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Positionspapier offener Vollzug

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Offener Straf- und Massnahmenvollzug<br />

1. Grundprinzipien<br />

• Der offene <strong>Vollzug</strong> ist – neben dem geschlossenen <strong>Vollzug</strong> - eine der beiden<br />

Hauptformen des <strong>Vollzug</strong>s einer unbedingt vollziehbaren freiheitsentziehenden<br />

Strafe oder Massnahme.<br />

• Er ist auf das Ziel ausgerichtet, die Eingewiesenen auf ihre Integration in die<br />

Gesellschaft vorzubereiten und dadurch langfristig kriminalpräventive<br />

Wirkungen bei den Eingewiesenen zu erzielen.<br />

• Er zielt auf zwei Zielgruppen: Einerseits auf Verurteilte, für welche kein<br />

erkennbares Risiko besteht, dass sie aus dem <strong>Vollzug</strong> flüchten und erneut<br />

schwerere Straftaten begehen werden und andererseits auf im geschlossenen<br />

<strong>Vollzug</strong> Inhaftierte, welche vor ihrer Entlassung möglichst realitätsnah auf ein<br />

Leben in Freiheit vorbereitet werden.<br />

2. Rechtliche Grundlagen<br />

• Anwendungsbereich: Ein Verurteilter wird nur dann nicht in eine offene<br />

Strafanstalt eingewiesen, „wenn die Gefahr besteht, dass er flieht, oder zu<br />

erwarten ist, dass er weitere Straftaten begeht“ (Art. 76 Abs. 2 StGB). Ist keine<br />

dieser Voraussetzungen erfüllt, erfolgt also eine Einweisung in den offenen<br />

<strong>Vollzug</strong>.<br />

• <strong>Vollzug</strong>sbedingungen: Das StGB präzisiert nicht, wie sich der offene <strong>Vollzug</strong><br />

vom geschlossenen <strong>Vollzug</strong> unterscheidet. Massgeblich ist aber der in Art. 74<br />

Satz 2 konkretisierte Verhältnismässigkeitsgrundsatz, wonach die Rechte der<br />

Eingewiesenen nur so weit beschränkt werden dürfen „als der Freiheitsentzug<br />

und das Zusammenleben in der <strong>Vollzug</strong>sanstalt es erfordern.“ Im Übrigen sind<br />

auch für den offenen <strong>Vollzug</strong> die in Art. 75 Abs. 1 StGB umschriebenen<br />

<strong>Vollzug</strong>sgrundsätze zu beachten: „Der Strafvollzug hat das soziale Verhalten<br />

des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben. Der<br />

Strafvollzug hat den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich zu<br />

entsprechen, die Betreuung der Gefangenen zu gewährleisten, schädlichen<br />

Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken und dem Schutz der<br />

Allgemeinheit, des <strong>Vollzug</strong>spersonals und der Mitgefangenen angemessen<br />

Rechnung zu tragen.“<br />

• Besonderheiten des Massnahmenvollzugs: Obwohl der Anwendungsbereich<br />

des offenen Massnahmenvollzugs und die dafür massgeblichen <strong>Vollzug</strong>sbedingungen<br />

im StGB nicht ausdrücklich konkretisiert werden, ist unbestritten,<br />

dass der Anwendungsbereich <strong>offener</strong> therapeutischer Massnahmen sowohl<br />

durch sicherheits- als auch therapiebezogene Aspekte bestimmt wird. Ferner<br />

macht Art. 90 StGB deutlich, wo auch im offenen, therapeutischen<br />

Massnahmenvollzug aus therapeutischen Gründen von den für den<br />

Strafvollzug geltenden Bestimmungen abgewichen werden kann.


