mehr. Baue nur einen Stall für deine<br />

Schweine!«<br />

Deshalb nennen die Leute heutzutage jene Stelle<br />

Olul Alau (das heiBt »Stelle des Reisstampfers<br />

2 «).<br />

Wie die Bewohner der Insel<br />

Mohammedaner wurden<br />

t/lnfangs hieBen die Bewohner dieser Insel<br />

Lambore'. Sie waren zuerst keine Mohammedaner.<br />

Eines Tages kam ein Fürst mit seinen<br />

Leuten auf einem Schiff aus den malaiischen<br />

Landen in dieses Inselgebiet. Als sie hier ankamen,<br />

sahen sie, daB die Einwohner zahlreich,<br />

aber alle religionslos 1<br />

waren. Deshalb sprach<br />

24


der Fürst: «LaBt uns alle diese Leute nach dem<br />

Festland verkaufen!«<br />

Man ergrifï die Einwohner, fesselte sie, verlud<br />

sie auf ein Boot und verkaufte sie nach Atjeh<br />

und den malaiischen Landen. Fortgesetzt taten<br />

der Fürst und seine Leute so. Deshalb fiohen<br />

diejenigen, die sich nicht fangen lassen wollten,<br />

in den Urwald.<br />

Da sprach der Fürst: »LaBt uns die Leute tauschen,<br />

damit sie in ihre Siedlungen zurückkehren!«<br />

Der Fürst krahte dann genau so wie ein<br />

Hahn 2 . Als die geflüchteten Leute das horten,<br />

kehrten sie zurück. Sie wurden jedoch sofort<br />

gefangen. Dem Fürsten gaben sie den Namen<br />

»krahender Datu' 3 «, weil er eine Stimme wie<br />

die eines krahenden Hahnes besaB. Sie fingen<br />

und verkauften Manner und Frauen nach Atjeh<br />

und den malaiischen Landen 4 .<br />

Einst verkauften sie eine Frau nach Atjeh. Als<br />

sie dort ankam, kaufte sie der Fürst von Atjeh.<br />

Diese Frau, si Melu geheiBen, ging jeden Abend<br />

nach dem Meeresstrand und blickte weinend gen<br />

Westen.<br />

Da fragte sie einBefehlshaber 5 :»Worüber weinst<br />

du, Frau?«<br />

»Man hat mich von meiner Inselheimat dort im<br />

Westen hierher nach Atjeh verkauft. Meine<br />

Eltern sind dort geblieben. Ein Fürst hat mich<br />

hierher verkauft. Die Leute hieBen Datu' Bakuku'<br />

und Gemo'. Ihr Beruf ist es, Menschen zu<br />

verkaufen.«<br />

Darauf erstattete der Befehlshaber dem Fürsten<br />

von Atjeh Bericht: «Majestat, eine gekaufte Frau<br />

sagt, dort im Westen befinde sich ein Land, in<br />

dem es viele Leute gebe!«<br />

25


Der Fürst von Atjeh fragte die Frau: »Ist es<br />

wahr?«<br />

»Es ist wahr, Majestat, denn dort ist meine Heimat,<br />

und dort sind meine Eltern. Es gibt da<br />

sehr viele Menschen.«<br />

Der Fürst sprach weiter: »Was tun diese Leute?«<br />

»Nichts! Zu essen, Pflanzungen anzulegen und<br />

Reis zu pnanzen ist ihre Arbeit, sonst nichts!«<br />

»Verstehen die Leute, sich zu verbeugen und<br />

wieder aufzurichten 6 ?«<br />

»Vielleicht, ich verstehe nichts davon, Majestat!«<br />

Deshalb sprach der Fürst von Atjeh zu dem Befehlshaber:<br />

»Ahme betende Leute nach, damit<br />

die Frau weiB, ob ihre Landsleute Mohammedaner<br />

sind oder nicht!«<br />

Und der Befehlshaber stimmte die Gebetsweise<br />

an, dann richtete er sich auf und verneigte sich<br />

auf der Matte.<br />

»Gibt es dort Derartiges?« fragte der Fürst.<br />

»Nein, Majestat!«<br />

»Wenn es so ist«, waren dann die Worte des<br />

Fürsten, »ist die Insel noch nicht mohammedanisch,<br />

Befehlshaber!«<br />

Nun gab es in Atjeh einen Mann namens Tengku<br />

Adji 7 , der bereits zweimal aus Mekka zurückgekehrt<br />

war 8 . In dem Jahre gedachte er, nochmals<br />

dorthin zu gehen.<br />

Diesen rief nun der Fürst von Atjeh. »Tengku,<br />

geh jetzt nicht nach Mekka, sondern tue das<br />

spater! Es gibt namlich eine Insel, die nach den<br />

Worten dieser Frau noch nicht islamisiert ist.<br />

Gehst du nach Mekka, oder islamisierst du das<br />

Land? Was willst du?«<br />

26


Da erwiderte Hali Lulla 9 : »Es ist gut, Majestat!<br />

Ich werde jenes Land Eurem Befehl gemaB islamisieren!«<br />

Der Fürst fuhr fort: »Ich verheirate dich mit<br />

dieser Frau, die si Melu heiBt.« Nachdem er<br />

Hali Lulla und si Melu miteinander verheiratet<br />

hatte, sagte der Fürst: »Jetzt seid ihr verheiratet,<br />

und nun geht mit allen Untertanen, die es<br />

wünschen, und allen, die sich widersetzen, nach<br />

jener Insel! Bekehre dort die Eltern und Geschwister<br />

deiner Frau zum Islam! Gebt dem<br />

Lande nachher, wenn es islamisiert ist, den Namen<br />

,Land der si Melu'! Wir wollen den Namen<br />

deiner Gattin als Namen für das Land nehmen!«<br />

Dann segelten sie alle nach der Heimat der si<br />

Melu. Als sie hier eintrafen, waren si Melus<br />

Eltern und alle ihre Geschwister noch am Leben.<br />

Sie waren glücklich, als sie si Melu erblickten,<br />

aber sie waren angstlich, als sie die Atjeher<br />

sahen.<br />

Nach einiger Zeit sprach si Melu zu ihnen:<br />

»Liebe Eltern und liebe Geschwister! Ich bin<br />

mit einem groBen Tengku aus Atjeh verheiratet.<br />

Deshalb laBt uns jetzt alle Mohammedaner werden,<br />

und laBt uns das befolgen, was dieser Tengku<br />

sagt! Wenn wir seine Worte namlich nicht<br />

befolgen, kommt der Fürst von Atjeh und tötet<br />

uns alle.« Sie unterwiesen ihre Eltern im Islam.<br />

Und diese befolgten ihrer Tochter und Hali Lullas<br />

Worte. Weil sie befürchteten, daB der Fürst<br />

von Atjeh sie sonst toten würde, wurden viele<br />

Leute Mohammedaner.<br />

Aber die Leute, die den Islam nicht annehmen<br />

wollten, flohen in den Wald; denn sie sagten:<br />

»Die Atjeher sind unsere Feinde!«<br />

Da sprach Hali Lulla: »LaBt uns eine List anwenden!<br />

Wir wollen ausgedehnte Pflanzungen<br />

27


anlegen, damit die angstlichen Leute zurückkommen.<br />

Wenn sie dann von den Früchten der<br />

angelegten Pflanzungen essen, wollen wir ihnen<br />

auflauern und sie einen nach dem andern fangen!«<br />

Als die Pflanzungen gediehen, kamen die Leute,<br />

um die Früchte zu stehlen; und da wurden sie<br />

nacheinander gefangen.<br />

Da sagte der Befehlshaber Djantan Lawi': «Wenn<br />

ihr Mohammedaner werden wollt, gibt euch der<br />

Tengku zu essen; wenn ihr euch jedoch weigert,<br />

so wird er euch alle tötenk Darauf wurde groB<br />

und klein auf der Insel islamitisch.<br />

Eines Tages sprach Hali Lulla: «GemaB dem islamitischen<br />

Glauben und gemaB dem religiösen<br />

Gesetz, o Landesfürsten, dürfen eure Untertanen<br />

nicht verkauft werden. Denn wir sind alle<br />

Geschöpfe des Propheten, und es ist eine Sünde,<br />

diese zu verkaufen', sagt der Qur'an. Das gebe<br />

ich euch, Fürsten dieses Landes, zur Kenntnis!«<br />

Da erwiderten die Fürsten von Simalur und von<br />

Tepa: «Es ist gut, wir verkaufen unsere Untertanen<br />

nicht mehr, wenn sie das religiöse Gesetz<br />

des Islams und alle Worte des Qur'ans befolgen<br />

wollen.«<br />

Darauf sprach Hali Lulla zu den Bewohnern des<br />

Landes: «Lafit uns den Fürsten dieses Landes<br />

für jedes Ehepaar einen Scheffel ungestampften<br />

Reis als Abgabe 10<br />

spenden!«<br />

Und alle Leute erklarten sich damit einverstanden.<br />

Im Laufe der Zeit gaben sie dem Fürsten<br />

von Tepa eine kleine Insel als Ersatz für die<br />

Reisabgabe. Seitdem herrschte Zufriedenheit im<br />

Lande.<br />

Nach einiger Zeit versammelten sich der Fürst<br />

von Tepa, der Fürst von Simalur, Hali Lulla und<br />

28


Bekudo Fatu, Hali Lullas Schüler, und sie sagten:<br />

»Jetzt ist dieses Land islamitisch. LaBt uns<br />

nun dem Fürsten von Atjeh Huldigungsöl darbringen<br />

11 !» Jedes Jahr überbrachten die Angesehenen<br />

des Landes dem Fürsten von Atjeh das<br />

Huldigungsöl.<br />

Spater kamen die Fürsten und die Angesehenen<br />

des Landes zusammen und beschlossen: »Wir<br />

wollen in diesem Lande eine Moschee errichten,<br />

damit der islamitische Glaube stark sei!« Deshalb<br />

beauftragten sie Leute, von dem Fürsten<br />

von Atjeh acht Sockel für die Moschee zu erbitten.<br />

Die Gesandten waren sehr angesehene Manner.<br />

Der eine war Madjo Labi 12 , ein anderer war<br />

fürstlicher Adjutant. noch ein anderer fürstlicher<br />

Fechtmeister und wieder ein anderer fürstliches<br />

Dorfhaupt. Sie führen mit Booten und Untertanen<br />

sowie allen Schutz- und Trutzwafren nach<br />

Atjeh.<br />

Nachdem sie dort angelangt waren, suchten sie<br />

die fürstlichen Hauptleute auf und sprachen zu<br />

ihnen: »In folgender Absicht sind wir hergekommen,<br />

erlauchte Herren: wir mochten den Sultan<br />

von Atjeh um acht Sockel für eine Moschee in<br />

unserem Lande bitten. Überbringt dem Fürsten<br />

unsere Botschaft!«<br />

Die Hauptleute erstatteten dem Fürsten von<br />

Atjeh Bericht über die Absicht der Leute von<br />

der Insel Simalur. »Es ist gut«, erwiderte da der<br />

Fürst von Atjeh, »warum sollen wir Gottes und<br />

des Propheten Glauben nicht ausbreiten und<br />

vergröBern? Fragt die Manner jedoch erst, was<br />

sie können, was sie zu leisten vermogen! Denn<br />

wenn sie nichts können, dürfen sie die acht<br />

Sockel nicht mitnehmen 13 .«<br />

29


Auf die Frage der atjehischen Hauptleute, »Was<br />

vermagst du zu leisten?« antwortete Madjo Labi:<br />

»Man kann mich in die Mündung einer groBen<br />

Kanone stecken. Dann feuere man die Kanone<br />

ab, so daB die Kugel mich forttragt!«<br />

Als man das tat, nel er an irgendeinem Ort nieder.<br />

Dann kehrte er mit der Kanonenkugel zurück;<br />

denn er war nicht gestorben.<br />

»Es ist gut«, sagten da die Hauptleute. Dann<br />

fragten sie den fürstlichen Adjutanten: »Was<br />

kannst du vollbringen?«<br />

Da erwiderte er: »Ich breche groBe Baume mit<br />

den bloBen Handen auseinanderl«.<br />

Als er dann einen groBen Baum von der Spitze<br />

bis zur Wurzel gespalten hatte, sprachen die<br />

Hauptleute: »Es ist gut!«<br />

Der Fechtmeister sagte: »Man grabe mich bis<br />

zum Halse in die Erde ein, und dann schlage man<br />

auf mich ein und w'erfe mich mit Speeren! Wenn<br />

man mich treffen sollte, dann gestattet uns nicht,<br />

die acht Sockel mitzunehmen!«<br />

Da gruben sie ihn ein, warfen mit Speeren nach<br />

ihm und schlugen auf ihn ein, aber er wurde<br />

überhaupt nicht getroffen. Alsdann fragten sie<br />

das fürstliche Dorfhaupt: »Was vermagst du zu<br />

verrichten? «<br />

Er antwortete: «Sieben Tage lang kann ich es im<br />

Wasser aushalten.«<br />

Da beschwerten sie ihn mit einem Stein und versenkten<br />

ihn sieben Tage lang ins Wasser, ohne<br />

daB er starb. Darauf sprachen die Hauptleute:<br />

»Gut denn! Wenn ihr derartige Fahigkeiten besitzt,<br />

dann schamen wir uns nicht, und ihr werdet<br />

die acht Sockel wohl mitnehmen dürfen!«<br />

30


Alsdann machten sich die Hauptleute und die<br />

vier Manner auf den Weg nach dem Palast des<br />

Sultans von Atjeh, um ihre Huldigung darzubringen<br />

und Bericht zu erstatten. »Verzeihung<br />

und Heil Eurer Majestat, der wir mit Leib und<br />

Leben ergeben sind! Die vier Manner, welche<br />

die acht Sockel mitnehmen mochten, waren zu<br />

allem, was Ihr verlangt habt, imstande. Einer<br />

kroch in eine Kanone; einer spaltete einen Baum;<br />

einer wurde mit Speeren geworfen, ohne getroffen<br />

zu werden, und als man auf ihn losschlug,<br />

drang das Schwert nicht in ihn ein; und einer<br />

war sieben Tage lang im Wasser, ohne zu sterben.»<br />

»Schön«, waren da die Worte Seiner Majestat,<br />

»ihr dürft die acht Sockel mitnehmen!« Dann<br />

gab er sie ihnen, und sie nahmen sie mit heim.<br />

Dort angekommen, brachten sie dem Fürsten des<br />

Landes Tepa ihre Huldigung dar: »Wir, die Ihr<br />

beauftragt habt, acht Sockel aus den atjehischen<br />

Landen zu erbitten, sind wiedergekommen!«<br />

Dann fertigte man alle Zubehörteile für die Moschee<br />

14<br />

an, und sie errichteten sie mit Hilfe der<br />

acht Sockel an der Mündung des Salul-Flusses.<br />

Darauf hielten sie ein religiöses Festmahl ab, um<br />

Glück und einen starken Glauben zu erbitten 15 .<br />

Dafür schlachteten sie sieben Büffel.<br />

Zu der Zeit setzten die Vornehmen und die Fürsten<br />

des Landes Adathaupter 16<br />

und Befehlshaber<br />

im Lande ein. Auch Moscheevorsteher und Vorbeter,<br />

sowie Gebetsrufer und Moscheebeamte<br />

wurden ernannt 17 . Und ihre Moschee war groB,<br />

und der Glaube im Lande war stark; gerecht<br />

ging es her, und sie suchten keine Streitigkeiten<br />

mehr. Was der Fürst sagte, das taten die Untertanen.<br />

31


DAMONENGESCHICHTEN<br />

Der Fürst,<br />

der ein Jagerdamon wurde<br />

n einem Lande war<br />

einmal ein Fürst<br />

mit seiner Gattin.<br />

Als seine Frau<br />

dann im Laufe<br />

der Zeit schwanger<br />

wurde, sprach<br />

sie zu ihm: »Ich<br />

bin nun im zweiten<br />

Monat guter<br />

Hofrnung. Deshalb<br />

möchte ich etwas sehr SüBes und sehr<br />

Saueres essen.»<br />

»Teile es mir nur mit! Welches sind denn die<br />

Dinge, die du essen möchtest?«<br />

Sie erwiderte: »Ich möchte Büffel- oder Hirschfleisch<br />

essen!«<br />

»Wenn es nur das ist, so kann ich mich im Walde<br />

auf die Suche danach machen. Ich gehe mit meinen<br />

Gefahrten und mit meinen Hunden los 1 . Sei<br />

deshalb nicht betrübt! Denn ich werde das, was<br />

du essen möchtest, schon finden!« Alsdann traf<br />

er seine Vorbereitungen. Er nahm sich Gefahrten,<br />

Hunde, Lanzen und Haumesser mit. Dann<br />

machten sie sich auf den Weg ins Innere des<br />

Waldes, um Wildbüffel, Hirsche 2<br />

und alles, was<br />

32


ihnen in den Weg kam, zu jagen. Von Berg zu<br />

Berg suchten sie, ohne etwas zu finden. Je weiter<br />

sie den Bergen folgten, desto tiefer gerieten<br />

sie in den Urwald, so daB sie sich sehr weit von<br />

ihrer Heimat entfernten. Plötzlich stieBen sie<br />

dann auf Wildbüffel. Als sie diese verfolgten,<br />

liefen die Buffel wer weiB wohin. Die anderen<br />

Leute folgten ihnen deshalb nicht.<br />

Wahrend der Fürst nun die Tiere allein verfolgte,<br />

geriet er in eine Astgabelung und brach<br />

sich ein Bein. So konnte er nicht mehr fort. Da<br />

seine Gefahrten mit ihren Hunden jedoch schon<br />

wieder zurückgelaufen waren, war er hilflos. Er<br />

verhielt sich ganz still, weil ihn ein Damon im<br />

Walde verhext hatte. Allmahlich wuchsen ihm<br />

Haare am ganzen Leibe; an seinem ganzen Körper<br />

war er schwarz von langen Haaren.<br />

Im nachsten Jahre kam dann sein Kind, ein<br />

Knabe, zur Welt. Er wurde allmahlich groB und<br />

konnte mit den anderen Kindern im Ort spielen.<br />

Sie sagten: »Dieses Kind hat keinen Vater.<br />

Anscheinend ist es ein uneheliches Kind!«<br />

Als er das hörte, kehrte er heim zu seiner Mutter.<br />

Denn er schamte sich, weil sie gesagt haften,<br />

er sei ein uneheliches Kind. Dort fragte er<br />

seine Mutter: »Wo ist eigentlich mein Vater,<br />

liebe Mutter? Ist er gestorben oder ist er ausgewandert?<br />

Erzahle es mir jetzt, damit ich ihn<br />

suchen kann! Wo auch immer er sich auf halten<br />

mag, ich werde ihm folgen. Denn ich schame<br />

mich vor den anderen Kindern hier, weil sie<br />

sagen, ich sei ein uneheliches Kind!«<br />

Da sprach seine Mutter: »Dein Vater ist damals<br />

mit Hunden auf die Jagd gegangen. Denn ich<br />

hatte ihm aufgetragen, in den Wald zu gehen,<br />

um Büffelfleisch zu holen.«<br />

3<br />

33


»Wenn es so ist, dann werde ich nach meinem<br />

Vater suchen, wo er sich aufhalt!«<br />

»Wenn du gehst, mein Sohn, ist hier ein Dolch<br />

von deinem Vater, den er mir als Erkennungszeichen<br />

zurückgelassen hat, falls du ihn suchen<br />

solltest!« Seine Mutter sagte noch: »Wenn du<br />

ihm diesen Dolch gibst, dann reiche ihm nicht<br />

den Griff, sondern die Klinge!«<br />

Er nahm den Dolch und begab sich in den Urwald<br />

auf die Suche nach seinem Vater.<br />

Nach einiger Zeit traf der Junge im Urwald auf<br />

menschliche Spuren 3 . Als er ihnen folgte, fand<br />

er einen Menschen, dessen ganzer Körper mit<br />

Haaren bewachsen war. Da sprach er: »Wer bist<br />

du? Bist du ein Damon oder bist du ein Mensch?«<br />

Der Mann erwiderte: »Ich bin kein Damon, sondern<br />

ich bin ein Mensch, der früher hierher<br />

kam, um Wildbüfïel und Hirsche zu jagen!«<br />

Da dachte der Knabe: ,Es ist anscheinend mein<br />

Vater!' Dann zeigte er den Dolch vor.<br />

Als der Mann ihn erblickte, sprach er: »Du bist<br />

mein Sohn! Komm hierher zu mir! Bringe mir<br />

den Dolch her; denn er ist das Zeichen dafür,<br />

daB ich dein Vater bin! Ich kann namlich nicht<br />

in die bewohnte Welt zurückkehren, weil ich ein<br />

Damon geworden bin. Es war nun einmal mein<br />

Los, ein Damon zu werden. Und jetzt kehre du<br />

in die Heimat zurück, aber gib mir den Dolch!«<br />

»Gut, lieber Vaterk<br />

Sein Vater sprach dann: »Als Zeichen dafür, daB<br />

du mein Sohn bist, pflanze eine Arekapalme 4<br />

bei<br />

deinem Hause und einen angkeo-Baum 5 ! Dann<br />

werde ich dir namlich nichts zuleide tun!«<br />

Darauf reichte der Junge seinem Vater den<br />

Dolch. Als er ihm dabei plötzlich den Dolch in<br />

34


die Brust stieB, starb sein Vater und wurde sofort<br />

ein richtiger Damon 6 , der sich in den Wipfel<br />

eines Baumes mit einer Astgabelung begab.<br />

Die Leute nennen diesen Baum jetzt »Geisterpresse«<br />

7 . Er pflegt zu knarren, weil er der<br />

Aufenthaltsort des Jager-Damons ist. — Die Gefahrten<br />

seines Vaters und die Hunde wurden zu<br />

roa'-roa'-Vögeln 8<br />

und zu Eulen.<br />

Bis da geht die Erzahlung von dem Manne, der<br />

ein Jagerdamon wurde. Noch jetzt pnanzen die<br />

Leute Arekapalmen bei ihren Hausern als Zeichen<br />

für ihn. Denn dann pflegt ihnen der Jagerdamon<br />

nichts zuleide zu tun.<br />

Der Antu' S i n g o n g o - D a m o n 1<br />

£s waren einmal ein Mann und eine Frau, deren<br />

emziges Kind war ein beinahe heiratsfahiges<br />

Madchen. Ihr Haus befand sich in einer Pflanzung.<br />

Die Eltern gingen jeden Tag auf das Zukkerrohrfeld,<br />

um dort zu jaten; tagaus tagein war<br />

es so.<br />

Eines Tages sah das Madchen seinen Oheim dorther<br />

kommen. Als er ins Haus trat, fragte das<br />

Kind: »Woher kommst du, Oheim?«<br />

»Ich komme von zu Hause!«<br />

Da sagte das Madchen: »Was möchtest du,<br />

Oheim? Denn die Sonne steht schon sehr niedrig<br />

2 !«<br />

Sein Oheim erwiderte: »Deine GroBmutter hat<br />

gesagt, du solltest einen Tag lang dorthin kommen!»<br />

»Ich werde es meinen Eltern mitteilen. Sie sind<br />

dort auf dem Zuckerrohrfeld am Ende unserer<br />

Pflanzung, um zu jaten.«<br />

3.<br />

3 5


Darauf fuhr der Damon 3<br />

fort: »Sage ihnen nicht<br />

erst Bescheid; denn vorhin habe ich es bereits<br />

getan. Du darfst deine GroBmutter besuchen!<br />

Gehen wir, denn nachher wird es Nacht!«<br />

Darauf gingen sie los. Als sie die Halfte des<br />

Weges hinter sich hatten, sprach der Oheim:<br />

>;Jetzt ist es Nacht. Komm her, damit ich dich<br />

auf dem Rücken trage 4 !« Darauf nahm er das<br />

Madchen auf den Rücken.<br />

Da fragte es: »Ist es noch weit, Oheim?«<br />

Der Damon antwortete: »Ein kleines Stück noch,<br />

dann sind wir da!«<br />

Um Mitternacht kamen sie dann bei dem Hause<br />

des Damons an. Ein Baumstamm mit einer sehr<br />

groBen Höhle war die Behausung. Und darin<br />

befand sich eine Alte mit krummem Rücken und<br />

platter Nase.<br />

Da dachte das Madchen bei sich: ,Dies ist nicht<br />

das Haus meiner GroBmutter, sondern anscheinend<br />

die Behausung von Damonen, von denen<br />

man immer spricht!' Weiter dachte es: ,Laufe<br />

ich fort, dann fressen sie mich auf. Deshalb ist<br />

es besser, daB ich das tue, was sie mir auftragen.'<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en sagte der Damon zu seiner<br />

