Programmheft - kammermusik festival hohenstaufen
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Was zum Stil der sechs Quartette op. 76 gesagt wurde, gilt speziell<br />
auch für dieses einzige Moll-Quartett der Serie. Es ist unter dem<br />
Namen „Quinten-Quartett“ berühmt geworden, wegen des markant<br />
den ersten Satz eröffnenden Motivs aus zwei fallenden Quinten, die<br />
den Kopf des einzigen Themas bilden, der das ganze Allegro durchdringt.<br />
Was sich nach aufgelockerten Seitenthemen anhört, sind<br />
höchst geistreich variierte Kontrapunkte, die das nahezu ständig<br />
präsente Quintenmotiv umspielen – mit all den satztechnischen,<br />
modulatorischen und rhythmischen Kunstfertigkeiten, die den unerschöpflichen<br />
Reichtum von Haydns reifem Quartettstil auszeichnen.<br />
Es ist wirklich immer aufs neue staunenswert, wie individuell, wie<br />
selbstbewusst sich jede einzelne der vier Stimmen behauptet und<br />
entfaltet.<br />
Nach dem strengen ersten Satz wirkt der heiter gelöste Allegretto-Charakter<br />
des folgenden D-Dur-Andantes wie eine „Erholung“:<br />
mit seinem von Pizzicati begleiteten liedhaft zierlichen Thema,<br />
in dem der Quintenfall auch wieder eine erhebliche Rolle spielt, besonders<br />
deutlich im d-Moll-Mittelteil des Satzes, der rasch ins anfängliche<br />
D-Dur zurückfindet und der ersten Geige reichlich<br />
Gelegenheit zu figurativer Filigranarbeit gibt. Das Menuett ist natürlich<br />
längst kein höfischer Tanz mehr, sondern ein ziemlich ruppiger<br />
Kanon aus asymmetrisch gebauten Perioden, in denen Bratsche und<br />
Cello ständig den beiden Violinen hinterherhinken. Wird es deshalb<br />
das „Hexen-“ oder auch „Nachtwächter-Menuett“<br />
genannt? Das mechanisch<br />
„tickende“ Trio schafft<br />
einen eigentümlichen Kontrast.<br />
Das Finale, Vivace<br />
assai, täuscht uns mit seinem<br />
behenden, witzig auf<br />
zwei Fermaten endenden<br />
Thema vor, ein „ungari -<br />
sches“ Rondo zu sein.<br />
Doch da plötzlich noch<br />
Seitenthemen auftauchen<br />
und sich der weitere Fortgang<br />
als eine ordentliche<br />
Durchführung des motivischen<br />
Materials entpuppt,<br />
merken wir plötzlich, dass<br />
wir es mit einem Sonatensatz<br />
zu tun haben, dessen Reprise<br />
das Hauptthema nochmals verwandelt<br />
und das Werk in D-Dur beschließt.<br />
„Ich bin Ihnen<br />
sehr verbunden<br />
für die eingesandten<br />
Exemplair<br />
der<br />
Quartetten, welche<br />
sowohl mir<br />
als auch Ihnen<br />
wegen den so<br />
lesbaren deutlichen<br />
stich und<br />
schönen Titelblatt<br />
viel Ehre<br />
machen.“<br />
(Haydn an den<br />
Verleger Artaria,<br />
12. Juli 1799)<br />
Joseph Haydn,<br />
um 1795<br />
Gouache von<br />
Johann Zitterer<br />
<strong>kammermusik</strong><strong>festival</strong><strong>hohenstaufen</strong><br />
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