3. Leistungsanforderungen an den offenen <strong>Vollzug</strong><br />

• Ermittlung der besonderen Stärken und Schwächen der einzelnen<br />

Eingewiesenen, Festlegung der diesbezüglich erforderlichen Massnahmen in<br />

der individuellen <strong>Vollzug</strong>splanung und kontrollierte Erprobung der individuellen<br />

Fortschritte der Eingewiesenen während des <strong>Vollzug</strong>es.<br />

• Aktive Beteiligung der Eingewiesenen an den oben genannten Massnahmen<br />

und Befähigung der Eingewiesenen zur Übernahme von Selbstverantwortung<br />

im <strong>Vollzug</strong>salltag und nach der Entlassung.<br />

• Vermeidung schädlicher Folgen des Freiheitsentzugs durch möglichst<br />

lebensnahe Bedingungen im <strong>Vollzug</strong>salltag und durch die Förderung der<br />

Kontakte der Eingewiesenen mit ihrem sozialen Netzwerk ausserhalb der<br />

Anstalt.<br />

• Strukturierte, laufende Überprüfung der Notwendigkeit, einzelne Eingewiesene<br />

allenfalls in eine geschlossene Abteilung oder Anstalt versetzen zu lassen.<br />

• Vorbereitung der Eingewiesenen auf ihre Entlassung in Zusammenarbeit mit<br />

der Bewährungshilfe oder anderer Fachdienste.<br />

• Implementierung der erforderlichen fluchthemmenden baulichen, technischen,<br />

organisatorischen und personellen Massnahmen sowie der<br />

entsprechenden Massnahmen zur Kontrolle der Anwesenheit der Eingewiesenen.<br />

4. Besondere Stärken des offenen <strong>Vollzug</strong>s<br />

• Er verfügt über ein hohes Potential zur Vermeidung von schädlichen Folgen<br />

des Freiheitsentzugs, zur Förderung der Integrationsfähigkeit der Eingewiesenen<br />

in die Gesellschaft und zur Entlassungsvorbereitung.<br />

• Er ist in der Lage, den individuellen Stärken und Schwächen der Eingewiesenen<br />

in hohem Masse Rechnung zu tragen und flexibel auf<br />

Veränderungen der Entwicklung der Eingewiesenen zu reagieren.<br />

• Er leistet damit einen erheblichen, langfristigen Beitrag zur Rückfallverminderung<br />

und schützt die Bevölkerung vor Kriminalität.<br />

5. Grenzen des offenen <strong>Vollzug</strong>s<br />

• Durch die Strukturen des offenen <strong>Vollzug</strong>s können Fluchten nicht vollständig<br />

ausgeschlossen werden.<br />

• Der offene <strong>Vollzug</strong> ist nicht in der Lage, die Öffentlichkeit während des<br />

<strong>Vollzug</strong>s umfassend vor Delinquenz zu schützen.


Autorenschaft<br />

Arbeitsgruppe der Direktorinnen und Direktoren des offenen Straf- und Massnahmenvollzugs<br />

Burkhard Werner,<br />

Zentrumsleiter, <strong>Vollzug</strong>szentrum Bachtel<br />

Fäh Peter,<br />

Stab, Amt für Justizvollzug Kanton Solothurn<br />

Heimoz Marianne,<br />

Direktorin, Anstalten Hindelbank<br />

Lachat Martin,<br />

Directeur, Prison de la Croisée<br />

Loosli Paul,<br />

Direktor, Therapiezentrum im Schache & Strafanstalt Schöngrün<br />

Näf Leo,<br />

Direktor, Massnahmenzentrum Bitzi<br />

Naegeli Andreas,<br />

Direktor, Strafanstalt Wauwilermoos<br />

Schwarz Hans-Rudolf,<br />

Direktor, Anstalten Witzwil<br />

Tharin Philippe,<br />

Directeur, Etablissements de Bellechasse<br />

Ulmann Kurt,<br />

Direktor, Kantonale Strafanstalt Gmünden<br />

Walter Franz,<br />

Direktor, Massnahmenzentrum St. Johannsen<br />

Andrea Zinsli<br />

Direktor, Strafanstalten Graubünden<br />

Freiburg, den 23. August 2010

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