Mutter: »Geh und bade deine Schwiegertochter<br />

am Brunnen 5 !« Darauf machten sie sich<br />

auf den Weg.<br />

Dort angelangt, sprach das Madchen: »LaB mich<br />

dich erst waschen, Mutter! Ich schöpfe Badewasser<br />

für dich!«<br />

Da sagte die alte Damonin: «Es ist gut, mein<br />

Kind!« Wahrend die Damonin dann gerade in<br />

Gedanken versunken war, stieB das Madchen sie<br />

in den Brunnen, so daB sie starb. Denn in ihren<br />

3(T


Mund und in ihre Nase war Wasser geraten, so<br />

daB sie erstickte.<br />

Darauf lief das Madchen fort in Richtung des<br />

Dorfes. Unterwegs begegnete es zwei Mannern,<br />

einem Vater mit seinem Sohn.<br />

Als das Madchen sich zu ihnen begab, sprachen<br />

sie: »Bist du das Madchen, das der Damon entführt<br />

hat?«<br />

»Das bin ich!«<br />

Als sie sahen, daB es auch der Wahrheit entsprach,<br />

nahmen sie das Madchen mit und liefen<br />

eiligst fort.<br />

Inzwischen suchte der Damon den Brunnen auf.<br />

Dort erblickte er seine Mutter tot im Brunnen.<br />

Er sah auch, daB das Madchen nicht mehr da<br />

war, es war wer weiB wohin geflüchtet. Da<br />

nahm er die Verfolgung auf, indem er nach den<br />

FuBspuren des Madchens suchte 6 . Dabei erblickte<br />

er Kappspuren von Leuten; denn sie hatten mit<br />

ihren Haumessern batu hala'-Straucher 7<br />

abgeschnitten,<br />

deren Triebe dann wieder gesproBt<br />

waren. Deshalb sagte er sich: ,Dies ist nicht der<br />

Weg, den das Madchen gegangen ist, sondern es<br />

ist der Weg von Leuten, die Rotan holten.' Deshalb<br />

kehrte er wieder um. Als er dann die FuBspuren<br />

des Madchens entdeckte, nahm er die<br />

Verfolgung wieder auf. Nachdem er ins Dorf<br />

gekommen war, sah er das Madchen mit seinen<br />

beiden mannlichen Gefahrten. Sie waren aber<br />

schon bei den Hausern der Dorfleute angelangt.<br />

Deshalb sprach der Damon: »Warte! Wenn sie<br />

einmal nicht auf der Hut sind, entführe ich dich<br />

und nehme dich als meine Frau mit!« Dann<br />

kehrte er in den Wald zurück.<br />

Darauf kamen die Eltern und brachten ihre<br />

Tochter zur GroBmutter. Als sie dort anlangten,<br />

37


waren alle von Herzen glücklich. Alle Verwandten<br />

und die Oheime waren ebenfalls hoch erfreut.<br />

Am folgenden Tage kamen dann die Alten<br />

und sprachen zum Vater des Madchens: »LaB<br />

uns deine Tochter mit dem Manne verheiraten,<br />

der sie traf, als sie aus dem Walde kam! Zur<br />

Belohnung dafür laBt uns sie ihm zur Frau<br />

geben!«<br />

Sie erwiderten: »Gut, wir wollen sie verheiraten!<br />

Denn wenn diese Leute unsere Tochter<br />

nicht mitgenommen hatten, ware sie nicht mehr<br />

am Leben, weil der Damon sie gefressen hatte!«<br />

Deshalb kamen die Leute aus dem Dorf und<br />

feierten die Hochzeit des Madchens mit dem jungen<br />

Manne 8 . Danach kehrten alle wieder heim.<br />

Nur das junge Ehepaar und eine Alte blieben<br />

zurück. Sie legten sich alle drei auf die Schlafstelle<br />

9 .<br />

Um Mitternacht kam der Damon und trug ihre<br />

Schlafstelle in den Urwald. Sie waren namlich<br />

die ganze Nacht bewuBtlos, weil der Damon sie<br />

verhext hatte. Als er im Waldesinnern angekommen<br />

war, setzte er die Schlafstelle dort nieder.<br />

Dann schickte er sich an, zu schlafen. Dabei<br />

lehnte er sich an einen groBen Baum. Wahrend<br />

er schlief, sprach er: «Schlafen meine<br />

Augen, dann ist mein Herz wach; schlaft mein<br />

Herz, dann ist mein Kopf wach; schlaft mein<br />

Kopf, dann sind meine Ohren wach 10 .«<br />

Als der junge Ehemann das hörte, sprach er:<br />

»Was? Das ist ja die Stimme eines Damons!«<br />

Und dann sah er, daB sie sich mitten im Urwald<br />

befanden. Als er den Damon erblickte, wie er<br />

mit sich selbst redete, erhob sich der Mann,<br />

nahm sein Schwert und schlug ihm den Hals beinahe<br />

durch.<br />

38


Der Damon stürzte zu Boden mit den Worten:<br />

»Schlag noch einmal zu, schlag noch einmal zu,<br />

schlag noch einmal zu!«<br />

Aber da sagte der junge Ehemann: »Ich will<br />

nicht zweimal zuschlagen; denn das ist mir verboten<br />

worden!«<br />

Darauf starb der Damon; regungslos lag er da.<br />

Und der Mann sah, daB er zu einer toten Wildkatze<br />

wurde 11 .<br />

Zu seiner Frau und der Alten sagte er: »Der<br />

Damon ist tot. Jetzt kehren wir heim, aber ich<br />

kenne den Weg nicht. Wer weiB, wo wir uns<br />

befinden!« Wahrenddessen horten sie die Stimmen<br />

von rufenden Leuten und den Klang von<br />

Gongs 12 . Denn man war gekommen, um die vom<br />

Damon Entführten zu suchen. Da gingen sie dem<br />

Klang der Gongs nach. Als sie und die Leute,<br />

die auf der Suche nach ihnen waren, einander<br />

gefunden hatten, kehrten sie ins Dorf zurück.<br />

Die Schlafstelle nahmen sie nicht mit, sie blieb<br />

dort 13 .<br />

Im Dorf erteilten die Alten dann Lehren 14 : »Wir<br />

sind dieses eine Mal noch glimpflich davongekommen.<br />

In Zukunft laBt jedoch eure Tochter<br />

nicht mehr allein zu Hause! Wohin ihr auch<br />

geht, nehmt eure Kinder mit! Sonst laBt Erwachsene<br />

bei ihnen im Hause zurück! Habt ihr<br />

die Worte der Alten vernommen?«<br />

Sie alle antworteten: »Ja, Vater!«<br />

Die F ü r s t e n t o c h t e r heiratet den<br />

» Fürsten vom O b e r 1 a u f «<br />

J- n einem Lande war einmal ein Fürst. Obwohl<br />

er schon alt war, hatte er keine Kinder, weder<br />

einen Sohn noch eine Tochter. Da rief er seine<br />

39


Gattin und sprach zu ihr: »Was hat es für uns<br />

für einen Zweck, hier auf Erden zu leben? Wir<br />

sind zwar Fürsten, und unser Besitz in Haus und<br />

Hof ist viel, aber wir haben kein einziges Kind,<br />

weder Sohn noch Tochter. Wie denkst du darüber?«<br />

»I c h bin immer sehr traurig darüber«, erwiderte<br />

seine Gattin.<br />

»Sage das nicht! Bist du schon traurig, so bin<br />

ich doppelt traurig. Und jetzt werde ich das tun,<br />

was dich gut dünkt!«<br />

Darauf sprach seine Gattin: »Jetzt wollen wir<br />

zu Gott und allen höheren Gewalten in diesem<br />

Lande und zu unseren Vorfahren beten! Wenn<br />

wir wirklich Nachkommen von Fürsten dieses<br />

Landes sind, und wenn uns eine Tochter geboren<br />

werden sollte, so wollen wir sie mit dem<br />

verheiraten, den die Leute den siebenköpfigen<br />

»Fürsten vom Oberlauf« (denSchlangendamon) zu<br />

nennen pflegen. Denn er ist der gröBte am Oberlauf<br />

des Flusses. Wir sind Fürsten, und e r ist<br />

ebenfalls ein Fürst!« Darauf beteten sie zu allen<br />

höheren Gewalten im Lande. Sie beide, Mann<br />

und Frau, erhoben ihre Hande zum Gebet.<br />

Nach zwei Monaten war seine Gattin guter Hoffnung,<br />

und sie sprach: »Ich möchte etwas sehr<br />

SüBes und salzige Baumfrüchte aller Art essen!«<br />

Da erwiderte ihr Gatte: »Alles, was du essen<br />

möchtest, kann ich suchen!« Er machte sich auf,<br />

um alles das zu suchen, was seine Gattin zu<br />

essen begehrte: reife Brotfrüchte 1 , Zitronen,<br />

Mangos 2 , Salziges aller Art und junge Ananasfrüchte.<br />

Als dann sechs Monate verstrichen waren, kam<br />

die groBe siebenköpfige Schlange. Denn sie war<br />

40


es, welche die Leute den «Fürsten vom Oberlauf«<br />

nannten. Sie kam, um ihre Frau zu besuchen,<br />

die ihr seinerzeit von dem Fürsten zugesprochen<br />

war.<br />

Da sagte der Fürst: «Dies ist der Gatte unserer<br />

Tochter, von dem wir damals in jener Nacht<br />

redeten, als wir zu allen höheren Machten beteten.<br />

Er ist jedoch kein Mensch, sondern eine<br />

Riesenschlange. Möge es dennoch dabei bleiben!<br />

Was können wir dabei machen? Denn wir haben<br />

es nun einmal gesagt, und jetzt können wir es<br />

nicht rückgangig machen.« Darauf kehrte die<br />

Riesenschlange heim.<br />

Nach zehn Monaten kam die Tochter des Fürsten<br />

zur Welt. Sie war von sehr schönem Antlitz,<br />

und im ganzen Lande gab es keine ihresgleichen.<br />

Am Tage ihrer Geburt kam die Riesenschlange,<br />

um sich das Kind anzusehen, von<br />

dem sie gesagt hatten, daB sie es mit ihr vermahlen<br />

wollten.<br />

Nachdem sie wieder in den Wald zurückgekehrt<br />

war, sprach der Fürst: «Wir sind zu weit gegangen,<br />

liebe Frau! Denn damals sagten wir,<br />

wir würden unsere Tochter mit dem ,Fürsten<br />

vom Oberlauf' verheiraten. Und nun ist er hergekommen,<br />

um unserem damaligen Versprechen<br />

gemaB seine Frau zu erbitten!«<br />

Da erwiderte seine Gattin: «Bereue es jetzt<br />

nicht! Denn ein Versprechen können wir nicht<br />

rückgangig machen 3 . Was auch immer geschieht,<br />

es ist Gottes RatschluB!«<br />

Als ihre Tochter erwachsen und heiratsfahig war,<br />

kam auch der «Fürst vom Oberlauf« ins Land<br />

seiner zukünftigen Frau.<br />

Da sprach der Fürst zu seiner Gattin: «Jetzt ist<br />

der Mann unserer Tochter gekommen. Diese<br />

41


Riesenschlange heiBt nun, wie die Alten sagen,<br />

unser Schwiegersohn. Lafi uns deshalb die Leute<br />

im Lande zusammenrufen!«<br />

Da kamen alle Einwohner und veranstalteten<br />

Festlichkeiten anlaBlich der Hochzeit der Fürstentochter.<br />

Nachdem sie drei Tage und drei<br />

Nachte gefeiert hatten, fand die Hochzeit statt.<br />

Und nach vier Tagen und vier Nachten geleiteten<br />

sie sie zum »Fürsten vom Oberlauf«. Sie setzten<br />

sie auf den Scheitel seiner sieben Köpfe. Da<br />

huben alle Leute, sowohl ihre Eltern als auch<br />

ihre Freundinnen, zu weinen an: »Gewöhnlich<br />

begeben sich die Vermahlten auf die Schlafstelle,<br />

aber sie begibt sich auf den Kopf einer groBen<br />

Schlange!« Nachdem sie sich ausgeweint hatten,<br />

machte sich die Riesenschlange auf den Weg<br />

ins Innere des Waldes in eine groBe Bergschlucht<br />

am FluBoberlauf.<br />

Darauf verkündete der Fürst: »Wer von euch<br />

Untertanen meine Tochter, die mit der Riesenschlange<br />

verheiratet ist, zu holen vermag, dem<br />

gebe ich sie zur Frau! Und dieses mein Reich<br />

geht in seinen Besitz über; von der FluBmündung<br />

bis zum Oberlauf soll es ihm gehören. Aber<br />

t ö t e t die Riesenschlange und bringt mir meine<br />

Tochter wieder! Das gebe ich euch allen, groB<br />

und klein, alt und jung, zur Kenntnis!« Darauf<br />

kehrten die Leute alle heim.<br />

Nun gab es zwei listenreiche Manner, Söhne<br />

eines Angesehenen in jenem Lande. Der altere<br />

hieB Banta Beramsa, der jüngere Banta Achmad.<br />

Da sprach Banta Beramsa: »Am Hochzeitstage<br />

sagte der Fürst: wer meine Tochter zu holen<br />

und die Riesenschlange zu töten vermag, dem<br />

schenke ich mein Land!«<br />

Darauf erwiderte sein jüngerer Bruder: »Aber<br />

wer kann denn eine Riesenschlange mit sieben<br />

42


Köpfen umbringen? Ich vermag die Fürstentochter<br />

nicht zu holen; aber wenn d u dazu<br />

imstande bist, dann werde ich dich gern begleiten.«<br />

» I c h werde die Schlange töten und die Prinzessin<br />

holen, und d u brauchst nur unser Essen<br />

zu tragen!«<br />

Darauf machten sie sich beide auf den Weg in<br />

den Wald. Als sie der Spur der Schlange folgten,<br />

stieBen sie nach drei Tagen auf eine groBe<br />

Schlucht. Sie horten den Atem des Fürsten,<br />

durch den Blatter durch die Luft gewirbelt<br />

wurden.<br />

Da sprach der jüngere Bruder: »Jetzt sind wir<br />

bei der Riesenschlange angelangt, durch deren<br />

Atem allein die Menschen schon sterben!«<br />

Banta Beramsa erwiderte: »Wenn es so ist, bin<br />

ich nicht imstande, die Riesenschlange zu töten!«<br />

Darüber gerieten beide in Streit, so daB Banta<br />

Achmad sagte: «Damals warst du es, der die<br />

Schlange durchaus töten und die Frau holen<br />

wollte, und nun bist du schon angstlich, wenn<br />

du die Riesenschlange nur siehst!«<br />

Der altere fuhr fort: »LaB uns unverrichtetersache<br />

heimkehren!«<br />

Aber da erwiderte sein jüngerer Bruder: »Und<br />

du schamst dich nicht? Ich schame mich vor<br />

allen Leuten und vor unseren Eltern! Geh nur<br />

fort und verbirg dich!«<br />

Alsdann suchte er die Schlange auf, die gerade<br />

fest schlief. Er lieB ein Rotantau von dem Wipfel<br />

eines Baumes über der Frau hinab, die sich<br />

auf dem Kopf der Schlange befand. Als die Frau<br />

das Tau erblickte, das der Mann hinabgelassen<br />

hatte, ergriff sie es, und Banta Achmad zog sie<br />

43


auf einen anderen Baum. Dann sprach er zu ihr:<br />

»Steig in den Wipfel dieses Baumes, denn ich<br />

werde mit deinem Gatten kampfenk<br />

Als er in der Nahe der Riesenschlange angelangt<br />

war, sprach er: »Hallo, GroBvater! Steh auf, denn<br />

wir wollen ein wenig miteinander kampfenk<br />

»LaB uns lieber nicht kampfen; denn durch meinen<br />

Atem allein stirbst du schonk<br />

Aber der Mann erwiderte: »LaB uns nicht lange<br />

kampfen, GroBvater! Wenn ich sterbe, dann<br />

gebe ich meine Seele auf; und wenn du stirbst,<br />

dann gibst auch du deine Seele auf!«<br />

Da sagte die Riesenschlange: »Hast du gesehen,<br />

daB ich sieben Köpfe habe?«<br />

Als Banta Achmad einmal zuschlug, nel einer<br />

ihrer Köpfe. »Was ist das, GroBvater?«<br />

»Mein Betelbissen von der Prinzessink Nachdem<br />

er zum zweiten Male zugeschlagen hatte,<br />

sprach sie: »Mein Essen von der Prinzessink<br />

Als schlieBlich nur noch zwei von ihren Köpfen<br />

übriggeblieben waren, sagte die Schlange: »Ich<br />

schakere mit meiner Frauk Nachdem er nochmals<br />

zugeschlagen hatte und wieder einer ihrer<br />

Köpfe gefallen war, sprach sie: «Jetzt gehen ich<br />

und die Prinzessin spazieren'!« Als sie jetzt nur<br />

noch einen Kopf besaB, waren ihre Worte: »LaB<br />

uns aufs neue kampfenk<br />

Aber Banta Achmad erwiderte: «Ich kann nicht<br />

mehr, denn ich bin müdek Bei sich dachte er<br />

jedoch: ,Wenn ich ihr diesen einen Kopf auch<br />

noch abschlage, dann gelten die Worte der Alten:<br />

,Wenn ein Damon sieben Köpfe hat, dürfen nicht<br />

alle abgeschlagen werden, weil er sonst am Leben<br />

bleibt.' Deshalb wollte er ihr nicht den letzten<br />

Kopf abschlagen; vielmehr durchschlug er<br />

ihren Leib mit einem Hieb oberhalb des Nabels.<br />

44


Sie starb sofort, und das Blut floB in Stromen,<br />

so daB es ihm bis zum Halse reichte.<br />

Alsdann holte er die Frau aus dem Baumwipfel<br />

und sprach zu ihr: »Jetzt habe ich deinen Gatten<br />

getötet. Wen möchtest du nun als Mann<br />

haben, meinen alteren Bruder oder mich?«<br />

»Ob ich lebe oder sterbe, d u bist mein Mann!<br />

Denn wer den ,Fürsten vom Oberlauf' getötet<br />

hat, der ist mein Gatte!«<br />

Darauf rief er seinen alteren Bruder herbei, und<br />

sie machten sich auf die Suche nach Wasser. Als<br />

sie auf einen groBen FluB stieBen, badete Banta<br />

Achmad, weil er mit dem Blut der Riesenschlange<br />

besudelt war. Dann sprach er: »Ich bin<br />

sehr müde. Deshalb möchte ich drei oder gar<br />

sieben Tage lang schlafen!« Dann legte er sich<br />

nieder und tat seinen Kopf in denSchoB der Frau.<br />

Nach zwei Tagen sagte der altere Bruder: »Wir<br />

wollen heimkehren, Frau! Denn der da ist tot!«<br />

Aber die Frau erwiderte: »LaB uns warten, bis<br />

drei oder gar sieben Tage vergangen sind; denn<br />

er hat es gesagt!«<br />

»Er ist gestorben! Nach sechs Tagen gehen wir<br />

aber, und dann bleibt er hier zurück!«<br />

Die Frau antwortete ihm: »I c h warte, bis<br />

Banta Achmad erwacht!«<br />

Darauf entgegnete der altere Bruder: »Ich werde<br />

ihm den FuB abschneiden. Wenn er nicht gestorben<br />

ist, wird er sich dann erheben!« Alsdann<br />

schlug er Banta Achmad den FuB ab. Als<br />

er auch dann nicht erwachte, sagte Banta Beramsa:<br />

»Das zeigt, daB er tot ist; denn sein FuB<br />

ist abgetrennt, ohne daB er aufgewacht ist! Nun<br />

laB uns heimkehren! Wenn du nicht willst,<br />

bringe ich dich um, Frau!«<br />

45


Sie weinte, als sie den abgetrennten FuB erblickte,<br />

den der altere Bruder abgeschlagen<br />

hatte. Deshalb nahm sie den abgetrennten FuB<br />

und wickelte ihn in ihren Rock ein. Darauf<br />

machten sie sich auf den Heimweg.<br />

Zu Hause angelangt, gingen sie zu dem Vater<br />

der Frau. »Ich habe die Riesenschlange getötet,<br />

mein Fürst!«<br />

»Es ist gut«, sprach der Fürst, »und nun vermahle<br />

ich meine Tochter, die du von dem Kopf<br />

der Riesenschlange geholt hast, mit dir.« Darauf<br />

rief er seine Untertanen zusammen. Sie<br />

stampften Reis und trockneten ihn für die Hochzeit<br />

5 .<br />

Als sieben Tage vergangen waren, erwachte<br />

Banta Achmad. Als er sah, daB sein FuB am<br />

Gelenk abgetrennt war, hub er an zu weinen.<br />

Er sprach: »Mein Bruder und die Frau sind<br />

heimgekehrt. Mag die Frau auch nicht für mich<br />

sein, wenn er mir nur nicht den FuB abgeschnitten<br />

hatte!« Darauf kroch er am groBen FluB<br />

entlang in Richtung seiner Heimat.<br />

Am Unterlauf legte ein Kind eine Reuse in den<br />

FluB. Als die Nacht hereinbrach, kamen Regen<br />

und Überschwemmung auf, so daB Banta Achmad<br />

schnell mit dem Strom nach dem Unterlauf abtrieb.<br />

Nachdem er in einer Bucht angelangt war,<br />

trugen ihn die Wassermassen in die groBe Reuse,<br />

die das Kind ausgelegt hatte. Er konnte sich<br />

nicht aus ihr befreien.<br />

Als der Tag anbrach, kam der Besitzer der<br />

Reuse. Und als er sah, daB seine Reuse gefüllt<br />

war, sprach er: »Das ist ein Riesenfisch! Ich<br />

allein kann ihn nicht hochheben.« Deshalb rief<br />

er seinen Vater herbei, damit er ihm beim<br />

Heben behilflich sei. Bei der Reuse angelangt,<br />

46


sahen sie, daB der darin befindliche Fisch einen<br />

FuB, Hande und einen Kopf besaB.<br />

Da sprach der Vater: »Bist du da in der Reuse<br />

ein Damon oder ein Mensch?«<br />

Banta Achmad erwiderte: »Ich bin kein Damon,<br />

sondern ich bin ein Mensch! Ich heiBe Banta<br />

Achmad!«<br />

Da hoben sie die Reuse auf. Als sie sahen, daB<br />

sein FuB abgeschnitten war, nahmen sie ihn sofort<br />

mit nach Hause. Sie nahmen ihn als ihren<br />

Sohn an.<br />

Als Banta Achmad hörte, daB sich alle Leute<br />

versammelten, um zur Hochzeit seines Bruders<br />

zu gehen, fragte er seinen Adoptivbruder: »Wohin<br />

gehen die vielen Leute?«<br />

»Sie gehen zur Hochzeit der Frau, die damals<br />

von einer Schlange in den Wald entführt wurde.<br />

Sie verheiraten sie mit Banta Beramsa.«<br />

Da dachte er bei sich: ,Ich werde auch zur Hochzeit<br />

meines alteren Bruders gehen; denn jetzt<br />

erkennen sie mich nicht. Sie denken wohl, ich<br />

sei gestorben!' Dann sagte er zu seiner Adoptivmutter:<br />

»Dürfen wir zur Hochzeit gehen, liebe<br />

Mutter?«<br />

»Geht nicht, meine Söhne! Denn wir schamen<br />

uns, weil dein FuB abgeschnitten ist!«<br />

Darauf erwiderte ihr Sohn: »Wir wollen auch<br />

gar nicht ins Haus gehen, sondern wir begeben<br />

uns nach unten zu den Armen!« Alsdann machten<br />

sie sich auf den Weg.<br />

Als sie dort ankamen, war es Abend, und alle<br />

Leute waren beim Hochzeitsessen. Da kam ein<br />

Zeremonienmeister, der die Aufsicht über Haus<br />

und Hof hatte, und sprach: »Wer von euch hat<br />

noch nicht gegessen?« Darauf gab er ihnen allen<br />

zu essen.<br />

47


Wahrend Banta Achmad beim Essen war, verschluckte<br />

er sich. Deshalb bat sein jüngerer<br />

Bruder um Wasser: »Bringt Wasser zum Trinken<br />

für den ,Verstümmelten'!«<br />

Als Banta Beramsa das hörte, sprang er nach<br />

unten und lief wer weifi wohin; denn er befürchtete,<br />

daB sein jüngerer Bruder ihn töten<br />

werde.<br />

Da kam die Fürstentochter, die mit Banta Beramsa<br />

vermahlt werden sollte, mit Banta Achmads<br />

FuB dorthin. Als sie Banta Achmad erkannte,<br />

nahm sie den FuB, der damals abgeschnitten<br />

worden war, und setzte ihn an das<br />

Bein, so daB sein FuB wieder wie damals wurde.<br />

Darauf erhob sich Banta Achmad. Dann faBte<br />

sie ihn bei der Hand, und sie gingen gemeinsam<br />

ins Haus. Dort sprach sie: »Dieser, lieber Vater,<br />

ist es, der die Riesenschlange tötete. Sein alterer<br />

Bruder hat ihm damals den FuB abgeschlagen,<br />

als er die Schlange umgebracht hatte. Denn<br />

Banta Beramsa verbarg sich, weil er befürchtete,<br />

daB der ,Fürst vom Oberlauf' ihn verschlukken<br />

würde.«<br />

Als alle Leute ihre Worte vernommen hatten,<br />

wurden sie beide vermahlt. Darauf ergriff der<br />

Fürst das Wort: «Jetzt laBt uns meine Tochter<br />

mit Banta Achmad vermahlen! Mein Reich geht<br />

an ihn über, und mein gesamter Besitz, viel und<br />

wenig, kommt ihm ebenfalls zu. Ehrt ihn Tag<br />

und Nacht!«<br />

Der Sohn eines Reichen<br />

und Fürst Aman<br />

«7n einem Lande war einmal ein reicher Mann,<br />

der hatte viel Besitz; Büffel, Ziegen, alles war<br />

in Haus und Hof vorhanden. Wer im Lande<br />

48


nichts zu essen hatte, dem half er. Da war seine<br />

Frau offensichtlich guter Hoffnung, und im Laufe<br />

der Zeit kam ihr Sohn zur Welt. An dem Tage<br />

beauftragte ihr Mann Leute, einen Astrologen 1<br />

zu rufen, der nachsehen sollte, was seinem Kinde<br />

das Leben nehmen werde. Als der Astrologe<br />

erschien, fragte ihn der Reiche: »Was wird mein<br />

Kind ums Leben bringen, Astrologe? Teile es<br />

mir mit!«<br />

Der Astrologe sah da aus seinen astrologischen<br />

Büchern, daB Fürst Aman das Kind töten würde.<br />

Als der Astrologe deshalb das Haupt schüttelte,<br />

sagte der Reiche: »Teile es mir sofort mit, verbirg<br />

es mir nicht!«<br />

Und der Astrologe sprach: »Wenn es so ist —<br />

Fürst Aman wird dein Kind töten. Der bringt es<br />

ums Leben.«<br />

Darauf schlug der Reiche vor: »LaBt uns mein<br />

Kind auf eine kleine Insel bringen, damit Fürst<br />

Aman es nicht findet!« Da machten sie sich auf<br />

den Weg und brachten es mit einem Gefahrten<br />

und Lebensmitteln für sie beide dorthin. Dann<br />

kehrten die Leute zurück, und das Kind blieb<br />

mit seinem Gefahrten auf der Insel. Allmahlich<br />

wuchs es heran, und als es laufen konnte 2 , kehrte<br />

sein Gefahrte nach dem Festlande zurück, so daB<br />

das Kind allein auf der Insel blieb.<br />

Eines Tages kam ein Schiff, auf dem sich Fürst<br />

Aman befand. Als sie gegenüber der Insel ankamen,<br />

wo man das Kind verb<strong>org</strong>en hatte, erlitt<br />

das Fahrzeug Schiffbruch, und die gesamte Besatzung<br />

kam ums Leben. Nur Fürst Aman blieb<br />

übrig und trieb nach der Insel ab. Als er dort<br />

die Spuren von Menschen erblickte, machte er<br />

sich auf die Suche und stieB auf eine groBe Steingrotte.<br />

Dort befand sich ein Kind.<br />

49


Als es den Fürsten Aman erblickte, sagte es:<br />

»Woher kommst du, o Mensch, hierher?«<br />

»Ich bin ein Schiffbrüchiger, der hierher abgetrieben<br />

ist!«<br />

Da freute sich das Kind, und sein Gefahrte, der<br />

Fürst Aman, war ebenfalls froh. Er gab dem<br />

Kinde Stoff; und das Kind gab ihm eine eBbare<br />

Frucht. Er schalte sie mit seinem Dolch und aB<br />

davon. Und die übriggebliebene Halfte bot Fürst<br />

Aman dem Kinde an mit den Worten: »Dies ist<br />

für dich!« Er reichte sie dem Kinde hin. Dabei<br />

glitt es aus, so daB es vornüber in den Dolch des<br />

Fürsten Aman nel und auf der Stelle starb, weil<br />

seine Brust durchbohrt war.<br />

Da lief Fürst Aman ans Ende der Insel. Dort erblickte<br />

er einen groBen Felsen, auf dem sich<br />

Frauen befanden, die ein groBer Damon entführt<br />

und dann dorthin gebracht hatte. Er schwamm<br />

nach dem Felsen, und als er dort ankam, sagten<br />

die Frauen: »Komm nicht her; denn hier haust<br />

ein groBer Damon, der dich fressen wird, o<br />

Mensch!«<br />

»Ich fürchte den Damon nicht! Wo ist er denn?<br />

Ich möchte ihn sehen!«<br />

Sie erwiderten: »Er schlaft gerade in dieser Felsgrotte!«<br />

Als er sie öffnete. prustete der Damon, so daB<br />

Fürst Aman ins Meer nel und auf einem Auge<br />

erblindete. Aber er kehrte nochmals zurück und<br />

sagte zu den Frauen: »LaBt uns heiraten!»<br />

Diese erwiderten: »Wir können nicht heiraten;<br />

denn dann friBt dich der Damon. Uns hier hat<br />

er namlich aus unserer Heimat entführt, und<br />

woher bist du?«<br />

»Ich bin Fürst Aman, ich bin nach dieser Insel<br />

abgetrieben!«<br />

50


Da sprach die eine Frau: »Wenn du so sprichst,<br />

dann sind wir Geschwister! Denn Fürst Aman<br />

war mein jüngerer Bruder. Damals, als ich noch<br />

sehr klein war, hat mich dieser Damon entführt.<br />

Rede also nicht davon, daB wir heiraten wollen!«<br />

Fürst Aman fuhr fort: »Ihr lügt! Jetzt seid ihr<br />

alle meine Frauen! Den groBen Damon wollen<br />

wir töten! Öffnet doch diese Tür, und laBt uns<br />

ihn umbringen!«<br />

Als sie dann die Felsgrotte öfïneten, prustete der<br />

groBe Damon, so daB Fürst Aman ins Meer nel<br />

und auf der Stelle starb. Es blieben nur die<br />

Frauen auf dem Felsen übrig.<br />

Im Laufe der Zeit hörte man in einem anderen<br />

Lande, daB es hier einen Astrologen gab. Deshalb<br />

sagte ein reicher Mann: »Wir wollen nach<br />

dem Lande des Astrologen gehen; denn dort befindet<br />

sich ein Reich! LaBt uns ein Schifï samt<br />

Ladung mitnehmen und einen groBen mannlichen<br />

Büfïel, den wir mit den Büfïeln der Angesehenen<br />

in dem Lande kampfen lassen wollen!<br />

Denn man sagt, daB sie zahlreiche Kenntnisse<br />

besitzen, und daB sie sogar die Todesursache<br />

eines Neugeborenen kennen!« Die Leute machten<br />

sich dann mit ihrem Schiff auf die Reise.<br />

Dort angelangt, sagte der Angesehene auf dem<br />

Schiff: »Ich komme mit einem groBen mannlichen<br />

Büffel in euer Land. Wenn ihr woilt, so<br />

laBt unsere Büffel miteinander kampfen, um zu<br />

sehen, welcher unterliegt! Unterliegt mein Büffel,<br />

dann geht mein Schiff an euch über. Unterliegt<br />

jedoch euer Büffel, dann geht dieses Reich<br />

samt allen Untertanen an mich über. Denn ich<br />

habe gehort, daB die Leute in diesem Lande viele<br />

Kenntnisse besitzen. Von einem Kind im Mutterleibe<br />

können sie sogar erraten, ob es ein<br />

Knabe oder ein Madchen ist.«<br />

*' 51


»Es ist gut«, erwiderte der Herrscher in jenem<br />

Lande. Darauf rief er seinen Astrologen und<br />

sagte zu ihm: »Jetzt ruht das Schicksal dieses<br />

Landes in deiner Hand. Wenn es möglich ist, daB<br />

ihr Büffel unterliegt, so geht dieses Schiff an uns<br />

über. Aber wenn unser Büffel unterliegt, dann<br />

geht unser Land in ihren Besitz über.«<br />

»Es ist gut«, erwiderte der Astrologe, »ich bitte<br />

um drei Tage Zeit.«<br />

Zu Hause angelangt, holte der Astrologe ein<br />

Büffelkalb, das gerade beim Saugen war. Er<br />

sperrte es in einen Stall und lieB es nicht mehr<br />

saugen. Dann fertigte er zwei Stücke Eisen an,<br />

die scharf waren, und band sie am Kopf des kleinen<br />

Büffels fest. Darauf sagte er zu allen Leuten:<br />

»Jagt alle Büffel auf diesem Grundstück<br />

weit fort nach dem Oberlauf!«<br />

Als dann drei Tage voll waren, versammelten sich<br />

die Leute auf der weiten Ebene, um zu sehen,<br />

wie die Büffel kampften. Als der Astrologe und<br />

der Herrscher dort ankamen, sagten sie: »Kein<br />

Mensch darf sich nahern, entfernt euch alle!«<br />

Als dann der groBe Büffel vom Schiff kam, band<br />

der Astrologe sein Büffelkalb los. Und als es den<br />

Büffel erblickte, strebte es sogleich in seine Nahe.<br />

Es dachte namlich, er sei vielleicht seine Mutter.<br />

Dort drangte es sich zwischen die Hinterbeine<br />

des mannlichen Büffels, weil es das Euter suchte.<br />

Wahrend es sich herandrangte, wurde das Hinterteil<br />

des Büffels vom scharf en Eisen gestochen.<br />

Desbalb sprang er sofort weg, weil er hinten<br />

ganz mit Wunden bedeckt war; denn das Kalb<br />

folgte ihm immer weiter, weil es fürchtete, daB<br />

seine (vermutliche) Mutter ihm davonlaufen<br />

wollte.<br />

Da rief die Menge: »Der Büffel vom Schiff hat<br />

verloren!«<br />

52


- Der S o m a n S o m a n - D a m o n 1<br />

und die Frau, die Reis stampfte<br />

£"s war einmal eine Frau, deren Mann war nach<br />

dem Festland gefahren, wahrend sie mit ihrem<br />

neugeborenen Kinde zurückblieb. Ihr Haus stand<br />

am Hang eines Hügels. Da ging die Mutter nach<br />

dem Stampfer, um Reis zu stampfen 2 . Ihr Kind<br />

lieB sie im Hause zurück; sie legte es in eine<br />

Wiege und wickelte es ein.<br />

Als die Sonne schon niedrig stand, hörte sie eine<br />

menschliche Stimme: «Stampfe weiter, denn es<br />

ist noch ein Kopf übrig! Siebe weiter, denn es<br />

ist noch ein Kinn übrig! Seihe weiter, denn es<br />

ist noch ein Ohr übrig!«<br />

Da dachte die Frau: ,Was haben' die Worte zu<br />

bedeuten?' Dann horchte sie gut hin. Als sie<br />

nichts mehr vernahm, eilte sie nach Hause, um<br />

nach ihrem Kinde zu sehen. Dort angekommen,<br />

blickte sie in die Wiege und sah Blut. Ihr Kind<br />

war schon völüg zerrissen und tot.<br />

Als der soman-soman-Damon das Gerausch ihrer<br />

Schritte vernahm, sprang er nach unten 3 . Sie<br />

erblickte einen sehr alten Mann, dessen Rücken<br />

gekrümmt und dessen Jacke rot gefarbt war.<br />

Da hub die Frau an zu schreien: »Hilfe, Hilfe!<br />

Ein Damon hat mein Kind gefressen!«<br />

Als andere Leute das horten, eilten sie herbei,<br />

und sie sahen, daB drinnen bereits Menschen<br />

versammelt waren. Als sie eintraten, horten sie<br />

dauernd die Stimme des Damonen, aber zu sehen<br />

war er nicht. Deshalb sprachen sie: »LaBt uns<br />

diese Frau mit ihrem toten Kinde zu uns nehmen!«<br />

Dann zündeten sie das Haus an, so daB<br />

es völüg abbrannte 4 . Als sie dann am folgenden<br />

Tage frühm<strong>org</strong>ens die Brandstatte aufsuchten,<br />

53


erblickten sie eine Wildkatze, die im Feuer verendet<br />

war.<br />

Da war es zu Ende.<br />

Der Mann, der seine Frau<br />

über alles liebte<br />

einem Lande gab es einmal ein Ehepaar;<br />

Mann und Frau liebten einander sehr von der<br />

Hochzeit an, bis sie mittleren Alters waren. Der<br />

Mann hing sehr an seiner Frau. Alles, worum<br />

seine Frau ihn bat, bes<strong>org</strong>te er, und mit Kleidern<br />

war es ebenso bestellt. In dem Lande war<br />

er der einzige, der seine Frau über alles liebte.<br />

Eines Nachts fragte ihn seine Frau: »Warum<br />

liebst du mich so sehr?«<br />

»Was nützt es, wenn ich es dir sage? Das heiBt<br />

eben, Mann und Frau zu sein; deshalb liebe ich<br />

dich. In diesem Lande gibt es keine, die schoner<br />

ist als du!«<br />

»Das sagst du jetzt! Aber wenn wir nachher gestorben<br />

sind, dann ist es mit der Liebe vorbei!<br />

Wie groB ist denn deine Liebe zu mir?«<br />

Da erwiderte ihr Mann: »Wenn du stirbst, folge<br />

ich dir in den Tod. Das kann ich dir versprechen!«<br />

Darauf wurden die beiden zartlich miteinander,<br />

und die Folge war, daB seine Frau guter Hoffnung<br />

wurde. Nach zehn Monaten kam das Kind<br />

zur Welt. Mutter und Kind starben bei der Geburt.<br />

Da hub der Mann zu wehklagen und zu<br />

zetern an, und er beweinte beide. Als man sie<br />

dann bestatten wollte, ging er mit. Nachdem sie<br />

der Erde anvertraut waren, erinnerte er sich des<br />

54


damaligen Gesprachs, das er mit seiner Frau geführt<br />

hatte.<br />

Da kamen Leute und sagten zu ihm: »Bist du<br />

verrückt? DaB du einer Toten folgen willst, ist<br />

Unsinn! Schamst du dich gar nicht? Kein Mann<br />

weint um seine Frau, und mit den Frauen ist es<br />

ebenso: stirbt ihr Mann, dann beweinen sie ihn<br />

auch nicht. Du gehst wirklich zu weit in deiner<br />

Liebe zu deiner Frau.« Dann kehrten alle,<br />

welche die Frau bestattet hatten, heim, und sie<br />

nahmen ihn mit nach Hause.<br />

Von dort kehrte er jedoch nach der Statte zurück,<br />

wo seine Frau begraben war. Tag und<br />

Nacht hielt er sich dort auf, und er war nicht<br />

imstande, zu essen.<br />

Nach sieben Tagen kam ein Alter, dessen Antlitz<br />

und dessen Kleidung weiB waren 1 . »Warum<br />

weinst du dauernd? Hast du deine Frau denn<br />

wirklich geliebt?«<br />

»Wenn sie leben dürfte, dann gabe ich einen Teil<br />

meiner eigenen Seele für sie hin!«<br />

Da sagte der Alte: »Wenn das wirklich wahr ist,<br />

dann schlieBe deine Augen!«<br />

Da schloB der Mann seine Augen, und als er sie<br />

wieder öffnete, saB seine Frau schon dort. Sie<br />

sagte: »Was du damals in jener Nacht gesagt<br />

hast, traf zu, lieber Mann!«<br />

»Wenn es nicht zutrafe, dann hatte ich es nicht<br />

gesagt! Und nun wollen wir nach Hause zurückkehren!«<br />

Als sie dort ankamen, und als man die bei der<br />

Geburt gestorbene Frau mit ihrem Mann kommen<br />

sah, sagten die Dorfleute: »Das sind die<br />

Geister der Gestorbenen!« Sie verfolgten und<br />

bekampften sie beide. »Geister seid ihr, Damonen<br />

seid ihr! Kommt nicht hierher!«<br />

55


Als sie in andere Hauser gingen, verfolgte man<br />

sie ebenfalls. Deshalb ergriffen sie die Flucht,<br />

aber man verfolgte sie mit Speeren. Als sich alle<br />

Dorfleute versammelt hatten, liefen die beiden<br />

auf die Brücke eines groBen Flusses. Da nel der<br />

Mann ins Wasser und ertrank; seine Frau kam<br />

ebenfalls dabei ums Leben.<br />

Weil ihre Seelen nun vereint waren 2 , trieben der<br />

Mann und die Frau nach der Spitze einer Landzunge<br />

in dem FluB ab. Dort verwesten beide;<br />

denn die Leute wollten die beiden Toten, die<br />

von der Brücke gefallen waren, nicht begraben 3 .<br />

Deshalb wurden sie beide zu Geistern, die zu<br />

allen Gebarenden gingen, um sie samt den Neugeborenen<br />

zu töten und mit sich zu führen.<br />

Da im ganzen sieben Frauen in diesem Land bei<br />

der Geburt ums Leben kamen, fürchten sich jetzt<br />

alle schwangeren Frauen vor dem Geist des<br />

Mannes, der seine Frau sehr liebte und deshalb<br />

ein Damon wurde. Bis jetzt dürfen daher Frauen,<br />

die eben ein Kind zur Welt gebracht haben, nicht<br />

allein zu Hause gelassen werden. Sie haben bis<br />

zu zweimal sieben Tagen eine Alte bei sich,<br />

welche die Abwehrmittel kennt 4 .<br />

Bis da geht diese Erzahlung. Die Leute sagen,<br />

daB diese Damonen sirabich tandjung-Vogel 5<br />

heiBen.<br />

Erzahlung von dem<br />

Pa'e-Damon<br />

Jn einem Lande leb ten einmal ein Mann und<br />

seine Frau; sie waren weder arm noch sehr<br />

wohlhabend. Aber ihr Leben war einigermafien<br />

ertraglich. Die Frau paBte ins Leben; denn arbeiten<br />

konnte sie, und alle Nahrungsmittel zuzubereiten<br />

verstand sie ebenfalls. Eines Tages<br />

56"


sprach sie nun zu ihrem Mann: »Höre du mal<br />

mit deinem Schlafen auf! Denn dies ist deine<br />

Beschaftigung: nachdem du gegessen hast, pflegst<br />

du zu schlafen. Kennst du kein anderes Mittel,<br />

um zu leben? Wenn ich aufhöre, mich zu rühren,<br />

dann ruht unsere Arbeit. Deshalb haben<br />

wir auch nichts zu erhoffen!«<br />

Da erwiderte ihr Mann: »Was tue ich? Wenn<br />

du arbeitest, dann arbeite ich auch! Was ist denn<br />

der Unterschied zwischen Mann und Frau?<br />

Deine Arbeit ist doch auch meine Arbeit!«<br />

Am folgenden Tage überlegte die Frau: ,Ich<br />

werde meinem Mann sagen, daB wir einen Garten<br />

anlegen wollen. Denn dann gibt es viel Arbeit,<br />

und er kann seine Augen nicht schlieBen.'<br />

Darauf weckte sie ihren Mann: »Stehe auf, es<br />

ist Abend!«<br />

Als ihr Mann sich erhob, sah er, daB die Sonne<br />

noch hoch stand. »Warum hast du mich geweckt,<br />

Frau?«<br />

Sie erwiderte ihm: »Wenn du willst, so haben<br />

wir etwas Schönes zu besprechen.«<br />

»Was denn?«<br />

»Wir wollen dort am Oberlauf im nahen Wald<br />

einen Garten anlegen!«<br />

»Gut«, sprach ihr Mann, »wir werden hingehen;<br />

aber ich fürchte den Pa'e! Der ist es, den ich<br />

auf dieser Welt fürchte, vor keinem anderen bin<br />

ich sonst angstlich!«<br />

Da sagte seine Frau: »Ich fürchte Pa'e nicht;<br />

denn er friBt keine Menschen, und wir horen<br />

nur seine Stimme!«<br />

Darauf gingen sie und ihr Mann zum Roden.<br />

Zuerst kappten sie das Gelande unten frei\ dann<br />

fallten sie groBe Baume, der Mann mit der Axt,<br />

57


seine Frau mit Beil und Haumesser. Nachdem<br />

das gerodete Gelande trocken war, brannten sie<br />

es ab. Dann pflanzten sie Reis, Mais und Gemüse<br />

aller Art, so daB alles vorhanden und ihr<br />

Leben angenehm war. Dann begann ihr Mann<br />

wieder wie damals jeden Tag zu schlafen. Am<br />

folgenden Tag schlief er, und am übernachsten<br />

Tage schlief er wieder.<br />

Deshalb sprach seine Frau: »Du schlafst den<br />

ganzen Tag. Du verstehst nicht, dich zu beschaftigen!«<br />

»Was habe ich denn zu tun?« fragte ihr Mann,<br />

»unser Garten dehnt sich bereits aus, und zu<br />

essen ist für uns da!« Dann lieB er sich wieder<br />

hinfallen und schlief, um sich dann zur Essenszeit<br />

zu erheben.<br />

Eines Tages verbarg sich seine Frau und rief:<br />

»Paaa'e!« Dreimal rief sie es, damit ihr Mann<br />

aufstünde.<br />

Als der Mann das hörte, sprang er hinab 2<br />

mit<br />

den Worten: »Pa'e friBt mich!« Eiligst ergrifï<br />

er die Flucht.<br />

Seine Frau folgte ihm. »Lauf nicht fort! Es ist<br />

nicht Pa'e, sondern ich bin es, ich!« Aber ihr<br />

Mann lief weiter mit geschlossenen Augen. Wieder<br />

um rief seine Frau: »Es ist nicht Pa'e, nicht<br />

Pa'e!«<br />

Er hörte es zwar, aber er lief weiter und erstieg<br />

einen hohen Berg. Er war schon halbtot und<br />

keuchte, denn er dachte, der Damon Pa'e setze<br />

ihm tatsachlich nach, wahrend er den sehr steilen<br />

Berg erklomm. Weil das Gelander lose war 3 ,<br />

rollte er bis an den FuB des Berges zurück.<br />

Wahrenddessen erreichte seine Frau ihn dort<br />

und sprach: »Du brauchst nicht zu sterben, denn<br />

du hast dich vor mir gefürchtet.«<br />

58


»Nicht vor dir habe ich mich gefürchtet, sondern<br />

vor dem Pa'e-Damon!«<br />

»Wie sehen denn die Pa'e-Damonen aus?«<br />

Er erwiderte: »Ihre Haare sind lang, und sie<br />

sind am ganzen Körper behaart. Ich weiB nicht,<br />

wie ich sie dir beschreiben soll.«<br />

Da machten sie sich auf den Heimweg. Als sie<br />

zu Hause ankamen, war es Nacht. Nun wollte<br />

er am Tage nicht mehr schlafen. Jeden Tag<br />

pflegte er von nun an zu arbeiten.<br />

Nach einiger Zeit war seine Frau gesegneten<br />

Leibes, und bald kam ein Madchen zur Welt. Es<br />

wuchs heran und war bereits heiratsfahig.<br />

Nun gab es auch einen armen Mann und dessen<br />

Frau, die kinderlos waren. Eines Tages sagte<br />

der Mann: »Wir haben weder Kinder noch Besitz.<br />

Wir nennen nichts unser eigen!«<br />

Da erwiderte die Frau: »Das ist unertraglich.<br />

Wenn wir doch unsere Vorfahren darum bitten<br />

könnten!« Wahrend sie und ihr Mann sich unterhielten,<br />

erblickten sie einen Leguan 4 . »Und<br />

wenn unser Kind wie ein Leguan aussehen<br />

würde, ware es auch gut!« Damit war ihre Unterhaltung<br />

beendet.<br />

Im Laufe der Zeit wurde die Frau des Armen<br />

guter Hoffnung. Als dann ein Knabe mit Leguangestalt<br />

zur Welt kam, sprach seine Frau:<br />

»Hiervon haben wir damals gesprochen! Bitten<br />

wir um Gutes, dann kommt auch Gutes; und<br />

bitten wir um Schlechtes, dann kommt auch<br />

Schlechtes! Mach dir deshalb keine Gewissensbisse!«<br />

Ihr Mann sprach: »Was kam, das gehort uns<br />

wenigstens!«<br />

59


Allmahlich wuchs der Leguan heran und hatte<br />

heiraten können, wenn er wie ein Mensch gewesen<br />

ware. Da sprach seine Mutter: »LaB uns<br />

eine Frau für unseren Sohn sucheii!«<br />

Ihr Mann entgegnete: »Wer mag denn schon die<br />

Gestalt des Leguans?«<br />

Seine Frau sagte zu ihm: »Die Kleinigkeit kann<br />

uns nichts ausmachen. Unseren Pflichten kommen<br />

wir nach! M<strong>org</strong>en werde ich die drei Madchen<br />

5<br />

fragen. Wenn sie wollen, ist es gut; wenn<br />

nicht, dann ist es auch gut!«<br />

Als der folgende Tag angebrochen war, machte<br />

sie sich auf den Weg. Dort angelangt, fragten<br />

die drei Frauen sie: «Was ist dein Begehren,<br />

Frau des Armen? Kamst du her, um kleine<br />

Reiskörner zu erbitten?«<br />

•»Ich bin hergekommen, um eine Frau für meinen<br />

einzigen Sohn zu suchen!« Dann wandte sie<br />

sich an die Mutter der drei Madchen mit den<br />

Worten: »Ich möchte, daB wir unsere Kinder<br />

miteinander verheiraten!«<br />

»Wie ist es, Kinder, möchtet ihr euch mit dem<br />

Sohn eurer Muhme 6<br />

verheiraten?«<br />

Da sprachen sie: »Mag sie sich mit ihm ver heiraten!<br />

Denn ihr Sohn ist ein Leguan, aber wir<br />

sind Kinder eines Angesehenen!« Darauf schlug<br />

eines der Madchen die Mutler des Leguans, so<br />

daB sie sich auf den Heimwog machte.<br />

Am folgenden Tage kam sie wieder, aber alle<br />

drei wollten sie nicht. Sie sagten: »Einen Leguan,<br />

den will sie uns zum Manne geben! Wenn<br />

du willst, so ist dort noch eine jüngere Schwester<br />

von uns. Nimm sie als Frau für deinen<br />

Sohn! Sie legt gerade einen Garten an. Es ist<br />

nachher auch gleich: die Frau des Leguans ist<br />

dann das Kind von Bauern!«<br />

60


Am nachsten Tage machte sie sich auf den Weg.<br />

Als sie dort ankam, sprach die Frau, die dabei<br />

war, einen Garten anzulegen: »Was ist dein Begehren?«<br />

»Ich bin hergekommen, um eine Frau für meinen<br />

Sohn namens Leguan zu erfragen. Zuerst<br />

fragte ich jene drei Frauen, aber sie schlugen<br />

mich und sagten: ,Geh heim! Wenn du willst,<br />

frage sie! Denn dort befindet sich eine jüngere<br />

Schwester von uns!' Das ist der Grund, daB ich<br />

hierhergekommen bin. Möchtest du dich mit<br />

meinem Sohne verheiraten?«<br />

Darauf sprach die Frau: »Wir treffen keine Auswahl<br />

unter den Bewohnern des Landes, ob Leguan,<br />

ob Mensch. Denn unser Los ist gleich.«<br />

Darauf verheiratete sie sich mit dem Leguan.<br />

Als es ihren alteren Schwestern zu Ohren kam,<br />

daB die jüngste geheiratet hatte 7 , da machten sie<br />

sie schlecht und brachten ihre Abscheu über die<br />

Heirat mit dem Leguan zum Ausdruck: »Sie ist<br />

unsere Schwester, und wir sind angesehene<br />

Leute in diesem Lande. Aber offenbar schamt<br />

sie sich nicht!«<br />

Drei Tage, nachdem sich der Leguan und das<br />

Menschenkind verheiratet hatten, ging der Leguan<br />

am M<strong>org</strong>en nach dem FluBufer. Seine Frau<br />

blieb zu Hause. Dort angelangt, entledigte er<br />

sich seiner haBlichen Haut und war wie ein<br />

Menschenkind. Und er war von sehr schoner<br />

Gestalt. Da kam seine Frau, die ihm nach dem<br />

FluBufer gefolgt war. Dort erblickte sie einen<br />

jungen Mann von sehr schönem Aussehen. Da<br />

dachte sie: ,Anscheinend ist der Leguan ein<br />

Mensch geworden!' Als sie dann sah, daB sich<br />

die abgestreifte Haut des Leguans am Ufer befand,<br />

nahm sie diese mit nach Hause, um sie zu<br />

61


verbrennen. Da wurde das, was sie ins Haus<br />

mitgenommen hatte, zu Geschirr; und das, was<br />

sie unter das Haus gelegt hatte, wurde zu Gefiügel,<br />

Ziegen und allerlei.<br />

Als ihr Mann dann zurückkehrte, sagte er:<br />

»Zwei Tage noch sei meine Haut vorhanden!«<br />

Am folgenden Tage vernahmen die drei Frauen<br />

hiervon, und sie sagten: «Wenn unsere Mutter<br />

es damals gewollt hatte, dann hatten wir uns<br />

mit dem zum Menschen gewordenen Leguan<br />

verheiratet.«<br />

Eine nach der anderen kam so an. SchlieBlich<br />

gerieten sie miteinander in Streit: »Damals hast<br />

du die Mutter des Leguans geschlagen! Deshalb<br />

ist sie weinend nach Hause gegangen.«<br />

Sie bereuten es bereits. Und deshalb machten<br />

sie sich am folgenden Tage auf den Weg. Sie<br />

nahmen EBbares mit; denn sie wollten ihre jüngere<br />

Schwester mit Gift umbringen. Als sie<br />

dort ankamen, sprach der Leguan: »IB nicht und<br />

kaue nicht den Betel 8 , den unsere alteren Schwestern<br />

mitgebracht haben; denn sonst wirst du<br />

sterben!« Der Leguan wuBte namlich, was sie<br />

nicht sah. Darauf kehrten ihre alteren Schwestern<br />

heim. Obwohl sie alle Listen anwandten,<br />

vermochten sie nicht, ihre Schwester umzubringen.<br />

Eines Tages sprach der Leguan: »Wenn du<br />

willst, dann laB uns unsere alteren Schwestern<br />

verheiraten, damit sie nicht mehr eifersüchtig<br />

auf dich sind!«<br />

»Es ist gut«, erwiderte seine Frau.<br />

»M<strong>org</strong>en wollen wir zu ihnen auf Besuch gehen!<br />

Wenn wir dort ankommen, gib ihnen drei Zitronen!<br />

Die reifste gib der Altesten, die halbreife<br />

62


gib der Mittleren, und die grüne gib der Jungen!<br />

Dann sag zu ihnen: ,Das hier ist ein Haarwaschmittel<br />

für euch, Schwestern! Wenn ihr<br />

heiraten wollt, dann wascht m<strong>org</strong>en euer Haar<br />

damit im groBen FluB! SchlieBt euere Augen,<br />

und stürzt euch dann alle drei hinein!'«<br />

»Es ist gut«, erwiderten ihre alteren Schwestern.<br />

Und am folgenden Tage gingen sie zum<br />

Baden. Nachdem sie am FluB angekommen<br />

waren, wuschen sie ihre Haare und stürzten sich<br />

in den FluB. Als sie auftauchten, erblickten sie<br />

am Ufer drei Manner. Das waren ihre Gatten.<br />

Von nun an waren sie nicht mehr eifersüchtig<br />

auf ihre jüngere Schwester.<br />

Die Alten sagten: »SüBes koste, aber Schlechtes<br />

brich nicht aus!« (das heiBt: wenn man Angenehmes<br />

haben will, so muB man auch Unangenehmes<br />

mit in Kauf nehmen). So sagten früher<br />

die Alten.<br />

Erzahlung von den Rotansuchern<br />

£s waren einmal vier bis fünf Rotansucher, die<br />

zum Rotansuchen nach einem grofien Berg gingen.<br />

Wahrend sie rasteten, sahen sie einen<br />

Baumstamm liegen, der an beiden Enden eine<br />

Öfïnung hatte. Sie bemerkten, daB sich am Eingang<br />

der einen öffnung ein Kindlein befand.<br />

Deshalb gingen die Leute hin und versperrten<br />

die beiden Stammenden. Dann machten sie von<br />

oben her eine öffnung und ergriffen das Kindlein.<br />

Und da sahen sie, daB die Haare an seinem<br />

Körper sehr lang waren. Ein Teil war wie Vogelfedern,<br />

aber die Haare waren dünn gesat.<br />

Dann nahmen sie es mit in ihr Dorf.<br />

63


Dort gaben sie ihm Reisbrei zu essen; aber es<br />

wollte ihn nicht zu sich nehmen. Darauf gaben<br />

sie ihm Früchte und Holzwürmer zu essen. Denn<br />

sie sagten sich: ,Dies ist ein Waldmensch. LaBt<br />

uns ihm deshalb Früchte zu essen geben, damit<br />

er am Leben bleibt!'<br />

Als dann seine Mutter erschien, bemerkten sie,<br />

daB sie wie ihr Kind aussah; sie hatte Haare<br />

und Flügel. Ferner sahen sie, daB ihre Gestalt<br />

anscheinend wie die von Menschen war. SchlieBlich<br />

wollte sie jedoch nicht wiederkommen, weil<br />

man sie hinderte und mit Speeren nach ihr warf.<br />

Als das Kind dann fortlaufen wollte, siedelten<br />

sie es nach einem anderen Ort um, der weit<br />

vom Waldesrand entfernt war.<br />

Im Laufe der Zeit verschwanden seine langen<br />

Körperhaare, und es sah wie die Menschen in<br />

jenem Ort aus. Nachdem es erwachsen war, verheirateten<br />

sie es mit einem Manne aus der Ortschaft.<br />

Er hatte dort Kinder. Als das Kind des<br />

Waldmenschen zur Welt kam, sah es wie ein<br />

Erdenbewohner aus, aber es vermag uns nicht<br />

scharf anzusehen, wenn wir einander in die<br />

Augen blieken. Das ist namlich das Kennzeichen<br />

dafür, daB es ein Waldbewohner ist. So ist es<br />

bis heute.<br />

64


VERWANDLUNGS-<br />

UND ANDERE MARCHEN<br />

Ein Verstorbener<br />

wird ein Wildschwein<br />

instmals starb ein<br />

junger verheirateter<br />

Mann. Nachdem<br />

er verschieden<br />

war, badete<br />

man seinen Körper<br />

und hüllte<br />

ihn in Leichentücher<br />

1 . Darauf<br />

wurde er bestattet.<br />

Dann kehrten<br />

alle Leute ins Sterbehaus zurück. Sie hielten dort<br />

den Leichenschmaus sowie die Gedenkfeiern am<br />

dritten, fünften und siebenten Tage nach seinem<br />

Tode ab 1 . Darauf begaben sie sich nach dem<br />

Grabe, um zu beten. Dort angekommen, sahen<br />

sie, daB das Grab eine öffnung von der GröBe<br />

eines Topfes hatte. Die Geschwister des Verstorbenen<br />

schüttelten den Kopf und schütteten<br />

die Graböffnung zu. Dann kehrten sie heim.<br />

Als am folgenden Tage ein Mann vorüberging,<br />

sah er, daB die Graböffnung, die sie am Vortage<br />

zugeschüttet hatten, schon wieder da war. Deshalb<br />

ging er zu den Eltern des Verstorbenen und<br />

erstattete ihnen Bericht. Nachdem die Sonne<br />

sehr niedrig stand, machten sie sich auf den Weg<br />

* 65


vind beobachteten das Grab von einem Baurawipfel<br />

aus. Sie behielten dauernd die nahere<br />

Umgebung des Grabes im Auge. Als dann ein<br />

Wildschwein aus der Öffnung zum Vorschein<br />

kam, sprachen sie: »Das ist es, welches die Löcher<br />

in das Grab grabt!«<br />

Da richtete es sich auf dem Grabe auf, und dann<br />

begab es sich wieder ins Loch hinein. Nachdem<br />

das Wildschwein ins Grab zurückgekehrt war,<br />

machten sich die Leute auf den Heimweg.<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en kamen Leute und sagten:<br />

»Jenes Wildschwein sehen wir jeden Tag im Gestrüpp<br />

am Rande des Pamantjungan-Berges 2 .<br />

Allem Anschein nach halt sich das Wildschwein<br />

bei ihm auf!« Darauf riefen sie Leute, um mit<br />

Hunden Jagd darauf zu machen.<br />

Als sie das Wildschwein fanden, verfolgten sie<br />

es mit ihren Hunden. Aber obwohl es nur eben<br />

im Gestrüpp verb<strong>org</strong>en war, sahen sie es nicht.<br />

Deshaib sagten sie: »Dieses Wildschwein ist von<br />

Damonen besessen. Es ist auch wahr, daB es ein<br />

Spukwildschwein ist, wie man früher sagte.<br />

Denn wenn nur ein wenig Krüppelholz da ist,<br />

kann es schon verschwinden!« Die mit Hunden<br />

jagenden Leute kehrten dann heim.<br />

Da sprach ein Mann: «Ruft einen groBen Kundigen<br />

3 , der es versteht, jenen Damon zu vertreiben,<br />

damit wir seiner habhaft werden können!<br />

LaBt uns ihn töten, weil die Leute im Dorf alle<br />

vor ihm Angst haben!« Darauf riefen sie den<br />

groBen Kundigen, der »Vater des Rumpun 4 «<br />

hieB.<br />

Er kam und zeichnete Figuren auf das Grab 5 . Er<br />

bewegte sich nicht, sondern verhielt sich ganz<br />

ruhig Dann begannen die Leute mit Hunden<br />

zu jagen. Allmahlich fanden sie das Spukwildschwein<br />

auch; denn es konnte nicht mehr ver-<br />

66


schwinden. Wahrenddessen kamen sehr viele<br />

Leute und warfen mit Speeren und Lanzen nach<br />

ihm. Da es sich nicht mehr verbergen konnte,<br />

starb es. Darauf holten sie dann trockene Blatter<br />

und verbrannten das Wildschwein, das sie<br />

soeben getötet hatten. Dann sprachen sie: »Wir<br />

haben keine Angst mehr, wenn wir in der Nahe<br />

dieses Grabes umhergehen!« Und alle Leute<br />

waren dem «Vater des Rumpun« von Herzen<br />

dankbar.<br />

Als sie am folgenden M<strong>org</strong>en eine Katze an<br />

Stelle des toten Wildschweines erblickten, sprachen<br />

sie: »Es stimmt doch, daB es ein Spukwildschwein<br />

war!«<br />

Der Mann, der ein Specht wurde<br />

cAm Ort gab es einmal einen Mann, der Hauser<br />

und Boote anfertigen konnte. Fast alle Gegenstande<br />

verstand er herzustellen. Auf fast allen<br />

Gebieten fand er sich zurecht. Ein groBer Handwerker<br />

im Dorfe zu sein, war sein Beruf. Hier<br />

und dort Hauser zu bauen, war seine Arbeit.<br />

Aber er kam nicht dazu, eine Arbeit für sich<br />

selbst in Angriff zu nehmen. SchlieBlich ging<br />

er doch daran, Holz für ein eigenes Haus zu<br />

schlagen. Als er es dann in einen Schuppen gelegt<br />

hatte, kamen Leute und ersuchten ihn,<br />

Schuten und Boote zu bauen. Immer wieder ging<br />

es so. Deshalb wurde von dem Baumaterial für<br />

sein eigenes Haus im Schuppen ein Stück nach<br />

dem andern morsch; denn er konnte nicht zu<br />

einem schonen Haus für sich selbst kommen.<br />

Eines Tages hatte er gerade ein Boot gebaut. Da<br />

sprachen Leute in einem bewohnten Hause:<br />

»Was kann er eigentlich nicht anfertigen? Alles<br />

kann er!« Dann kam einer und sagte: »Das ist<br />

5' 67


zwar wahr, aber er selbst besitzt keinen Bau, der<br />

wie ein Haus aussieht. Er haust in einer Hütte.<br />

Denn den Unrat der anderen wascht er ab, aber<br />

seinen eigenen Unrat wischt er nur ab. Hauser<br />

für andere baut er, aber für sein eigenes Haus<br />

langt es nicht.«<br />

Wahrenddessen ging der Handwerker vorbei.<br />

Als er die Worte jenes Menschen hörte, schamte<br />

er sich sehr. Er spürte das Verlangen, den Mann<br />

umzubringen. Dann kehrte er jedoch nach Hause<br />

zurück.<br />

Am folgenden Tage begab er sich in den Wald<br />

mit den Worten: »Ich will Holz suchen. Gib mir<br />

deshalb Essen, Frau!« Nachdem er gegessen<br />

hatte, ging er fort und kam inmitten der Berge<br />

des Urwaldes an. Als er sich der Worte vom<br />

Vortage erinnerte, überkam ihn Scham, und er<br />

sprach: »Jetzt kann ich nicht einmal mehr einem<br />

Hunde in die Augen sehen 1 . Möge ich deshalb<br />

spurlos in diesem Walde verschwinden, o Ahnen,<br />

die ihr dieses Land behütet 2 !«<br />

Als er seine Augen wieder öffnete, hatte er Flügel.<br />

Er war ein Vogel geworden, dessen Jacke<br />

schwarz und dessen Weste weiB war. Das sind<br />

seine Kennzeichen. Und seine Beschaftigung ist<br />

es heute, Löcher in die Baume zu schlagen und<br />

jeden Tag zu hammern, als ob er ein Boot anfertige.<br />

Seine Kopfbedeckung ist eine rote<br />

Mütze.<br />

Ein Menschenkopf<br />

wird zur Kokospalme<br />

£s war einmal ein Mann, der zwei Söhne namens<br />

Rahim und Rachman 1<br />

besaB. Eines Tages<br />

starb ihr Vater, so daB die beiden Brüder hinterblieben.<br />

Nachdem ihr Vater verschieden war,<br />

68


kamen alle Leute des Ortes, um die Schulden<br />

ihres Vaters einzufordern. Denn als er noch am<br />

Leben war, befand sich viel Besitz anderer Leute<br />

in seinen Handen. Deshalb gaben die beiden alle<br />

seine hinterlassenen Besitztümer als Bezahlung<br />

für die Schulden des Verstorbenen hin. Haus<br />

und Hof waren dahin, bevor die Schulden des<br />

Verstorbenen alle bezahlt waren.<br />

Eines Nachts sprach dann der altere Bruder:<br />

»Viele von den Schulden unseres Vaters sind<br />

noch unbezahlt. Wenn wir sie nicht begleichen,<br />

ist unser Vater belastet. Denn die Leute in diesem<br />

Ort schwatzen immer weiter über ihn.«<br />

Da sagte sein jüngerer Bruder: »Aber was sollen<br />

wir den Leuten denn als Bezahlung dafür<br />

geben?«<br />

»Eine innere Stimme sagt mir, daB wir fliehen<br />

sollen, damit man uns nicht findet!«<br />

»Es ist gut«, waren die Worte seines jüngeren<br />

Bruders.<br />

Darauf gingen sie fort. Nacht für Nacht waren<br />

sie im Walde unterwegs, wo keine Leute gingen.<br />

Lebensmittel hatten sie sich mitgenommen.<br />

Nach ihrer Ankunft in der Mitte des Urwaldes<br />

begannen sie zu roden und den Urwald zu lichten.<br />

Dann sprach der jüngere Bruder: »Was können<br />

wir hier nun pnanzen?«<br />

Sein alterer Bruder erwiderte: »Ist Land vorhanden,<br />

dann sind auch Pnanzen da; sind Menschen<br />

da, dann gibt es auch Nahrung für sie!«<br />

Als es dann Nacht war, da hatte der altere Bruder<br />

einen Traum. Es kam ein Alter in weiBer<br />

Kleidung 2 und sprach: »Seid nicht angstlich<br />

wegen der Schulden eueres Vaters! Was dir<br />

deine innere Stimme sagt, das führe aus!« Als<br />

Rahim dann am folgenden M<strong>org</strong>en erwachte,<br />

69


dachte er bei sich: ,Meine innere Stimme sagt<br />

mir, daB ich jetzt sterben möchte. Denn wenn<br />

ich am Leben bleibe, so kommen die Leute, um<br />

zu mahnen.' Und er sprach zu Rachman: »Töte<br />

mich jetzt, andernfalls töte ich dich!«<br />

Da erwiderte er: » I c h will nicht sterben! Wenn<br />

du willst, stirb d u !«<br />

Alsdann sprach der altere Bruder: »LaB uns eine<br />

Grube graben! Und nachher durchschneide mir<br />

den Hals!«<br />

Sie machten sich dann auf den Weg und hoben<br />

eine Grube aus. Dann legte sich der altere Bruder<br />

hinein mit den Worten: »Los! Und begrabe<br />

meinen Kopf nachher dort!«<br />

Darauf nahm der jüngere Bruder sein Haumesser<br />

und holte zum Schlage aus, um seinem Bruder<br />

den Kopf abzuschlagen. Dreimal wich er dabei<br />

zurück. Denn er vermochte es nicht über<br />

sich zu bringen, seinem alteren Bruder dsn Kopf<br />

abzuschlagen. Und als er dann wirklich zuschlug,<br />

war der Kopf ab. Da nahm er ihn und<br />

begrub ihn an der Stelle, die sein Bruder angewiesen<br />

hatte. Darauf bedeckte er den Körper<br />

seines alteren Bruders mit Erde und ging heim.<br />

Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitete<br />

er bei einem Manne in jenem Lande; aber<br />

jenes Erlebnis verheimlichte er ihm.<br />

Nach einiger Zeit, nach zwei bis drei Jahren,<br />

suchte er seinen und seines alteren Bruders damaligen<br />

Platz wieder auf. Er sah, daB sich an<br />

der Statte, wo der Kopf seines Bruders begraben<br />

war, ein Baum befand. Da sagte er: »Wie heiBt<br />

der? Solch einen habe ich noch niemals gesehen.<br />

Das, was heruntergefallen ist, hat Augen und<br />

wachst bereits in groBer Menge!« Dann nahm<br />

er eine Frucht und trank deren Wasser und aB<br />

70


deren Fleisch. Darauf nahm er die Früchte anderswohin<br />

mit, wo er viele davon pflanzte. Dann<br />

kehrte er nach dem Wohnort seines Vaters zurück.<br />

Er nahm eine ganz schwere Schulterlast<br />

von jenen Früchten mit. Schwer beladen dort<br />

angekommen, begab er sich zu einer Gruppe von<br />

Leuten und fragte: »Wie heiBen diese Früchte<br />

hier?«<br />

Sie erwiderten: »Diese Frucht sehen wir heute<br />

zum ersten Male!«<br />

Als er jedem von ihnen eine Frucht gab, tranken<br />

und aBen sie deren Inhalt, der sehr süB war. Da<br />

sprach ein Mann: »Allem Anschein nach heiBt<br />

derartiges ,Kopf' (ulu); denn es sieht wie ein<br />

Kopf (ulu) aus. Das weiB ich davon!«<br />

Und die Umstehenden sagten: »So heiBt es!«<br />

Allmahlich kamen auch andere Leute und meinten:<br />

«LaBt uns ihm den schonen Namen u (KokosnuB)<br />

geben! Denn wenn wir ihn ulu nennen,<br />

so bezeichnet das den Kopf eines Menschen. Jetzt<br />

geben wir ihm daher den Namen u!« Diesen und<br />

noch viele andere Namen gaben sie dieser Frucht.<br />

Als dann die Leute, welche die Schulden seines<br />

Vaters forderten, davon horten, kamen sie und<br />

sprachen: »Für hundert Gulden Schulden deines<br />

Vaters bezahle hundert von diesen u-Früchten!«<br />

Und die Schulden seines Vaters wurden<br />

auf diese Weise alle beglichen, weil er sie mit<br />

den Früchten aus dem Kopfe seines alteren Bruders<br />

bezahlte. Darauf pflanzte er alle Baume,<br />

die dort wuchsen, aus, und so wurden die Baume<br />

aus dem Kopf seines Bruders weit verbreitet<br />

und sehr zahlreich.<br />

Und bis jetzt sagen die Leute, die Kokosnüsse<br />

pflanzen: «Andere nicht Rahims und Rachmans<br />

Worte!« Sie weichen auch dreimal beim Gehen<br />

zurück, wenn sie die Kokosnüsse pflanzen.<br />

li


Die Prinzessin,<br />

die ein Durian-Baum 1<br />

wurde<br />

£ s war einmal eine Prinzessin Sao-Sao, die<br />

Tochter eines Fürsten in jenem Lande. Als sie<br />

heiratsfahig war, kam ein Fürstensohn und hielt<br />

um ihre Hand an; denn er wollte sich mit der<br />

Prinzessin Sao-Sao vermahlen.<br />

Da sprach der Fürst: »Warum nicht? Du darfst<br />

meine Tochter heiraten!«<br />

Darauf sagte der fremde Fürstensohn: »Hier ist<br />

das Geld, eintausend Gulden, als Zeichen dafür,<br />

daB diese Prinzessin meine Gattin wird, und als<br />

Unterpfand für Euer und mein Wort, mein<br />

Fürst 2 .« Dann gab er ihm das Geld.<br />

Bald kam noch ein Fürstensohn, der ebenfalls<br />

die Prinzessin Sao-Sao heiraten wollte. Deshalb<br />

sprach er zu dem Fürsten: »Ich möchte mich mit<br />

Eurer Tochter, der Prinzessin Sao-Sao, vermahlen,<br />

mein Fürst!«<br />

Der Fürst erwiderte: »Das ist richtig. Denn du<br />

bist ein Fürstenkind und die Prinzessin gleichfalls!«<br />

Darauf überreichte der Fürstensohn ihm das<br />

Zeichen dafür, daB er und die Prinzessin verlobt<br />

waren.<br />

Der Fürst nahm auch dies Geld an und sagte:<br />

»Wenn ein Jahr verstrichen ist, komm her, damit<br />

ich euch verheirate!«<br />

Dann kamen noch andere Fürstensöhne. Bis zu<br />

zehn waren es, die sich mit Prinzessin Sao-Sao<br />

vermahlen wollten. »Bis dahin kann viel geschehen«,<br />

sagte der Fürst, »wenn es so weit ist,<br />

kommt, damit ich euch vermahlek<br />

Als die Prinzessin erfuhr, daB sie verlobt war,<br />

und daB die Anzahl ihrer Verlobten bis zu zehn<br />

72


Manner betrug, da sprach sie bei sich: ,Es ware<br />

besser, ich stürbe jetzt; denn dann ware ich<br />

glücklich!' Vor Kummer mochte die Prinzessin<br />

wirklich nicht mehr essen, und sie magerte ab.<br />

Deshalb sprach der Fürst zu einer alten Frau:<br />

»Geh doch und frage Prinzessin Sao-Sao, weshalb<br />

sie nicht mehr herunterkommt zum Baden;<br />

was sie bekümmert, ob sie keine Kleider oder<br />

ob sie nichts zu essen hat!«<br />

Als die Alte hinging und die Prinzessin fragte,<br />

sprach diese: »Es fehlt an nichts, meine Kleider<br />

genügen vollauf. Das, worüber ich bekümmert<br />

bin, ist nur, daB mein Vater bis zu zehn Manner<br />

gebeten hat, sich mit mir zu vermahlen. Alles<br />

sei möglich, sagt mein Vater. Nur deshalb bin<br />

ich bekümmert!«<br />

Als die Frau dem Fürsten die Antwort seiner<br />

Tochter mitteilte, sprach er: »Wenn die fremden<br />

Fürstensöhne auf der Heirat bestehen, so will<br />

ich Krieg mit ihnen führen. Wenn es nur das<br />

ist, so habe ich keine Furcht. Ein Jahr lang halte<br />

ich einen Krieg durch; denn ich habe viel Besitz,<br />

und meine Untertanen sind auch zahlreich. Alles,<br />

was sie wollen, das will ich auch.«<br />

Indessen war die Prinzessin weiterhin bekümmert,<br />

weil sie dauernd die Worte ihres Vaters<br />

hörte, daB er das Land zugrunderichten wollte.<br />

Deshalb fuhr die Prinzessin fort, Tag und Nacht<br />

zu weinen. Eines Nachts sprach sie dann: »0<br />

Gott, o Herr! Wenn es wahr ist, daB ich eine<br />

Fürstentochter, die Prinzessin Sao-Sao, und<br />

Nachkomme meiner Ahnen bin, so möge ich<br />

einen Ausweg finden, damit ich von dieser Qual<br />

erlöst werde :l !« Darauf hatte die Prinzessin einen<br />

Traum. Es kam ein Alter und sprach: »Bete zum<br />

Herrn, Prinzessin, damit du von dieser Qual erlöst<br />

wirst! Bitte Gott, daB du ein Baum werden<br />

73


mögest, den die Leute in diesem Lande noch nie<br />

gesehen haben!« Als sie erwachte, erinnerte sie<br />

sich ihres Traumes. Und als dann ein günstiger<br />

Tag, ein Freitag" kam, sprach die Prinzessin zu<br />

ih rer Dienerin: «Wenn ich verschwunden bin, so<br />

sucht mich nicht anderswo! Denn es kommt nachher<br />

ein Freitag, und was dann mitten auf diesem<br />

Hof wachst, das pflegt und zaunt spater ein!<br />

Und wenn der Baum nachher Früchte tragt, so<br />

gebt sie jenen zehn Fürstensöhnen als Ersatz für<br />

die Heirat!«<br />

Als sie sahen, daB die Prinzessin nicht da war,<br />

sprach der Fürst: »Sucht die Prinzessin! Wo<br />

ist sie?«<br />

Da sprach die Dienerin: «Man suche nicht nach<br />

ihr, mein Fürst! Denn die Prinzessin sagte: ,Wenn<br />

nachher ein Freitag kommt, dann wird zu sehen<br />

sein, daB auf diesem Hof ein Baum wachst. Den<br />

pflegt, und zaunt ihn spiiter ein!'«<br />

Der Fürst erwiderte: »Gut denn! Aber wenn<br />

nachher kein Baum vorhanden ist, dann bringe<br />

ich dich um!«<br />

Als ein Freitag kam, sahen sie, daB dort ein<br />

Baum von sehr schönem Aussehen gewachsen<br />

war, dessen Stamm schnell groB wurde. Allmahlich<br />

trug er Früchte mit stacheliger Schale.<br />

Da sprach der Fürst'. »Die Worte der Dienerin<br />

stimmen doch!«<br />

Und diese sagte: «Mein Fürst, wenn die Früchte<br />

dieses Baumes abfallen, dann rufe man die zehn<br />

Fürstensöhne und gebe sie ihnen! Sie mogen<br />

dann jeder eine essen!«<br />

Als die Früchte des Baumes abfielen. kamen die<br />

Fürstensöhne auch. Der Fürst erklarte ihnen:<br />

«Jetzt verheirate ich euch mit meiner Tochter,<br />

74


der Prinzessin Sao-Sao!« Dann übergab er ihnen<br />

die Früchte, und sie nahmen sie auch an.<br />

Sie waren sehr zufrieden; denn diese Früchte<br />

waren sehr wohlriechend. »Seit Generationen<br />

haben wir so etwas noch niemals gesehen!« Als<br />

sie dann die Früchte spalteten, schmeckten sie<br />

sehr süfi; es gab nichts anderes derart SüBes.<br />

Darauf sagten die Fürstensöhne: »Wir alle sind<br />

zufriedengestellt, weil in Erfüllung gegangen<br />

ist, daB wir uns mit Eurer Tochter vermahlten,<br />

o Fürst! Was nun jene eintausend Gulden betrifft,<br />

so verzehrt sie, wenn Ihr am Leben bleibt,<br />

oder sie seien für Euren Leichenschmaus 5 , wenn<br />

Ihr sterbt!« Darauf gaben sie jenen Früchten<br />

den Namen turian 6 . Dann verabschiedeten sie<br />

sich alle von dem Fürsten und wünschten ihm<br />

alles Gute.<br />

Bis da geht diese Erzahlung. Die Prinzessin Sao-<br />

Sao veranlaBte, daB die Fürstensöhne die Kerne<br />

der Durian-Früchte, die sie gegessen hatten, mitnahmen.<br />

Und seitdem gibt es viele Durian-<br />

Baume in jenem Lande.<br />

Zwei Geschwister<br />

zu Steinen<br />

werden<br />

einem Dorfe gab es einmal zwei Kinder, einen<br />

Jungen und ein Madchen, die gingen jeden Tag<br />

zum Angeln an den FluB. Wenn es tagte, rief<br />

der Junge seine Schwester: »Komm doch her,<br />

wir wollen angeln! Trag du den Korb für unsere<br />

Fische!«<br />

Eines Tages hatten sie viele ganz groBe Fische<br />

gefangen; denn sie bissen an dem Tag gut an, so<br />

daB der Korb sie nicht mehr zu fassen ver-<br />

75


mochte. Deshalb füllten sie die alabol-Fische in<br />

einen anderen Korb um.<br />

Gegen Mittag sagte die Schwester: »Wir wollen<br />

heimgehen, Bruder!«<br />

Er antwortete: »Noch nicht, denn die Fische bei-<br />

Ben gerade gut an!«<br />

Als es gegen ein Uhr war 1 , sprach das Madchen:<br />

»Wir wollen heimgehen, Bruder!«<br />

»Noch nicht, denn die Fische sind sehr zahlreich!«<br />

Als dann ein lebo'-lebo'-Fisch 2<br />

anbiB, zog<br />

er ihn an Land. Er nahm ihn und warf ihn seiner<br />

Schwester zu. Dabei traf er ihre Scham.<br />

Sofort kamen ein Bütz und ein lauter Donner.<br />

Als sie beide deshalb fortliefen, nel ein Donnerstein<br />

vom Himmel und traf sie beide, so daB sie<br />

starben und zu Steinen wurden. Das sahen<br />

Leute, die sich dort ganz in der Nahe aufhielten.<br />

Wahrenddessen sagten die Eltern der beiden<br />

Kinder: »Der Donner war sehr laut, wahrscheinlich<br />

hat es eingeschlagen!« Dann warteten und<br />

warteten sie, aber ihre beiden Kinder kamen<br />

nicht. Da machten sie sich den FluB entlang auf<br />

die Suche nach ihnen. Als sie dort ankamen und<br />

zwei Steine erblickten, sagten sie: »Woher kommen<br />

diese Steine? Früher war hier nichts von<br />

ihnen zu sehen!« Darauf gingen er und seine<br />

Frau weiter. Als sie jemandem begegneten,<br />

fragten sie ihn: »Hast du unsere Kinder gesehen?«<br />

Er antwortete: »Vorhin habe ich zwei Kinder<br />

wahrend des lauten Donners fortlaufen sehen.<br />

Und als der Donner vorüber war, erblickte ich<br />

zwei Steine an der Stelle, wo die beiden liefen.«<br />

Da wehklagten die Eltern der beiden Kinder.<br />

»Das sind unsere Kinder, die wir über alles lieben!<br />

Der Donnerstein ist auf sie niedergefah-<br />

76


en!« Sie weinten heftig. SchlieBlich kamen alle<br />

ihre Familienangehörigen aus dem Dorfe. Sie<br />

waren bestürzt, als sie die Donnersteine erblickten.<br />

»Wenn es so ist, dürfen wir auf keinen Fall nach<br />

unseren Schwestern werfen. Es ist strengstens<br />

verboten, weil sonst Unheil entsteht.«<br />

Darauf sagte der Mann, der die Kinder hatte<br />

fortlaufen sehen: »Wenn es so ist, dann laBt eure<br />

Kinder beim Donner nicht fortlaufen!«<br />

SchlieBlich sprach ein sehr alter Mann: »Madchen,<br />

die noch keine Kleidung tragen, binde man<br />

ein Schamplattchen 3<br />

um, damit ihre Scham nicht<br />

immer zu sehen ist!« Deshalb tragen kleine<br />

Madchen bis jetzt ein Schamplattchen.<br />

Eine Mutter verflucht<br />

ihren Sohn<br />

£7anz früher gab es einmal eine Frau, die einen<br />

Sohn besaB, der, als er noch sehr klein war, mit<br />

fremden Leuten nach dem Festland 1<br />

segelte. Dort<br />

entlohnten sie ihn mit einem Gulden, und dann<br />

kehrte das Boot der Leute zurück. E r blieb jedoch<br />

auf dem Festland. Der Sohn pflegte seinen<br />

Unterhalt mit dem Bau von Booten zum Angeln<br />

zu verdienen. Im Laufe der Zeit wurde er immer<br />

reicher, so daB er SchlieBlich viel Geld besaB<br />

und sich ein Schiff kaufen konnte. Als groBer<br />

Kapitan fuhr er hierher nach der Landschaft<br />

Tepa, um Handel zu treiben. Seine Waren bestanden<br />

aus Stoffen in Ballen, Tabak, Gambir 2<br />

und noch vielem anderen sowie Glasperlen und<br />

Glöckchen in vielerlei Arten und Sorten. SchlieBlich<br />

kam sein Schiff hier an, und es ankerte dort<br />

im Osten 3 . Da kamen die Leute aufs Schiff, um<br />

Stoffe zu kaufen.<br />

77


Bald hörte auch seine Mutter, daB das Schiff<br />

ihres Sohnes vom Festland gekommen war. Deshalb<br />

bereitete sie Reisbrei, Reiskuchen und mancherlei<br />

anderes und machte sich auf den Weg<br />

nach dem Schiff ihres Sohnes. Dort angelangt,<br />

sprach sie: »Bist du endlich gekommen, lieber<br />

Sohn? Sehr lange hast du dich in der Fremde<br />

aufgehalten, mein Kind!«<br />

Da sagte der Kapitan: »Wie kommt diese alte<br />

Frau dazu, zu sagen, ich sei ihr Sohn? Denn<br />

meine Mutter ist damals gestorben. Sie lügt!«<br />

»Wehe dir, mein Sohn, daB du mich verleugnest!<br />

Sage nicht, ich sei nicht deine Mutter! Denn es<br />

ist noch nicht so lange her, daB du in die Fremde<br />

gezogen bist, und schon hast du mich vergessen!<br />

Oder ist der Grund darin zu suchen, daB du reich<br />

geworden bist?«<br />

Der Kapitan erwiderte: »Rede nicht soviel, geh<br />

nur zurück an Land; denn du redest Unsinn!«<br />

Da begann seine Mutter zu weinen, weil sie<br />

traurig war, und sagte: »Du hast Gott verleugnet,<br />

du verleugnest den Propheten, und du verleugnest<br />

deine Eltern! Mag es denn so sein! Was<br />

kann ich dabei tun, mein Sohn? Weil du zu<br />

Reichtum gelangt bist, glaubst du dich in den<br />

Himmel gehoben, aber die Erde, auf der du<br />

schreitest, ist hart! Es sei denn, mein Sohn! Jetzt<br />

gehe ich fort. Hier ist ein wenig Essen für dich,<br />

das ich dir mitgebracht habe!«<br />

Darauf reichte sie es ihrem Sohn. Aber der nahm<br />

es nicht an, sondern stieB es mit der FuBspitze<br />

fort, so daB es dort überall verstreut war. Als er<br />

Reisbrei, Reiskuchen und gekochte Krebse sah,<br />

sprach er: »Diese Krebse sind gekrümmt und gerötet!«<br />

Da sagte seine Mutter: »Möge dich Gott auf diesem<br />

Meere vernichten! Mögest du von der Welt<br />

78


Beginn bis zum Jüngsten Tag unglücklich sein"!»<br />

Alsdann erhob seine Mutter die Hande und<br />

kehrte ihre Handfiachen nach unten mit den<br />

Worten: »Möge Gott der Höchste dich augenblicklich<br />

untergehen lassen! Möge dich der Donner<br />

rühren!«<br />

Da versank das Schiff und wurde mitsamt den<br />

Leuten und der gesamten Ladung zu Stein. Und<br />

die Mutter wurde ebenfalls zu Stein.<br />

Das Krokodilsei,<br />

aus dem ein Mensch entstand<br />

Z s war einmal ein Mann, der pflegte jeden Tag<br />

zu fischen. Tag für Tag tat er nichts anderes, als<br />

auf den Fischfang zu fahren. Obgleich er bereits<br />

sehr viele Fische besafi, fuhr er fort zu fischen.<br />

Eines Tages war er zum Fischen ans Meer gegangen,<br />

aber er fing nicht einen Fisch. Mittags<br />

warf er sein Wurfnetz nochmals aus. Als er zog,<br />

war es unmóglich, es zu heben; er zog wieder,<br />

aber wiederum war es unmöglich. Da tauchte er<br />

nach seinem Wurfnetz und sah, daB es am Boden<br />

an einem Haufen Krokodilseiern festgehakt<br />

war 1 . Deshalb dachte er: ,Die Krokodilseier<br />

haben mein Wurfnetz festgehalten!' Er nahm<br />

das obenliegende Krokodilsei mit; denn er sagte<br />

sich: ,Gibt es auch keine Fische, so ist doch nachher<br />

ein Krokodilsei als Spielzeug für mein Kind<br />

vorhanden. Wenn ich damit zu Hause ankomme,<br />

wird sich mein Kind darüber freuen!' Alsdann<br />

kehrte er heim. Das Krokedilsei nahm er mit<br />

und legte es zu seinem Kind in die Wiege.<br />

Da fragte ihn seine Frau: »Wo sind deine Fische?<br />

Den ganzen Tag hast du gefischt, und nicht einen<br />

Fisch hast du mir mitgebracht!«<br />

79


»Sind auch keine Fische da, so habe ich doch ein<br />

Ei als Spielzeug für den Kleinen gefunden!«<br />

Nachts begaben sich die Eheleute zur Ruhe, und<br />

das Ei befand sich in der Wiege ihres Kindes.<br />

Als der Tag angebrochen war, sahen sie, daB<br />

zwei Kinder in der Wiege lagen. Ihre GröBe und<br />

ihr Aussehen waren gleich, so daB sie das Menschen-<br />

und das Krokodilskind nicht herausfinden<br />

konnten. Da sagte der Mann: » I c h freue mich,<br />

daB aus meinem Kind zwei Kinder geworden<br />

sind!«<br />

Und seine Frau sprach: »Ich freue mich auch!«<br />

Aber innerlich war die Frau nicht zufrieden.<br />

Tagaus tagein dachte sie: ,Welches mag mein<br />

Kind und weiehes mag das Krokodilskind sein?<br />

Ich möchte mein Kind kennen!«<br />

Eines Nachts hatte die Frau einen Traum. Es<br />

kam ein Alter: »Weshalb du immer traurig bist,<br />

ist wegen deines Kindes. Ich weiB es: das, dessen<br />

Knochen stark sind, ist das Krokodilskind.«<br />

Als sie erwachte, erinnerte sie sich ihres Traumes,<br />

und sie teilte ihn ihrem Manne mit.<br />

Dieser erwiderte: »Es ist gut!«<br />

Dann befahlen sie ihren Kindern, zu laufen:<br />

»Lieblinge, lauft! Wer von euch beiden ist am<br />

schnellsten?«<br />

Und die Kinder liefen los. Das Krokodilskind<br />

war immer voran, und das Menschenkind blieb<br />

stets zurück. Als sie ihnen befahlen, zu ringen,<br />

war das Krokodilskind starker.<br />

Da sagte der Mann: »Dieses da, welches weniger<br />

Kr aft besitzt, ist dein Kind; und dieses starkknochige<br />

ist das Krokodilskind!« Nun waren sie<br />

zufrieden.<br />

Aber die Frau war es im Grunde noch immer<br />

nicht ganz. Deshalb sprach sie eines Tages zu<br />

SO


ihrem Mann: »Nimm die Kleinen mit an den<br />

Strand und laB sie dort tauchen! Und wenn du<br />

nach Hause zurückkehrst, dann teile mir mit,<br />

welches das starkere und welches das schwachere<br />

beim Tauchen war!«<br />

Am Strand angelangt, lieB er beide Kinder tauchen.<br />

Und das Menschenkind kam schnell hoch,<br />

aber das Krokodilskind tauchte nicht wieder auf,<br />

wenn es nicht herausgehoben wurde; denn es<br />

pflegte sich am Meeresgrunde festzuhalten.<br />

Nachdem der Mann mit seinen Kindern zurückgekehrt<br />

war, sagte er zu seiner Frau: »Das ist<br />

das Krokodilskind, und dies ist dein eigenes<br />

Kind!«<br />

Da war die Frau zufrieden, weil sie nun ihr eigenes<br />

Kind und das Krokodilskind kannte. Denn<br />

das sind die Zeichen des Krokodils- und des<br />

Menschenkindes. Bis jetzt noch ist ein Mensch,<br />

der kraftig tauchen kann, ein Mensch aus einem<br />

Krokodilsei. Er besitzt starke Knochen.<br />

Polambana und die Affen<br />

«?n einem Lande waren die Leute gerade dabei,<br />

Reis auf den Feldern zu pflanzen 1 . Da sahen sie,<br />

daB jeden Tag sehr viele weiBe Fischreiher<br />

kamen und die frischen Reispflanzen niedertraten,<br />

so daB sie umknickten und alle abstarben.<br />

Denn die Fischreiher suchten sich auf den frisch<br />

bepflanzten Reisfeldern Nahrung. Sie fressen<br />

namlich junge sawalil lantja-Fische 2 , Würmer<br />

aller Art und Heuschrecken. Jeden M<strong>org</strong>en<br />

kamen die Fischreiher, und abends flogen sie<br />

wieder nach dem Westen. So geschah es Tag<br />

für Tag. Die Reispflanzen aber fielen um und<br />

starben ab.<br />

SI


Eines Tages sprach deshalb der Herr jenes Landes:<br />

»Die Fischreiher vernichten unsere Reispflanzen<br />

völlig. An einem M<strong>org</strong>en treten sie ein<br />

ganzes Reisfeld nieder. Ich will deshalb demjenigen<br />

von euch, der die Vogel töten oder weit<br />

fortjagen kann, nach der Ernte Reis geben. Und<br />

ihr, meine Untertanen, sollt dasselbe tun!«<br />

»Wir wollen nachher nach der Ernte jeder einen<br />

Scheffel Reis geben!«<br />

In jenem Lande gab es nun einen Mann namens<br />

Polambana, der allein mit seiner Mutter war.<br />

Wahrend er am Tage ruhte, dachte er bei sich:<br />

,Könnte ich doch alle Fischreiher töten oder sie<br />

alle weit fortjagen! Könnte ich doch einen von<br />

ihnen als schönes Spielzeug fangen!' Dann nahm<br />

er ein Stück morschen Stamm und legte ihn an<br />

den Rand eines Reisfeldes.<br />

Als am folgenden Tage die Fischreiher kamen,<br />

lieBen sie sich auf dem Stamm nieder, den Polambana<br />

hingelegt hatte. Abends flogen sie dann<br />

alle wieder fort. Dann holte Polambana Kokosund<br />

Pinangpalmen-Blatter 3<br />

und legte sie auf<br />

den Stamm. Als die vielen Reiher am folgenden<br />

Tage wiederkamen und sich auf den Blattern<br />

niederlieBen, da dachte er: ,M<strong>org</strong>en lege ich<br />

mich unter diese Blatter!'<br />

Frühm<strong>org</strong>ens, als es noch dunkel war, begab er<br />

sich dorthin. Er verbarg sich s<strong>org</strong>faltig unter<br />

den Blattern und bewegte sich nicht.<br />

Nach einer Weile kamen die Reiher und lieBen<br />

sich auf dem verdeckten Stamm nieder. Da<br />

sprach der eine Reiher: «Vielleicht ist es ein<br />

Stamm, vielleicht befindet sich jedoch auch ein<br />

Mensch darunter.«<br />

Da umklammerte Polambana das Bein des sprechenden<br />

Reihers, und die anderen flogen er-<br />

82


schrocken davon. Polambana sprach: »Einen von<br />

euch Reihern habe ich nun gefangen. Wenn ihr<br />

wieder hierher kommt, fange ich euch alle!« Alsdann<br />

kehrte er nach Hause zurück. Dort fertigte<br />

er einen Kafig für seinen Reiher an.<br />

Da vernahm der Herrscher des Landes, daB Polambana<br />

einen Reiher gefangen hatte. Als der<br />

folgende Tag anbrach und sie sahen, daB die vielen<br />

Reiher nicht wiederkamen, sagten die Leute:<br />

»Wenn ich es gewuBt hatte, hatte ich sie auch<br />

wie Polambana mit List fangen können!«<br />

Aber da sprach der Herrscher: »Wenn ihr es<br />

verstanden hattet, dann würdet ihr sie gefangen<br />

haben. Aber es zu sagen ist leicht, es zu tun<br />

jedoch schwierig! Und nun gebt Polambana nach<br />

der Ernte jeder einen Scheffel Reis!«<br />

Mittlerweile starb Polambanas Mutter. Da nahm<br />

er seinen Reiherkafig und setzte ihn auf den<br />

Dachfirst, damit er nicht gestohlen würde; denn<br />

Polambana pflegte jeden Tag Leute zu besuchen.<br />

M<strong>org</strong>ens ging er fort, und abends kehrte er heim.<br />

Als er nun eines Tages wieder nach Hause kam,<br />

entdeckte er dort zugedeckten Reisbrei. Da<br />

dachte er: ,Woher stammt dieser Reisbrei? Wer<br />

hat ihn gekocht?' Er wollte ihn jedoch nicht<br />

essen; denn er meinte, er sei vergiftet, damit<br />

man nach seinem Tode seinen Vogel wegnehmen<br />

könne. Deshalb kochte er sich selber Reis. Nach<br />

dem Essen ging er wieder spazieren. Als er am<br />

folgenden Tage zurückkam und wiederum Reisbrei<br />

da war, da machte er sich Gedanken. Und<br />

er legte sich an einer versteckten Stelle neben<br />

seinem Haus auf die Lauer.<br />

Abends sah er eine Frau vom Dachboden herunterkommen<br />

und in die Küche gehen. Sie war<br />

sehr schön, es gab keine ihresgleichen im ganzen<br />

Land. Da dachte er bei sich: ,Woher kommt<br />

6* 83


diese Frau?' Dann ging er ganz leise auf den<br />

Dachboden, wahrend die Frau dabei war, Essen<br />

zu kochen. Er sah, daB sich sein Reiher nicht<br />

mehr im Kafig befand, sondern nur noch dessen<br />

Federn. Diese nahm er mit nach unten und<br />

verbrannte sie.<br />

Da sprang die Frau auf ihn zu mit den Worten:<br />

»M<strong>org</strong>en oder überm<strong>org</strong>en verbrenne meine<br />

Federn 4 !«<br />

Da wurden die Federn, die Polambana verbrannt<br />

hatte, zu Hühnern, Enten und Vögeln<br />

aller Art. Als sie dann zu plaudern begannen,<br />

sprach die Frau: »Die Leute in diesem Lande<br />

kennen sehr viele Listen!«<br />

Polambana sagte: »Woher kommt ihr? Wo befindet<br />

sich eure Heimat?«<br />

»Unsere Heimat ist dort, wo die Sonne untergeht.<br />

Wir kommen hierher, um uns Nahrung zu<br />

suchen. Wenn wir fortgehen, gibt uns unsere<br />

Mutter Flügel, damit wir ferne Lander aufsuchen<br />

können und dort zu essen fmden!«<br />

So vermehrte sich Polambanas Besitz. Er war<br />

fast so wohlhabend wie ein Reicher.<br />

Im Laufe der Zeit zog Polambana mit seiner<br />

Frau an den Waldrand nach dem Oberlauf 5 . Dort<br />

bauten sie sich eine Wohnung. Nach einiger Zeit<br />

kam eine Herde Affen, deren Anführer ein<br />

Brüllaffe 6<br />

war.<br />

Wenn Polambana nicht zu Hause war, ging der<br />

Brüllaffe zu der Frau und sprach: »LaB uns heiraten,<br />

Frau! Wenn du nicht willst, zermalme ich<br />

dich. Ich besitze viele Untertanen, und ich bin<br />

ihr Fürst!«<br />

Da erwiderte die Frau: »Mein Mann Polambana<br />

kennt sehr viele Listen, so daB wir ihm nicht<br />

S4


widerstehen können. AuBerdem ist er unverwundbar.«<br />

»Wenn er sich mit mir einlaBt, dann drücke ich<br />

ihn tot!«<br />

Die Frau fuhr fort: »LaB uns ihn nicht so ohne<br />

weiteres töten, sondern laB uns ihn vergiften!«<br />

»Was für ein Gift wollen wir denn verwenden?«<br />

»Bananen und gekochten Klebreis 7<br />

wollen wir<br />

ihm zu essen geben. Damit können wir ihn töten.«<br />

Der Brüllaffe sprach: »Das werden meine Unter<br />

tanen suchen!«<br />

Und die Affen machten sich auf den Weg und<br />

stahlen reife Bananen und Reis. Sie verjagten<br />

Frauen, die gerade beim Reisstampfen waren,<br />

und nahmen den erbeuteten Reis mit zu Polambanas<br />

Frau.<br />

Diese sagte: »Wenn ihr m<strong>org</strong>en herkommt, ist<br />

Polambana tot!« Zu ihrem Mann sprach sie:<br />

»Ich habe mit dem Brüllaffen vereinbart, daB<br />

wir dich mit reifen Bananen und Klebreis umbringen!«<br />

»Gut! Decke mich m<strong>org</strong>en mit einem Tuch zu<br />

und beginne dann laut zu weinen, damit sie alle<br />

hier hereinkommen! Nachher werde ich aufstehen<br />

und sie alle töten, damit sie uns nicht<br />

mehr belastigen und alle Pflanzen vernichten!<br />

Wenn das nicht das Mittel ist, sie umzubringen,<br />

dann werden wir die vielen Affen nicht los!«<br />

Als die Affen am folgenden M<strong>org</strong>en kamen, hub<br />

die Frau zu weinen an: »Uu, uu, Polambana ist<br />

gestorben!« Da waren die Affen froh. Die Frau<br />

befahl ihnen: »Bringt Badewasser für Polambana<br />

8 ; denn er ist gestorben!« Nachdem sie sehr<br />

viel Wasser geholt hatten, sagte die Frau:<br />

»Kommt alle hier herein! Ich gehe eben hinaus,<br />

um mir ein Tuch zu holen!«<br />

85


Und die Afren, groB und klein, gingen ins Haus,<br />

um sich den toten Polambana anzusehen. Aber<br />

eine trachtige Affin blieb drauBen auf dem Dach.<br />

Alsdann schloB die Frau den Hauseingang ab,<br />

so daB die Affen nicht hinauslaufen konnten.<br />

Da rief die Affin, die drauBen auf dem Dach<br />

saB: «Polambanas Augen öffnen sich!«<br />

Da stand Polambana auf und zerhackte die Affen<br />

mit seinem Schwert. Alle mitsamt dem Brüllaffen;<br />

nur die Affin auf dem Dach blieb am Leben<br />

und suchte das Weite.<br />

Der Mann und seine Frau aber trugen alle<br />

Affenleichen hinaus und wuschen das Blut im<br />

Hause mit dem Wasser weg, das die Affen selber<br />

geholt hatten. Fortan waren Polambana und<br />

seine Frau glücklich, weil ihnen niemand mehr<br />

etwas zuleide tat. Und nun gediehen auch die<br />

Pflanzen auf dem Acker.<br />

Als die Leute davon horten, waren sie ebenfalls<br />

froh und sagten: «Polambana kennt doch wirklich<br />

viele Listen! Was uns unmöglich ist, das vermag<br />

er zu vollbringen.«<br />

Die trachtige Affin aber, die in den Wald geflohen<br />

war, gebar dort ein mannliches Junges.<br />

Damit ist die Geschichte von Polambana und den<br />

Affen zu Ende.<br />

Die Kuh mit den drei Töchtern<br />

einer Landzunge war einmal eine Kuh,<br />

die sich in einer groBen Felsgrotte aufzuhalten<br />

pflegte. Abend für Abend kehrte sie dorthin<br />

zurück. Nach einiger Zeit nahm ihr Leib an Umfang<br />

zu, und bald brachte sie drei Tochter zur<br />

Welt, die sehr schön waren. Als sie bemerkte,<br />

daB die Neugeborenen nicht wie sie selbst aus-<br />

86


sahen, dachte sie: ,So sehen Menschen aus!' Dann<br />

holte die Kuh Gras und Blatter als Nahrung für<br />

ihre Tochter, aber diese wollten sie nicht essen.<br />

Deshalb machte sie sich auf die Suche nach<br />

Früchten, die von Menschen gegessen werden.<br />

Tagaus tagein holte sie alles das, was die Leute<br />

im Dorf aflen, als Nahrung für ihre Tochter. Einmal<br />

sprach sie zu ihnen: «Meine Tochter, jeden<br />

Tag gehe ich fort, um euch Nahrung zu holen.<br />

Wenn ich euch nicht beim Namen rufe, dann<br />

öffnet die Tür nicht! Wenn ich jedoch sage, .Prinzessin<br />

Opang, Prinzessin Dawango, Prinzessin<br />

Taringae ati', dann öffnet!«<br />

»Gut!« erwiderten ihre drei Tochter.<br />

Wahrenddessen kamen drei Manner, um die Kuh<br />

zu belauschen und um festzustellen, weshalb sie<br />

jeden Tag in die Felsgrotte zurückkehrte, und<br />

was sie dort vorhatte. So horten sie das Gesprach<br />

zwischen der Kuh und ihren Töchtern.<br />

Nachdem sie auf Nahrungssuche gegangen war,<br />

gingen die drei Manner nach der Grotte und riefen:<br />

«Prinzessin Opang, Prinzessin Dawango,<br />

Prinzessin Taringae ati, öffnet die Tür!« Als<br />

die Madchen geöffnet hatten, gingen die Manner<br />

hinein, und jeder von ihnen nahm sich eine<br />

Frau mit. In ihrem Wohnort angelangt, heirateten<br />

sie. Zu den Leuten sagten sie: »Es sind<br />

Menschenkinder, die wir aus einem anderen<br />

Lande mitgebracht haben.«<br />

Als die Kuh am Abend heimkehrte, sah sie, daB<br />

die Grottentür offen stand. Und als sie bemerkte,<br />

daB ihre Tochter nicht da waren, raste<br />

sie, bis sie ihren Körper an den Steinen wundgestoBen<br />

hatte. Alsdann machte sie sich auf die<br />

Suche nach ihren verschwundenen Töchtern.<br />

Im Laufe der Zeit entdeckte sie diese; denn sie<br />

hatte ihre Tochter noch nicht vergessen. Die<br />

87


eine war mit einem begüterten, die andere mit<br />

einem einigermaBen reichen und die dritte, die<br />

jüngste, mit einem armen Mann in jenem Dorf<br />

verheiratet. Als sie ihre alteste Tochter aufsuchte,<br />

war sie gerade dabei, Reis zu trocknen.<br />

»Kennst du mich, meine Tochter?« fragte ihre<br />

Mutter.<br />

»Wie kommt die Kuh dazu, zu sagen, ich sei<br />

ihre Tochter?«<br />

Ihre Mutter erwiderte: »Ich bin deine Mutter,<br />

die groBe Kuh! Wir wohnten damals in der gro­<br />

Ben Felsgrotte. Du heiBt Prinzessin Opang, deine<br />

jüngere Schwester ist Prinzessin Dawango, und<br />

die jüngste Prinzessin Taringae ati.«<br />

Da schlug die Tochter ihre Mutter mit einem<br />

Bambus, bis sie weinend die Flucht ergriff. Als<br />

sie dann ihre zweitalteste Tochter fand und<br />

ebenso zu ihr sprach, schlug diese die Kuh mit<br />

einem Reisstampfer. »Du bist nicht meine Mutter!<br />

Wer weiB, wie die Kuh dazu kommt, zu<br />

sagen, ich sei ihre Tochter! Denn ich habe noch<br />

niemals gesehen, daB die Jungen einer Kuh<br />

Menschen sind.«<br />

Darauf begab sich die Kuh zu ihrer jüngsten<br />

Tochter. Als sie dort ankam, war diese gerade<br />

dabei, Reis auf dem Felde zu ernten. Als die<br />

Kuh sie fragte, »Kennst du mich, meine Tochter?«<br />

erwiderte diese: »Ich kenne dich, liebe<br />

Mutter; denn wir stammen aus der groBen Felsgrotte.<br />

Haben wir einander jetzt endlich wieder<br />

gefunden?«<br />

Da begannen beide zu weinen. Und als der<br />

Mann der Kuhtochter kam, nahm er sie mit<br />

nach Hause. Dort gaben sie der Kuh Essen und<br />

Arznei.<br />

88


Nach einiger Zeit teilte sie ihren Schwestern<br />

mit: » Unsere Mutter ist zu mir gekommen. Sie<br />

ist sehr krank.«<br />

Da sprachen sie: »Du erweckst den Eindruck, als<br />

ob du dich nicht vor den Leuten schamst. Denn<br />

nun wird man sagen, wir seien die Tochter einer<br />

Kuh. Wir wissen auch, daB sie unsere Mutter<br />

ist, aber wir sagen, sie sei es nicht. Schamst du<br />

dich nicht, wenn man dich für die Tochter einer<br />

Kuh halt?«<br />

Die jüngere erwiderte: »Mag es so sein! Ich<br />

werde nicht sagen, ich sei das Kind eines Menschen;<br />

denn soviel ich weiB, sind wir die Tochter<br />

einer Kuh!« Dann kehrte sie nach Hause<br />

zurück.<br />

Darauf sprach ihre Mutter: »Ich bin sehr krank,<br />

mein Kind! Wenn ich sterbe, dann nimm meine<br />

Augen heraus und pflanze sie auf den Hof vor<br />

deinem Haus!«<br />

Als ihre Mutter gestorben war und sie es ihren<br />

Schwestern mitteilte, sagten sie: »Mag die Kuh<br />

tot sein, denn sie war nicht unsere Mutter!«<br />

Da nahm sie die Augen ihrer Mutter und pflanzte<br />

sie mitten auf den Hof ihres Hauses. Die Kuh<br />

begruben sie auBerhalb des Zaunes.<br />

Nach sieben Tagen wuchs ein sehr schoner Baum<br />

an der Stelle, wo die Augen ihrer Mutter begraben<br />

waren. Es gab keinen derartigen Baum<br />

im ganzen Land. Und als er BlStter bekam,<br />

waren die des einen Zweiges Gold, die Blatter<br />

eines anderen waren Stoff, und ein Zweig trug<br />

nur Teller und Schüsseln. Das waren die Früchte<br />

des Baumes, der aus den Augen ihrer Mutter<br />

entstanden war.<br />

Da kamen ihre alteren Schwestern, die hiervon<br />

gehort hatten, und sagten: »Du bist jetzt reich<br />

geworden durch die Augen<br />

89


»Ich hindere euch nicht, wenn ihr davon nehmt!«<br />

Darauf nahmen ihre alteren Schwestern davon<br />

mit. Als sie zu Hause angelangt waren, war das<br />

Gold zu Stein, und waren die Kleider zu Blattern<br />

geworden. Aber die jüngste Schwester und<br />

ihr Mann, der arm gewesen war, wurden reich.<br />

Da kamen die Leute aus dem Dorf und sprachen:<br />

»In Zukunft laBt uns die Eltern nicht vergessen!<br />

Wenn wir Kuhkinder sind, so laBt uns<br />

das eingestehen, und wenn wir Menschenkinder<br />

sind, dann wollen wir das auch zugeben!«<br />

Der Mann, der dauernd angelte<br />

J-n einem Dorf gab es einmal einen Mann, der<br />

standig angelte; Tag und Nacht war das seine<br />

Beschaftigung. Nachts ging er ans Meer 1 , und<br />

am Tage angelte er am FluBufer. Sein Haus<br />

faBte die Fische schon nicht mehr, weil er jeden<br />

Tag angelte.<br />

Deshalb sagte seine Frau: »Du tust nichts anderes,<br />

als immer nur angeln. Was hast du nur für<br />

einen Nutzen davon? Denn du hast schon sehr<br />

viele Fische gefangen!«<br />

»Was verstehst denn d u davon? Für mich ist<br />

es das, was mein Herz begehrt; das Angeln bereitet<br />

mir Vergnügen. So haben wir Fische zum<br />

Verkaufen und auch zum Essen. Deshalb angle<br />

ich immer.«<br />

Eines Tages ging er zum Angeln an einen kurzen<br />

Bach. Als ein alabol-larodon-Fisch 2<br />

angebissen<br />

hatte, warf er ihn in seinen Korb. Dann<br />

wartete und wartete er, aber es bissen keine<br />

Fische mehr an seinen Angelhaken an. Deshalb<br />

kehrte er heim.<br />

Als er den Vordergarten seines Hauses 3<br />

erreicht<br />

hatte, kam sein Töchterchen, das so groB war,<br />

90


daB es schon Kleidung trug", und fragte: »Hast<br />

du viele Fische gefangen, Vater?«<br />

»Einen alabol-Fisch!«<br />

Als er ihn mit ins Haus nehmen wollte, fragte<br />

es seinen Vater: »Darf ich mit diesem alabol-<br />

Fisch spielen?«<br />

»Sicher!« antwortete er.<br />

Da nahm es den Fisch und tat ihn in eine Schüssel<br />

mit Wasser, damit er nicht stürbe. Als es<br />

zwei Körner vom Reisbrei nahm und sie dem<br />

Fisch zu fressen gab, verzehrte er diese auch.<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en sah es, daB der alabol-<br />

Fisch groB geworden war. Da nahm es eine Fingerspitze<br />

voll Reisbrei 5<br />

und tat ihn als Futter<br />

für seinen Fisch in die Schüssel. Nachdem der<br />

Fisch noch gröBer geworden war, tat es ihn aus<br />

der Schüssel in einen Büffeltümpel. Als er weiter<br />

Tag für Tag an GröBe zunahm, trug es ihn<br />

in einen Bach, und SchlieBlich brachte es ihn in<br />

einen FluB. Es gab seinem alabol-Fisch Reisbrei,<br />

gestampften Reis und alles was es fand, zu<br />

fressen.<br />

Dann starb der Vater, und im Laufe der Zeit<br />

segnete auch die Mutter das Zeitliche, so daB die<br />

Tochter allein auf der Welt blieb. SchlieBlich<br />

waren der ungeschalte und der geschalte Reis<br />

sowie die Ziegen, Hühner und Büffel verbraucht,<br />

weil sie alles dem alabol-Fisch zu fressen gegeben<br />

hatte. Deshalb war er auch so groB wie<br />

ein riesiger tauhao-Stamm 6 .<br />

Als sie eines Tages ohne Nahrung zu ihrem<br />

Fisch kam, sprach dieser: »Wo ist das Essen, das<br />

du mir mitgebracht hast?«<br />

»Die Vorrate meines Vaters sind schon alle verbraucht,<br />

weil ich sie dir zu fressen gegeben habe.<br />

Geh nun und suche dir anderswo Nahrung!«<br />

91


Da erwiderte der Fisch: »Wenn du keine Nahrung<br />

für mich hast, dann komm her, damit ich<br />

dich verschlinge!«<br />

Als das Madchen dann auf den Kopf des Fisches<br />

sprang, sagte der alabol: »Ich fresse dich, Maden<br />

en!«<br />

»Gut, friB mich nur, lieber alabol; denn ich<br />

fürchte mich nicht vor dir, habe ich dich doch<br />

von klein auf groBgemacht! Wenn du mich jetzt<br />

friBt, verfluche ich dich, so daB du zu Staub<br />

wirst. Viel von dem Besitz meines Vaters befindet<br />

sich in deinem Bauch, und ich bin es<br />

durchaus müde, dir jeden Tag Nahrung zu bringen!«<br />

»Wenn es sich so verhalt, kann ich dich unmöglich<br />

fressen. Wir beide wollen deshalb einen<br />

gerechten Richter aufsuchen. LaB uns nach dem<br />

Oberlauf gehen!« Alsdann gingen sie den FluBlauf<br />

hinauf.<br />

Als sie einer treibenden Bananenstaude begegneten,<br />

sagte der alabol-Fisch: »Wir bitten dich<br />

um ein Urteil!«<br />

Die Bananenstaude erwiderte: »Die Menschen<br />

sind immer so. Ich war sehr schön und stattlich;<br />

aber da kamen Leute und schlugen mich<br />

ab. Deshalb friB das Madchen sofort!«<br />

Und als sie nach dem Oberlauf weitergingen,<br />

trafen sie einen treibenden Baumstamm. Wiederum<br />

sprach der Fisch: »Wir bitten dich um<br />

ein Urteil!«<br />

Der Baumstamm antwortete: »Verschlinge das<br />

Madchen sofort; denn alle Leute in diesem Lande<br />

sind so. Ich stand auf dem Festland. Da warfen<br />

sie mich in den FluB und beschmutzten mich.«<br />

Weiter fluBaufwarts begegneten sie einem Krebs.<br />

»Wir bitten dich um ein Urteil, Bruder Krebs!«<br />

92


Der Krebs entgegnete: »Wenn du das Madchen<br />

nicht friBt, fresse ich es! Denn die Menschen<br />

sind voller Listen. Uns ködern sie zuerst, und<br />

dann fangen sie uns 7 . Ihre Beschaftigung ist es,<br />

uns FluBinsassen zu überlisten. Aber dort am<br />

Oberlauf dieses Flusses gibt es einen Fürsten.<br />

Bittet ihn um ein Urteil!«<br />

Sie machten sich sofort auf den Weg. Als sie<br />

dort ankamen, war der Fürst gerade am FluBufer,<br />

wo er immer zu baden pflegte.<br />

Da sprach der Mensch: »Was ist mit dir, alabol-<br />

Fisch, daB du ein Madchen auf dem Kopf hast?«<br />

Der Fisch erwiderte: »Wir bitten Euch, den<br />

Herrn dieses Flusses, um ein gerechtes Urteil!«<br />

Der Fürst erwiderte: »Wenn ihr es befolgen<br />

wollt, sage ich es; wenn nicht, dann sage ich es<br />

nicht!«<br />

Darauf ging der Fürst an Land und sprach bei<br />

sich: ,Diese Frau ist sehr schön. Wenn der alabol-Fisch<br />

sie friBt, bin ich sehr traurig, weil ich<br />

dann das Antlitz dieser Frau nicht mehr erblikken<br />

kann. Denn in meinem ganzen Reich bin<br />

ich noch niemals einer Frau von derartiger<br />

Schönheit begegnet.' Dann sagte der Fürst zum<br />

Fisch: »Befolgt alle beide, was ich euch nun<br />

sage!« Zum alabol-Fisch sprach er dann: »Wenn<br />

ich ,du...' sage, friB sie!« Und zur Frau sagte<br />

er: »Wenn ich sage ,spr ...' dann springe!«<br />

Als der Fürst dann »du...« zum alabol-Fisch<br />

sagte, sprang die Frau sofort an Land 8 . Der<br />

Fisch schnappte auch zu, aber in sein Maul geriet<br />

Wasser.<br />

Da sagte der Fürst: »Das Urteil ist gefallt. Warum<br />

hast du das Madchen nicht gefressen? Ich<br />

habe doch ,du...' gesagt! Jetzt hast du keine<br />

Gelegenheit mehr dazu; denn nun gehort diese<br />

93


Frau mir. Und jetzt geh heim! Wenn du es nicht<br />

tust, töte ich dich!« Darauf nahm der Fürst die<br />

Frau mit sich.<br />

Dort zu Hause sagte sie: »Wenn du nicht gewesen<br />

warst, dann ware ich bereits tot, weil mich<br />

der groBe alabol-Fisch gefressen hatte. Deshalb<br />

will ich mich jetzt mit dir vermahlen. Das soll<br />

die Belohnung dafür sein, die ich dir, o Fürst,<br />

zuteil werden lasse!« Dann heirateten der Fürst<br />

und die Frau einander.<br />

Ein Mann aus jenem Lande bemerkte dazu:<br />

»Was dem Fürsten gehort, kann nicht dem Untertan<br />

zukommen. So war es auch mit der Frau<br />

und dem alabol-Fisch. LaBt uns Menschen in<br />

diesem Lande stets dessen eingedenk sein!«<br />

Bis da geht diese Erzahlung. Die Atjeher 9<br />

sagen<br />

folgendermaBen: »Das Glück des Tigers geht an<br />

das Krokodil über.«<br />

Das Madchen und die Riesenm<br />

ü c k e n<br />

,?n einem Lande am Oberlauf eines Flusses war<br />

einmal ein Fürst, der sehr viele Untertanen<br />

hatte. Weil sie Felder angelegt und Reis darauf<br />

gepflanzt hatten, gab es viele Lebensmittel in<br />

dem Lande. Im Laufe der Zeit kam eine Riesenmücke,<br />

die sich auf die Menschen dort setzte,<br />

so daB einige von ihnen sogar starben. Deshalb<br />

sprach der Fürst: »Wenn die Sonne niedrig steht,<br />

zündet rund herum um eure Hauser Feuer an,<br />

damit alle Feinde und Damonen fernbleiben!<br />

Wir aber halten uns am Waldrand auf!«<br />

Darauf zündeten sie Feuer an, wie der Fürst<br />

gesagt hatte. Nach geraumer Zeit kamen zwei<br />

Mücken. Wenn sie flogen, waren sie so groB wie<br />

eine Ziege. Wenn Rauch vorhanden war, dann<br />

94


kamen sie nicht in die Nahe der Hauser 1 . Aber<br />

wenn kein Rauch vorhanden war, dann kamen<br />

die Riesenmücken, um das Blut der Menschen<br />

auszusaugen. Deshalb starben viele Leute durch<br />

sie. Die Mücken wurden immer zahlreicher, so<br />

daB sie schon überhand nahmen und jeden<br />

Abend in die Nahe der Hauser kamen.<br />

Deshalb sprach der Fürst: »Wïr wollen diesen<br />

Riesenmücken jetzt Nahrung geben, damit sie<br />

unser Land nicht mehr heimsuchen! Bringt<br />

ihnen abends blutreiche Hühner nach dem Waldrand!<br />

Einer nach dem andern bringe ihnen Hühner!»<br />

Da machten die Leute sich auf den Weg und<br />

brachten sehr groBe Hühner hin. Nachdem die<br />

Hühner verbraucht waren, brachten sie Hunde<br />

hin. Nachdem im Laufe der Zeit auch die Hunde<br />

verbraucht waren, brachten sie Tag für Tag Ziegen<br />

hin. SchlieBlich brachten sie den Mücken<br />

jedesmal einen Büffel als Nahrung. Da kamen<br />

die Riesenmücken nicht mehr jeden Abend ins<br />

Land.<br />

Als nun im Laufe der Zeit auch die gesamten<br />

Büffel der Leute verbraucht waren, sprach der<br />

Fürst: »Nun sind auch die Büffel verbraucht.<br />

Was erscheint euch ratsam, und was wollt ihr<br />

tun, damit diese Mücken uns nicht ganzlich auffressen?«<br />

Da sprach ein Mann: »LaBt uns dieses Land verlassen!»<br />

Aber die anderen Leute mein ten: »Wenn wir<br />

unser Land verlassen, haben wir nichts zu essen;<br />

denn hier gewinnen wir unsere Nahrungsmittel.«<br />

Darauf schlug der Fürst vor: »LaBt uns den<br />

Mücken nun alte Leute zu fressen geben, und<br />

zwar jedesmal je einen! Bringt abends die Alten<br />

nach dem Waldrand!«<br />

95


Und sie brachten einen halbtoten Alten dorthin,<br />

und am folgenden Abend geschah es wiederum so.<br />

Als es allmahlich auch keine alten Leute mehr<br />

gab, da sprach der Fürst: «Bringt blinde und<br />

taube Leute dorthin!«<br />

Als nach geraumer Zeit auch keine Blinden und<br />

Tauben mehr da waren, sagte der Fürst: «Bringt<br />

nun die anderen gebrechlichen und lahmen Leute<br />

hin!«<br />

Als auch von ihnen keine mehr vorhanden waren<br />

und die Mücken wieder zahlreicher wurden,<br />

sagte der Fürst: »Bringt Tag für Tag von jedem<br />

Haus einen Erwachsenen hin!«<br />

Als auch von ihnen keine mehr vorhanden<br />

waren, wurden auch alle Kinder den Mücken als<br />

Nahrung zugeführt. SchlieBlich blieben nur noch<br />

die Leute im Hause des Fürsten übrig.<br />

Da sprach dieser: »Nun sind auch schon die Kinder<br />

der Untertanen, Knaben und Madchen, aufgefressen.<br />

Was ist jetzt zu tun?«<br />

Seine Frau erwiderte: »Du oder ich oder unsere<br />

alte Mutter wollen nun als Nahrung der Mücken<br />

dienen!«<br />

Ihr Gatte meinte jedoch: «LaBt uns unsere<br />

Tochter hinbringen, und dann laBt uns von hier<br />

fliehen!«<br />

Als seine Frau da zu weinen begann, sagte die<br />

Tochter: »Bringt mich nur dorthin, liebe Eltern!<br />

Denn wenn ihr dorthin geht, sind die Erhalter<br />

dieses Landes nicht mehr vorhanden!«<br />

Dann gaben sie ihrer Tochter, die sehr schön und<br />

ihr einziges Kind war, süBe Speisen zu essen,<br />

weil sie in den Tod gehen sollte. Wahrenddessen<br />

röstete die GroBmutter Bataten 2<br />

und füllte sie in<br />

ein Körbchen mit den Worten: »Hier ist Essen<br />

96


für dich, wenn du die Mücken erwartestk Alsdann<br />

brachten sie ihre Tochter fort.<br />

Als sie am Abend den Korb mit den gerösteten<br />

Bataten öffnete, sah sie, daB sich Glut am Stiel<br />

derselben befand. Sie entfachte die Glut und<br />

zündete alle dort befindlichen trockenen Blatter<br />

und Zweige damit an. Dann legte sie rund um<br />

sich herum ein Feuer und begab sich selbst in<br />

die Mitte. Als die Riesenmücken das Madchen<br />

erblickten, flogen sie in seine Nahe, weil sie es<br />

für Nahrung hielten. Dabei gerieten sie jedoch<br />

in die Flammen, so daB ihre Flügel verbrannten.<br />

Sie konnten das Madchen nicht fressen, weil<br />

ringsherum Feuer lohte. So wurden die Mücken<br />

vom Feuer, in das sie hineinflogen, vernichtet.<br />

Darauf sprach das Madchen: «Seid ihr Mücken<br />

nun alle tot? Es ist nur ein Glück, daB meine<br />

Eltern und meine GroBmutter am Leben geblieben<br />

sind, nachdem ihr jetzt alle vernichtet seid.<br />

Denn ihr habt wirklich viele Untertanen umgebracht.<br />

Und dies ist nun die euch von Gott gesandte<br />

Vergeltung!« Dann kehrte es zu seinen<br />

Eltern zurück.<br />

Als es dort ankam, waren sie alle dabei, zu weinen<br />

und zu klagen: «LaBt uns m<strong>org</strong>en alle drei<br />

als Nahrung für die Mücken dorthin gehen, damit<br />

wir alle auf einmal umkommen!«<br />

Da sagte das Madchen: «Hallo, Mutter, wo seid<br />

ihr? Ich bin noch nicht gestorben. Ihr habt noch<br />

Glück gehabt; denn ich habe einen Ausweg gefunden.<br />

Die Mücken sind zwar zu mir gekommen,<br />

aber sie sind alle vernichtet!«<br />

Sie waren glücklich, als sie die Worte ihres geliebten<br />

Kindes vernahmen. Sie hoben es hoch<br />

und küBten es.<br />

Bis da geht die Erzahlung von den Riesenmücken<br />

und dem Madchen. Die Maden aus den toten<br />

7<br />

97


Mücken wurden zu sehr kleinen Mücken. Diese<br />

kommen nicht in die Nahe der Hauser, wenn<br />

Feuer raucht.<br />

Ein Jüngling<br />

wird von einem Büffelkopf<br />

getötet<br />

£s war einmal ein reicher Mann, der sagte eines<br />

Tages zu seiner Frau: »Wir besitzen zwar sehr<br />

viel Gold, aber dieser viele Besitz hat keinerlei<br />

Nutzen. Wie denkst du nun darüber? Wir haben<br />

keine Kinder, weder einen Sohn noch eine Tochter.<br />

Wie können wir nur zu einem Kinde kommen<br />

?«<br />

Da antwortete seine Frau: »Wenn du willst,<br />

so laB uns ein Gelübde ablegen. Wir bitten Gott<br />

und den Propheten, daB wir einen Sohn bekommen<br />

mögen, der dich vertreten kann.«<br />

Alsdann beteten sie: »0 Gott, o Herr, mochten<br />

wir doch einen Sohn erhalten! Wenn uns ein<br />

Sohn geboren wird, so werden wir ihn sein ganzes<br />

Leben lang nicht nach unten lassen, um die<br />

Erde zu beschreiten; mag er nur hier im Hause<br />

groB werden! Seine Beschaftigung soll nur in<br />

Essen und Schlafen bestehen, bis er ganz alt ist!«<br />

Nach einiger Zeit war dann offensichtlich, daB<br />

die Frau des reichen Mannes guter Hoffnung<br />

war. Als ein Sohn von sehr schönem Aussehen<br />

das Licht der Welt erblickte, sprach der reiche<br />

Mann: »Ruft mir den Astrologen her; denn ich<br />

möchte ihn etwas fragen!« Dieser erschien dann.<br />

»Sieh mal nach, was das vorherbestimmte Lebensende<br />

meines Sohnes ist, was ihn töten wird!«<br />

Da öffnete der Astrologe seine Bücher und sah<br />

nach der Todesursache des Kindes. Diese war,<br />

daB ihn spater ein Büffel aufspieBen würde.<br />

98


Nachdem der Astrologe dem Reichen dies nach<br />

einigem Zögern mitgeteilt hatte, sagte dieser:<br />

«Astrologe, jetzt gebe ich dir ein Geschenk!« Alsdann<br />

kehrte der Astrologe heim, und der Reiche<br />

sprach zu allen Hausbewohnern: »LaBt mein<br />

Kind nicht nach unten gehen, laBt es nicht die<br />

Erde betreten, bis es erwachsen ist! Denn der<br />

Astrologe hat gesagt: seine Todesursache wird<br />

sein, daB ein Büffel es aufspiefit. LaBt es deshalb<br />

nicht hinuntergehen, wenn ich nicht zu<br />

Hause bin!«<br />

»Es ist gut«, erwiderten die Hausbewohner.<br />

Im Laufe der Zeit heiratete der Sohn des Reichen.<br />

Er hatte bereits Kinder in dem Haus, aber<br />

noch nicht ein einziges Mal war er hinuntergegangen.<br />

Eines Tages kamen nun Leute, um<br />

dem Reichen einen Büffelkopf zu bringen, den er<br />

gekauft hatte.<br />

Als sie ankamen, hörte der Sohn davon und<br />

fragte seine Mutter: »Liebe Mutter, woher<br />

kommt der Büffelkopf? Lafi ihn mich betrachten,<br />

wie er aussieht!« Er naherte sich ihm, weil<br />

seine Mutter vergessen hatte, ihn zu warnen.<br />

Darauf stieB der Sohn des Reichen den Büffelkopf<br />

mit den FüBen und sprach: »Das ist also<br />

der Büffel, der mich nach den Worten des groBen<br />

Astrologen tötet!« Dabei traf sein FuB die Spitze<br />

des Büffelhorns. Der FuB war verwundet und<br />

schwoll an. Der Sohn konnte nicht aufstehen<br />

und starb sofort.<br />

Da sagten die Leute im Lande: »Wie sehr wir<br />

auch unser Leben hüten, wenn Gottes RatschluB<br />

es will, so ereilt es einen doch irgendwann.<br />

Wenn wir auch in eine Kiste kriechen, so sterben<br />

wir doch!«<br />

»Deine Worte sind auch wahr, Vater, und sie<br />

sind eine Lehre für uns!«<br />

7*<br />

99


SCHWANKE<br />

Der Arme, der Pflüge verbarg<br />

n einem Lande war<br />

einmal ein Fürst,<br />

der jedes Jahr<br />

allen Leuten den<br />

Auftrag gab, Reis<br />

zu pflanzen und<br />

Pflanzungen anzulegen.<br />

Nicht ein<br />

einziger durfte<br />

zurückbleiben, sie<br />

alle muBten arbeiten.<br />

Eines Tages sprach der Fürst: «M<strong>org</strong>en<br />

früh geht ihr alle, groB und klein, hinunter auf<br />

die Reisfelder!«<br />

Da hörte ein Armer im Lande, daB die Leute<br />

Vorbereitungen trafen, um am folgenden Tage<br />

Beete für die Setzlinge herzurichten 1<br />

und die<br />

Reisfelder zu pflügen. Deshalb sprach der Arme<br />

bei sich: ,Wir haben jetzt nichts zu essen. Wenn<br />

wir etwas kaufen mochten, ist kein Geld da; und<br />

wenn wir darum bitten, so gibt man uns nichts.'<br />

Deshalb sagte er zu seiner Frau: »Ob ich hingehe<br />

und die Pflüge verstecke? Vielleicht ruft<br />

man mich nachher, um Auskunft zu geben!«<br />

Seine Frau antwortete: »Deine List kann vielleicht<br />

Erfolg haben.«<br />

100


Da machte sich der Arme auf den Weg, um alle<br />

Pflüge 2<br />

der Leute wegzunehmen. Er nahm jedesmal<br />

einen auf die Schulter; und dann versteckte<br />

er sie alle im Walde. Er verbarg sie unter einem<br />

hohen Baum, der dort im Urwald stand. Die<br />

ganze Nacht war er damit beschaftigt, dann<br />

kehrte er in seine Wohnung zurück.<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en bemerkten die Leute, dafi<br />

ihre Pflüge nicht an ihrem Platz waren; deshalb<br />

fragte ein Mann einen anderen, der ganz nahe<br />

bei seinem Reisfeld wohnte: »Mein Pflug ist verschwunden!<br />

Wer weiC, wer ihn mitgenommen<br />

hat!«<br />

Da antwortete der Gefragte: »Auch mein Pflug<br />

ist verschwunden!«<br />

Sie machten sich im Krüppelholz auf die Suche<br />

nach ihren Pflügen, aber sie fanden sie nicht.<br />

Unterwegs begegneten sie anderen Leuten, die<br />

ebenfalls auf der Suche nach ihren Pflügen waren.<br />

Gemeinsam gingen sie zum Fürsten: »Mein<br />

Fürst, seid nicht zornig auf uns, aber heute können<br />

wir noch nicht mit dem Pflügen beginnen;<br />

denn alle unsere Pflüge sind spurlos verschwunden!«<br />

Da sprach der Fürst: »Sucht gründlich danach!<br />

Oder aber ruft einen Astrologen, damit er in seinem<br />

Almanach nachsehe 3 !«<br />

Und sie suchten einen Astrologen auf. Er sah in<br />

seinem Almanach nach, aber es war nichts zu<br />

sehen. Deshalb kehrten die Leute zum Fürsten<br />

zurück und erstatteten ihm Bericht: »In dem<br />

Almanach des Astrologen ist nichts zu sehen. Er<br />

sagte, wir sollten einen Menschen suchen, der<br />

sich auf das Prophezeien versteht. Er könne<br />

nichts aus seinen Büchern ersehen.«<br />

Der Fürst entgegnete: »Wen habt ihr noch nicht<br />

befragt?«<br />

101


»Einen Armen haben wir noch nicht befragt!«<br />

«Dann holt ihn hierher, denn vielleicht kann er<br />

die verschwundenen Pflüge wiederbeschaffen!«<br />

Sofort holte man den Armen, und der Fürst<br />

sagte zu ihm: »Wenn du die Pflüge dieser Leute<br />

wiederbeschaffen kannst, gebe ich dir Nahrung,<br />

Armer! Für einen Pflug gebe ich dir nachher<br />

einen Scheffel Reis. Und wenn du sie augenblicklich<br />

findest, dann gebe ich dir noch mehr<br />

Reis!«<br />

Der Arme erwiderte: »Ich will es versuchen und<br />

in meinen Büchern nachsehen, mein Fürst!« Als<br />

er in seinem Almanach nachgesehen hatte, sagte<br />

er: «Anscheinend wird man die Pflüge noch finden;<br />

denn sie scheinen dort im Walde versteekt<br />

zu sein.« Und zu den Pflugbesitzern sprach er:<br />

»Dort steht ein groBer Baum; unter den hat man<br />

die Pflüge gestellt. Das sehe ich in meinem<br />

Almanach.«<br />

«Ist es der, welcher gegenüber von jenem Baum<br />

steht? «<br />

Der Arme antwortete: »Ich kann euch den Baum<br />

nicht zeigen, aber der, welcher dort steht, ist es,<br />

den mein Almanach erwahnt! Versucht es nur<br />

und geht nach dem Baum!«<br />

Und die Leute machten sich alle auf die Suche.<br />

Von der Ebene hielten sie Ausschau nach den<br />

höchsten Baumen im Walde. Und als sie dann<br />

einen Baum erblickten, der höher als alle anderen<br />

im Walde war, gingen sie dorthin. Und siehe<br />

da, ihre Pflüge standen alle unter dem Baum!<br />

Sie nahmen sie mit und erstatteten dem Fürsten<br />

Bericht.<br />

Er war froh, weil seine Untertanen nun wieder<br />

arbeiten konnten, und er sprach zu den Leuten:<br />

«Nun gebe ein jeder von euch dem Armen die<br />

versprochene Menge Reis! Denn wenn er nicht<br />

102


gewesen ware, so hattet ihr in diesem Jahr nicht<br />

arbeiten können!«<br />

Da gaben sie dem Armen geschalten und ungeschalten<br />

Reis. Und der Arme war glücklich;<br />

denn nun besaB er Reis im ÜberfluB. Er sprach<br />

bei sich: ,Für dieses Jahr haben wir genug zu<br />

essen, vielleicht verzehren wir noch nicht einmal<br />

alles. Und vermutlich gibt man mir nach<br />

dieser Ernte auch noch einen Teil von dem neuen<br />

Reis als Belohnung dafür, daB ich ihre Pflüge<br />

wiedergefunden habe.'<br />

Im Laufe der Zeit horten auch Leute aus einem<br />

anderen Lande von diesem Ereignis. Deshalb<br />

sagten sie: »Es gibt dort einen Mann, der sich<br />

gut aufs Prophezeien versteht. Alles, was jahrelang<br />

verschwunden war, vermag er in seinem<br />

Almanach zu finden. Alles, was andere Astrologen<br />

nicht wissen, kann er aufsuchen!«<br />

Als ein reicher Mann das hörte, sagte er: »Wir<br />

wollen uns den Mann einmal ansehen, der wahrzusagen<br />

versteht, und von dem man sagt, daB<br />

sein Verstand wirklich bemerkenswert ist!«<br />

So segelten sie denn mit einem Schiff und viel<br />

Ladung los. Nachdem sie in einer Bucht am Gestade<br />

jenes Fürsten angekommen waren, feu erten<br />

sie dreimal eine groBe Kanone ab.<br />

Der Fürst schickte Leute an Bord, die fragten<br />

den Kapitan: »Weshalb kommt euer Schiff hierher?<br />

Wünscht ihr Krieg, oder wollt ihr etwas<br />

anderes?«<br />

Der Kapitan antwortete: »Wir haben keineswegs<br />

den Wunsch, Krieg zu führen; wir mochten uns<br />

nur das Reich dieses Fürsten ansehen. Ich habe<br />

namlich wiederholt gehort, daB es in diesem<br />

Lande einen Mann gibt, der sich gründlich im<br />

Almanach auskennt. Was auch immer zu Lande<br />

103


und zu Wasser verschwand, das kann er finden.<br />

Teilt eurem Herrn mit, daB ich mit ihm eine<br />

Wette um Gurkenkerne abschlieBen möchte.<br />

Denn ich habe drei Gurken mitgebracht, eine<br />

groBe, eine mittlere und eine sehr kleine. Wenn<br />

er die Anzahl der Gurkenkerne erraten kann,<br />

dann übergebe ich ihm mein ganzes Schiff mitsamt<br />

der Ladung. Ich will dann völlig mittellos<br />

heimkehren. Aber wenn der Fürst die Anzahl<br />

der Kerne nicht erraten kann, dann geht dieses<br />

ganze Land an mich über, und die Untertanen<br />

beherrsche ich dann!«<br />

Das teilten sie dem Fürsten mit. Und er erwiderte:<br />

»Gut denn, was bleibt mir anderes<br />

übrig? Ich kann den Vorschlag des Kapitans<br />

nicht zurückweisen, weil ich mich dann schame.<br />

Er möge also in drei Tagen kommen!«<br />

Alsdann lieB er den Armen zu sich rufen: »0<br />

Armer, jetzt ist ein Kapitan mit seinem Schiff<br />

gekommen, der möchte eine Wette eingehen und<br />

verlangt, daB ich die Anzahl der Kerne seiner<br />

Gurken errate. Wer das vermag, dem gibt er<br />

sein ganzes Schiff. Aber wenn ich sie nicht erraten<br />

kann, dann nimmt er dieses Land und alle<br />

Untertanen an sich. Jetzt steht es bei dir, die<br />

Anzahl der Gurkenkerne zu erraten. Wenn du<br />

das nicht kannst, schlage ich dir den Kopf ab!«<br />

Der Fürst fuhr fort: »Warst du doch nur nicht<br />

imstande gewesen, die verschwundenen Pflüge<br />

wiederzubeschaffen! Denn nun reicht dein Ruhm<br />

bereits bis in fremde Lander, weil du groBe<br />

Kenntnisse besitzst. Alle erzahlen, zu Lande und<br />

zu Wasser vermöchtest du alles zu finden!«<br />

»Mein Fürst«, antwortete der Arme, »ich will<br />

zwar nach besten Kraften versuchen, es zu erraten,<br />

aber wenn es mir nachher nicht geüngt,<br />

dann liegt mir nichts mehr an meinem biBchen<br />

104


Leben. Ich bitte Euch um drei Tage Zeit, dann<br />

komme ich wieder zu Euch, mein Fürst!«<br />

Darauf kehrte der Arme heim. Den ganzen Weg<br />

über war er in tiefster Bes<strong>org</strong>nis; denn er dachte<br />

bei sich: ,Diesmal geht es mir an den Kragen,<br />

denn der Fürst wird mich töten.' Zu Hause sagte<br />

er zu seiner Frau: »Triff jetzt Vorbereitungen,<br />

denn wir wollen mit unseren Kindern aus diesem<br />

Lande fliehen! Ich befürchte namlich, daB<br />

der Fürst mich tötet, wenn ich die Anzahl der<br />

Kerne von den Gurken, die der Kapitan mitgebracht<br />

hat, nicht erraten kann.«<br />

Sie bereiteten ihre Flucht vor, und nachts paddelten<br />

sie in einem Boot nach der FluBmündung.<br />

Dort trieben sie jedoch in die Nahe des fremden<br />

Schifïes. Da horten sie, wie Leute sich unterhielten;<br />

der Kapitan und der Astrologe auf dem<br />

Schiff sagten gerade: »Diese groBe Gurke hat<br />

einen Kern, die mittlere hat drei Kerne und die<br />

kleinste hat sieben Kerne.«<br />

Als der Kapitan seinen Astrologen fragte, »Ist<br />

das nachher auch nicht falsch?« antwortete dieser:<br />

»Das ist auf keinen Fall falsch, magst du<br />

mit mir anfangen, was du willst!«<br />

Der Arme und seine Familie hatten diese Unterhaltung,<br />

die sie nicht hören durften, gehort. Deshalb<br />

kehrten sie an Land zurück. Sie flohen<br />

nicht, weil sie nun die Anzahl der Gurkenkerne<br />

kannten.<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en riefen die Leute den Armen<br />

zum Fürsten. »Wie ist es, kannst du die<br />

Anzahl der Gurkenkerne erraten?«<br />

»Mit Eurem Segen ist es wahrscheinlich möglich.<br />

Ich will deshalb versuchen, ihre Anzahl zu<br />

erraten. Wenn es nachher nicht gelingt, dann<br />

schneidet mir den Kopf ab!«<br />

»Es ist gut«, erwiderte der Fürst.<br />

105


Darauf kamen der Kapitan und sein Astrologe<br />

mit den drei Gurken. »Errate die Anzahl der<br />

Kerne dieser Gurken!«<br />

»Gut, hoher Herr, ich will versuchen, es zu erraten!<br />

Aber wenn ich es nicht kann, dann seid<br />

nachher nicht zornig!« Nach einiger Zeit sagte<br />

der Arme: »Die gröBte Gurke hat einen Kern,<br />

die mittlere hat drei Kerne, und die kleinste hat<br />

sieben Kerne! Spaltet die Gurken, und prüft es!«<br />

Da erwiderte der Astrologe vom Schiff: »Wir<br />

glauben nicht, daB die gröBte Gurke nur einen<br />

Kern und die kleinste viele Kerne hat. Wir<br />

schenken deinen Worten keinen Glauben.«<br />

Darauf sagte der Arme: »Wenn das, was ich gesagt<br />

habe, nachher nicht den Tatsachen entspricht,<br />

und wenn ich zuviel angegeben habe,<br />

dann schneidet mich in drei Teile. Gab ich jedoch<br />

zu wenig an, dann zerschneidet mich in zwei<br />

Teile, oder schlagt mir meinen dünnen Hals<br />

durch! Ich gebe dann nichts mehr um mein<br />

Leben!«<br />

Als sie die Gurken dann spalteten, stimmten die<br />

vom Armen angegebenen Zahlen. Da begannen<br />

alle Versammelten laut zu rufen: »Der Arme hat<br />

gewonnen!«<br />

Und der Kapitan übergab dem Fürsten sein ganzes<br />

Schiff samt Ladung und allem, was sich im<br />

Schiff befand. Das bedeutete, daB er die Wette<br />

mit dem Fürsten verloren hatte. Deshalb kehrte<br />

der Kapitan völlig mittellos in seine Heimat<br />

zurück.<br />

Palantjar<br />

£"s war einmal ein Mann, der besaB eine Zukkerrohrpflanzung,<br />

die nahe am Ufer eines gro­<br />

Ben Flusses lag. Am jenseitigen Ufer lebte ein<br />

106


anderer Mann, der Palantjar hieB. Er besaB<br />

keine Zuckerrohrpfianzung, sondern er lebte<br />

vom Stehlen. Eines Tages war es nun sehr<br />

warm; deshalb wollte Palantjar gern Zuckerrohr<br />

1<br />

kauen, aber das gab es nur am jenseitigen<br />

Ufer. Es gab jedoch keinen Weg dorthin, und<br />

ein Boot war auch nicht vorhanden. Der FluB<br />

war sehr reiBend, und viele Krokodile lebten<br />

darin. Da war der Mann, der am jenseitigen<br />

Ufer die Zuckerrohrpfianzung besaB, gerade dabei,<br />

das Zuckerrohr zu schlagen, um es dann<br />

auszupressen. Deshalb dachte Palantjar: ,Wie<br />

finde ich nur ein Mittel, um an das Zuckerrohr<br />

dieses Mannes zu kommen?' SchlieBlich schickte<br />

er sich an, am FluBufer zu roden. Dabei sagte<br />

er: »Ich besitze eine Pflanzung, ich besitze eine<br />

Pflanzung!«<br />

Als der Pflanzungsbesitzer das hörte, sagte er:<br />

«Ausgerechnet ein soldier wie du besitzt eine<br />

Zuckerrohrpflanzung!«<br />

Ein Wort gab das andere, und SchlieBlich gerieten<br />

beide in Streit miteinander. Palantjar sagte:<br />

»Ein Hundesohn bist du! Wirf doch nach mir,<br />

wenn du kannst!«<br />

Da wurde der Zuckerrohrbesitzer wütend und<br />

warf mit Zuckerrohr nach Palantjar. Und je<br />

heftiger Palantjar schalt, desto wütender warf<br />

er auch mit dem Zuckerrohr. Nachdem er alles<br />

nach dem jenseitigen Ufer geworfen hatte, warf<br />

er Palantjar auch noch mit den Stecklingen. Als<br />

auch diese alle hinübergeworfen waren, sagte<br />

der Pflanzungsbesitzer: »Ich habe mein ganzes<br />

Zuckerrohr zu dir hinübergeworfen! Palantjar,<br />

du bist der Sohn eines Schweines!«<br />

Da erwiderte dieser: »Wenn du der Sohn eines<br />

Mannes bist, dann komm doch her! Ich will dir<br />

dann den Schadel spalten!«<br />

i07


Als der Pflanzungsbesitzer das hörte, sprang er<br />

mitten in den groBen FluB. Da packte ihn ein<br />

Krokodil beim FuBe. »Hilfe, Hilfe!« schrie er.<br />

Darauf sagte Palantjar: »Packe ihn nicht, GroBvater<br />

2 ! Denn wenn der Pflanzungsbesitzer nicht<br />

ware, dann würden alle armen Leute umkommen.«<br />

Das Krokodil lieB von dem Pflanzungsbesitzer<br />

ab und brachte ihn an Land.<br />

Da sagte Palantjar: »Wenn ich nicht gewesen<br />

ware, dann hatte unser GroBvater dich gefressen.<br />

Sei deshalb künftig nicht wieder so überheblich!«<br />

Der Pflanzungsbesitzer bedankte sich bei ihm<br />

und sprach: »LaB uns Frieden schlieBen, und<br />

laB uns denn verbrüdern! Vom Anbeginn der<br />

Welt bis zum Jüngsten Tage sind wir nun Brüder.<br />

Und meinen Besitz wollen wir teilen, einen<br />

Teil erhaltst du, einen ich!«<br />

»Es ist gut!« erwiderte Palantjar.<br />

Nach geraumer Zeit sagte Palantjar: »Es gibt<br />

noch etwas, das wir nicht geteilt haben, Bruder!«<br />

«Meinen Besitz haben wir doch geteilt!«<br />

Palantjar sagte: »Noch nicht!«<br />

SchlieBlich gerieten sie in Streit, und Palantjar<br />

sprach: «Damals hast du gesagt, wir wollten<br />

alles teilen!«<br />

»Was haben wir denn noch nicht geteilt? Das<br />

einzige, was wir noch nicht geteilt haben, ist<br />

meine Frau.«<br />

Da erwiderte Palantjar: »Die ist es, die ich mit<br />

dir teilen möchte, deine Frau namlich!«<br />

»Wenn man dir den kleinen Finger reicht, dann<br />

willst du die ganze Hand haben : M« Da machten<br />

sie sich auf den Weg zum Fürsten vom Oberlauf,<br />

um dort ein gerechtes Urteil zu erbitten.<br />

108


Dort angekommen sagten sie: »Wir kommen zu<br />

Euch, o Fürst, um ein gerechtes Urteil zu erbitten!»<br />

»Es ist gut«, antwortete der Fürst. Nachdem sie<br />

ihm ihre Streitigkeiten berichtet hatten, rief der<br />

Fürst seinen Hauptmann aus dem FluB und befahl<br />

ihm: »Öffne deinen Mund, Hauptmann!<br />

Wer von ihnen im Recht ist, dem gibst du<br />

recht!« Und als der Hauptmann im FluB seinen<br />

Mund öffnete, sagte der Fürst vom Oberlauf:<br />

»Stürz dich dorthin, Pflanzungsbesitzer!«<br />

Und er stürzte sich auf den Kopf des Riesenkrokodils.<br />

Da sprach der Fürst: »Du bist im<br />

Recht, Pflanzungsbesitzer! Und nun stürze du<br />

dich auch dorthin, Palantjar, was dann wohl<br />

geschehen wird!« Als er dann sprang, fiel er ins<br />

Maul des Krokodils, das ihn sofort verschluckte.<br />

Da sprach der Fürst: »Es ist deutlich, wer im<br />

Recht und wer im Unrecht war.<br />

gesehen, Leute?«<br />

»Wir haben es gesehen, o Fürst!«<br />

Habt ihr es<br />

Der Fürst fuhr fort: »Wenn man ihm weiBen<br />

Stoff gibt, dann will er seidenen haben. So verhielt<br />

es sich mit Palantjar und dem Pflanzungsbesitzer.«<br />

Der Herr und sein Skiave<br />

Lafoebu'<br />

Jn einem Distrikt gab es einen wohlhabenden<br />

Mann, der einen Sklaven namens Lafoebu' besaB.<br />

Dieser war weder klug noch dumm. Seine<br />

Beschaftigung bestand darin, nach dem gesamten<br />

Besitz seines Herrn zu sehen. Ferner muBte<br />

er, ganz wie die Frauen, Mahlzeiten koenen, Reis<br />

stampfen und trocknen.<br />

109


Eines Tages sagte sein Herr zu ihm: »Wir wollen<br />

auf Besuch gehen. Trockne du inzwischen Reis,<br />

denn wir haben nichts zu essen!«<br />

»Es ist gut«, erwiderte Lafoebu'.<br />

Sein Herr sagte weiter: »Wenn nachher die Ziegen<br />

meckern (das heiBt wenn es nachher Regen<br />

gibt), dann sammle den Reis wieder ein!« Alsdann<br />

ging der Mann mit seiner Frau auf Besuch.<br />

Da meckerte ein Ziegenbock, und Lafoebu' sagte<br />

sich: ,Ich werde den Reis einsammeln; denn vorhin<br />

hat mein Herr gesagt, wenn Ziegen meckerten,<br />

sollte ich den Reis aus der Sonne fortnehmen.'<br />

Und er sammelte den ganzen Reis ein,<br />

obwohl die Sonne noch warmte und es nicht<br />

regnete.<br />

Als sein Herr am Abend wiederkam, fragte er:<br />

»Ist der Reis schon trocken?«<br />

»Noch nicht! Denn nachdem Ihr fortgegangen<br />

wart, meckerte eine Ziege, und da habe ich den<br />

Reis eingesammelt.«<br />

Da sagte sein Herr: »Ich habe gesagt, wenn die<br />

Ziegen meckern, gibt es Regen. Und nun hast<br />

du den Reis bei strahlendem Sonnenschein eingesammelt!«<br />

Am folgenden Tage sprach sein Herr zu ihm:<br />

»Wir wollen zum Fischen gehen, trockne du inzwischen<br />

den Reis! Wenn die Sonne im Wipfel<br />

dieses Durian-Baumes 1<br />

steht, dann stampfe<br />

Reis, denn wir haben nichts zu essen!«<br />

Nachdem sie fort waren, sah Lafoebu', daB die<br />

Sonne über dem Wipfel des Durian-Baumes<br />

stand. Da nahm er den Reis und brachte ihn in<br />

den Baumwipfel. Darauf begab er sich nach<br />

Hause.<br />

Als am Abend sein Herr kam, fragte ihn dieser:<br />

»Ist der Reisbrei schon gar?«<br />

110


Lafoebu' antwortete: »Wir haben keinen gestampften<br />

Reis!«<br />

»Warum hast du den Reis nicht gestampft?«<br />

»Vorhin am M<strong>org</strong>en hast du doch gesagt, daB<br />

der Reis nach dem Wipfel des Durian-Baumes<br />

gebracht werden sollte.«<br />

Da schwieg sein Herr nur, bei sich dachte er<br />

jedoch: ,Du bist beschrankt. Du sagst etwas anderes,<br />

als ich gesagt habe 2 .'<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en beauftragte man ihn, an<br />

den Strand zu gehen, um Kokosnüsse zu holen.<br />

Als er zu Hause ankam, fragte ihn sein Herr:<br />

»Warum hast du die Kokosnüsse gespalten?«<br />

»Zuerst haben sie mich beschimpft, und dann<br />

haben sie mich angestarrt. Deshalb habe ich sie<br />

alle zerschlagen.«<br />

Da sagte sein Herr: »Das sieht dir ahnlich, du<br />

bist ein Narr!«<br />

Am folgenden Tage befahl ihm sein Herr: »Geh<br />

und kappe die Stamme der Kokospalmen frei!«<br />

Dort angekommen, fallte er die Stamme, die<br />

noch Früchte trugen.<br />

Er pflückte Kokosnüsse und nahm sie auf die<br />

Schulter. Unterwegs hörte er das Glucksen der<br />

Kokosmilch, und er sagte: »Die Kokosnüsse sind<br />

verflucht; denn sie beschimpfen mich.« Deshalb<br />

durchlöcherte er sie, dann goB er die Kokosmilch<br />

weg mit den Worten: »Stirb, KokosnuB!« Dann<br />

setzte er seinen Weg fort. Im Weitergehen bemerkte<br />

er die Augen der Kokosnüsse. »Warum<br />

starrt ihr mich an?« Dann spaltete er alle Kokosnüsse.<br />

Als er abends nach Hause zurückkehrte, fragte<br />

ihn sein Herr: »Hast du viele Kokospalmen freigekappt<br />

3 ?«<br />

1H


Er erwiderte: »Viele von den fruchttragenden<br />

Kokospalmen sind umgefallen.«<br />

Da schüttelte der Besitzer der Kokospalmen das<br />

Haupt: »Warum hast du die Kokospalmen gefallt?«<br />

»Vorhin am M<strong>org</strong>en hast du doch gesagt, ich<br />

solle Kokospalmenstamme freikappen. Als ich<br />

dann dort ankam, habe ich sie freigekappt und<br />

gefallt.«<br />

Sein Herr schwieg, aber bei sich dachte er: ,Dieser<br />

Lafoebu' sucht anscheinend einen AnlaB, um<br />

fortzulaufen!'<br />

Am folgenden Tage beauftragte ihn sein Herr,<br />

ein Boot zuzuschlagen 4 . Als Lafoebu' im Wald<br />

angekommen war, fallte er einen Baum, und<br />

dann zerhackte er den ganzen Baumstamm.<br />

Als er nach Hause zurückgekehrt war, fragte ihn<br />

sein Herr: »Hast du das Boot angefertigt?«<br />

»Ich habe es beinahe fertig zugeschlagen, so daB<br />

es aus dem Walde gezogen werden kann.«<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en machten sie sich dann<br />

auf den Weg, um das Boot aus dem Wald an<br />

den Strand zu ziehen. Dort sahen sie, daB es<br />

nicht wie ein Boot aussah; denn er hatte den<br />

Stamm zerhackt. Da sagte sein Herr: »So sieht<br />

kein Boot aus. Anscheinend bist du einfaltig,<br />

Lafoebu'!«<br />

»Du hast doch gesagt, ich solle ein Boot zuschlagen.<br />

Soviel ich weiB, macht man das so.«<br />

Sein Herr schwieg und fertigte ein anderes Boot<br />

an. »So fertigt man ein Boot ank Dann kehrten<br />

sie heim.<br />

Abends sprach der Herr: »Geh an den Strand<br />

und suche Fische; denn dort sind Fischer!«<br />

Als Lafoebu' dort ankam, erblickte er im Meer<br />

und im FluB Fische. Da sagte er: »Geht dorthin,<br />

112


Fische; denn mein Herr möchte Fische essen!«<br />

Dann ging Lafoebu' auf und ab, und am Abend<br />

kehrte er nach Hause zurück. Dort fragte er:<br />

»Sind die Fische, die ich gesucht habe, schon<br />

hier angekommen, Mutter?«<br />

»Wo waren die Fische denn, Lafoebu'?«<br />

»Sie befanden sich im Meer, und ich habe ihnen<br />

befohlen, am Ufer entlang hierher zu kommen.»<br />

Seine Herrin sagte: »Das sieht dir ahnlich, du<br />

bist ein Narr!«<br />

Nachts sagte der Mann zu seiner Frau: «Lafoebu'<br />

beabsichtigt etwas anderes, weil er so handelt.<br />

Ob wir deshalb unseren Besitz an ihn übertragen?«<br />

Seine Frau erwiderte: »Das liegt bei dir!«<br />

Am folgenden Tage sprach sein Herr: »Geh und<br />

markiere die Büffel 5 !«<br />

Als Lafoebu' dort ankam, hackte er den Büffeln<br />

die FüBe ab, und dann kehrte er heim.<br />

Sein Herr fragte ihn: »Hast du unsere Büffel<br />

markiert?«<br />

»Vier habe ich an ihrem rechten FuB markiert.<br />

Jetzt kann man sie nicht mehr stehlen; denn<br />

vier lahmen bereits. Du hast doch gesagt, daB<br />

die Büffel gezeichnet werden sollen!«<br />

»Ich habe gesagt, daB ihnen wie üblich das rechte<br />

Ohr e<br />

abgeschnitten werden soll. Das ist ihr<br />

Kennzeichen!«<br />

Da sagte Lafoebu': »Ich habe sie schon an ihren<br />

FüBen markiert!«<br />

Der Mann schwieg, und zu seiner Frau sagte er:<br />

»Wenn wir Lafoebu' jetzt töten, dann sind wir<br />

traurig; und wenn wir ihn schlagen, dann lauft<br />

er fort. Wir haben keine Kinder, weder einen<br />

Sohn noch eine Tochter, und wenn wir sterben,<br />

a<br />

i i 3


dann nehmen andere unseren Besitz. Deshalb<br />

wollen wir ihm nun unseren Besitz übertragen,<br />

damit er nicht alles zugrunde richtet!« Dann<br />

rief er alle Leute des Distrikts zusammen: »Hört<br />

zu, Leute: mein Besitz in Haus und Hof geht an<br />

Lafoebu' über. Dieses Land wird er regieren,<br />

und befolgt seine Worte, denn ich bin alt!«<br />

So ging das Land an Lafoebu' über. Und da<br />

blühte es auf, und alle Lebensmittel waren<br />

reichlich. Alles, was Lafoebu' sagte, befolgten<br />

die Leute im Distrikt; denn sie fürchteten Lafoebu',<br />

weil er sehr schlau war.<br />

Der Fürst und sein Neffe<br />


jeden Tag dasselbe gegessen wie du, Vater! Deshalb<br />

bin ich so dick.«<br />

Da sagte der Fürst: »Dann bezahle mir jetzt alle<br />

Nahrung, die du verzehrt hast; denn deshalb bist<br />

du doch so wohlgenahrt! Wenn du nicht bezahlst,<br />

töte ich dich, oder ich zerstöre dein Haus. Entferne<br />

dich aus der Nahe meines Hauses!«<br />

»Ich werde es dir erstatten, Vater! Kann ich das<br />

Essen, das ich verzehrt habe, auch nicht mit Gold<br />

bezahlen, so bezahle ich es dir doch mit Worten.«<br />

Als die Leute sich dann auf Befehl des Fürsten<br />

auf den Weg machten, um den Preis für die Nahrung<br />

einzutreiben, da sagte Palantjar: „Gut, ich<br />

zahle! Nehmt es in Empfang, Leute! Worte bezahle<br />

ich mit Worten, und Nahrung bezahle ich<br />

meinem Vater mit Nahrung. Das, was ich gegessen<br />

habe, war der Duft von seinem Essen und<br />

der Duft von seinem Gebratenen. Und nun<br />

werde ich das, was ich gegessen habe, namlich<br />

Luft, auch mit Luft bezahlen. Wenn drei Tage<br />

um sind, dann kommt her und holt den Preis für<br />

den Duft des Essens meines Vaters!«<br />

Nach zwei Tagen zündete der Arme des Nachts<br />

seine Hütte an, so daB das Feuer sie ganz verzehrte.<br />

Da sprach der Fürst: „Palantjars Hütte<br />

ist vorige Nacht abgebrannt. Nun sucht ihn und<br />

fordert den Preis für mein Essen, das ihn dick<br />

gemacht hat!«<br />

Als die Leute zu ihm kamen, sagte Palantjar:<br />

»Was kann ich euch schon geben? Meine einzige<br />

Hütte ist abgebrannt, und meinen gesamten Besitz<br />

hat das Feuer verzehrt. Jetzt bitte ich euch<br />

um drei Tage Aufschub.«<br />

Als die Nacht hereingebrochen war, füllte er<br />

einen Korb mit Holzkohle von seinem verbrannten<br />

Hause. Dann machte er sich auf den Weg<br />

8* H5


nach der anderen Seite des Landes. Unterwegs<br />

begegnete er zwei Leuten, die auch Körbe von<br />

der GröBe des seinigen auf der Schulter trugen.<br />

Als die Sonne bereits niedrig stand, sagte er:<br />

»Wohin geht ihr, Brüder?«<br />

Sie antworteten: »Wir kehren in unsere Heimat<br />

zurück!«<br />

Da schlug Palantjar vor: »Es dammert jetzt<br />

schon. Wenn ihr wollt, laBt uns in jener unbewohnten<br />

Hütte schlafen!«<br />

Die beiden Manner willigten ein. Nachdem die<br />

Nacht dann weit v<strong>org</strong>erückt war, fragte der<br />

Arme: »Was befindet sich in euren Körben, Brüder?«<br />

»Sie enthalten Gold, das wir von der anderen<br />

Seite dieses Landes geholt haben. Und was ist<br />

in deinem Korb?«.<br />

Der Arme erwiderte: »In meinem Korb befindet<br />

sich auch Gold. Mich hat der Fürst beauftragt,<br />

es nach der anderen Seite dieses Landes zu bringen.<br />

Ich bin namlich sein Diener.« Als sie sich<br />

dann schlafen legten, sagte Palantjar: »Ich muB<br />

dieses Gold noch weit fortbringen. Wenn ihr<br />

nachher noch schlaft, gehe ich schon voraus!«<br />

«Gut, tu es nur!«<br />

Bei sich dachte der Arme jedoch: ,Wenn sie nachher<br />

fest schlafen, nehme ich meinen Koro und<br />

stelle ihn an den Platz ihres Korbes. Ich werde<br />

einen Korb Gold mitnehmen.'<br />

Gegen zwei Uhr nachts, als die beiden in tiefem<br />

Schlafe lagen, stand Palantjar auf. Er ging ganz<br />

leise, damit sie nicht erwachten. Dann nahm er<br />

den Korb mit Gold auf seine Schulter und ging<br />

eiligst fort, um sich im Walde zu verbergen.<br />

Als die Eigentümer der Körbe frühm<strong>org</strong>ens erwachten<br />

und sahen, daB ihr Gefahrte bereits fort<br />

116


war, erinnerten sie sich seiner Worte und faBten<br />

keinerlei MiBtrauen. Als sie an ihrem Wohnort<br />

ankamen, sahen sie, daB ein Korb statt Gold<br />

Holzkohle enthielt, und sie schlugen sich vor die<br />

Brust.<br />

Da sagte ein Mann: »Es ist immer so mit dem<br />

Golde, es ist verhext und kann zu Stein oder<br />

zu Erde werden, sagten die Leute früher.«<br />

Und die beiden meinten: »Wir haben eben Pech<br />

gehabt!«<br />

Palantjar kehrte nach dem Wohnort des jüngeren<br />

Bruders seines Vaters zurück. Dort erbaute<br />

er sich anderswo ein Hüttchen, das oberhalb des<br />

Windes und nicht gegenüber dem Hause des Fürsten<br />

stand. Nachts maB er dann sein Gold mit<br />

den Worten: »Ein Scheffel, zwei Scheffel, drei<br />

Scheffel!«<br />

Das hörte der Fürst und fragte: »Was sagt Palantjar?<br />

Geht und schaut nach!«<br />

Dort angekommen, sahen die Leute etwas Rötliches,<br />

und sie sagten sich: ,Das ist Gold!' Eiligst<br />

liefen sie zum Fürsten zurück, um ihm folgendes<br />

mitzuteilen: »Der Arme miBt groBe Mengen Goldes.<br />

Ein ganzer Korb voll ist davon vorhanden!«<br />

Der Fürst erwiderte: »Ihr lügt und redet Unsinn!«<br />

Und er beauftragte andere Leute, die sich<br />

das erwahnte Gold ansehen sollten.<br />

Auch sie sahen das Gold und sagten nach ihrer<br />

Rückkehr zum Fürsten: »Es ist doch wahr,<br />

Fürst!«<br />

Er sagte zu ihnen: »Wollt ihr, daB ich euch zerhacke?<br />

Unsinn erzahlt ihr mir!« Alsdann erhob<br />

sich der Fürst, um selbst nachzusehen. Dort angelangt,<br />

sah er, daB tatsachlich Gold vorhanden<br />

war, und er fragte: »Woher hast du das Gold,<br />

Palantjar!«<br />

I<br />

117


»Ich habe Leute darum gebeten!«<br />

Der Fürst fuhr fort: »Wer in diesem Lande verschenkt<br />

wohl Gold? Obwohl ich vermogend bin,<br />

verschenke ich doch noch nicht Gold in einer derartigen<br />

Menge. Sag mir nun die Wahrheit! Tust<br />

du es nicht, dann töte ich dich! Denn du kennst<br />

viele Listen, und dieses Gold hast du gestohlen!«<br />

Als Palantjar das hörte, war er angstlich; denn<br />

der Fürst hatte ihm Furcht eingeflöBt. Deshalb<br />

sagte er: »Lieber Vater, die Wahrheit ist, daB<br />

das Gold von der anderen Seite dieses Landes<br />

stammt. Es gibt dort namlich Leute, die Goldberge<br />

besitzen. Und dies ist der Preis für die<br />

Holzkohle von meiner abgebrannten Hütte, die<br />

ich dorthin gebracht habe. Dort tauschten sie<br />

mir einen Korb Holzkohle gegen einen Korb<br />

Gold ein. Denn jene Leute verstehen es nicht,<br />

Holzkohle herzustellen. Wenn sie Gold schmieden<br />

wollen, so haben sie keine wirklich gute<br />

karuing 3 - und bolawa 4 -Holzkohle.«<br />

Der Fürst fragte: »Ist die Holzkohle noch bei<br />

ihnen begehrt?«<br />

»Sie tauschen alle Holzkohle, die es gibt, gegen<br />

Gold ein!«<br />

Da meinte der Fürst: «Ob ich dieses groBe Haus<br />

in Brand stecke? Sein Holz taugt namlich sehr<br />

gut als Holzkohle; denn es sind sehr harte Holzsorten.«<br />

Palantjar erwiderte: »Das kann ich nicht sagen.<br />

Du allein muBt entscheiden, was ratsam ist. Aber<br />

wenn du viel Gold haben möchtest, dann kannst<br />

du es ja verbrennen, Vater!«<br />

Da sprach der Fürst: »Wenn ich dann viel Gold<br />

besitze, wird ein anderes, schöneres Haus an<br />

Stelle des verbrannten gebaut!« Darauf kehrte<br />

der Fürst heim, und dort sagte er zu seinen Leu-<br />

118


ten: »VerlaBt alle das Haus; tragt das, was sich<br />

in ihm befindet, in das kleine Haus! Denn ich<br />

will dieses Haus verbrennen, weil es nicht schön<br />

ist!« Darauf steckte er sein Haus in Brand, so<br />

daB alles zu Holzkohle wurde. Am folgenden<br />

Tage beauftragte er viele Leute, die Holzkohle<br />

zu denen zu bringen, die an der anderen Seite<br />

des Landes Gold besaBen.<br />

Die Leute machten sich, jeder mit einem Korb,<br />

auf den Weg, um die Holzkohle hinzubringen.<br />

Als sie dort ankamen, fragten sie: »Wo sind die<br />

Leute, die hier einen Goldberg besitzen?«<br />

»Hier gibt es keinen Goldberg. Ich habe nur<br />

einen Mann gesehen, der Gold schmiedet, und<br />

der kauft Holzkohle.«<br />

Da begaben sie sich zu ihm: »Kaufst du Holzkohle,<br />

Goldschmied?«<br />

»Ich kaufe einen Korb voll für sechs Cente 5 .«<br />

Da warfen sie die Körbe mit Holzkohle von sich<br />

und machten sich auf den Heimweg mit den<br />

Worten: »Von einem Ende des Landes nach dem<br />

andern haben wir die Körbe mit Holzkohle getragen,<br />

und nun will er sie für sechs Cente kaufen!<br />

Wir lassen die Holzkohle hier, und wenn<br />

der Fürst uns nachher töten will, so mag er es<br />

nur tun!«<br />

Daheim angelangt, fragte sie der Fürst: »Wo<br />

habt ihr das Gold, Leute?«<br />

Sie erwiderten: »Wenn Ihr uns töten wollt, so<br />

tötet uns; denn wir haben unser Leben bereits<br />

abgeschrieben! Die Holzkohle haben wir dort<br />

gelassen. Denn der Goldschmied sagte, er bezahle<br />

für einen Korb Holzkohle sechs Cente. Da<br />

haben wir uns eiligst auf den Heimweg gemacht,<br />

und die Holzkohle haben wir dort gelassen!«<br />

119


Da war der Fürst sprachlos, und er dachte bei<br />

sich: .Palantjar hat mich bei lebendigem Leibe<br />

betrogen. Er ist das Kind eines Schweines! Ich<br />

bin schlau, aber der Mann ist noch schlauer; ich<br />

bin reich, aber Palantjar ist reicher. Wenn er<br />

sogar mich hat überlisten können, um wieviel<br />

mehr dann noch die gewöhnlichen Leute. Das ist<br />

seine Vergeltung dafür, daB ich ihn vernachlassigt<br />

habe, und daB ich Bezahlung für alle Bratendüfte<br />

und die kleinen Reiskörner gefordert<br />

habe, die er gegessen hat!' Darauf befahl er den<br />

Leuten, den Palantjar zu ihm zu bringen. Als<br />

Palantjar vor ihm erschien, sprach der Fürst:<br />

»Ich bin nun klug, aber mein Sohn ist klüger.<br />

Damals war dein Vater der GröBte in diesem<br />

Lande. Deshalb gehen jetzt meine Besitzungen<br />

und mein Titel an dich über. Denn damals war<br />

dein Vater machtig und reich. Ich habe seine Besitztümer<br />

nur an mich genommen, damit andere<br />

sie nicht an sich nahmen. Und jetzt geht dieses<br />

Reich zu Wasser und zu Lande mitsamt den Untertanen<br />

an dich über!«<br />

Da sagte Palantjar: «Vater, i c h fordere nicht<br />

den Titel und das Gold! Wenn du dich jedoch<br />

nicht mehr betatigen kannst, weil du bereits alt<br />

bist, ist es gut, lieber Vater, dann mag alles an<br />

mich übergehen. Und dir gebe ich Nahrung und<br />

Kleidung, iB und schlafe nur! Alle Untertanen<br />

im Lande werde ich regieren!«<br />

Bis da geht die Erzahlung von dem Fürsten, der<br />

seinen Neffen Palantjar vernachlassigte.<br />

Der L a c h w e 11 b e w e r b<br />

2 in reicher Mann rief alle Leute zusammen und<br />

sagte zu ihnen: »Ich habe sehr viele Besitztümer<br />

und auch viel Gold. Deshalb sage ich euch: wer<br />

120


von euch alle Leute in diesem Lande zum Lachen<br />

bringen kann, dem gebe ich einen Teil dessen,<br />

was ich besitze!«<br />

Deshalb kamen alle Leute in seinem Hause zusammen,<br />

wo sie Büffel schlachteten und aBen.<br />

Dann sagten sie alles, was sie wuBten. Und ein<br />

Teil der Leute konnte auch lachen, aber nicht<br />

alle vermochten zu lachen.<br />

Als ein Mann aus einem anderen Lande seine<br />

Kunst versuchte, blieben auch einige übrig, die<br />

nicht lachen konnten. Ein armer Mann versuchte<br />

ebenfalls seine Kunst, alle zum Lachen zu bringen,<br />

aber er hatte kein Glück damit. Deshalb<br />

kehrte er heim und legte sich schlafen. Als er<br />

fest schlief, erschien ihm im Traum ein alter<br />

Mann. Der sagte: »Suche nicht weiter! Geh nur<br />

ohne Vorbereitung in die Versammlung und sag,<br />

was du willst, was dich richtig dünkt!«<br />

Er ging also dorthin und begab sich aufs Dach<br />

des Hauses, das am höchsten von allen war, um<br />

die Leute zum Lachen zu veranlassen. Dann<br />

sprach er: »Hört alle auf meine Worte, groB und<br />

klein, alt und jung! Gestern hat mir mein Vater<br />

aufgetragen, reife und junge Pinangnüsse 1<br />

für<br />

seinen Betelbissen zu pflücken. Ich kletterte also<br />

in die Arekapalme 1 , pflückte die Nüsse und warf<br />

sie hinab. Da riB meine Kletterschlinge 2 . Meine<br />

FüBe losten sich, und ich nel in einen groBen<br />

Sumpf, so daB ich bis zum Halse versank und<br />

nicht wieder aufstehen konnte. Da kehrte ich<br />

nach Hause zurück, um einen Spaten zu holen.<br />

Nachdem ich dort wieder angekommen war,<br />

schaufelte ich die Erde fort, und so kam ich aus<br />

dem Sumpf frei!«<br />

Als die Leute das horten, begannen sie alle, ohne<br />

Ausnahme, zu lachen.<br />

Da fragte der Reiche: »Habt ihr alle gelacht?«<br />

121


»Wir haben alle gelacht, es gibt niemanden, der<br />

nicht gelacht hat!«<br />

Der Reiche fuhr fort: »Meinen Besitz will ich<br />

zwischen euch und dem Armen aufteilen. Mir<br />

soll nichts gehören, sondern alles gehe an den<br />

Armen! Er möge ihn unter euch verteilen!«<br />

Der Arme als<br />

Richter<br />

Jn einem Lande war einmal ein Fürst, der war<br />

sehr reich und besaB auch viele Büffel, unter<br />

denen sich auch ein groBer mannlicher befand.<br />

Da starben alle mannlichen Büffel seiner Untertanen.<br />

so daB nur die weiblichen übrigblieben.<br />

SchlieBlich gab es im Lande nur noch den mannlichen<br />

Büffel des Fürsten. Da bekamen alle Büffel<br />

im Lande Kalber. Dadurch nahmen die mannlichen<br />

Büffel zu, aber sie starben, bevor sie<br />

groB geworden waren. Da dachte der Fürst bei<br />

sich: ,Ich sehe, daB die Büffel in diesem Lande<br />

sehr zahlreich sind, aber mein Büffel ist der einzige<br />

mannliche.' Deshalb rief er am folgenden<br />

Tage alle Büffelbesitzer zu sich ins Haus und<br />

sagte zu ihnen: »Leute, von allen Büffeln, die<br />

innerhalb dieses Jahres geboren werden, müBt<br />

ihr einen Teil an mich abliefern! Denn nur ich<br />

besitze einen mannlichen Büffel!«<br />

Da erwiderten die Leute: »Wir geben sie dir<br />

nicht; denn es besteht keinerlei AnlaB dazu, dir<br />

unsere Büffel zu übergeben. Wenn dein mannlicher<br />

Büffel Kalber bekommt, so gehören sie dir,<br />

aber unsere Büffel rühre nicht an, Fürst!«<br />

Der Fürst antwortete: »Wenn ihr mir nicht einen<br />

Teil abgebt, bekriege ich euch Büffelbesitzer<br />

alle!«<br />

»Wenn es auf Grund einer gerechten Entscheidung<br />

geschieht, geben wir sie dir; aber nur auf<br />

122


Grund deiner Entscheidung geben wir sie nicht<br />

her! Zu einem Krieg sind auch wir bereit! Wenn<br />

es möglich ist, so rufe jedoch Fürsten aus anderen<br />

Landern her, damit sie eine gerechte Entscheidung<br />

treffen mögen!«<br />

Als er dann andere Fürsten darum bat, kamen<br />

sie ins Land. Nachdem sie von dem Streit vernommen<br />

hatten, sagten sie: »Fürst, es ist unmöglich,<br />

daB die Büffelkalber der Leute an dich<br />

gehen, denn das ist ungerecht!«<br />

Der Fürst entgegnete: »Auf jeden Fall geht ein<br />

Teil ihrer Büffel an mich. Wenn das nicht geschieht,<br />

bekriege oder töte ich sie. Denn wenn<br />

mein Büffel nicht ware, hatten ihre Büffel keine<br />

Kalber bekommen. Ihr fremden Fürsten könnt<br />

das nicht entscheiden. Ruft die, welche eine Entscheidung<br />

treffen können! Denn eure Worte erkenne<br />

ich nicht an!«<br />

Da sagte ein Fürst: »Es gibt dort einen Armen.<br />

Bringt ihn augenblicklich her, damit er die Entscheidung<br />

falle!«<br />

Sie machten sich eiligst auf den Weg zum Armen.<br />

»Komm mit uns, Armer! Denn der Fürst<br />

hat gesagt, du müBtest auf jeden Fall kommen!«<br />

Der Arme antwortete: »Ich kann nicht gehen;<br />

denn ich bin alt und gebrechlich. Aber mein<br />

Sohn dort möge mit euch gehen!«<br />

Da sagte sein Sohn: »Was weiB ich schon! Denn<br />

ich, üeber Vater, bin ein ganz einfaltiger Mensch,<br />

der nichts weiB.«<br />

»Geh nur, lieber Sohn! Und sag zum Fürsten:<br />

,Der Grund, daB ich zu spat komme, Fürst, ist,<br />

daB mein Vater in Geburtswehen liegt. Vorhin<br />

wurde mir tatsachlich eine Schwester geboren.<br />

Deshalb habe ich solange gebraucht, um herzukommen,<br />

Fürst!'«<br />

123


Als der Sohn das dem Fürsten mitteilte, geriet<br />

dieser in Zorn. Dabei sprang er auf und schalt<br />

den Sohn des Armen: »Du redest Unsinn. Wieso<br />

gebiert ein Mann Kinder? Du bist der erste, der<br />

mir erzahlt, daB sein Vater ein Madchen geboren<br />

hat. Solange ich lebe, habe ich noch niemals gehort,<br />

daB ein Mann Kinder zur Welt bringt!«<br />

Da erwiderte der Sohn des Armen: »Mein Fürst,<br />

auch ich habe heute zum erstenmal vernommen,<br />

daB ein mannlicher Büffel gebiert. Das habe ich<br />

zum erstenmal bei Euch, o Fürst, vernommen!«<br />

Da klatschten alle anwesenden Fürsten in die<br />

Hande und sagten: »Fürst, das Urteil über deinen<br />

Büffel und die der Untertanen ist bereits<br />

gefallt! Da die Worte des Sohnes des Armen<br />

stimmen, können wir sie nicht umstoBen. Das<br />

ist das Urteil, es gibt kein besseres!«<br />

»Wenn es so ist, dann ist es gut, ihr fremden<br />

Fürsten«, erwiderte der Fürst des Landes.<br />

Der u n en t s c h 1 o s s e n e Mann<br />

m Oberlauf schlachtete man Büffel, und an<br />

der FluBmündung schlachtete man Ziegen, und<br />

es gibt Klebreis 1<br />

und viel anderes EBbares«,<br />

sagten die Leute, die diesen Mann einluden.<br />

Da sprach er bei sich: ,Wenn ich nach dem Oberlauf<br />

gehe, haben sie Büffel geschlachtet, aber es<br />

gibt keinen Klebreis, sondern nur Fleischzukost<br />

und Reisbrei. Wenn ich jedoch nach der Mündung<br />

gehe, dann sind die Ziegen zwar sehr<br />

klein, aber es gibt Klebreis.' Wahrenddessen<br />

waren die anderen Leute bereits zu den Festen<br />

gegangen, aber er fuhr fort zu schwatzen. Er<br />

dachte: ,Gehe ich nun zu dem groBen oder zu<br />

dem kleinen Fest? Könnte ich nur zu beiden<br />

gehen!' SchlieBlich ging er nach dem Oberlauf.<br />

124


Unterwegs begegnete er Leuten, die schon vom<br />

Fest zurückkamen. Deshalb fragten sie ihn:<br />

»Wohin gehst du?«<br />

»Ich gehe nach dem Oberlauf zu dem Fest, wo<br />

sie Büffel schlachteten.«<br />

Da sagten die Leute: »Das Fest ist schon zu<br />

Ende.«<br />

Deshalb kehrte er um und ging nach der FluBmündung.<br />

Als er dort ankam, sagten die Leute:<br />

«Das Fest ist schon zu Ende!«<br />

Da schlug er sich vor die Brust und kehrte nach<br />

Hause zurück, um sich ein Tau für einen gro­<br />

Ben Angelhaken zu holen. »Ich werde GröBeres<br />

als die Fleischzukost angeln. Denn wenn das Angelhakentau<br />

dick ist, dann sind nachher auch die<br />

Fische groB.«<br />

Darauf holte er ein Boot und fuhr aufs offene<br />

Meer hinaus. Als er dort seinen Angelhaken auswarf,<br />

biB ein groBer Hai an. Und als der Mann<br />

an der Leine zog, vermochte er den Fisch nicht<br />

hochzuziehen. Da entführte der Hai das Boot, so<br />

daB es unterging und der Fischer ums Leben<br />

kam.<br />

Die Alten sagten: »Wenn wir allzu habgierig<br />

sind, kommen wir auf solche Weise ums Leben.<br />

Das Kleine erlangen wir nicht, und das GroBe<br />

erst recht nicht; das Gesuchte ist dann nicht vorhanden,<br />

und das Vorhandene ist bereits verbraucht^<br />

Jetzt heiBt es deshalb: »Zu den Leuten,<br />

die uns zuerst einladen, gehen wir auch zuerst!«<br />

Der Sohn des W o h 1 h a b e n d e n<br />

und der Arme<br />

Jn einem Lande war einmal ein wohlhabender<br />

Mann, der einen Sohn besaB, welcher den ganzen<br />

Tag nichts anderes tat, als nur auf seinem<br />

125


Pferd vom Oberlauf nach der Mündung spazieren<br />

zu reiten. War er hungrig, dann ging er<br />

essen; und dann ritt er wieder spazieren, wohin<br />

er wollte. Eines Tages begegnete er einem Armen.<br />

Zu diesem sagte er: «Wohin gehst du?«<br />

»Ich gehe auch spazieren, und du?«<br />

»Ich reite. Das ist meine Beschaftigung. Ich gehe<br />

nur nach Hause, um zu essen oder zu schlafen.<br />

Und du, Armer?«<br />

»Mit mir ist es auch so, ich pflege spazieren zu<br />

gehen.« Aber bei sich dachte er: ,Du lügst, Reicher!'<br />

Darauf fragte der Arme: »Wie stark ist<br />

dein Pferd?«<br />

»Es ist sehr stark und kann laufen.«<br />

Der Arme erwiderte: »Aber mein Pferd ist starker.<br />

Denn es kann mich über einen groBen<br />

Sumpf tragen. Das kann dein Pferd nicht.<br />

Sieh dir mein RoB genau an, ich reite jetzt!«<br />

Dann machte er sich zu FuB auf den Weg. Und<br />

nachdem er auf der anderen Seite des groBen<br />

Sumpfes angelangt war, kehrte er schleunigst zu<br />

dem Mann mit dem Pferd zurück. Dann sagte er:<br />

»Reite auf die andere Seite dieses Sumpfes, ob<br />

du dort hingelangen kannst!«<br />

Der Reiche spornte sein Pferd, aber mitten im<br />

Sumpf konnte es nicht mehr gehen, weil es einsank.<br />

Da sagte der Arme: »Mein Pferd ist doch<br />

besser als das deinige! Wenn du willst, tauschen<br />

wir. Du besitzst ein Pferd, aber ich habe zwei<br />

Pferde!«<br />

Da dachte der Reiche: ,Der Arme hat doch recht.<br />

Denn sein Pferd kann nach der anderen Seite<br />

des Sumpfes gelangen.'<br />

Nachdem er und der Arme getauscht hatten,<br />

sagte der Reiche: »Wenn dir dein Pferd abhanden<br />

kommt, ist kein Ersatz dafür da. Aber wenn<br />

126


das meinige stirbt, habe ich Ersatz!« Dann<br />

kehrte der Sohn des reichen Mannes heim.<br />

Da fragte ihn seine Mutter: »Wo ist dein Pferd,<br />

mein Sohn?«<br />

»Ich habe es mit dem Pferd des Armen getauscht,<br />

weil sein Pferd starker ist; denn wir<br />

können damit in einen groBen Sumpf gehen.«<br />

Da schwieg seine Mutter. ,Man hat dich betrogen,<br />

mein Sohn 1 ', dachte sie bei sich.<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en ging ihr Sohn mit seiner<br />

Frau spazieren. Da begegneten sie dem Armen.<br />

Der Mann, dem die Frau gehorte, fragte ihn:<br />

»Was suchst du, Armer?«<br />

»Ich suche das, was vorhanden ist! Und was<br />

sucht ihr, du und meine Schwagerin?«<br />

»Wir pflegen immer in dieser Weise spazieren<br />

zu gehen. Woran ich und deine Schwagerin denken?<br />

An Essen, Schlafen und Spazierengehen!<br />

Kehren wir heim, dann ist schon Reisbrei vorhanden.<br />

Ist es mit dir auch so?«<br />

»I c h suche mir nur etwas zum Essen, das ist<br />

meine Beschaftigung.«<br />

Da fragte der Reiche: »Weshalb sprichst du so?«<br />

Der Arme erwiderte: »Ich habe mehrere Frauen,<br />

aber ich pflege sie nicht mitzunehmen, wenn ich<br />

fortgehe. Aber wenn ich hungrig bin, dann<br />

geben sie mir zu essen. An allen Orten habe ich<br />

eine Frau. Wenn mich friert, dann kann ich mich<br />

warmen, und wenn ich durchnaBt bin, dann kann<br />

ich mich trocknen. Tut deine Frau das auch?<br />

Wenn eine von meinen Frauen nicht da ist, dann<br />

ist noch eine andere vorhanden.«<br />

Der Reiche antwortete: »Wenn diese eine stirbt,<br />

dann fragt man eben andere Frauen, die noch<br />

keinen Mann haben!«<br />

127


»Das ist es«, sagte der Arme, »aber meine<br />

Frauen sind besser. Wenn du willst, dann komm<br />

her und sieh sie dir an!«<br />

Sie gingen dann an ein Wasser. Dort sprang der<br />

Arme hinein. Als er ganz naB war, ging er an<br />

Land zurück, weil er schon zitterte. Dann entfachte<br />

er ein Feuer und warmte sich daran. Da<br />

hörte er auf zu frieren, und sein Körper hörte<br />

auf zu zittern. Dann sagte er: »Dies sind meine<br />

Frauen, sie sind zahlreich. Kommen wir aus dem<br />

Regen, dann hört unser Frieren auf diese Weise<br />

auf. Fische und EBbares aller Art koenen meine<br />

Frauen. Wenn du willst, laB sie uns gegen deine<br />

Frau tauschen. Nachher geben wir sie einander<br />

zurück. Komm m<strong>org</strong>en und gib mir meine Frau<br />

zurück!«<br />

Da lieB der Reiche seine Frau beim Armen zurück<br />

und kehrte allein heim.<br />

Seine Mutter fragte ihn: »Wo ist meine Schwiegertochter,<br />

mein Sohn?«<br />

»Ich und der Arme haben getauscht. Denn der<br />

Nutzen seiner Frauen ist gröBer, weil sie alles<br />

tun können. Meine Frau ist dort in der Küche;<br />

Feuer heiBt sie.«<br />

Da sagte seine Mutter: »Der Arme hat dich betrogen,<br />

aber du wolltest es ja auch so haben.«<br />

Er dachte über ihre Worte nach und sagte sich:<br />

,Die Worte meiner Mutter sind auch wahr!'<br />

Eilends kehrte er zurück. Aber als er dort ankam,<br />

waren der Arme und seine Frau fortgelaufen.<br />

Da folgte er ihnen und sah, wie sie auf<br />

das Haus des Fürsten zugingen. »M eine Gattin<br />

ist diese Frau!« rief er.<br />

Als er die Frau anfaBte, sprach der Fürst: »Weshalb<br />

faBt du seine Frau an, Mann?«<br />

Er antwortete: »Dies ist meine Frau! Der<br />

Arme hat mich betrogen!«<br />

128


Da sagte der Fürst: »Kommt her, ich werde<br />

Recht über euch sprechen!« Dann fragte er nach<br />

allem, worüber sie vom Vortage bis zu diesem<br />

Tage gesprochen hatten. SchlieBlich fragte der<br />

Fürst: »Ist dies deine Frau, Reicher?«<br />

»Ja!«<br />

Und den Armen fragte er: »Ist dies deine Frau,<br />

Armer?«<br />

»Ja, ob ich sterbe, oder ob ich lebe!«<br />

Dann befahl er dem Armen und dem Reichen zu<br />

schweigen, und er rief die Frau zu sich: »Reize<br />

deine Kehle, damit du erbrichst!«<br />

Als sie sich übergeben muBte, kam Colocasiablatter-Zukost<br />

2<br />

zum Vorschein, die sie und der<br />

Arme gegessen hatten.<br />

Da rief der Fürst den reichen Mann und erteilte<br />

ihm den gleichen Befehl. Er erbrach jedoch gebratene<br />

Fische und ganz weiBen Reisbrei, das<br />

Essen reicher Leute. Und als auch der Arme sich<br />

übergab, kam Colocasiablatter-Zukost zum Vorschein,<br />

die er und die Frau am Vortage gegessen<br />

hatten.<br />

Die Frau wollte lieber den Armen als Mann<br />

haben, weil der Reiche stets seine Frau mitnahm,<br />

wohin auch immer er ging.<br />

Da sprach der Fürst: »Sie ist nicht deine Frau,<br />

du hast die Frau eines anderen geraubt. Denn<br />

das ist das Zeichen dafür, daB sie seine Frau ist.<br />

Ihre Nahrung ist die von Armen; denn aus ihren<br />

Ma gen kamen Pflanzenblatter zum Vorschein.<br />

Aber das von dir Erbrochene war Nahrung reicher<br />

Leute!«<br />

So lauteten die Worte des Fürsten. Damit war<br />

die Angelegenheit entschieden. In Zukunft wurden<br />

die reichen Leute als groBe Lügner angesehen.<br />

0<br />

129


VOLKSERZAHLUNGEN<br />

Die Prinzessin, die einen<br />

vom Himmel H e r a b g e s t i e g e n e n<br />

heiraten wollte<br />

n jenem Lande gab<br />

es einmal eine<br />

Prinzessin, zu der<br />

kamen Fürstensöhne,<br />

die um<br />

ihre Hand anhielten.<br />

Aber sie war<br />

mit keinem einverstanden.<br />

Obwohl<br />

also sehr<br />

viele Fürstensöhne<br />

um ihre Hand anhielten, wollte sie keinen<br />

einzigen von ihnen; denn sie begehrte nur einen<br />

vom Himmel herabgestiegenen Mann. Würde<br />

sich ein soldier nicht finden lassen, dann wollte<br />

sie überhaupt nicht heiraten. Deshalb wurde es<br />

still um sie; denn niemand wollte noch um ihre<br />

Hand anhalten.<br />

Da fragte ihr Vater sie: »Warum willst du nicht<br />

heiraten, liebe Tochter?«<br />

»Ich will nur einen vom Himmel Herabgekommenen<br />

heiraten. Denn ich schame mich vor den<br />

gewöhnlichen Menschen.«<br />

Wahrend sie sich unterhielten, ging gerade ein<br />

Niasser 1<br />

vorüber, der die Worte der Fürsten-<br />

1 30


tochter hörte. Da sprach der Niasser bei sich: ,In<br />

der Nacht werde ich auf eine Kokospalme am<br />

Brunnen klettern. Wenn die Prinzessin m<strong>org</strong>en<br />

früh zum Baden dorthin geht und mein Spiegelbild<br />

im Wasser sieht, dann wird sie nach<br />

oben blieken und mich sehen. Und dann wird<br />

sie sagen, ich sei ein Mann vom Himmel!'<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en begab sich die Prinzessin<br />

rfach dem Brunnen, um sich das Antlitz zu waschen.<br />

Als sie in den Brunnen blickte und das<br />

Spiegelbild eines Mannes sah, schaute sie hinauf<br />

nach dem Wipfel der Kokospalme. Da wurde<br />

sie einen sehr schonen Mann gewahr. Seine<br />

Kleider waren aus Seide, aber seinen Kopf hatte<br />

er mit weiBem Stoff verdeckt, damit seine Ohrlappchen<br />

nicht zu sehen waren; denn sie waren<br />

(nach Niasser-Sitte) auf beiden Seiten durchbohrt<br />

2 . Da kehrte die Prinzessin eiligst nach<br />

Hause zurück, um es ihrem Vater mitzuteilen.<br />

«Dort im Wipfel jener Kokospalme befindet sich<br />

edn sehr schoner Mann, der wunderschön gekleidet<br />

ist!«<br />

Der Fürst erwiderte: »Das ist vermutlich der<br />

vom Himmel Herabgestiegene!«<br />

Als sie dann hingingen und nachsahen, befand<br />

sich dort tatsachlich ein Mann von unbeschreiblicher<br />

Schönheit des Antlitzes. »Der soll mein<br />

Gatte sein, Vater!«<br />

Und der Fürst sprach zu einem Diener: »Schlage<br />

die groBe Trommel, damit das Volk kommt!<br />

Wir wollen diesen vom Himmel Herabgestiegenen<br />

zu uns nach Hause bringen; denn er soll<br />

mit der Prinzessin vermahlt werden!«<br />

Deshalb versammelten sich die Untertanen im<br />

Hause des Fürsten. Sie fertigten eine Leiter an,<br />

die bis in den Wipfel der Kokospalme reichte,<br />

und mit der sie den Mann herunterholten. Man<br />

»• 131


achte ihn ins Haus des Fürsten. Dann kamen<br />

die Moscheebeamten 3<br />

und vermahlten die Prinzessin<br />

mit dem vom Himmel Herabgestiegenen.<br />

Danach kehrten alle Leute heim, und die Prinzessin<br />

blieb mit ihrem Mann allein.<br />

Ihr Mann wollte jedoch nicht reden und sich<br />

unterhalten, sondern er pflegte wie ein Stein zu<br />

schweigen. Redete seine Frau ihm freundlich<br />

zu, dann schüttelte er nur sein Haupt. Deshalb<br />

sprach sie bei sich: .Mit den Menschen vom Himmel<br />

ist es immer so; denn Leute mit übernatürlichen<br />

Kraften reden nicht viel.' Als dieser Zustand<br />

anhielt, dachte sie: ,Wenn ich nun sein<br />

Haumesser 4<br />

versteckte, ob er dann wohl mit mir<br />

reden würde? Denn jetzt kommt er nachts, und<br />

m<strong>org</strong>ens geht er wieder fort.' Nachts versteckte<br />

die Prinzessin dann das Haumesser ihres Mannes;<br />

sie nahm es von seinem üblichen Platz weg<br />

und tat es anderswohin.<br />

Gegen vier Uhr m<strong>org</strong>ens stand ihr Mann auf<br />

und suchte sein Haumesser, aber er fand es<br />

nicht. Er schaute hierhin, und er schaute dorthin,<br />

aber es war nicht da. Deshalb weckte er<br />

seine Frau mit den Worten: «Prinzessin, Prinzessin,<br />

wo ist meine Haumessar, die atjehische<br />

Haumessar, mit Scheida von Blattscheida, seine<br />

Scheida waren Deckblatt? (das heiBt: Prinzessin,<br />

Prinzessin, wo ist mein Haumesser mit der<br />

Scheide aus Blattscheiden 5 ; seine Scheide waren<br />

Deckblatter 6 ).«<br />

Als die Prinzessin diese Worte vernahm, sprach<br />

sie: »Ein Niasser bist du, Unglücklicher, ein<br />

Schweinesohn bist du 7 !« Dann stürzte sie sich<br />

auf den Niasser und verprügelte ihn. Er floh<br />

wer weiB wohin und kam nicht wieder.<br />

Nachdem die Hausbewohner aufgestanden waren,<br />

fragten sie: »Was hatte denn das Schelten<br />

zu bedeuten, Prinzessin?«<br />

132


»Mein Mann ist kein vom Himmel Herabgestiegener,<br />

sondern ein Niasser! Er hat mich betrogen!«<br />

Da sprach die Mutter der Prinzessin: »Meine<br />

Tochter, ich habe dir gesagt, du solltest nicht zu<br />

erhaben sein über die gewöhnlichen Leute! Denn<br />

die Worte unserer Eltern sind das einzig Richtige!<br />

Deshalb laBt uns stets die Worte der Alteren<br />

befolgen! Wenn wir hoch stehen, dann wollen<br />

wir nicht noch höher streben, denn sonst<br />

kommen wir zu Fall!«<br />

Da wollten die anderen Prinzessinnen in jenem<br />

Lande nicht mehr überheblich sein, nachdem sie<br />

gehort hatten, daB eine Fürstentochter sich mit<br />

einem Niasser verheiratet hatte. Denn sie fürchteten,<br />

daB es ihnen auch so ergehen könnte wie<br />

der Prinzessin.<br />

Deshalb sagt man: »Wenn man Zuckerrohr in<br />

der Pflanzung aussucht, dann sucht man das<br />

süBe, aber man nimmt das schlechte mit 8 .«<br />

Bis da geht diese Erzahlung.<br />

Das Madchen,<br />

das nicht heiraten wollte<br />

Dorfe gab es einmal einen vornehmen<br />

Mann, der eine Tochter besaB, die er sehr liebte.<br />

Eines Tages sprach er zu seiner Frau: »Wir<br />

wollen dort am FluBoberlauf eine Pflanzung anlegen;<br />

denn der Reis steht bei uns nicht gut.«<br />

Da nahmen sie alle Hausinsassen und die Sklaven<br />

1<br />

mit, um den Platz für die Pflanzung zu<br />

roden. Nachdem sich die Rodung weit ausdehnte,<br />

brannten sie das Pflanzungsland nach vierzig<br />

Tagen ab. Alsdann begannen die Sklaven, das<br />

Brandfeld zu saubern 2 .<br />

133


Eines Tages ging nun die Tochter des Vornehmen<br />

mit den Leuten zum Saubern. Wahrend sie<br />

beim Saubern des Feldes war, drang ein Dom<br />

in ihre FuBsohle. »Auu«, sagte sie da.<br />

»Was ist?« fragten ihre Gefahrten.<br />

»Ich habe mir den FuB an einem Dorn verletzt!«<br />

Da erwiderten sie: »Das Heiraten schmerzt nachher<br />

noch mehr!«<br />

»Wenn es schmerzt, dann will ich nicht heiraten!«<br />

Aber ihre Gefahrten hatten nur Scherz gemacht.<br />

Die Tochter des Vornehmen ging jedoch nach<br />

Hause, und dort fragte ihre Mutter sie: »Warum<br />

kommst du heim? Du kehrst ja sehr schnell<br />

zurück!«<br />

Die Tochter antwortete: »Vorhin habe ich mich<br />

an einem Dorn gestochen, und es schmerzte sehr.<br />

Da sagten meine Gefahrten, das Heiraten sei noch<br />

schmerzhafter. Deshalb bin ich so schnell zurückgekommen.«<br />

In Zukunft wollte sie nicht mehr<br />

mit zum Saubern gehen.<br />

Allmahlich war die Tochter des Vornehmen erwachsen<br />

und heiratsf ahig geworden.<br />

In dem Distrikt gab es einen Jüngling, der sich<br />

gern mit ihr verheiratet hatte. Eines Tages rief<br />

der Vater des Jünglings eine Witwe und sprach<br />

zu ihr: »Geh und sage jenem Vornehmen, ich<br />

möchte gern mit ihm in Schwiegerschaft treten<br />

und unsere Kinder miteinander verheiraten!<br />

Denn ich besitze einen Sohn, und er besitzt eine<br />

Tochter.«<br />

»Es ist gut«, erwiderte die alte Frau.<br />

Als sie dort ankam, sprachen der Vornehme und<br />

seine Frau: »Was ist dein Begehr, Schwester?«<br />

»Mich hat jemand beauftragt, Euch, Vornehmer,<br />

eine Anfrage nach Landesbrauch zu übermitteln<br />

f34


und eine Antwort mitzunehmen! Das ist mein<br />

Anliegen an Euch. Er fragte namlich, ob er seinen<br />

Sohn für Euch s<strong>org</strong>en lassen könne. Das<br />

entbiete ich Euch, Vornehmer, als GruB!«<br />

»Wenn deine Worte, die Worte nach Landesbrauch<br />

sind, erfüllbar sind, dann kann ich nicht<br />

Nein sagen. Denn von altersher heiBt es: gibt es<br />

einen Himmel, dann gibt es auch eine Erde; gibt<br />

es Manner, dann gibt es auch Frauen auf dieser<br />

Welt. Deshalb sei mein Bruder also nicht beunruhigt!<br />

Denn seine Botschaft sind Worte, die<br />

seit unseren Vorfahren in diesem Lande gebrauchlich<br />

sind. Kehre nun heim, Schwester,<br />

und teile meinem Bruder mit, daB ich die Leute<br />

in diesem Lande nicht aussuche'. Das kann ich<br />

dir nun schon sagen.«<br />

Darauf machte sich die Witwe auf den Heimweg<br />

und erstattete dem Vornehmen 4<br />

Bericht: »Ich<br />

bin zurückgekehrt, Bruder! Die Worte des Mannes<br />

waren günstig.«<br />

Da fragten die Eltern die Alte lachelnd: »Wie<br />

war es denn, und was ist dir widerfahren, und<br />

wie lautet der günstige Bescheid? Teile es uns<br />

mit, damit unsere Herzen und unsere Ohren zufrieden<br />

sind!«<br />

Darauf sprach die Alte: »Sie haben mir einige<br />

belanglose Worte mit auf den Weg gegeben 5 . Sie<br />

sagten, die von mir übermittelten Worte seien<br />

Worte gemaB Landesbrauch. Weiterhin auBerten<br />

sie, daB sie die Leute im Lande nicht aussuchten.<br />

Das soll ich euch ausrichten!«<br />

Als die Witwe heimgegangen war, unterhielt sich<br />

der Vornehme mit seiner Frau: »Wenn sie das<br />

gesagt haben, ist die Angelegenheit doch ein<br />

wenig hoffnungsvoll. Sie haben den Landesbrauch<br />

nicht vergessen. Denn wenn man eine<br />

135


Tochter hat, dann wird um sie angehalten.<br />

können wir also ein wenig Hoffnung haben.«<br />

Als ein Tag und eine Nacht verstrichen waren,<br />

riefen sie einen Mann, der sich auf die hergebrachten<br />

Sitten verstand, der die üblichen Redensarten<br />

kannte, sie beherrschte und mit ihnen<br />

vertraut war. Nachdem er gekommen war,<br />

sprach der Vornehme zu ihm: »Wir beauftragen<br />

dich, Bruder, bei jenem Vornehmen nachzufragen,<br />

ob die Botschaft der Witwe zu ihm gelangt<br />

ist. Denn die Alte hat ihm unser beider Herzenswunsch<br />

übermittelt.«<br />

»Gut, warum nicht, Bruder? Wir waren einander<br />

seit früher behilflich. Konnten wir nicht mit<br />

Geld helfen, dann waren wir mit Schlauheit behilflich;<br />

wenn aber keine Schlauheit vorhanden<br />

ist, was können wir dann anfangen? Das kann<br />

ich Euch erwidern, Bruder!«<br />

»Deshalb habe ich dich auch gerufen. Denn ich<br />

möchte dich veranlassen, Nachfrage nach unserem<br />

geauBerten Herzenswunsch zu halten. Wir<br />

sind namlich alt und mochten die suchen, die uns<br />

Wasser zum Trinken holt, eine Mahlzeit Zukost<br />

für uns kocht und eine Tasse Wasser warm<br />

macht.« Dann ehrten sie jenen Mann, indem sie<br />

ihm gute Speisen aller Art gaben.<br />

Denn in ihren Augen ist er gröBer als ein Berg.<br />

Sie lassen ihn nochmals ihren Wunsch übermitteln,<br />

ob es möglich ist, daB Wasser und Wind<br />

zusammengehen. Dieser Mann wird zum Heiratsvermittler.<br />

— Nachdem Frauen, die darin<br />

bewandert waren, Sirihzubehör zum Betelkauen 6<br />

in einem Behalter fertiggemacht hatten, überreichten<br />

sie ihn dem Manne mit freundlichen<br />

Worten. Dann ging er, mit Tabak, Gambir, Betelblattern<br />

und Kalk versehen 6 , nach dem Hause<br />

So<br />

136


jenes Vornehmen. Dort auf dem Vorderhof angekommen,<br />

rausperte er sich 7 .<br />

Da sprach der Vornehme: »Wohin willst du da?«<br />

Und zu seiner Frau sagte er: »Breite eine Matte<br />

aus, denn unser Bruder ist gekommen!«<br />

Der Gast begab sich auf die Veranda des Vornehmen,<br />

wo der Hausbesitzer und er dann Betel<br />

kauten. Unterdessen beauftragte der Vornehme<br />

seine Frau, eine Mahlzeit für ihren Gast zu bereiten.<br />

Wahrend des Betelkauens sagte der Angekommene:<br />

»Ich möchte etwas mit dir besprechen,<br />

Bruder!«<br />

»Warum nicht? Rede nur, ich werde zuhören!«<br />

Da begann der Heiratsvermittler: »Zuvor entbiete<br />

ich dir meinen GruB, Bruder! Wenn diese<br />

Worte nachher keinen Sinn haben, dann sage,<br />

daB sie sinnlos sind; sind sie jedoch das Richtige,<br />

dann sag es auch! Mir hat mein Bruder dort auf<br />

der anderen Seite einen Auftrag erteilt. Ich bin<br />

hierhergekommen, um nachzufragen, ob die Botschaft<br />

der Witwe zu dir gelangt ist. Wenn es so<br />

ist, dann sage es!«<br />

»So ist es«, erwiderte der Vornehme, »wir haben<br />

damals miteinander geredet. Es kam eine alte<br />

Frau hierher, und ich erfuhr, daB sie und deine<br />

Schwagerin 8<br />

sich unterhalten haben. Aber ich<br />

habe keine Fragen gestellt, sondern nur zugehört.<br />

Dann kehrte die Alte heim. Nachher hat mir<br />

deine Schwagerin alles erzahlt. Und nun bist<br />

du also zu mir gekommen, Bruder, um nachzufragen.<br />

Dieses Mal kann ich freilich noch nicht<br />

sagen, ob es möglich oder ob es unmöglich ist.<br />

Ich kann nur sagen, daB es Worte nach Landesbrauch<br />

waren. Denn wenn wir eine Tochter besitzen,<br />

dann pflegt man von altersher bei uns anzufragen.<br />

Wie Himmel und Erde sind wir hier.<br />

137


Aber nun laB uns die Angelegenheit nicht übereilen!<br />

Wir wollen erst die Blutsverwandten und<br />

die Oheime mütterlicherseits von meiner Tochter<br />

zusammenrufen. Wenn diese dann damit<br />

einverstanden sind, werde ich die Anzahl deiner<br />

Nichten vergröBern. Wenn sie es gutheiBen,<br />

dann werde auch ich es gutheiBen. Das kann ich<br />

dir als Botschaft mitgeben, etwas anderes kann<br />

ich nicht sagen. Denn ich allein vermag die Veranwortung<br />

dafür nicht zu tragen 9 . Nun kann ich<br />

sagen, daB ich dich kenne, und daB ich dich<br />

gesehen habe. Und wenn du wieder zu mir<br />

kommst, dann werde ich dir nicht den Zutritt<br />

verwehren 10 . Das teile meinen Geschwistern auf<br />

der anderen Seite mit! Wenn nachher ein günstiger<br />

Tag ist, werde ich dich rufen; laB uns<br />

dann mit allen Beteiligten beratschlagen!«<br />

Dann boten sie ihm Wasser und Essen auf einem<br />

mit Tüchern überdeckten Brett. Die Speisen bestanden<br />

aus ganz weiBem Reis und aus Gebratenem<br />

aller Art, so daB es wie die Mahlzeit eines<br />

Vornehmen war. Denn sie dachten, ,dieser Mann<br />

wird der Heiratsvermittler für unsere Tochter<br />

sein'. Alsdann sprach die Frau zu ihm: »IB, Bruder!<br />

Es ist zwar nur Reisbrei und Salz, denn wir<br />

haben keine Beigerichte 11 !«<br />

»Es ist gut, Schwagerin!« Nach der Mahlzeit<br />

kaute er Betel aus dem in einer Schale befindlichen<br />

Betelbehalter des Vornehmen, dann verabschiedete<br />

er sich mit den Worten: »Ich kehre<br />

jetzt heim, Bruderk<br />

»Es ist gut! Teile mit, daB wir wieder miteinander<br />

reden werden, wenn die genannte Zusammenkunft<br />

der Verwandten stattgefunden hat!«<br />

Darauf nahmen sie Abschied voneinander, nachdem<br />

er noch seine Kinder ins Haus gerufen<br />

hatte 12 .<br />

138


Als er bei seinem Auftraggeber ankam, sprach<br />

dieser: »Bist du gekommen, Bruder?«<br />

»Ja!«<br />

»Und welche Antwort hat man dir dort erteilt?«<br />

Da antwortete er: »Es steht einigermaBen günstig.<br />

Angstigt euch beide deshalb nicht! Denn<br />

euer Wunsch ist zu ihnen gelangt. Sie müBten<br />

aber erst mit ihren Blutsverwandten reden, und<br />

dann sei mir das Wiederkommen nicht verwehrt.«<br />

»Es ist gut! Wenn es so steht, dann dürfen wir<br />

Hoffnung hegen. Derweil warten wir solange<br />

wie ein Küken nötig hat, um aus dem Ei zu<br />

kommen 13 .« Für den Heimweg gaben sie ihm<br />

dann Betelzutaten mit und sagten zu ihm:<br />

»Wenn wir dir Nachricht senden, komme wieder<br />

her!«<br />

»Es ist gut«, erwiderte er und kehrte heim.<br />

Am folgenden Tage sprach die Tochter des Vornehmen:<br />

«Liebe Eltern, ich will nicht heiraten;<br />

denn es tut weh, haben damals meine alteren<br />

Geschwister 14<br />

gesagt. Verheiratet mich deshalb<br />

nicht, bis ich ganz alt bin! Wenn ihr mich trotzdem<br />

vermahlen wollt, gehe ich in den Wald und<br />

baue dort ein Haus für mich und eine Dienerin.<br />

Wenn ihr mich verheiratet, bringe ich mich um!<br />

Denn ich habe gehort, daB ihr wiederholt gesagt<br />

habt, er solle herkommen und um meine Hand<br />

anhalten!«<br />

Da erwiderten ihre Eltern: »Deine alteren Geschwister<br />

haben damals Scherz mit dir getrieben,<br />

liebe Tochter! Weshalb sollte das Heiraten<br />

wohl schmerzen?«<br />

Sie antwortete: »Tötet mich, aber heiraten will<br />

ich nicht, bis mein Haupt ergraut ist. Wenn ihr<br />

139


wollt, dann verheiratet i h r euch doch mit dem<br />

Fremdling!«<br />

Da waren ihre Eltern sehr bekümmert, weil sie<br />

wortbrüchig werden muBten.<br />

Als der Monat zu Ende war, kam der Mann von<br />

damals. »Wie ist es jetzt?«<br />

Der Vornehme erwiderte: »Sie will nicht, daB<br />

wir sie verheiraten, sonst bringt sie sich um.<br />

Und wenn wir sie nicht verheiraten, dann sind<br />

wir wortbrüchig geworden.«<br />

Da nahm das Madchen Abschied. «Liebe Eltern,<br />

jetzt gehe ich mit meiner Freundin in den Wald.«<br />

Seine Eltern erwiderten nichts, sondern begannen<br />

zu weinen. Ihre Tochter nahm verschiedene<br />

Lebensmittel sowie Haumesser, Axt und Geratschaften<br />

aller Art für die Küche, wie groBe und<br />

kleine Töpfe und Schüsseln, mit. Dann machte<br />

sie sich mit ihrer Dienerin auf den Weg ins Innere<br />

des Waldes. Sie gingen kreuz und quer,<br />

damit man ihren Weg nicht fande. Sie kappten<br />

sich auch keinen Weg, sondern sie krochen unter<br />

dem Gestrüpp hindurch. Nachdem sie an einer<br />

geeigneten Stelle angelangt waren, sprach das<br />

Madchen: »Jetzt laB uns unsere Sachen hinlegen<br />

und eine Hütte mit einem Dach aus mahao-<br />

Blattern' 5<br />

als Aufenthalt für uns bauen!«<br />

Nachdem es Tag geworden war, begannen sie<br />

den Platz zu roden. Als die von ihnen gerodete<br />

Stelle groB genug war, brannten sie einen Platz<br />

für ihren Garten ab. Und im Laufe der Zeit<br />

grünte dieser, und alles, was man sich nur wünschen<br />

konnte, war da.<br />

Nach einiger Zeit sagte der Vornehme: »Damals<br />

haben wir dem Heiratsvermittler gesagt, wir<br />

wollten ihn wieder rufen. LaB uns nur einfach<br />

i40


sagen, unsere Tochter sei gestorben! Denn was<br />

können sie noch sagen, wenn unsere Tochter<br />

nicht mehr lebt? Und wenn sie es nicht glauben,<br />

so mögen sie die Sache untersuchen! Wenn sie<br />

das Madchen dann finden, mögen sie es mitnehmen!«<br />

Deshalb lieBen sie dem Mann von damals<br />

sagen: »Komm nicht her, wie wir damals<br />

vereinbart hatten, denn unsere Tochter ist gestorben!<br />

Jetzt sind wir zutiefst traurig. Nicht<br />

wart ihr es, die nicht wollten, und nicht war ich<br />

es, der nicht wollte, sondern sie ist gestorben.<br />

Und so gehort unsere Tochter jetzt weder euch<br />

noch mir.«<br />

Als die Eheleute die Nachricht vernahmen, weinten<br />

sie, weil ihre Schwiegertochter gestorben<br />

war.<br />

Ein Teil der Dorfbewohner sagte: »Die Tochter<br />

des Vornehmen ist tatsachlich gestorben.« Aber<br />

ein anderer Teil von ihnen behauptete: »Wieso<br />

denn? Sie ist fortgelaufen, weil sie sich vor<br />

dem Heiraten fürchtete, sie hat sich wer weifi<br />

wohin in den Wald begeben. Denn damals, als<br />

sie in einen Dorn getreten war, haben ihre Gefahrten<br />

sie abgeschreckt. Und sie erwiderte:<br />

,Wenn es so ist, will ich Schweinefleisch heiraten,<br />

bis ich alt bin 16 '!«<br />

Da sagte sich ein listenreicher Mann: ,Das ist<br />

ja alles nur Gerede! Die Alten haben gesagt:<br />

wenn harte Topfkruste mit Wasser in Berührung<br />

kommt, so wird sie weich. So ist es auch<br />

mit dieser Frau!' Er machte sich von einem<br />

Berg nach dem andern auf die Suche nach dem<br />

Weg der Frau, die in den Wald gegangen war.<br />

Als er menschliche Spuren fand, folgte er ihnen<br />

kreuz und quer. Man sagte, der Mann sei ein<br />

Pfadfinder gewesen; deshalb fand er auch ihren<br />

Weg. Nach einem Tag und einer Nacht bemerkte<br />

14i


er, daB der Wald gelichtet aussah, und daB sich<br />

dort sowohl ein Haus als auch ein Garten belanden.<br />

Deshalb sprach er bei sich: ,Das ist das<br />

Haus der Frau, die nicht heiraten will!' Darauf<br />

ging er geradeswegs weiter nach dem Hause der<br />

Frau.<br />

Als er dort ankam, sprach diese: »Woher kommst<br />

du, Oheim?«<br />

»Als ich hier mitten im Walde Rotan suchte,<br />

verirrte ich mich hierher zu euch.« Dann setzte<br />

er sich. Und nach einiger Zeit verführte er sie.<br />

Alsdann kehrte die Frau zu ihrer Mutter zurück<br />

und sprach: »Jetzt will ich heiraten, liebe Mutter,<br />

denn damals haben sie mich nur angstlich<br />

gemacht!«<br />

Da sagten ihre Eltern: »Wer möchte dich wohl<br />

haben? Alle Manner sind schon verheiratet,<br />

denn wir haben gesagt, daB du damals gestorben<br />

seist.«<br />

Darauf beauftragte sie ihre Freundin: »Dort<br />

wohnt ein Mann. Sag ihm, daB wir heiraten<br />

wollen! Denn wenn er nicht ware, könnte ich<br />

nicht heiraten. Und wenn er nicht will, dann<br />

werde ich ihn mir fangen!« Darauf heiratete sie<br />

den nahezu alten Mann.<br />

Und die Dorf bewohner sagten: »Töchter, unterlaBt<br />

es, nicht heiraten zu wollen!«<br />

Bis da geht die Erzahlung von der Frau. die<br />

nicht heiraten wollte.<br />

Die Frau, die Ehebruch beging<br />

,7n jenem Lande war einmal ein Mann, der mit<br />

einer sehr schonen Frau verheiratet war. Da<br />

wollte jemand Ehebruch mit ihr begehen. Deshalb<br />

beauftragte er eine Witwe, der Frau seine<br />

Absicht zu übermitteln 1 .<br />

142


Die Frau antwortete der Witwe: »Gut, warum<br />

nicht? Ich möchte es auch; denn mein Mann<br />

ist jeden Tag damit beschaftigt, am Strand zu<br />

fischen.« Und so taten sie Böses, ohne daB<br />

menschliche Augen es bemerkten.<br />

Als ihr Mann im Laufe der Zeit doch erfuhr,<br />

daB seine Frau Böses zu tun pflegte, sprach er:<br />

»Ich sehe, daB du dich jetzt ganz anders betragst.<br />

Höre endlich mit deinem Treiben auf!«<br />

Seine Frau erwiderte: »Wie schlecht mein Benehmen<br />

auch immer sein mag, du bist schuld<br />

daran!«<br />

»Das brauchst du doch nicht erst zu erzahlen;<br />

denn ich kenne deine Worte schon. Aber anscheinend<br />

bin ich einfaltig!«<br />

Darauf steilte sie ihr Treiben denn auch ein.<br />

Aber nach einem Monat nahmen ihr Verehrer<br />

und sie das Ehebrechen noch schlimmer als vorher<br />

wieder auf.<br />

Da sprach ihr Mann bei sich: ,Wenn sich meine<br />

Frau so betragt, dann ziehen wir an einen anderen<br />

Ort. Denn wenn es nicht geschieht, stellt sie<br />

ihr Treiben nicht ein, und im Laufe der Zeit<br />

geschieht noch ein Unglück.' Am nachsten Tag<br />

sagte er zu seiner Frau: »Wir ziehen nach der<br />

anderen Seite des Landes. Denn dort befindet<br />

sich ein mir von unserem Vater hinterlassenes<br />

Stück Land.«<br />

Seine Frau erwiderte: »Gut, warum nicht? Gibt<br />

es dort auch viele Leute? Und laBt es sich dort<br />

auch gut leben?«<br />

»Das Land ist sehr gut, es gibt dort viele schone<br />

Fischplatze, und die Felder für den Reis sind<br />

auch sehr gut. Wenn wir einen Garten anlegen<br />

wollen, so ist das auch möglich!«<br />

143


Da sagte seine Frau: »Wenn es so ist, will ich es<br />

meiner Mutter mitteilen.« Und sie machte sich<br />

auf den Weg. Unterwegs begegnete sie ihrem<br />

Freund, und sie begannen zu plaudern. Die Frau<br />

sprach: »Wir ziehen von hier fort nach der anderen<br />

Seite des Landes, hat mein Mann gestern<br />

gesagt.« Alsdann nahm sie Abschied von ihm,<br />

und weinend trennten sie sich. Die Frau kehrte<br />

nach Hause zurück. Dort sprach sie: »Ich habe<br />

es den Eltern mitgeteilt!«<br />

»Gut! Und nun suche alle deine Sachen zusammen,<br />

damit wir sie mitnehmen können! Das<br />

andere lassen wir zurück, oder wir holen es spater<br />

nach!«<br />

Frühm<strong>org</strong>ens machten er und seine Frau sich<br />

auf den Weg. Sie gingen an dem groBen FluB<br />

entlang nach dem Oberlauf. Als sie an den FuB<br />

eines Berges gelangten, kletterten sie abends<br />

auf den Berg 2 , bauten sich eine einfache Hütte 3<br />

und schliefen dort eine Nacht. Frühm<strong>org</strong>ens<br />

gingen sie weiter, nachdem sie wieder hinabgestiegen<br />

waren. Dann stieBen sie auf einen<br />

anderen FluB, dem sie folgten. Als sie an seiner<br />

Mündung angelangt waren und es wiederum<br />

Abend war, da bauten sie sich wieder eine<br />

Hütte. Dann sagte der Mann: »Wir sind angelangt!<br />

Hier befinden wir uns auf dem mir von<br />

meinem Vater hinterlassenen Gebiet.«<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en begannen sie mit dem<br />

Bau eines gröBeren Hauses. Dann rodeten sie<br />

den Wald und legten sich einen Garten an, in<br />

dem sie Zuckerrohr, Reis und Gemüse aller Art<br />

pflanzten. Darauf war ihr Mann stets wieder<br />

damit beschaftigt, zum Fischen an den Strand<br />

zu gehen. Jeden Tag ging er m<strong>org</strong>ens fort, und<br />

abends kam er wieder; so ging es tagaus tagein.<br />

144


Wahrenddessen dachte der Liebhaber der Frau:<br />

,Wenn ich dem FluB folge, von dem meine<br />

Freundin gesprochen hat, ob ich sie dann wohl<br />

finden werde?' Und er ging am FluB entlang.<br />

Als er auf einen anderen FluB und auf Menschenspuren<br />

stieB, folgte er ihnen. Nachdem er<br />

dort an der FluBmündung angelangt war und<br />

ein Haus erblickte, dachte er bei sich: ,Das ist<br />

anscheinend das Haus meiner Freundin!' Und<br />

er beobachtete es vom Rand des Krüppelholzes<br />

aus, aber es war kein Mann zu sehen, nur eine<br />

Frau war sichtbar, niemand anders. Da zeigte<br />

er sich.<br />

Und als ihn die Frau vom Hause her erblickte,<br />

erkannte sie ihn sogleich. Sie sagte sich: ,Das<br />

ist mein Liebhaber!' Sie ging ihm bis zum Waldesrand<br />

entgegen und fragte: »Woher führte<br />

dich dein Weg, Liebster?«<br />

»Ich folgte dem FluB, von dem du damals geredet<br />

hast!«<br />

Da sagte die Frau: »Komm heute abend nach<br />

dem Hause!«<br />

Nachdem es dunkel geworden war, begab er sich<br />

dorthin und versteckte sich hinter der Küche.<br />

Als es dann nach gebratenen Fischen und Krebsen<br />

duftete, bat er die Frau: »Gib mir einen<br />

von den Fischen! Sie duften sehr gut.«<br />

Die Frau antwortete: »Sei nicht voreilig!«<br />

Weil er einen Augenblick darauf nochmals darum<br />

bat, reichte sie ihm einen gebratenen Fisch<br />

und einen Krebs hin. Er verzehrte sie im Dunkeln.<br />

Da bekam er den Schluckauf, und ein<br />

Stück Krebsschale geriet ihm in den Hals, so<br />

daB er auf der Stelle starb.<br />

Als die Frau sah, daB ihr Liebhaber tot und<br />

schon ganz steif war, sprach sie bei sich: ,Jetzt<br />

1 0<br />

145


ist mir ein groBes Unglück zugestoBen! Ich<br />

fürchte, daB mein Mann diesen Toten findet.'<br />

Darauf wickelte sie ihn in eine Matte und deckte<br />

ihn mit Brennholz zu. Als ihr Mann dann zum<br />

Fischen gegangen war, sagte sie: »Es besteht<br />

folgender Aus weg: in diesem Lande gibt es<br />

Diebe; sieben sind ihrer, sagt man. Nun werde<br />

ich alle unsere schonen Kleidungsstücke und<br />

Seidenstoffe nehmen und sie in der Sonne trocknen.«<br />

Als sie die vielen Kleidungsstücke trocknete,<br />

gingen plötzlich die Diebe vorüber. Und als sie<br />

all die kostbaren Stücke sahen, sprachen sie bei<br />

sich: ,Wartet nur, in der Nacht lassen wir das<br />

alles verschwinden!'<br />

Darauf nahm die Frau den Toten, wickelte ihn<br />

in eine Schlaf- und Sitzmatte 4<br />

ein, die sie dann<br />

an beiden Enden und in der Mitte zusammenschnürte.<br />

Alsdann legte sie das Bündel auf die<br />

Deckenbalken.<br />

Zur Nachtzeit kamen die Diebe nach dem Hause<br />

der Frau. Sie fühlten dorthin, sie tasteten hierhin,<br />

bis sie plötzlich auf etwas Schweres stieGen,<br />

das an beiden Enden verschnürt war. Da sprachen<br />

sie: »Oh, das ist es, was sie gestern getrocknet<br />

haben!« Sie hoben es sofort auf die Schulter<br />

und liefen sehr geschwind damit in den<br />

Wald.<br />

Dabei blieb jedoch einer der Diebe, der einen<br />

HinkfuB hatte und naselte, zurück. Als er nun<br />

von hinten die FuBspitzen des Toten erblickte,<br />

dessen FuBsohlen ganz weiB waren 5 , da rief er:<br />

»Ein Mensch, ein Mensch! MenschenfüBe, MenschenfüBe<br />

tragt ihr auf der Schulter!«<br />

Als die anderen Diebe das horten, riefen sie:<br />

»Beeilt euch! Wir müssen sehr schnell laufen,<br />

denn man verfolgt uns!« Deshalb ergriffen sie<br />

146


die Flucht und liefen unbeschreiblich schnell<br />

fort.<br />

Nachdem sie mitten im Walde angelangt waren,<br />

legten sie ihr Bündel nieder. Und als sie es<br />

öffneten, da sahen sie es ... »0 weh! Um des<br />

Himmels willen, ein toter Mann! Die zehnmal<br />

verfluchten Menschen haben uns getauscht. Sie<br />

haben uns nur einen Toten forttragen lassen.<br />

Anscheinend wollten sie ihn nicht begraben und<br />

schmiedeten deshalb einen Plan, um ihn beiseite<br />

zu schaffen. Diese Frau war wirklich sehr<br />

schlau; denn uns Manner vermochte sie hinters<br />

Licht zu führen. Mag es dabei sein Bewenden<br />

haben, denn was können wir anderes tun? Wir<br />

wollen uns keine Vorwürfe machen.«<br />

Darauf sprach der Anführer der Diebe: »Wir<br />

werden schon etwas anderes finden!«<br />

Bis dahin geht diese Erzahlung.<br />

Der Mann, der starb,<br />

weil seine Frau ihn kitzelte<br />

,7n einem Dorf gab es einmal ein Ehepaar, das<br />

eben erst verheiratet war. Deshalb liebten sie<br />

einander sehr. Immerfort pflegten sie sich zu<br />

necken und anzustoBen. Wenn sie aBen oder wenn<br />

sie lagen, war es ebenso.<br />

Deshalb sagten die Leute: »Madel, du schakerst<br />

wohl dauernd mit deinem Mann?«<br />

Die Frau erwiderte: »So sind nun einmal die<br />

Jungvermahlten! Was sollten wir denn anderes<br />

tun?«<br />

Eines Tages begaben sich alle Leute des Dorfes<br />

auf die Reisfelder, um zu pflügen und die Felder<br />

von Büffeln durchstampfen zu lassen 1 . Der Mann<br />

nahm ebenfalls an diesen Arbeiten teil. Denn<br />

io'<br />

t 4 7


die Landessitte schreibt vor, daB der jungverheiratete<br />

Mann ein bis zwei Jahre lang bei seinen<br />

Schwiegereltern arbeitet 2 . Der Mann lieB<br />

das Reisfeld von Büfïeln durchstampfen, und die<br />

Frau pflanzte. Tag für Tag war das ihre Beschaftigung;<br />

denn sie waren sehr fleifiig. Schon<br />

frühm<strong>org</strong>ens gingen sie und ihr Mann aufs Feld.<br />

Eines Tages brachte die Frau ihrem Mann Essen<br />

aufs Reisfeld. Sie trug es in einer Schüssel, die<br />

mit einem ganz neuen Reisbreideckel 3<br />

zugedeckt<br />

war, auf dem Kopf. Dort angekommen, sprach<br />

sie: »Wenn du hungrig bist, komm her und iB!«<br />

»Es ist gut«, erwiderte er. Er hielt seinen Pflug<br />

und die Büffel an und ging essen. Als er dann<br />

den Deckel der Schüssel öffnete und zu essen<br />

begann, saB seine Frau bei ihm auf einem Reisfelddeich<br />

4 . Wahrend er aus einem BambusgefaB<br />

trank, stieB seine Frau ihn an und kitzelte ihn<br />

in der Achselhöhle. Da erschrak er. Er verschluckte<br />

sich, so daB Wasser in seine Nase und<br />

in seine Ohren geriet. Da rang der Mann nach<br />

Luft, fiel auf den Rücken, schlug um sich und<br />

starb sofort.<br />

Sie umarmte ihn mit den Worten: »Warum, warum<br />

nur?« Und als sie sah, daB er gestorben war,<br />

da begann sie zu wehklagen, so daB die Leute<br />

auf den Reisfeldern es horten, von denen einige<br />

auch bemerkt hatten, daB sie ihren Mann beim<br />

Trinken gekitzelt hatte.<br />

Alle Leute eilten herbei, um nach ihm zu sehen,<br />

aber er war bereits tot. Da schüttelten sie den<br />

Kopf und brachten den Verstorbenen nach<br />

Hause. Dann kamen die Moscheebeamten; man<br />

badete den Leichnam und hüllte ihn in Leichentücher<br />

5 . Darauf geleitete man ihn zu Grabe.<br />

Dort wurde er bestattet; dann schütteten sie sein<br />

Grab zu, besprengten es mit Zitronenwasser 6 ,<br />

148


sprachen ihm das mohammedanische Glaubensbekenntnis<br />

vor und unterrichteten ihn, was er<br />

den Grabesengeln zu antworten habe 7 . Nachdem<br />

die Moscheebeamten gebetet hatten, kehrten alle<br />

Leute heim.<br />

Die jüngeren Geschwister des Verstorbenen beweinten<br />

ihn sehr, weil er so kurz nach der Hochzeit<br />

gestorben war. Sie hielten das Totenmahl<br />

im Hause seiner Schwiegereltern ab und den<br />

Leichenschmaus sowie die Gedenkfeiern am<br />

dritten, fünften und siebenten Tag nach dem<br />

Tode s . Als die Gedenkfeiern beendet waren,<br />

kam ein alter Mann und sagte: »Setzt eben mit<br />

eurer Arbeit aus, ihr Jugendlichen, Manner und<br />

Frauen, und hört auf meine Worte, die von<br />

unseren GroBeltern und Vorfahren stammen:<br />

,Geht nicht über das HöchstmaB hinaus! Denn<br />

die Alten haben schon gesagt: Wenn Liebe übertrieben<br />

wird, entsteht Leid; wenn die Mischung<br />

überschritten wird, entsteht Aufgedunsenheit.'<br />

So sagte man früher.«<br />

Bis zum heutigen Tage erinnert man sich dieses<br />

Vorfalls. Und man neckt sich nicht und stöBt<br />

einander nicht an, wenn man trinkt. Denn man<br />

fürchtet, auf dieselbe Weise zu sterben wie jener<br />

Mann.<br />

Der eifersüchtige Fürst<br />

£"s war einmal ein Fürst mit seiner Frau, der<br />

war sehr reich und hatte sehr viele Untertanen;<br />

sein Reich war auch sehr ausgedehnt. Der Fürst<br />

liefi ein Versammlungshaus bauen, wo er Recht<br />

sprach und in seinem Reiche zu Gericht saB.<br />

Waren Missetater vorhanden, so wurden sie sofort<br />

enthauptet. Das war der Zweck des Versammlungshauses.<br />

Da der Fürst jeden Tag mit<br />

seinen Untertanen dorthin ging, dachte er bei<br />

149


sich: ,Ich bin hier im Versammlungshaus, und<br />

meine Frau bleibt allein im Hause zurück. Ich<br />

befürchte deshalb, daB andere Leute sie mitnehmen.<br />

Deshalb werde ich nun ein Tau von diesem<br />

Versammlungshaus nach meiner Wohnung<br />

legen. Wenn ich von hiér aus ziehe, dann zieht<br />

meine Frau vom Hause aus. Das ist dann das<br />

Zeichen dafür, daB sie nicht spazieren geht, oder<br />

daB andere sie entführten.'<br />

Als die Leute das horten, sagten sie: »Unser<br />

Fürst benimmt sich sehr eifersüchtig. Noch niemals<br />

haben wir einen solchen Fürsten gesehen.«<br />

Da vernahm man in einem anderen Lande, daB<br />

der Fürst eifersüchtig sei. Als auch ein reicher<br />

Mann davon hörte, sprach er: »Es ware gut,<br />

wenn ich einmal dorthin ginge, um dem eifersüchtigen<br />

Fürsten einen Besuch abzustatten und<br />

zu sehen, wie seine Gattin aussieht, ob sie sehr<br />

schön ist!« Und er befahl seinen Leuten: »Trefft<br />

Vorbereitungen für eine Schiffsreise; denn wir<br />

wollen uns die Frau des Fürsten ansehen, ob sie<br />

in meinen Augen auch wirklich schön ist!«<br />

Am folgenden Tage segelten sie dann mit drei<br />

Schiffen los. Nach einiger Zeit kamen sie im<br />

Lande des eifersüchtigen Fürsten an. In einer<br />

Bucht feuerten sie Gewehre ab.<br />

Da erschrak der Fürst und sandte Leute nach<br />

der FluBmündung, die nachsehen sollten, was<br />

das Gewehrfeuer zu bedeuten habe. Vielleicht<br />

waren es Leute, die Krieg führen, oder Leute, die<br />

Stoffe oder geschalten Reis verkaufen wollten.<br />

Deshalb machten sich die Hauptleute auf den<br />

Weg, um sich die Schiffe anzusehen. Dort fragten<br />

sie: »Was wollt ihr?«<br />

Die Schiffsbesatzung antwortete: »Wir sind hierher<br />

gefahren, um uns das Land anzusehen!«<br />

150


Die Hauptleute kehrten heim und erstatteten<br />

dem Fürsten Bericht: »Die Schiff e fahren ohne<br />

bestimmte Absicht umher. Die Leute sagen, sie<br />

wollten keinesfalls Krieg führen. Und ihre Ladung<br />

besteht aus Stoffen.«<br />

Der Fürst sprach: »Es sei denn, beruhigt euch!«<br />

Der Kapitan der Schiffe entsandte Leute: »Teilt<br />

dem Fürsten mit, daB wir m<strong>org</strong>en früh an Land<br />

gehen, um seinem Reich einen Besuch abzustatten.<br />

Wir werden auch seine Gattin aufsuchen, damit<br />

wir sehen, wie schön sie ist.« Als sie am<br />

Land ankamen, erwarteten der Fürst und seine<br />

Frau sie mit freundlichen Worten. Dann gaben<br />

sie der gesamten Schiffsbesatzung ein Festmahl.<br />

Darauf sprach der Kapitan: »Wir wollen an Bord<br />

zurückkehren, Fürst!«<br />

»Gut, tut das!«<br />

Alsdann verabschiedeten sich der Fürst und der<br />

Kapitan voneinander. Nachdem sie alle auf den<br />

Schiff en angekommen waren, sagte der Kapitan:<br />

»Die Frau des Fürsten ist von unbeschreiblicher<br />

Schönheit! Habt ihr es auch bemerkt?«<br />

»Wir haben es auch bemerkt. Derartige Schönheit<br />

einer Frau gibt es nicht wieder!«<br />

Da befahl der Kapitan: »Wir wollen eine List<br />

versuchen!« Er beauftragte seine Maulwurfsgrille<br />

1 , die Erde vom Meeresstrand bis unter das<br />

Haus des Fürsten zu untergraben. Als das geschehen<br />

war, sandte er am folgenden M<strong>org</strong>en<br />

ganz früh einen Mann und eine Frau zu der Gattin<br />

des Fürsten; denn sie sollten eine Botschaft<br />

vom Kapitan überbringen. Er sprach: »Fragt<br />

die Fürstin, ob sie mir in ein groBes Reich folgen<br />

will, und ob wir heiraten wollen. Wenn sie es<br />

will, so möge sie euch von dort folgen! Der Weg<br />

befindet sich in dem Maulwurfsgrillengang!«<br />

15i


Nachdem der Mann und die Frau dort angelangt<br />

waren, teilten sie der Fürstin die Worte des Kapitans<br />

mit, und sie antwortete: »Ich möchte es<br />

noch tausendmal lieber als er, wenn ich nur von<br />

hier fortkomme! Denn ich bin sehr betrübt; es<br />

ist mir namlich, als ob ich in Fesseln lage. Es ist<br />

besser, ich folge dem Kapitan!«<br />

Da sagten die beiden: »Mach dich fertig, und<br />

nimm alle deine Kleider mit!«<br />

Und die Fürstin sagte zu einer alten Frau:<br />

»Wenn der Fürst nachher am Tau zieht, dann<br />

zieh du von hier!« Darauf floh die Fürstin durch<br />

den Maulwurfsgrillengang bis nach dem Meeresstrand.<br />

Dort brachte man sie an Bord des Schiffes,<br />

und sie wechselte ihre Kleider.<br />

Da sprach der Fürst: »Warum zieht die Fürstin<br />

nicht an dem Tau? Ob sie vielleicht schlaft?«<br />

Als er wiederum zog und sie nicht vom Hause<br />

her antwortete, erhob er sich und ging heim. Als<br />

er sah, daB sie nicht anwesend war, fragte er die<br />

eine Frau: »Wohin ist die Fürstin gegangen?«<br />

»Vor einem Augenblick saB sie noch dort!«<br />

Darauf befahl der Fürst: »Sucht sie! Wo ist sie?«.<br />

Bei der Suche im Hause geriet sein FuB in den<br />

Gang, durch den die Fürstin geflohen war.<br />

»Was?« sprach er da, »die Fürstin ist von Damonen<br />

geholt! Macht euch eiligst auf den Weg; denn<br />

anscheinend hat ein Damon meine Frau entführt!»<br />

Er selbst ging durch den Maulwurfsgrillengang<br />

bis an den Strand.<br />

Dort stieg er an Bord des Schiffes, und der Kapitan<br />

sprach zu ihm: »Setzt Euch!« Und zu der<br />

Gattin des Fürsten sagte der Kapitan: »Bringe<br />

deinen Behalter mit dem Betelzubehör her!«<br />

Als sie dem Fürsten davon anbot, dachte dieser<br />

bei sich: .Anscheinend ist das meine Frau. Aber<br />

152


wie sollte das möglich sein? Denn wenn sie<br />

meine Frau ware, so würde er sie mir hier nicht<br />

zeigen.' SchlieBlich sagte der Fürst: »Ich kehre<br />

an Land zurück, denn ich habe Leibschmerzen.«<br />

Als er zu Hause ankam, sah er, daB seine Frau<br />

noch immer nicht gekommen war. Deshalb ging<br />

er am Meeresstrand entlang. Da sah er, daB die<br />

Schiffe bereits nach dem offenen Meer fortgesegelt<br />

waren. Er begann zu weinen. Und als<br />

er ein anderes Schiff erblickte, winkte er es herbei.<br />

Nachdem die Schiffsbesatzung ihn an Bord geholt<br />

hatte, fragte ihn der Kapitan: »Was begehrt Ihr,<br />

o Fürst?«<br />

»Ich bin auf der Suche nach meiner Frau; denn<br />

die Besatzung eines Schiffes hat sie anscheinend<br />

entführt. Bringt mich nun nach jenem groBen<br />

Lande! Denn es ist besser, daB ich sterbe, statt<br />

daB ich noch am Leben bleibe.«<br />

Nach einiger Zeit kamen sie am neuen Wohnort<br />

seiner Frau an. Der Fürst erblickte das Schiff<br />

in einer Bucht vor Anker. Als er auf dem Schiff<br />

angelangt war, fragte ihn der Kapitan: »Woher<br />

kommt Ihr, Fürst?«<br />

»Ich komme von jenem Schiff. Wo ist denn deine<br />

Frau? Ich möchte essen!«<br />

Da erwiderte der Kapitan: »Meine Frau ist<br />

krank!«<br />

»Ist sie wirklich krank?«<br />

»Sie ist wirklich erkrankt!«<br />

Da sagte der Fürst: »LaB uns sie dann aufsuchen!«<br />

Und sie besuchten sie in der Kajüte.<br />

Ais sie dort ankamen, war sie auch schwer krank.<br />

Vorher war sie zwar nicht krank gewesen, aber<br />

weil der Kapitan gesagt hatte, sie sei krank, war<br />

sie denn auch sofort sterbenskrank.<br />

153


Da sagte der Fürst: »Du hast mich betrogen,<br />

denn du hast meine Frau entführt! Diese da ist<br />

namlich niemand anders als meine Frau!«<br />

Da erwiderte der Kapitan: »Was ist denn das<br />

Kennzeichen dafür, daB sie Eure Frau ist?«<br />

»Mir ist das Kennzeichen bekannt. Wenn du es<br />

augenblicklich sehen willst, dann ist es gut!« Und<br />

der Fürst fragte sie: »Bin ich dein Mann oder<br />

nicht? Sprich!«<br />

Die Frau anwortete »Nein!« und schüttelte ihr<br />

Haupt.<br />

Deshalb sagte der Kapitan: »Was ist das Kennzeichen<br />

dafür, daB sie Eure Gattin ist?«<br />

Der Fürst erwiderte: »Reize die Kehle dieser<br />

Frau!« Als er sie dann reizte und sie gebratenes<br />

Büffelfleisch erbrach, sagte der Fürst: »Sieh nach,<br />

ob bei mir das Kennzeichen dafür vorhanden ist,<br />

daB sie meine Frau ist!« Als der Fürst dann<br />

seine Kehle reizte, und er ebenfalls gebratenes<br />

Fleisch erbrach, da waren die Worte des Fürsten:<br />

»Das ist das Kennzeichen dafür, daB sie meine<br />

Frau ist. Versuche es und reize du nun deine<br />

Kehle, was dann zum Vorschein kommt!« Und<br />

als er sie reizte, erbrach er Brot. »Das ist das<br />

Zeichen dafür, daB sie nicht deine Frau ist!«<br />

Darauf sprach der Fürst: »Wir können nicht endlos<br />

um sie streiten. Weil sie sich jetzt von mir<br />

abgewandt hat, soll sie nicht mehr glücklich sein.<br />

Sie kehre zum Wind zurück, und ich kehre nach<br />

dem Wasser zurück!«<br />

Darauf wurde die Fürstin zum Winde und nog<br />

dahin 2 , und der Fürst wurde zu Wasser. Da<br />

waren die beiden Eheleute tot, und der Kapitan<br />

blieb dort allein zurück. Er begann zu wehklagen<br />

und laut zu weinen.<br />

Damit ist die Erzahlung zu Ende.<br />

154


Der despotische<br />

Fürst<br />

S&er Landesfürst sprach: »Ich bin der GröBte<br />

von euch allen in diesem Lande. Befolgt daher<br />

alles, was ich nun sage! Wenn ihr es nicht tut,<br />

dann töte ich euch alle.«<br />

Die Leute sagten: »Es ist gut, o Fürst, alles, was<br />

Ihr sagt, werden wir ohne weiteres tun!«<br />

Darauf fuhr der Fürst fort: »Wer von euch heiratet,<br />

dessen Braut kommt erst zu mir ins Haus,<br />

um sich die Nagel rot farben zu lassen 1 . Drei<br />

Tage lang bleibt sie bei mir, alsdann darf sie<br />

sich mit ihrem Verlob ten verheiraten!«<br />

»Es ist gut, Fürst«, antworteten die Leute, die<br />

daraufhin heimkehrten.<br />

Im Laufe der Zeit gab es einen Mann, der ein<br />

Madchen heiraten wollte. Da sagte der Vater<br />

des Madchens: »Meine Tochter, jetzt bringen wir<br />

dich in das Haus des Fürsten. Du gehst drei<br />

Tage dorthin, um dir die Nagel rot farben zu<br />

lassen, dann darfst du heiraten.«<br />

Als sie beim Fürsten angekommen war, sprach<br />

dieser nachts zum Madchen: »Komm her und<br />

schlaf heute nacht bei mir! Wenn du es nicht<br />

willst, dann bringe ich dich um!«<br />

Da begann das Madchen zu weinen. Weil es<br />

nicht zum Fürsten gehen wollte, wurde dieser<br />

zornig. SchlieBlich ging sie doch zu ihm, um die<br />

Nacht dort zu schlafen. Der Fürst wollte ihr<br />

jedoch nicht die Nagel rot farben, sondern er<br />

wünschte etwas anderes von ihr.<br />

Nach drei Tagen befahl er dem Menschenkind,<br />

ins vaterliche Haus zurückzukehren.<br />

Dort sagte das Madchen: »Der Fürst hat mich<br />

geschandet, Vater!«<br />

Dieser erwiderte: »LaB nur, denn wir können<br />

uns dem Fürsten nicht widersetzen, weil er der<br />

155


Machtigste im Lande ist.« Dann verheiratete er<br />

seine Tochter mit jenem Mann.<br />

Nachdem sie zwei bis drei Tage lang verheiratet<br />

waren, wuBte der Mann, daB der Fürst sie geschandet<br />

hatte. »Das also war es, was der Fürst<br />

meinte, als er sagte, meine Frau solle hingehen,<br />

um sich die Nagel rot farben zu lassen!«<br />

Als er es seinen Schwiegereltern mitteilte, sagte<br />

sein Schwiegervater: »LaB nur, mein Sohn,<br />

schweig und erzahle es nicht den anderen Leuten!«<br />

Nach einem Jahr sprach der Fürst zu seinen<br />

Untertanen: »Ich will im Meer baden, deshalb<br />

bringt mich jeden Freitag dorthin! Ihr alle versammelt<br />

euch, um mich zum Baden zu tragen!<br />

Wenn ihr es nicht wollt, bringe ich euch alle<br />

um!«<br />

Weil alle Leute angstlich waren, sagten sie: »Es<br />

ist gut, o Fürst, wir werden dich am Freitag<br />

baden!« Und jeden Freitag trugen sie ihn auf<br />

den Schultern an den Meeresstrand. Wenn sie<br />

dort angekommen waren, badete er, und sie rieben<br />

ihm die Haut ab. Dann brachten sie den<br />

Fürsten ins Haus zurück und gingen heim. Dort<br />

sagten sie: »Der Fürst ist sehr tyrannisch. Wir<br />

wollen eine List suchen. um ihn umzubringen.<br />

Aber wollen wir ihn mit scharfen Waffen töten,<br />

so können ihm Haumesser und Speer nichts anhaben,<br />

denn er ist unverwundbar 2 .«<br />

Da sagte ein listenreicher Mann: »Ich weiB ein<br />

Mittel, um den Fürsten zu töten. Denn wenn<br />

Eisen ihm nichts anzuhaben vermag, dann laBt<br />

uns doch groBmaschige Wurfnetze 3<br />

anfertigen.<br />

LaBt uns Bast vom balu-Baum 4<br />

suchen, und laBt<br />

uns jeder ein Wurfnetz knüpfen! Wenn der<br />

Freitag da ist und der Fürst gerade badet, dann<br />

156


werfen wir unsere Wurfnetze aus. Wir sagen<br />

dann, wir wollten Fische fangen.«<br />

Als dann der Badetag des Fürsten gekommen<br />

war, versammelten sich alle Leute, die groBe<br />

Wurfnetze angefertigt hatten. Als der Fürst<br />

beim Baden in Gedanken versunken war, warfen<br />

die Leute ein Netz nach dem andern über<br />

ihn, so daB er ertrank, denn er konnte sich nicht<br />

aufrichten, weil er von den zahlreichen Netzen<br />

zugedeckt war. So starb er.<br />

Da sagten die Leute: »Du bist gestorben, weil<br />

du so tyrannisch warst.« lm Hause des Fürsten<br />

erzahlten sie: »Er ist beim Baden ertrunken,<br />

weil Wasser in seine Nase geriet. Das ist es,<br />

welches den Fürsten entseelte.« Aber sie teilten<br />

nicht mit, daB sie ihn in Wirklichkeit mit<br />

ihren Wurfnetzen umgebracht hatten. Alsdann<br />

bestatteten sie den Fürsten in einem Grab.<br />

Nach seinem Tode waren alle Madchen und alle<br />

Jünglinge glücklich. Da sagte ein alter Mann:<br />

»Ist ein Fürst gerecht, dann wird er geehrt; ist<br />

er jedoch ungerecht, dann leistet man ihm<br />

Widerstand.«<br />

Der Mann,<br />

der sich eine Nebenfrau nahm<br />

£s war einmal ein Mann, der besaB zuerst nur<br />

eine Frau, die seine Eltern für ihn ausgesucht<br />

hatten. Als er dann noch eine andere heiraten<br />

wollte, die schön und klug war, sprach seine<br />

Mutter: »Heirate nicht zwei Frauen! Nachher<br />

hast du S<strong>org</strong>en, weil du nicht für ihren Lebensunterhalt<br />

aufkommen kannst.«<br />

Da entgegnete ihr der Sohn: »Ihr sollt sie ja<br />

nicht aussuchen, sondern ich "will es selbst tun.<br />

Wenn es nachher nicht gut geht, dann verstoBe 1<br />

157


ich sie.« Darauf verheiratete er sich mit der<br />

Tochter eines Mannes, der einigermafien wohlhabend<br />

war.<br />

Da sprachen seine Eltern: »Die Frau, die wir<br />

für dich ausgesucht haben, ist für lange Zeit,<br />

aber die, welche du dir selbst ausgesucht hast,<br />

ist nur für kurze Zeit 2 ! Mit deiner zweiten Frau<br />

wollen wir nichts zu tun haben.«<br />

Er lieB seine beiden Frauen in einem Hause<br />

miteinander wohnen. Die eine war etwas alter,<br />

die andere jünger.<br />

Da dachte die jüngere Frau: ,Ich will meine Gefahrtin<br />

unbeliebt machen.' Dann nahm sie eine<br />

Handvoll Salz und tat sie in die Zukost, die ihre<br />

Gefahrtin gekocht hatte, so daB das Essen versalzen<br />

war.<br />

Da sprach ihr Mann: »Warum ist diese Zukost<br />

versalzen?«<br />

Seine Frau, die das Essen gekocht hatte, antwortete:<br />

»Ich habe vorhin nicht viel Salz hineingetan!«<br />

Der Mann sagte: »Wenn man der Köchin sagt,<br />

das Essen sei salzig, dann antwortet sie: ,Ich habe<br />

gar nicht viel Salz hineingetan!' Ihr schlechten<br />

Weiber seid immer so! Ihr kennt wirklich immer<br />

Ausflüchte, um euch herauszureden!«<br />

Als dann die junge Frau am folgenden M<strong>org</strong>en<br />

die Mahlzeit kochte, dachte die altere:<br />

,Warte du nur dein Los ab!' Dann nahm sie<br />

zwei Hande voll Lombokpfeffer 3<br />

und tat ihn in<br />

die Zukost, die ihre Mitehefrau gekocht hatte.<br />

Deshalb war die Zukost sehr scharf.<br />

Da sprach der Mann: »Warum ist die Zukost<br />

übertrieben scharf? Wer von euch hat sie gekocht?»<br />

158


Die junge Frau antwortete: »Wer denn anders<br />

als ich soll die Zukost gekocht haben? Sei nicht<br />

böse, aber vorhin habe ich nicht viel Pfeffer<br />

hineingetan!«<br />

Der Mann sagte: »Mit dir und deiner Mitehefrau<br />

ist es doch immer dasselbe! Ihr kennt<br />

wirklich Köchinnen-Antwortenk<br />

Deshalb waren die beiden Ehefrauen uneins<br />

miteinander.<br />

Die eine dachte: ,Warte du nur dein Los ab!'<br />

Die andere sagte sich: ,Ich werde ihre Reispflanzen<br />

verfluchen'! Warum wachsen sie denn<br />

auch in groBer Menge?' Darauf schlug sie die<br />

Reispflanzen mit einem Bambuszweig; da flog<br />

die Lebenskraft der Reispflanzen fort.<br />

Als die andere Frau dann hinging und nachsah,<br />

ob ihr Reis schon Schalen hatte, sprach<br />

sie bei sich: ,Das alte Weib hat mir Schaden zugefügt.<br />

Sie ist die Tochter eines Schweins. Aber<br />

warte du nur dein Geschick ab!'<br />

Alsdann begab sie sich nach der Sagopalme 5<br />

ihrer Mitehefrau und verfluchte sie mit den<br />

Worten: »0 Sagopalme, dein Mehl rinne von<br />

heute bis in Ewigkeit nicht mehr heraus 6 !«<br />

Dann stieB sie die Sagopalme dreimal mit dem<br />

FuB.<br />

Als die andere Frau am folgenden Tag sah, daB<br />

das Mehl ihrer Sagopalme nicht mehr herausrinnen<br />

konnte, sprach sie: »Sie hat Rache für<br />

ihre Reispflanzen genommen, die ich mit dem<br />

Bambus geschlagen habe. Hatte ich doch ihre<br />

Reispflanzen nicht geschlagen!« Nun bereute die<br />

altere Frau es bereits.<br />

Darauf sprach ihr Mann: »So geht es nicht mehr<br />

weiter; denn jetzt bin ich ruiniert. Und das<br />

haben die verdammten Weiber getan! Hatte ich<br />

159


doch damals nicht zwei geheiratet! Meine Mutter<br />

sagte ja schon, ich solle nicht zwei Frauen<br />

heiraten!« Und am folgenden Tage verstieB er<br />

seine jüngere Frau mit den Worten: »Du hast<br />

mir nur Kummer bereitet. Kehre deshalb zu<br />

deinen Eltern zurück! Meine Mutter hat auch<br />

gesagt, du seist nur für kurze Zeit!«<br />

Die Frau kehrte zu ihren Eltern zurück. Es<br />

blieb nur noch seine Frau, die das Vermachtnis<br />

seiner Eltern war.<br />

Deshalb sagten die Leute im Lande: »Es war<br />

nicht gut, diese beiden zu heiraten, mochte die<br />

zweite auch noch so schön sein. Denn eine beleidigte<br />

Frau kann eine erlittene Krankung nie<br />

vergessen 7 .«<br />

Bis da geht die Erzahlung von dem Mann, der<br />

sich eine Nebenfrau nahm.<br />

Der unverschamte<br />

Baumeister<br />

3m Dorf sagte einmal ein Mann: »Baue mir hier<br />

ein groBes Haus! Als Lohn erhaltst du spater<br />

alles, was du willst. Wenn mein Haus steht,<br />

gebe ich dir alles, worum du bittest, als Lohn!«<br />

Da antwortete der Angeredete: »Es ist gut, Bruder,<br />

und mit dem Lohn ist es nachher sehr einfach:<br />

was du mir gibst, das nehme ich an!« Darauf<br />

glattete und meiBelte er die Zubehörteile für<br />

das Haus, und nach einiger Zeit sagte er zu seinem<br />

Auftraggeber: »LaB uns jetzt das Haus aufrichten,<br />

Bruder!«<br />

Sie riefen die Leute im Dorf zusammen, damit<br />

sie ihnen dabei behilflich seien. Sie steilten das<br />

Haus auf das Fundament, legten alle Dachsparren<br />

und deckten das Haus 1 .<br />

Nachdem es unter Dach war, sprach der Baumeister:<br />

«Damals hat der Hausbesitzer zu mir<br />

160


gesagt: ,Wenn dieses Haus steht, gebe ich dir<br />

alles, was du willst, als Lohn.' Wenn er mir nun<br />

Reis, Geld und alles mögliche als Lohn geben<br />

will, werde ich es nicht annehmen. Denn das,<br />

was ich begehre, ist seine Frau! Sagte er doch<br />

damals: ,Alles, was du begehrst, gebe ich dir als<br />

Lohn!'« Alsdann suchte er den Hausbesitzer auf:<br />

»Dein Haus ist nun unter Dach. Gib mir jetzt<br />

meinen Lohn, Bruder, denn ich möchte heimkehren!«<br />

»Es ist gut«, antwortete der Hausbesitzer und<br />

gab ihm Reis.<br />

»Ich will keinen Reis.«<br />

Dann gab er ihm Gold.<br />

»Ich will kein Gold.«<br />

SchlieBlich gab er ihm Büffel.<br />

»Ich will sie nicht«, sagte er da, »ich will keinerlei<br />

Güter haben!«<br />

»Was willst du denn als Lohn haben, wenn dir<br />

alles nicht paBt?«<br />

«Damals hast du gesagt: ,Alles, was du willst,<br />

gebe ich dir als Lohn.' Und nun möchte ich, daB<br />

mir deine Frau gehort. Das möchte ich, etwas<br />

anderes will ich nicht haben! Und wenn du sie<br />

mir nicht gibst, reiBe ich das Haus wieder ab!«<br />

Darauf gerieten sie in Streit, und der Hausbesitzer<br />

sagte: »Wie du willst!«<br />

Der Baumeister entgegnete: »Ich halte mich an<br />

deine Worte. Das will ich haben!«<br />

SchlieBlich machten sie sich auf den Weg, um<br />

den Fürsten um ein Urteil zu bitten. Dort erzahlten<br />

sie die ganze damalige Unterhaltung.<br />

Da sprach der Fürst: »Ist es auch wahr, Hausbesitzer?«<br />

Dieser erwiderte: »Es ist wahr! Damals habe ich<br />

gesagt, daB er haben solle, was er begehrte. Reis<br />

1 1<br />

i61


kann ich ihm geben, Gold oder Büffel kann ich<br />

ihm auch geben. Aber nun bittet er darum, daB<br />

ihm meine Frau gehöre!«<br />

»Ist es wahr, Baumeister? Erscheint es dir gut,<br />

seine Frau zu begehren?«<br />

»Es ist wahr, das scheint mir gut!«<br />

«Wirklich, wirklich?«<br />

«Wirklich, mein Fürst!« Und er war froh, als er<br />

die Worte des Fürsten hörte.<br />

«Schweigt jetzt«, sagte da der Fürst. Darauf lieB<br />

er einen Mann rufen, der Geige zu spielen verstand.<br />

Als er gekommen war, befahl ihm der<br />

Fürst: «Komm doch mit deiner Geige her und<br />

spiele recht schön vor mir!« Alsdann rief er alle<br />

Hausbewohner: «Kommt her, denn wir wollen<br />

einem Geigenspieler lauschen!«<br />

Nachdem er den Geiger gebeten hatte, recht<br />

schön zu spielen, tat dieser es auch. Und er<br />

spielte schoner als je zuvor.<br />

Da fragte der Fürst: «Klingt es schön für dich,<br />

Baumeister? Kannst du auch Geige spielen? Man<br />

sagt doch von dir, du seist ein groBer Meister!«<br />

«Ich kann nicht Geige spielen, mein Fürst!«<br />

«Klingt es dir schön?«<br />

»Ja!«<br />

«Wirklich schön?«<br />

«Ja, mein Fürst!«<br />

«Gut denn! Habt ihr es alle gehört?«<br />

»Ja!« antworteten die Leute.<br />

«Da dir der Klang der Geige schön erscheint, ist<br />

er auch gut als Lohn für dich, weil du das Haus<br />

dieses Mannes gebaut hast. Denn es gibt nichts<br />

Schöneres als den Klang einer Geige. Und wenn<br />

du nicht willst, dann töte ich dich augenblicklich.<br />

Sprich deshalb, ob du sie haben willst oder<br />

162


nicht! Wenn du sie nicht haben willst, dann hüte<br />

dich! Denn wenn man dir Gebratenes zu essen<br />

gibt, willst du gekochte Zukost haben 2 !«<br />

»Es ist gut«, erwiderte der Baumeister, der<br />

schon am ganzen Leibe zitterte.<br />

Da nahm der Fürst eine schwarze Hose und eine<br />

schwarze Jacke 3<br />

und warf sie ihm zu mit den<br />

Worten: »Geh heim, wenn du nicht sterben<br />

willst!«<br />

Und der Baumeister kehrte schleunigst mit seinem<br />

Lohn heim.<br />

Bis da geht diese Erzahlung. Und die Leute sagten:<br />

»Wer nicht wenig annehmen will, erhalt<br />

auch nicht viel!«<br />

Die Frau mit dem unehelichen<br />

Kind<br />

•?n einem Dorf war einmal ein Mann, der war<br />

schon alt, aber er besafi keine Kinder, weder<br />

Tochter noch Söhne. Sein Haupt war bereits<br />

weiB.<br />

Nun gab es in dem Dorfe auch eine Frau, die<br />

keinen Mann hatte, weil er gestorben war. Da<br />

lieB sie sich mit einem Manne ein, so daB sie<br />

gesegneten Leibes wurde. Weil sie das nicht<br />

mehr verheimlichen konnte, sprach sie bei sich:<br />

,Entferne ich mein Kind, dann sterbe ich; entferne<br />

ich es jedoch nicht, dann schame ich mich.'<br />

Als ihr Söhnlein nach geraumer Zeit geboren<br />

war, dachte sie: ,Ich kann mein Kind nicht umbringen.<br />

Mir vergeht das Herz, wenn ich mein<br />

eigen Fleisch und Blut töte. Ich werde es deshalb<br />

in jener ausgedehnten Pandanuswaldung 1<br />

aussetzen.' Darauf nahm sie eine schmutzige<br />

Matte, wickelte ihr Kind darin ein und legte es<br />

„. 163


unter den Pandanuspalmen nieder. Dann kehrte<br />

sie heim.<br />

Eines Tages gingen der erwahnte kinderlose<br />

Mann und seine Frau in die Waldung, um dort<br />

Pandanusblatter zu sammeln. Wahrend sie Blatter<br />

schnitten, horten sie das Wimmern eines neugeborenen<br />

Kindes. Die Frau sagte: »Das klingt<br />

wie das Weinen eines Sauglings!« Als sie und<br />

ihr Mann dann dorthin gingen, erblickten sie ein<br />

neugeborenes Knablein. Da sagte die kinderlose<br />

Frau: »LaB uns dieses Kind mitnehmen, weil<br />

wir keine Kinder besitzen!«<br />

Ihr Mann stimmte zu, und so nahmen sie es mit<br />

nach Hause. Dort sagte ihr Mann: »Massiere deinen<br />

Leib! Ich baue dir eine Feuerstelle, so daB<br />

es aussieht, als ob du das Kind zur Welt gebracht<br />

hattest 2 !«<br />

Die Frau massierte ihren Leib und trank seimiges<br />

Reisbreiwasser, damit ihre Brüste Milch hatten;<br />

dann saugte sie das Kind. Darauf bauten<br />

sie, ganz so wie andere Leute, eine Wiege für<br />

ihr Kind.<br />

Als man nach ein bis zwei Tagen im Dorfe davon<br />

hörte, sagte man: »Die Frau, die bisher kein<br />

Kind hatte, besitzt nun einen Sohn. Im Alter<br />

hat sie noch ein Kind bekommen!«<br />

Da fragte ein anderer: »Hat sie dir erzahlt, daB<br />

sie guter Hoffnung war?«<br />

»Woher denn! Das ist anscheinend ein Findelkind!»<br />

Nachdem die Geschwister der Frau gehort hatten,<br />

daB ihnen ein Neffe geboren war, machten<br />

sie sich auf den Weg, um sich das Kind ihrer<br />

Schwester anzusehen. Dort angekommen, sagten<br />

sie: »Warum habt ihr uns nicht gerufen, als<br />

euch ein Sohn geboren wurde?«<br />

Sie erwiderten: »Wir haben niemanden gerufen!«<br />

164


Als das Kind dann groB war und bereits laufen<br />

konnte, starb der Mann jener Frau. Und nachdem<br />

ihr Sohn erwachsen war, heiratete er. Im<br />

Laufe der Zeit starb die Frau auch, so daB ihr<br />

Sohn und seine Frau allein zurückblieben.<br />

Da sagten die Leute im Dorfe: »Dieses Menschenkind<br />

hat keinen Vater. Anscheinend fanden<br />

es die Leute, die damals kein Kind hatten,<br />

in dem Pandanuswaldchen!«<br />

Darauf sagte einer von ihnen: »Damals gab es<br />

dort eine Frau, die schwanger war. Plötzlich<br />

war ihr Leib nicht mehr geschwollen. Und nach<br />

vier Tagen hörte man dann, daB den kinderlosen<br />

Leuten ein Kind geboren war. Sie gingen schon<br />

gebückt und hatten graue Haare, als das Kind<br />

kam. Das ist in Wirklichkeit ihr Kind!«<br />

Da sprach ein Angesehener aus dem Lande:<br />

»Was ich über uneheliche Kinder weiB, ist, daB<br />

wir ihnen seit unseren Vorfahren Schaden zufügen,<br />

daB wir ihren Besitz bei ihrem Hause verzehren<br />

und die Bananenstauden oder die anderen<br />

Baume fallen; denn wenn das nicht geschieht,<br />

entsteht eine Seuche im Lande. Die Person<br />

wird im Dorf geehrt 3 !« Darauf gingen sie<br />

nach dem Hause des vaterlosen Mannes, um<br />

Schaden anzurichten.<br />

Er gab ihnen zu essen mit den Worten: »Bittet<br />

darum, daB ich viel Gold besitzen möge!«<br />

Dann ehrten sie ihn: »Wir sind hergekommen,<br />

um dich zu ehren. Denn damals war dein Vater<br />

auch ein angesehener Mann.« Damit schmeichelten<br />

sie seinem Herzen und seinen Ohren.<br />

Bis da geht diese Erzahlung. Wenn spater derartige<br />

Menschen vorhanden waren, so wurde das<br />

Land durch ein Opferfest gereinigt.<br />

165


Der Mann, der<br />

Riesenschlange<br />

eine<br />

tötete<br />

£ ines Tages wollte ein Mann mit seiner Frau<br />

von der Landschaft Tepa nach der anderen Seite<br />

der Insel gehen. Sie machten sich bewaffnet auf<br />

den Weg. Der Mann trug eine Lanze in der<br />

Hand. Sie gingen den ganzen Tag hindurch und<br />

hatten bereits die Half te des Weges hinter sich.<br />

Vor ihnen ging ein Mann, der mit einem Schwert<br />

bewaffnet war, in der gleichen Richtung. Wahrend<br />

er nun so des Weges dahinzog, erblickte er<br />

eine riesige dunkle Schlange von der GröBe des<br />

Stammes einer Kokospalme. Sie überquerte gerade<br />

seinen Weg, und ihr Kopf war bereits im<br />

Gebüsch verschwunden, als der Mann kam. Da<br />

dachte er: ,Wenn ich sie töte, dann fürchte ich,<br />

daB sie mich friBt; töte ich sie jedoch nicht, dann<br />

friBt sie andere Leute auf.' Deshalb nahm er<br />

sein Schwert und durchhieb den Körper der<br />

Schlange zweimal. Dann sammelte er die Teile<br />

und rollte sie mitten auf dem Weg zusammen.<br />

so daB sie wie eine lebende Schlange aussahen.<br />

Dann sagte er: »Wenn andere sie finden, dann<br />

mögen sie erschrecken!« Darauf setzte er seinen<br />

Weg fort. Er kam in ein Dorf. Dort fand gerade<br />

eine Versammlung aller Alten und Angesehenen<br />

statt.<br />

Als der von hier kommende Mann, der die<br />

Schlange getötet hatte, sich unter die Menge begab,<br />

fragte man ihn: »Woher kommst du?«<br />

»Ich komme aus Tepa und will nach der anderen<br />

Seite der Insel.«<br />

Inzwischen kamen der Mann und seine Frau an<br />

die Stelle, wo der genannte Reisende die<br />

Schlange getötet hatte. Beim Gehen erblickte<br />

die Frau die Riesenschlange mitten auf dem<br />

166


Wege, und da sie wie eine lebende Schlange aussah,<br />

wich die Frau erschrocken zurück und fiel<br />

in die Lanzenspitze ihres Mannes. Die Frau<br />

starb auf der Stelle.<br />

Da rief ihr Mann in der Nahe befindliche Leute.<br />

Und als sie kamen und die tote Frau sahen, da<br />

schüttelten sie ihr Haupt. Dann sagte der Mann:<br />

»Diese Tote lasse ich in euren Handen zurück!«<br />

»Es ist gut«, erwiderten die Leute und nahmen<br />

sie mit nach Hause.<br />

»Ich setze meine Reise fort. Bestattet meine<br />

Frau nicht, sondern wartet damit, bis ich wiederkomme!«<br />

Dann machte er sich schleunigst<br />

auf den Weg.<br />

Als er in jenem Dorf ankam, wo alle Alten und<br />

Angesehenen eine Versammlung abhielten, entbot<br />

er seinen GruB. Man fragte ihn, woher er<br />

komme. Und er antwortete: »Ich komme aus<br />

Tepa und bin auf dem Wege nach der anderen<br />

Seite der Insel.« Alsdann grüBte er sie ehrerbietig.<br />

»Ich bitte euch alle ehrerbietigst um Erlaubnis,<br />

ein kleines Erlebnis zu berichten.«<br />

»Gut«, sagten die Leute in der Versammlung.<br />

Da sprach er: »Ich und meine Frau kamen zu<br />

zweit aus Tepa. Als wir nun auf dem Hauptweg<br />

ankamen, stieBen wir auf eine Riesenschlange,<br />

die andere Leute getötet hatten. Sie<br />

hatten sie genau in die Mitte des Weges gelegt.<br />

Derj enige, der sie getötet hat, muB sehr mutig<br />

gewesen sein; ohne besondere Krafte hatte er<br />

es nicht tun können.«<br />

Bevor seine Worte beendet waren, antwortete<br />

bereits der Mann, der die Schlange vorhin getötet<br />

hatte: »Ich habe die Schlange getötet! Ich<br />

war völlig erschöpft vom Zuschlagen, und beinahe<br />

ware mir ein Unglück zugestoBen!«<br />

167


Da sagte der Mann, dessen Frau gestorben war:<br />

»In der Tat, in der Tat! Habt ihr Leute es gehort,<br />

die ihr hier seid?«<br />

»Ja!« antworteten die zahlreichen Leute in der<br />

Versammlung.<br />

Da stand der Mann, dessen Frau gestorben war,<br />

auf und begab sich in die Nahe dessen, der die<br />

Schlange getötet hatte. Und mit einem Schlage<br />

hieb er ihm mit seinem eigenen Schwerte den<br />

Kopf ab. Dann sagte er: »Du bist das Sühneopfer<br />

für meine Frau!«<br />

Die Leute waren sprachlos und standen mit offenem<br />

Mund da. SchlieBlich sagte einer: »Warum<br />

hast du ihn getötet?«<br />

Er antwortete: »Er ist wegen seiner losen Zunge<br />

gestorben; die war es, die ihn tötete, nicht ich!<br />

Denn meine Frau ist durch ihn ums Leben gekommen.<br />

Er rollte die von ihm getötete Schlange<br />

wie eine lebende mitten auf dem Wege auf. Als<br />

meine Frau dann vor Schreck zurücksprang, fiel<br />

sie in die Spitze meiner Lanze, so daB sie aufgespieBt<br />

wurde und auf der Stelle starb. Und<br />

nun bitte ich euch darum, daB ihr mitkommt und<br />

euch die Tote anseht, damit wir sie bestatten<br />

können. Wenn ihr mich töten wollt, dann werde<br />

ich nicht fliehen!«<br />

Da machte sich die Menge auf den Weg, um sich<br />

die tote Schlange und die tote Frau anzusehen.<br />

Dort sprach der Fürst: »Wie denkt ihr darüber?«<br />

Die Leute antworteten: «Der Mann, der die<br />

Schlange tötete, hatte zur Vergeltung für seine<br />

Tat mit Recht sein Leben verwirkt'. Die Zeit<br />

der Frau war erfüllt. Und nun laBt uns sie hier<br />

begraben!«<br />

Bis da geht die Erzahlung von der Schlange und<br />

der toten Frau.<br />

168


Da sagten die Alten: »Wer in Zukunft eine tote<br />

Schlange mitten auf den Weg legt, der wird getötet!<br />

Zur Vergeltung dafür hat er sein Leben<br />

verwirkt. Und wer eine Lanze in der Hand halt,<br />

der soll ihre Spitze nach hinten halten 2 , damit<br />

kein Unglück geschieht!«<br />

Der Mann, der seinen Besitz<br />

vor seinem Tode verteilte<br />

£"in reicher Mann hatte drei Söhne, deren Charakter<br />

sehr gut, und die sehr fleiBig waren. Da<br />

dachte der Reiche eines Tages bei sich: ,Ich bin<br />

schon alt.' Als ein ebenfalls reicher Mann aus<br />

jenem Lande zu ihm kam, sagte er zu ihm: »Da<br />

ich alt bin, werde ich meinen Besitz an deine<br />

drei Neffen 1<br />

verteilen. Dafür mögen sie mich<br />

dann ernahren, und ich will auf ihre Kinder aufpassen<br />

und ihre Hauser hüten. Denn ich kann<br />

nicht mehr sehr weit gehen.«<br />

Aber der Angeredete sprach: »Alterer Bruder,<br />

gib deinen Besitz nicht zu voreilig schon jetzt an<br />

deine Kinder! Wenn du nachher gestorben bist,<br />

dann übergeben wir ihnen deinen Besitz!«<br />

Der Reiche erwiderte: «Weshalb sollte das denn<br />

nicht richtig sein? Denn der Charakter deiner<br />

Neffen ist gut; sie pflegen mich und deine<br />

Schwagerin nicht zu erzürnen. Ich werde meinen<br />

Besitz doch an sie verteilen, und dafür mögen sie<br />

uns abwechselnd zu essen geben.«<br />

Der andere sprach: »Tu es denn, alterer Bruder,<br />

denn ich kann dich nicht zwingen, und ich kann<br />

dir keine Befehle erteilen!«<br />

Nachdem der Vater seinen Besitz an seine drei<br />

Söhne verteilt hatte, sprach er zu ihnen: «M<strong>org</strong>ens<br />

essen wir bei dir, unserem Jüngsten; mittags<br />

bei dir, dem Zweitaltesten, und abends bei<br />

169


dir, dem Altesten. S<strong>org</strong>t dafür, mich und eure<br />

Mutter zu ernahren!« Darauf pflegten ihre Eltern<br />

Tag für Tag von einem Sohn zum andern zu<br />

gehen. Nachdem diese reich geworden waren,<br />

s<strong>org</strong>ten sie auch für ihre Eltern: sie gaben ihnen<br />

Essen und sehr schone Kleider.<br />

Nach ungefahr einem Jahr vers<strong>org</strong>ten sie ihren<br />

Vater nicht mehr besonders gut; denn ihre Mutter<br />

war gestorben, so daB ihr Vater allein zurückblieb.<br />

Er ging bereits krumm, und seine<br />

Kleider waren ganz zerrissen, so daB er wie ein<br />

armer Mann aussah. Und seine Beschaftigung<br />

bestand darin, in den Hausern anderer Leute<br />

betteln zu gehen. Denn seine Söhne s<strong>org</strong>ten nicht<br />

mehr für ihn. Wenn ihr Vater zu ihnen kam,<br />

sagten sie: »Der lastige Alte bereitet uns dauernd<br />

Ungelegenheiten. Gebt ihm nur den kalten<br />

Reisbrei dort!«<br />

Er aB ihn auch, aber dabei flossen die Tranen des<br />

einst reichen Mannes in Stromen; denn er erinnerte<br />

sich an jene Zeit, als er stolz war, und<br />

als er noch alles mögliche zu essen hatte. Bei<br />

sich dachte er: ,Das ist nun der Dank, den mir<br />

meine Söhne für all mein Gold zuteil werden<br />

lassen!' Dann begab er sich nach dem Hause seines<br />

jüngsten Sohnes, der sagte: »Was begehrst<br />

du? Es ist noch sehr früh am M<strong>org</strong>en, und du<br />

kommst schon?«<br />

Da sprach der Alte: »Wehe dir, mein Sohn, warum<br />

hast du das gesagt?« Und der Vater ging sofort<br />

hinunter. Seitdem pflegte er nicht wiederzukommen,<br />

sondern er begab sich nach einem<br />

anderen Ort. Seine Söhne waren weiterhin reich<br />

in jenem Lande, aber ihr Vater war verarmt und<br />

pflegte von einem Ort nach dem andern zu ziehen.<br />

Er bat um das Mitleid anderer.<br />

170


Eines Tages begegnete er dem reichen Mann, mit<br />

dem er seinerzeit gesprochen hatte. Als dieser<br />

seinen alteren Bruder erblickte, schüttelte er<br />

sein Haupt, weil er sah, daB der Reiche arm geworden<br />

war. Nun war er reich in Gott und zog<br />

im Lande umher. Da redete er den Armgewordenen<br />

an: »Warum ergeht es dir so, alterer Bruder?<br />

Weshalb kommst du ganzlich unerwartet<br />

her?«<br />

»Erspare mir, daB ich es dir mitteile, jüngerer<br />

Bruder! Denn immer ergeht es uns so, die wir<br />

auf Erden leben.«<br />

Alsdann unterhielten sie sich, und der Jüngere<br />

sprach zu ihm: »Ich weiB einen Rat; willst du ihn<br />

befolgen, alterer Bruder? Wenn du willst, teile<br />

ich ihn dir mit!«<br />

»Teile ihn mir mit!«<br />

»Dann komm mit mir nach Hause!«<br />

Nachdem sie dort angelangt waren, ersetzte er<br />

seinem alteren Bruder die völlig zerrissenen<br />

Kleider, und dann gaben sie ihm zu essen. Der<br />

verarmte reiche Mann war mit SchweiB bedeckt<br />

und weinte.<br />

Da holte sein jüngerer Bruder einen kleinen<br />

Stein herauf, wickelte ihn in zwei Stücke weiBen<br />

Stoff und gab ihn seinem alteren Bruder mit den<br />

Worten: »Dies ist ein Erbstück von meinen Vorfahren.<br />

Wohin du auch gehst, nimm es stets mit,<br />

lege es nicht weg! Wenn du schlafst, benutze es<br />

als Kopf kissen! Vielleicht s<strong>org</strong>en deine Söhne<br />

dann wieder für dich. Wer auch immer danach<br />

fragt, dem sage: ,Das ist ein Erbstück von meinen<br />

Vorfahren, das man nicht aus den Handen geben<br />

darf. Deshalb bin ich reich gewesen, und deshalb<br />

habe ich viel Besitz mein eigen genannt. Aber<br />

jetzt haben mich meine Söhne vernachlassigt;<br />

171


denn sie sind sehr stolz geworden, und sie hassen<br />

mich, weil ich alt bin!'«<br />

Da horten seine Söhne von dem Erbstück ihres<br />

Vaters. Deshalb holten sie ihn wieder, s<strong>org</strong>ten<br />

für ihn und gaben ihm Kleidung wie damals.<br />

Denn alle drei wuBten bereits, daB ihr Vater<br />

einen Talisman von seinen Vorfahren besaB. Deshalb<br />

bemühten sie sich wieder um ihren Vater<br />

und taten wie damals an ihm.<br />

Als ihr Vater dann nach einiger Zeit starb, sagten<br />

sie: »Dieses Erbstück kommt mir zu!« Ein<br />

jeder von ihnen beanspruchte es für sich. So gerieten<br />

sie miteinander in Streit um das Erbstück.<br />

Sie kümmerten sich nicht um ihren toten Vater,<br />

sondern stritten nur weiter miteinander. Deshalb<br />

kamen die Leute aus dem Ort und bestatteten<br />

den reichen Mann; denn seine Söhne waren<br />

nur mit dem Streit um das Erbstück beschaftigt.<br />

Wahrenddessen kam der Bekannte ihres Vaters,<br />

der an einem anderen Ort wohnte: »Worum<br />

streitet ihr miteinander? Ihr habt nicht einmal<br />

euren Vater bestattet, ihr benehmt euch, als ob<br />

euch ein Damon verhext hatte! Bringt es her,<br />

damit ich es unter euch verteile!« Als er das<br />

Bündel ihres Vaters öffnete, da war nur ein kleiner<br />

Stein zu sehen.<br />

»0 weh«, sagten da die Leute, »der Talisman<br />

ist zu Stein geworden! Er hat keinerlei Nutzen<br />

mehr; denn seine Kr aft ist geschwunden!«<br />

Da sprach der Bekannte ihres Vaters: »Ihr drei<br />

habt gleichermaBen nichts!» Dann nahm er den<br />

Stein und warf ihn in den FluB. Und die drei<br />

Manner schwiegen, weil sie es bereits bereuten,<br />

um das Erbstück gestritten zu haben, das zu<br />

Stein geworden war.<br />

Da sagte ein alter Mann: »In Zukunft laBt uns<br />

unseren Besitz nicht an unsere Kinder verteilen,<br />

J 72


sondern solange wir noch am Leben sind, wollen<br />

wir ihn behalten! Und wenn wir sterben, sollen<br />

die Leute im Ort ihn aufteilen. So sei es in Zukunft!<br />

LaBt uns nicht der Weise dieses reichen<br />

Mannes folgen, der seinen Besitz verteilte, bevor<br />

er starb; denn spater hat er es sehr bereut. Habt<br />

ihr es alle gehort?«<br />

»Wir alle haben es vernommen, o langlebiger<br />

Mann!«<br />

Der reiche Mann,<br />

der vor Hunger starb<br />

'Jn einem Lande war einmal ein reicher Mann.<br />

Er besaB Reis, viele Büffel und Ziegen. In Haus<br />

und Hof hatte er Besitz, und alle Lebensmittel<br />

waren für ihn in genügender Menge vorhanden.<br />

Eines Tages sprach er bei sich selbst: ,Ich besitze<br />

bereits genügend Reichtümer in diesem<br />

Lande. Es gibt niemanden, der reicher ist als<br />

ich. Jetzt will ich keine Reichtümer mehr anh<br />

auf en; denn meine Mittel zum Leben genügen<br />

bereits.' Alsdann begab er sich nach der Wohnung<br />

seiner ersten, alteren Frau. Nachdem er<br />

gegessen und Betel gekaut hatte, rief er die<br />

Frau zu sich und sagte dann: »Wir besitzen jetzt<br />

bereits genügend Reichtümer. Deshalb möchte<br />

ich es nun bequem haben. Meine Beschaftigung<br />

wird künftig darin bestehen, daB ich vom Oberlauf<br />

nach der Mündung gehe 1 . So wollen wir<br />

nun eine geeignete Vereinbarung treffen, damit<br />

wir zufrieden leben!«<br />

Seine Frau sprach: »Warum nicht? Ich bin nur<br />

eine von deinen Frauen. Meine Arbeit besteht<br />

nur darin, Mahlzeiten zu koenen. Mit allen<br />

anderen Angelegenheiten bef asse ich mich<br />

nicht.«<br />

Da entgegnete ihr Mann: »Ab heute wollen wir<br />

es folgendermaBen halten: m<strong>org</strong>ens gibst du mir<br />

173


zu essen, mittags deine zweite Mitehefrau und<br />

abends deine dritte, jüngste Mitehefrau. So soll<br />

es Tag für Tag sein! Gebt mir eine nach der<br />

anderen zu essen, damit es mir gut schmeckt!«<br />

Seine Frau antwortete: »Das ist keineswegs<br />

verkehrt! Für alles, was du sagst, bist nur du<br />

verantwortlich; denn w i r befolgen nur deine<br />

Worte.«<br />

Weiter sagte der Reiche: »Wenn ich abends nicht<br />

zur Essenszeit komme, dann laB mir kein Essen<br />

zurück! Denn wenn es aufgewarmt ist, schmeckt<br />

es mir nicht.« Alsdann begab er sich in das<br />

Haus seiner zweiten Frau. Dort besprach er mit<br />

ihr alles genau so wie er es mit der altesten<br />

Frau besprochen hatte.<br />

Seine zweite Frau antwortete: »Warum nicht?<br />

W i r sind Frauen, und was du sagst, das befolgen<br />

wir. Was auch immer dein Wüle ist, es ist<br />

gut.«<br />

Darauf machte er sich auf den Weg nach dem<br />

Hause seiner jüngsten Frau, der er dasselbe erzahlte.<br />

Sie sagte dann: »Wir gehorchen dir nur. Ob<br />

wir leben oder sterben, wir befolgen deine<br />

Worte.«<br />

Der Mann fuhr fort: »Wenn ich m<strong>org</strong>ens nicht<br />

zur Essenszeit komme, dann laB kein Essen für<br />

mich zurück! Abends soll es ebenso sein: wenn<br />

ich nicht zur Schlafenszeit komme, dann öffne<br />

die Tür nicht! Das wollen wir ein für allemal<br />

verabreden!«<br />

Darauf pflegte der Reiche von einem Haus zum<br />

andern spazieren zu gehen; vom Oberlauf nach<br />

der Mündung zu gehen, war Tag für Tag seine<br />

Beschaftigung. Nachdem er an einem Ort gegessen<br />

und geschlafen hatte, tat er nichts anderes<br />

mehr.<br />

174


Die Alten sagten: »Was ist seine Beschaftigung?<br />

nur essen und schlafen? Über seinen m<strong>org</strong>endlichen<br />

und abendlichen Lebensunterhalt macht<br />

er sich überhaupt keine Gedanken!«<br />

Eines Tages ging er nun zusammen mit vielen<br />

Leuten von einem Hause nach dem anderen auf<br />

Besuch. Als er sah, daB die Sonne bereits hoch<br />

stand und die Zeit, zu Mittag zu essen, vorbei<br />

war, sprach er bei sich: ,Ich gehe essen, denn ich<br />

bin hungrig.' Darauf begab er sich nach dem<br />

Hause seiner zweiten Frau. Als er dort ankam,<br />

war sie bereits fertig mit dem Essen. Da sagte er:<br />

»Wo ist das Essen für mich? Bring es her, Frau!«<br />

»Es ist kein gekochter Reisbrei da, denn wir sind<br />

schon alle mit dem Essen fertig. Damals hast<br />

du doch gesagt: ,Wenn ich nicht zur Essenszeit<br />

komme, dann laB kein Essen für mich zurück!'«<br />

Da wurde der Reiche zornig und ging nach dem<br />

Haus seiner driften Frau. Als er dort ankam,<br />

war auch sie bereits mit dem Essen fertig. Er<br />

fragte sie: »Wo ist mein Essen? Bring es her!«<br />

Da antwortete sie: »Woher soll denn Essen für<br />

dich kommen? Damals hast du doch gesagt:<br />

,Wenn die Essenszeit vorbei ist, dann laB mir<br />

nichts zurück!'«<br />

SchlieBlich begab er sich nach dem Hause seiner<br />

ersten Frau. Als er dort ankam, war es bereits<br />

gegen zehn Uhr abends 2 , und die Hausbewohner<br />

waren schon alle schlafen gegangen. Deshalb<br />

ging er sofort nach dem Hause seiner zweiten<br />

Frau. Und als er dort ankam, war es bereits<br />

Mitternacht. Er rief die Leute, aber nicht einer<br />

wachte auf, denn das ganze Haus war bereits in<br />

Schlaf gefallen. Und weil er fortgesetzt so zwischen<br />

Oberlauf und Mündung hin und her lief,<br />

kam er die ganze Nacht und den ganzen Tag<br />

nicht dazu, zu essen und zu schlafen.<br />

175


Als er SchlieBlich mitten auf dem Wege ankam,<br />

konnte er nicht mehr gehen; denn er war sehr<br />

hungrig und nel nur so hin. Er war völlig erschöpft,<br />

weil er weder gegessen noch geschlafen<br />

hatte.<br />

Als dann Leute von der Mündung kamen und<br />

den Mann dort regungslos liegen sahen, fragten<br />

sie ihn: »Weshalb liegst du da, Reicher?«<br />

Dieser antwortete: »Ich bin vom Oberlauf gekommen<br />

und war auf dem Weg nach der Mündung;<br />

aber ich kann nicht mehr gehen. Helft<br />

mir deshalb und bringt mich nach dem Hause<br />

meiner ersten Frau!«<br />

Als sie dort mit ihm eintrafen, fragte seine<br />

Frau: »Warum befindest du dich in einem derartigen<br />

Zustand? Kannst du nicht gehen?«<br />

Ihr Mann erwiderte: »Das Verhangnis hat es so<br />

gewollt. Ich bin jetzt völlig erschöpft, weil ich<br />

weder gegessen noch geschlafen habe.«<br />

»Was kann ich dabei tun? Du hast es doch so<br />

gewollt! Nicht ich habe es damals gesagt, und<br />

nun hat es dich ereilt!« Alsdann holte die Frau<br />

Reisbrei, um ihn ihrem Mann zu geben.<br />

Aber er konnte seinen Mund nicht mehr öffnen,<br />

weil seine Kiefer bereits steif waren. Nach zwei<br />

Tagen starb der Reiche, weil er weder gegessen<br />

noch geschlafen hatte.<br />

Darauf bestattete man ihn. Nachdem die Menge<br />

heimgekehrt war, sprach ein alter Mann aus<br />

jenem Lande: »Jetzt wird dies eine Lehre für<br />

euch alle sein, die ihr in diesem Lande wohnt,<br />

damit es sich in Zukunft nicht wiederhole: gebt<br />

euch nie mit dem Erreichten zufrieden, sondern<br />

arbeitet stets an seiner Vervollkommnung weiter<br />

3 ! Faulenzt nie!«<br />

Damit ist diese Erzahlung zu Ende.<br />

176


FABELN<br />

Pythonsch1ange und Reisvogel<br />

s gab einmal eine<br />

Pythonschlange,<br />

die auBerordentlieh<br />

giftig war.<br />

Wenn sie nur in<br />

unsere FuBspuren<br />

biB, so starben<br />

wir bereits 1 ;<br />

wenn sie nur in<br />

die Spur eines<br />

Wildschweines<br />

biB, so starb es. Alle, in deren Spur sie biB,<br />

kamen ums Leben. BiB sie einen Menschen, so<br />

dauerte es nicht einen Betelbissen lang 2 , bis er<br />

verschied. Sehr viele Büffel, Ziegen sowie Hühner<br />

und Menschen kamen gleichermaBen durch<br />

sie ums Leben. Die Leute fürchteten sich deshalb<br />

schon, in den buschigen Wald zu gehen.<br />

Da kam ein Reisvogel, der sich auf den Weg<br />

gemacht hatte, um die Pythonschlange aufzusuchen.<br />

Er flog in den Baumwipfel über der<br />

Schlange und sprach: »Hallo, Schwester Schlange,<br />

was tust du da?«<br />

Sie antwortete ihm: »Was? Möchtest du gerne<br />

sterben? «<br />

Da sagte der Reisvogel: »Sei nicht zornig, Schwester<br />

Schlange! Ich bin her gekommen, um dich<br />

12 f 7 7


aufzusuchen. Ich hörte namlich wiederholt, daB<br />

du sehr giftig seiest. Man sagt, daB die von dir<br />

Totgebissenen zahlreich seien.«<br />

Darauf waren die Worte der Schlange: »Wir<br />

können es einmal versuchen! Wenn du sterben<br />

möchtest, dann komm her, damit ich in deine<br />

Spur beiBe! Dann kannst du sehen, ob du hinterher<br />

nicht krepierst!«<br />

Der Reisvogel sagte: »Sei nicht zu voreilig!<br />

Wenn es möglich ist, komme ich m<strong>org</strong>en ganz<br />

früh hierher, um dich aufzusuchen!«<br />

Die Schlange sprach: «Wenn dir dein biBchen<br />

Leben lieb ist, komm nicht hierher!«<br />

Bruder Reisvogel schickte sich dann an, heimzukehren.<br />

Bei einem Pandanus-Waldchen 3<br />

angekommen,<br />

sprach er zu seinen Gefahrten: »M<strong>org</strong>en werden<br />

wir die Schwester Pythonschlange dort im FiuBtal<br />

auf suchen! Wir wollen ihre Giftigkeit prüfen.<br />

Denn es sind sehr viele Menschen, die sie<br />

totgebissen hat.« Sie machten sich dann zu viert<br />

auf den Weg. Da sprach der groBe Reisvogel:<br />

»Wenn Schwester Pythonschlange mich nachher<br />

ruft, dann antwortet ihr: ,Fange an!'« Darauf<br />

flogen sie los.<br />

Dort angekommen, flog der Reisvogel vor die<br />

Schlange und sprach: »BeiBe nachher dort in<br />

meine Spur, Schwester Schlange, damit ich sehe,<br />

ob es wirklich stimmt, daB du übernatürliche<br />

Krafte besitzest!«<br />

Darauf biB die Schlange in die Spur des Bruders<br />

Reisvogel und rief: «Hallo, Bruder Reisvogel!«<br />

Da beantwortete ein anderer Reisvogel den Ruf<br />

der Schlange: «Hier bin ich!«<br />

Deshalb sagte sich die Pythonschlange: ,Der Bruder<br />

Reisvogel ist tatsachlich nicht gestorben. Es<br />

178


scheint, daB mein Gift nicht mehr imstande ist,<br />

zu wirken. Anscheinend sterben sie nicht mehr,<br />

obwohl ich sie beiBe. Wenn es so ist, dann ist<br />

es besser, daB ich es dorthin erbreche!' Deshalb<br />

erbrach sie ihr gesamtes Gift auf die Blatter der<br />

Brennessel.<br />

Es kam dann eine erang-erang-Schlange 4<br />

und<br />

leekte an dem Gift der Python; die groBe Giftigkeit<br />

ging infolgedessen auf sie über. Und es kam<br />

noch eine ular gelang 5<br />

geheiBene Schlange aus<br />

dem Meer. Sie leekte ebenfalls ein wenig von<br />

dem Gift der Pythonschlange auf. Daher sind<br />

beide Schlangen jetzt sehr giftig.<br />

Der Zwerghirsch und der<br />

Hund<br />

£s war einmal ein Pflanzungsbesitzer, in dessen<br />

Pflanzung es Zuckerrohr, Bananen sowie Gewachse<br />

aller Art gab. Deshalb zaunte er seinen<br />

Garten ein, damit nicht Wildschweine und Affen<br />

die Früchte fraBen. Und es gab auch Leute, die<br />

auf seine Pflanzung zu achten hatten; sie bewachten<br />

sie Tag und Nacht. Sie sahen zwar, daB<br />

das Zuckerrohr verschwand, und daB die Bananenstauden<br />

umfielen oder deren Früchte gefressen<br />

wurden, aber denj enigen, der sie auffraB,<br />

trafen sie niemals an; nur seine Spuren<br />

sahen sie. Deshalb sprach der Pflanzungsbesitzer:<br />

»Ich habe gestern gesehen, daB sehr viel<br />

Zuckerrohr vernichtet ist. Wer mag es nur gefressen<br />

haben?«<br />

Da erwiderten die Leute, welche die Pflanzung<br />

bewachten: »So friBt nach unserer Ansicht nur<br />

der Bruder Zwerghirsch 1 ; denn wenn es ein<br />

Wildschwein ware, so hatte der Zaun ein Loch.«<br />

12* i 7 9


Darauf riet ihnen der Pflanzungsbesitzer: »Fertigt<br />

dort, wo er springt, Fallgruben oder FuBangeln<br />

an!«<br />

Sie führten den Auftrag aus, aber trotzdem vermochten<br />

sie ihn nicht zu fangen. Weil der<br />

Zwerghirsch sehr schlau war, konnte man seiner<br />

nicht habhaft werden; er kannte namlich<br />

alle Todesarten ganz genau.<br />

Da kam ein Mann und sprach: »Es gibt noch<br />

eine andere List. Man nehme sehr viel Gummi<br />

vom wilden Brotfruchtbaum und forme es wie<br />

eine Katze. Dann stelle man sie hier innerhalb<br />

des Zaunes auf den Weg!«<br />

Als es Nacht geworden war, kam Bruder Zwerghirsch.<br />

Und als er die Katze erblickte, die auf<br />

dem Wege stand, sagte er zu ihr: »Was hast du<br />

vor, Schwester Katze? Ich will dorthin gehen,<br />

um mir Nahrung zu suchen!« Als die Katze<br />

nicht antwortete, wurde er sehr zornig und ohrfeigte<br />

den wie eine Katze geformten Klebstoff.<br />

Als Bruder Zwerghirschs Pfote festklebte, stieB<br />

er auch noch mit den FüBen danach, so daB auch<br />

diese haften blieben. Da konnte er sich nicht<br />

mehr bewegen, weil er daran festgeklebt war.<br />

Am folgenden M<strong>org</strong>en kam dann der Pflanzungsbesitzer<br />

mit seinen Leuten. Als sie sahen, daB<br />

Bruder Zwerghirsch am Klebstoff festsaB, da<br />

sprachen sie: »Du da bist es also, der unsere<br />

Pflanzungserzeugnisse zu fressen pflegt!«<br />

»Nicht ich bin es, der eure Erzeugnisse friBt,<br />

sondern meine Begierde verzehrt sie!«<br />

Darauf nahmen die Leute ihn mit nach Hause.<br />

Dort angekommen, sperrten sie den Zwerghirsch<br />

in den Hühnerstall.<br />

Da dachte er bei sich: ,Jetzt werden sie mich<br />

töten oder schlachten, um mich dann zu verzehren.'<br />

180


Alsdann sagte der Pflanzungsbesitzer: «Schlachtet<br />

den Bruder Zwerghirsch nachher!«<br />

»Es ist gut!« erwiderten die Leute, die den<br />

Zwerghirsch gefangen hatten.<br />

Als dann ein Hund vorüberlief, begann Bruder<br />

Zwerghirsch zu weinen, so daB seine Tranen in<br />

Stromen flossen. Deshalb fragte der Hund: «Warum<br />

tust du so, Bruder Zwerghirsch?«<br />

»Man will mich mit einer Frau verheiraten,<br />

aber ich will die Heirat durchaus nicht. Mein<br />

ganzes Leben lang will ich nicht heiraten. Oder<br />

möchtest du heiraten?«<br />

Da erwiderte der Hund: »Wenn die Hochzeit mit<br />

einer Frau stattfinden soll, dann möchte ich wohl<br />

heiraten!«<br />

Bruder Zwerghirsch sprach: »Dann öffne mir<br />

doch, damit ich hinausgehen kann, und geh du<br />

in den Stall! Und wenn nachher die Leute kommen,<br />

um dich zu holen, dann rede auf keinen<br />

Fall, sondern verhalte dich ganz still; denn sie<br />

holen dich zur Hochzeit!« Darauf lief Bruder<br />

Zwerghirsch fort.<br />

Als die Leute kamen, um den Zwerghirsch zu<br />

holen, erblickten sie einen Hund in dem Stall.<br />

Da sprachen sie: «Bruder Zwerghirsch ist frei;<br />

denn im Stall befindet sich ein Hund!«<br />

Sein Gefahrte sagte: «Erzahle es auf keinen<br />

Fall! Sonst wird der Pflanzungsbesitzer uns umbringen.<br />

Denn er wollte doch den Bruder Zwerghirsch<br />

als Zukost essen, den Hund mag er nicht<br />

Jetzt laB uns aber diesen Hund schlachten! Wir<br />

sagen dann, es sei Zwerghirschfleisch!«<br />

Nachdem das Fleisch gar war, brachten sie es<br />

dem Manne. Als er das Hundefleisch aB, sagte<br />

er: «Ist es auch wahr, daB es Zwerghirschfleisch<br />

18i


ist?« Denn die Leute, die das Fleisch gekocht<br />

hatten, aBen nicht davon 2 .<br />

Am anderen Tage frühm<strong>org</strong>ens sprach dann der<br />

Zwerghirsch: »Derjenige, welcher das Hundefleisch<br />

aB, dachte vermutlich, daB es Zwerghirschfleisch<br />

ware. Aber der Kopf des Hundes<br />

liegt hinter der Küche!«<br />

Als der Mann das hörte, dachte er: ,Ihr habt mir<br />

anscheinend Hundefleisch zu essen gegeben!' Als<br />

er dann hinging, erblickte er den Hundekopf,<br />

der tatsachlich hinter der Küche lag 3 . Da wurde<br />

er zornig auf die Leute, die das Fleisch gekocht<br />

hatten.<br />

Sie sprachen: «Nachts konnten wir nichts sehen.<br />

Deshalb sagten wir uns: anscheinend ist dies der<br />

Bruder Zwerghirsch; denn er sieht auch fast aus<br />

wie ein Hund.« Als er daraufhin auf sie eindrang,<br />

ergriffen die beiden die Flucht.<br />

Da sagte der Zwerghirsch: »Bringe sie nicht um,<br />

Bruder! Wenn du willst, töte mich! Nimm trokkene<br />

Kokospalmenblatter und binde sie an meinem<br />

Schwanz fest! Dann zünde sie an! Das<br />

allein kann mein Tod sein, durch etwas anderes<br />

vermag ich nicht zu sterben!«<br />

Darauf holte der Mann trockene Kokospalmenblatter<br />

und band sie am Schwanz des Zwerghirsches<br />

fest mit den Worten: »Es ist auch wahr!<br />

Anscheinend bedeutet das den Tod des Zwerghirsches!«<br />

Darauf holte er Feuer und steckte<br />

die Blatter am Schwanz des Bruders Zwerghirsch<br />

in Brand 4 . Als das Feuer heil aufflammte,<br />

sprang der Zwerghirsch auf den First des Hauses<br />

des Pflanzungsbesitzers. Infolgedessen geriet<br />

das Haus in Brand. Das ganze Gebaude und die<br />

Besitztümer darin wurden von den Flammen<br />

vernichtet. Der Zwerghirsch aber stürzte sich in<br />

182


einen Büfïeltümpel, so daB das Feuer an seinem<br />

Schwanz erlosch. Darauf begab er sich ins Innere<br />

des Waldes.<br />

Bis dahin geht die Erzahlung von dem Bruder<br />

Zwerghirsch und dem Hunde.<br />

Das Wildschwein und der Affe<br />

fin einzelner Affe hüpfte von Baum zu Baum,<br />

um Nahrung zu suchen. Er begab sich dann hinunter<br />

nach dem Rande des Krüppelholzes. Als er<br />

dort einem groBen Wildschwein mit sehr scharren<br />

Hauern begegnete, sprach er: »Was suchst<br />

du hier, Freund Wildschwein?«<br />

Das Wildschwein antwortete: »Nichts suche ich!<br />

Ich warte, daB es Nacht wird. Denn wenn es<br />

nachher dunkel ist, gehe ich auf die Suche nach<br />

Sago, Reis und allem, was ich antreffe.«<br />

Darauf fragte der Affe: »Warum kannst du dich<br />

denn nicht jetzt auf den Weg machen?«<br />

Das Wildschwein sprach: »Ich fürchte, daB die<br />

Hunde mich verfolgen!«<br />

Da meinte der Affe: »LaB uns am Rand dieses<br />

Krüppelholzes spazieren gehen! Hast du Lust,<br />

Freund Wildschwein?«<br />

»Es ist gut!« sagte das Wildschwein.<br />

Als sie fortgingen, sprach das Wildschwein:<br />

»Warum dürfen wir uns eigentlich nicht am<br />

Tage zeigen und ins freie Gelande gehen?«<br />

Darauf erwiderte der Affe: »Ich fürchte mich<br />

vor den Menschen; denn sie fangen oder töten<br />

uns, damit wir umkommen.«<br />

»Wie sehen die Menschen denn aus?«<br />

Der Affe sprach: »Sie haben zwei Beine, und ihr<br />

Kopf ist aufgerichtet. Sie kennen sehr viele<br />

i83


Listen, um alle Waldbewohner zu töten. Sie<br />

fangen uns mit Schlingen, und sie fertigen<br />

Affenfallen, FuBangeln und Kafige an, um uns<br />

damit umzubringen. Denn ihre Listen, durch<br />

die sie uns zu töten verstehen, sind sehr zahlreich.«<br />

Da sagte das Wildschwein: »Wenn es das ist, so<br />

fürchte ich die Menschen nicht. Denn wenn ich<br />

mich nur einmal mit meinen sehr scharfen Hauern<br />

auf sie stürze, dann f allen sie schon um!«<br />

Da meinte der Affe: »Sei nicht zu groBsprecherisch,<br />

Freund Wildschwein! Denn du bist die<br />

Listen der Menschen noch nicht gewahr geworden!«<br />

Als dann ein kleines Kind in Sicht kam, sprach<br />

das Wildschwein: »So sehen Menschen aus!<br />

Wenn ich mich einmal auf diesen da stürzte, so<br />

würde er schon hinfallen! Wenn ich ihn nur einmal<br />

mit den Hauern bearbeitete, dann würde<br />

er sterben!«<br />

»Dieser da ist noch kein richtiger Mensch, es gibt<br />

noch andere!«<br />

Darauf erblickten sie einen sehr alten Mann,<br />

dessen Rücken bereits gekrümmt war. »Ist dieser<br />

da ein richtiger Mensch?« waren die Worte<br />

des Bruders Wildschwein.<br />

»Nein«, erwiderte der Affe, »es gibt noch<br />

andere!«<br />

Darauf kam ein Mann mit einem Bambusspeer,<br />

einem Haumesser und einem Gewehr des Weges<br />

daher. Da sprach Bruder Affe: »Der da ist fürwahr<br />

ein richtiger Mensch! Wenn du willst,<br />

dann stürze dich auf ihn!«<br />

Und das Wildschwein rannte auf ihn los. Als es<br />

dort ankam, zog der Mann sein Haumesser und<br />

184


verwundete das Schwein damit. Er schoB auch,<br />

aber das Wildschwein wurde nicht getroffen. Da<br />

ergriff es die Flucht; denn sein Kopf war bereits<br />

voller Wunden.<br />

Als es dann mit dem Affen wieder zusammentraf,<br />

sprach dieser: »Wie ist es, Freund Wildschwein,<br />

hast du Bekanntschaft mit den Menschen<br />

gemacht?«<br />

Da erwiderte das Wildschwein: »Ich möchte keineswegs<br />

mit einem richtigen Menschen zusammengeraten!<br />

Denn aus seinem Munde kam<br />

Feuer, und aus seinem Bauche kamen scharfe<br />

Waffen!«<br />

Da meinte der Affe: »Sei nicht zu groBsprecherisch!<br />

Sieh nur deinen Kopf an, er ist rot von<br />

Blut!«<br />

Das Wildschwein erwiderte: »In Zukunft will<br />

ich auch auf keinen Fall wieder dorthin!«<br />

Bis da geht diese Erzahlung.<br />

Der Reisvogel und der Affe<br />

£"ines Tages begegneten sich Reisvogel und ein<br />

Affe auf einem Reisfelde. Da sagte der Affe:<br />

«Was habt ihr vielen Reisvogel für eine Beschaf<br />

tigung?«<br />

»Wir suchen Nahrung für unsere Kinder. Und<br />

du, Bruder Affe?«<br />

Er erwiderte: »Ich suche Nahrung für mich!«<br />

Als sie einander am folgenden Tage wiederum<br />

begegneten, sagte der Affe: »Wo ist euer Aufenthaltsort,<br />

Reisvögel?«<br />

»Wenn nicht an der Mündung, dann ist unser<br />

Aufenthaltsort am Oberlauf des Flusses!«<br />

Da sprach der Affe: »Was mich betrifft, so<br />

möchte ich nach dem Strand spazieren gehen,<br />

um mir die Gegend genau anzusehen.«<br />

185


Die Reisvogel meinten darauf: »Wenn du Lust<br />

hast, folge uns m<strong>org</strong>en! Wir wollen dann spazieren<br />

gehen, oder wir werden eine Segelfahrt<br />

unternehmen!«<br />

»Ich möchte wirklich gern dorthin nach dem<br />

Strand; denn ich habe ihn noch niemals gesehen.«<br />

Die Reisvogel sagten zu ihm: »Suche dort bei<br />

den Hausern der Menschen ein Boot für uns!«<br />

Und der Affe machte sich auf den Weg. Er fand<br />

auch einen Topf mit einer Reiskruste darin, einer<br />

Reiskruste, die vom vorigen Tage stammte und<br />

schon hart war. Da stahl er den Topf und<br />

kratzte die Reiskruste heraus. Denn diese sollte<br />

das Boot werden, von welchem der Reisvogel<br />

gesprochen hatte.<br />

Als er sie dann dem Reisvogel mitbrachte, sprach<br />

dieser: »Wir gehen nach dem Strand, und dann<br />

unternehmen wir eine Segelfahrt!« Und sie<br />

machten sich auf den Weg.<br />

Dort angelangt, stiegen der Reisvogel und der<br />

Affe hinein ins Reiskrusten-Boot. Der Reisvogel<br />

fragte noch: »Kannst du auch schwimmen?«<br />

»Schwieriges bewaltigen kann ich«, erwiderte<br />

der Affe. Alsdann segelten sie mitten aufs hohe<br />

Meer. Als die Sonne bereits hoch stand, sagte<br />

der Affe: »Ich bin hungrig!«<br />

Der Reisvogel erwiderte: »IG ein Stück von unserem<br />

Boot!«<br />

Ein wenig spater sprach der Affe: »Ich bin hungrig!«<br />

Und noch ein wenig langer, da lieB er sich<br />

vernehmen: »Ich esse noch ein Stück von unserem<br />

Boot!«.<br />

»If3 nur alles«, waren da die Worte des Reisvogels.<br />

Und der Affe aB alles auf. Da ging ihr Boot<br />

mitten auf dem Meere unter. Bruder Reisvogel<br />

1S6


nog fort, aber der Affe ertrank, weil er nicht<br />

schwimmen konnte. Da sprach der Reisvogel:<br />

»Bist du gestorben? Du sagtest doch, es sei sehr<br />

leicht, aufs Meer hinauszufahren! Du behauptetest<br />

doch, Schwieriges bewaltigen zu können!<br />

Wie ist es nun, jetzt bist du doch tot?«<br />

Bis da geht diese Erzahlung.<br />

Affe und FluB-Schnecke<br />

^Z^ieser eine Affe befand sich auf einem Baum<br />

über einer groBen Bucht. Da erblickte er eine<br />

Schwester FluBschnecke. Sie war dabei, hin und<br />

her zu gehen, aber sie bewegte sich nur sehr<br />

langsam fort. Da sprach der Bruder Affe: »Was<br />

tust du da, Schwester FluBschnecke?«<br />

»Ich bin im Begriff, nach dem Oberlauf des Flusses<br />

zu gehen!«<br />

Da sagte der Affe: »Wenn du, die einen derartigen<br />

Anblick bietet, überhaupt am Oberlauf ankommst,<br />

dann erst nach deinem Tode! Denn es<br />

ist ausgeschlossen, daB du dein Ziel erreichst.«<br />

Darauf erwiderte Schwester FluBschnecke:<br />

»Sage das nicht! Wenn du willst, laufen wir<br />

m<strong>org</strong>en früh um die Wette!«<br />

Da waren die Worte des Affen: »Eine von deiner<br />

Sorte wird gerade um die Wette laufen! Du<br />

bist ja nur so groB wie eine Made!« Dann kehrte<br />

Bruder Affe heim.<br />

Die FluBschnecke ging zu ihren Schwestern in<br />

den FluB und sprach: «M<strong>org</strong>en früh wollen ich<br />

und ein groBer Affe 1<br />

einen Wettlauf veranstalten.<br />

Wenn mich der groBe Bruder Affe m<strong>org</strong>en<br />

hier an der Mündung ruft, dann antwortet ihr<br />

dort vorne 2 ! Und wenn er von der Mitte des<br />

187


Flusses ruft, dann antwortet ihr, die ihr euch<br />

ganz vorne am Oberlauf befindet!«<br />

Der Affe kam und sagte: »LaB uns jetzt mit<br />

unserem Wettlauf beginnen, Schwester FluBschnecke!»<br />

Darauf begannen sie zu laufen. Was<br />

den Affen betraf, so sprang er sofort los, am<br />

FluBufer entlang. Als er dann rief »Hallo,<br />

Schwester FluBschnecke, wo bist du?« antwortete<br />

eine andere FluBschnecke, die sich ganz<br />

vorne befand. »Oh!« sprach da der Affe, »ich<br />

bin bereits hier hinter der FluBschnecke zurückgeblieben!<br />

Denn sie ist schon ganz vorne!« Bruder<br />

Affe lief deshalb mit aller Kraft. Als er<br />

nochmals rief, antwortete eine andere FluBschnecke,<br />

die schon ganz vorne angelangt war.<br />

Da konnte der Bruder Affe nicht mehr laufen;<br />

denn er war bereits stark erschöpft. Er keuchte<br />

und fiel zur Erde mit den Worten: »Jetzt bin ich<br />

von einer Schwester FluBschnecke besiegt!«<br />

Die FluBschnecke sagte zu ihm: »Ha, hast du<br />

verloren, Bruder Affe? Gestern sagtest du doch,<br />

ich liefe sehr langsam! Wenn es so ist, dann sei<br />

in Zukunft nicht zu groBsprecherisch!«<br />

Der Affe konnte nicht mehr antworten;<br />

sein Atem stockte.<br />

denn<br />

Bis dahin geht die Erzahlung von dem Bruder<br />

Affe und der FluBschnecke.<br />

D e r P a p a g e i u n d der S p e c h t<br />

Jn einem Walde gab es zwei Papageien, ein<br />

Mannchen und ein Weibchen. Als die Papageiin<br />

ein Ei legen wollte, sprach sie zu dem Mannchen:<br />

»Ich möchte ein Ei legen. Aber wohin sollen<br />

wir es tun? Du könntest einen Platz dafür<br />

her richten k<br />

188


Da sagte das Mannchen: »Ich kann kein Loch in<br />

einen Baum schlagen; denn mein Schnabel ist<br />

nach unten gebogen. Und ein Nest bauen wie<br />

andere Vögel kann ich auch nicht; denn meine<br />

Zehen sind ganz krumm. LaB uns deshalb einen<br />

anderen Aus weg suchen: denn wenn wir es auf<br />

die Erde legen, so wird man dein Ei wegnehmen!«<br />

Da erblickten sie einen Vogel namens Specht.<br />

Seine Beschaftigung bestand darin, fortgesetzt<br />

Löcher in Baume zu schlagen. Damit beschaftigte<br />

er sich den ganzen Tag. Da sprach die Papageiin<br />

zu ihm: »Was für einen Nutzen hast du<br />

davon, daB du Löcher in die Baume schlagst?«<br />

Der Specht erwiderte: »Sie sind meine Wohnung.<br />

Und wer keine Wohnung besitzt, dem gebe<br />

ich eine.«<br />

Da sprach die Papageiin: »Gib mir die Wohnung,<br />

die du angefertigt hast!«<br />

Er entgegnete ihr: »Wenn du damit einverstanden<br />

bist, daB wir heiraten, dann gebe ich dir<br />

diese Wohnung!«<br />

»Ich besitze bereits einen Gatten. Es ist also<br />

unmöglich, daB wir heiraten. Aber wenn du mit<br />

meinem Kinde fürlieb nehmen willst, so verheirate<br />

ich es spater mit dir, wenn es zur Welt gekommen<br />

ist!«<br />

«Es ist gut!« waren die Worte des Spechtes,<br />

«aber wenn du mich nachher betrügst, dann ist<br />

es dein Unglück!«<br />

Darauf legte die Papageiin ein Ei. Und nach<br />

einiger Zeit schlüpfte das Junge denn auch aus.<br />

Als sie sah, daB der Schnabel ihres Jungen rot<br />

war, sprach sie: «Der Schnabel meines Jungen<br />

ist rot wie der meines Mannes. Nun ist dieses<br />

mein Junges anscheinend ein MannchenM«<br />

189


Da kam der Specht. »Ist dein Junges schon zur<br />

Welt gekommen, Schwester Papageün?«<br />

»Ja«, sprach sie.<br />

»Dann wird es nachher, wenn es erwachsen ist,<br />

meine Frau«, waren die Worte des Spechtes. Als<br />

es erwachsen war und fliegen konnte, sagte der<br />

Specht: «Jetzt soll meine Hochzeit mit deinem<br />

Kinde stattfinden!«<br />

«Gut! Damals sprachen wir von der Heirat mit<br />

dir, vorausgesetzt, daB es ein Madchen ist. Wenn<br />

es jedoch ein Knabe ist, dann könnt ihr nicht<br />

heiraten. Und nun ist mein Kind ein Knabe;<br />

denn sein Schnabel sieht so rot aus wie der meines<br />

Mannes. Das gebe ich dir hiermit zur<br />

Kenntnis!«<br />

Da sagte der Specht: «Du willst mich nur betrügen!<br />

Wenn du mich nicht mit deinem Kinde<br />

verheiratest, bringe ich euch alle um!«<br />

Darauf erwiderte sie: «Komm spater einmal<br />

wieder, wenn ich eine Tochter zur Welt gebracht<br />

habe!«<br />

Als spater ein weibliches Junges der Papageiin<br />

das Licht der Welt erblickte, kam der Specht<br />

wieder. «Wo ist meine Frau, Papageiin?«<br />

«Hier ist sie! Nimm sie mit, wenn sie will! Aber<br />

wenn sie nicht will, dann weiB ich es nicht, dann<br />

bin ich am Ende mit meinem Rat.«<br />

Das Papageienjunge und seine Mutter flogen<br />

dann irgendwohin fort; und der Specht blieb<br />

allein zurück. Da sprach er: «Dieses eine Mal<br />

war es nicht möglich. Aber wenn ich euch spater<br />

noch einmal treffe, und wenn es dann nicht<br />

geschieht, bringe ich euch alle um, groB und<br />

klein!«<br />

Damit ist die Erzahlung vom Papagei und dem<br />

Specht zu Ende. Seitdem sind Papageien und<br />

190


Spechte einander gram. Deshalb sagen die Leute:<br />

»Der Specht schlagt Löcher, aber der Papagei<br />

besetzt sie.« Bis dahin. Es wurde zu einem<br />

Gleichnis der Alten.<br />

Die Wildkatze und das<br />

Huhn<br />

;2.uerst kam eine Wildkatze. Diese sprach zu<br />

einem Huhn und dessen Jungen: »Hallo, Schwester<br />

Huhn! Wollen wir uns einen GenuB gönnen?«<br />

Das Huhn sagte: »Was wollen wir denn genieI3en?«<br />

Die Wildkatze erwiderte: »Wir schlachten<br />

Hühner!« Da sagte das Huhn: »Gut, warum<br />

nicht?« Die Wildkatze fuhr fort: »Nachher gegen<br />

Mitternacht komme ich dorthin nach deinem<br />

Aufenthaltsort.« »Es ist gut«, sagte da das Huhn.<br />

Alsdann kehrte die Wildkatze nach ihrem<br />

Aufenthaltsort zurück.<br />

Das Huhn aber sprach zu seinem Jungen: »Liebes<br />

Kind, jetzt komm her! Nachher in der Nacht<br />

will uns eine Wildkatze fressen. LaB uns deshalb<br />

von hier fortgehen!« Als das Küchlein<br />

fragte »Wohin denn?« erwiderte seine Mutter:<br />

»Dorthin auf jenen Bambus!«<br />

»Es ist gut, liebe Mutter!« Darauf begaben sich<br />

beide dorthin auf den Bambus.<br />

Als die Wildkatze um Mitternacht nach dem<br />

früheren Platz des Huhns kam, sah sie, daB<br />

Huhn und Hühnchen nicht mehr dort waren. Da<br />

machte sie sich auf die Suche nach ihnen. Sie<br />

fand sie auf jenem Bambus, erkletterte ihn vorsichtig<br />

und sprach: «Hallo, Schwester Huhn, wo<br />

seid ihr?«<br />

Da sagte das Küchlein: «Piep piep, Mutter!«<br />

Dadurch erschrak die Wildkatze, so daB sie hinunterfiel<br />

und sofort tot war — weil sie die<br />

Stimme des Küchleins gehort hatte.<br />

191


Die beiden<br />

Kampfhahne<br />

£"s waren einmal diese beiden Hahne, die miteinander<br />

kampfen wollten. Deshalb sprachen<br />

sie zu allen ihren Gefahrtinnen: »Seht zu, denn<br />

ich und dieser Hahn werden miteinander kampfen!<br />

Wer unterliegt, den lacht aus!« Darauf<br />

begannen sie ernstlich zu kampfen. Allmahlich<br />

wurde der eine Hahn auf einem Auge blind.<br />

Sein Gegner hackte jedoch weiter in das andere<br />

Auge, bis beide erblindet waren. Da fiel er um<br />

und starb auf der Stelle. Nun krahte der Hahn,<br />

der allein übriggeblieben war. Und die zahlreichen<br />

Hühner folgten seinem Geschrei.<br />

Da sprach der Hahn: »Jetzt ist der, mit dem ich<br />

kampfte, tot. Nun bin ich der einzige Hahn.<br />

AuBer mir gibt es niemanden mehr, der Widerstand<br />

leisten kÖnnte!« Darauf flog er auf einen<br />

Dachfirst. Dort angekommen, sprach er: »Ich<br />

bin der GröBte in diesem Lande!« Dann krahte<br />

er: »Ich bin der GröBte!«<br />

Da kam ein Habicht von oben herab, umkrallte<br />

den Hahn und flog mit ihm nach oben. Darauf<br />

brachte er ihn um, und als er tot war, fraB ihn<br />

der Habicht auf.<br />

Da sagte ein Huhn: »LaBt uns nicht zu prahlerisch<br />

sein hier auf Erden! LaBt uns einen Unglücklichen<br />

nicht noch unglücklicher machen, als<br />

er schon ist!«<br />

Darauf kam ein sehr alter Mann und sprach:<br />

»Habt ihr die miteinander kampfenden Hahne<br />

gesehen?« Als die Menge antwortete, »Wir<br />

haben sie gesehen«, fuhr er fort: »Seid nicht zu<br />

groBsprecherisch hier auf Erden! Denn spater<br />

ster ben wir doch! Meine Lehre gilt für euch<br />

alle!«<br />

Damit war es zu Ende.<br />

192


GESCHICHTLICHE ERZAHLUNGEN<br />

UND LEGENDEN<br />

Die Lambore' auf der Insel Simalur<br />

Die Bezeichnung Lambore' hangt sicherlich mit dem<br />

alten Reich Lampuri in Nord-Sumatra zusammen.<br />

Sie weist gleichzeitig auf einen verhaltnismafiig frühen<br />

Kontakt zwischen Nord-Sumatra und Simalur. —<br />

Wegen des Sich-klein-machens und des Hineinkriechens<br />

in eine Flasche vergleiche Bolte und Polivka,<br />

Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmarchen der<br />

Brüder Grimm, Nr. 99: »Der Geist im Glas«.<br />

1<br />

awa ist eine Fischart, die mir unbekannt ist.<br />

2<br />

Malaien, vor allem die der Minangkabau-Lande in Zentral-Sumatra,<br />

kennen FechttSnze, die von zwei Mannern<br />

ausgeführt werden. Als Waften dienen dabei entweder<br />

Schwerter oder aber kurze Dolche. Diese Tanze bestehen<br />

aus Angriffs- und Abwehrbewegungen. Gelegentlich<br />

werden diese Fechtübungen, wie in der vorliegenden<br />

Erzahlung, auch nur von einem Mann ausgeführt, der<br />

dann gegen einen nicht vorhandenen Gegner auftritt.<br />

* inang bau' ist eine Arekapalmenart, auch Pinangpalme<br />

genannt (Areca Catechu L.), deren Nüsse unter der Krone<br />

sitzen, und die zum Betelkauen gebraucht werden.<br />

4<br />

Die Sippennamen auf der Insel Simalur sind durch eine<br />

Vorsilbe da' gekennzeichnet, die in anderen indonesischen<br />

Sprachen die Mehrzahl bezeichnet. Die Namen<br />

stimmen nicht immer lautlich mit den hier angegebenen<br />

konkreten Bezeichnungen überein. Darin ist ein Versuch<br />

zu erblicken, diese Sippennamen nachtraglich zu erklaren.<br />

(Wegen der Sippen siehe Anmerkung 8). ,<br />

6<br />

bangeo ist ein FluBfischart.<br />

o bichao ist eine Baumart. — Es ist auffallig, daB Sippen<br />

nach Tieren und Pflanzen benannt werden. Hier liegt<br />

bereits ein Schritt zum Totemismus vor. Denn es ist ein<br />

Kennzeichen des Totemismus, daB sich Bevölkerungsgruppen<br />

(Sippen, Clans) nach einem Tier oder nach einer<br />

Pflanze nennen, die dann als Vorfahren der Sippe angesehen<br />

und verehrt werden.<br />

7<br />

Da'awa' Luma enthalt die Ausdrücke awa' (Stamm) und<br />

luma (Haus), bedeutet also etwa «Stamm = Mittelpunkt<br />

der Hauser*.<br />

8<br />

Mit »Sippenverband« sind hier die Sippen, das heiBt die<br />

Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Stammes, gemeint,'<br />

deren Angehörige auch untereinander heiraten dürfen.<br />

Man unterscheidet in Indonesien namlich Sippenendogamie<br />

und Sippenexogamie. Bei der ersteren dürfen die<br />

Sippenangehörigen nur innerhalb, bei der letzteren nur<br />

auBerhalb ihrer Sippe heiraten. Auf der Insel Simalur<br />

herrscht Sippenexogamie.<br />

1 3<br />

193


0<br />

Die Insel Nias, deren Bewohner in den letzten Jahrzehnten<br />

von der Rheinischen Missionsgesellschaft gröCtenteils<br />

christianisiert wurden, liegt südöstlich von Simalur. Ihre<br />

Bewohner haben eine eigene Sprache.<br />

Die Herkunft der Bewohner<br />

von Sichule und Salang<br />

Hier wird versucht, eine Erklarung für das Bestehen<br />

der niassischen Enklave in den Landschaften Sichule<br />

und Salang zu geben. Denn sprachvergleichend steht<br />

fest, daB deren Bewohner aus Süd-Nias stammen.<br />

(Ein ehemals auf Nias stationierter Missionar der<br />

Rheinischen Missionsgesellschaft teilte mir mündlich<br />

mit, daB, soweit er sich erinnere, auch in Süd-Nias<br />

eine Erzahlung bestünde, die von einer gröBeren<br />

Auswanderung spreche.)<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

Damit ist die Landschaft Tepa im südöstlichen Teil der<br />

Insel Simalur gemeint.<br />

Das heiBt Erde von der Insel Simalur.<br />

Kupang ist ursprünglich ein kleines Goldgewicht im<br />

Wert von sechs Centen, das heiBt von 'A eines niederlandisch-indischen<br />

Guldens.<br />

Das heiBt wohl, die beiden Lander passen nicht zueinander.<br />

Das heiBt zwischen Simular und Sumatra, da die Landschaft<br />

Sichule noch nicht vorhanden war (siehe Anmerkung<br />

6).<br />

Die Bewohner der Landschaft Sichule sind also spater<br />

aus Nias gekommen.<br />

Wie Ortsnamen entstanden sind<br />

1<br />

2<br />

Vor der Islamisierung scheint man auf der Insel Schweine<br />

gezüchtet zu haben. Diese sind beispielsweise noch heute<br />

ein Ausfuhrartikel der Bewohner der Insel Nias, die südöstlich<br />

von Simalur liegt.<br />

Diese Erzahlung dient dazu, den geographischen Eigennamen<br />

Olul Alau zu erklaren.<br />

Wie die Bewohner der Insel<br />

Mohammedaner wurden<br />

Diese Erzahlung dürfte insofern geschichtlich sein,<br />

als sie die gewaltsame Art der Islamisierung zeigt.<br />

AuBerdem geht aus ihr hervor, daB Simalur vor dieser<br />

Zeit das Jagdgebiet rücksichtsloser Sklavenjager<br />

aus den Minangkabau-Landen in Zentral-Sumatra<br />

war. Eine Bestatigung hierfür findet sich in einer<br />

ahnlichen Erzahlung aus einem andern Teil der Insel.<br />

— Das AbschieBen eines Menschen als (oder wie<br />

194


hier: auf einer) Kanonenkugel kommt auch in der<br />

malaiischen «Geschichte von Radja Muda« vor.<br />

1 Unter >religionslos« ist hier zu verstehen, daB sie keine<br />

Mohammedaner, sondern noch Animisten sind. Sie kennen<br />

keine zentrale, oberste Gottheit, sondern sie glauben<br />

an Damonen und eine allgemein beseelte Natur (Tiere<br />

und Pflanzen), die sie auch verehren.<br />

2<br />

Dadurch will er die geflüchteten Dorfbewohner in den<br />

Glauben versetzen, da!3 ihr Dorf wieder bewohnt sei, um<br />

sie so zur Rückkehr zu bewegen.<br />

3<br />

Personen werden gern nach einer charakteristischen<br />

Eigenschaft benannt. Datu' ist ein malaiischer Titel, der<br />

etwa mit «Sippen-, Dorfhaupti wiederzugeben Ist.<br />

« Es handelte sich dabei um sporadische Sklavenzüge. In<br />

alter Zeit wurden auch Sklaven, die man auf der Insel<br />

Nias (südöstlich von Simalur) gefangen hatte, auf Simalur<br />

gesammelt und von dort nach Sumatra verschifft.<br />

5 «Befehlshaber' entspricht etwa unserem Offlzier.<br />

« Das heiBt «Verstehen sie, die mohammedanischen Gebetsübungen<br />

zu verrichten?» Jeder glaubige Muslim (das<br />

heiBt Mohammedaner) muB taglich fünf Gebete zu festgesetzten<br />

Zeiten verrichten. Die Gebetsübungen sind<br />

eine bis in die Einzelheiten v<strong>org</strong>eschriebene Folge von<br />

Handlungen und von Rezitationen gewisser Stellen aus<br />

dem Qur'an, dem heiligen Buch der Muslims. Sie müssen<br />

möglichst in Gesellschaft mehrerer Glaubiger verrichtet<br />

werden. Das erste Gebet flndet kurz vor Sonnenaufgang<br />

statt, das zweite um die Mittagszeit, das dritte<br />

am Nachmittag, das vierte sofort nach Sonnenuntergang,<br />

und das fünfte einige Stunden nach Sonnenuntergang.<br />

AuBer diesen fünf v<strong>org</strong>eschriebenen taglichen Gebeten<br />

ist jeder freie mannliche, volljahrige, im Vollbesitz seiner<br />

Geisteskrafte stehende Glaubige zum sogenannten<br />

Freitagsgebet in der Moschee verpflichtet (vergleiche<br />

Anmerkung 14). Dabei müssen mindestens vierzig Personen<br />

anwesend sein. Der Zeitpunkt zum Gebet wird<br />

durch Trommelschlag oder durch den Gebetsrufer verkündet.<br />

Um eine einheitliche Durchführung des Gebets<br />

zu gewahrleisten, tritt einer der Anwesenden als «V<strong>org</strong>anger<<br />

auf. Er steht vor der Nische in der Moscheewand,<br />

welche die Richtung nach Mekka bezeichnet, und<br />

die anderen Glaubigen stellen sich in Reihen hinter ihn.<br />

Im Mittelpunkt des Freitagsgebets steht eine Art Predigt,<br />

die ein Moscheebeamter in arabischer Sprache vortragt.<br />

Dabei steht er auf einer Kanzei und halt den altarabischen<br />

Rednerstab in der Hand, der jedoch bisweilen auch<br />

fehlt. — Von den Haltungen, die wahrend des Gebets eingenommen<br />

werden müssen, seien als die hauptsachlichsten<br />

erwahnt: das Knien und aus dieser Stellung das Berühren<br />

des FuBbodens oder der Gebetsmatte mit der<br />

Stirn. — Die taglichen Gebete werden auf Simalur, ebenso<br />

wie anderswo in Indonesien und in vielen anderen<br />

13<br />

* 195


mohammedanischen Landern, von der groBen Mehrheit<br />

der Bevölkerung versaumt.<br />

7<br />

Tengku ist ein aus der Atjeh-Sprache in Nord-Sumatra<br />

entlehnter Titel, mit dem Religionslehrer oder besonders<br />

iromme Personen angeredet werden.<br />

» Das heiBt er hatte bereits zweimal die Pilgerüahrt nach<br />

Mekka, der heiligen Stadt der Mohammedaner, angetreten.<br />

Der Islam (das heiBt Hingabe an Allah und Unterwerfung<br />

unter die von seinem Gesandten übermittelten<br />

Befehle) beruht auf fünf >Grundpfeilern« oder >Saulen«,<br />

welche die fünf höchsten rituellen Pflichten darstellen.<br />

Es sind: 1. das Glaubensbekenntnis, 2. der pflichtmaBige<br />

Gottesdienst (siehe Anmerkung 6), 3. die religiöse Steuer,<br />

4. das Fasten im Monat Ramadan und 5. die Pilgerfahrt<br />

nach der Ka'aba (das ist eine alte arabische Kultstatte<br />

in Würfelform, in deren Ostseite der von den Pilgern<br />

verehrte schwarze Stein eingemauert ist) in Mekka.<br />

Letztere ist Pflicht für jeden dazu fahigen Muslim (auch<br />

für Frauen), wenn er sie ohne ernste Gefahrdung von<br />

Leben oder Besitz unternehmen kann, und wenn keiner<br />

seiner Familienangehörigen durch seine Abwesenheit<br />

Schaden erleidet. Die Pilgerfahrt ist eine uralte arabische<br />

Einrichtung. Sie besteht aus einer festgesetzten<br />

Folge von rituellen und religiösen Handlungen an bestimmten<br />

Flatzen in Arabien. Die Teilnahme der Indonesier<br />

an der Pilgerfahrt ist sehr groB, so daB sie in der<br />

heiligen Stadt sogar eine Indonesische Kolonie (die Djawah-Kolonie)<br />

bilden. — Die in die Heimat zurückgekehrten<br />

Pilger (hadjis) haben das Privileg, ihren Kopf mit<br />

weiBem oder grünem Tüllband bedecken und sich mit<br />

mehr oder weniger im arabischen Stil gehaltenen Gewandern<br />

kleiden zu dürfen.<br />

* Hali Lulla ist der Name des Tengku Adji. Es ist eine<br />

Entstellung des arabischen chalil ullah, >Freund Gottes«.<br />

"> Es handelt sich um eine Reisabgabe an den Fürsten, die<br />

wohl alsEntschadigung dafür aufzufassen ist, daB er seine<br />

mohammedanischen Untertanen nun nicht mehr als Sklaven<br />

verkaufen darf.<br />

u Die Gebiete, die dem Sultan von Atjeh hörig waren,<br />

muBten diesem jahrlich als symbolischen Tribut öl überreichen.<br />

1 2 Wahrscheinlich ein Titel, dessen Bedeutung nicht mehr<br />

bekannt ist.<br />

1 3<br />

Die Abgesandten müssen erst durch besondere Leistungen<br />

zeigen, daB sie des Geschenks vom Sultan von Atjeh<br />

würdig sind.<br />

i' Die Moschee ist das mohammedanische Gotteshaus. Auf<br />

Simalur sind die Moscheen etwas besser und gröBer gebaut<br />

als die Hauser der Inselbewohner. Ein Minarett,<br />

von dem der Gebetsrufer die Anfangszeiten der Gebete<br />

(siehe Anmerkung 6) bekanntgibt, fehlt, wie bei den meisten<br />

Moscheen in Indonesien. Das Gebaude besteht aus<br />

einer Veranda an der Vorderseite und dem Hauptraum.<br />

Eine Nische an der westlichen Wand gegenüber dem<br />

196


1 0<br />

16<br />

1 7<br />

Haupteingang gibt die Richtung nach Mekka an. In der<br />

Nahe dieser Nische steht gewöhnlich die Rednerkanzel,<br />

von der der Redner freitags eine arabische Predigt vortragt,<br />

die kaum einer der Glaubigen versteht. Bei jeder<br />

Moschee befindet sich eine Waschgelegenheit für die Glaubigen,<br />

damit sie die rituellen Waschungen der Hande und<br />

FüBe und des Gesichts vornehmen können. — In den drei<br />

Landschaften Tepa, Simalur und Lekon sind kleinere<br />

Dörfer (mindestens fünf) zu einer Art »Moschee-Verbandi<br />

zusammengefaBt, damit für das Freitagsgebet die vom<br />

mohammedanischen Gesetz v<strong>org</strong>eschriebenen mindestens<br />

vierzig mannlichen Glaubigen zusammenkommen. Die<br />

Bewohner der umliegenden kleinen Dörfer halten den<br />

Freitagsdienst dann in dieser gemeinsamen Moschee ab,<br />

die meistens zentral gelegen ist. — Daneben bestehen in<br />

einzelnen Dörfern kleinere Kapellen (surao), die für die<br />

taglichen Gebete v<strong>org</strong>esehen sind.<br />

Religiöse Festmahler sind in Indonesien allgemein sehr<br />

beliebt. Sie finden bei allen Gelegenheiten statt, wo eine<br />

religiöse Zeremonie und Gebete erforderlich sind, so bei<br />

der Beschneidung von Knaben, bei der Gesundung nach<br />

einer Krankheit, beim Antritt von weiten Reisen und<br />

bei Todesfallen.<br />

Adathaupter sind meistens die Sippenvorsteher, die darüber<br />

zu wachen haben, daB die Sitte, der uralte Brauch,<br />

das heiBt die Adat (Lehnwort aus dem Arabischen), In<br />

der Sippe gewahrt bleibt. Ihnen oblag ebenfalls die<br />

Schlichtung von Streitigkeiten innerhalb der Sippe. Die<br />

Rechtsprechung erfolgte nach althergebrachten Richtlinien,<br />

die in kurzen Sprüchen zusammengefaBt sind,<br />

deren Auslegung nach Prazedenzfallen erfolgt.<br />

Jede Moschee (Anmerkung 14) besitzt eine Anzahl Beamte.<br />

Das Moscheepersonal besteht in Indonesien selten<br />

aus weniger als vier Personen, namlich aus dem V<strong>org</strong>anger<br />

beim Freitagsgebet (imam), der die Gemeinde<br />

führt; aus dem Redner (chatib), der die Freitags- und<br />

Festpredigten in arabischer Sprache vortragt; aus dem<br />

Gebetsrufer (modin oder bilal) und mindestens einem<br />

Mann, dem die Pflege der Moschee und der Einrichtung<br />

sowie das Füllen des Wasserbehalters für die rituellen<br />

Waschungen obliegt. Alle diese Personen sind jedoch<br />

keine Geistlichen; denn der Islam kennt keinen solchen<br />

Stand. Der Moscheevorsteher verwaltet die religiösen<br />

Geldmittel der Gemeinde und bestimmt die Arbeiten<br />

des Personals. — Auf Simular kommen als Moscheepersonal<br />

vor: der Moscheevorsteher oder -direktor, der Vorbeter,<br />

der Gebetsrufer und der Redner. Früher bestand<br />

in den drei Distrikten Tepa, Simalur und Lekon noch der<br />

Rang eines keutji', der die Moschee des »Moschee-Verbandes«<br />

(siehe Anmerkung 14) zu betreuen hatte. Die<br />

Dorfhaupter sind gleichzeitig Vorsteher der Dorfkapellen<br />

(surao, Anmerkung 14). Alle diese Amter sind in bestimmten<br />

Sippen erblich.<br />

197


DAMONEN GESCHICHTEN<br />

Der Fürst, der ein Jagerdamon wurde<br />

Wegen des weitverbreiteten Motivs der Gelüste einer<br />

Schwangeren siehe Tawney und Penzer, Band 1, Anhang<br />

3: »On the Dohada or Craving of the pregnant<br />

Woman as a Motif in Hindu Fiction«. Die Beschuldigung,<br />

ein Bastard zu sein, ist ein im Sanskritschrifttum<br />

weit verbreitetes Motiv. Siehe obiges<br />

Werk, Band 9, Seite 82, Anmerkung 1, und Erzahlung<br />

Nr. 171 G: »Muladeva and the Brahman's<br />

Daughter«.<br />

1 Auf Simalur und anderswo im Archipel geht man mit<br />

Hunden auf die Jagd. Sie spüren das Wild auf und stellen<br />

es. Das gestellte Tier wird dann mit Lanzen getötet<br />

Diese Jagdhunde gehören keiner besonderen Rasse an,<br />

sondern sind Mischungen aller Art. Nach erfolgreicher<br />

Jagd überlaBt man ihnen die Reste des erlegten Tieres.<br />

» Auf Simular gibt es keine Hirsche. Daher ist die Erzahlung<br />

schon aus diesem Grunde enüehnt.<br />

3 Siehe >Der antu' singogo-Damon», Anmerkung 6.<br />

4<br />

Die Arekapalme (Areca Catechu L.) wird auch falschlich<br />

Betelpalme genannt (siehe »Das Madchen, das nicht heiraten<br />

wollte», Anmerkung 6).<br />

» Eine Baumart. Die Arekapalme (Anmerkung 4) und dieser<br />

Baum sollen dem Jagerdamon anzeigen, daB die<br />

Leute zu seiner Familie gehören, daB er ihnen also nichts<br />

zuleide tun darf.<br />

• Der Vater des Knaben wird offenbar erst durch den<br />

Tod ein Damon. Er muBte erst von seiner menschlichen<br />

Hülle befreit und entseelt werden.<br />

? Der Baum heiBt vermutlich >Geister-Presset, weil seine<br />

Aste bei Sturm gegeneinander reiben und ein knarrendes<br />

Gerausch verursachen.<br />

8<br />

roa'-roa' ist eine Vogelart, die vermutlich nach ihrem Ruf<br />

benannt ist. (Im Minangkabau in Zentral-Sumatra bedeutet<br />

rua'-rua' »Wasserhuhn«.)<br />

Der Antu' Singongo-Damon<br />

1<br />

Dieser Damon soll im Wald in Erdlöehern und in Talern<br />

hausen.<br />

* Das heiBt: es ist bereits kurz vor Einbruch der Dunkelheit.<br />

3<br />

Der Damon, der verschiedene Erscheinungsformen annehmen<br />

kann, ist dem Madchen in Gestalt seines Oheims<br />

erschienen.<br />

4<br />

Lasten werden entweder auf dem Rücken oder zu mehreren<br />

an einer Tragstange über der Schulter oder aber<br />

auf dem Kopf getragen. Die indonesischen Sprachen besitzen<br />

für jede Art des Tragens besondere Ausdrücke.<br />

6<br />

Auf Simalur badet man entweder in den Flüssen, die<br />

jedoch wegen der zahlreichen Krokodile gefahrlich sind,<br />

198


oder meistens an gegrabenen Brunnen, vor allem dort<br />

wo kein FluB in der Nahe ist. Das Baden am Brunnen<br />

besteht darin, daB man Wasser aus einem wasserschöpferförmig<br />

gefalteten Blatt über den Körper schüttet.<br />

Diese Art des Badens ist sehr erlrischend.<br />

6<br />

Unter den nicht-stadtischen Indonesiern gibt es sehr erfahrene<br />

Fahrtensucher.<br />

7<br />

Eine Strauchart mit weiBen Blüten.<br />

8<br />

Wegen der Hochzeitszeremonien siehe Einleitung.<br />

o Es ist Sitte, daB die Jungvermahlten die ersten Nachte<br />

zusammen mit einer alten, erfahrenen Frau im Hause<br />

der Eltern des Brautigams verbringen. Die Bettstelle<br />

besteht aus einem rechteckigen Holzgestell ohne FuBund<br />

Kopf stück. Meistens schlaft man jedoch nur auf<br />

einer Matte, die auf dem FuBboden ausgebreitet ist. Man<br />

gebraucht auch mehr oder weniger reichverzierte Kissen,<br />

die mit Baumwolle oder Kapok gefüllt sind.<br />

"> Damonen reden, da sie keine menschlichen Wesen sind,<br />

anders als Menschen. In manchen Teilen von Indonesien<br />

gibt es daher besondere Sprachen, mittels derer die<br />

Schamanen mit ihnen in Verbindung treten (so beispielsweise<br />

bei den Batak in Nord-Sumatra). Das ist jedoch<br />

auf Simalur nicht der Fall.<br />

11 Damonen können alle möglichen menschlichen und tierischen<br />

Erscheinungsformen annehmen (siehe Anmerkung<br />

3).<br />

12 Gongs oder kleine Becken aus Messing werden entweder<br />

mit der Hand oder aber mit einem kleinen Holzhammer<br />

geschlagen. Sie wurden früher auBer für musikalische<br />

Veranstaltungen auch dafür verwendet, durch ihren<br />

Klang schadliche Tiere und böse Damonen zu verscheuchen.<br />

Hier will man sich durch Gongs bemerkbar<br />

machen, damit die Entführten die Richtung erkennen.<br />

« Die Schlafstelle (siehe Anmerkung 9) blieb im Walde,<br />

weil sie von einem Damon berührt war.<br />

15 Die Dorfaltesten spielen im öfïentlichen Leben eine wichtige<br />

Rolle, insofern sie bei Entscheidungen über das Wohl<br />

und Wehe der Bewohner mitzureden haben. Als die Erfahrensten<br />

erteilen sie auch wohl Lehren an die Jüngeren,<br />

wie es hier geschieht.<br />

Die Fürstentochter heiratet<br />

den » Fürsten vom Oberlauf «<br />

Inhaltlich entspricht diese Erzahlung der atjehischen<br />

vom «Gadja tudjoh uleë«. Allerdings nimmt in dieser<br />

ein siebenköpfiger Elefant die Stelle der siebenköpfigen<br />

Schlange der Simalur-Version ein. In der<br />

atjehischen »Hikajat Banta Beuransah« sind drei<br />

Söhne vorhanden, aber keiner, der Banta Achmad<br />

heiBt. — Wegen des Kampfes mit der siebenköpflgen<br />

Schlange und des Betruges vergleiche «Michel und<br />

die Schlange mit den sieben Köpfen« (Hambruch,<br />

199


»Malaiische Marchen«, Seite 160 bis 164), femer Bolte<br />

und Polivka, Nr. 60, »Die zwei Brüder« (Drache mit<br />

sieben Köpfen, Betrugsmotiv). — Wegen des Nichtabschlagens<br />

des letzten Kopfes siehe Tawney und<br />

Penzer, Band 3, Seite 268, Anmerkung 1.<br />

1 Der Brotfruchtbaum (Artocarpus Integrifolia L. = anasa)<br />

ist bei den Englandern als Jack-tree bekannt. Es ist ein<br />

ziemlich groBer Baum, der überall in Indonesien vorkommt.<br />

Das harte gelbe Holz dient zum Hausbau und<br />

zum Anfertigen von Möbeln. Die riesigen, am Stamm<br />

wachsenden Früchte sind sehr schmackhaft.<br />

2<br />

Die Mango-Baume (Mangifera Indica L.) haben eine<br />

dichte runde Krone und schmale, lederartige Blatter.<br />

Die eiförmigen grünen oder gelben Früchte haben<br />

orangefarbiges, faseriges Fruchtfleisch, das unter einer<br />

dünnen Schale und um einen grofien, platten Kern sitzt.<br />

Manche Sorten haben einen ausgesprochenen Terpentingeschmack.<br />

3 Wörtlich: >Erbrochenes können wir nicht wieder verschlucken.<<br />

4<br />

Die Riesenschlange bagatellisiert durch diese Worte den<br />

Verlust der Köpfe.<br />

6<br />

Für groBe Festlichkeiten steuern die Dorfleute Nahrungsmittel,<br />

vor allem Reis, bei. Denn Reis ist die Hauptnahrung<br />

in Indonesien.<br />

Der Sohn eines Reichen<br />

und Fürst Aman<br />

Die Episode von dem Kampf zwischen dem Büfïelstier<br />

und dem Kalb entspricht der Sage von einem<br />

gleichartigen Kampf zwischen den Reichen von Madjapahit<br />

(auf Java) und Minangkabau (Zentral-<br />

Sumatra), wonach letzterer Volksstamm seinen Namen<br />

erhalten haben soll (Minangkabau soll danach<br />

bedeuten: »der Büf£el«, das heiBt das Kalb, »siegte«).<br />

1<br />

Wegen Prophezeiungen aus dem Almanach siehe >Der<br />

Arme, der Pflüge verbarg», Anmerkung 3.<br />

2<br />

Die Altersstufen der Kinder werden, ebenso wie anderswo<br />

im Archipel, nach ihren Bewegungen oder nach anderen<br />

Ereignissen eingeteilt, so beispielsweise >das Kind<br />

kann schon ein wenig laufen»; >das Kind ist bereits so<br />

groB, daB es Kleidung tragt»; »sie war so groB, daB sie<br />

heiraten konnte».<br />

Der S o m a n - S o m a n - D a m on<br />

und die Frau, die Reis stampfte<br />

Es ist besonders zu bemerken, daB der Damon nach<br />

dem Verbrennen zur Wildkatze geworden ist. Diese<br />

Metamorphose erinnert an den »Wertiger« der Javanen<br />

und anderer indonesischer Völkerschaften.<br />

200


1<br />

Die Bevölkerung von Simalur kennt, wie alle indonesischen<br />

völkerschaften, viele Damonen, die sich an verschiedenen<br />

Platzen (im Wald, auf dem Meer, am Strand,<br />

an den Flüssen, im Urwald) aufhalten, und die den Menschen<br />

Schaden zufügen können. Deshalb muB man stets<br />

vor ihnen auf der Hut sein. Einer dieser Land-Damonen<br />

ist der soman-soman. Der Name bedeutet, wie die<br />

Sprachvergleichung zeigt, ursprünglich «Herr, Patron».<br />

Er dient auch als allgemeine Bezeichnung für Damonen.<br />

Die Reiskörner werden durch Stampfen von ihrer Schale<br />

befreit. Das Stampfen geschieht entweder mit der Hand<br />

mittels StöBeln in Reismörsern, die aus Holz bestehen<br />

und eine oder mehrere tiefe Muiden zur Aufnahme der<br />

Reiskörner enthalten, oder durch Stampfer mit FuBbetrieb.<br />

Bei diesen wird der StöBel mittels eines horizontal<br />

liegenden Balkens durch Hebelkraft in Bewegung<br />

gesetzt.<br />

Der Damon sprang hinunter, weil die Simalur-Hauser<br />

nach indonesischer Sitte etwa einen halben bis anderthalb<br />

Meter über der Erde auf Pfahlen stehen, um die<br />

Bodenfeuchtigkeit abzuhalten, ursprünglich wohl auch,<br />

um sich vor wilden Tieren und Feinden zu schützen.<br />

4<br />

Man verbrennt das Haus, weil der Damon ein Kind darin<br />

getötet hat. Feuer ist eines der Hauptabwehrmittel<br />

gegen Damonen.<br />

2<br />

3<br />

Der Mann,<br />

der seine Frau über alles liebte<br />

Vergleiche hierzu Bolte und Polivka, Nr. 16, »Die<br />

drei Schlangenblatter«, wo der Held seiner Braut<br />

geloben muB, sich mit ihr begraben zu lassen, falls<br />

sie vor ihm stirbt; das geschieht bald nach der Hochzeit.<br />

— In der annamitischen Erzahlung »La femme<br />

métamorphosée en moustique« gelobt der Ehemann,<br />

daB er bei der Leiche seiner Frau bleiben wird. —<br />

Eine entfernte Parallele bietet auf Java die Erzahlung<br />

»Die ungetreue Gattin«.<br />

1 WeiB ist die Farbe des Todes, der Erschienene ist also ein<br />

Toter beziehungsweise dessen Geist. Verstorbene kommen<br />

in Simalur-Erzahlungen haufiger vor, um eine Botschaft<br />

zu überbringen oder einen Rat in hoffnungslos erscheinender<br />

Lage zu übermitteln.<br />

2<br />

Das heiBt, weil sie nun beide tot waren.<br />

3<br />

Man hielt sie namlich für Geister, da die tote Frau nach<br />

ihrer Meinung den Mann zu sich geholt hatte.<br />

4<br />

Damonen werden durch Abwehrmittel ferngehalten.<br />

6<br />

Die sirabich tandjung-Vogel entsprechen in mancher Beziehung<br />

den Pontianak der Malaien, die man als Geister<br />

verstorbener Wöchnerinnen ansieht. Aus Rache verursachen<br />

sie den Tod anderer Wöchnerinnen. — Sirabich<br />

201


tandjung ist wiederzugeben mit ïSirabich aus Tandjung».<br />

Denn dieser Damon entspricht dem burong S(eu)rabi der<br />

Atjeher in Nord-Sumatra, dessen Grab sich im Dorf Tandjong<br />

nahe bei der Hauptstadt Kutaradja befindet. Sirabich<br />

geht zurück auf den weiblichen Eigennamen si Rabi.<br />

Si Rabi war angeblich die Tochter eines Religionslehrers<br />

aus Atjeh, die sich schlecht betrug und SchlieBlich mit<br />

ihrem Liebhaber in einem Boot floh. Unterwegs wurde<br />

sie jedoch von dem Mann erschlagen. Ihr Leichnam trieb<br />

bei einem anderen Dorf an, dessen Bewohner sie dann<br />

begruben. Inzwischen hatte sich die Unglückliche jedoch<br />

in einen burong verwandelt, der nicht ruhte. bevor der<br />

Mörder erschlagen war. Dann tötete sie schwangere<br />

Frauen und Wöchnerinnen in anderen Dörfern (siehe C.<br />

Snouck Hurgronje, The Achehnese. E. J. Brill, Leiden<br />

1906, Band 1, Seite 379).<br />

Erzahlung vondem<br />

Pa'e-Damon<br />

Pa'e bedeutet im Atjeh und im Gajo (Nord-Sumatra)<br />

»Gecko«, das sind Mauer-Eidechsen. Diese<br />

Nachttiere klettern mit Hilfe der an ihren Zehen<br />

befindlichen Saugvorrichtungen schnell und mühelos<br />

an senkrechten Wanden oder unter der Zimmerdecke.<br />

Vergleiche hierzu die malaiische Erzahlung<br />

von Pa' Pandir, wo dieser vor dem vermeintlichen<br />

Gecko fortlauft, dessen Ruf von seiner Frau nachgeahmt<br />

wird. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daB<br />

dieser Pa'e der Simalur-Erzahlung ursprünglich<br />

ebenfalls einen Gecko bezeichnet hat. — Parallelen<br />

dafür, daB eine Frau einen Sohn in Leguangestalt<br />

gebiert, flnden sich in den Batak-Erzahlungen (Nord-<br />

Sumatra) »Si Robar« und »Suhutan nan djomba<br />

ilik«. — Wesentlich ist, daB der Wunsch zur Wirklichkeit<br />

wird. Das hangt damit zusammen, daB man<br />

Wort und Benanntes gleichsetzt. Über die Empfangnis<br />

durch bloBen Wunsch siehe Hartland, »Primitive<br />

Paternity«, Band 1, Seite 27. — Ein im Archipel und<br />

anderswo weitverbreitetes Motiv ist, daB ein Tier,<br />

in diesem Fall ein Leguan, nach Ablegen seiner Haut<br />

zu einem Menschen wird. Mit dem Ablegen der tierischen<br />

Haut tritt, wie Adriani es formuliert hat, sein<br />

wahrer, menschlicher Kern zutage. In dieser Simalur-Erzahlung<br />

hat der Leguan-Mann, ebenso wie in<br />

den Toradja- und Minahassa-Erzahlungen auf Celebes,<br />

seherische Gabe. Aus seiner verbrannten tierischen<br />

Haut entstehen Gebrauchsgüter und Haustiere.<br />

Hülle und Mensch sind also besonders magischkraftig.<br />

Wegen des Verbrennens der Tierhülle siehe<br />

auch Benfey, »Pantschatantra«, Teil 1, Seite 261 ff.,<br />

202


und Erzahlung 8, Nachtrag zum ersten Buch, »Der<br />

verzauberte Brahmanensohn«.<br />

1<br />

Das heiBt vom Unterholz.<br />

2<br />

Die Hauser stehen auf Pfahlen.<br />

3<br />

Unter Gelander ist hier wahrscheinlich ein Rotantau zu<br />

verstenen, das an einer steilen Stelle gespannt ist, um<br />

das Klettern zu erleichtern.<br />

4<br />

Leguane sind amphibische Eidechsen mit langer, gekerbter<br />

Zunge (wie bei Schlangen). Der Körper ist mit dunklen<br />

Schuppen bedeckt, Hals und Schwanz sind sehr lang,<br />

und auf dem Rücken haben sie einen gut entwickelten<br />

Kamm. Sie halten sich mit Vorliebe an sumpfigen FluBlaufen,<br />

aber auch auf dem Lande auf.<br />

5<br />

Die bisher noch nicht erwahnten drei Schwestern setzt<br />

der Erzahler als bekannt voraus, da seine Zuhörer diese<br />

Geschichte wohl schon mehrfach gehort haben. Das<br />

gleiche gilt für die vierte Schwester.<br />

6<br />

Die Mutter spricht von der Frau als »Muhme« der Madchen.<br />

Damit soll wahrscheinlich angedeutet werden, daB<br />

sie zur Sippe der Madchen gehort.<br />

7<br />

Der Zorn der drei alteren Schwestern dürfte auch dadurch<br />

herv<strong>org</strong>erufen sein, daB die jüngste Schwester vor<br />

ihnen heiratet. Denn es ist in Indonesien allgemein Sitte,<br />

daB ein junges Madchen nicht vor ihren alteren Schwestern<br />

heiraten darf, auBer wenn diese auf Grund körperlicher<br />

oder geistiger Gebrechen nicht zu einer Ehe tauglich<br />

sind.<br />

8 Wegen der Zusammensetzung eines Betelbissens siehe<br />

>Das Madchen, das nicht heiraten wollte», Anmerkung 6.<br />

VERWANDLUNGS-<br />

UND ANDERE MARCHEN<br />

Ein Verstorbener wird ein Wildschwein<br />

1<br />

Wegen der Zeremonien anlaBlich eines Todesfalles siehe<br />

>Der Mann, der starb, weil seine Frau ihn kitzelte», Anmerkung<br />

7, und die Einleitung.<br />

2<br />

Es ist mir unbekannt, wo sich der Pamantjungan-Berg<br />

befindet. Auf Simalur gibt es keinen solchen Berg.<br />

3<br />

Zur Vertreibung von Damonen ruft man besonders kundige<br />

Manner herbei.<br />

4<br />

Indonesischer Sitte gemaB werden die Eltern nach ihrem<br />

erstgeborenen Kinde genannt, also: >Vater beziehungsweise<br />

Mutter des oder der N. N.< Dadurch will man zum<br />

Ausdruck bringen, daB man Kinder hat, und gleichzeitig<br />

will man vermeiden, daB man seinen eigenen Namen<br />

nennen muB. Denn der Eigenname gilt als fester Bestandteil<br />

der Person. Nennt man den Namen, so zitiert<br />

man die Person selbst. Das gilt vor allem bei der Ausübung<br />

des Schadzaubers.<br />

203


5<br />

Die magischen Figuren auf dem Grab sollen die Bewegungsfreiheit<br />

des Spukschweins behindern.<br />

Der Mann, der ein Specht wurde<br />

Vergleiche Antti Aarne, »Verzeichnis der Marchentypen«,<br />

Nr. 751 A, wo die geizige Bauerin in einen<br />

Schwarzspecht verwandelt wird. •— Das Augenschlie-<br />

Ben, um einen Zauber wirksam zu machen, kommt<br />

haufiger vor, so auch in Nordamerika und in China.<br />

1<br />

Hunde sind unreine, daher verachtete Tiere. Der Erzahler<br />

will damit sagen, daB sich der Bootsbauer verachtlicher<br />

als ein Hund vorkommt.<br />

2<br />

Die Ahnen, genauer gesagt, die Seelen der Ahnen, betrachtet<br />

man nicht nur als Hüter des persönlichen Geschicks,<br />

sondern auch als Hüter des Landes.<br />

Ein Menschen kopf wird zur Kokospalme<br />

Diese Erzahlung dürfte aus Atjeh (Nord-Sumatra)<br />

entlehnt sein. Die Gleichsetzung einer KokosnuB mit<br />

einem menschlichen Kopf auBert sich auch anderswo<br />

im Archipel, wo man namlich an Stelle von Menschen<br />

bei gewissen rituellen Zeremonien Kokosnüsse<br />

opferte, wie beispielsweise auf der Insel Wetar<br />

(nördlich von Timor) für den Sonnengott Upu Lero.<br />

Sehr oft ist im indonesischen Archipel die KokosnuB<br />

ein Stellvertreter für ein Menschenopfer früherer<br />

Zeiten.<br />

1 Rahim und Rachman sind ursprünglich arabische Eigennamen,<br />

sie bedeuten beide >barmherzig«. Die Bevölkerung<br />

von Simalur kennt, ebenso wie die übrigen indonesischen<br />

Völkerschaften, keine Geschlechts- oder Familiennamen.<br />

Ursprünglich wurden Personen nach markanten,<br />

konkreten Merkmalen oder nach konkreten Dingen<br />

benannt, beispielsweise »der Bucklige», »der Dicke»,<br />

>die Jasmin». Erst nach der Islamisierung führte man<br />

arabische Namen ein. Am beliebtesten sind unter anderen<br />

die der Kalifen Omar, Osman, Ali, und für Frauen<br />

Fatimah.<br />

2<br />

WeiB ist die Farbe des Todes.<br />

Die Prinzessin,<br />

die ein Durian-Baum wurde<br />

Traume, die als ein Teil der Wirklichkeit angesehen<br />

werden, flnden sich passim bei Tawney und Penzer.<br />

Man glaubt namlich, daB sich die Seele des Schlafenden<br />

aus dem Körper entfernt und tatsachlich die<br />

Platze besucht, die Personen sieht und die Taten<br />

vollführt, von denen die Person traumt.<br />

204


1<br />

Wegen des Durian-Baumes (Durio Zibethinus Linn.) siehe<br />

«Der Herr und sein Skiave Lafoebu'», Anmerkung 1.<br />

2<br />

Wörtlich: «o, Majestat». — Ein Fürst (radjo) steht und<br />

stand auf Simalur nicht in dem hohen Ansehen wie bei<br />

den Javanen, sondern er war ein Potentat mit beschrankten<br />

Vorrechten, dessen Macht kaum über seinen Bezirk<br />

hinausgereicht haben dürfte. Wenn hier und anderswo<br />

der Ausdruck »Fürst« gebraucht wird, so entspricht er<br />

etwa dem «Herr König» in unseren Marchen.<br />

3 Vor entscheidenden Schriften oder in der Verzweiflung<br />

wiederholt sich oft der zur stereotypen Wendung gewordene<br />

Ausdruck: «Wenn ich Nachkomme meiner Ahnen<br />

bin, dann . . .«<br />

1<br />

Der Freitag ist ein besonders günstiger Tag, da an ihm<br />

das Freitagsgebet in der Moschee abgehalten werden<br />

muö.<br />

5<br />

Wegen des Leichenschmauses siehe Einleitung.<br />

" Malaiisches durian ist im Simalur turian.<br />

Zwei Geschwister werden zu Steinen<br />

In dieser Erzahlung kommt die magische Kraft des<br />

Fisehes zum Ausdruck, mit dem der Bruder die<br />

Scham seiner Schwester versehentlich trifft. Die<br />

Folge ist, daB ein Donnerstein Bruder und Schwester<br />

in Steine verwandelt. Offenbar ersetzt die Berührung<br />

mit dem Fisch den tatsachlichen blutschanderischen<br />

Umgang. Vergleiche Erzahlungen aus den<br />

Batak-Landen in Nord-Sumatra, wo blutschanderische<br />

Geschwister zu Steinen werden.<br />

» Wörtlich: «Als die Sonne bereits hoch stand.»<br />

2<br />

lebo'-lebo' ist eine FluBfïschart.<br />

3<br />

In alter Zeit, als die Kinder noch bis zum Alter von<br />

etwa neun bis zehn Jahren völlig nackt umherliefen,<br />

bedeclcte man die Scham kleiner Madchen mit einem<br />

Plattenen, das aus Silber angefertigt war. Es wurde mittels<br />

einer langen, dünnen Kette um die Hüften befestigt.<br />

Heutzutage tragen die Kinder meistens frauenrock-Shnliche<br />

farbige Tücher (Sarong) um den Unterkörper, die<br />

bis auf die FüBe reichen.<br />

Eine Mutter verflucht ihren Sohn<br />

Parallelen für das versteinerte Schiff finden sich in<br />

West-Borneo und in der Tontemboan-Erzahlung<br />

(Celebes) «Verhaal betreffende de Verdeeling«. Vergleiche<br />

auch die malaiische »Tjeritera si Kantan«.<br />

1<br />

Das heiBt nach Sumatra.<br />

2<br />

Siehe «Das Madchen, das nicht heiraten wollte», Anmerkung<br />

6.<br />

205


3<br />

4<br />

Wörtlich: «lm Rücken des Landes.» Für «Ostent sagt man<br />

auch «Aufgehensort der Sonne», für «Westen» «Untergehensort<br />

der Sonne».<br />

Dem Fluch der Eltern schreibt man ganz besondere Kraft<br />

zu.<br />

Das Krokodilsei,<br />

aus dem ein Mensch entstand<br />

l Krokodile legen ihre Eier niemals auf den FluB- oder<br />

Meeresgrund, sondern stets in einer untiefen Grube am<br />

Strand. Die Weibchen bedecken die zwanzig bis hundert<br />

Eier, die oval sind und die GröBe von Ganse-Eiern haben,<br />

mit Pflanzenresten. Sie werden von der sie umgebenden<br />

Warme ausgebrütet. — Dem Erzahler ist sicherlich bekannt<br />

gewesen, wo die Krokodile ihre Eier zu legen pflegen.<br />

Es scheint mir daher, daB er diese falsche Darstellung<br />

gab, um die Motive der Erzahlung unterbringen zu<br />

können.<br />

Polambana und die Affen<br />

Es handelt sich um eine Variante des weitverbreiteten<br />

Schwanenjungfrau-Motivs. Auch hier wird das<br />

TierauBere (im Bade) abgelegt, da man sich vorstellt,<br />

daB der vollstandige Mensch im Innern der Gestalt<br />

sitzt. Vergleiche hierzu die «Hikajat Banta Ahmat«<br />

aus Atjeh, wo der Held einen Papagei fangt, der<br />

seinen Reis auffriBt. Der Vogel verwandelt sich<br />

dann in eine Prinzessin. Siehe ferner die Batak-<br />

Erzahlung (Nord-Sumatra) «Porhail na tigor« (Motiv<br />

der Frau, die unbemerkt für den Helden kocht).<br />

Das Schwanenjungfrau-Motiv ist indischen Ursprungs,<br />

da die Ansatze dazu im frühen Sanskritschrifttum<br />

zu flnden sind (siehe Tawney und Penzer,<br />

Band 8, Anhang 1, Seite 213 bis 234). — Parallelen<br />

für die Erlösung des Tiermenschen durch Verbrennen<br />

der Haut beziehungsweise der Federn oder durch<br />

einfaches Ablegen der Tierhaut finden sich auch bei<br />

den Toradjas und in der Minahassa auf Celebes, ferner<br />

bei den Indianern in Nord- und Süd-Amerika,<br />

auf den Philippinen, auf den Mentawai-Inseln an der<br />

Westküste von Sumatra, auf der Insel Madagaskar,<br />

auf den Banks-Inseln in Melanesien, in China, wo<br />

es in alterer Form als Astralmarchen vorkommt, und<br />

im Deutschen (siehe Bolte und Polivka, Nr. 193: »Der<br />

Trommler«). — Eine Parallele für das Vergiftungs-<br />

Motiv findet sich bei Aarne, »Verzeichnis der Marchentypen«,<br />

Nr. 1380, »Die treulose Gattin«, wo die<br />

Frau ihren Mann dadurch blind machen will, daB<br />

206


sie ihm Milchbrei zu essen gibt. Es handelt sich um<br />

ein indisches Motiv.<br />

1<br />

Die Reiskörner werden zunachst auf Saatbeeten ausgesat<br />

(siehe >Der Arme, der Pflüge verbarg», Anmerkung 1).<br />

2<br />

Die sawalil-lantja-Fische sind klein und leben auf den<br />

künstlich bewasserten Reisfeldern.<br />

3<br />

Wegen der Pinangpalme (Areca Catechu L.) siehe >Das<br />

Madchen, das nicht heiraten wollte», Anmerkung 6.<br />

4<br />

Vergleiche auch >Erzahlung von dem Pa'e-Damon» auf<br />

Seite 61.<br />

5<br />

Am Oberlauf der Flüsse befinden sich keine menschlichen<br />

Niederlassungen, so daB sich dort Gelegenheit bietet,<br />

Acker anzulegen.<br />

8<br />

Auf Simalur gibt es keine Affen (mehr?). — Der Brüllaffe,<br />

der hier als Anführer auftritt, ist wahrscheinlich<br />

identisch mit dem Gibbon (Hylobates Syndactylus Desm.).<br />

Die Gibbons kommen in Gruppen in den Bergen von<br />

Sumatra vor. Der Ruf dieser schwarzen Affen ist sehr<br />

weit hörbar; denn er wird durch einen groBen Kehlsack<br />

verstarkt, der betrachtlich aufgeblasen werden kann.<br />

7 wegen Klebreis siehe >Der unentschlossene Mann», Anmerkung<br />

l.<br />

8<br />

Tote werden vor der Bestattung gewaschen (siehe Einleltung).<br />

Die Kuh mit den drei Töchtern<br />

Der Wunderbaum aus Tierknochen, in dem sich das<br />

helfende Tier in einer neuen Form zeigt, ist ein weitverbreitetes<br />

Motiv. Parallelen linden sich in der Tontemboan-Erzahlung<br />

(Celebes) »Het Stiefkind en de<br />

Koe«, in Annam »Con Tam et Con Cam«, wo ein<br />

Fisch vergraben wird und Kleider spendet, in Indien,<br />

in Süd-China, in Arabien und bei uns: «Einauglein,<br />

Zweiauglein und Dreiauglein« (siehe Bolte und Polivka,<br />

Nr. 130).<br />

Der Mann, der dauernd angelte<br />

Sie dürfte, nach dem SchluC zu urteilen, aus Atjeh<br />

(Nord-Sumatra) stammen. Wegen des Riesenfisches<br />

vergleiche Aarne, «Verzeichnis der Marehentypen«,<br />

Nr. 1960 B.<br />

1<br />

Gelegentlich fischt man nachts am Meer mit Fackeln.<br />

2<br />

alabol larodon ist eine mir nicht bekannte Fischart.<br />

3<br />

Die Hauser auf Simalur, die weit voneinander entfernt<br />

inmitten von Pflanzungen liegen, haben haufig einen<br />

Garten vor dem Haus, in dem unter anderem Obstbaume<br />

waehsen.<br />

4<br />

Siehe >Der Sohn eines Reichen und Fürst Aman», Anmermerkung<br />

2.<br />

6<br />

Das heiBt soviel Reisbrei, wie man mit den zusammengelegten<br />

Fingerspitzen der Hand fassen kann.<br />

207


» tauhao ist eine Baumart (Shorea Barbata Brandis) aus<br />

der Familie der Dipterocarpaceen. Diese Baume werden<br />

bis zu sechzig Meter noch; ihr Holz wird für den Bau<br />

von Hausern verwendet.<br />

7<br />

Wörtlich: >In unser Maul stecken sie SüBigkeiten, und an<br />

unserem Schwanz befestigen sie Rotandornent, das heiBt<br />

erst ködert man uns, um uns dann aufzuspLeBen.<br />

8 Die Frau ist dadurch gewarnt und über die Absicht des<br />

Fisches unterrichtet, daB der Fürst zuerst dem Fisch den<br />

Befehl und dessen Bedeutung mitteilt. Auf diese Weise<br />

gibt er der Frau zu verstehen: »Wenn der Fisch dich<br />

fressen will, dann spring an LandU Infolgedessen konnte<br />

sich die Frau beim Nennen des Stichwortes durch einen<br />

Sprung in Sicherheit bringen.<br />

0 Die Atjeher wohnen in Nord-Sumatra. Der SchluBsatz<br />

zeigt, daB die Erzahlung höchstwahrscheinlich von dort<br />

entlehnt ist. Sie bewerten das Krokodil höher als den<br />

Tiger. Das hangt wohl ursprünglich mit totemistischen<br />

Anschauungen zusammen (vergleiche >Die Lambore' auf<br />

der Insel Simalurc, Anmerkung 6, und >Palantjar


Seite 411 bis 413, »Doktor Allwissend«, die indischen<br />

Ursprungs sein soll.<br />

1<br />

Man sat den Reis nicht auf die nassen Reisfelder, sondern<br />

erst auf Zuchtheete, wo man Setzlinge heranzieht.<br />

Diese Setzlinge (bibit) werden nach etwa vierzig Tagen<br />

auf die nassen Reisfelder verpflanzt. Dabei finden zahlreiche<br />

symbolische Handlungen statt, weil man sich den<br />

Reis als beseelt vorstellt (siehe Einleitung).<br />

- Die indonesischen Pflüge sind leicht und daher von einem<br />

Mann tragbar. Der Pflug besteht aus dem vertikal stellenden<br />

langen Griff, an dessen unterem Ende die Pflugschar<br />

befestigt ist, die durch eine Holzscheide geschützt<br />

wird. Durch die untere Halfte dieses Holzgriffes verlauft<br />

ein langer Pfahl in horizontaler Richtung, an dessen vorderem<br />

Ende das Joch für den Zugbüffel angebracht ist.<br />

3<br />

Der Almanach ist ein Buch mit allerlei Figuren und Tabellen,<br />

die zur Berechnung günstiger und ungünstiger<br />

Tage sowie zu Prophezeiungen dienen.<br />

Palantjar<br />

1<br />

Zuckerrohr = Saccharum Officinarum L. Die senkrecht<br />

stehenden Stengel, die in regelmaCigen AbstSnden Knoten<br />

haben, werden in ausgewachsenem Zustand bis zu<br />

fünf Meter hoch. Sie sind massiv. Das Rohr (der Stengel)<br />

wird von der indonesischen Bevölkerung mit primitiven<br />

Pressen ausgepreBt. Dann wird der so gewonnene<br />

Saft in eisernen Pfannen gedampft, bis eine sirupahnliche<br />

Masse übrigbleibt. Zuckerrohr wird durch Stecklinge<br />

verpflanzt. Es wird überall in Indonesien angebaut,<br />

kommt jedoch auf Simalur nur sehr selten vor.<br />

Sehr oft kaut man auch kleine Stücke Zuckerrohr, um<br />

sich an dem Saft zu erfrischen.<br />

2<br />

Krokodile werden auch anderswo im Archipel mit »GroBvater»<br />

bezeichnet (so zum Beispiel bei den Batak auf<br />

Sumatra und auf der Insel Enggano an der Westküste<br />

von Sumatra). Es geschieht dort, wo totemistische Anschauungen<br />

herrschen, da man das Krokodil als Stammvater<br />

ansieht.<br />

s Wörtlich: >Wenn du bereits auf der Schulter bist, willst<br />

du auf den Schaitel gehen.«<br />

Der Herr und sein Skiave Lafoebu'<br />

1<br />

Der Durian-Baum (in der Simalur-Sprache turian), Durio<br />

Zibethinus Linn., ist sehr hoch und im Archipel weit verbreitet.<br />

Er tragt seinen Namen nach den groBen, stachligen<br />

Früchten (malaiisch duri = Stachel, Dorn), die weiches,<br />

rahmfarbiges Fruchtfleisch enthalten. Es verbreitet<br />

einen Geruch, der an Knoblauch erinnert. Die Indonesiër<br />

und viele dort ansassige Europaer betrachten diese<br />

Früchte als Leckerbissen.<br />

2<br />

Das heiBt: du verdrehst mir das Wort im Munde.<br />

14<br />

209


Das heiBt: vom Unterholz.<br />

4<br />

Boote fertigte man früher aus einem Baumstamm, und<br />

zwar aus einem Stück an. Ein geeigneter Baum wurde<br />

lm Walde gefallt, mit DeiBel und Haumesser ausgehöhlt,<br />

zum Teil auch ausgebrannt. Dann zündete man unter<br />

der Höhlung ein Feuer an, das das hineingegossene Wasser<br />

zum Koenen brachte und so die öffnung vergröBerte.<br />

Um ein Zusammenziehen der beiden AuBenplanken zu<br />

verhindern, preBte man nach geraumer Zeit starke Holzlatten<br />

in die öffnung und lieB das Boot dann allmahlich<br />

trocknen. Nach Fertigstellung wurde es mit Hilfe anderer<br />

Dorfleute an den Strand gezogen. Wenn es sich um<br />

gröBere Boote handelte, verwendete man wohl auch<br />

Holzrollen für diesen Transport.<br />

5 Früher, heute nur noch selten, wurden die Büffel von<br />

ihren Besitzern durch besondere Zeichen markiert. Meistens<br />

schnitt man ihnen ein kleines Stück vom Ohr ab<br />

oder schnitt eine Kerbe hinein.<br />

8<br />

Das heiBt ein Stück vom Ohr (siehe Anmerkung 5).<br />

Der Fürst und sein Neffe<br />

Für das Motiv des Armen, der von dem Bratengeruch<br />

in des reichen Mannes Küche dick wird, kommen folgende<br />

Parallelen vor: in der malaiischen Erzahlung<br />

vom Zwerghirsch, wo dieser vom Essensduft satt geworden<br />

ist und als Bezahlung dafür den Klang von<br />

Silbergeldstücken gibt; bei den Laos und bei den Javanern.<br />

Entfernte Parallelen finden sich bei Bolte<br />

und Polivka, Nr. 146, »Die Rübe«. Indische Varianten<br />

des Grundmotivs sind weit verbreitet, siehe<br />

Tawney und Penzer, »The Ocean of Story«, Band 5,<br />

Nr. 134, Seite 132, «Story of the Fooi who gave a<br />

verbal Reward to the Musician« (ein reicher Mann<br />

gibt für ein leichtvergangliches Vergnügen für die<br />

Ohren, das ihm ein Musikant durch sein Spiel bereitete,<br />

ein leichtvergangliches Vergnügen zurück,<br />

indem er ihm Geld als Belohnung verspricht, aber<br />

nicht gibt); und Johannes Hertel, «Katharatnakara,<br />

Das Marchenmeer«, Band 1, Erzahlung 93, »Der Hirt<br />

Dhusara oder ein Schelmenstreich«, wo einem Schauspieldirektor<br />

der Lohn verweigert wird mit den Worten:<br />

»Du hast meinen Augen eine Freude bereitet,<br />

trefflicher Mime, und ich deinen Ohren : wir sind<br />

quitt!« Das haufige Vorkommen dieses Motivs in<br />

indischen Erzahlungen. sowie dessen strahlenförmige<br />

Verbreitung laBt ziemlich sicher auf Indien als Ausgangspunkt<br />

schlieBen.<br />

1<br />

210<br />

Kleine Reiskörner oder Bruchreis iBt man nach guten<br />

Ernten im allgemeinen nicht, sondern man füttert damit<br />

die Hühner.


2<br />

Er nennt den Fürsten JVatert, weil er, wie sich am SchluB<br />

herausstellt, Palantjars Oheim ist. Beim Tode des Vaters<br />

übernimmt der Oheim von Vatersseite beim Fatriarchat<br />

die Rechte und Pflichten des Verstorbenen.<br />

3<br />

karuing (Dipterocarpus Tampurau Korth.) ist ein Baum,<br />

der bis zu lünfzig Meter hoch wird, und dessen Holz man<br />

für den Hausbau verwendet.<br />

* bolawa (Baccaurea Racemosa Müll. arg.) ist ein Baum<br />

aus der Familie der Euphorbiaceae, der gutes Bauholz<br />

liefert. Er wird nicht sehr hoch.<br />

5<br />

Wörtlich: »Für einen kupang» (siehe »Die Herkunft der<br />

Bewohner von Sichule und Salang*, Anmerkung 3).<br />

Der Lachwettbewerb<br />

1 Wegen der Pinang- oder Arekanüsse siehe »Das Madchen,<br />

das nicht heiraten wollte», Anmerkung 6.<br />

2<br />

Beim Erklettern von Kokospalmen bedient man sich<br />

einer FuBschlinge. Aus Baumbast fertigt man einen Ring<br />

an, den man in der Mitte einmal übereinanderschlagt, so<br />

daB zwei steigbügelartige Öffnungen entstehen. Die so<br />

vorbereitete Schlinge legt man auf den meistens etwas<br />

schrag gewachsenen Palmenstamm, tritt mit beiden Fü-<br />

Ben in die beiden öffnungen, wobei die FuBsohlen an<br />

den AuBenseiten des Stammes angelegt sind, und umfaBt<br />

den Stamm mit beiden Handen. Dann zieht man sich<br />

durch Aufstemmen der FuBschlinge am Stamm hoch.<br />

Der Arme als Richter<br />

Hier wird die Unmöglichkeit einer Behauptung in<br />

Parabelform ad absurdum geführt. Parallelen hierfür<br />

flnden sich in der malaiischen Erzahlung vom<br />

Zwerghirsch, in der Lampong-Erzahlung »Sang Haruk<br />

rik Ratu Pudontja« (Süd-Sumatra), in der Tontemboan-Version<br />

«Verhaal van den Bedrieger (Towo)«<br />

(Celebes), die vermutlich aus dem Malaiischen<br />

entlehnt ist, im tibetischen Kandjur, im Jataka Nr.<br />

546 und im Tatarischen. Wegen des Motivs, die Unmöglichkeit<br />

einer Sache zu zeigen, indem man die<br />

Unmöglichkeit einer anderen Sache demonstriert,<br />

siehe Tawney und Penzer, Band 3, Seite 250 bis 251,<br />

»Note on the Impossibilities Motif«, und ebenda,<br />

Band 5, Seite 64 bis 66.<br />

Der unentschlossene Mann<br />

Es handelt sich um eine Episode aus der malaiischen<br />

«Tjeritera Djenaka«. Siehe ferner die malaiische<br />

«Erzahlung von Pa' Ka'dok und vom Lebai Malang«.<br />

1<br />

Klebreis ist eine besondere Reissorte (Oryza Glutinosa<br />

Lour.). Die Körner kleben beim Koehen aneinander und<br />

bilden eine breiige Masse, wahrend andere Reissorten<br />

14* 2ii


eim Koenen körnig bleiben. Klebreis gilt als Leckerbissen.<br />

Der Sohn des Wohlhabenden<br />

und der Arme<br />

Das für Indonesien sehr seltene Motiv. durch Erbrechen<br />

des Mageninhalts den rechtmaBigen Gatten<br />

festzustellen, das sich auch in der Erzahlung »Der<br />

eifersüchtige Fürst« flndet, dürfte indischen Ursprungs<br />

sein. Vergleiche J. Dutoit, »Das Buch der<br />

Erzahlungen aus früheren Existenzen Buddhas«,<br />

Band 6, Nr. 546, »Die groBe Erzahlung von dem<br />

Kanak Und Seite 398 bis 400, "Das Rind«, wo<br />

ein Ochse durch in Wasser zerriebene. zerstoBene<br />

Piyanggu-Blatter zum Erbrechen gereizt wird, um<br />

auf Grund des erbrochenen Mageninhalts den Eigentümer<br />

festzustellen.<br />

1<br />

ErgSnze: ïnamlich indem du dein Pferd hingibst, um an<br />

seinerstatt deine Beine zu gebrauchen*.<br />

2<br />

Blatter der Colocasia dienen als Zukost, das heiBt als<br />

Gemüse. Es handelt sich um die Colocasia Antiquorum<br />

Schott., die wegen ihrer eBbaren Knollen angebaut wird.<br />

Die Knollen werden gekocht gegessen.<br />

VOLKSERZAHLUNGEN<br />

Die Prinzessin, die einen vom Himmel<br />

Herabgestiegenen heiraten wollte<br />

Vergleiche die malaiische Erzahlung von Pa' Pandir.<br />

in der dieser durch von ihm gefangene Vögel nach<br />

dem Palast des Shah Malim getragen wird, sich als<br />

Geisterfürst ausgibt und die Prinzessin Dans Lela<br />

heiratet. Siehe ferner die annamitische Erzahlung<br />

»La fille qui veut épouser un roi«, und bei Bolto und<br />

Polivka, Nr. 139, Seite 127: »Dat Maken von Brakel«.<br />

1<br />

Die Insel Nias liegt südöstlich von Simalur.<br />

2<br />

Das Durchbohren der Ohrlappehen kommt auch anderswo<br />

im Archipel haufig vor. Auf der Insel Simalur wurden<br />

den Madchen die Ohrlappehen durchbohrt, wenn sie<br />

zwei bis drei Jahre alt waren. Die mit Blattdornen<br />

gestochenen Löcher wurden durch spiralenförmig zusammengerollte<br />

Blatter erweitert, die sich in der öffnung<br />

ausdehnten. In diese Löcher wurden spater bei festlichen<br />

Veranstaltungen Blumen oder Schmuck gesteckt. Die<br />

Löcher in den Ohrlappehen erreichten bisweilen eine sehr<br />

betrachtliehe GröBe, so daB deren unterer Rand bisweilen<br />

rifi. Diese Sitte schwindet auf Simalur immer mehr.<br />

3<br />

In mohammedanischen Landern erfolgt dieTrauung durch<br />

Moscheebeamte. Die Ehe wird mittels eines Heiratsver-<br />

212


trages geschlossen, durch den die Frau aus der Vormundschaft<br />

ihres Vaters oder ihres gesetzlichen Vormundes in<br />

die ihres Mannes übergeht. Partner dieses Ehevertrages<br />

sind der Brautigam und der Vormund der Braut. In ihm<br />

sprechen beide Teile ihren Willen zur Ehe aus; auBerdem<br />

verpflichtet sich der Brautigam, der Braut einen gewissen<br />

Betrag als Brautgabe zu entrichten, seine Frau mit allem<br />

Nötigen zu vers<strong>org</strong>en, und, falls er andere Frauen dazu<br />

heiratet, keiner von ihnen mehr Zeit als jeder anderen<br />

zu widmen. (Der freie Muslim darf nicht mehr als vier<br />

Frauen gleichzeitig haben.) Beim AbschluB des Vertrages<br />

müssen mindestens zwei Zeugen zugegen sein, die<br />

den vom mohammedanischen Gesetz gestellten Anforderungen<br />

in Glauben und Moral entsprechen. Da meistens<br />

nur der Moscheevorsteher und sein Personal diesen<br />

Anforderungen genügen, treten diese als Heiratsbeamte,<br />

als Zeugen oder als bevollmachtigter Vormund<br />

auf. Die lAnnatraiec des Brautigams muB dem >Angebot«<br />

des Vormundes der Braut sofort folgen. JAngebot»<br />

und >Annahme< erfolgen nach festgesetztem Wortlaut, da<br />

der Vertrag bei Vernachlassigung einer dieser Vorschriften<br />

ungültig ist. Ausdrückliche Zustimmung der Braut<br />

zum Heiratsvertrag ist nur dann erforderlich, wenn sie<br />

keine Jungfrau mehr ist. Das Angebot erfolgt etwa mit<br />

den Worten: >leh verheirate dich mit N. N., der Tochter<br />

von N. N., von dem ich ermachtigt bin, es zu tun, unter<br />

Zahlung von soundsoviel Brautgeld.» Die Annahme des<br />

Brautigams, die sofort erfolgt, lautet etwa: >Ich nehme<br />

ihre Hand an.» Dann rezitiert der Moscheevorsteher die<br />

erste Sure des Qur'ans, und SchlieBlich wird ein Gebet<br />

gesprochen, das bei Hochzeiten allgemein üblich ist. Der<br />

AbschluB des Ehevertrages erfolgt auf der Veranda des<br />

Hauses der Brauteltern. In ihm wird stets die Höhe des<br />

Brautpreises genannt. Denn in Indonesien ist es allgemein<br />

üblich, daB der Mann den Eltern seiner Braut einen<br />

Geldbetrag und Geschenke zahlen muB, die gewissermaBen<br />

als Entschadigung dafür anzusehen sind, daB den<br />

Eltern des Madchens oder ihrer Sippe deren Arbeitskraft<br />

verloren geht. Deshalb ist das Wort für >BrauU in mandiën<br />

indonesischen Sprachen gleichbedeutend mit »die<br />

Gekauftec<br />

' Jeder indoncsische Dorfbewohner besitzt ein Haumesser.<br />

Es hat einen kurzen Griff und eine lange, einseitig geschliffene<br />

Eisen- oder Stahlklinge. Man schliigt sich damit<br />

nicht nur Wege im Urwald oder verwendet es bei<br />

der Feldarbeit, sondem es dient auch zum Schlachten,<br />

ferner zum Herauslösen von Domen aus der FuBsohle<br />

usw. Es ist ein Universal-Instrument.<br />

•' Gewöhnlich steekt das Haumesser in einer Holzscheide,<br />

nur sehr selten in einer Scheide, die aus starken Blattern<br />

zusammengenaht ist.<br />

• Der Niasser beherrscht die Simalur-Sprache noch nicht.<br />

< Schimpfworte und Flüche sind im allgemeinen sehr grob,<br />

zum Beispiel >du bist der Nachkomme eines Affen, eines<br />

is 213


8<br />

Schweines»; >möge dich der Donner rühren!*; >mögest du<br />

wie eine abbröckelnde Uferwand werden!» — Die Frau<br />

bezeichnet den Niasser hier als »Schweinesohn«, weil bei<br />

den Völkerschaften von Sumatra die Legende besteht,<br />

daB die Bevölkerung der Insel Nias aus der Vereinigung<br />

eines Mannes mit einem Schwein herv<strong>org</strong>egangen sei.<br />

Die Bewohner von Nias sind im allgemeinen auf Sumatra<br />

nicht sehr angesehen.<br />

Das heiBt: wer allzu wahlerisch ist, greift doch nach dem<br />

Schlechten.<br />

Das Madchen, das nicht heiraten<br />

wollte<br />

1<br />

Diese Erzahlung ist von den Atjehern in Nord-Sumatra<br />

entlehnt. — Auf Simalur kannte man keine Sklaven,<br />

wohl aber in Atjeh. Diese Sklaven wurden als nützliche<br />

Arbeitskrafte gut behandelt.<br />

2<br />

Das Anlegen einer Pflanzung geschieht folgendermaBen:<br />

Nachdem man ein geeignetes Stück Land ausgesucht hat,<br />

ruft man die Geister an, damit sie der geplanten Unternehmung<br />

günstig gesinnt sind. Zunachst fallt man die<br />

groBen Baume, die man je nach Umfang bis zu zwei und<br />

mehr Meter über der Erde umschlagt. Dabei steht man<br />

auf einem primitiven Holzgerüst. Dann entfernen Frauen<br />

und Kinder das Unterholz. Die gefallten Stamme und<br />

das Unterholz werden dann verbrannt, die Asche bleibt<br />

als Düngemittel liegen. Alsdann bearbeitet man den Boden<br />

mit Hacken, bis die erste Saat ausgesat werden kann.<br />

Die Baumstümpfe laBt man dazwischen stehen, denn sie<br />

verfauien im Laufe der Zeit. An besonders groBe Baumstümpfe<br />

und Wurzeln legt man Feuer, so daB sie teilweise<br />

verkohlen. Zur Beruhigung der Walddamonen halt<br />

man noch ein Opfermahl ab.<br />

3<br />

Das heiBt: ich behandle alle Leute gleich.<br />

4<br />

Das heiBt dem Vater des Jünglings.<br />

5<br />

Aus Bescheidenheit werden die Worte als belanglos hingestellt,<br />

obwohl das Gegenteil gemeint ist (siehe auch<br />

Anmerkung 11). Die bei einem Heiratsantrag zu sprechenden<br />

Worte sind von der Adat, das heiBt von dem<br />

seit Jahrhunderten geübten Brauch, genau festgelegl.<br />

Man bedient sich dabei mit Vorliebe blumenreicher Wendungen<br />

und Umschreibungen. Deshalb beauftragt man<br />

meistens berufsmaBige Heiratsvermittler mit dieser Aufgabe.<br />

6<br />

Das Betelkauen ist vor allem in West-Indonesien sehr<br />

beliebt und weit verbreitet. Zu einem Betelbissen gehören:<br />

ein Blatt der Betelpflanze (diese ist eine Schlingpflanze<br />

aus der Familie Piperaceae, vor allem Piper Betle<br />

L. = Chavica Betle Miq.), ein wenig Gambir (das ist eine<br />

Schlingpflanze aus der Familie Rubiaceae, namlich Uncaria<br />

Gambir Roxb. Ihre Blatter werden ausgekocht, so<br />

daB man einen gerbstoffhaltigen Extrakt, Gambir, erhalt),<br />

ein Stückchen PinangnuB = ArekanuB (das ist<br />

214


eine Palraenart: Areca Catechu L.), Kalk und Tabak. Das<br />

mit Kalk bestrichene Blatt der Betelpflanze wird um ein<br />

Stück PinangnuB und Gambir gefaltet. Dann steekt man<br />

alles zusammen mit einem Tabakpriem in den Mund.<br />

Nach einiger Zeit ist der Speichel blutrot gefarbt. Wenn<br />

ein Madchen einem Jüngling einen Betelbissen anbietet,<br />

so gilt das als Zeichen der Zuneigung.<br />

7<br />

Wenn jemand einen Besuch macht, so meldet er sich<br />

entweder diskret durch Kauspern an, oder dadurch, daB<br />

er die Fingernagel gegen die Türpfosten schnellt. Er<br />

wartet solange auf der Veranda des Hauses oder bei der<br />

Treppe, bis der Hausbesitzer erscheint.<br />

8<br />

Das heiBt die Frau seines Auftraggebers, also die Mutter<br />

des Jünglings. Durch diese Umschreibung vermeidet<br />

man, den Namen der Frau zu nennen. Gleichzeitig wird<br />

damit wahrscheinlich angedeutet, dafi sie zur Sippe des<br />

Heiratsvermittlers gehort.<br />

* Wörtlich: >Ganz allein kann ich es nicht schlucken, sonst<br />

bekomme ich nachher, wenn ich es esse, den Schluckauf.«<br />

1 0<br />

Wörtlich: >Ich lasse die Treppe nicht fallen.c — In das auf<br />

Pfahlen stehende Haus führt eine heute nach europaischem<br />

Vorbild gebaute kleine Holztreppe ohne Gelander.<br />

Bei einfachen Hütten dient bisweilen auch nur ein mit<br />

regelmaBigen Kerben versehener, schrag nach oben gelehnter<br />

Baumstamm als Treppe. In alter Zeit dürfte man<br />

diese beim Nahen von Feinden hochgezogen haben.<br />

1 1<br />

Die besonders gut hergerichteten Speisen werden aus<br />

Bescheidenheit als armiich und geringfügig bezeichnet<br />

(siehe Anmerkung 5).<br />

1 2<br />

Die zukünftige Braut muB sich dem Heiratsvermittler<br />

beim Abschied kurz zeigen.<br />

1 3<br />

Vor der Ankunft der Europaer im Archipel kannte man<br />

nur ungefahre Zeitangaben, die durch den Sonnenstand<br />

oder durch andere konkrete Bilder gemacht wurden.<br />

Derartige Angaben sind: «derweil wir die Zeit abwarten,<br />

die (nötig ware, damit) ein Kücken aus dem Ei schlüpft»;<br />

>es dauert nicht einen Betelbissen lang« (das heiBt etwa<br />

eine halbe Stunde); >die Sonne steht bereits hoch (oder<br />

niedrig)».<br />

M Das heiBt die Sklaven ihres Vaters. — Die indonesischen<br />

Sprachen besitzen besondere Wörter für >jüngere« und<br />

für »altere« Geschwister.<br />

'5 mahao ist ein Baum, dessen Blatter getrocknet werden<br />

und dann als Dachbedeckung dienen.<br />

19 Da den Mohammedanern der GenuB von Schweinefleisch<br />

verboten ist, bedeuten diese Worte, daB sie niemals heiraten<br />

wird.<br />

Die Frau, die Ehebruch beging<br />

i Witwen werden gern als solche Boten verwendet.<br />

* Sie wollen sich dort vor wilden Tieren und vor Mücken<br />

schützen.<br />

215


3<br />

5<br />

Es handelt sich um einen Windschirm zum Schutz gegen<br />

Regen und Unwetter. Ein Windschirm besteht aus vier<br />

quadratisch oder reehteckig in die Erde gesteckten Asten,<br />

über deren obere Enden vier oder mehr andere Aste<br />

gelegt werden. Auf diese deckt man als Dach Palmenoder<br />

andere Blatter. Sie sind verhaltnismaBig schnell zu<br />

errichten.<br />

Matten werden aus Pandanus-Blattern geflochten, die<br />

man durch Ziehen über eine Haumesserschneide und<br />

durch Einweichen in Wasser geschmeidig macht. Die<br />

Pandanuspalmen sind im Archipel in zahlreichen Arten<br />

vertreten. Sie wachsen am Strand oder im sumpfigen<br />

Urwald und treiben sehr oft Luftwurzeln in die Erde.<br />

Es gibt mannliche und weibliche Pandanuspalmen. Ihre<br />

Blatter dienen auch als Material für die Dachbedeckung.<br />

Man kennt keine Betten oder Stühle, sondern schlaft<br />

und sitzt auf geflochtenen Matten.<br />

FuBsohlen und Handflachen sind heller als die übrlgen<br />

Teile der menschlichen Haut. Bei Toten haben sie einen<br />

weiBlichen Ton.<br />

4<br />

Der Mann,der starb,<br />

weil seine Frau ihn kitzelte<br />

1<br />

Um die Erdklumpen auf den nassen Reisfeldern zu zerkleinern,<br />

treibt man einige Büffel auf die Felder, damit<br />

sie diese Arbeit mit ihren Hufen verrichten.<br />

• Wie ich in der Einleitung bemerkt habe, kennt man auf<br />

der Insel Simalur vier Möglichkeiten der EheschlieBung.<br />

GemaB der Adat bano, das heiBt der Landessitte, muB<br />

der junge Ehemann ein, selten zwei Jahre lang ununterbrochen<br />

bei seinen Schwiegereltern arbeiten.<br />

3<br />

Diese Deckel, die vor allem zum Zudecken von Reisbrei<br />

benutzt werden, sind aus Palmblattern geflochten. Sie<br />

werden mit farbigem Papier verziert, das man in regelmaBigen<br />

Abstanden in die durch das Flechtmuster entstandenen<br />

Quadrate oder Rechtecke schiebt. Diese ovalen<br />

Deckel dienen vor allem zum Schutz gegen Fliegen.<br />

Man gebraucht sie jedoch nur bei festlichen Gelegenheiten.<br />

4<br />

Um das Wasser auf den künstlich bewasserten, das heiBt<br />

aus abgeleiteten Flüssen gespeisten Reisfeldern am Abflieflen<br />

zu hindern, sind innerhalb des Feldes kleine,<br />

niedrige Erdwalle mit der Hand aufgeworfen. Um sie<br />

vor Abschwemmung zu schützen, sind sie haufig durch<br />

Grassoden gestützt.<br />

6<br />

Wegen der Begrabniszeremonien siehe Einleitung.<br />

' Durch Besprengen mit Zitronenwasser sollen böse Damonen<br />

abgewehrt werden.<br />

7<br />

In der Todesstunde ist der Mensch der groBen Gefahr<br />

ausgesetzt, daö der Teufel ihn für sich zu gewinnen<br />

trachtet. Deshalb wird sterbenden Mohammedanern das<br />

Glaubensbekenntnis (>Ich bezeuge, daB es keinen Gott<br />

auBer Allah gibt,und ich bezeuge, daB Mohammed Allahs<br />

216


Gesandter ist«) v<strong>org</strong>esprochen, und man sagt innen, was<br />

sie den Grabes-Engeln Munkar und Nakir zu antworten<br />

haben. (Begrabniszeremonien siehe Einleitung.)<br />

• Siehe Einleitung unter Begrabniszeremonien.<br />

Der e i f e r s ü c h t i ge Fürst<br />

1<br />

Es ist nicht ganz sicher, ob mit dem Simalur-Ausdruck<br />

gundjo die Maulwurfsgrille gemeint ist. Die Maulwurfsgrille<br />

ist ein geflügeltes Insekt, dessen VorderfüBe<br />

stark verbreitert sind und an die eines Maulwurfs erinnern.<br />

Sie lebt meistens in selbstgegrabenen Gangen in<br />

der Erde. Ihre Nahrung besteht gröBtenteils aus Würmern<br />

und Insekten.<br />

2<br />

Mit dieser Erzahlung scheint ein früher auf Simalur geübter<br />

Brauch in Zusammenhang zu stehen. Bei heftigem<br />

Sturm kehrten namlich auf See befindliche Manner ihr<br />

entblöfites Geschlechtsteil der Windrichtung zu, um den<br />

Sturm zu beschwichtigen. Dadurch wollte man den Sturm<br />

(also die Frau) beschamen und zur Umkehr zwingen.<br />

Der despotische Fürst<br />

' Hand- und FuBnagel der Brautleute werden vor der<br />

Hochzeit rot gefarbt. Dazu dient der Saft der Blatter des<br />

ine'-Strauches (Lawsonia Inermis L.).<br />

- Viele Völkerschaften in Indonesien glauben, daB man<br />

sich unverwundbar machen kann. Um dieses zu erreichen,<br />

bedient man sich verschiedener geheimer Mittel,<br />

wie beispielsweise Quecksilber, das man auf der Haut<br />

verreibt.<br />

• Diese Netze sind kegelförmig; ihre Unterseite ist durch<br />

eine Kette beschwert. Der Fischer, der die Spitze des<br />

Netzes in der Hand halt, wirft es vom FluB- oder Meeresufer<br />

oder vom Bug des Bootes aus.<br />

* Balu (Hibiscus Tiliaceus L.) ist eine Baumart mit herzförmigen<br />

Blattern und groBen gelben Blüten, deren Inneres<br />

purpurfarben ist. Aus dem Bast fertigt man Taue<br />

an; er dient auch zum Flechten von Netzen.<br />

Der Mann, der sich eine Nebenfrau<br />

nahm<br />

1<br />

Der Mann hat gemaB mohammedanischem Gesetz das<br />

Recht, die Frau ohne Angabe von Gründen durch einfache<br />

Erklarung aus der Ehe zu entlassen. Aber die Ehe<br />

ist erst nach dreimaliger VerstoBung sofort und endgültig<br />

gelost. Das mohammedanisehe Gesetz empflehlt den<br />

Mannern nicht, sich wegen geringfügiger Anlasse von<br />

ihren Ehefrauen zu trennen, oder mehr als eine Frau<br />

zu haben. Ein Mann kann sich nicht von seiner schwangeren<br />

Frau scheiden lassen, sondern er muB damit bis<br />

ungefahr vierzig Tage nach der Geburt warten. Die Frau<br />

muB auf Simalur hundert Tage warten, bevor sie wieder<br />

217


eine Ehe eingehen darf. Im Scheidungsfalle folgen dort<br />

die Kinder meistens dem Vater, das heiBt es herrscht<br />

das Patriarchat. Beim Matriarchat folgen die Kinder dem<br />

altesten Bruder der Mutter und damit der Muttersippe.<br />

2 lm Originaltext handelt es sich um ein Wortspiel mit den<br />

Ausdrücken pusako und. sangsako. Pusako bedeutet<br />

>Erbe, Erbstück», sangsako entspricht unserem »für<br />

kurze Zeit, nicht dauernd».<br />

3 Lombokpfeffer (Capsicum Annuum L.) wird allgemein<br />

>spanischer Pfeffer» genannt. Die langlichen roten Schoten<br />

wachsen an Strauchern und werden nach der Ernte<br />

getrocknet. Sie sind sehr scharf und werden, in kleinen<br />

Steinmörsern feingestampft, als Gewürz bei Reis und<br />

Zutaten verwendet. Man iBt in Indonesien sehr scharfgewürzte<br />

Speisen.<br />

i Die Bewohner der Insel Simalur, die trotz des Islams<br />

weitgehend Animisten geblieben sind, schreiben auch<br />

den Reispflanzen eine Seele zu. Sie kann, ebenso wie bei<br />

Menschen, den Körper, das heiBt hier also die Pflanze,<br />

verlassen. Infolge dieses Glaubens müssen bei der Reisaussaat<br />

und bei der Reisernte gewisse Zeremonien verrichtet<br />

werden (siehe Einleitung Seite 13).<br />

» Die Sagopalme (Metroxylon Sagus Rottb.) kommt wildwachsend<br />

und, vor allem im östlichen Teil des Archipels,<br />

auch angepflanzt vor. Dort dient das Sagomehl als<br />

Hauptnahrungsmittel, im Gegensatz zu West-Indonesien,<br />

wo Reis Hauptnahrungsmittel ist. Die Sagopalmen werden<br />

im Alter von vierzehn bis fünfzehn Jahren gefallt<br />

und in lange Stücke zerlegt, die man dann der Lange<br />

nach spaltet. Mit Hilfe einer Art DeiBel wird das Mark<br />

daraus entfernt und in ein GefaB gefüllt, das unten mit<br />

einem Sieb versehen ist. Wenn man das Mark, mit Wasser<br />

vermengt, knetet, laBt man die feinen Teile in ein<br />

anderes GefaB mit Wasser fallen, wo sie auf den Boden<br />

sinken. Diese Masse wird dann getrocknet und zu Speisen<br />

verwendet. — Sagopalmen sind auf Simalur sehr<br />

selten.<br />

• Das ist wohl so zu verstehen, daB beim Herausschlagen<br />

des Marks kein Sagomehl zum Vorschein kommt. Der<br />

Ausdruck Jherausrinnen» zeigt, daB der Erzahler mit der<br />

Sagogewinnung nicht vertraut ist, da Sago dort nicht als<br />

Nahrungsmittel dient (siehe Anmerkung 5).<br />

7 Wörtlich: >Eine enthautete Ziege lebt weiter, aber sie ist<br />

doch krank.c<br />

Der unverschamte Baumeister<br />

1<br />

Die Dacher der Hauser auf Simalur und anderswo in Indonesien<br />

sind meistens mit Blattern der Nipahpalmen<br />

(Nipa Fruticans Thunb.) gedeckt. Diese Palmen wachsen<br />

in groBer Anzahl in den Mangrovesümpfen an den<br />

FluBmündungen und am Meeresstrand. Ihre Blatter werden<br />

ungefahr gleich lang geschnitten und dicht auf eine<br />

etwa einen halben Meter lange Leiste aus gespaltenem<br />

218


Bambus aufgereiht, indem man sie um diesen Bambus<br />

knickt. Dann werden sie unterhalb der Bambusleiste mit<br />

feingespleiBtem Rotan festgeheftet. SchlieBlich legt man<br />

diese Leisten mitsamt den daran befestigten Nipahblattern<br />

in Reihen wie Schindeln über Leisten aus gespaltenem<br />

Bambus auf die Dachsparren. An ihnen werden<br />

sie nochmals mit dickeren Rotantauen befestigt. — Neben<br />

dieser ursprünglichen Art der Dachbedeekung bürgert<br />

sich, ebenso wie auf Sumatra und anderswo im Archipel,<br />

das Wellblech als Deckmaterial immer mehr ein. Ein<br />

Dach aus Nipahblattern hat gegenüber dem Wellblechdach<br />

den groBen Vorteil, daB es stets das Hausinnere<br />

kühl halt, wahrend sich unter dem Wellblechdach eine<br />

fast unertragliche Hitze entwickelt.<br />

» Das heiBt: wenn man dir den kleinen Finger reicht, willst<br />

du die ganze Hand haben.<br />

3<br />

Das heiBt billige Kleidung.<br />

Die Frau mit dem unehelichen Kind<br />

1<br />

Pandanuspalmen, siehe >Die Frau, die Ehebruch beging*,<br />

Anmerkung 4.<br />

2 Wöchnerinnen wird im Zimmer eine Feuerstelle errichtet.<br />

Denn dem Feuer schreibt man nicht nur reinigende,<br />

sondern auch Damonen abwehrende Kraft zu. Diese<br />

fürchten namlich das Feuer, das den Seelenstoff eines<br />

Menschen auffüllen kann.<br />

3<br />

Uneheliche Kinder gelten als magisch gefahrlich für die<br />

Gemeinschaft. Durch das Failen der den Betreffenden<br />

gehörenden Fruchtbaume wird die Sünde der Eltern<br />

gewissermaBen materialisiert, und durch diese Vernichtung<br />

durch Menschenhand beugt man einer zu befürchtenden<br />

Bestrafung der Gemeinschaft durch übernatürliche<br />

Machte vor. Bei den Batak auf Sumatra muB eine<br />

schwangere Frau, die unverheiratet ist, deshalb sofort<br />

verheiratet werden, gegebenenfalls sogar mit einem<br />

Mann niederen Ranges. Denn man glaubt, sonst von Tigern<br />

heimgesucht zu werden, oder man fürchtet, daB die<br />

Pflanzen auf den Feldern keine ertragreiche Ernte bringen<br />

werden. Das sexuelle Vergehen der Eltern würde<br />

namlich die gesamte Ernte gefahrden, wenn es nicht<br />

schleunigst gutgemacht würde. Diese Vorstellung beruht<br />

auf dem Glauben an den EjnfluB der Geschlechter auf<br />

die Vegetation.<br />

Der Mann,<br />

der eine Riesenschlange tötete<br />

i Wörtlich: »Sand und Gras (das heiBt der Grabhügel) sind<br />

die Vergeltung für den Mann, der die Schlange tötete.*<br />

Es handelt sich um einen sogenannten »Adat-Spruch«.<br />

Derartige, sehr alte Sprüche dienen als Richtlinien für<br />

die Rechtsprechung innerhalb der Sippe und der Gemeinschaft.<br />

- An diese Ermahnung halt man sich im allgemeinen auf<br />

der Insel Simalur.<br />

219


Der Mann, der seinen Besitz<br />

vor seinem Tode verteilte<br />

Es handelt sich um eine Variante des König Lear-<br />

Motivs. Vergleiche die ahnliehe Erzahlung »Der<br />

Goldschmied Khemala oder Des Freundes Klugheit«<br />

bei Hertel, »Katharatnakara. Das Marchenmeer«.<br />

Band 2, Nr. 210.<br />

1<br />

Das heiBt: an meine Söhne.<br />

Der reiche Mann, der vor Hunger<br />

starb<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Das heifit er will nur noch spazieren gehen.<br />

Wörtlich: >Die Nacht war bereits so weit v<strong>org</strong>erückt, daB<br />

es Schlafenszeit für die Kinder ware (siehe >Das Madchen,<br />

das nicht heiraten wollte», Anmerkung 13).<br />

Wörtlich: >Das, was bereits hoch ist, werde noch erhöht!<br />

Macht euren Oberarmansatz weich, all ihr Leute in diesem<br />

Lande! c<br />

FABELN<br />

Pythonschlange und Reisvogel<br />

1<br />

In die FuBspuren zu beiBen ist gleichwertig mit dem Ver-<br />

Ietzen des Urhebers derselben. Es handelt sich um eine<br />

Art des Bestandteil- und Restezaubers, der sehr oft zu<br />

belegen ist (siehe Frazer, >The Golden Boughi, Band I, 1,<br />

Seite 207 bis 211).<br />

-' Siehe «Das Madchen, das nicht heiraten wolltec, Anmerkung<br />

13.<br />

3<br />

Siehe >Die Frau, die Ehebruch begingi, Anmerkung 4.<br />

4<br />

erang-erang ist eine kleine Baumschlange.<br />

5<br />

ular gelang ist eine giftige Seeschlange.<br />

Der Zwerghirsch und der Hund<br />

DaB der Zwerghirsch seinen Platz im Karig mit dem<br />

Hund tauscht, indem er auf dessen Wollust rechnet,<br />

findet sich in Erzahlungen auf Java, Sumatra und<br />

Hinter-Indien. Vergleiche die malaiische Erzahlung<br />

vom Zwerghirsch, wo auch eine Vogelseheuche in<br />

menschlicher Gestalt aus Vogelleim vorkommt; Bolte<br />

und Polivka, Nr. 61, »Das Bürle«. Meinhof, «Afrikanische<br />

Marchen«, Nr. 18, »Der Hase und der Mensch«<br />

(Vogelfalle in Gestalt einer hölzernen Frau. Der<br />

Hase steigt auf den mit Vogelleim bestrichenen<br />

Stuhl, bleibt kleben und ohrfeigt die Holzfigur, an<br />

der er SchlieBlich vollstandig festklebt), und Nr. 78,<br />

220


«Der Hase« (ein Bali-Marchen, wo eine Figur aus<br />

Gummi als Falie oben in einem Baum angebracht ist).<br />

1<br />

Der Zwerghirsch gehort zur Familie Tragulidae der Wiederkauer.<br />

Er hat jedoch keine Hörner und lebt einsam<br />

oder in Paaren, nicht in Herden wie andere Wiederkauer.<br />

Vermutlich handelt es sich um den Tragulus Kantjil<br />

Raffl., der auf Sumatra, im Riouw-Arehipel, auf Borneo<br />

(jetzt Kalimantan) und auf Java vorkommt. Er fehlt auf<br />

der Insel Simalur. Der Zwerghirsch ist rot- bis dunkelbraun<br />

gefarbt, hat drei weiCe Streifen auf dem Hals und<br />

ist etwa fünfzig Zentimeter lang. In Indonesien spielt er<br />

die Rolle des Reineke Fuchs. — Der Zwerghirsch hat nur<br />

einen sehr kurzen Schwanz, daher dürfte die Befestigung<br />

von Blattern daran sehr schwierig sein.<br />

- Auf Simalur und in anderen Teilen des Archipels iBt<br />

man kein Hundefleisch, da der Hund den Mohammedanern<br />

als unreines Tier gilt. Die Tobabatak in Nord-<br />

Sumatra essen aber Hundefleisch, das dort auf Markten<br />

verkauft wird.<br />

3<br />

Die Küche befindet sich auf Simalur hinter dem Haus in<br />

einem Anbau oder in einem besonderen Gebaude, das<br />

mit dem Haus durch einen überdachten Gang verbunden<br />

ist, damit man sie in der Regenzeit trocken erreichen<br />

kann.<br />

4<br />

Siehe Anmerkung 1.<br />

Das Wildschwein und der<br />

Affe<br />

Parallelen für dieses Motiv finden sich in Indonesien,<br />

in Afrika (beispielsweise im Suaheli: »Der Leopard<br />

und der Mensch«) und in Europa. Vergleiche auch<br />

Bolte und Polivka, Nr. 48 und 72, wo weitere Parallelen<br />

angeführt sind, aus denen die weite Verbreitung<br />

dieses Motivs herv<strong>org</strong>eht.<br />

Affe und F 1 u B - S c h n e c k e<br />

Die Erzahlung vom Wettlauf zwischen einem langsamen<br />

und einem schnellen Tier (Typus »Swinegel<br />

und Hase«), der dadurch einen unerwarteten Ausgang<br />

nimmt, daB das langsame Tier eine List anwendet,<br />

ist allgemein verbreitet.<br />

1<br />

Auf Simalur ist es üblich, dafi sich der Redende zuerst<br />

nennt.<br />

- Das heiGt: dann antwortet ihr, die ihr euch fluCaufwarts<br />

befindet!<br />

Der Papagei und der Specht<br />

1<br />

Papageienmannchen haben rote, Papageienweibchen<br />

schwarzliche Schnabel, soweit es sich um Psittacula<br />

Alexandri Cala (Oberholser) handelt.<br />

221


SCHRIFTENVERZEICHNIS<br />

Aarne, Antti:Verzeichnis der Marchentypen (FF Communications<br />

Nr. 3).<br />

Aarne, Antti: Leitfaden der vergleichenden Marchenforschung<br />

(FF Communications Nr. 13).<br />

Adriani, Nicolaus, und Kruyt, Albert C: De Bare'esprekende<br />

Toradja's van Midden-Celebes. Band 3:<br />

Taal- en Letterkundige Schets der Bare'e-Taal en<br />

Overzicht van hat Taalgebied Celebes-Zuid-Halmahera.<br />

Batavia 1914.<br />

Benfey, Theodor: Pantschatantra. Leipzig 1859.<br />

Bezemer: Volksdichtung aus Indonesien. Nijhoff,<br />

Den Haag 1904.<br />

Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van<br />

Nederlandsch-Indië. Verschiedene Bande.<br />

Bolte, Johannes. und Polivka, Ge<strong>org</strong>: Anmerkungen<br />

zu den Kinder- und Hausmarchen der Brüder<br />

Grimm. Fünf Bande. Leipzig.<br />

Burger. Adolf: Manggaraiische Tiermarchen (Zeitschrift<br />

für Eingeborenen-Sprachen. Band 31. 1940<br />

bis 1941).<br />

Codrington, Robert Henry: The Melanesians. Oxford<br />

1891.<br />

Crooke, William: Religion and Folklore of Northern<br />

India.<br />

van Dijken u.vanBaarda: Fabelen, Verhalen en Overleveringen<br />

der Galelareezen (Bijdragen, Teil 45).<br />

Dutoit, Julius: Jatakam. Das Buch der Erzahlungen<br />

aus früheren Existenzen Buddhas. Sieben Bande.<br />

Leipzig.<br />

Eberhard. Wolfram: Typen chinesischer Volksmarchen<br />

(FF Communications Nr. 120).<br />

Frazer, James Ge<strong>org</strong>e: The golden Bough. (7 Bande.)<br />

Hambruch, Paul: Malaiische Marchen. Eugen Diederichs,<br />

Jena 1922.<br />

Hartmann, Richard: Die Religion des Islam. E. S.<br />

Mittler und Sohn, Berlin 1944.<br />

Hertel, Johannes: Katharatnakara.DasMarchenmeer.<br />

Zwei Bande. Ge<strong>org</strong> Müller, München 1920.<br />

222


Hertel, Johannes: Indische Marchen. Eugen Diederichs,<br />

Jena 1925.<br />

Hertel, Johannes: Zwei indische Narrenbücher.<br />

Haessel, Leipzig 1922.<br />

Hooykaas: Over Maleische Literatuur. E. J.Brill, Leiden<br />

1937.<br />

Kats: Warna Sari Melaju. Zwei Bande. Visser u. Co.<br />

1922.<br />

Koch-Grünberg, Theodor: Indianermarchen aus Südamerika.<br />

Eugen Diederichs, Jena 1920.<br />

Krickeberg, Walter: Indianermarchen aus Nordamerika.<br />

Eugen Diederichs, Jena 1924.<br />

Meinhof, Carl: Afrikanische Marchen. Eugen Diederichs,<br />

Jena 1921.<br />

Morris, Max: Die Mentawai-Sprache. Berlin 1900.<br />

Overbeck, Hans: Malaiische Erzahlungen. Eugen Diederichs,<br />

Jena 1925.<br />

Rappard: Het Eiland Nias en zijne Bewoners (Bijdragen,<br />

Teil 62).<br />

Rosen, Ge<strong>org</strong>: Das Papageienbuch.<br />

Leipzig.<br />

Insel-Verlag,<br />

Schwarz: Tontemboansche Teksten. Band 2: Vertaling.<br />

Leiden 1907.<br />

Snouck Hurgronje, Christian: The Achehnese.<br />

Zwei Bande. Leiden 1906.<br />

Tawney, Charles Henry, und Penzer: The Ocean of<br />

Story. Zehn Bande. J. Sawyer Ltd., London.<br />

Tichelman und Voorhoeve: Steenplastiek in Simaloengoen.<br />

Kohier und Co., Medan 1938.<br />

Tuuk, Hendrik Neubronner van der: Bataksch Leesboek.<br />

Vier Bande. Amsterdam 1860/1862.<br />

Voorhoeve: Overzicht van de Volksverhalen der Bataks.<br />

Van de Velde jr., Vlissingen 1927.<br />

Wilhelm, Richard: Chinesische Volksmarchen.<br />

Winstedt: The Indian Origin of Malay Folk-Tales<br />

(Journal of the Straits Branch of the Royal Asiatic<br />

Society, 1920, Band 81).<br />

223


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224<br />

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Übersicht<br />

EINLEITUNG 5<br />

GESCHICHTLICHE ERZAHLUNGEN<br />

UND LEGENDEN<br />

Die Lambore' auf der Insel Simalur 19<br />

Die Herkunft der Bewohner von Sichule<br />

und Salang 22<br />

Wie Ortsnamen entstanden sind 23<br />

Wie die Bewohner der Insel Mohammedaner<br />

wurden 24<br />

DAMONENGESCHICHTEN<br />

Der Fürst, der ein Jagerdamon wurde 32<br />

Der Antu' Singongo-Damon 35<br />

Die Fürstentochter heiratet den »Fürsten vom<br />

Oberlauf« 39<br />

Der Sohn eines Reichen und Fürst Aman ... 48<br />

Der Soman-Soman-Damon<br />

und die Frau, die Reis stampfte 53<br />

Der Mann, der seine Frau über alles liebte ... 54<br />

Erzahlung von dem Pa'e-Damon 56<br />

Erzahlung von den Rotansuchern 63<br />

VERWANDLUNGS-<br />

UND ANDERE MARCHEN<br />

Ein Verstorbener wird ein Wildschwein . . . . 65<br />

Der Mann, der ein Specht wurde 67<br />

Ein Menschenkopf wird zur Kokospalme . . . . 63<br />

226


Die Prinzessin, die ein Durian-Baum wurde . . 72<br />

Zwei Geschwister werden zu Steinen 75<br />

Eine Mutter verflucht ihren Sohn 77<br />

Das Krokodilsei, aus dem ein Mensch entstand . 79<br />

Polambana und die Affen 81<br />

Die Kuh mit den drei Töchtern 86<br />

Der Mann, der dauernd angelte 90<br />

Das Madchen und die Riesenmücken 94<br />

Ein Jüngling wird von einem Büffelkopf getötet 98<br />

SCHWANKE<br />

Der Arme, der Pflüge verbarg 100<br />

Palantjar 106<br />

Der Herr und sein Skiave Lafoebu' 109<br />

Der Fürst und sein Neffe 114<br />

Der Lachwettbewerb 120<br />

Der Arme als Richter 122<br />

Der unentschlossene Mann 124<br />

Der Sohn des Wohlhabenden und der Arme . . 125<br />

VOLKSERZAHLUNGEN<br />

Die Prinzessin, die einen vom Himmel Herabgestiegenen<br />

heiraten wollte 130<br />

Das Madchen, das nicht heiraten wollte . . . . 133<br />

Die Frau, die Ehebruch beging 142<br />

Der Mann, der starb,<br />

weil seine Frau ihn kitzelte 147<br />

Der eifersüchtige Fürst 149<br />

Der despotische Fürst 155<br />

Der Mann, der sich eine Nebenfrau nahm ... 157<br />

Der unverschamte Baumeister 160<br />

Die Frau mit dem unehelichen Kind 163<br />

Der Mann, der eine Riesenschlange tötete ... 166<br />

Der Mann, der seinen Besitz vor seinem Tode<br />

verteilte 169<br />

Der reiche Mann, der vor Hunger starb .... 173<br />

227


FABELN<br />

Pythonschlange und Reisvogel 177<br />

Der Zwerghirsch und der Hund 179<br />

Das Wildschwein und der Affe 183<br />

1 8 5<br />

Der Reisvogel und der Affe<br />

Affe und FluB-Schnecke 187<br />

1 8 8<br />

Der Papagei und der Specht<br />

Die Wildkatze und das Huhn 191<br />

Die beiden Kampfhahne 192<br />

ANMERKUN GEN<br />

Schriftenverzeichnis 222<br />

Karte von Sumatra und den umliegenden Insein 224<br />

Karte von der Insel Simalur 225<br />

1 9 3<br />

228


»DAS<br />

GESICHT DER VÖLKERi<br />

Die Reiskugel. Sagen und Göttergeschichten, Marchen,<br />

Fabeln und Schwanke aus Vietnam. Aus dem Vietnamesisehen<br />

tibersetzt und herausgegeben von Prof. Dr Hans<br />

Nevermann.<br />

Hinterindien, an dessen östlicher Küste sich Vietnam hinzieht,<br />

ist von einer Vielzahl von Volksstammen bewohnt.<br />

Ihre Kultur ist weitgehend von Indien her beeinfluBt worden;<br />

nur der Süden, die Halbinsel Malakka, rechnet in kultureller<br />

Beziehung eindeutig zum malaiischen Kulturkreis.<br />

Vietnam, seit vielen Jahrhunderten infolge seiner wechselvollen<br />

Geschichte tiefgehendem chinesischen EinfluB unterworfen,<br />

weist sich in den Sagen und Göttergeschichten als<br />

natürliche Brücke zwischen den beiden Kulturbereichen<br />

China und Indien aus. Die Marchen und Tierfabeln jedoch,<br />

bis auf geringe Ausnahmen, die Schwanke und Volkslieder<br />

aber ganz besonders, sind durchaus eigenwüchsig und bodenstandig.<br />

Mit den Entlehnungen zusammen geben sie ein<br />

deutliches Abbild der heutigen vietnamesischen Vorstellungswelt.<br />

Die vom Herausgeber eingefügten Zwischentexte<br />

bieten Einblick in die geschichtlichen, kulturellen,<br />

sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhange.<br />

Unter dem Odongbaum. Koreanische Sagen, Marchen<br />

und Fabeln, wahrend eines zwanzigjahrigen Aufenthalts in<br />

Korea gesammelt von Prof. Dr. André Eckardt.<br />

Mit einem Holzschnitt und vier nach volkskundlichen Motiven<br />

geschnittenen Initialen. 184 Seiten.<br />

Wie die Kultur Vietnams, so ist auch die Koreas von China<br />

her beeinfluBt worden — und wie die vietnamesische Volksdichtung<br />

typisch chinesische Motive aufgenommen hat, so<br />

auch die koreanische. In ethischer Hinsicht aber — sei es<br />

durch ihre religiös-sittliche Grundanschauung, sei es durch<br />

die Geradheit ihres Charakters — stehen nach Eckardts<br />

TJntersuchungen die Koreaner an erster Stelle unter den<br />

Vólkern Asiens. Die hier gebotenen Volksdichtungen erharten<br />

die These des Forschers. „Stark ausgepragter Gerechtigkeitssinn,<br />

tiefe Empflndsamkeit und Klugheit geben diesen<br />

Marchen. die sich durch Inhaltsreichtum, Stimmungsgehalt<br />

und liebenswürdige Heiterkeit auszeichnen, ihren<br />

besonderen Charakter" („Die Buchbesprechung").<br />

„Wie ein Prismal das Licht in farbige Bander auseinanderfaltet,<br />

so sind in diesen Erzahlungen die Eigentümlichkeiten<br />

des koreanischen Volk es zu erkennen" (Dr. Julius Kühn).<br />

Aura Pohu. Mythen, Marchen und Sagen — Sprichwörter,<br />

Fabeln und Ratsel von der Elfenbeinküste Westafrikas, auf<br />

einer völkerkundlichen Forschungsreise aufgenommen und<br />

in Auswahl herausgegeben von Dr. Dr. HansHimmelh<br />

e b e r. Mit zwei Bildtafeln und drei nach volkskundlichen<br />

Motiven geschnittenen Initialen. 188 Seiten.<br />

„Die Volksliteratur der Afrikaner besteht in der Hauptsaehe<br />

aus Marchen, und diese wirken, in gröBerer Zahl gelesen,<br />

leicht ermüdend. Die vorliegende Sammlung zeichnet sich<br />

ERICH RÖTH -VERLAG /EISENACH


aber vor anderen aus durch ihre Vielseitigkeit; die meisten<br />

Stücke sind aufierdem in so flieBendem Stil geschrieben,<br />

und die ganze Sammlung ist so reich an Abwechslung, daB<br />

man gern darin liest und einen wirklichen Einblick in afrikanisches<br />

Leben gewinnt. Von besonderem Interesse sind<br />

der Anlang und das Schluflkapitel des Buches. In ersterem<br />

werden Geschichten erzahlt von Göttern und der Weltschöpfung.<br />

Im SchluBkapitel erzahlt Himmelheber die<br />

Stammessage der Baule . . . Das Buch ist lebendig geschrieben<br />

und wird der afrikanischen Wirklichkeit durchaus gerecht"<br />

(Professor Dr. Diedrich Westermann).<br />

Der gefrorene Pfad. Mythen und Marchen — Legenden<br />

und Ahnengeschichten der Eskimo, auf einer völkerkundlichen<br />

Forschungsreise in Südwest-Alaska und auf der Insel<br />

Nunivak aufgenommen und in Auswahl herausgegeben von<br />

Dr. Dr. Hans Himmelheber. 140 Seiten.<br />

„In einer knappen und sehr treffend das Wesentliche festhaltenden<br />

Einleitung führt uns Himmelheber in Leben und<br />

Brauche dieser Eskimo ein. Es folgen Erlauterungen, deren<br />

Kenntnis eine Voraussetzung bildet zum Verstandnis der<br />

nachfolgenden eskimoischen Erzahlungen. In ihnen werden<br />

mit liebevoller S<strong>org</strong>falt und Ausführlichkeit das Leben und<br />

sogar die alltaglichsten Gewohnheiten in Worte gefafit. Es<br />

war das Bestreben des Verfassers, die Dichtungen möglichst<br />

originalgetreu wiederzugeben, das heiBt der Versuchung zu<br />

widerstehen, Dinge, die ihm selbst wichtig erschienen, hervorzuheben<br />

oder die Holprigkeiten und eintönigen Langen<br />

zu glatten, was eine falsche Vorstellung vermittelt hatte.<br />

Diese Heldenfahrten, Tiergeschichten, Marchen, Mythen und<br />

Sagen führen uns in eine fremde, eigentümliche Welt, die<br />

uns aber bald ganz gefangennimmt. Wir mochten sie allen<br />

warmstens empfehlen, die nicht nur die auBere Kultur der<br />

Eskimo kennenlernen wollen, sondern auch ein Stück ihres<br />

geistigen Besitzes" („Schweizer Volkskunde").<br />

Die gefliigelte Sekwester. Albanische Volksmarchen, Mythen<br />

und Tierfabeln, gesammelt und herausgegeben von<br />

Prof. Dr. Maxlmilian Lambertz. 224 Seiten.<br />

In den albanischen Marchen und Tierfabeln reicht uraltes<br />

Volksgut, teilweise noch aus illyrischer Zeit, in unsere Gegenwart<br />

herein und haben sich uralte Glaubensvorstellungen<br />

erhalten, wie sie ahnlich lebendig und zeitnahe kaum<br />

ein anderes Volk Europas aufzuweisen hat. Das bunte, vielgestaltige<br />

Brauchtum der Albaner durchwirkt diese Volksdichtungen<br />

mit leuchtenden Farben.<br />

I m D r u c k :<br />

Die Ginsengtrursel. Koreanische Sagen und VolkserzShlungen,<br />

wahrend eines zwanzigjahrigen Aufenthaltes in<br />

Korea gesammelt von Prof. Dr. André Eckardt.<br />

Jeder Band holzfrei, Halbleinen 3.80 DM<br />

ERICH<br />

RÖTH-VERLAG/EISENACH


»DAS GESICHT DER V Ö L K E R «<br />

Wissarion Belinsklj s VOLKHEIT UND VOLK IN DICH-<br />

TUNG UND PHILOSOPHIE. Essays.<br />

Wladitnir Korolenkot ALS DIE BANDURA SANG . . .<br />

Nur wenige russische Dichter haben den russischen Menschen<br />

so wahr und einpragsam dargestellt wie Korolenko<br />

in den drei sibirischen Erzahlungen, die in diesem Bande<br />

vereinigt sind: „Es rauscht der Wald" — „Der Totschlager" —<br />

„Der Falke von Sachalin". In ihnen kampft er für die Sache<br />

der Gerechtigkeit in jener restlosen Anspannung, „in der<br />

sich Gefühl und Vernunft harmonisch vereinigen und sich<br />

zu hoher religiöser Leidenschaft erheben".<br />

Wjatscheslaw SAitthkoW: LAND IM REGENBOGEN.<br />

Drei Erzahlungen aus der Taiga. „Der in Deutschland viel<br />

zu wenig bekannte russische Dichter Schischkow gehort in<br />

die erste Reihe zeitgenössischer europaischer Erzahler. Was<br />

der Amerikaner Jack London für die Walder und Menschen<br />

des Nordens, das ist für die Taiga Sibiriens, ihre Tiere und<br />

naturnahen Menschen der Dichter Schischkow: ein Entdecker<br />

ihrer groBartigen Schönheit, ein Gestalter ihrer<br />

Kraft. Urwüchsigkeit und Seele. Die drei Erzahlungen lassen<br />

den Leser, auch den jugendlichen, bis zum letzten Satz<br />

nicht mehr aus ihrem Bann" (Dr. A. Helmbold).<br />

Anton Tschechow: DIE STEPPE. Zwei Erzahlungen. Erstaunlicherweise<br />

ist die Titelerzahlung, Tschechows gröBte<br />

und bedeutendste, mit ihren oft so humorvollen, immer<br />

aber psychologisch feinen autobiographischen Zeichnungen<br />

noch niemals ins Deutsche übersetzt worden . . . um so unbegreiflicher,<br />

als schon Maxim Gorki nur das eine an ihr<br />

auszusetzen fand: daB nicht er sie geschrieben hatte.<br />

Itrnn S. Turgeneia JERMOLAI UND DIE SCHONE<br />

MÜLLERIN. Was Herder von einer Schilderung des Volkes<br />

verlangt, daB sie „Sitten und Denkart desselben durch<br />

sich selbst" zeige, das hat Turgenew wohl als einer der<br />

ersten in der Dichtung erfüllt. Seine Gestalten sind vollgültige<br />

Vertreter des russischen Volksgeistes, in denen wir<br />

das innere, zweite Gesicht des russischen Menschen als eine<br />

lebenschaffende Wirklichkeit vor uns haben. Das gilt nicht<br />

nur für seine Menschen in der Titelerzahlung, sondern auch<br />

in „Chorj und Kalinytsch", „Birjuk", der liebenswürdigen<br />

Dichtung „KaBjan", und der mit atemberaubender Spannung<br />

geladenen Schilderung eines Wettstreits „Die Sanger",<br />

Seine „Fahrt in die PoleBje" ist eine der meisterhaf testen<br />

Walddarstellungen, die das russische Schrifttum herv<strong>org</strong>ebracht<br />

hat.<br />

I m D r u c k<br />

Nieolai Gogol: DER GEI STERVOGEL. Ukrainische Erzahlungen.<br />

Giovanni Verga: TROCKENES BROT. Sizilianische<br />

Erzahlungen.<br />

Jeder Band der Sammlung Halbleinen 3.80 DM<br />

ERICH R Ö T H-V E RL AG / E I S E NAC H


»DAS GESICHT DER V Ö L K E R «<br />

In Vorbereitung<br />

Paul Delarue/Paris: Französische Volksmarchen<br />

Prof. Dr. André Eekardt: Koreanische Volkslieder<br />

Prof. Dr. Eduard Erkes: Chinesische Volksmarchen<br />

Prof. Dr. Martin Gusinde / Washington: Volksdichtung des<br />

Feuerlandes<br />

Dr. Matthias Hermanns / Bombay: Tibetische Volksmarchen<br />

Dr. Irene Hiigers-Hesse: Volksdichtungen aus Malakka<br />

Dr. Johanna Huppertz: Indianer-Marchen aus Südbolivien<br />

Prof. Dr. Kohl-Larsen: Mythen aus dem Innersten Afrikas<br />

Ders.: Aus der Marchenwelt der Lappen<br />

Dr. Ernst Krenn: Faröer Marchen<br />

Prof. Dr. Walter Krickeberg: Marchen der SchwarzfuB-<br />

Indianer<br />

Dr. Erich Kunze/Helsinki: Finnische Volkslieder<br />

Prof. Dr. Maximilian Lambertz: Albanische Sagen<br />

Prof. Dr. Ludwig Mühlhausen: Irische Marchen, Sagen<br />

Prof. Dr. Hans Nevermann: Marchen aus Kambodscha<br />

Ders.: Volksdichtungen der Papua<br />

Prof. Dr. Wolfgang Steinitz: Ostjakisehe Volksmarchen<br />

Prof. Dr. Antonio Tovar / Salamanca: Marchen der Basken<br />

Prof. Dr. Hermann Trimborn: Marchen der Khetschua<br />

# * #<br />

Die E r 1 e b n i s b ü c h e r der Sammlung<br />

> D a s Gesicht der Volken<br />

Dr. Dr. Hans Himmelheber:<br />

Unter Schlangenbeschwörern und Hexenjagern<br />

(Expedition 1949/1950 ins Urwaldgebiet Liberias)<br />

Prof. Dr. Ludwig Kohl-Larsen:<br />

Kinderspiele, Kriegsgeschrei und Zauberei<br />

(Jugenderinnerungen eines Urwaldnegers)<br />

Prof. Dr. Ludwig Kohl-Larsen:<br />

Unter roten Hibiskusblüten (Südsee)<br />

Erich Wustmann:<br />

Klingende Wildnis (Lappland)<br />

Jeder Band stark bebildert<br />

ERICH<br />

RÖTH-VERLAG / EISENACH


^Vegegnung mit den Menschen anderer Völker<br />

zu vermitteln, ist die Aufgabe der<br />

Sammlung »Das Gesicht der Völker«.<br />

Aus dem Schaffen der Dichter, Schriftsteller und<br />

Denker der Gegenwart und noch zeitnahen jüngsten<br />

Vergangenheit und aus der Volksdichtung<br />

wahlt die Sammlung, was die Besonderheit der<br />

betreffenden Völker erkennen laBt, und was Achtung<br />

vor dieser anderen Art zu wecken vermag.<br />

Aus dem Verstandnis für die Vielfalt der Wesensformen<br />

und aus der Achtung vor dem Anderssein<br />

möge dann die Erkenntnis erwachsen, daB<br />

hinter allen Eigen-Arten das Gemeinsame alles<br />

Menschlichen zu suchen ist.<br />

Die Sammlung ist nach Kulturkreisen gegliedert.<br />

In etwa dreiBig Reihen wird die Dichtung aller<br />

Völker in kennzeichnender Auswahl dargeboten.<br />

ERICH RÖTH-VERLAG / EISENACH

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